Splitt-Eifel-Trick-Cover

Eifel-Trick

Krimi


Peter Splitt



film





©Peter Splitt 2017

Cover: Collage aus Bildern von Artem Musaev / Chris Tefme / conrado/ dpaint / NuDsign / Gromovataya / www.shutterstock .com

Innen-Illustration: Daniel M. Nagy / www.shutterstock.com

Machandel Verlag Charlotte Erpenbeck

Haselünne

2017

ISBN 978-3-95959-053-2

Über den Autor

Peter Splitt wurde am 09. September 1961 in Remscheid geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugendzeit im Bergischen Land. Nach einer technischen sowie kaufmännischen Berufsausbildung wechselte er in die alte Bundeshauptstadt Bonn und erlangte dort Sprachdiplome in Englisch, Spanisch und Portugiesisch. Neben Musik, Literatur und Antiquitäten wurden Reisen in ferne Länder zu seiner großen Leidenschaft. Besonders Lateinamerika mit seinen Menschen und Gebräuchen sowie den Jahrtausend alten Hochkulturen finden immer wieder seine Begeisterung. Seit mehr als zehn Jahren lebt er nun teilweise in Lateinamerika und in seiner Wahlheimat am Rhein. Unter dem Motto „Vom Rheinland und der Eifel in die weite Welt“ schreibt er Abenteuergeschichten, Thriller und spannende Krimis aus der Region.

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www.machandel-verlag .de


Prolog

In dem Apartment im obersten Stockwerk eines Wohnblocks an einer vielbefahrenen Hauptstraße in der Koblenzer Innenstadt liefen die Vorbereitungen für eine ganz spezielle Videoaufzeichnung auf Hochtouren. In dem Raum befanden sich drei Personen. Die Hauptdarsteller: Eine attraktive Mitvierzigerin mit langem, blonden Haar und einem aufregenden, reifen Körper und ein kräftiger, junger Mann mit breiten Schultern und ausgeprägtem Bizeps.

„Also, fangen wir an“, sagte der Kameramann, ein untersetzter Kerl mit fortgeschrittener Stirnglatze, und drehte an der Linse des Aufnahmegerätes. „Mal sehen, wie es läuft.“

Die reife Dame schwankte ein wenig, während sie sich aus ihrem schwarzen Spitzenbody schälte und auf einem breiten Bett vor dem jungen Mann in die Hocke ging. Der Kameramann trank noch einen Schluck Bier, dann stellte er die kleine Dose auf die Seite und schaute durch die Linse seiner Videokamera.

Die Frau öffnete den Hosenstall des Mannes, fingerte ein wenig in seiner Hose herum und zog ein Gemächt von beachtlichem Ausmaß heraus. Und das befand sich noch im Ruhezustand. Mit weit geöffneten Lippen umfasste sie das gute Stück, leckte und saugte erst langsam, dann immer fester daran, während der junge Mann ein wohliges Grunzen von sich gab und die Blondine langsam an sich zog.

„Nicht schlecht! Na, das läuft doch schon prima“, sagte der Kameramann, überprüfte noch eine weitere Einstellung und hob den Daumen in die Höhe. In der Zwischenzeit hatte sich das junge Muskelpaket seiner Kleidung entledigt und die Frau auf seinen Schoß gehoben.

„Na, traust du dich das ...?“, fragte er und deutete auf seinen Penis, der jetzt wie eine feste Säule nach oben ragte.

„Wahnsinn“, säuselte die Frau und kicherte laut, während sie noch einen Augenblick an dem Riesending herum rieb, bevor sie sich ganz vorsichtig darauf setze.

„Und jetzt Action, bitte“, sagte der Kameramann. Sein Atem wurde schneller und unregelmäßiger. Er wollte den Akt sehen.

Die Frau bewegte sich vorsichtig und verdrehte ekstatisch die Augen.

„Mein Gott, wie großartig!“, waren die einzigen Worte, die sie hervorbrachte, während sie begann, sich auf und ab zu bewegen. Der Kameramann beugte sich weiter nach vorne, um die Szene noch besser beobachten zu können. Immer schneller bewegte sich die Frau. Ihre Augen wirkten jetzt glasig. Als ihr Partner spürte, dass sie kurz vor dem Höhepunkt war, glitt er schnell unter ihr hinaus, drehte sie um die eigene Achse und drang nun von hinten in sie ein. Der Frau schienen die Augen aus den Höhlen zu quellen. „Weiter ... der Schal... gib´s mir!“, forderte sie. Der junge Mann blickte auf den Kameramann. Der machte ein Zeichen mit seiner Hand. Daraufhin schnappte sich der junge Kerl den roten Schal, der am Bettende bereit lag und legte ihn seiner Partnerin um den Hals. Während er noch fester in sie eindrang, begann er langsam an den Enden des Schals zu ziehen. Der Kameramann bekam feuchte Hände. Als er sah, dass sie beinahe so weit war, nickte er dem Paar zu. Nun stieß der junge Mann mit aller Kraft zu. Die Frau schrie vor Lust.

„Zieh!“

Das war der Moment, auf den er gewartet hatte. Hart zog er an den Enden des Schals. Seine Partnerin schnappte nach Luft. Ihr Gesicht verzerrte sich und lief rot an. Mit weit aufgerissenen Augen, in denen jetzt nackte Angst stand, wehrte sie sich gegen den Schal, der ihren Hals zu zerquetschten drohte. Sie schaffte es nicht. Ihr Körper wurde von einem heftigen Orgasmus geschüttelt. Ihr Gesichtsausdruck vermittelte eine Mischung aus purer Lust und größter Panik.

Der Kameramann ging auf Großaufnahme. Die entsetzen Augen, das verzerrte Gesicht, die Mischung aus Höhepunkt und Todeskampf. Genau das war es, was seine Auftraggeber sehen wollten und langsam bekam er selber Spaß daran. Bis zu ihrem letzten Zucken ließ er die Videokamera laufen. Dann war es vorbei. Die Frau fiel leblos auf die weiche Bettdecke. Der Kameramann war, ebenso wie der junge Mann, in Schweiß gebadet. Es war so unglaublich, so einmalig, so unwirklich ... und sie hatten die Aufnahmen.

Allerdings nicht ganz so wie geplant ...

 

Erstes Kapitel

 

Leonard Gruber war ein Mann, der vielversprechende Witterungen aufnahm und überall herumschnüffelte. Bei Geschäftsleuten, Politiker und Bankmanagern genauso wie bei einfachen Handwerkern oder Landwirten. Er beobachtete, wo sie ihren Dreck fallen ließen. Nach ihm kamen dann die untersetzten Männer in weißen Kitteln und taten die übrige Arbeit. Seine Ergebnisse bekam man nicht im Einzelhandel zu kaufen, auch nicht über eine Verkaufsplattform im Internet. Sie gingen selektiv direkt an ganz bestimmte Abnehmer, die mächtig waren und im Hintergrund agierten und sich für weltweite Finanztransaktionen, Staatsbudgets, politische Entwicklungen und steuerfreie Geldanlagen interessierten. Leo hatte ein System entwickelt, mit dem man gleichzeitig eingehende Informationen, die scheinbar nichts miteinander zu tun hatten, in Beziehung bringen und entsprechend verwerten konnte. Dabei wurde so ziemlich alles erfasst: Vom Erdölvorkommen im Flussdelta des Orinoko bis zu den Gewohnheiten der indigenen Urbevölkerung in Australien. Leo verkaufte seine Informationen an jeden, der sie gebrauchen konnte und der ihn dafür bezahlte. Ein Tipp, zum Beispiel zum Ausgang der nächsten Parlamentswahl in Griechenland, konnte einen gewissen Vorteil bringen und helfen, viel Geld einzusparen, wenn man fortlaufend den griechischen Hafen Piräus anlaufen musste, weil man dort seine Niederlassungen hatte. Oder wenn man an der Börse auf steigende, beziehungsweise fallende Rohstoffpreise setzte.

Auch die Bosse von Aubach und Mehler brauchten Leos kleine Gefälligkeiten. Der alte Aubach und sein Sohn machten sich nicht gerade wenig Sorgen über die Entwicklung ihrer Investitionen in Griechenland. Zusätzlich war ein lokales Projekt, in das sie viel Geld gesteckt hatten, leider den Bach hinabgegangen . Der Leiter des Projektes hatte sich ins Ausland abgesetzt, und es bestanden nur geringe Chancen, dass sie ihr eingesetztes Kapital wiedersahen. Um Schadensbegrenzung bemüht, waren sie an Leo herangetreten und hatten ihn zum Essen in eine historische Wassermühle gebeten. Der war ihrer Einladung gerne gefolgt, wusste er doch ein gutes Essen jederzeit zu schätzen. Er hatte sein ganzes Material in eine unscheinbare Aktentasche gepackt und war nach Birgel gefahren.

Vielleicht ließe sich aus dem Inhalt tatsächlich etwas machen. Machen? Wie sich das anhörte! Natürlich hatte er nicht die Absicht, seine Informationen einer sensationshungrigen Presse zur Verfügung zu stellen. Viel mehr beabsichtigte er, hier und da gewisse Informationen zu verstreuen, um herauszufinden, wie bestimmte andere Marktteilnehmer darauf reagierten.

Leos Gehalt, beziehungsweise seine Ausgaben, gingen meist in die Tausende und eigentlich konnte Aubach und Mehler sich ihn überhaupt nicht mehr leisten. Die Geschäfte liefen schlecht. Aubachs Sekretärin hatte ihrem Chef eine genau Analyse der Kosten vorgelegt und ihm anhand der Zahlen eindeutig bewiesen, dass man zukünftig auf Leo verzichten müsse. Der alte Aubach hatte zunächst verständnisvoll gelächelt und zugestimmt, dann aber den Kopf geschüttelt und gemeint: „Nein, Doris. Dazu sind Leos Dienste einfach zu wertvoll für unsere Firma. Besser, ich schicke ihn noch einmal quer durch Europa, damit er seine persönlichen Kontakte pflegt. Und wenn er dann aus irgendeinem Nest in der Walachei gekrochen kommt und uns keine bahnbrechende Entdeckung mitbringt, dann können wir wenigstens sicher sein, dass er seine Nase so richtig tief in den Morast gesteckt hat.“

Doris war sichtlich überrascht gewesen „Ja, und...?“, hatte sie gefragt.

Wieder hatte der Alte nur gelächelt. „Dann ziehen wir ihm den Morast aus der Nase und lassen ihn in unserem Labor untersuchen. Irgend ein Goldkorn steckt immer darin. Leo ist ein Fuchs, der in jedes Dreckloch kriecht. Und darum brauchen wir ihn, verstanden?“

 

Die historische Wassermühle war bereits gut gefüllt, als Leo das Lokal betrat und sich zu den beiden Herren an den Tisch setzte. Horst Aubach schob sich die Lesebrille zurecht und ließ seinen Blick über die Speisekarte gleiten.

„Ohne Brille geht es leider inzwischen nicht mehr“, sagte er ein wenig verlegen und tat so, als könnte er sich nicht richtig entscheiden. „Ach, wissen Sie was, suchen Sie sich doch zuerst etwas aus, ich weiß sowieso schon, was ich nehmen werde.“

Er reichte Leo die Speisekarte und beobachtete ihn, wie er die Seiten überflog.

„Und? Haben Sie bereits etwas gefunden?“, fragte Aubach nach einer Weile.

Leo zuckte mit den Schultern. „Ich denke, ich werde die Seezunge nehmen“, sagte er, klappte die Karte zusammen und legte sie beiseite.

„Das ist eine gute Wahl“, bestätigte der Senior. „Ich nehme das Hüftsteak. Und wie ist es mit dir, mein Sohn? Hast du dir schon etwas ausgesucht?“

Rolf Aubach schaute seinen Vater an. „Also ich glaube, ich werde die Muscheln nehmen, auch wenn mir beim letzten Mal, als ich welche gegessen habe, schlecht davon geworden ist.“

Jetzt mussten sie alle lachen. „Wenn dir davon schlecht wir, warum isst du sie dann immer wieder?“, wollte der alte Aubach wissen.

„Weil ich sie liebe. Und jedes Mal denke ich: Heute wird mir davon bestimmt nicht übel.“

Er grinste seinen Vater an. „Weißt du, es gibt eben nichts Besseres als frische Muscheln. Dazu einen Salat und einen guten Wein. Apropos Wein – wollen wir nicht erst einmal einen guten Tropfen bestellen?“

Und genau das taten sie dann auch. Sie tranken und lachten. Zwischendurch schob Leo die mitgebrachte Aktentasche seinem Gegenüber zu. Mehr brauchte er nicht zu tun. Der alte Laubach nickte zustimmend mit dem Kopf. Das Geschäft war soeben über die Bühne gegangen. Zeit, sich dem wirklich hervorragenden Essen zu widmen.

„Wollen wir nachher noch einen drauf machen?“, fragte der junge Aubach, während sie genüsslich den Dessertwein schlürften.

Keine schlechte Idee, wie Leo fand. Ein Nachtleben in der Eifel wäre zwar zu schön, um wahr zu sein und Rolfs Vater hatte vermutlich schon aufgrund seines Alters wenig Lust, daran teilzunehmen. Aber Rolf, von den auf Firmenkosten bestellten Muscheln offenbar auf den Geschmack nach noch mehr Luxus gekommen, outete sich als Nachtmensch und führte Leo durch die unterschiedlichsten Lokale, bis sie schließlich im Club Envie in Niederprüm landeten und somit bei einer gewissen Gaby. Sie war neunzehn, schlank, blond, vollbusig und hockte „rein zufällig“ mit dem Prokuristen von Aubach und Mehler an der Bar. Rolf steuerte direkt auf die beiden zu und hatte ganz plötzlich so viel mit seinem Prokuristen zu besprechen, dass Gaby und Leo überflüssig geworden waren und sich dem zuwenden konnten, weswegen man sie zusammengebracht hatte. Leo gewann schnell ihre Zuneigung, beziehungsweise das, wofür sie bezahlt worden war, und es dauerte nicht lange, bis sie ihn aufforderte, mit zu ihr nach Hause zu gehen. So lag er jetzt bei ihr auf dem runden Wasserbett und erledigte seine Aufgabe. Es war wirklich eine Aufgabe, denn Gaby war wie ein Verzeichnis, aus dem man die Liquidität von Aubach und Mehler bezüglich ihrer Unternehmungen in Griechenland genauestens ablesen konnte. Was Leo auf Anhieb an ihr gefiel, war ihre Professionalität, die geschmeidige Geschicklichkeit, mit der sie sich ihrer Kleidungsstücke entledigte. Es gab kein ängstliches Getue, keine vorgeschobene Schüchternheit. Gaby war sich absolut sicher, was und wie sie es tat. Später gab sie einen glucksenden Ton von sich, schob das Hemd von seinen Schultern und legte ihren Kopf an seine Brust.

„Hast du etwas zu rauchen dabei?“, fragte sie. Leo nickte und deutete auf seine Jacke, die er salopp auf einen der Sessel geworfen hatte. Gaby stand kurz auf, drehte sich um die eigene Achse, damit er noch einmal ihren perfekten Körper bewundern konnte, ging zu dem Sessel, auf dem seine Jacke lag, fand die Zigarettenpackung in einer der Seitentaschen, steckte sich eine in den Mund, zündete sie an, zog den Rauch ein und kam zu ihm zurück. Ihre Augen funkelten, während sie mit seinem Brusthaar spielte und ihn dabei ansah.

„Seltsam, dass du den Namen Brigitte Dahlmann erwähnt hast“, sagte sie, bevor sie erneut an der Zigarette zog. Er hatte ihn nicht erwähnt, aber er erinnerte sich, dass Rolf Aubach irgendwann im Laufe des Abends von jener Dame gesprochen hatte. Und er hatte ihm daraufhin erklärt, dass er sie von früher her kannte und hoffte, sie irgendwann einmal wiederzusehen.

„Ist schon beinahe ein unglaublicher Zufall, dass du die Ministerin persönlich kennst“, fügte Gaby hinzu, und plötzlich bekam ihr Gesicht einen völlig veränderten Ausdruck. Bis jetzt war sie sanft wie eine Katze gewesen, doch nun blickte sie ihn mit weiblicher Raffinesse an, ganz so, als wolle sie ihm seine Gedanken entlocken.

„So etwas Besonderes ist das nun auch nicht, wenn man eine Ministerin kennt“, sagte Leo. Sie nickte und spielte weiter mit seinem Brusthaar.

„Ich meine nur, es ist seltsam, weil Brigitte meine Mutter ist und sie niemals erwähnt hat, dass sie dich kennt.“

„Wie bitte?“ Scheiße, Scheiße! Das war es also. Auf einmal schien alles falsch zu laufen.

„Brigitte Dahlmann ist deine Mutter?“

Dieser Umstand gefiel ihm überhaupt nicht, zumal er ihn prompt mit gewissen Dingen in Zusammenhang brachte. Die Erkenntnis war ernüchternd. Der wohlgeformte Mädchenkörper, der an ihm hing, bekam auf einmal einen Makel. Es war an der Zeit, in die Hose zu springen und zu gehen.

„Und was soll das ganze Theater?“, fragte er und spürte, wie nervös er jetzt war. Gaby zündete sich eine weitere Zigarette an und ließ die Asche einfach auf den Boden fallen.

„Einfach nur so zum Spaß! Ich wollte mal sehen, wie du reagierst, wenn ich es dir sage.“

Geschmeidig glitt sie aus dem Bett.

„Wenn es dir recht ist, so möchte ich jetzt gerne in aller Ruhe baden“, sagte sie bestimmt.

Das war ein glatter Rausschmiss. Leo antwortete nicht. Sie ging ins Bad. Er hörte, wie sie das Wasser in die Wanne ließ. Kurz darauf kam sie zurück. Noch immer sagte Leo kein Wort.

„Du kannst natürlich auch die ganze Nacht bei mir bleiben“, sagte sie in einem süßlichen Geschäftston. „Das kostet aber extra.“

Sie ging in die Hocke, kauerte sich neben ihn und fasste ihn an seiner empfindlichsten Stelle. Leo war der Spaß vergangen. „Ach, scher dich zum Teufel!“

Sie hob den Kopf und tat so, als würde sie jetzt erst bemerken, dass er wütend war. Sie zuckte mit den Achseln und erhob sich wieder. Mit wackeligem Po ging sie zurück ins Badezimmer. „Du weißt ja, wo die Tür ist“, sagte sie und winkte ihm Goodbye.

Leo zählte die Sekunden, gab ihr Zeit genug, um in die Wanne zu steigen. Dann stand er auf, warf sich in seine Klamotten und ging zur Tür. Sechsundzwanzig Jahre waren vergangen, seit er Brigitte Dahlmann zum letzten Mal gesehen hatte, und sechsundzwanzig Jahre waren eine verdammt lange Zeit. Da konnte alles Mögliche geschehen. Aus welchem Grund auch immer man die kleine Gaby auf ihn angesetzt haben mochte, die Botschaft war sonnenklar. Sie wollten, dass er Brigitte wiedersah.

 

Kennengelernt hatten sich Leo und Brigitte auf dem Bolzplatz, den Nachbarn der kleinen Reihenhaussiedlung gemeinsam angelegt hatten. Es war an einem lauen Juniabend gewesen.

Die Jugendlichen durften länger draußen bleiben, und Leo ging hinüber zum Bolzplatz, wo er seinen Freund Boris, seines Zeichens Torhüter der C-Jugendmannschaft, quasi aus dem Netz schießen wollte.

„Ich glaube, da wird heute nichts draus“, begrüßte ihn Boris mit süß-saurer Miene. „Der Platz ist besetzt. Die Mädels spielen Tennis!“

Mit Mädels meinte er Silvia Hartwig und besagte Brigitte Dahlmann, die allerdings damals noch von Siepen hieß. Sie hatten quer über den Bolzplatz ein Netz gespannt und mit einem Stock die Platzumrandung sowie die Einteilung der Spielfelder in den Sand geritzt. Leonard konnte es kaum glauben. Mussten die denn unbedingt heute Tennis spielen?

Brigitte war zwei Jahre älter als er, was für ihn damals fast soviel wie eine Ewigkeit ausmachte. Und sie verfügte bereits über gut ausgebildete weibliche Formen, wie er sogleich feststellen sollte. Als er sich dem Bolzplatz näherte, hörte er eine Männerstimme rufen: „Klasse Ball, genau parallel zur Linie gespielt! Aus dir kann noch etwas werden.“

Die Stimme gehörte Stefan Beinlich, einem vorlauten Jungen aus der Nachbarschaft, den sie alle nur Peinlich riefen. Allerdings war Stefan schon siebzehn und hatte den Stimmbruch längst hinter sich gebracht.

Dann ging Brigitte ganz dicht ans Netz heran, und Leo sah sie zum ersten Mal aus nächster Nähe. Sie trug einen knappen weißen Rock und ein enges weißes T-Shirt, ohne BH, was wohl den Tennisdress ersetzen sollte und ihre Attribute so richtig zur Geltung brachte. Sie war hübsch. Dies war der Augenblick, in dem er verstand, wann eine Frau wirklich hübsch war. Es war der Charme ihrer geschmeidigen Bewegungen, die Ausstrahlung, die aus ihrem Innern kam. Bisher hatte er eine Frau für attraktiv gehalten, wenn sie einen großen Busen hatte und aufreizend mit dem Hintern wackeln konnte.

Brigitte gewann den ersten Satz locker mit sechs zu zwei, danach ging es erst einmal in eine kleine Pause, bevor die Seiten gewechselt wurden. Als Silvia und Brigitte an den Spielfeldrand kamen, zogen Boris und Leo schnell ihre Bäuche ein, um zu zeigen, was für sportliche Typen sie waren.

„Na was ist, Lust auf ein Doppel, Jungs?“, fragte Sylvia und kicherte. Jetzt saßen sie in der Bredouille. Gegen diese beiden Mädchen hatten sie nicht die geringste Chance.

„Höchstens auf ein Gemischtes, und auch nur dann, wenn der mitspielt“, antwortete Leo schnell und deutete auf Stefan Beinlich.

„Und ich mache den Schiedsrichter“, sagte Boris.

„Dann ist ja alles bestens. Wollen wir auslosen, oder stehen die Paarungen bereits fest?“, fragte Beinlich gelassen.

„Ich würde sagen, Brigitte spielt mit Leo zusammen, und wir beide bilden das andere Team“, schlug Sylvia vor. „So sind wir zumindest altersmäßig einigermaßen ausgeglichen.“

Brigitte, die zuerst nicht unbedingt mit dem jüngeren Leo hatte zusammen spielen wollen, willigte schließlich ein. Es war ja nur ein einfaches Tennismatch, weiter nichts.

Und doch legten sie los wie die Feuerwehr. Für Leo schien es einer der wenigen Tage zu sein, an dem ihm alles gelang. Sein Service und seine Vorhand kamen wie eine Eins. Der lange Peinlich rannte dem Ball nach und stolperte direkt ins Netz. Sylvia warf ihm einen wütenden Blick zu und Leo hätte sich totlachen können, während Brigitte ihn aufs Neue zu Hochleistungen antrieb. Sie gewannen den ersten Satz und dann das Spiel. Anschließend ging jeder für sich zum Duschen nach Hause, und danach traf man sich in der kleinen Milchbar bei Renate an der Ecke.

Die Bar erinnerte stark an ein amerikanisches Diner, mit bequemen Sitzgelegenheiten aus rotem Kunstleder. Der zentrale Anlaufpunkt jedoch war die kleine Rock-Ola Musikbox, die an der Wand hing und bis zu 100 Musiktitel abspielen konnte.

Brigitte sah hinreißend aus. Sie trug ein weißes Sommerkleid mit roten Punkten. Sie strahlte Leo an, als sie kam, und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Gut gemacht Kleiner“, säuselte sie verführerisch, und Leo war hin und weg gewesen. Ihm war es so vorgekommen, als könne er von nun an in die Welt hinaustreten und endlich erwachsen werden. Er war verliebt und hatte Peter Maffay´s „Und es war Som-mer“ bis zum Abwinken gehört. Doch leider hatte der Sommer nicht ewig gedauert. Sie hatten sich noch ein paarmal getroffen, am Badesee, in der Disco, aber dann war der Sommer vorbei und Brigitte musste zurück ins Internat.

Das war vor sechsundzwanzig Jahren gewesen.

Die Milchbar an der Ecke Trierer-Straße war längst verschwunden. Die Besitzer des Lokals hatten mehrfach gewechselt und ihrer Umbauwut freien Lauf gelassen. In den letzten Jahren allerdings war an Ort und Stelle wieder eine gemütliche Eifelkneipe entstanden. Geuerich lautete der Name und der aktuelle Besitzer hieß Günnie.

Und Leo fragte sich, warum seine Vergangenheit ausgerechnet jetzt wieder ausgegraben wurde. Es gab Dinge, die er einfach vergessen hatte und andere, an die er sich noch erinnerte, die aber schon längst verschwunden waren. Liebschaften, die nicht mehr weh taten und irgendwie bedeutungslos geworden waren.

Aber waren sie auch für andere bedeutungslos? Oder gab es ein wichtiges Detail, das er vergessen hatte und das ihm jetzt gefährlich werden konnte?

 

 

 

Zweites Kapitel

 

Stefan Beinlich war zu Fuß unterwegs. Zum einen hatte seine alte Karre den Geist aufgegeben, zum anderen wollte er nachdenken, und das wiederum tat man am besten an der frischen Luft. Irgendwie hatte er in letzter Zeit das Gefühl verfolgt zu werden, auch wenn es zunächst keine konkreten Anhaltspunkte gegeben hatte, aber das Gefühl war da gewesen. Und diesmal war er sich ganz sicher. Zum x-ten Male drehte er sich um. Er sah den Mann aus dem kleinen Lebensmittelgeschäft kommen, wo er zuvor ein paar Früchte gekauft hatte. Stefan beschleunigte seine Schritte, dann blickte er wieder zurück. Der Mann blieb hinter ihm. Es gab keinen Zweifel, dass der Kerl ihn verfolgte. Bereits in dem Obstladen hatte ihn dieses unschöne Gefühl beschlichen. Er hatte die Bananen bezahlt und so schnell wie möglich den Laden verlassen. Der Kerl war eindeutig hinter ihm her.

An der nächsten Straßenkreuzung mischte sich Stefan unter die wartende Menschenmenge. Als die Ampelanlage auf Grün schaltete, überquerte er die Firmungstraße. Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich das Einstein. Sollte er es versuchen? Hineingehen, sich noch einen genehmigen, und die Angelegenheit auf sich zukommen lassen? Oder sollte er sich lieber schleunigst davonmachen? In der Nähe des Brunch-lokals befand sich die Bushaltestelle. Mit ein wenig Glück würde er einen schnellen Anschluss bekommen und dann... wäre er weg.

Stefan ging ins Einstein. Was immer der Kerl von ihm wollte, hier gab es wenigstens Zeugen. Bernd, der Besitzer und Barmann, stand hinterm Tresen und zapfte Koblenzer Bier. Stefan nickte ihm kurz zu und suchte nach einem freien Platz. Dabei ließ er seinen Blick durch das Lokal schweifen. Ohne Erfolg. Es war niemand anwesend, den er kannte. Er setzte sich auf einen freien Barhocker am Ende der Bar. Und dann war doch jemand da, den er kannte. An dem Tisch auf der gegenüberliegenden Seite saß Gerda, eine aufgetakelte Blondine, die auch bereits bessere Tage gesehen hatte. Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Stefan hob seine Hand zu einem nichtssagenden Gegengruß, wechselte aber schnell seinen Blick von der alternden Kleinstadthure zu Bernd und bestellte ein Helles. Hinter ihm knarrte die Eingangstür. Stefan starrte in den Spiegel hinter der Bar. Jetzt sah er, wie der Typ, der ihn verfolgte, den Schankraum betrat. Wollte er wirklich etwas von ihm oder nicht? War das überhaupt die Art von Mann, die sie ihm hinterherschicken würden? Wie ein Geldeintreiber sah er nicht aus. Auch nicht wie ein Detektiv oder ein Polizist. Zu elegant, zu bieder. Schlank, etwa 180cm groß, gewelltes, graues Haar, gepflegtes Äußeres. War das die neue Generation? Typ Geschäftsmann, der in einer Kneipe ein Gespräch anknüpfte und dann - peng! Eine Kugel aus einer versteckten Waffe mit einem Schalldämpfer? Stefan behielt den Kerl im Auge. Jetzt ging er langsam auf den Tresen zu, blickte sich um, erkannte ihn, senkte seinen Blick, nahm sich einen freien Hocker und setzte sich an die andere Seite der Bar.

Auffälliger ging es schon gar nicht mehr. Was wollte der Kerl bloß? Oder war der gar vom anderen Ufer? So etwas sollte es ja auch geben, und anscheinend gingen die immer dreister zu Werke, um Gleichgesinnte zu finden. Stefan zermarterte sich das Gehirn. Es wäre natürlich wesentlich besser, wenn er zu der Gattung „Warmer Bruder“ gehören würde. Dann würde er ihn einfach abwimmeln und das war`s. Er nippte an seinem Gerstensaft. Der Unbekannte gab Günnie ein Zeichen, stand langsam auf und kam auf ihn zu. Jetzt war es also so weit. Jetzt würde er erfahren, was der Typ von ihm wollte. In Gedanken ging Stefan seine letzten krummen Geschäfte durch, von denen die Polizei erfahren haben könnte, und sann bereits über die sichersten Ausreden nach.

Der Mann setzte sich auf den Hocker unmittelbar neben ihm, blickte ihn an und begann zu sprechen.

„Ich bitte vielmals um Entschuldigung. Sind Sie Stefan Beinlich?“

„Ja, der bin ich, und wer möchte das bitteschön wissen?“ Stefan gab sich betont lässig.

„Mein Name ist Peter Dahlmann. Ich bin der Ehemann von Brigitte Dahlmann.“

Stefan wusste nicht, was er von seinem Gegenüber halten sollte. Dessen Stimme klang ruhig, freundlich, beinahe schon hoffnungsvoll.

„Sie sind doch mit Brigitte befreundet, nicht wahr?“

Stefans Gedächtnis arbeitete auf Hochtouren. Was wollte dieser Kerl von ihm? Von welcher Frau redete der?

Wie viele Frauen mit dem Namen Brigitte kannte er? Brigitte von Siepen fiel ihm ein. Eine hübsche Blondine mit üppigen Formen. Wenn er sich recht erinnerte, war er sogar damals ziemlich in sie verliebt gewesen, auch wenn sich niemals etwas Ernsthaftes ergeben hatte. War die etwa gemeint?

„Äh... ja, das könnte man so nennen“, antwortete Stefan vorsichtig.

„Dann kennen sie sicher auch ihre Freundin Sylvia. Sie hat mir von ihnen erzählt. Sie meinte, sie könnten mir eventuell weiterhelfen ... Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir uns für einen kurzen Augenblick an einen freien Tisch setzen? Da spricht es sich leichter.“

„Aber sicher, kein Problem“, erwiderte Stefan und griff nach seinem Bierglas. Der Mann nickte ihm zu und deutete auf den Tisch zu seiner Linken, von dem sich gerade ein Pärchen erhob. Stefan spürte, wie eine Last von ihm abfiel. Niemand wollte ihm etwas anhängen. Es ging um etwas ganz anders. Jedenfalls um keines der trüben Geschäfte, in die er verwickelt war. Er folgte dem Mann zum Tisch, und sie setzten sich. Wesentlich entspannter lehnte er sich in den Stuhl zurück.

„Ich war mir zuerst gar nicht sicher, ob Sie überhaupt der richtige Stefan Beinlich sind.“

„Der richtige wofür?“

„Nun, ich selbst habe Sie nur einmal, ganz zu Beginn meiner Ehe, in unserem Haus gesehen. Brigitte hatte Sie mitgebracht, erinnern Sie sich?“

„Hm... gut möglich. Ist alles schon so verdammt lang her.“

„Sylvia hat Sie mir genau beschrieben und wir haben versucht, Sie telefonisch zu erreichen. Leider ohne Erfolg. Also habe ich direkt nach Ihnen Ausschau gehalten.“

„Da haben Sie aber Glück gehabt. Also, was kann ich für Sie tun, Herr Dahlmann?“

„Es geht um Brigitte. Sie sind doch mit ihr befreundet!“

„Befreundet? Na ja, wir haben uns früher ein paar Mal getroffen.“

„Das heißt, im Moment haben Sie keinen Kontakt zu ihr?“

„Nein. Es muss Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte her sein, dass ich sie zum letzten Mal gesehen habe.“

In Dahlmanns Blick lag Enttäuschung. „Wissen Sie, ich hatte mir gedacht, Sie könnten Brigitte eventuell dazu überreden, sich bei mir zu melden. Sie hat mich im Streit verlassen.“

Stefan entspannte sich zusehends. „Sylvia hat Ihnen also von mir erzählt, sagen Sie. Was denn genau?“

„Eigentlich nur soviel, dass Sie Brigitte näher kennen würden.“

„Da hat die gute Sylvia ein wenig übertrieben. Wir haben mal einen Sommer lang ziemlichen Spaß zusammen gehabt. Das ist aber auch schon alles.“

„Kennen Sie denn niemand, der weiß, wo sie steckt und ihr ein bisschen zureden könnte ...?“ Der hoffnungsvolle Ausdruck in Dahlmanns Augen war verschwunden.

„Leider nein“, erwiderte Stefan. „Warum ist sie überhaupt abgehauen?“

„Familienstreitigkeiten, dass sagte ich doch bereits“, erwiderte Dahlmann kleinlaut. Bernd kam an den Tisch und brachte einen Cognac.

„Darf ich Ihnen auch noch etwas bestellen?“, fragte Dahlmann.

Stefan verneinte. Sein Glas war noch halb voll.

„Eigentlich bin ich ja schon froh, dass Sie mir überhaupt Gehör schenken.“

„Wieso?“

„Nun ja, Brigittes Parteifreunde waren nicht gerade gesprächsbereit. Die dachten wohl, ich würde mich zu sehr in ihre Angelegenheiten einmischen.“

„Was man ihnen sicher nicht verdenken kann, oder?“

„Wenn ich da noch an früher denke ... wir haben uns immer so gut verstanden.“ Dahlmann seufzte. Stefan wurde die Situation allmählich peinlich. Am liebsten wäre er gegangen, allerdings widerstrebte ihm der Gedanke irgendwie, Dahlmann hier einfach alleine sitzen zu lassen. Also hörte er weiter zu.

„Ich würde sie ja selber suchen gehen, aber wissen Sie, meine Frau steht im Interesse der Öffentlichkeit. Da hätte ich allzu schnell die Presse auf dem Hals.“

„Ich verstehe.“

Ein erneuter Seufzer folgte.

„Sie hätten nicht zufälligerweise Zeit, Herr Beinlich?“

„Ich ...? Nun ja ...“

Dahlmanns Gesicht erhellte sich schlagartig. „Ich würde Sie auch angemessen bezahlen.“

Stefans Herz schlug schneller. Geld hörte sich immer gut an. Das war vielleicht eine Gelegenheit. Zeit besaß er im Moment mehr als genug, denn Arbeit hatte er keine. Und eine Idee, wo er ansetzen konnte, war ihm gerade gekommen. Außerdem wollte er Koblenz sowieso für eine Zeitlang den Rücken kehren. Warum also nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen?

Er starrte auf die Armbanduhr, die Dahlmann um sein linkes Armgelenk trug. Sie war aus Gold, da war er sich sicher.

„Ich denke, es sollte gehen“, sagte er.

„Ich bin hocherfreut“, erwiderte Dahlmann. „Darauf müssen wir anstoßen.“

Es sollte nicht der letzte Drink sein, den sie an diesem Abend zu sich nahmen. Stefan kam erst kurz vor Mitternacht nach Hause. Dahlmann hatte sich noch angeboten, ihn in seinem Wagen mitzunehmen, aber Stefan hatte mit den Worten abgelehnt, dass ihm ein nächtlicher Spaziergang nicht schaden würde. Der eigentliche Grund war natürlich, dass er sein Zuhause niemandem zeigen wollte. Diese Bezeichnung war für seine Bruchbude ohnehin stark beschönigend. Absteige wäre eher angebracht gewesen. Aber was sollte es. Er hatte gerade einen finanziellen Engpass und konnte sich nichts anderes leisten. Außerdem hatte er gewusst, dass er nicht lange hier bleiben würde. „Irgendetwas geht immer“, lautete seine Philosophie. Und diesmal hatte ihm das Schicksal den Ehemann einer Ministerin gebracht.

 

 

 

 

Samstag