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Drei Tropfen Dunkelheit

Vollstrecker der Königin II


Angelika Diem

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©Angelika Diem 2016

Cover: Katharina Brand

Landkarte: Angelika Diem Illustrationen: DnBr / stellery / www.shutterstock. com

Machandel Verlag Charlotte Erpenbeck

Haselünne

2017

ISBN 978-3-95959-055-6

Weitere Bücher dieser Reihe

Vollstrecker der Königin I
Der Baeldin-Mord

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Mord ist niemals gut. Auch wenn es “nur” eine Kammerzofe trifft. Die rein zufällig auf einem Schloss Dienst tut, auf dem sich eine politisch wichtige Heirat anbahnt.
Warum aber fühlt sich die Königin gefordert, einer bloßen Zofe wegen eine ihrer fähigsten Ermittlerinnen in die Provinz zu schicken? Vollstreckerin Caitlynn stellt schnell fest, das ihre Aufgabe alles andere als einfach ist. Unschuldige fühlen sich schuldig, viele Schlossbewohner haben ein Motiv, und Caitlynns Magie stößt an ihre Grenzen. War die Zofe am Ende doch nicht unwichtig?


Vollstrecker der Königin Kurzgeschichten Band1
Das grüne Tuch

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Mit fast dreizehn Jahren setzt sich Caitlynn zum ersten Mal gegen das selbstherrliche Charisma ihres gräflichen Vaters zur Wehr. Was geschah in den Jahren danach bis zu jenem grausamen Mord auf Schloss Baeldin?

Das Grüne Tuch
Caitlynns Wunsch, sich zur Vollstreckerin ausbilden zu lassen, wird von ihren Eltern gezielt sabotiert.
Halbe Hand
Caitlynn wird entführt, um ihre Groß-mutter zu einer Heilung zu zwingen. Dabei deckt sie ein böses Geheimnis auf.
Schmerztrinker
Der Markt wirkt friedlich. Doch unter der Oberfläche lauern Mord und Totschlag, und Caitlynn erkennt ihre wahre Berufung.

Hinweis

Im letzten Kapitel finden Sie eine Landkarte des ibjadischen Reiches und eine Zeittafel dieser Welt.


Teil 1

Der Rote Turm

Personenverzeichnis


Schwarzer Turm von Ibjadar


Caitlynn Vollstreckerin

Melrissa Kommandantin der Wache

Sedhal Zweiter Meister und Ratsherr der Königin

Gelinda, Köchin

Josper Archivar-des-freien-Wissens, Meister der Lehren in Reichsgeschichte
Solveig Hüter-des-Geheimwissens / Hüter des Spiegels im Schwarzen Turm

 

 

Roter Turm

 

Ezarh Erster Meister

Kristana Zweite Meisterin

Nimidor Meister der Spiegel

Seffem Anwärter im ersten Jahr

Jedesa Anwärterin im zweiten Jahr

Mellander Anwärter im zweiten Jahr

Lojanda Hüterin

Kolwig Anwärter im dritten Jahr, Gehilfe Nimidors

Tellira Anwärterin im dritten Jahr, Gehilfin Nimidors

 

 

1. Kapitel

 

„Tiefer!“ Haarscharf zischte der weiße Stab über Caitlynns Scheitel hinweg. Sie sprang zurück und riss ihren schwarzen Stab in die Höhe. Holz prallte gegen Holz. Für einen Wimpernschlag fühlten sich ihre Finger taub an, rasch verlagerte sie ihr Gewicht, bereit, noch weiter zurück zu weichen.

„Viel zu offensichtlich!“ Ihre Gegnerin wirbelte herum und landete einen Hieb auf Caitlynns Knöchel. Tränen des Schmerzes traten der Vollstreckerin in die Augen. Sie biss die Zähne zusammen, parierte den Folgeschlag und stieß das gepolsterte Ende des Stabes gegen die Brust der kräftigen Frau. Diese tänzelte zur Seite, duckte sich und fegte ihren Stab über den Boden, so dass er erneut Caitlynns Knöchel traf. Diese taumelte. Sogleich traf ein wohldosierter Stoß ihre Schulter, woraufhin sie vollends das Gleichgewicht verlor und rücklings in den Strohhaufen am Rand des Übungskreises stürzte. Für einen Augenblick wurde ihr schwarz vor Augen und sie rang nach Luft. Als sie wieder klar sehen konnte, schwebte das dünne Ende des weißen Stabes eine Handbreit über ihrer Kehle. „Gibst du auf?“

Caitlynn nickte.

Ein Schatten glitt über das Gesicht der Siegerin.

„Was?“ Caitlynn rappelte sich auf. „Was soll ich deiner Meinung nach tun, Rissa? Meinen Kehlkopf zerquetschen lassen?“

Melrissa trat einen Schritt zurück. „Natürlich nicht. Ich an deiner Stelle ...“

Den Tonfall kannte Caitlynn. „Du wärst sowieso nie in meine Lage geraten, oder?“

„Jetzt, wo du es erwähnst ...“ Ein Grinsen erhellte das wettergegerbte Gesicht der Wachkommandantin. „Steh auf, ich will dir zeigen, was ich meine.“

Der Knöchel tat nicht ganz so weh, wie Caitlynn befürchtet hatte, als sie sich in die Höhe stemmte und auf Melrissas Geheiß die Seiten mit dieser tauschte.

„Stoß mich an der Schulter, Caitlynn!“

Caitlynn hob ihren schwarzen Stab auf und versuchte, nicht allzu enthusiastisch dreinzublicken, als sie Schwung holte und das gepolsterte Ende gegen die breite Schulter ihrer Gegnerin rammte.

Melrissa stürzte nach hinten, doch noch im Fallen krümmte sie den Oberkörper, streckte ein Bein und drehte sich so, dass sie seitlich auf der Schulter im Stroh landete und sich mit einer fließenden Bewegung zur Seite rollte, sodass Caitlynns zweiter Stoß ins Leere ging. Die Vollstreckerin senkte den Stab, unsicher, ob die Vorführung damit schon beendet war, da landete eine Handvoll Stroh und Erde in ihrem Gesicht. Zum zweiten Mal in dieser Übungsrunde hatte sie keine Sicht. Noch während sie würgte und den Kopf schüttelte, wurde sie an den Haaren gepackt, ihr Kopf in den Nacken gerissen, und kühler Stahl strich über ihre Kehle.

„Regel eins, Caitlynn.“ Der Stahl schmiegte sich enger an ihre Haut. „Los! Ich warte.“

Caitlynn spuckte den letzten Strohhalm aus. „Verlasse dich nie auf nur eine Waffe. Alles um dich herum kann zur Waffe werden.“

„Gut.“ Melrissa ließ Caitlynns rote Locken fahren und gestattete ihr, sich den Rest der Erde aus dem Gesicht zu wischen.

„Wir müssen nochmals üben, wie du richtig fällst. Zuvor jedoch wirst du vor allem an deiner Ausdauer arbeiten. Vor dem Morgengrauen läufst du zur Seerosenbrücke, machst deine Klimmzüge an dem Baum gleich dahinter und dann...“

Die junge Vollstreckerin zog eine Grimasse. „... hundert Züge stromaufwärts durch den Hellwasserkanal?“

„Nein, wir erhöhen auf hundertfünfzig.“

Seufzend verzog Caitlynn das Gesicht.

„Tja, aus einem Schössling wird nicht über Nacht ein Baum.“ Melrissa zwinkerte ihr zu. „Und du willst doch nicht mehr im Wasser sein, wenn die Stadt erwacht und jeder seinen Nachttopf ins Kanalloch kippt.“

„Schon gut.“ Caitlynn klopfte sich die Halme aus ihrer braunen Leinenhose. „Wie lange noch?“

„Bis aus dir eine passable Wache wird? In Monaten oder in Jahren ausgedrückt?“

Caitlynn warf der Kommandantin einen säuerlichen Blick zu. „Haha.“

Melrissa stellte die beiden Stäbe in die Ecke und schnürte die gepolsterte Weste auf. Caitlynn tat es ihr gleich.

„Gib her!“ Die Kommandantin nahm Caitlynn die Weste ab und klopfte der Jüngeren auf die Schulter. „Für einen Schössling bist du nicht ganz hoffnungslos. Mit viel Schweiß kann dich Meister Diacant im späten Herbst einer Patrouille zuteilen, ohne dass ich Angst um meine Leute haben muss.“

Derart ermutigt hellte sich Caitlynns Gesicht auf und sie straffte die Schultern. „Morgen, gleiche Zeit?“

Die Kommandantin nickte.

In diesem Augenblick erklang im Stockwerk über ihnen ein Gong, worauf Caitlynns Magen mit hörbarem Knurren antwortete. Die beiden Frauen sahen sich an und lachten.

 

Einen Stundenschlag später hetzte Caitlynn die Treppe zum Speisesaal hinab. Sie hatte ihre morgendliche Pflicht in der Schmerzkammer erfüllt, ihre Trainingskleidung gegen einen grauen, langen Rock und eine schmucklose, dunkelblaue Bluse getauscht, Stroh und Staub aus den Haaren gebürstet und den Schweiß aus dem Gesicht gewaschen.

Im Saal war niemand mehr zu sehen. Gelinda, die Köchin, räumte soeben die letzten Schüsseln vom langen Holztisch.

„Verschlafen?“, fragte sie kopfschüttelnd, als Caitlynn sich vor ihr aufbaute und auf die Reste schielte. Doch die schüttelte den Kopf. „Ich war schon in der Schmerzenskammer.“ Sie atmete tief durch. „Und jetzt habe ich Hunger. Ist noch etwas übrig?“

Gelinda hob die runden Schultern. „Die Beerenpastete ist mir in den Ecken angebrannt, die sind noch übrig, und ich kann dir noch etwas Haferbrei aus dem Topf kratzen.“

Bei ihren Worten wurde Caitlynns Gesicht lang und länger. „Milchbrot? Butter?“

„Butter ja, aber das Milchbrot ist alle.“ Die Köchin deutete auf einen sauberen Platz am hinteren Ende der Tafel. „Setz dich, ich schau, ob ich noch ein Ei für dich finde.“

Caitlynn ließ sich auf die harte Bank fallen und wischte die Krümel von der Tischfläche, während Gelinda die restlichen Schüsseln und Becher abräumte und in der Küche verschwand. Wenig später kam sie mit einem Tablett wieder und stellte es vor Caitlynn. Ein pampiges Häufchen Haferschleim und das angekohlte Eckstück der Beerenpastete, wie versprochen, dazu ein Spiegelei auf einer Scheibe alten Graubrotes neben einem Becher kalter Milch. „Genug?“, fragte sie zwinkernd. „Das schwarze Zeug hab ich von der Pastete abgekratzt.“

„Danke!“ Caitlynn verdrückte das Graubrot mit dem Ei und griff gerade nach dem Löffel für den Haferschleim, da kam Josper in den Speisesaal gestakst. Der rote Filzhut saß schräg auf dem kahl geschorenen Kopf des Archivars und die Dackelfalten unter seiner Hakennase bebten. „Hier bist du also!“ Er fuchtelte mit den Händen durch die Luft, sodass die Staubflöckchen um seine weißen Seidenhandschuhe tanzten. „Der Meister sucht dich.“

Ohne sich aus der Ruhe bringen zu lassen schob Caitlynn einen Löffel voll Haferschleim zwischen die Zähne und kaute genüsslicher, als sein Geschmack es verdiente. Dann schluckte sie, spülte mit Milch nach und sah Josper mit großen Augen an. „Ist Meister Diacant denn schon wieder zurück? Ich dachte, seine Genesung ...“

„Verflixt, Caitlynn!“ Josper nestelte an den silbernen Knöpfen seiner roten Weste. „Du weißt genau, dass ich Sedhal meine, und du kannst nicht hier sitzen und essen, während er den ganzen Turm in den Wahnsinn treibt, weil du nicht zu finden bist!“

Was habe ich denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Innerlich die Achseln zuckend, hob sie den Becher an die Lippen und trank den Rest der Milch in drei langen Zügen. „Da hast du Recht.“ Während sie mit der einen Hand den Becher abstellte und der Köchin einen Dank zurief, griff sie mit der anderen nach dem Stück Beerenpastete. „Ich eile ja schon, Josper. Sagst du den anderen bitte, dass sie nicht länger nach mir suchen müssen?“

Konsterniert nickte Josper und starrte ihr nach.

Pastete kauend marschierte Caitlynn aus dem Speisesaal, den Gang hinunter, durch die Eingangshalle zum Empfangsraum des Meisters. Ehe sie die Hand auf den Ring des Türklopfers legte, wischte sie sich rasch noch die Krümel aus dem Mundwinkel und schleckte den Milchbart ab.

Sacht ließ sie den Türklopfer einmal auf das dunkle Holz fallen.

„Tritt ein!“, befahl eine barsche Stimme.

Einmal mehr überkam sie ein beklemmendes Gefühl, als sie den Raum betrat. Diacants Durcheinander war vom Schreibtisch verschwunden. Das Holz der Tischplatte schimmerte mit dem blank geputzten Tintenfass um die Wette, das neben einem Stapel unbeschriebener Papierbögen der Verwendung harrte. Kein Staubkorn wagte es, sich sichtbar auf einem der Regale niederzulassen, wo die Bücher nach Farbe und Höhe sortiert Hab-Acht standen.

„Was hast du solange getrieben, Caitlynn?“, knurrte Sedhal, kaum dass er ihrer ansichtig wurde.

Sie schloss die Tür hinter sich und blieb eine Armeslänge vom Schreibtisch entfernt stehen. „Dasselbe wie gestern und die Tage davor. Ich war, wie befohlen, noch vor dem achten Stundenschlag in der Schmerzkammer. Der Lagerkristall ist gefüllt und gelistet. Solveig ist mein Zeuge.“ Sie widerstand der Versuchung, die Arme vor der Brust zu verschränken und ihren Geist hinter Schutzwällen zu verstecken. „Danach bin ich frühstücken gegangen, wobei kaum noch etwas übrig war.“

Sedhal ging nicht darauf ein. Stattdessen beugte er sich vor, die Handflächen auf die Tischplatte gepresst, seine hellgrauen Augen auf sie geheftet. „Und was denkst du, wirst du den Rest des Tages tun, Caitlynn?“

Sie zog die Brauen zusammen. Worauf wollte er hinaus? „Ich... Was auf meiner Liste steht. Bis Mittag diskutiere ich Fallstudien mit Archivar Josper und arbeite mich zum vierten Mal durch Band zwei von ‛Gifte und deren Nachweis‛ und zum dritten Mal durch die ‛Neuen Gesetze Ibjadars im Vergleich zu den Anfängen‛. Nach dem Mittagessen übertrage ich Schmerz in einen weiteren neuen Lagerkristall, danach ...“

„Falsch!“ Sedhal lehnte sich zurück, zog die Schublade des Schreibtisches auf, nahm einen Geldbeutel heraus und ließ ihn auf die Tischfläche fallen, dass die Münzen darin klirrten.

Er fing ihren neugierigen Blick auf und schob den Beutel an die Kante des Tisches. „Die sind für dich. Auf Schloss Maesinar hat es einen Mord gegeben.“ Maesinar? Ihre Gedanken rasten. Die Internatsschule für Charismabegabte lag mindestens ...

„Szarah, die Lehrerin für Charismaanwendung, lag heute Morgen mit eingeschlagenem Kopf im Garten.“

„Selbst mit dem Wächter-der-Wege werde ich mindestens ...“ Sie brach ab, als sie Sedhals Grinsen bemerkte.

„Du wirst nicht“ – das letzte Wort betonte er – „mit der Kutsche des Schwarzen Turmes reisen, die wird woanders dringender gebraucht. Das Silber ist für die Mietpferde und die Übernachtungen entlang der Rasthäuser und Ställe der Grauen Kette.“

Er meinte es ernst, das spürte sie. Neun Tage am Stück zu reiten, immer wieder das Pferd zu wechseln und in den Rasthäusern das Schnarchen der Postreiter durch die dünnen Wände der muffigen Dachzimmer hören ... Es schüttelte sie innerlich.

„Wird der Vermittler-der-Allmächtigen mit der Befreiung der Seele so lange warten wollen?“

Sedhal zog die Brauen hoch. „Sicherlich nicht. Daher ist ein Vollstrecker aus dem Schwarzen Turm von Dhalbei schon nach Maesinar unterwegs. Er dürfte in spätestens zwei Stundenschlägen dort eintreffen und sogleich mit den Ermittlungen beginnen.“

Jetzt war Caitlynn vollends verwirrt. „Wozu braucht es dann mich? Bis ich dort ankomme, hat der Vollstrecker aus Dhalbei den Täter vielleicht schon gefunden.“

„Das mag sein“, stimmte ihr Sedhal zu. „Deshalb habe ich ausrichten lassen, er möge mit der Vollstreckung auf dich warten. Denn“, er verschränkte die Arme, „die Erste Herrin von Maesinar verlangt, dass jemand aus dem Schwarzen Turm von Ibjadar und nicht 'nur' ein 'Provinzvollstrecker'“, er spuckte die Worte förmlich auf den Tisch, „anwesend ist. Sie hatte sogar die Frechheit, mir zu drohen, sie würde sich direkt an die Königin wenden.“ Sein Gesicht verdüsterte sich und er starrte an Caitlynn vorbei auf das Portrait der Königin, das rechts neben der Tür auf den Schreibtisch herab lächelte. „Königin Shina“, seine Stimme klang erstaunlich sanft, als er den Namen aussprach, „sollte keinesfalls mit derartigen Nichtigkeiten belästigt werden.“ Sein Blick wanderte zurück zu Caitlynn und er verzog die Lippen zu einem dünnen Lächeln. „Die Erste Herrin von Maesinar will eine 'fähige' Kraft aus unserem Turm. Gut. Also bekommt sie dich. Du warst die erste Wahl Meister Diacants für den Mord auf Baeldin, und das, obwohl du noch keine Begleitung bei einer Aufklärung aufzuweisen hattest und kein vollwertiger Vollstrecker deine Eignung in einem offiziellen Bericht bestätigt hat. Es sind Stimmen laut geworden, hier im Turm, welche Meister Diacants Wahl für einen großen Fehler halten. Sollte der Fürst von Baeldin Protest gegen dein Urteil einlegen, was er immer noch könnte, würde deine Befugnis in Frage gestellt werden. Dein Urteil bleibt natürlich gültig, da sind sich alle einig. Doch sollte der Fürst die Meinung durchsetzen, dass aufgrund dieser Lücke in deiner Ausbildung bei der Vollstreckung unnötiges Leid entstanden ist ...“

Er ließ den Satz in der Luft hängen. Caitlynn schluckte. Das würde sie zu einer Schuldigen machen. Doch Sedhal war noch nicht fertig. „Meister Diacant würde mit dir für diesen Fehler büßen müssen. Und was das für ihn für Auswirkungen hätte, muss ich dir nicht erklären, oder?“

Caitlynn schüttelte stumm den Kopf. Sie und Meister Diacant würden Schmerz aus den Lagerkristallen übertragen bekommen. Schmerz, welchen sie nicht ableiten durften, sondern erdulden mussten, und bei Meister Diacants geschwächtem Zustand nach dessen schwerer Krankheit ... Caitlynn spürte, wie ihr das Blut aus den Wangen wich.

„Um dem zuvorzukommen, werden wir diesen Makel an dir beheben. Und da Meister Diacant von dir so überzeugt war, wer also könnte würdiger sein, in den Abgründen auf Maesinar herumzustochern? Sei dem Vollstrecker aus Dhalbei eine gute Hilfe. Und wenn ich seinen wohlwollenden Bericht auf dem Tisch liegen habe, wird deine Ausbildung auch formal in allen Belangen abgeschlossen sein, was wir einer möglichen Beschwerde des Fürsten entgegenhalten können.“

Fieberhaft suchte Caitlynn nach Worten, um doch noch an die Kutsche zu kommen. „Wird ... wird ... die Erste Herrin sich nicht beschweren, wenn ich so spät eintreffe?“

Sedhal legte den Kopf leicht schief und tippte mit der Spitze seines Zeigefingers auf sein Kinn. „Tja... da könntest du recht haben“, murmelte er.

Caitlynn atmete auf. Er würde nachgeben. Um des Falles willen.

Stattdessen langte der Zweite Meister des Schwarzen Turmes nach dem Beutel. „Also beeilst du dich besser, damit es keine neun Tage werden, Caitlynn.“ Ein Schlenkern seiner Hand, und der Beutel fiel ihr genau vor die Füße. „Und geh sorgsam damit um!“

Sein Lachen klang ihr noch in den Ohren, als sie längst wieder in ihrer Kammer stand und den großen Reisesack packte. Mehrere Garnituren Wäsche zum Wechseln, zwei Nachthemden, zwei Blusen, zwei Röcke, ein Kleid, ihre beste Sommerhose, zwei Päckchen Seife in Ölpapier, ihre Haarbürste, ein Kamm, ... irgendwo ... Sie hob die Leintücher in ihrer Kleidertruhe hoch. Ja! Da lag ihre alte Reithose mit der verstärkten Rückseite. Caitlynn zog den Rock aus und schlüpfte hinein. Sie passte noch, wenn auch knapp. Seufzend tauschte sie die blaue Bluse gegen ein hellgraues Leinenhemd und die blaugraue Lederweste, ehe sie den Gürtel dreifach um ihre Leibesmitte schlang und ihren Geldbeutel sowie eine Wasserflasche daran befestigte. Jetzt noch den regenfesten Umhang übergeworfen und sie war reisefertig. Als sie sich über die Truhe beugte, um sie zu schließen, blieb ihr Blick an dem dünnen Bündel Briefe hängen, das zwischen zwei Duftsäckchen hervorlugte.

Alban hat schon lange nichts mehr von sich hören lassen. Bald ist seine Zeit in Velgar vorüber, dann fehlt nur noch der Schwarze Turm von Halphir. Hoffentlich muss er dort kein ganzes Jahr bleiben.

Wie froh war sie gewesen, als sie ihn auf der Hochzeit von Tiana und Olbin getroffen hatte. Doch mehr als ein paar höfliche Sätze hatten sie inmitten der Festgesellschaft nicht tauschen können und das Versprechen, sich weiterhin zu schreiben. Briefe über das Wetter, die Gesundheit, die Launen der Vorgesetzten und was die regionale Küche zu bieten hatte... Caitlynn seufzte. Die Briefe gehen durch viele Hände und es gibt Wege, Siegel zu brechen und wieder zu flicken. Sie schob das Bündel tiefer in die Truhe. Und ich sollte froh sein, dass er überhaupt schreibt. Trotzdem ...

Als sie die Riemen ihres Reisesackes über die Schulter streifte, spürte sie kurz den Druck des Schmerzsteins, der in seiner Kapsel unter dem Hemd auf ihrer Brust ruhte. Als erstes würde sie zu einem der drei Blauen Häuser gehen und einen Tiegel Flaumwurzsalbe für ihr Gesäß kaufen, danach zum Mietstall der Grauen Kette nahe dem Südtor, der lag am günstigsten.

Seufzend schritt sie den Gang hinunter zur Wendeltreppe, als sie von unten Solveigs Stimme vernahm.

„Ihr solltet es Euch wirklich überlegen, Sedhal. Meister des Schwarzen Turmes zu sein, oder auch nur sein Stellvertreter über längere Zeit, das hat schon erfahrenere Vollstrecker aufgerieben, und dazu noch Euer Dienst im Schloss als Ratsherr, das sind zwei Paar schwere Stiefel für nur ein Paar Füße. Vollstrecker Quinreg hat seine Antrittsrede als Euer Nachfolger im Rat der Königin schon halb fertig, wie ich hörte.“

„Pah!“, schnaubte Sedhal, „Quinreg hat Mühe, am Morgen zu entscheiden, welcher Schuh an welchen Fuß gehört. Sie ...“, er machte eine kurze Pause, „sie hat mich persönlich gebeten, meinen Platz im Rat nicht abzugeben. Meister Diacant ist ja bald wieder vollständig genesen, dann bin ich das eine Paar schwerer Stiefel, wie Ihr es nennt, los und Quinreg kann seine Rede an die Enten verfüttern. Jetzt entschuldigt mich, ich habe noch einige Berichte zu lesen.“

Rasche Schritte, eine Tür fiel ins Schloss. Caitlynn spitzte die Lippen zu einem lautlosen Pfiff. Also daher wehte der Wind. Kein Wunder, dass er so gereizt ist. Ich habe ihn die letzten Wochen nicht mehr im Speisesaal bei den anderen Vollstreckern sitzen sehen. Wo und wann isst er? Schläft er am Schreibtisch?

Sie machte sich auf den Weg nach unten, wo der Hüter-des-Geheimwissens Solveig mit gerunzelter Stirn auf den Fußboden starrte. Als er ihre Schritte vernahm, hob er den Kopf, und ein Lächeln glättete seine Stirn. „Unterwegs zu einem neuen Auftrag, Caitlynn?“, fragte er mit Blick auf ihren Reisesack.

Sie nickte. „Nach Schloss Maesinar.“

„Weiß der Wächter-der-Wege Bescheid?“

Caitlynn schüttelte den Kopf. „Der wird anderweitig gebraucht, hat mir Vollstrecker Sedhal gesagt. Ich reise mit den Mietpferden der Grauen Kette.“

Der Hüter zog die Brauen zusammen. „Bis Maesinar? Das dauert doch ...“

„... neun Tage, wenn das Wetter mitspielt.“

Verwundert kratzte sich Solveig am Kinn. „Warum gerade Ihr? Es gibt mehr als ein Schwarzes Haus zwischen hier und Maesinar.“

Mit raschen Worten erzählte sie ihm von der Forderung der Ersten Herrin des Schlosses.

„Umso mehr Grund, Euch nicht den Wächter-der-Wege zu verweigern.“ Solveig runzelte die Stirn. „Die Kutsche wird woanders gebraucht? Ja, wo denn?“, fragte er laut und fügte leiser hinzu: „Was ist nur in Sedhal gefahren?“

„Das fragt ihn besser selbst.“ Caitlynn hob die Achseln und drehte die Handflächen nach außen. „Mir bleibt nur der Ritt, oder wisst Ihr einen schnelleren Weg?“ Als keine Antwort kam, rückte sie die Riemen des Reisesackes zurecht und nickte dem Hüter zu. „Ich muss los. Wünscht mir einen weichen Sattel, Solveig.“

Sie schlüpfte an ihm vorbei und schritt in Richtung Haupttor.

„Caitlynn!“ Die Vollstreckerin blieb stehen und wandte sich zurück. „Ja?“

„Ich ...“ Rote Flecken brannten auf seinen Pausbacken und Schweißtropfen standen auf seiner hohen Stirn. Seine Hand fuhr durch die feinen, braungrauen Stoppel auf seinem Schädel. „Ich ... es ...“, er holte tief Luft und gab sich einen Ruck. „Es gibt einen schnelleren Weg.“

Caitlynn spürte, wie es in ihm arbeitete. „Welchen denn?“, fragte sie vorsichtig.

„Das darf ich Euch nicht verraten, Vollstreckerin. Wartet vor dem Tor auf mich.“ Schnaufend stapfte Solveig die Stufen hinauf.

Was führt er im Schilde? Langsam ging Caitlynn zum Tor und drückte es auf. Helles Sonnenlicht flutete den kreisrunden Empfangsraum des Turmes, begleitet von der würzigen Süße gerösteter Rotnüsse. Sie drehte den Kopf. Beim „Vollen Teller“ standen die Küchenfenster weit offen, damit der leckere Duft des frisch gebackenen Kuchens späte Frühstücksgäste von der Straße in den Gastraum lockte. Caitlynns Magen meldete sich. Das Frühstück war bei weitem nicht sättigend genug gewesen und Reiseproviant würde sie auch noch brauchen. Erst zwei Handbreit stand die Sonne über den Dächern, doch schon jetzt war es Caitlynn unter ihrem Umhang fast zu warm. Nach dem Dauerregen der letzten Woche versprach der Sommer seinen Namen doch noch zu verdienen. Rasch stieg sie die Stufen hinab und stellte sich an eine schattige Stelle an der Straße, um auf Solveig zu warten. Ich hoffe, er beeilt sich, sonst sind die besten Pferde beim Grauen Haus am Südtor schon vergeben. Vielleicht besaß der Rote Turm ja eine Karte, auf der geheime Pfade und Abkürzungen eingezeichnet waren. Und wer weiß, womöglich ist das Rätsel doch nicht so schnell gelöst wie Sedhal glaubt.

Die Minuten verstrichen und sie wurde langsam ungeduldig. Doch dann flog plötzlich die schwarz lackierte Eingangstür auf und der Hüter-des-Geheimwissens trat schnaufend ins Licht. Kaum dass er Caitlynn erblickte, glätteten sich seine Stirnfalten. „Da seid Ihr!“ Er winkte sie zu sich.

Zögernd stieg Caitlynn die Stufen wieder hinauf und sah ihn fragend an.

„Also ...“, Solveig zog eine Schriftrolle aus dem Ärmel seiner locker fallenden roten Robe und wedelte damit vor Caitlynns Nase herum. „ ... wenn Euch wirklich viel daran gelegen ist, so schnell wie möglich in Maesinar zu sein ...“ Er hielt ihren Blick fest, und sie nickte. „Dann geht zum Roten Turm und zeigt diese Rolle dem Ersten Meister, aber lasst sie Euch nicht von einem Anwärter abschwatzen.“ Der leicht angegilbte Bogen Papier war sehr eng gerollt und mit einer Lederschnur dreifach umwickelt worden. Ein großer Klecks aus goldfarbenem Siegelwachs umschloss den Knoten der Schnur und ein guter Teil klebte auch auf dem Papier. „Das ist ...?“, fragte sie und nahm die Rolle vorsichtig entgegen.

„Eine Bitte, ein Vorschlag von mir an den Roten Turm.“ Solveig senkte die Stimme. „Es ... ähm ... es gibt da nämlich etwas, das Ihr sehen müsst, um es zu glauben. Mehr darf ich nicht verraten.“

„Und dieses etwas hilft mir, schneller zu reisen?“

Solveig nickte und drückte seinen erhobenen Zeigefinger an die Lippen.

„Schon gut.“ Sie räusperte sich und flüsterte: „Ich werde schweigen, was auch immer es sein mag.“

Das schien dem Hüter zu genügen. Er klopfte ihr noch kurz auf die Schulter, ehe er wieder im Turm verschwand und die Tür hinter sich zuzog.

Die Vollstreckerin schob sich eine Strähne aus der Stirn und steckte die Schriftrolle in den Ärmel. Was hat der Rote Turm nun wieder ausgeheckt, dass Solveig so ein Geheimnis daraus macht? Caitlynns Neugier war geweckt. Sie wandte sich nach Nordwesten, ging durch die verwinkelten Gassen des Handwerksviertel, entlang des Rotwasserkanals von der Färberstraße bis zur Perlmoosbrücke. Jenseits der Brücke lag das Viertel der „Handhäuser“, jene in die Jahre gekommenen zweistöckigen Ziegelbauten, die sich zwei bis drei wenig begüterte Familien teilten.

Gleich dahinter begann das Blütenviertel, umgeben von einem breiten Ring aus Hakendornbüschen und Schlangennesseln, der von einem einzigen Zufahrtsweg durchschnitten wurde. Seit sie dem Schwarzen Turm beigetreten war, hatte sie ihr Weg noch nie in diesen Teil von Ibjadar geführt. Ohne Einladung oder Auftrag ließ man sich hier nicht blicken.

So musste sie den misstrauisch dreinblickenden Wachen erst ihr Vollstreckerzeichen und dann die Schriftrolle zeigen, ehe sie durchgewunken wurde.

Neugierig schritt sie an mannhohen Gitterzäunen entlang, hinter welchen Schwarznadel- und Geißbartbüsche ein fast lückenloses Geflecht aus silbern behaarten Ranken, Blättern und Dornen bildeten.

Der mit blassgelben und rötlichen Steinen gepflasterte Weg endete im Herzen des Blütenviertels an einer grauen Mauer, zweimal so hoch wie Caitlynn selbst, hinter welcher die breitfingrigen Blätter mächtiger Rasselschotenbäume nach der Sonne griffen. Und so sehr die Vollstreckerin den Hals auch reckte, weder ein Roter Turm, der den Namen auch verdiente, noch ein Eingang waren zu sehen.

Vielleicht auf der anderen Seite? Mit ausgreifenden Schritten hastete sie die lange, lange Mauer hinunter, um die Ecke – nichts. Erst als sie um die nächste Ecke gebogen war, stieß sie nach zwanzig Schritten auf einen Mauerbogen, gerade breit genug für eine Kutsche. Vom Bogen aus führte der Weg ein kleines Stück geradeaus in das Grundstück des Roten Turms hinein und machte dann eine scharfe Kurve nach rechts. Dadurch reichte das Blickfeld neugieriger Passanten lediglich bis zu den Stämmen der Rasselschotenbäume und den dazwischen wuchernden Feuerblattbüschen und zu dem Torhäuschen aus rot gebrannten Ziegeln.

Sorgsam streifte den Staub von ihrer Hose, schüttelte die Falten des Umhangs zurecht, straffte die Schultern und trat zu dem Schiebefenster, das in der Sonne blinkte. Mit leisem Knirschen glitt die Scheibe auf und sie blickte in zwei glatte Gesichter, die fast so blass wirkten wie ihre ausgewaschenen grauen Roben mit den breiten, roten Anwärterschärpen über der Brust.

„Was führt Euch zum Roten Turm?“, fragte der junge Mann mit gicksender Stimme, die Brust aufgeplustert wie das Federkleid eines Sumpftrommlers vor der ersten Balz.

Caitlynn neigte höflich den Kopf, stellte den Reisesack ab, griff in den Ärmel und zog die Schriftrolle heraus. „Ich habe eine Botschaft für den Ersten Meister des Roten Turms.“ Mit ihrer behandschuhten Linken hielt sie die Rolle so an die Fensteröffnung, dass das goldfarbene Siegel mit den zwei gekreuzten Stäben gut zu sehen war. Beide Anwärter beugten sich vor. Der Junge wollte nach der Rolle greifen, doch Caitlynn zog die Hand zurück.

„Entschuldigt. Mir wurde aufgetragen, die Botschaft nur“, sie betonte das Wort, „dem Ersten Meister zu übergeben.“

Sich entschieden räuspernd stemmte der Anwärter die Fäuste in die Hüften. „Ezarh, der Erste Meister des Roten Turms, ist noch nicht zurück aus Alxaer“, sagte er laut.

„Sein Stellvertreter? Der Zweite Meister?“

„Ich werde die Botschaft persönlich Meister Nimidor übergeben.“ Erneut streckte er die Hand nach der Rolle aus, doch Caitlynn trat einen Schritt zurück. „Bitte führt mich zu ihm.“

„Seffem“, zischte das rundliche Mädchen an seiner Seite, „bist du so begierig darauf, als Querulant nach Fallanden strafversetzt zu werden? Nimidor ist nicht der Zweite Meister des Turms.“

Das Blut stieg ihm bis in die Stirn und er verzog das Gesicht, als hätte er auf eine unreife Entenbeere gebissen. „Die Meisterin der Runen hat gesagt ...“

Jetzt hatte Caitlynn genug. Sie ballte die rechte Hand zu einer Faust und klopfte dreimal kräftig auf das Fensterbrett. Die Anwärterin erkannte das Zeichen auf dem Handrücken als erste und stieß Seffem mit dem Ellenbogen in die Seite. Der aufgeplusterte Anwärter folgte ihrem Blick mit seinem. Als auch er das Vollstreckerzeichen erkannte, verschluckte er prompt, was auch immer er hatte sagen wollen.

„Ich verlange, zum Zweiten Meister geführt zu werden!“, sagte Caitlynn laut. „Auf der Stelle!“

„Das ... das kann ich nicht“, platzte Seffem heraus. Schweißtropfen glitzerten auf seinen Brauen, während er seine Hände hastig an seiner Robe trocken rieb. „Der, ähm..., die Zweite Hüterin ist auch nicht da.“

„Wirklich?“ Seine Nachbarin sah ihn erstaunt an.

„Irgendetwas im Palast, weil sie das nächste Treffen des Rates leiten wird“, zischte er zu ihr hinüber. „Versuch einfach, das Frühstück nicht so oft zu verschlafen, Jedesa.“

Die Angesprochene funkelte ihn kurz böse an, ehe sie die Stirn runzelte und an einem Zopfende zu nibbeln begann. „Wäre der nächste im Rang nicht der Meister der Schriften, noch vor dem Meister der Spiegel?“

Ich sollte längst aus der Stadt sein. „Welcher von beiden hat mit Reisen zu tun, mit schnellem Transport zwischen zwei Orten?“

Jedesa und Seffem wechselten einen längeren Blick, steckten die Köpfe zusammen und flüsterten.

„Eine interessante Frage“, ertönte es hinter Caitlynns Rücken.

 

 

2. Kapitel

 

Caitlynn fegte herum. Mit einem Blick erfasste sie die große, üppige Gestalt in der roten Robe mit der goldenen Ratsherrenschärpe, ihre langen, dunkelbraunen Locken, die großen, samtbraunen Augen in dem herzförmigen Gesicht. Sie ist noch viel schöner geworden, schoss es ihr durch den Kopf. Noch ehe sie einen Gruß aussprechen konnte, legte die junge Frau ihre Hände überkreuz an die Schultern und verbeugte sich formell. „Gestattet, Kristana, Zweite Meisterin des Roten Turmes.“

Caitlynn schluckte, legte die Schriftrolle auf das Fensterbrett und erwiderte die Geste. „Caitlynn, Vollstreckerin-der-Gerechtigkeit. Vom Schwarzen Turm.“

„Woher auch sonst“, sagte die Hüterin, hob eine Braue und richtete sich auf.

Caitlynn schluckte. Ihr Gegenüber ließ ihr keine Zeit, die kühle Begrüßung zu verdauen, sondern streckte die rechte Hand aus. „Die Botschaft. Bitte!“

Seffems Hand schoss durch das Fenster, doch noch ehe er seine Spinnenfinger um die Schriftrolle schließen konnte, begegnete sein Blick jenem Caitlynns. Er schluckte und ließ die Hand fallen, sodass die Vollstreckerin nach der Botschaft greifen konnte, um sie betont langsam in Kristanas Hand gleiten zu lassen. „Hier bitte“, sagte sie mit einem kaum wahrnehmbaren Neigen des Kopfes.

Schweigend betrachtete die Zweite Meisterin das Siegel, brach es und öffnete die Rolle. Ihre Augen flogen über wenigen Zeilen, erst runzelte sie die Stirn, dann huschte die Ahnung eines Lächelns über ihre Lippen.

„Ihr habt es also sehr eilig, nach Maesinar zu kommen?“, fragte sie Caitlynn.

„Ja. Kann mir der Rote Turm dabei helfen?“

Die Hüterin trat an Caitlynn vorbei und schritt auf die erste Kehre zu. Über die Schulter winkte sie der Vollstreckerin. „Kommt und Ihr werdet es erfahren!“

Was denn nun? Ja oder Nein? Ungeduld und Ärger stiegen in Caitlynn hoch, als sie sich beeilte, mit der um einen halben Kopf größeren Hüterin Schritt zu halten.

„Bleib hinter mir!“, raunte Kristana, kaum dass Caitlynn mit ihr gleichauf war.

Sie duzt mich. Caitlynn fiel einen Schritt zurück. „Du kennst mich noch?“

Sie folgten der Kehre und gelangten außerhalb des Sichtfeldes der beiden Anwärter. Drei Schritte weiter blieb Kristana stehen. Sie drehte sich um, lächelte und breite die Arme aus. „Was hast du denn gedacht, Lynna.“

Eine warme Umarmung später trat Kristana einen Schritt zurück und betrachtete Caitlynn mit einem breiten Grinsen. „Du hast es also geschafft. Glückwunsch.“

„Du auch. Und wie!“ Sie deutete eine Verbeugung an. „Zweite Meisterin, Respekt. Bist du das schon lange?“

Kristana machte eine wegwerfende Bewegung. „Erst seit einem Monat und es klingt nach mehr, als es ist. Entschuldige bitte den unfreundlichen Empfang. Ich habe einen Ruf zu verteidigen, was nicht leicht ist, wenn man keinen wichtigen Aufgabenbereich hat wie die Meisterin der Runen oder der Meister der Spiegel. Alle wichtigen Entscheidungen des Turmes werden vom Ersten Meister Ezarh meist mit dem Meisterkreis zusammen getroffen, ich überbringe sie lediglich dem Rat. Als Zweite Meisterin des Roten Turmes bin ich kaum mehr als Ezarhs Schreiberin und Mädchen für alles.“

„Außer, er ist abwesend, dann musst du für ihn entscheiden, oder?“ Caitlynn deutete mit dem Kinn auf die Schriftrolle in Kristanas rechter Hand.

Die Hüterin nickte. „So ist es.“ Sie klopfte mit der Rolle auf die linke Handfläche und runzelte die Stirn. „Das wird eine echte Herausforderung. Nimidor hütet die Spiegelkammer wie ein Dekadenbrüter sein Ei.“

Spiegel? Was soll ich mit Spiegeln?

Kristana schritt weiter und Caitlynn beeilte sich, an ihrer Seite zu bleiben. Als die Hüterin Caitlynns Verwirrung bemerkt, glättete ein Lächeln ihre Stirnfalten. „Keine Sorge, Lynna. Ich habe einen Plan.“

Wider Willen musste Caitlynn schmunzeln. Kristana hatte immer einen Plan und die Umsetzung gelang fast jedes Mal. Es sei denn ... Ein Schatten legte sich über Caitlynns Gesicht. „Ist es schwer für dich? Im Rat?“

Kristana verstand die Anspielung sofort. „Du meinst, wegen Gared?“

Caitlynn nickte.

„Zu Beginn war es ein merkwürdiges Gefühl, ihm gegenüberzusitzen“, sagte die Hüterin. „Shina hatte ein scharfes Auge auf ihn, doch er benahm sich mustergültig höflich.“

„Und wenn niemand hinsah?“ Caitlynn kannte ihren Bruder.

„In der Kristallfeste ist man selten unbeobachtet. Selbst unter den einfachen Wachen haben viele Bindungen an die großen Familien und spüren, wenn in ihrer Umgebung Charisma eingesetzt wird.“

„Außerhalb? In der Stadt? Auf dem Weg zum Schloss? Sag nicht, er hat es nie versucht.“

„Das habe ich nicht behauptet. Zweimal hat er mich erwischt, aber ich konnte mich rechtzeitig aus seinem Charisma lösen, ehe ich mehr als meinen Umhang und meine Schuhe abgelegt hatte.“

Entsetzt schnappte die junge Vollstreckerin nach Luft und ballte die Fäuste. „Hat er etwa versucht...?“

Kristana stutzte und lachte rau. „Etwas Unsittliches zu tun? Auf offener Straße an einem Markttag? Nein, er wollte mich 'nur' vor aller Augen demütigen, du kennst deinen Bruder. Alte Gewohnheiten sterben nicht leicht.“

„Bist du zu Shina gegangen?“

Die Hüterin nickte. „Nach dem zweiten Mal, ja.“ Sie seufzte und rieb sich die Nasenwurzel. „Dabei werde ich das Gefühl nicht los, dass er genau das wollte. Shina hat mir erzählt, er hätte sie schon länger angebettelt, als 'Stimme-des-Kristallreifs' ihre Gesetzesneuerungen im Reich bekannt zu machen, von Schloss zu Schloss, von Stadt zu Stadt zu reisen und die Umsetzung zu überwachen. Bis dahin hatte sich Shina geweigert, extra wegen ihm diesen neuen Titel einzuführen und seine Selbstgefälligkeit mit Sondervollmachten noch weiter anschwellen zu lassen, doch nach seinem zweiten Angriff sah sie darin die beste Möglichkeit, ihn möglichst weit von mir fernzuhalten. Jedes Mal, wenn er zum Rapport vor den Rat tritt, ist er so ölig demütig, dass mir fast übel wird. Derzeit bekommen wir Berichte aus Ibjadon und Alxaer, je nachdem wo das Wetter schöner und das Perlkornbräu frischer ist.“

Caitlynn verschluckte ein Kichern. Das sah Gared ähnlich.

Einträchtig schritten sie nebeneinander her, jede versunken in ihren Erinnerungen, bis Kristana auf die nächste Kehre vor ihnen wies. „Da vorn ist gleich der Turm.“

Caitlynn verstand und fiel einen Schritt hinter die Hüterin zurück. „Tu dein Schlimmstes.“

Kristana zwinkerte ihr über die Schulter zu, ehe die Maske aus Strenge und kühler Höflichkeit ihre Züge verhärtete und jede Wärme aus ihrem Blick schwand. Gleichzeitig streckte sie den Rücken durch, verlangsamte die Schritte und nahm exakt die Mitte des Weges ein.

Da der dichte Bewuchs bislang einen Blick auf den eigentlichen Turm verwehrt hatte, wusste Caitlynn nicht, welcher Anblick sie erwartete.

Der Rote Turm, Sitz der Hüter-des-Geheimwissens, der mächtigste und unverzichtbarste aller Türme, so die Ansicht jedes Hüters, entpuppte sich als rundes Gebäude, ebenerdig, mit Mauern aus grauen Lehmziegeln und kleinen runden Fenstern. Anbauten waren keine zu sehen, und statt roter Ziegel bedeckten graue Schindeln das Dach, fast so, als wollte sich das Gebäude unter den Wolken ducken.

„Das soll der Rote Turm sein?“, rutschte Caitlynn die Frage heraus.

„Er ist es.“

„Und wo ist der Rest? Unter dem Rasen?“

„Das ... könnte man so sagen.“

Bevor Caitlynn nachhaken konnte, waren sie schon an der rot lackierten Tür angelangt. Kristana betätigte den Türklopfer dreimal, woraufhin eine handgroße Klappe im oberen Viertel der Tür nach innen gezogen wurde.

„Wer begehrt Einlass in das Refugium der Hüter?“, krächzte eine Frauenstimme, gefolgt von einem Hustenanfall.

„Die Zweite Meisterin des Turmes und ein Gast“, erwiderte Kristana und präsentierte ihr Berufszeichen, dieselben gekreuzten Stäbe wie auf Solveigs Siegel, wobei sie die Stirn runzelte. „Hüterin Lojanda, hatte ich Euch nicht gebeten, das Bett zu hüten und einen der Anwärter in den Pförtnerstuhl zu setzen?“

Antwort kam keine, stattdessen wurde die Tür langsam aufgezogen. Die weißhaarige Hüterin im Türrahmen verbeugte sich vor Kristana und beäugte Caitlynn mit ihren eingesunkenen Augen, ehe sie einen Schritt zur Seite wich, um die beiden eintreten zu lassen.

„Die Anwärter von heute haben weder Manieren noch Geduld, Kristana“, murmelte sie und hustete erneut. „Bevor eines dieser unreifen Früchtchen unseren Turm vor Gästen blamiert ...“ Sie machte eine einladende Geste in den halbkreisförmigen Raum.

Hohe Bücherregale, rote Wandteppiche und golden bestickte Vorhänge bedeckten die einzige gerade Wand des halbrunden Raumes. Von dieser führten zwei Türen in die hintere Hälfte des Gebäudes. Dazwischen, etwa einen Schritt von der Wand entfernt, stand ein massiger Schreibtisch aus rot-orange gemasertem Abendholz, das größte und damit vermutlich auch teuerste Stück seiner Art, das Caitlynn je unter die Augen gekommen war.

„Wenigstens habt Ihr daran gedacht, Euch warm zu halten“, sagte Kristana und wies mit dem Kinn zu der flauschigen grauen Decke auf dem Lehnsessel hinter dem Schreibtisch.

„Kümmert Euch nicht zu sehr um mich“, erwiderte die Hüterin, als sie zu ihrem Sessel zurück schlurfte, „sonst bekommt Euer Ruf als Eiswall noch Risse.“

„Das lasst meine Sorge sein.“

Kristana deutete Caitlynn, auf einem der Polsterstühlchen Platz zu nehmen, die unterhalb der Fenster entlang der gewölbten Außenmauer aufgereiht waren, während sie am Schreibtisch vorbei zur Wand dahinter schritt, um den Klingelzug zu betätigen.

Caitlynn hatte sich kaum auf dem harten Lederpolster niedergelassen, da öffnete sich die linke der beiden Türen und ein Anwärter trottete in den Empfangsraum.

„Was ist es denn nun schon ... “, fragte er und gähnte.

Doch kaum gewahrte er Kristana, streckte sich sein Rücken, strafften sich seine Schultern und seine Hände rückten hastig die goldgerahmte Brille zurecht. „Zweite Meisterin Kristana, ich wusste nicht ...“

Ihr Blick wanderte von seinen zerzausten Haaren über die Bartstoppel, die zerknitterte Robe bis zu den Pantoffeln. Ihre Lippen kräuselten sich und sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Es sollte“, sagte sie, jedes Wort betonend, als läse sie eine Liste vor, „keine Rolle spielen, wer dich ruft.“

Seine Schultern sackten herab, er nestelte an seiner Brille. „Natürlich, Zweite Hüterin. Ihr habt recht, es ist nur, ich ...“

„Seid nicht zu streng mit ihm, Kristana“, mischte sich die alte Hüterin ein, „ich habe Mellander heute schon dreimal gerufen, mir frischen Tee zu bringen.“

Kristana lockerte die Arme. „Nun gut. Mellander, überbringt Meister Nimidor die Nachricht, dass ich ein ...“ – sie sah zu Caitlynn hinüber – „... ein Paket für ihn gefunden habe. Und beeilt Euch!“

Mellander zuckte zusammen, machte auf der Stelle kehrt und hastete davon. Die Tür fiel mit einem Knall hinter ihm ins Schloss.

Lojandas betrachtete Caitlynn. „Ihr habt also vor, Euch in Nimidors Hände zu begeben?“, fragte sie.

Caitlynn erhob sich, präsentierte ihre Handrücken und verbeugte sich. „Wenn dies bedeutet, rascher als ein Wächter-der-Wege zu reisen, dann ja“, erwiderte sie.

Kristana legte Solveigs Schriftrolle vor der alten Hüterin auf den Tisch, welche sie rasch überflog. „Ah ... eine Vollstreckerin. Das freilich erklärt Euren Mut. Rasch, ja, rasch ist Nimidors Weg, rascher als jedes Pferd, ja ...“

„Überlasst es Eurem Bruder, der Vollstreckerin zu erklären, was er für nötig hält“, schnitt Kristana ihr das Wort ab, rollte den Papierbogen wieder zusammen und steckte ihn in ihren Gürtel. „Nimidor wird sicher gleich hier sein.“

Die alte Hüterin murmelte etwas vor sich hin, was Caitlynn nicht verstand.

Kristana seufzte und winkte Caitlynn, sich vor die rechte Tür zu stellen. Zögernd kam die Vollstreckerin dieser Aufforderung nach, ohne jedoch die linke Tür aus den Augen zu lassen. Ich hätte Solveig mehr Fragen stellen sollen. In ihrem Magen ballte sich das Unbehagen zu einem immer größeren werdenden Klumpen zusammen.

Sie atmete tief durch und zwang sich, die Arme locker hängen zu lassen. Es ist Kristana. Ich konnte ihr immer vertrauen. Ihr Blick wanderte über die Bücherregale im Versuch, die Worte auf den Buchrücken zu entziffern, was ihr nur bei den dicken Wälzern gelang, die sich auf den unteren Regalbrettern drängten. „Das Werden Ibjadars“ prangte in goldenen Lettern auf schwarzem Leinen, daneben glänzten die Worte „Was vom Roten König blieb“ in Silber auf rotem Lackleder. Es verwunderte sie, wie man damit überhaupt ein so dickes Buch füllen konnte, war doch das Reich des Roten Königs beim Weltenbruch vom Erdboden getilgt worden, und bislang hatten die Archivare weder ein Buch noch eine Schriftrolle aus jener Zeit gefunden, ebenso wenig die Ruinen seines Schlosses oder der mächtigen Stadt, in der es gestanden haben soll.

Während sie in Gedanken noch rekapitulierte, was sie in ihrer Schulzeit über die Zeit nach dem Ende des Roten Königs gelernt hatte, flog die Tür links hinter Lojandas Stuhl auf. Ein stämmiger Mann stürmte herein, geradewegs auf Kristana zu. Das zerknitterte Gesicht unter dem kahlen Kopf glänzte rot wie seine Robe. Schwer atmend blieb er vor ihr stehen, stemmte die Fäuste in die Hüften und fixierte sie mit hartem Blick. „Wenn das ein übler Scherz ist ... Wo ist der betrunkene, hoch verschuldete, todkranke Tunichtgut, dem Ihr ein Vermögen versprochen habt, damit er seiner kranken Frau und den zehn Kindern etwas hinterlassen kann, falls sie auf der anderen Seite seine Einzelteile aus dem Stroh schaufeln müssen?“

Einzelteile? Caitlynn stellten sich die Nackenhaare auf und der Knoten in ihrem Magen kletterte hinauf zu ihrer Kehle.

Gelassen lächelnd schüttelte Kristana den Kopf. „So jemanden habe ich nicht, Meister der Spiegel“, sagte sie und hob die Hand, um seine Erwiderung zu unterbinden. „Darf ich Euch bekanntmachen?“, sie wies zur rechten Tür. „Caitlynn, Vollstreckerin-der-Gerechtigkeit vom Schwarzen Turm von Ibjadar.“

 

 

3. Kapitel

 

Für einen Atemzug wich die Farbe aus Meister Nimidors Wangen, um sogleich in hektischen Flecken wiederzukehren. „Wa... warum eine Vollstreckerin? Noch habe ich ja niemanden ...“ Seine Hände fuhren in die weiten Taschen seiner Robe, mit der rechten fischte er eine Papierrolle hervor, drehte sich zu Caitlynn und hielt sie ihr hin. „Hier, ich kann beweisen, dass ich reinen Gewissens bin, es ist alles mit Ezarh abgesprochen.“

Die Vollstreckerin sah von Nimidor zu Kristana. Die Zweite Meisterin lächelte breit, trat vor Caitlynn hin und griff sich die Rolle, ehe Nimidor sie zurückziehen konnte. Der Meister der Spiegel schnappte hörbar nach Luft, was Kristana ignorierte. Mit ruhiger Hand strich Kristana das Papier glatt, überflog die Worte, nickt und las sie laut vor:

„Hiermit bestätige ich, mich klaren Geistes und aus freien Stücken in die Hände Meister Nimidors, des Meisters der Spiegel aus dem Roten Turm von Ibjadar, begeben zu haben. Mir wurde erklärt, dass ich dabei einen schmerzhaften und grausigen Tod erleiden könnte. In diesem Falle bin ich einverstanden, dass meine Überreste ohne den Beistand eines Vermittlers zu Asche verbrannt werden.

Für meinen Mut erhalte ich zwanzig Goldstücke, die im Falle meines Ablebens meiner Familie übergeben werden. Sollte ich das Experiment überstehen, verspreche ich, allen Menschen außerhalb des Roten Turms von Ibjadar gegenüber Stillschweigen über das Erlebte zu bewahren, bis Meister Nimidor mich der Geheimhaltung entbindet.“

Kristana hob den Kopf und nickte. „Gut formuliert. Vollstreckerin“, sie drehte sich zu Caitlynn, die hastig den Mund zuklappte, „hättet Ihr die Güte, das gleich zu unterzeichnen?“

„Hier?“, fragte Caitlynn heiser und räusperte sich. Worauf habe ich mich da nur eingelassen?

Nimidor fiel die Kinnlade nach unten. „Wie ... ist sie etwa ...?“

„Ja. Die Vollstreckerin ist Euer 'Paket'.“ Kristana winkte Caitlynn zu sich an den Schreibtisch heran und legte die Rolle auf eine freie Stelle. Lojanda kicherte und schob Tintenfass und Feder zu ihr hinüber. Sorgsam las Caitlynn den Text noch einmal durch. Das Unbehagen wuchs, doch gleichzeitig keimte auch Neugier in ihr auf. Was auch immer sie vorhaben, es muss etwas noch nie Dagewesenes sein. Ich will wissen, was es ist, also spiele ich mit, aber nach meinen Regeln ...

„Meister Nimidor“, sagte sie, während sie die Feder in das Tintenfässchen tauchte, „ich will genau erklärt bekommen, was Ihr mit mir vorhabt.“ Mit ruhiger Hand setzte sie ihren Namen darunter und das Kürzel ihres Turmes. Binnen dreier Atemzüge verlor die Tinte ihren nassen Glanz und Caitlynn rollte den Bogen ein. Nimidors ausgestreckte Hände ignorierend, steckte sie den Bogen in ihren Gürtel. „Bis Ihr mich endgültig überzeugt habt, dass ich Euren Künsten trauen kann, bleibt das bei mir.“

Eine Ader auf Nimidors Stirn schwoll an, seine Hände ballten sich zu Fäusten. „Das ... das ist Euer Werk!“ Er funkelte Kristana an. „Ihr wollt meine Arbeit ausspionieren, nicht wahr? Damit Ezarh der Königin vorgaukeln kann, es wäre es seine Entdeckung.“