Runenschicksal-s

Runenschicksal

Fantasy Novelle


Tanja Rast


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©Tanja Rast

Machandel Verlag

Haselünne

Cover: Sylvia Ludwig, Basis-Material: www.shutterstock. com

Innen-Illustrationen: Barandash Karandashich, www.shutterstock. com

2017

ISBN 978-3-95959-052-5

Nachwort und Danksagung

 

Für „Runenschicksal“ habe ich mich an den der Nachwelt überlieferten zwei Edda-Versionen orientiert (Snorra-Edda von Snorri Sturlason, ca. 1220 geschrieben, auch Jüngere Edda genannt, da sie sich auf Lieder in der ca. 1270 verfassten Lieder-Edda bezieht, obwohl diese – auch Ältere Edda genannte – Sammlung später entstanden ist). Beide wurden im christianisierten Island niedergeschrieben. Beide behandeln nordische Götter- und Heldensagen, also die Geschichten rund um Odin, die Weltenschöpfung, Ragnarök sowie die Sigurdsage und Ähnliches. Der große Nachteil dieser Werke liegt darin, dass sie Jahrhunderte nach der Wikingerblütezeit geschrieben wurden und ziemlich gewiss christlichem Einfluss unterlagen.

Am Beispiel der Alfen (Zwerge und Elfen) wurde dies für mich besonders deutlich. Liusalfheim wird teilweise als Sitz des Asen Freyr bezeichnet, nicht als eigenes Reich unter jenen Neun Reichen (Asgard, Liusalfheim, Wanenheim auf der oberen Ebene, Midgard, Jötunheim, Muspellsheim in der Mitte und Helheim, Niflheim und Svartalfheim in der unteren Ebene) der Weltenesche Yggdrasil. Speziell beim Verfasser Snorri (Jüngere Edda) muss man davon ausgehen, dass er die Trennung in die Dunklen, Bösen und die Lichtgleichen aus christlicher Motivation vornahm. Teufel und Engel.

Durch die späte Erhöhung der Lichtalfen zu einem eigenen Volk, wie ich es für meine Geschichte ebenfalls nutze, stieß ich auf ein unerwartetes Problem: Namen. Außer Freyrs Diener Byggvir und seine Frau Bejla wurde ich nicht fündig. Ich habe mich also nordischer Namenslisten bedient und vor allem Namensnennungen von Runensteinen genutzt, die mir unter Berücksichtigung der Entstehungszeit der beiden Edda-Werke zuverlässig schienen, echte nordische Namen zu liefern.

Auch Svartalfheim und damit die Zwerge finden sich nur in der Snorri-Edda. Sehr gut möglich, dass Snorri auch dieses Volk geschaffen hat, ohne dass es in der wirklichen nordischen Mythologie, für die es keine Schriftzeugnisse gibt, dieses Reich gegeben hat. Obendrein gestaltete sich meine Namenssuche für die Zwerge schwierig. Zwar stehen in der Völuspa siebzig Zwergennamen, doch musste ich erst mit einem Lord-of-the-Rings-Wiki abgleichen, welche dieser Namen Tolkien bereits verwandt hatte. Nicht, weil er ein Monopol auf diese besäße, sondern weil sehr viele Leser einen Thorin sofort als Tolkien-Figur identifizieren würden. Dieser Name kommt bereits in der Völuspa vor und bedeutet „der Tapfere“. Passt doch!

Die Riesen machten es mir etwas leichter, auch wenn in den aktuellen Marvel-Verfilmungen die Riesin Laufey mit einem Mal zu König Laufey wurde.

Quellenforschung macht Spaß, habe ich wieder einmal für mich festgestellt.

 

Mein Dank gilt Sabrina Železný, die mich bei der grundsätzlichen Planung dieses kleinen Romans maßgeblich unterstützte und anfeuerte.

 

Weiterer Dank schleicht Helen B. Kraft, Tina Alba und Lisande hinterher, bei denen ich mich vertrauensvoll ausheulen durfte, wenn mein Wikingerroman mal nicht so wollte, wie ich es geplant hatte. Helen hat mich zwischendurch sogar energisch mit einem Schokogramm angefeuert. Dankeschön auch an Corinna Inderst, die meinen Romananfang fachfraulich zerpflückte und mich auf den rechten Weg zurückführte.

 

Runenschicksal erschien im März 2015 zuerst im Verlag Mondwolf, der sich zu der Zeit schon in so unruhigem Fahrwasser befand, dass er im September des gleichen Jahres seine Pforten schloss. Mein besonderer Dank gilt also Charlotte Erpenbeck, Meiner Verlegerin im Verlag Machandel, die sich des heimatlosen Wikingerromans annahm, ihm ein neues Zuhause, ein frisches, knackiges Lektorat und Dank Sylvia Ludwig von Cover für Dich mit einem neuen, wundervollen Cover verschaffte.

Die Weissagung

 

Zu diesem Kind ein zweites auf Midgard gelebt

Erkennen sich da beide dereinst füreinander geboren

Doch ist es die Zeit von Feuer, Blut und Axt.


So werden sie treten vor der neun Welten Ursprung

Wo der aus dem Nebel und der aus der Nacht gewartet

Die Aufgabe der Götter, der Liebe Preis

Ragnvald und Grima Seite an Seite.

 

 

 

 

1. Runenschicksal

 

Dunkelrosa leuchteten die Wolken am stahlblauen Himmel, ihre oberen Wölbungen, die wie eine Hügelkette wirkten, wie mit feiner, pudriger Asche belegt.

Grima blieb am Rande einer dunkelgrünen Wiese inmitten aufragender Felsklippen stehen, stützte sich schwer auf ihren Wanderstab und legte den Kopf in den Nacken. Das Wirken der Asen, so meinte sie, musste in der Natur zu erkennen sein. Kleinigkeiten mochten es nur sein, doch wenn Grima meinte, eine solche zu entdecken, lächelte sie.

Einen Augenblick wanderten ihre Gedanken zurück in der Zeit. Doch dann schüttelte sie energisch den Kopf. Es gab Wichtigeres zu tun, als Wolken zu bestaunen. Zuallererst einmal bedeutete dieser Abendhimmel, dass sie sich um ein Nachtlager zu sorgen hatte und nicht an ein Versprechen denken sollte, das fast sechs Jahrzehnte in der Vergangenheit lag.

Sie zählte die Jahre jetzt so eifrig, wie sie es als Kind getan hatte. Nur war damals die Zeit so viel langsamer vergangen, während die Jahreszeiten nun an Grima vorbeiflogen. Herbst stand vor der Tür, Winter folgte ihm auf den Fersen. Jahreszeiten, die sie zu fürchten gelernt hatte, wenn die Sonne kaum noch durch Wolken blinzelte und die Tage schmerzhaft kurz blieben.

Ein gelebtes Leben, das sich seinem Ende näherte, und trotzdem hielt Grima an dem fest, was am Tag ihrer Geburt aus den Runenknochen gelesen worden war. Es musste wahr werden, da es ein Versprechen der Götter war. Und bis dieses Versprechen endlich erfüllt wurde, hielt sie gefälligst den Kopf hoch und machte sich nützlich.

Sie seufzte, drückte eine Hand in den schmerzenden unteren Rücken und musste unwillkürlich grinsen, als sie sich vorstellte, was für ein Bild sie abgab. Hier stand Grima, selbst im Alter noch voller Hoffnung und ohne den geringsten Funken Weisheit. Nur Geduld hatte sie gelernt – ein wenig. Sie blickte noch einmal auf zu den Wolken und schüttelte den Kopf. Die Wolkenfetzen über ihr mochten ein Zeichen sein. Aber vielleicht waren es auch einfach nur Gespinste des nahenden Abends. Bislang waren sie nie etwas anderes gewesen.

Sie stapfte weiter, hielt nach einem Unterschlupf Ausschau und dachte, wie so oft in den letzten Jahren, an früher. Als junge Frau hatte sie so oft Männer nach deren Namen gefragt. Eine stattliche Figur mit breiten Schultern und schmalen Hüften hatte für diese Frage ebenso oft genügt wie ein blitzartiges Lächeln und hellwache Augen. Doch nie hatte sie die Antwort erhalten, auf die sie ungeduldig gewartet hatte.

Nun, Geduld, so sagten die Skalden und jene, die noch älter waren als Grima, kam mit dem Alter. Obwohl die Tage ihr zwischen den Fingern zerrannen wie Strandsand, brachten die Jahre tatsächlich ein ruhigeres Abwarten mit sich.

Es war versprochen, und das musste Grima genügen. Es hatte ja nichts in der Prophezeiung davon gesprochen, dass die gemeinsame Zeit lang sein würde. Auch wenn dieser Gedanke an jedem Herbstmorgen und noch schlimmer zu Beginn eines jeden Wintertages immer bitterer schmeckte.

Sie blieb stehen, als sie Rauch witterte. Scharf, nicht der Duft eines Lagerfeuers. Ihr Herzschlag beschleunigte sich. Langsam drehte Grima sich im Kreis und spähte zum Himmel, ob sie irgendwo eine dunkle Wolke ausmachen konnte.

Tatsächlich. Ein Stück weg in den Hügeln zur Nachtseite sah sie eine schwarze Säule, die sich in der beinahe vollkommenen Windstille ungestört gen Wolkendecke auftürmen konnte.

Grima wusste, was dies wahrscheinlich bedeutete. Die Ernte war mager ausgefallen, Vorräte knapp. Hungrige Menschen oder solche, die wussten, dass sie im Winter aus Nahrungsmangel sterben würden, begingen mitunter aus Verzweiflung geboren grausame Taten. Nichts Neues in den Nordlanden, in denen die Männer auf See fuhren, um die Reichtümer fremder Küsten heimzubringen. Grimas eigener Vater war auf See geblieben – oder in einem Kampf auf fremdem Boden gefallen. Von seinem Boot war niemand zurückgekehrt, der von seinem letzten Kampf hätte singen können.

Sie setzte sich in Bewegung, während vor ihrem geistigen Auge das strenge Gesicht des Vaters auftauchte. Unter dem Helm, halb von dem Augenschutz verborgen, sodass es nur aus feuerrotem Bart und glitzernden Augen zu bestehen schien. Grima zwinkerte die Erinnerung fort. Er war ein ebenso harter Mann gewesen wie alle, die auf der kargen Scholle kein Auskommen mehr fanden. Doch wenigstens hatte er keine Nachbarn überfallen, sondern lediglich sein Glück an fremden Stränden gesucht.

Der Wanderstab pochte auf den weichen Wiesenboden, dann veränderte sich der Klang, als Grima einen Pfad fand, der zwischen den Klippen entlanglief, wie eine Schlange sich winden mochte, um Hindernissen auszuweichen.

Der Himmel wurde dunkler, erschwerte ihr die Sicht. Stille umfing Grima, und sie horchte umso angestrengter, je näher sie dem Ursprung der Rauchsäule kam. Vorsichtiger waren ihre Schritte jetzt, doch war das Unglück schon geschehen, und Grima nahm an, dass ihr selbst keine Gefahr mehr drohte, wenn sie sich zeigte. Ein Dorf, ein einsamer Hof, das könnte der Ort sein, den sie bald erreichen würde. Genau genommen die Überreste einer solchen menschlichen Ansiedlung. In der es wahrscheinlich keine Überlebenden gab, Grima vernahm keinen Kampflärm, keine Schreie. Ihr rannten nicht in wilder Angst Frauen oder Kinder entgegen. Kein Tier brüllte in Furcht oder Verzweiflung.

Einen kleinen Hang galt es nun zu bewältigen, und Grima rückte ihr Bündel zurecht, umklammerte den Wanderstab und machte sich behutsam an den Abstieg, da der Weg nach unten hin jetzt vollkommen im Dunkeln lag und sie ihn fast erfühlen musste. Falls unter der Rauchsäule doch noch jemand lebte, hatte dieser nichts davon, wenn Grima sich ein Bein brach, selbst hilflos am Boden lag und auf Rettung hoffen musste. Was für ein Ende ihrer Suche wäre das?

Sie kam heil auf sandigem Boden an, atmete auf und stapfte weiter. Das Bedürfnis, irgendwie Leid zu mindern, wuchs mit jedem Schritt. Grima wusste, was Hunger bedeutete, wie schmerzhafte Kälte sich in die Gelenke fraß.

Der Pfad wurde breiter, als ein zweiter in ihn mündete. Wege von Bauern, Jägern oder Frauen, die Beeren, Wurzeln, Pilze gesammelt hatten, bevor ihre Nachbarn über sie gekommen waren.

Eine letzte Baumreihe, dann eine geflochtene Palisade, die Ruten wie die Wollfäden einer Webarbeit zwischen schlanke, junge Bäume gelegt. Grima folgte der Einzäunung, hinter der Holz im Feuer knackte. Immer noch kein menschlicher Laut. Kein Wimmern, keine Hilferufe. Sie fand eine Pforte, die leicht nach außen aufschwang.

Ein Dorf hatte hier geschützt zwischen Felsen wie in einer Suppenschüssel auf sattem Weideland gelegen. Jetzt blieben nur rauchende Trümmer, vom Feuer verkrümmte Leiber. Die Flammen loderten nicht länger wild, sie schwelten nur noch, flackerten kurz auf, wenn ein Windstoß in die Ruinen fuhr.

Grima bewegte sich behutsam vorwärts, spähte in die Ruinen, die vor Kurzem noch Heimstätten gewesen waren. Zerschlagene Tontöpfe, verwaiste Herde, in denen nun ein ganz anderes Feuer brannte. Außer den Geräuschen der sterbenden Bauwerke vernahm Grima keinen Laut. Sie wusste, dass sie dankbar sein sollte, das Dorf nicht früher erreicht und um einen Schlafplatz für die Nacht gebeten zu haben. Gastfreundschaft hätte ihr ein Lager in der Gemeinschaft einer Familie gegeben. Mit Vater, Mutter und Kindern auf Fellen rechts und links des Feuers. Gemeinschaftliche Wärme, die die Nachtkühle fernhielt.

Aber nicht den Tod.

Ein Schauder überlief Grima. Wann war der Überfall geschehen? Während der Vorbereitungen für die Abendmahlzeit? Zu einer Stunde, da die Kleinsten des Dorfs bereits in ihren Schlaflagern lagen und schliefen? Kurz bevor die Männer einen letzten Gang um das Haus vornahmen, um nach den Tieren zu sehen, Gatter und Türen zu überprüfen?

Langsam bog Grima um eine geschwärzte Hausecke und blieb wie angewurzelt stehen.

Vor ihr lag ein kleiner Dorfplatz, von den Häusern durch weitere Flechtzäune abgegrenzt. Ein Weidezaun mit einem zerschmetterten Tor grenzte an diesen sandigen Platz. Die Weide war leer, die Tiere vermutlich geraubt oder hastig in Sicherheit gebracht, als die Übermacht erkannt wurde. Sie zwinkerte. Wie töricht, jetzt über Schafe und Rinder nachzudenken. Doch der sich ihr bietende Anblick stiftete ihren Verstand an, Ablenkung zu suchen.

Auf einem umgestürzten Runenstein saß eine bärenhafte Gestalt. Grima sah rußbeschmiertes Metall im Aufflackern der Glut rötlich blinken, nahm einen langen Pelzmantel wahr und erfasste auch die große Kriegsaxt, die zu Füßen des Mannes lag. Das Schwert stak im Erdboden, die Hand des Mannes ruhte auf dem Heftknauf. Eine große, schwere Hand mit langen, kraftvollen Fingern.

Behutsam trat Grima näher, bis der Krieger den Kopf hob, da er ihre Schritte vernahm.

Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als der klarblaue Blick auf sie fiel. Das einzig Lebendige, so schien es ihr, in einem alten Gesicht, das wettergegerbt wirkte, hart wie der Fels, der das Dorf umgab. Doch die Augen leuchteten wie der Sommerhimmel. Tiefblau und rein, von Runzeln umgeben, vom eisgrauen Bart in ihrer leuchtenden Farbe noch betont.

Grima wurde von einer Überzeugung erfasst, die härter war als die felsigen Knochen des Landes, stärker als die Klinge aus dem Schmiedefeuer und lauter als der Donner, den der Hammer Thors verursachte. Ihr Herzschlag gewann an Kraft und schien ihren Brustkasten sprengen zu wollen. Von ganz alleine grub sich ein Lächeln in ihre Mundwinkel. Sie musste die Frage stellen, deren Antwort sie zu kennen glaubte.

„Bist du Ragnvald?“

Es konnte niemand anderer sein, Grimas Herz kannte die Wahrheit mit vollkommener Gewissheit. Blass schienen dagegen sogar die Deutungen, die der Skalde damals vor so vielen Jahrzehnten den Runenknochen gegeben hatte. Auf schwarzem Pelz hatten sie gelegen, vom Licht des Herdfeuers rot beleuchtet. Grima kannte dieses Bild aus den Erzählungen der Mutter, und es hatte sich ebenso fest in ihr eingebrannt wie der Name des großen Kriegers vor sich. Denn Odin hatte den Menschen die Runen, das Verständnis der Schrift, Lieder und Gesänge gebracht. Wie konnte ein Zeichen des Walvaters irren?

Sie fühlte sich beschwingt, beinahe nach Tanzen und Singen. So albern wie ein Mädchen, dabei hatte sie gedacht, die Jahre hätten ihr das endlich ausgetrieben.

Ein Blick in die Augen des Kriegers hatte Grima genügt, um die Überzeugung zur Vollkommenheit zu erhärten. Nie zuvor war ihr ein Anblick derart unter die Haut gegangen. So oft hatte sie fremde Männer nach ihrem Namen gefragt, nur weil die großen Kerle ihr gefielen. Doch hier war mehr. So viel mehr. Eine Vertrautheit im klarblauen Blick im wettergegerbten Gesicht über einem silbernen Vollbart. Nun weiteten seine Äugen sich, als hätte auch Ragnvald kaum noch auf diese Begegnung zu hoffen gewagt. Vor allem nicht unter diesen Vorzeichen, dachte Grima, sich der schwelenden Ruinen hinter sich bewusst.

Der Mann erhob sich in einer raschen, aber dennoch würdevollen und nicht hastigen Bewegung. Seinem Alter angemessen und doch so viel kraftvoller, als Grima erwartet hatte. Ragnvald hatte hier gekämpft, seine Heimstatt zu verteidigen versucht.

Er musterte Grima von oben bis unten, räusperte sich und flüsterte rau: „Du bist Grima?“

Sie nickte nur. Sprechen konnte sie jetzt beim besten Willen nicht mehr. Hatte sie ihn sich so vorgestellt? Das Zusammentreffen auch nur annähernd so erwartet? Nein, weder – noch. Sie hatte als junges Mädchen von einem strahlenden Recken geträumt. Doch sie waren beide alt geworden und hatten lange auf dieses Treffen gewartet. Das Lächeln zitterte auf ihren Lippen, ließ sich doch nicht bändigen oder gar vertreiben.

Sanft schlossen Ragnvalds Hände sich um Grimas. Groß, warm und mit unverkennbarer Kraft in ihnen, die sie spürte, obwohl er so behutsam war. Sie fühlte die Schwielen an jedem einzelnen Finger und wusste mit einem Mal, dass das unendlich lange Warten sich gelohnt hatte. Fast kam sie sich wieder wie ein junges Mädchen vor, ein wenig befangen, und ganz bestimmt würde sie stottern, wenn sie auch nur versuchte, ein einziges Wort hervorzubringen. Sie sprach trotzdem.

„Ragnvald.“ Der Name, den sie so oft vor dem Einschlafen wie einen Zauberspruch geflüstert hatte, damit der kommende Tag ihr vielleicht endlich die Begegnung mit dem Krieger ihrer Träume und des Runenspruchs bringen würde.

Jetzt kicherte sie und fühlte sich wirklich in ihre Jugendjahre zurückversetzt.

Und Ragnvald lachte. Leise nur und liebevoll, als würde das Wunder, dass die Weissagung des Skalden endlich Wirklichkeit geworden war, ihn erstaunen. Er zog Grima an sich, und sie presste die Wange an die Lederrüstung, unter der Ragnvalds Herz ebenso schnell wie ihres im Gleichtakt schlug.

Grima hatte das Gefühl, als hätte sie diesen großen Krieger ihr ganzes Leben lang schon gekannt. Als füge sich nun zusammen, was all die Jahrzehnte getrennt gewesen war – doch von einem Schmerz begleitet, wie nur Verlust ihn verursachen konnte. Und trotz Verlust und vergangener Zeit war da Ragnvalds Lachen als Antwort auf ihr Kichern wie in jenen lange vergangenen Tagen – als ob ihre Seelen einander wirklich schon lange zuvor begegnet wären.

Für die nächste Frage musste sie Kraft sammeln. „Bist du der einzige Überlebende? Gibt es Verwundete? Ich kann ihnen helfen.“