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Gert Kowarowsky

Individualisierte Burnout-Therapie (IBT)

Ein multimodaler Behandlungsleitfaden

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-032341-4

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-032342-1

epub:   ISBN 978-3-17-032343-8

mobi:   ISBN 978-3-17-032344-5

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Inhaltsverzeichnis

 

 

  1. Prolog
  2. Einleitung
  3. 1 Burnout – Was ist das eigentlich?
  4. 1.1 Das Burnout betritt das Behandlungszimmer …
  5. 1.1.1 Sozialrechtliche Aspekte der Diagnostik
  6. 1.1.2 Burnout ist immer etwas Individuelles
  7. 1.1.3 Burnout: Der Persönlichkeit oder den Verhältnissen geschuldet?
  8. 1.1.4 Burnout kennt inzwischen jedes Kind
  9. 1.2 Die Geschichte des Burnout-Begriffs
  10. 1.3 Definitionen von Burnout
  11. 1.3.1 Die Grundelemente der Burnout-Definition
  12. 1.3.2 Burnout-Definitionen: Fazit
  13. 1.4 Die verschiedenen Burnout assoziierten Symptome
  14. 1.5 Der Burnout-Verlauf
  15. 1.5.1 Die verschiedenen Phasenmodelle des Burnout-Verlaufs
  16. 1.5.2 Die zwölf Stadien des Burnout-Verlaufs nach Freudenberger und North (1997)
  17. 2 Differenzialdignostik bei Burnout
  18. 2.1 Hinweise zu Besonderheiten bei der Gesprächsführung während der Anamnese und Diagnostik
  19. 2.2 Das biopsychosozial-environmentale Modell
  20. 2.3 Die somatische Ursachenvielfalt für einen Zustand völliger Erschöpfung
  21. 2.3.1 Adrenalinmangel
  22. 2.3.2 Allergie
  23. 2.3.3 Anämie
  24. 2.3.4 Andere Vitamin- oder Mikronährstoffdefizite im Blutbild
  25. 2.3.4.1 Vitamin-B1-Mangel
  26. 2.3.4.2 Vitamin-B2-Mangel
  27. 2.3.4.3 Vitamin-B3-Mangel
  28. 2.3.4.4 Vitamin-B4-Mangel
  29. 2.3.4.5 Vitamin-B5-Mangel
  30. 2.3.4.6 Vitamin-B6-Mangel
  31. 2.3.4.7 Vitamin-B7-Mangel
  32. 2.3.4.8 Vitamin-B8-Mangel
  33. 2.3.4.9 Vitamin-B9-Mangel
  34. 2.3.4.10 Vitamin-B10-Mangel
  35. 2.3.4.11 Vitamin-B11-Mangel
  36. 2.3.4.12 Vitamin-B12-Mangel
  37. 2.3.4.13 Biotin-Mangel
  38. 2.3.4.14 Coenzym-Q10-Mangel
  39. 2.3.4.15 Eisen-Mangel
  40. 2.3.4.16 Folsäure-Mangel
  41. 2.3.4.17 Kalium-Mangel
  42. 2.3.4.18 Kalzium-Mangel
  43. 2.3.4.19 Kupfer-Mangel
  44. 2.3.4.20 Magnesium-Mange
  45. 2.3.4.21 Molybdän-Mangel
  46. 2.3.4.22 Selen-Mangel
  47. 2.3.4.23 Thiamin-Mangel
  48. 2.3.4.24 Tryptophan-Mangel
  49. 2.3.4.25 Vitamin-A-Mangel
  50. 2.3.4.26 Vitamin-C-Mangel
  51. 2.3.4.27 Vitamin-D-Mangel
  52. 2.3.4.28 Vitamin-E-Mangel
  53. 2.3.4.29 Vitamin-K-Mangel
  54. 2.3.4.30 Zink-Mangel
  55. 2.3.4.31 Mangel an Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren
  56. 2.3.4.32 Wasser-Mangel
  57. 2.3.5 Weitere biologisch-medizinisch mögliche Gründe für Erschöpfung
  58. 2.3.5.1 Infektionen (bakterielle, virale)
  59. 2.3.5.2 Fernreisefolgen mit potenziellen Infektionen vor dem Auftreten der Erschöpfungssymptome
  60. 2.3.5.3 Hepatitis (Leberentzündung)
  61. 2.3.5.4 Diabetes
  62. 2.3.5.5 Starke Menstruationsblutungen und/oder starke hämorrhoidale Blutungen
  63. 2.3.5.6 Schwangerschaft
  64. 2.3.5.7 Krebs (Malignome, Lymphome, Leukämie)
  65. 2.3.5.8 Chronische Krankheiten
  66. 2.3.5.9 Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises (incl. Fibromyalgie)
  67. 2.3.5.10 Schilddrüsenunterfunktion (Hypothyreose)
  68. 2.3.5.11 Nierenerkrankung
  69. 2.3.5.12 Lungenerkrankungen (z. B. Tuberkulose)
  70. 2.3.5.13 Herz-Kreislauf-Erkrankungen
  71. 2.3.5.14 Magen-Darm-Erkrankungen
  72. 2.3.5.15 Übergewicht (starke Gewichtszunahme vor Beginn der Erschöpfung)
  73. 2.3.5.16 Untergewicht (starke Gewichtsabnahme vor Beginn der Erschöpfung)
  74. 2.3.5.17 Chronisch ungesunde, unregelmäßige, nährstoffarme und vitalstoffarme Ernährung
  75. 2.3.5.18 Aktuell oder seit längerem vorgenommene radikale Ernährungsumstellung
  76. 2.3.5.19 Nebenwirkungen von Medikamenten
  77. 2.3.5.20 Borreliose
  78. 2.3.5.21 Epstein-Barr-Virus
  79. 2.3.5.22 Aktuell oder länger zurückliegende operative Eingriffe oder größere Verletzungen
  80. 2.3.5.23 Schlafstörungen
  81. 2.3.5.24 Andere Krankheiten mit einhergehender tiefer Erschöpfung
  82. 2.3.6 Zusammenfassung der sinnvollen somatischen Untersuchungen bei Burnout
  83. 2.4 Psychische/psychologische Ursachen
  84. 2.4.1 Alkoholmissbrauch oder Alkoholabhängigkeit (Störung durch Alkoholkonsum)
  85. 2.4.2 Angststörungen
  86. 2.4.2.1 Panikstörung
  87. 2.4.2.2 Agoraphobie
  88. 2.4.2.3 Soziale Phobie
  89. 2.4.2.4 Spezifische Phobien
  90. 2.4.2.5 Generalisierte Angststörung
  91. 2.4.2.6 Krankheitsangststörung (Hypochondrische Störung)
  92. 2.4.2.7 Zwangsstörung
  93. 2.4.3 Depressive Erkrankungen
  94. 2.4.3.1 Unipolare Depression
  95. 2.4.3.2 Bipolare Störungen
  96. 2.4.3.3 Posttraumatische Belastungsstörungen
  97. 2.4.3.4 Anpassungsstörungen
  98. 2.4.4 Neurasthenie
  99. 2.4.5 Chronisches Erschöpfungssyndrom (Chronic Fatigue Syndrome: CFS/ME) – Systemic Exertion Intolerance Disease (SEID)
  100. 2.4.6 Somatoforme Störungen – Somatische Belastungsstörungen
  101. 2.4.7 Persönlichkeitsstörungen
  102. 2.4.7.1 Paranoide Persönlichkeitsstörung
  103. 2.4.7.2 Schizoide Persönlichkeitsstörung
  104. 2.4.7.3 Schizotype Persönlichkeitsstörung
  105. 2.4.7.4 Antisoziale Persönlichkeitsstörung
  106. 2.4.7.5 Borderline-Persönlichkeitsstörung
  107. 2.4.7.6 Histrionische Persönlichkeitsstörung
  108. 2.4.7.7 Narzisstische Persönlichkeitsstörung
  109. 2.4.7.8 Vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung
  110. 2.4.7.9 Dependente Persönlichkeitsstörung
  111. 2.4.7.10 Zwanghafte Persönlichkeitsstörung
  112. 2.4.7.11 Persönlichkeitsveränderung aufgrund eines anderen medizinischen Krankheitsfaktors, andere näher bezeichnete Persönlichkeitsstörungen, nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörungen
  113. 2.4.8 Substanzkonsumstörungen
  114. 2.4.9 Essstörungen
  115. 2.4.9.1 Anorexie
  116. 2.4.9.2 Bulimie
  117. 2.4.9.3 Binge-Eating
  118. 2.4.10 Negativsymptomatik der Schizophrenie
  119. 2.5 Arbeitsplatzbedingte Ursachen
  120. 2.6 Soziale Ursachen
  121. 2.7 Umweltbedingte Ursachen
  122. 3 Individuelle Behandlungsplanung
  123. 3.1 Das individuelle Burnout-Verständnis erfassen
  124. 3.2 Die individuellen Einflussfaktoren gewichten – Sinnvolle Diagnostik
  125. 3.2.1 Burnout-Testverfahren
  126. 3.2.1.1 MBI – Maslach Burnout-Inventar
  127. 3.2.1.2 Tedium Measure – Die Überdruss-Skala (Tedium Scale)
  128. 3.2.1.3 Freudenberger-Test (Burnout-Test nach Freudenberger)
  129. 3.2.1.4 Canaff-Test (Burnout-Test nach Canaff)
  130. 3.2.1.5 BOSS – Burnout-Screening-Skalen
  131. 3.2.1.6 Possnigg-Test (Fragebogen zum Burnout-Zustand nach Possnigg)
  132. 3.2.1.7 HBI – Hamburger Burnout-Inventar
  133. 3.2.2 Erweiterte Burnout-Syndrom-Diagnostik
  134. 3.2.2.1 Das Stressverstärker-Profil nach Kaluza
  135. 3.2.2.2 AVEM – Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster
  136. 3.2.2.3 BDI-II – Beck Depressions-Inventar
  137. 3.2.2.4 Arbeitsblatt 1 und SCL-90
  138. 3.2.2.5 Störungsspezifische Diagnostik
  139. 3.3 Den Arbeitsauftrag erarbeiten
  140. 3.4 Individuelle Therapieziele festlegen
  141. 3.5 Therapiestrategien auswählen
  142. 3.6 Die therapeutische Allianz sichern durch motivierende Gesprächsführung
  143. 4 Therapiebausteine zur kompetenten Burnout-Behandlung – Die Behandlungsmodule
  144. 4.1 Die Grundlagen der Burnout-Behandlung
  145. 4.2 Modul 1: Das individuelle Burnout verstehen – Psychoedukation
  146. 4.3 Modul 2: Motivierung
  147. 4.4 Modul 3: ABC-Modell
  148. 4.4.1 Das ABC-Modell vermitteln
  149. 4.4.1.1 Das ABC-Modell praktisch anwenden
  150. 4.4.1.2 Antworten auf häufig von Patienten gestellte Fragen
  151. 4.4.1.3 Die Rationale Selbstanalyse (RSA) vermitteln
  152. 4.5 Modul 4: Burnout verstärkende Kognitionen kennenlernen
  153. 4.5.1 Die Top Ten irrationaler Grundeinstellungen nach Ellis
  154. 4.5.2 Eine ganz besondere Kognition
  155. 4.5.3 Die fünf Stressverstärker nach Kaluza
  156. 4.6 Modul 5: Burnout vermeidende Kognitionen einüben
  157. 4.6.1 Die Rationale Vorstellungsübung (RVÜ)
  158. 4.6.2 Konstruktive Kognitionen einüben mit dem Ein-Personen-Rollenspiel
  159. 4.6.3 Eine ganz besondere Art, konstruktive Kognitionen einzuüben
  160. 4.7 Modul 6: Äußere Belastungsfaktoren verringern – Stressbewältigungskompetenz vermitteln
  161. 4.7.1 Die eigenen Körperreaktionen unter Belastung kennenlernen
  162. 4.7.2 Entspannungsübungen selbständig durchführen können
  163. 4.7.3 Das ABC-Modell verstehen und anwenden können
  164. 4.7.4 Techniken der kognitiven Umstrukturierung anwenden können
  165. 4.8 Modul 7: Achtsamkeit und Akzeptanz verstehen und anwenden können
  166. 4.9 Modul 8: Selbstwertkonzept verstehen und anwenden können
  167. 4.10 Modul 9: Selbstregulationsfähigkeiten erlernen und anwenden können
  168. 4.10.1 Fehlt es an der Klarheit der Ziele?
  169. 4.10.2 Realistische Einschätzung eigener Kompetenzen
  170. 4.10.3 Die Fähigkeit, mit inneren und äußeren Störungen auf dem Weg hin zu Zielen kompetent umgehen zu können
  171. 4.10.4 Positive Konsequenzerwartung
  172. 4.11 Modul 10: Problemlösungsstrategien kennen und anwenden können
  173. 4.12 Modul 11: Zeitmanagement individuell anwenden können
  174. 4.13 Modul 12: Ressourcenaktivierung durchführen können
  175. 4.14 Modul 13: Resilienzfaktoren aktivieren können
  176. 4.14.1 Der Zehn-Punkte-Plan der APA zur Resilienz
  177. 4.14.2 Antonovsky: Resilienz durch Kohärenz
  178. 4.14.3 Die sieben Resilienzfaktoren nach Emmy Werner
  179. 4.15 Modul 14: Selbstfürsorge – Motivierung zur Lebensstiländerung
  180. 4.15.1 Relevante Bereiche der Selbstfürsorge
  181. 4.15.2 Selbstfürsorge aus der Sicht der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM)
  182. 4.15.3 Selbstfürsorge aus der Sicht des Ayurveda
  183. Epilog
  184. Individualisierte Burnout-Therapie (IBT) Flussdiagramm
  185. Literaturverzeichnis
  186. Verzeichnis der Onlinematerialien
  187. Stichwortverzeichnis

 

Onlinematerial:

Arbeitsmaterialien

Memoblätter

Rezeptvorschläge

Videotipps

Abbildungen

 

 

 

Hinweis zum Onlinematerial:

Alle im Text erwähnten Arbeitsblätter, Memoblätter, Comics und Abbildungen finden Sie als Download unter http://downloads.kohlhammer.de/?isbn= 978-3-17-032341-4 (Passwort: 7t0tbllw)1. Hier können Sie die Unterlagen im direkt für die Praxis benutzbaren DIN-A4-Format ausdrucken.

 

Zusatz-Information

Die Memoblätter für Ihre Klienten, die Sie hier im Download zum Buch finden, können im Copyshop vergrößert werden auf jede beliebige Größe – DIN A3, 2, 1 oder ganz riesig auf beeindruckendes DIN-A0-Format. Viele Patienten berichten, dass die für sie wichtigsten Informationen als Poster in der Küche, im Flur, im Büro und sogar am Ort der Stille – in der Toilette – sie immer wieder an ihre Veränderungsziele erinnern. Beachten Sie jedoch bitte das Copyright. Eine Vervielfältigung zu professionellen Zwecken ist nicht gestattet.

1     Wichtiger urheberrechtlicher Hinweis: Alle zusätzlichen Materialien, die im Download-Bereich zur Verfügung gestellt werden, sind urheberrechtlich geschützt. Ihre Verwendung ist nur zum persönlichen und nichtgewerblichen Gebrauch erlaubt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Prolog

Was ist der Mensch – die Nacht vielleicht geschlafen,

doch vom Rasieren wieder schon so müd,

noch eh ihn Post und Telefone trafen,

ist die Substanz schon leer und ausgeglüht …

(Dr. med. Gottfried Benn 1955, in dem Gedicht „Melancholie“)

 

Einleitung

Erschöpfung, sich ausgebrannt fühlen, nicht mehr können – diese Erfahrung gibt es seit Menschengedenken, bis hin zur legendären biblischen Elias-Müdigkeit. Der Begriff „Burnout“ dagegen ist relativ neu. In den letzten Jahren hat die Bezeichnung „Burnout“ eine weite Verbreitung gefunden. In Talkshows, Tageszeitungen, Zeitschriften und vielen wissenschaftlichen und unwissenschaftlichen Büchern wird darüber berichtet. Am Arbeitsplatz fehlt dieser oder jener wegen „Burnout“. Viele Patienten2 kommen in die Sprechstunde mit der klaren Ansage: „Ich kann nicht mehr, bitte helfen Sie mir, ich habe Burnout.“

Burnout – die Krankheit der Manager? Immer mehr Personen aus helfenden, erzieherischen, kreativen oder Dienstleistungsberufen, und nicht wie oftmals angenommen nur aus dem Management, zunehmend Studierende und Alleinerziehende, letztendlich Menschen aus allen Arbeitsbereichen wenden sich an Beratungsstellen, Praxen und Kliniken auf der Suche nach Hilfe bei Burnout. Der Auftrag ist klar – zumindest vermeintlich. Doch welche Symptomatik bezeichnet der jeweilige Patient als Burnout und welche impliziten Vorstellungen von angemessener Hilfe bringt er mit? Viele Patienten finden es ich-synton, also unproblematisch und mit ihrem Selbstbild übereinstimmend, unter Burnout zu leiden und Hilfe zu suchen. Ausgebrannt zu sein beinhaltet für sie die selbstwerterhaltende Botschaft, intensiv für ihr Leistungsfeld gebrannt zu haben. Die möglichen Diagnosen Anpassungsstörung, depressive Episode, Angststörung, somatoforme Störung oder gar Persönlichkeitsstörung würden diese Patienten ganz sicher weit von sich weisen.

Diese Diagnosen jedoch findet der professionelle Helfer leicht in der 2016 noch gültigen Internationalen Klassifikation der Krankheiten ICD-10 im Kapitel V (F). „Burnout“ dagegen befindet sich in der ICD-10 erst weit hinten im Kapitel XXI (Z) unter der Überschrift: „Z73 Probleme verbunden mit Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“. Der Unterpunkt Z73.0 definiert Burnout lapidar als: „Erschöpfungssyndrom (Ausgebranntsein; Burnout-Syndrom)“. Die Popularität dieses Begriffs wird dadurch jedoch in keinster Weise geschmälert. Immer mehr Helfende erfahren in ihren Praxen, Beratungsstellen und Kliniken die ungebrochen wachsende Nachfrage nach qualifizierter Hilfe.

Das vorliegende Buch möchte Ihnen dabei helfen, Burnout kompetent zu behandeln. Es zeigt die wichtigsten Symptome und Ursachenzuschreibungen auf, die Patienten gewöhnlich als Grundlage ihres persönlichen Burnouts verstehen. Daraus folgt die Notwendigkeit, den Uniformitätsmythos zu verlassen und jedem Patienten nach einer individuellen Analyse seines Burnoutverständnisses und seiner je individuellen Persönlichkeits- und Störungscharakteristika auch ein ganz individualisiertes Therapieangebot für seine real vorliegende Symptomatik zu erstellen. Folgen wir dem Ausgangsauftrag („Helfen Sie mir, mein Burnout zu bewältigen!“), können wir vielen Menschen stigmatisierungsfreie, adäquate Hilfe bei einer Vielzahl von relevanten Krankheitsbildern zuteilwerden lassen, die ansonsten nie um eine Therapie nachgefragt haben würden.

Auf der Basis der kognitiven Verhaltenstherapie, insbesondere der Rational-Emotiven Verhaltenstherapie und der motivierenden Gesprächsführung wird ein multimodaler individualisierter Behandlungsansatz vermittelt. Individualisierbare verhaltenstherapeutische Bausteine befassen sich mit persönlichen Ansprüchen, den realen Veränderungsmöglichkeiten der Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie den Verbesserungsmöglichkeiten der Selbstfürsorge und der Pflege sozialer Netzwerke bei vorliegendem hohem Stress im Beruf bzw. bei der aktuell vorliegenden Haupttätigkeit – sei diese Schulbesuch, Studium, Haushaltsführung, Kindererziehung oder die Pflege von Angehörigen. Ziel ist eine dauerhafte Änderung des Lebensstils, die das Burnout minimiert.

Der multimodale Behandlungsansatz der Individualisierten Burnout-Therapie (IBT) vermittelt Kompetenzen zur Motivierung für einen gesundheitsbewussteren Lebensstil und zur Bewältigung von Berufsstress, Arbeitsplatzangst, anderen Ängsten, Erschöpfung bedingenden Störungen und Depression. Bewährte Elemente der in diesem Buch beschriebenen Behandlungsbausteine sind Psychoedukation, die Verbesserung sozialer Kernkompetenzen, die kognitive Umstrukturierung dysfunktionaler Basisüberzeugungen durch die Rationale Selbstanalyse sowie die Vermittlung von Techniken zur Verhaltensänderung und zur Regeneration der verloren gegangenen Kraft und Energie auf der Basis vermehrter Selbstfürsorge. Auf dem Memoblatt M0 und Seite 282–283 finden Sie das Flussdiagramm der Gesamtbehandlungskonzeption anschaulich dargestellt.

Das Ziel dieses Buches ist, dass Therapeuten das Burnout-Syndrom als subjektiv erlebte Belastungserfahrung verstehen und auf dem Hintergrund der Theorie der Multikausalität Betroffene individualisiert, kompetent und wirksam behandeln können.

Ich habe dieses Buch für Psychotherapeuten, Psychologen, Ärzte und Berater, Ausbildungskandidaten und Angehörige helfender Berufe geschrieben. Selbstverständlich ist es auch für alle gedacht, die an Burnout leiden und es kompetent mit IBT behandelt wissen wollen.

 

Bad Steben, 12.1.2017

Gert Kowarowsky

2     Patient oder Patientin: Die maskuline Sprachform in diesem Buch schließt allzeit die Wahrnehmung der Rolle durch eine Frau mit ein.

 

1          Burnout – Was ist das eigentlich?

1.1       Das Burnout betritt das Behandlungszimmer …

… doch es bringt Herrn Maier mit. Das Konzept „Burnout“ birgt eine große Chance, Menschen mit klinisch relevanten Störungsbildern stigmatisierungsfreie Hilfe zuteilwerden zu lassen. Menschen, die spüren, dass ihr alltägliches Mit-sich-und-der-Welt-Klarkommen nicht mehr funktioniert, betreten das Behandlungszimmer mit einem Auftrag an uns Behandelnde, der aus ihrer Sicht sehr klar ist: Ich habe Burnout und ich wünsche mir Hilfe dabei, aus diesem Zustand wieder herauszukommen. Unsere Aufgabe ist es nun herauszufinden, worin genau dieser als Burnout bezeichnete Zustand besteht. Tatsächlich ist das, was jeder konkrete einzelne Hilfesuchende unter Burnout versteht, oftmals sehr unterschiedlich.

Fallbeispiele:

Herr Maier, 42 J., Niederlassungsleiter eines internationalen Konzerns, fühlt sich völlig ausgebrannt: nächtliche Telefonkonferenzen mit den Geschäftspartnern in Ländern mit versetzten Zeitzonen bei unausgesprochener Erwartung der Geschäftsleitung, morgens um 7 Uhr wieder im heimischen Werk bereit zu stehen. Die Vorbereitungen für das nächste Audit zur Qualitätssicherung sitzen ihm im Nacken. Nebenbei Umbau und Modernisierung seines kürzlich günstig erworbenen über fünfzig Jahre alten Hauses. Zunehmender Druck von der Geliebten, die dadurch die Hoffnungen schwinden sieht, dass er sich endlich von seiner Ehefrau scheiden lassen wird. Der 16-jährige Sohn hat einen „blauen Brief“ von der Schule mit nach Hause gebracht: Versetzung gefährdet! Die Eltern werden in die Elternsprechstunde geladen.

Frau Müller, 36 J., dagegen pflegt ihre anspruchsvolle und von ihr nie geliebte Schwiegermutter zu Hause und bekommt von ihrem Mann jeden Abend nur Vorwürfe zu hören, weshalb sie seine Mutter nicht liebevoller und fürsorglicher behandle. Zeit zum Treffen mit ihrer besten Freundin hat sie schon seit Monaten nicht mehr gefunden. Sie hört sich immer öfter zu sich selbst sagen: „Ich kann einfach nicht mehr!“ Frau Müller versteht unter ihrem Burnout ganz sicher etwas anderes als Herr Özdemir:

Herr Özdemir, 49 J., spürt von Woche zu Woche mehr, wie ihm die Kräfte schwinden. Er wurde vor einigen Monaten zum Polizeidienststellenleiter befördert und sieht sich nun einer Fülle persönlicher Anfeindungen von vormals gleichgestellten Kollegen ausgesetzt. Zusätzliche administrative Aufgaben können nur durch regelmäßige Überstunden, oft bis spät in die Nacht hinein, bewerkstelligt werden. Der bei einigen Kollegen nach Feierabend zu beobachtende entlastende Griff zur Flasche kommt für ihn jedoch schon aus Glaubensgründen nicht in Frage. Zum Abschalten hat er sich stattdessen angewöhnt, spät abends viel zu viel zu essen. Dennoch hat er in den letzten drei Monaten schon fünf Kilogramm abgenommen. Es beunruhigt ihn. Eigentlich müsste er mal wieder zum Arzt, um sich gründlich durchchecken zu lassen. Aber nein! Dafür ist nun wirklich keine Zeit.

Frau Schulze, 38 J., indessen ist seit drei Jahren auf der Suche nach einem neuen Lebenspartner. Dutzende von Verabredungen hat sie nun schon erfolglos mit viel Einsatz und oft wochenlanger vorbereitender Lektüre hinter sich gebracht. Sie fühlt sich müde, erschöpft, zunehmend gereizter und fragt sich völlig verzweifelt, ob das alles überhaupt noch einen Sinn hat, angesichts der Übermacht an jüngeren, attraktiveren Konkurrentinnen. So richtig deprimiert wird sie immer dann, wenn sie daran denkt, wie viel Geld sie für die Mitgliedschaft in entsprechenden Internet-Partnerschaftsportalen schon ausgegeben hat. Eigentlich hasst sie sich dafür, dass sie tut, was sie tut. Da sie aber keine wirkliche Alternative zu sehen vermag, macht sie eben weiter. Wenn bloß diese bleierne Schwere und Müdigkeit, dieses tiefe hoffnungslose Erschöpftsein von ihr fallen würde!

Frau Piazolo, 24 J., dagegen sitzt derzeit Tag und Nacht über ihrer Dissertation im Fach Pädagogik. Sie hat sich ein anspruchsvolles Thema gewählt. Die junge Frau fühlt sich völlig ausgebrannt und ist kurz davor aufzugeben – nicht nur ihre Dissertation, sondern auch das ganze besch… Leben.

Praxistipp:

Unsere initiale Aufgabe als Behandelnde besteht in jedem Einzelfall darin zu klären, ob und welche sozialrechtlich relevante(n) Diagnose(n) in der vorgebrachten Beschwerdenschilderung vorliegt bzw. vorliegen. Es bedarf einer exakten Differenzialdiagnose, um diese gemäß den Kriterien der ICD-10 angemessen vergeben zu können.

1.1.1     Sozialrechtliche Aspekte der Diagnostik

Die meisten Hilfesuchenden gehen davon aus, dass Burnout eine anerkannte Krankheit ist, deren Behandlung sowohl von den gesetzlichen als auch den privaten Krankenkassen übernommen wird und eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rechtfertigt. Dies ist jedoch nicht der Fall!

ICD-10. In der internationalen Klassifikation aller Krankheiten, der ICD-10, wird Burnout nur unter der Rubrik „Zusatzdiagnosen“ unter der Überschrift „Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme des Gesundheitswesens führen“ aufgeführt. Als Unterpunkt Z73 findet sich hier die Überschrift: „Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung“ und darunter letztendlich: „Z73.0 Erschöpfungssyndrom (Ausgebranntsein; Burnout-Syndrom)“.

Dieser Definition fehlen die sonst üblichen spezifizierenden Zusatzangaben über typische Symptombündel, Mindestanzahl der Symptome, Länge der Symptomdauer oder Auftretenshäufigkeit der Symptome. Eine genaue, sozialrechtlich anerkannte spezifische Burnout-Diagnose ist daher mangels genauer wissenschaftlich festgelegter Kriterien prinzipiell unmöglich und ganz offensichtlich von den für das Gesundheitswesen Verantwortlichen auch nicht erwünscht.

DSM-5. Noch deutlicher spiegelt sich diese Tatsache im Klassifikationssystem der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung wider. In ihrem diagnostischen und statistischen Manual in der seit 2013 gültigen fünften Version DSM-5 (American Psychiatric Association: Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, Fifth Edition, DSM-5) finden wir Burnout weder im Glossar noch unter der Auflistung der Störungsbegriffe der seit Oktober 2016 verbindlichen ICD-10-CM-Kodes. Für die ICD-10-Ziffer Z73.0 findet sich kein entsprechender Referenzeintrag zu einer DSM-5-Diagnose.

Unter der Rubrik „Andere klinisch relevante Probleme“ finden sich lediglich:

•  Z 56.9 Andere Probleme im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit

•  Z 65.8 Anderes Problem im Zusammenhang mit psychosozialen Umständen

Bei diesen Klassifikationen handelt es sich jedoch um Phänomene, die nach dem DSM-5-Klassifikationssystem nur zusätzlich kodiert werden, wenn sie Anlass zum Hilfesuchen waren oder wenn das Problem den Verlauf, die Prognose oder die Behandlung einer psychischen Störung oder einer körperlichen Erkrankung beeinflusst. Sie gelten auch hier nicht als sozialrechtlich relevante Diagnosen, sondern sind lediglich äquivalent zu den Z-Diagnosen des ICD-10 zu sehen.

Die Burnout-Diagnose nach DSM-5 könnte eng begrenzt auf den Berufsbereich folglich lauten:

•  Z 56.9 Andere Probleme im Zusammenhang mit der Berufstätigkeit

Sollte sich die Burnout-Diagnose auf überwiegend andere psychosoziale Belastungen beziehen, könnte gemäß DSM-5 kodiert werden mit:

•  Z 65.8 Anderes Problem im Zusammenhang mit psychosozialen Umständen

Soweit im Vorfeld der aktuellen Arbeiten am ICD-11 (geplantes Erscheinungsjahr 2017) bekannt wurde, ist Burnout auch in den neueren Versionen dieses Klassifikationssystems nicht als offizielle Krankheitsdiagnose vorgesehen. „Burnout“ ist demnach keine sozialrechtlich anerkannte Krankheitsdiagnose, sondern lediglich eine Zusatzdiagnose ohne immanenten Behandlungsauftrag.

Praxistipp:

„Burnout“ sollte niemals als alleinige Diagnose gestellt werden, wenn eine gerechtfertigte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt werden soll oder eine über eine private oder gesetzliche Krankenkasse finanzierte Therapie angestrebt wird. Es ist sozialrechtlich von absoluter Notwendigkeit, mindestens eine zusätzliche anerkannte Hauptdiagnose zu stellen, die den vorgebrachten Symptomen und Beschwerden angemessen ist und nach den ICD-10- bzw. ICD-11- Kriterien objektiv validiert werden kann.

Im weiteren Verlauf der Ausführungen wird im Kapitel 2 deutlich werden, wie groß das Spektrum der relevanten Hauptdiagnosen tatsächlich sein kann, die zu den Symptomen gehören können, die hinter dem Begriff Burnout vorgebracht werden. Nicht selten finden wir hierunter: Depression, Angststörung, Tinnitus, Bluthochdruck, somatoforme Schmerzstörungen, Persönlichkeitsstörungen und viele weitere psychische, psychosomatische und somatische Erkrankungen mit eindeutiger ICD-10- Diagnosenzuordnung.

Vor dem Hintergrund der Popularität der Verwendung des Burnout-Begriffs wird offensichtlich, dass es für nicht mit dem Diagnostiksystem vertraute Hilfesuchende nicht nachvollziehbar wäre, wenn wir wissenschaftlich exakt antworten würden: „Ich kann Sie nicht auf Kosten Ihrer Krankenkasse wegen Burnout behandeln. Burnout gibt es nicht als sozialrechtlich anerkannte behandlungsrelevante Diagnose.“ Nutzen Sie deshalb die Chance zu einer individuellen, stigmatisierungsfreien adäquaten Hilfestellung, wenn ein Patient sich mit der Bitte an Sie wendet, sein Burnout-Problem bearbeiten zu wollen. Dies ist Ihnen jederzeit legal als Kassenleistung möglich, wenn Sie auf der Basis der jeweiligen Symptomschilderungen eine wissenschaftlich anerkannte, sozialrechtlich behandlungsrelevante Diagnose stellen.

1.1.2     Burnout ist immer etwas Individuelles

Die Analyse typischer Aussagen, die von Patienten üblicherweise unter der Einleitung: „Ich habe Burnout – …“ geäußert werden, macht jedem Behandelnden schnell deutlich: Burnout ist für jeden Hilfesuchenden etwas ganz Eigenes.

Hier einige typische Erstgesprächsaussagen von Hilfesuchenden aus dem Praxisalltag:

•  „Ich habe Burnout – bitte helfen Sie mir.“

•  „Ich habe Burnout – es ist mir einfach alles zu viel, ich kann nicht mehr.“

•  „Ich habe Burnout – mein ganzer Körper schmerzt, ich bin völlig fertig.“

•  „Ich habe Burnout – ich kann nicht mehr! Was soll das alles? Bringe ich es noch?“

•  „Ich habe Burnout – Stress pur, ich bin nur von Idioten umgeben, nichts geht mehr.“

•  „Ich habe Burnout – ich bin völlig antriebslos, leer, nur noch ein Schatten meiner selbst.“

•  „Ich habe Burnout – Müdigkeit, das Gefühl, alles ist schon vorbei.“

•  „Ich habe Burnout – ich fühle mich so ausgebremst; ich glaube, ich bin echt depressiv.“

•  „Ich habe Burnout – ich fühle mich meinen Aufgaben nicht mehr gewachsen.“

•  „Ich habe Burnout – ich bringe keine Leistung mehr.“

•  „Ich habe Burnout – ich fühle mich ständig angespannt, habe so eine ständige Unruhe in mir, kann nicht mehr schlafen, kann mich überhaupt nicht mehr richtig erholen, kann nicht mehr abschalten, drehe ständig zu hoch, komm gar nicht mehr runter, kann mich über alles und alle aufregen, gehe bloß noch mit Widerwillen zur Arbeit, wo einem eh nix gedankt wird.“

•  „Ich habe Burnout – wenn ich morgens aufwache, habe ich keinen Bock auf gar nichts mehr, ich überbiete meine Schüler noch an Widerwillen gegenüber der Schule.“

•  „Ich habe Burnout – mir ist jedes Gespräch zu viel, ich will nur noch in Ruhe gelassen werden und knirsche nachts so sehr mit den Zähnen, dass mein ganzer Unterkiefer schon seit Wochen weh tut.“

•  „Ich habe Burnout – ich bin ständig grantig, keiner versteht mich. Meine Akkus sind leer und ich finde die Ladestation nicht mehr. Wenn ich frühmorgens komme und schon zehn Patienten im Wartezimmer sitzen und mich anglotzen, könnte ich grad wieder umdrehen und schreiend davonlaufen.“

Der Patient hat unser Behandlungszimmer betreten mit der Hoffnung auf Hilfe. Er hat uns die aus seinem Verständnis wichtigsten Informationen über seine Symptome mitgeteilt und hat nun aus seiner Sicht zu Recht die Erwartung auf kompetente Unterstützung bei seiner persönlichen Burnout-Bewältigung.

Die validierende, empathisch wertschätzende Grundhaltung des Helfers, der dem Hilfesuchenden deutlich macht, dass er bereit ist, die Details der aus Patientensicht dem Burnout geschuldeten Beschwerden umfassend verstehen zu wollen, ist hierbei der erste Schritt zum Aufbau einer konstruktiven therapeutischen Allianz. Rainer Sachse spricht 2006 hierbei von initialen Einzahlungen ins Beziehungskonto als unabdingbare Voraussetzung für jede effektive therapeutische Intervention. Für die im weiteren Verlauf der Behandlung unvermeidlichen Konfrontationen mit dysfunktionalen Denk- und Verhaltensweisen, die nach Sachse Beziehungskredit kosten, wird somit eine belastbare Basis geschaffen. Wie bei jeder anderen therapeutischen Intervention gilt es dann, unter dem Arbeitsauftrag „Burnout-Behandlung“ gemeinsam erreichbare Ziele festzulegen, Ressourcen zu orten, Möglichkeiten, aber auch Grenzen des Patienten und seines Umfeldes sowie der aktuellen gesellschaftlichen und weltwirtschaftlichen Randbedingungen realistisch einzuschätzen und authentisch zu vermitteln. Ein gemeinsamer Blick auf die Comics von Mester kann an dieser Stelle bereits helfen, den Blick über das im Individuum Liegende und individuell Veränderbare hinaus zu weiten. Sie finden diese auch als Handouts zum Download unter Abb.1.1, Abb.1.2, Abb.1.3 und Abb.1.4 (s. Hinweis auf S. 10).

Praxistipp:

Informieren Sie zu Beginn einer Therapie Ihre Patienten, dass Sie ihnen im Verlauf der Behandlung diverse für sie persönlich ausgewählte Materialien aushändigen werden, wie Arbeitsblätter, Memoblätter (wegen ihrer Wirksamkeit auch „Textpillen“ genannt), Comics sowie Rezeptvorschläge für hilfreiche Verhaltensweisen. Empfehlen Sie ihnen, dafür einen Ordner anzulegen und diesen zu jeder Sitzung mitzubringen. So entsteht nach und nach ein ganz individuelles Therapiehandbuch, das in jeder Therapiestunde weiter aufgefüllt werden kann und außerdem den Zugriff auf früher erarbeitete Ergebnisse erlaubt. Auch erhält jeder Patient ein Arbeitsblatt zur Nachbearbeitung der Therapiestunde (image Arbeitsblatt 1a). Die Erfahrung hat gezeigt, dass der Effekt jeder Stunde vertieft werden kann durch die Reflexion darüber, was das Wichtigste in der Stunde war, wie zufrieden der Patient mit dem Verlauf der Stunde, mit sich selbst und mit dem Therapeuten war, was ihm eventuell gefehlt hat, was beim nächsten Mal angesprochen werden sollte und was er selbst sich bis zum nächsten Mal zu tun vorgenommen hat. Schlagen Sie Ihren Patienten außerdem vor, sich die für Sie wichtigsten und prägnantesten Textpillen groß auszudrucken und gut sichtbar zu Hause aufzuhängen (s. Hinweis auf S. 10).

1.1.3     Burnout: Der Persönlichkeit oder den Verhältnissen geschuldet?

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Abb. 1.1: Individuelles Versagen oder zu schneller Taktschlag?

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Abb. 1.2: Dreht das Rad zu schnell oder grübelst du zu viel?

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Abb. 1.3: Sind die Anforderungen zu hoch oder bist du zu schwach?

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Abb. 1.4: Sind die Vorgaben zu hoch oder bist du zu langsam und zu geschwätzig?

1.1.4     Burnout kennt inzwischen jedes Kind

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Abb. 1.5: Ohne Worte

1.2.       Die Geschichte des Burnout-Begriffs

Herbert Freudenberger (1926–1999) gilt als der Vater des Burnout-Begriffs. Seine eigene Biografie wird gerne als geradezu dafür prädestiniert angeführt, dass er es war, der den Begriff Burnout in Zusammenhang mit beruflicher und persönlicher Überlastung und deren psychischen und physischen Folgen brachte. Er arbeitete als Psychoanalytiker in eigener Praxis in New York, daneben als Lehranalytiker sowie ehrenamtlich in sozialen Einrichtungen, etwa einer „Free Clinic“ in Spanish Harlem (Klientel: u.a. drogenabhängige Jugendliche). Dazu kamen Besprechungen, Supervision, Fortbildungen oft bis spät in die Nacht. Er und viele seiner Mitarbeiter arbeiteten bis zur völligen Erschöpfung. Burnout als psychologischer Begriff wurde durch ihn zum Synonym für einen Zustand völliger psychischer und körperlicher Erschöpfung.

Nach einem eigenen körperlichen Zusammenbruch schrieb er 1974 zum ersten Mal einen Artikel über Burnout im Journal of Social Issues. Der Begriff Burnout sollte sich durch diesen nur sieben Seiten umfassenden Artikel nach anfänglich geringer Resonanz über die ganze Welt ausbreiten. Viele weitere Veröffentlichungen zum Thema folgten.

1.3       Definitionen von Burnout

1.3.1     Die Grundelemente der Burnout-Definition

Burnout wird in der Literatur oft definiert als Endzustand einer Entwicklungslinie, die mit Begeisterung und Engagement begann und sich durch frustrierende Ereignisse schleichend zu Desillusionierung wandelt.

Übereinstimmend beschreiben viele Autoren Burnout als eine chronifizierte, arbeitsbezogene Stressreaktion, die zu einem dauerhaften negativen Gemütszustand bei „normalen“ Individuen führt, also bei Menschen, die ansonsten keinerlei Kriterien für eine psychische Krankheit erfüllen. In fortgeschrittenen Stadien wird die Erschöpfung als die wesentlichste Komponente dargestellt.

Der Begriff „Burnout“ wird hierbei sehr vielschichtig und unterschiedlich verwendet. Prinzipiell lassen sich nach Barth (1992) drei Sichtweisen eruieren:

•  Burnout wird beschrieben als Syndrom, mit je nach Autor unterschiedlichsten Kombinationen von Symptomen.

•  Burnout wird beschrieben als der Endzustand eines fortschreitenden Verausgabungsprozesses.

•  Burnout wird beschrieben als der Verausgabungsprozess selbst.

Zur Definition von Burnout gehören die drei Dimensionen

1.  emotionale Erschöpfung,

2.  Zynismus, Entfremdung, Distanzierung und Demotivierung sowie

3.  subjektiv eingeschätzte Leistungsminderung.

Burnout wird als Ausdruck einer ungenügenden Bewältigung arbeitsrelevanter Belastungen beziehungsweise als Resultat einer mangelnden Übereinstimmung zwischen den Ressourcen und Eigenschaften eines Arbeitnehmers und seiner Arbeitsumgebung interpretiert. Als Risikofaktoren zur Entstehung eines Burnouts gelten einerseits bestimmte Charakteristika oder Einstellungen des Individuums, andererseits spezifische Arbeitsbedingungen, deren Interaktion bei den Betroffenen zur subjektiven Wahrnehmung von Stress und bei Dauerbelastung zu einer Burnout-Symptomatik führt.

Die drei Hauptkennzeichen, auf die in den meisten Burnout-Definitionen Bezug genommen wird und mit denen das Burnout-Syndrom am häufigsten charakterisiert wird, sind:

•  Erschöpfung

•  Depersonalisation

•  Leistungsabbau

Erschöpfung. Körperliche, geistige und emotionale Ermüdung gelten hierbei als erste Warnsignale, mit einer oftmals nach und nach entstehenden Apathie.

Depersonalisation. Verschlechterte Beziehungen zur sozialen Umwelt durch Zynismus, Reizbarkeit, Ungeduld, Vorwürfe gelten als charakteristisch. Das kann bis hin zur Dehumanisierung des Gegenübers gehen, bedingt durch die Veränderung der eigenen Persönlichkeit durch chronisch überhöhte Arbeitsbelastung, unerfüllte Bedürfnisse und Erwartungen.

Die in den Beschreibungen oft als Depersonalisation bezeichnete Veränderung in der Einstellung und im Verhalten der Betroffenen bezieht sich dabei sowohl auf die nicht-wertschätzende Verhaltensweise anderen Personen gegenüber als auch auf die Veränderung der eigenen Person, die nach und nach nur noch ein Schatten ihres ursprünglichen, oft sehr prosozialen Persönlichkeitsprofils zu sein scheint. Diese Entwicklung wird oft auch verstanden als dysfunktionaler Bewältigungsversuch gegenüber der zunehmenden Erschöpfung. Diese zunehmende Entfremdung sich selbst, der Arbeit und den anderen gegenüber begünstigt aber in den meisten Fällen das Auftreten psychosomatischer Erkrankungen (Herz-Kreislaufprobleme, Kopfschmerzen, Magen-Darm-Dysfunktionen etc.) bis hin zu Depression, Panikattacken, Zwangs- und Suchterkrankungen.

Leistungsabbau ist dadurch unvermeidlich – zuerst subjektiv wahrgenommen, später zunehmend objektiv beobachtbar. Widerwillen gegen überhaupt alles kennzeichnet die Beschreibungen des Endzustands. Bezieht sich dieser Widerwille mit zunehmender Frustration und Depressivität auf sich selbst, ist Selbsttötung als unumkehrbarer Burnout-Endpunkt nicht ausgeschlossen.

Es gibt eine Fülle unterschiedlichster Definitionsversuche des Burnout-Syndroms; einige der bekanntesten sind enthalten in den Arbeiten von Maslach (1982), Pines und Aronson (1981), Brill (1984), Cherniss (1999), Edelwich und Brodsky (1980) sowie von Schaufeli und Enzmann (1998). Bei Burisch (2010) finden sich zusammenfassende und differenzierte Darstellungen dieser Definitionsversuche seiner Kolleginnen und Kollegen.

1.3.2     Burnout-Definitionen: Fazit

Selbst bei dem Versuch, ein Fazit aus all diesen vielfältigen Definitionsversuchen zu formulieren, erhalten wir ein schillerndes Bild, dessen letztendliche Konturen noch nicht abschließend festgelegt sind.

Burnout wird auf dem Hintergrund der meisten Definitionsversuche häufig als occupational stress bezeichnet, Berufsstress also, der sich im Wesentlichen auf besondere Belastungen im Zusammenhang mit der Arbeit bezieht und sich in multiplen psychischen und körperlichen Beschwerden manifestiert bis hin zur Arbeitsunfähigkeit. Burnout wird als im Wesentlichen tätigkeitsbezogene Erschöpfung verstanden und schließt z.B. auch Menschen in der Ausbildung, bei der Arbeitssuche, bei der Haushaltsführung für eine Familie oder der häuslichen Pflege Angehöriger mit ein.

Das Fehlen einer allgemein akzeptierten Definition hat zur Folge, dass Burnout beinahe alles und damit nichts ist. Der inflationäre Gebrauch des Wortes Burnout ist die logische Folge davon. Systematische Forschung und daraus resultierende miteinander vergleichbare Ergebnisse sind damit von der Ausgangslage her nahezu unmöglich. So wie in der Intelligenzforschung das geflügelte Wort galt „Intelligenz ist das, was der Intelligenztest misst“, versuchen viele Autoren die fehlende allgemeinverbindliche wissenschaftliche Definition pragmatisch zu überwinden, indem sie für ihre Arbeiten Burnout definieren als „das, was das Maslach Burnout-Inventar misst“ (und dieses hat seine eigene Validitätsproblematik …).

Burisch (2010) fasst angesichts dieser Uneinheitlichkeit in der Verwendung des Begriffs Burnout deshalb analytisch klar zusammen: „Der Begriff Burnout ist nicht wirklich eindeutig. Er bezieht sich auf eine randunscharfe Menge, also auf ein ,Fuzzi Set‘, wie man in der Mengenlehre sagt. Er umfasst viele Veränderungen bei Menschen.“ (Burisch 2010, S. 15) Er stellt ferner die Frage nach der nicht geklärten Differenzialdiagnostik, wer denn nun ,ausgebrannt‘, wer nur müde, wer nur „normal depressiv“ ist. Paine wiederum schlug bereits 1982 vor, Burnout nach fünf

Definitionsebenen zu unterscheiden:

1.  Burnout als Cluster emotional-verhaltensmäßiger Symptome

2.  Burnout als mentale Störung – den Endzustand eines Burnout-Prozesses

3.  Burnout als Prozess mit regelhaften Phasen

4.  Burnout- Faktoren, d. h. alles, was zu Burnout beiträgt

5.  Burnout als Folgewirkung auf der Organisationsebene

Andresen vertritt in seinen Vorlesungen im WS 2012 an der Universität Hamburg in einer kritischen Rezeption des Burnout-Begriffs und seinem erfolglosen Versuch, eine eindeutige Definition für Burnout zu finden, die These, dass Burnout kein berechtigterweise eigenständiges Konstrukt darstelle. Prinzipiell ist seiner Meinung nach eine Definition des Burnout-Syndroms unangemessen, da Burnout als Schnittmenge verschiedener anderer Konstrukte zu verstehen sei (Abb. 1.6 und 1.7).

Andresen schließt sich damit Kaluza an, der bereits 2011 formulierte: „Beim Burnout-Syndrom handelt es sich nicht um ein fest umschriebenes Krankheitsbild, es stellt auch keine eigenständige psychiatrische Diagnose dar. Es bestehen vielfältige symptomatische Überlappungen insbesondere zu depressiven Störungsbildern und psychosomatischen Störungen.“ (Kaluza 2011, S. 25)

Gemäß dem „Autonomie-Postulat“ wird Burnout als eigenständiges Konstrukt definiert.

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Abb. 1.6: Modell – Burnout als eigenständiges Konstrukt

Burnout als eigenständiges Konstrukt ist jedoch nicht erfassbar. Mitgemessen, aber nicht mitgeteilt werden immer auch andere Konstrukte.

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Abb. 1.7: Modell – Burnout als Teilmenge anderer Konzepte

Das Fazit zu Burnout der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, veröffentlicht in der S3-Leitlinie zur Depressionsbehandlung, lautet wissenschaftlich nüchtern auch in ihrer am 20. Juli 2015 aktualisierten Version so:

„Das Burnout-Syndrom ist wissenschaftlich nicht als Krankheit kodiert. Es handelt sich hingegen um eine körperliche, emotionale und geistige Erschöpfung aufgrund beruflicher oder anderweitiger Überlastung bei der Lebensbewältigung. Diese wird meist durch Stress ausgelöst, der wegen der verminderten Belastbarkeit nicht bewältigt werden kann. Burnout wird in der ICD-10 als ‚Ausgebranntsein‘ und ‚Zustand der totalen Erschöpfung‘ mit dem Diagnoseschlüssel Z73.0 erfasst. Er gehört zum übergeordneten Abschnitt Z73 und umfasst ‚Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensbewältigung‘. Nach dieser Einstufung ist Burnout eine Rahmen- oder Zusatzdiagnose und keine Behandlungsdiagnose, die zum Beispiel eine Therapie erforderlich macht. Längerfristige Arbeitsüberforderungen können aber das Risiko für die Entwicklung einer psychischen Erkrankung, wie zum Beispiel einer Depression, erhöhen, und Burnout bzw. Burnout-ähnliche Symptome können ein Hinweis auf eine zugrundeliegende Depression sein, weswegen Anzeichen von Burnout ernst genommen werden sollten.“ (S3-Leitlinie/NVL Unipolare Depression Langfassung Konsultationsfassung, 20. Juli 2015, S. 22)

Anders ist die Position der drei holländischen Spitzenverbände des niederländischen Krankensystems, die zu einem davon deutlich abweichenden Fazit kamen. Der Landesweite Verband von Notfallpsychologen, die Niederländische Hausärztegesellschaft und der Niederländische Verband für Arbeits- und Betriebsmedizin veröffentlichten nach mehrjähriger vorausgehender Zusammenarbeit 2011 eine umfangreiche Richtlinie zur diagnostischen Festlegung von Burnout. In Holland stellt die ICD-10 nicht das Maß aller Dinge im Gesundheitswesen und seiner Finanzierung dar, so dass diese Richtlinie, die auch einen Definitionsvorschlag enthält, gesundheitsrechtsrelevante Bedeutung hat. Burnout ist in Holland damit eine anerkannte, richtliniendefinierte Krankheit, deren Behandlung mit den Krankenkassen abgerechnet werden kann. Eine deutsche Übersetzung dieser Regelung nahm Matthias Burisch (2012) vor, die Sie hier nachlesen können: http://www.burnout-institut.eu/ fileadmin/user_upload/Def_BO_NL.pdf (Stand 08.04.2016). Burisch hält diese Definition in weiten Teilen für sinnvoll und möglicherweise auch wichtig für Deutschland als Vorlage für eine entsprechende Regelung.

Koch, Lehr und Hillert (2015), die ausgewiesenen Experten für stationäre Behandlung von Burnout bei Lehrern und Autoren mehrerer diesbezüglicher Veröffentlichungen, übernehmen jedoch ungeachtet der Bemühungen der holländischen Kollegen, wie inzwischen auch viele andere Autoren, die Position der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. Sie schlagen deshalb vor, den Begriff „Burnout“ lediglich als Bezeichnung für einen Risikozustand für das Auftreten psychischer Erkrankungen gemäß der ICD-10, infolge beruflicher Überlastung, bzw. als ein subjektives Störungsmodell, mit dem unspezifische Symptome als berufliche Überlastungsfolgen attribuiert werden, zu verwenden. Die Zusammenfassung ihrer Burnout-Definition kann derzeit als Fazit vieler gleichlautender Überlegungen anderer Autoren gelten.

Diese Definition erweiternd weisen Mathesius und Wolf (2014) darauf hin, dass der Begriff „berufliche“ Überlastungsfolgen besser durch den Begriff „tätigkeitsbezogene“ Belastungsfolgen ersetzt werden sollte. Sie argumentieren:

„Für viele Menschen entstehen nicht mehr zu bewältigende Anforderungen neben dem beruflichen Bereich auch in der Familie, der Kindererziehung, der Pflege von Angehörigen u.a.m. Zusätzliche Belastungen ergeben sich auch teilweise aus einem sich verändernden teilweise auflösenden und neu herausbildenden Rollenverständnis beispielsweise zwischen den Geschlechtern, aber auch zwischen den Generationen. Identifikationsunsicherheiten bis Identifikationsstörungen können auftreten, wenn Anforderungen, Verantwortungen und gesellschaftliche Bewertungen der Erfüllung und Befriedigung individueller Ziele und Bedürfnisse entgegenstehen. Insgesamt geht es dabei nicht nur um leistungsorientierte, sondern vor allem auch um sozial bedingte und aus gesellschaftlichen Normen resultierende Belastungen, denen Menschen gerecht werden wollen, einige jedoch auf Dauer nicht gewachsen sind“. (Mathesius & Scholz 2014, S. 81)

Diese Definition von Burnout als subjektives Störungsmodell in Wechselwirkung mit tätigkeitsbezogenen, sozialen und gesellschaftlichen Belastungen stellt die Notwendigkeit eines individualisierten Behandlungsansatzes in den Fokus einer jeglichen effektiven und kompetenten Burnout-Behandlung:

Praxistipp:

Kompetente Burnout-Behandlung bedeutet somit: Individualisierte Burnout-Therapie (IBT).

Wir behandeln nicht das Burnout – wir behandeln den in unserer Praxis oder Klinik erscheinenden Patienten mit den spezifischen Symptomen seines individuellen Burnouts. Zu behandeln wird sein, was gemäß ICD-10 eine sozialrechtlich relevante Erkrankung darstellt und worunter der überlastete Patient leidet – als von ihm individuell so erlebte spezifische Burnout-Symptomatik, die zu verändern er motiviert ist.

Was sind nun die Symptome, die Patienten – nicht zuletzt durch viele populärwissenschaftliche Veröffentlichungen dafür sensibilisiert – als spezifisch für Burnout erachten und unter der Diagnose Burnout behandelt wissen wollen?

1.4       Die verschiedenen Burnout assoziierten Symptome

Insgesamt finden sich in den unterschiedlichsten Veröffentlichungen mehr als 130 Burnout assoziierte Symptome. Verschiedene Autoren haben auch hier versucht, der Fülle der beschriebenen und von den Betroffenen genannten Symptome durch ihre je eigene Art und Weise der Kategorisierung zu begegnen.

Die Symptom-Schnittmenge wird dabei mehr als offensichtlich: progredienter Verlust von Lebensfreude, persönlicher Gesundheit und Schaffenskraft; ausgeprägte körperliche und geistige Erschöpfung mit mangelnder Regenerationsfähigkeit; zunehmende körperliche Beschwerdevielfalt und Persönlichkeitsveränderungen.

Entlang der „Big Five“, des Fünf-Faktoren-Modells der Persönlichkeit, verändern sich sukzessiv mit zunehmender Burnout-Symptomatik immer deutlicher beobachtbar die fünf Dimensionen:

1.  Extraversion: von Geselligkeit zu Zurückgezogenheit

2.  Verträglichkeit: von Freundlichkeit zu Barschheit und Reizbarkeit

3.  Gewissenhaftigkeit: von Gewissenhaftigkeit zu Nachlässigkeit und Unachtsamkeit

4.  Neurotizismus: von Stabilität und Entspanntheit zu Verletzlichkeit und negativistischer Überempfindlichkeit

5.  Offenheit für Erfahrung: von Kreativität zu Fantasielosigkeit und Stumpfheit.

Praxistipp:

Wenn Menschen nach der Arbeit nicht mehr abschalten können, stellt dies aus der Fülle der aufgelisteten Burnout Symptome nach Burisch (2010) ein Warnsignal erster Güte dar.

Pelz (2014) sichtete die Burnout-Symptomatik unter dem Blickwinkel der Auswirkungsebenen: Andere, Selbst, Arbeit. Er kategorisierte die Fülle der Symptome sowohl in ihren negativen Auswirkungen für die anderen, mit denen sich der Betroffene im sozialen Kontext befindet, als auch in ihren problematischen Auswirkungen für den Betroffenen selbst und in ihren Auswirkungen für die zunehmend ineffektivere Erledigung der je individuellen Arbeitsaufgaben. Kaluza (2011) beschreibt die wichtigsten Symptome des Burnout-Syndroms aus einer Vierfach-Kategorisierung der Erschöpfungssymptomatik nach den Bereichen: Körper, Emotion, geistig-mentaler Bereich und sozial-interaktiver Bereich. Faust (2011) wiederum