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Sylvia Greiffenhagen &
Oliver N. Buck-Werner

TIERE ALS THERAPIE

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Neue Wege in
Erziehung und Heilung
KYNOS VERLAG

© 2007 KYNOS VERLAG Dr. Dieter Fleig GmbH, Mürlenbach www.kynos-verlag.de

ebook-Ausgabe der Printversion (epub)

ISBN 978-3-942335-32-4

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort und Einführung

Leben mit Tieren

Pet facilitated therapy – eine neue Disziplin

Kulturgeschichtliche Phasen der Mensch-Tier-Beziehung

Domestikation

Du-Evidenz

Erste Beispiele tiergestützter Erziehung und Heilung

Tiergestützt – philosophisch betrachtet

Freude mit Tieren

Wirkungen von Tieren auf die menschliche Physis

Lachen als Therapie

Körperkontakt

Das Tier als ›sozialer Katalysator‹

Machen Tiere freundlicher?

Tiere können Ehen retten

Tiere als Familienmitglieder

Verständigung ohne Worte

Tiere fördern die Gesundheit

Ein nicht ganz ernstes Zwischenspiel

Pathologische Züge der Mensch-Tier-Beziehung

Tiere in der Stadt?

Wenn das Tier stirbt

Methodische Fragen

Großwerden mit Tieren

Kindheit in der modernen Gesellschaft

Das Tier als Quelle von Freude und Gesundheit

Das Tier als Erzieher

Erziehung zur Humanität

Das Tier als Freund und Gefährte

Kleinkinder, Kinder und Jugendliche mit Tieren

Tiere erleichtern Kontakt zu anderen Kindern

Sich ohne Worte verstehen

Tiere im Kindergarten

Tiere in der Schule

Tiere im Biologieunterricht

Tierbesuch in der Schule

Streichelgehege im Zoo, Spielplätze mit Tieren, Jugendfarmen und Schulbauernhöfe

Altwerden mit Tieren

Krisen im Alter

Ein Experiment aus der Frühzeit der Mensch-Tier-Forschung: Der Begonien-Wellensittich-Versuch

Tierbesitzer bleiben länger selbstständig

Weshalb Tiere für Alte?

Tierhaltung im Alter

Honey, Misty und Co: Frühe Versuche mit Tieren in stationären Alteneinrichtungen

Demente und depressive Patienten – Tiere in geriatrischen Therapien

Hundebesuch auf der Station

Freigehege und Mensch-Tier-Begegnungshäuser im Heim

Last oder Hilfe?

Behinderungen ertragen mit Tieren

Assistenztiere

Eine neue Sicht des behinderten Menschen

Zur Lebenssituation behinderter Menschen

Ziele und Leitlinien der Behindertenhilfe in Deutschland

Tiere als Faktor in den Leitlinien der Behindertenhilfe

Praktische Dienstleistungen

Früherkennung von Krankheit und Anfall

Psychische Hilfen – soziale Stützung

Das Begleittier als ständiger Gefährte

Begleittiere stiften menschliche Kontakte

Rechtliche Anerkennung des Behinderten-Begleithunds?

Besuchstier-Programme, Assistenztiere in stationären Behinderten-Einrichtungen und andere Mensch-Tier-Begegnungsmodelle

Behinderte Kinder und Tiere

Tiere in Einrichtungen für behinderte Kinder

Lernbehinderungen mit Tieren überwinden

Behinderte Kinder und Zoo-Pädagogik

Delfin, Esel, Ziege & Co.

Heilen mit dem Pferd

Chronisch Kranke mit Tieren

Gesundwerden mit Tieren

Wissenschaftliche Konzepte von Gesundheit

Tiere in Krankenhäusern

Tiere im psychiatrischen und psychotherapeutischen Umfeld

Erklärungen und Theorien

Tiere als Brücken zum verlorenen Paradies

In die Gesellschaft zurückfinden mit Tieren

Schwierige Kinder

Ziele tiergestützter Arbeit mit schwierigen Kindern

Vorbild für viele: Green Chimneys

Praktische Fallbeispiele

Jugendliche Straftäter

Suchthilfe

Strafvollzug

Reformen im Jugendstrafvollzug?

Tiere im Gefängnis

Tierquälerei?

Hygiene und andere Bedenken

Grundsätzliches zum Thema

Zusammenarbeit zwischen Human- und Veterinärmedizinern

Zoonosen kleiner Heimtiere (Hamster, Kaninchen, Meerschweinchen)

Zoonosen der Ziervögel

Zoonosen der Reptilien

Zoonosen der Zierfische

Zoonosen der Katzen

Zoonosen der Hunde

Zoonosen der Rinder und Pferde

Immunsupprimierte Patienten und ihr Risiko

Es gibt auch andere Stimmen

Dem Tierschutzgedanken Rechnung tragen

Gesetzliche Grundlagen

Sozialkontakt und Verhaltensauffälligkeit

Prophylaxe von Krankheiten und Stress

Empfehlungen für die Haltung kleiner Heimtiere

Der Weg zum Behindertenbegleithund

Die ersten Schritte

Von Bedürfnissen und Prägung

In der Patenfamilie

Die Intensivausbildung

Hunde lernen nie aus ...

Ausbildungsprogramm für die Halter

Anforderungen an die Trainer

Der neue Tierarzt

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Über die Autoren

VORWORT UND EINFÜHRUNG

Viele dicke Aktenordner füllen inzwischen die Briefe und E-Mails mit Anfragen nach meinem 1991 erstmals erschienenen Buch »Tiere als Therapie«. Das Buch war damals zuerst als Leinenausgabe bei Droemer Knaur, zwei Jahre später auch als Taschenbuch beim Knaur Verlag herausgekommen. Es erhielt durchweg gute Besprechungen und verkaufte sich gut. Trotzdem entschloss sich der Verlag nicht zum Nachdruck, als ein Großteil der Auflage ausverkauft war. Einige Zeit waren noch Restexemplare zu ergattern, aber dann war das Buch restlos vergriffen.

Schließlich sah ich ein: Ich musste das Buch wieder herausbringen. Der Kynos Verlag hatte schon früh um die Rechte gebeten und bekam nun den Zuschlag. Leider zog sich die Bearbeitungszeit dann aus persönlichen Gründen noch jahrelang hin. Ich bin den Kollegen vom Kynos Verlag für ihre Geduld unendlich dankbar. Umso zufriedener macht es mich nun, das Buch wieder vor mir zu sehen. Es ist, so weit wie möglich, das ›alte‹, trägt aber natürlich der Weiterentwicklung des Arbeitsfelds ausreichend Rechnung.

Was hat sich im Arbeitsfeld Mensch-Tier-Beziehung inzwischen getan? Hier nur ein grober Überblick über Aspekte und Themen, die im Buch in verschiedenen Kapiteln ergänzt und vertieft werden:

Im Laufe des letzten Jahrzehnts erfuhren Praxisprojekte und wissenschaftliche Studien zum Thema »Tiere als Therapie« und »Mensch-Tier-Beziehung« im deutschsprachigen Raum einen großen Bedeutungszuwachs. Deutschland hat im internationalen Vergleich den Vorsprung anderer Nationen weitgehend aufholen können.

Die Zahl der Praxisprojekte sowie deren Qualität (im Blick auf ihr Reflexionsniveau, ihre Orientierung an festgelegten Qualitätsstandards, ihre Dokumentation) sind weitaus höher als im Erscheinungszeitraum der Erstauflage meines Buches Anfang der neunziger Jahre. Dieses günstige Urteil gilt für die wissenschaftliche Erörterung des Themas im deutschsprachigen Raum nur bedingt.

Eine Vernetzung der heterogenen Praxisprojekte, wie ich sie Anfang der neunziger Jahre vorschlug, hat auch im deutschsprachigen Raum inzwischen begonnen, kommt aber nur zögernd voran. Insgesamt überwiegen noch immer die individuellen Handlungsansätze, mit der Konsequenz einer unbefriedigenden Informationsweitergabe, mangelnden fachlichen Austauschs, mangelnder Bündelung von Ressourcen und Potenzialen, in der Folge auch einer entsprechend geringen politischen Durchsetzungskraft. Erst in jüngerer Zeit gibt es gemeinsame Symposien, die den fachlichen Austausch in Gang setzen wollen. Diesem Ziel dienen auch erste Versuche, Aus- und Fortbildungsmaßnahmen für die berufliche Praxis zu etablieren. Aber von gemeinsamen Standards oder gemeinsamen ethischen Grundsätzen, auf die sich alle Akteure des deutschsprachigen Raums einigen könnten, kann auch heute noch keine Rede sein.

Die wissenschaftliche Bearbeitung des Themas hinkt der Entwicklung der Praxis hinterher. Auch heute noch gibt es nur wenige Theorien, die das Phänomen einer gelingenden – und, wenn es gut geht, beide Seiten beglückenden – Mensch-Tier-Beziehung erklären. In einigen der beteiligten Fachdisziplinen und auf einigen Handlungsfeldern wurden zwar stimmige theoretische Ansätze entwickelt (insbesondere in den Disziplinen Ethologie und Psychologie), aber eine Integration zu einer grundlegenden Theorie der Mensch-Tier-Beziehung ist noch längst nicht in Sicht.

Nur in Teilen erscheint mir im deutschsprachigen Raum bisher auch die Integration von wissenschaftlichen Erkenntnissen aus der Mensch-Tier-Forschung in den aktuellen Diskurs der jeweiligen Fachöffentlichkeit gelungen, am ehesten wohl auf den wissenschaftlichen und praktischen Feldern der Ethologie oder der Gerontologie. Eine gute Akzeptanz der Ergebnisse aus dem Forschungsfeld »Mensch-Tier-Beziehung« hängt allgemein eher mit der Akzeptanz der Forscher in deren Hausdisziplin (also Ethologie, Gerontologie, Psychologie, Sozialpädagogik etc.) zusammen als mit ihren Studien im Mensch-Tier-Bereich. Die Gruppe der in der breiteren Fachöffentlichkeit bekannten Mensch-Tier-Forscher ist im deutschsprachigen Raum nach wie vor klein. Studien zum Thema Mensch-Tier fördern die wissenschaftliche Reputation nur sehr bedingt. ›Leisten‹ kann sich dieses Thema eigentlich nur, wer keine Forschungskarriere anstrebt – oder wer sein Ziel schon erreicht hat und sich dieses Themas (neben anderen, wichtigeren) eher als eines Steckenpferds annimmt.

Eine bessere Vernetzung von wissenschaftlichen Studien zum Thema Mensch-Tier steht, wie eine bessere Vernetzung der Praxis, gleichfalls noch aus. Gegenwärtig entstehen an deutschen Hochschulen zwar zahlreiche Examens-, Diplom- und Magisterarbeiten; diese werden aber bisher kaum systematisch gesammelt. Ob eine Arbeit über die Hochschule hinaus ein interessiertes Fachpublikum findet, bleibt gewöhnlich dem Zufall überlassen. Einige Vereine nehmen sich dieses Mangels jetzt an, indem sie Belegexemplare erbitten, und das Internet liefert über verschiedenste Fundstellen hohe Trefferquoten zum Thema, freilich ohne eine Bewertung der Qualität der einzelnen Studien.

Insgesamt steigt aber die Zahl der wissenschaftlichen Studien auch im deutschsprachigen Raum gegenwärtig rasch an. Hilfreich (und das gleichermaßen inhaltlich und politisch-strategisch) erscheint mir die Tatsache, dass viele verschiedene wissenschaftliche Disziplinen das Thema in den letzten Jahren neu – oder wieder – entdecken: Philosophie, Theologie und Soziologie, Anthropologie, Historische Verhaltensforschung und Ethnologie, menschliche und Tierverhaltensforschung, Volkskunde und Kulturgeschichte, Pädagogik, Sonder- und Sozialpädagogik, Biologie und Zoologie, Tiermedizin und Humanmedizin, neuerdings auch die Sportwissenschaft. Allerdings weiß man im Allgemeinen immer noch wenig von den jeweiligen ›anderen‹ Themen-Zugängen. Interdisziplinarität ist erst in Ansätzen erreicht.

Forschung braucht Geld. Auf dem Forschungsfeld »Mensch-Tier-Beziehung« fließen öffentliche Mittel bisher nur spärlich, Studien zum Thema Mensch-Tier sind deshalb weitgehend auf private Sponsoren angewiesen. Die Auswahl von Aspekten und Feldern, auf denen geforscht werden kann, orientiert sich deshalb eher an der erwarteten Wirksamkeit in der breiteren Öffentlichkeit als in der Fachöffentlichkeit. Themen sind also eher alte Menschen und Kinder als Behinderte oder Gefängnisinsassen. Auch die Diskussion der wenigen Forschungsbefunde konzentriert sich aus diesem Grund eher auf Publikums- denn auf Fachzeitschriften. Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, aber das Forschungsfeld verliert auf diese Weise in der Fachwelt an Seriosität und in der allgemeinen Öffentlichkeit die wünschenswerte Breite.

Meines Erachtens zu wenig berücksichtigt wird in Forschung und Praxis noch immer das Wohlbefinden der Tiere im Kontext der Mensch-Tier-Beziehung. Begriffe wie »art- bzw. tierangemessen« aus dem Tierschutzgesetz, »Leid«, »Wohlbefinden« und »Glück« bedürfen der Interpretation in Praxis und Forschung. Besonders die Tiermedizin ist hier gefordert, zum Beispiel auf dem Gebiet einer Messung von Stress, etwa bei der Ausbildung sogenannter Behindertenbegleithunde. Tatsächlich zeigt sich aber eine große Distanz der Tiermedizin von solcherlei Fragen. Ich wollte in der Neuausgabe des Buchs aus diesem Grund die früher nur skizzenhaft gestreiften Aspekte des Tiers in der Mensch-Tier-Beziehung erheblich verstärken. Als Ko-Autor konnte ich Oliver N. Buck-Werner gewinnen, einen praktizierenden Tierarzt, der vor Jahren mit mir eine Studie zu Tieren in der Behindertenhilfe erarbeitet hatte und seit dieser Zeit dem Mensch-Tier-Thema auf verschiedensten Wegen treu geblieben war. Wir haben das frühere Buch durch mehrere Kapitel zum Thema des Tieres in der Mensch-Tier-Beziehung ergänzt.

Im Übrigen folgen wir bei der Neubearbeitung des Buchs der Argumentationsund Kapitelstruktur des alten Buches weitgehend, haben es lediglich behutsam aktualisiert, korrigiert und ergänzt. Viele der Fallbeispiele, die im früheren Buch aus dem englischen, amerikanischen oder australischen Raum bezogen wurden, konnten durch Erfahrungen aus Praxisprojekten im deutschsprachigen Raum ersetzt werden. Das ist ein gutes Zeichen und stimmt hoffnungsfroh im Blick auf den weiteren Fortgang des Praxis- und Forschungsfelds Mensch-Tier-Beziehung. Wir wünschen uns, dass auch das neue Buch, so wie früher das alte, zu einer guten Entwicklung beitragen kann.

Esslingen im September 2007
Sylvia Greiffenhagen

LEBEN MIT TIEREN

Es war einmal ein kleines Mädchen, dem starb seine Mutter. Da legte es sich ins Bett und sprach mit niemanden mehr. Sein Vater rief viele Ärzte herbei, aber keiner konnte helfen. Eines Tages kam eine Katze ins Zimmer, setzte sich auf ihr Bett und sagte: »Streichle mich!« Das Kind regte sich nicht. Da sagte die Katze noch einmal: »Streichle mich!« Aber das Mädchen sah starr vor sich hin. Da legte die Katze sich auf seine Brust, schnurrte und kitzelte es mit dem Schwanz an der Nase. Da lachte das Kind und streichelte die Katze. Danach stand es auf und wurde wieder gesund.

Es war einmal ein alter Mann, dem gefiel das Leben nicht mehr. Er wusch sich nicht, kochte kein Essen und ging nie aus dem Haus. Da kam ein großer Hund und sagte: »Ich habe Hunger.« Der Mann ging in die Küche und kochte Brei für ihn. Als der Hund gegessen hatte, sagte er: »Putz mir das Fell.« Der Mann nahm seine Bürste und striegelte den Hund. Als sein Fell glänzte, sagte der Hund: »Geh mit mir spazieren.« Der Mann nahm seinen Hut und ging mit ihm hinaus. Das gefiel dem Hund, und er blieb bei ihm, und der Mann wurde seines Lebens wieder froh.

Es war einmal ein Mann, der hatte Unrecht getan und saß im Gefängnis. Niemand hatte ihn gern, weil er die anderen Gefangenen schlug und auf die Wärter losging. Eines Tages kam ein Vogel, setzte sich an das Fenster der Zelle und sang ein Lied. Der Mann nahm einige Brösel von seinem Brot und gab sie dem Vogel. Der ließ es sich schmecken und kam am nächsten Tag wieder. Schließlich trippelte er durch die Gitterstäbe, setzte sich auf die Schulter des Mannes und knabberte an seinem Ohr. »Komm wieder, Vogel, und bleib bei mir«, sagte der Mann. Der Vogel blieb bei ihm. Von der Zeit an wurde der Mann freundlich, und alle mochten ihn.

Dies sind keine Märchen, sondern wahre Geschichten, Beispiele für tiergestütztes Heilen und Helfen.1 Das Wort ›tiergestützt‹ ist die Übersetzung des englischen Ausdrucks ›pet facilitated‹.

PET FACILITATED THERAPY – EINE NEUE DISZIPLIN

Tiergestützte Pädagogiken und Therapien wurden zuerst in angelsächsischen Staaten erprobt und angewandt. Auch die wissenschaftliche Erforschung des helfenden und heilenden Einsatzes von Tieren begann dort. Sie folgte der praktischen Anwendung nach, deren Erfolge die Wissenschaft in Erstaunen versetzte und in verschiedenen Disziplinen Forschungsinitiativen in Gang brachten.

In vergangenen Jahrhunderten wusste die Menschheit noch, dass ein »tier dem herze wôl macht« (Walther von der Vogelweide):2 Aus Belgien ist der Einsatz von Tieren für therapeutische Zwecke seit dem 8. Jahrhundert bekannt; in England gründeten Quäker im 18. Jahrhundert eine Anstalt für Geisteskranke, in der die Patienten kleine Gärten versorgten und Kleintiere hielten.3 Schon vor 200 Jahren empfahlen die Mönche des Klosters York: »Den in der Seele und am Körper Beladenen hilft ein Gebet und ein Tier.«4 Im 19. Jahrhundert entstand das Epileptiker-Zentrum im deutschen Bethel, das von Anfang an auf die heilenden Kräfte von Tieren vertraute und Hunde und Katzen, Schafe und Ziegen hielt.5 Doch diese Versuche waren entweder vergessen oder, wie im Fall Bethel, nicht dokumentiert und damit für die wissenschaftliche Erforschung ohne Wert. Die Weisheit der Alten musste von modernen Wissenschaftlern neu entdeckt werden. Zunächst blieb es bei einzelnen Versuchen und Vermutungen. Theorien wurden erst später entwickelt.

In der Praxis allerdings kam man rasch voran, und es ist nicht übertrieben, von einer Revolution zu sprechen, die weite Gebiete von Pädagogik, Therapie und Resozialisation erfasste: Die Einsicht, dass Tiere den Menschen nicht nur Fleisch liefern, Lasten tragen und Gesellschaft leisten, sondern helfen und heilen können, führte zu einer weltweiten Bewegung, die in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts auch Deutschland erfasste.

Alles begann Anfang der sechziger Jahre mit wenigen Zeitungsartikeln und ersten, noch kurzen und zuweilen belächelten wissenschaftlichen Berichten. Ein Buch des amerikanischen Kinderpsychotherapeuten Boris M. Levinson über seine Erfahrung mit Tieren als Kotherapeuten brachte 19696 dann den Durchbruch: Wissenschaftler aus ganz verschiedenen Disziplinen und Angehörige verschiedener Heilberufe begannen Experimente, Versuchsreihen, Dokumentationen. Das Psycho-logen-Ehepaar Sam und Elizabeth Corson, die Soziologin Erika Friedmann und der Mediziner Aaron H. Katcher setzten später mit ihren Berichten über die heilsame Wirkung von Tieren auf kranke und einsame Menschen die medizinische Welt in Erstaunen.7 Der Begriff ›pet facilitated therapy‹ wurde zum Schlagwort eines neuen Wissenschaftszweigs, der ›Mensch-Tier-Beziehung‹. Anfang der achtziger Jahre legten Veterinärmediziner der Universität Pennsylvania eine erste, rund vierzigseitige kommentierte Bibliographie zum Thema vor.

Ende der siebziger Jahre gründeten Mediziner, Verhaltensforscher, Psychologen, Psychotherapeuten und Gerontologen aus den Vereinigten Staaten und England eine Gesellschaft, die sich die weitere Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung zur Aufgabe setzte. 1980 organisierte sie erstmals einen Kongress mit dem Thema »Human/Companion Animal Bond«, der in London stattfand und beträchtliches Aufsehen bei Experten und Laien erregte. Heute umfasst die Gesellschaft Unterorganisationen in fast allen Staaten der westlichen Welt. Zahlreiche Publikationen und internationale Symposien (unter anderem Philadelphia, Wien, Boston, Monaco, Prag, Glasgow) begründeten im Laufe der achtziger und neunziger Jahre den wissenschaftlichen Ruf der Gesellschaft und ihres neuen Wissenschaftszweigs ›Mensch-Tier-Beziehung‹.

Die Praxis kam rascher voran als die Theorie. In allen angelsächsischen Ländern entstanden in kürzester Zeit ›Pet Visiting Programs‹: Tierliebende Gruppen und Institutionen wie Tierschutzvereine oder Hundezüchterverbände besuchen mit eigens für diesen Zweck ausgebildeten ›Therapie-Tieren‹ Alten- und Pflegeheime, Krankenhäuser oder psychiatrische Anstalten. Sie unterhalten Streichelzoos für Großstadtkinder, vermitteln Heimtiere für kranke und einsame Menschen und bilden sogar einen ›Service-Hund‹ aus, der Körperbehinderten bei ihrer Arbeit im Hause zur Hand geht: als Gefährte und Diener zugleich.

In der Bundesrepublik Deutschland fand das Mensch-Tier-Thema zunächst wenig Interesse. Nur beim ›Therapeutischen Reiten‹ waren die Deutschen im wörtlichen Sinne Vorreiter in Forschung und Praxis der tiergestützten Behandlung von Kranken.

Auf anderen Feldern gab es erst in den achtziger Jahren erste Studien und Experimente. So empfahl die Hamburger Psychologin Simone De Smet schon früh Tiere für Alten- und Pflege-Institutionen,8 der Direktor der neurochirurgischen Klinik Karlsruhe, Professor Piotrowski, wollte Tiere in Krankenhäusern erlauben,9 der Münchner Psychiater Theodor Grimm verschrieb gegen psychosomatische Störungen statt eines Medikaments gern ein Haustier,10 die Bielefelder Versuchsschule Hartmut von Hentigs unterhielt einen Schulzoo, um Kinder Verantwortlichkeit gegen sich selbst und ihre Mitwelt zu lehren. Der Theologe und Pädagoge Gotthard M. Teutsch lieferte eine erste bedeutende Materialsammlung zur »Soziologie und Ethik der Lebewesen«,11 die Psychologen Reinhold Bergler und Erhard Olbrich verfassten Mitte und Ende der achtziger Jahre die ersten systematischen Studien zum Thema.12

Obgleich es in unserem Lande allmählich voranging mit dem praktischen Einsatz von Tieren als Helfern und Heilern, obgleich die wissenschaftliche Erforschung und Betreuung solcher Programme langsam in Gang kam, hinkte die Bundesrepublik Deutschland der Entwicklung in vielen anderen Staaten lange hinterher. Tiere in Altenheimen, Krankenhäusern, psychiatrischen Kliniken und Strafvollzugsanstalten erschienen vielen Deutschen als ein Ding der Unmöglichkeit. Erst seit wenigen Jahren gibt es Organisationen, die den Einsatz von Tieren in Institutionen empfehlen und interessierte Menschen und Gruppen über Konzepte, Methoden und geeignete Tiere informieren und beraten, so zum Beispiel die Vereine »Leben mit Tieren« und »Tiere helfen Menschen«.

Unser Buch will von solchen Aktivitäten im In- und Ausland berichten. Gleichzeitig möchten wir Einblicke in den wissenschaftlichen Stand der Forschung geben. Es handelt sich hier um einen Wissenschaftszweig, der in rascher Entwicklung begriffen ist. Tiergestützte Pädagogiken, (Re-) Sozialisationen und Therapien sind sämtlich interdisziplinär angesetzt und darin das jüngste Beispiel moderner Forschung, die den Zaun der eigenen Disziplin übersteigen muss, um nicht durch Einseitigkeit zu Fehlergebnissen zu gelangen.

Spannend ist das Forschungsfeld tiergestützter Menschenbehandlung schon deshalb, weil nicht einmal seine Konturen genau feststehen. Das gilt für jede sich neu etablierende Wissenschaft und führt übrigens auch zu jener Nervosität und Sensibilität, wie sie bei jungen Disziplinen üblich sind.

Noch gibt es keine ›Schulen‹, sondern eher Namen von Männern und Frauen der ersten Stunde, Forschungsschwerpunkte und einige wissenschaftliche Zentren. Strenggenommen hat diese Wissenschaft noch nicht einmal einen Namen. Auch welche Disziplin sie einmal am stärksten akzentuieren wird, ist noch offen. Im Spiel sind insbesondere folgende Wissenschaften: Menschliche und tierische Verhaltensforschung, allgemeine und spezielle Psychologien, Psychoanalyse und Psychiatrie, Soziologie, Pädagogik, Gerontologie, Human- und Veterinärmedizin. Erst in jüngerer Zeit stießen mit Philosophie und Soziologie, Volkskunde und Kulturanthropologie, Biologie und Gehirnforschung weitere wichtige Disziplinen hinzu.

Wissenschaftliche Entwicklungen stehen in enger Verbindung zum Zeitgeist. Bei unserem Thema handelt es sich um eine paradoxe Situation gegenläufiger Entwicklungen:

Auf der einen Seite werden immer mehr Tierarten ausgerottet, auf der anderen Seite wird das Tier immer stärker als Partner des Menschen gesehen. Das hat sogar Rechtsfolgen: Stadtstreicher dürfen ihre Hunde behalten und die Sozialhilfe bezahlt die Kosten für ein Haustier, wenn es zum Mittelpunkt des Lebens oder zum einzigen Bezugsobjekt eines Menschen geworden ist.

Auf der einen Seite wächst die Entfremdung vom Tier. Ein Großteil der europäischen Kinder kennt keine Schmetterlinge mehr und glaubt, die Milch komme aus dem Tetrapack, nicht von der Kuh. Auf der anderen Seite wächst die Zahl der Tierfriedhöfe, der Tierhotels und der Fälle aufwendigster Tierchirurgie mit künstlichen Hüftgelenken, Nierentransplantationen und Herzschrittmachern.

Auf der einen Seite schreitet die Massentierhaltung voran, und schlimmer: Man erwägt Züchtungen, welche die diesbezügliche Leidensfähigkeit von Tieren herabsetzen soll. Auf der anderen Seite trauern befragte Tierhalter beim Tod ihres geliebten Vierbeiners genauso stark wie um einen nahen Verwandten.

Eine kritische Stunde also in der Geschichte des Verhältnisses von Mensch und Tier. Wir sind aufgewacht, das Thema ist gestellt: Wie wollen wir es in Zukunft mit den Tieren halten, im Großen wie im Kleinen?

Das Thema ›Mensch-Tier-Beziehung‹ trifft in die Mitte dieses Komplexes, weil mit ihm die Beziehung von Mensch und Tier auf den entscheidenden Punkt der Frage gebracht wird: Sind Tiere für uns Sachen oder Genossen, nur nützlich oder unentbehrlich, von anderer oder von unserer Art?

Diese Fragen sind alt und haben die Menschheit von Anbeginn begleitet. In verschiedenen Phasen wurden verschiedene Antworten gegeben, und wir tun gut daran, uns ihrer zu erinnern.

Da geht vieles durcheinander. Tiere galten als Götter und wurden als Hexen verbrannt, wurden als zweites Ich erfahren und als Naturmaschine analysiert und seziert. Heute werden sie in Tierversuchen gequält und auf Gnadenbrot gesetzt, verzehrt und bestattet.

Wir wollen in den folgenden Abschnitten zunächst die kulturgeschichtliche Bedeutung der Mensch-Tier-Beziehung umreißen, danach einige Aspekte der Domestikation ins Licht rücken und schließlich unter dem Stichwort der Du-Evidenz das mensch-tierische Kommunikationsproblem angehen.

KULTURGESCHICHTLICHE PHASEN DER MENSCH-TIER-BEZIEHUNG

Der Mensch wurde zum Menschen, indem er sich der Natur entfremdete. Diese Dialektik, Teil der Natur zu sein und ihr gleichzeitig gegenüberzustehen – als Betrachter, als Herr und als Nutznießer – verschärft sich im Blick auf die Tierwelt, und noch einmal besonders im Blick auf die höheren Tiere. Nicht nur mit den Primaten und Säugetieren, sondern mit vielen anderen Tierstämmen teilt der Mensch physiologische Grundgegebenheiten. Mit der Eidechse, dem Vogel und zum Teil noch mit der Biene teilt er die Anordnung des Gesichtes: zwei Augen, Nase und Mund. Er weiß sich auch von vielen Tieren solchermaßen als Mit-Tier erkannt.

Das ist ein Grund dafür, dass Tiere von Anbeginn als Inkarnation menschlichen Wesens galten. Die Anthropologie hält dafür eine unerschöpfliche Fundgrube von Beispielen bereit. Ob Gott-Tier oder Tier-Mensch, ob Doppelidentität oder ›Begleittier‹, stets hat das Tier den Menschen herausgefordert, nach sich selbst zu fragen und über das Tier und in Distanz zu ihm eigene Identität auszubilden. Das gilt bis heute, und die Geschichte dieser Wechselwirkung ist gegenwärtig in eine dramatische Phase getreten. Das Kennzeichen dieser vielleicht letzten Entwicklungsstufe im Verhältnis von Mensch und Tier liegt in der Verschärfung der Dialektik, die unser Verhältnis zum Tier von Anfang an bestimmte: Einerseits haben wir uns durch unsere Kulturgeschichte weit vom Tier entfernt, andererseits zeigen uns heute menschliche und tierische Verhaltensforschung, wie dicht wir von Natur aus dem Tiere benachbart sind und wie viel Leben wir mit ihm teilen. Nur wer diesen Widerspruch erträgt und ihn sogar als Bestimmungsfaktor der Humanität annimmt, kann sich für menschliche Sozialisation auf die Hilfe von Tieren stützen.

Am Beginn seiner Geschichte war der Mensch mit dem Tier so eng verbunden, dass sich sein Selbstbewusstsein noch nicht völlig von ihm trennte. In früheren Jägerkulturen konnte der Mensch stets gleichzeitig auch ein Tier sein, wie umgekehrt Tiere gleichzeitig als Erscheinungsformen lebender Menschen galten.13 Es gab dann verschiedene Stufen der Herausbildung menschlicher Identität.14 Das Gemeinsame dieser Typologien liegt in einer ständig fortschreitenden Trennung des mensch-lichen Selbstbewusstseins vom Tierbereich.

Eine späte und entscheidende Stufe bedeutet der Monotheismus des Judentums. Der Gott der Juden und später der Christen gehört selbst nicht zur Natur, sondern hat sie geschaffen. Mit dieser Schöpfung traf er zugleich eine konstitutionelle Unterscheidung zwischen Mensch und Tier: Der Mensch ist Herr über sie. Jetzt kann er sich nicht mehr im Umgang über sie verstehen, seine Identität setzt auf ›Geist‹, nicht auf ›Natur‹.

René Descartes hat die philosophische Konsequenz aus der christlichen Schöpfungstheologie gezogen: Der Mensch besitzt eine Seele, das Tier hat keine, es ist nur Materie. Das hatte bisher keine Theologie oder Philosophie auf Erden gelehrt. Selbst der aufgeklärte Aristoteles war überzeugt, dass Tiere eine Seele hätten: Als Lebensantrieb, der die Weise ihres Seins bestimmt.

Andererseits gibt es eine eigene kleine Tradition protestantischer Tierverbundenheit, die im Widerspruch zur allgemeinen Entwicklung stand. Rainer E. Wiedenmann zeigt am Beispiel der englischen Quäker die religiösen Wurzeln der modernen Tierschutzidee. Puritaner und Quäker zogen schon früh gegen Tierquälereien bei Volksbelustigungen und ›sportlichen‹ Veranstaltungen wie Hahnenkämpfen und Bullenhatz, aber auch gegen Tierhetzen bei Jagden und grausame ›Spiele‹ mit Tieren des Hofes und Adels zu Felde. Wiedenmann nennt als Quellen dieser frühen evangelischen Tierethik zwei Orientierungen, die Puritaner und Quäker vom Hauptstrom des europäischen Protestantismus unterschieden, einen weltverneinenden Theozentrismus (1) und die Heilsmethodik der innerweltlichen Askese (2): »Die Selbstbezogenheit des Menschen wird als sündige Abwendung von Gott gedeutet, exemplarisch vollzogen durch Adams Sündenfall, der die natürliche Ordnung in ihr Gegenteil verkehrt: Krankheiten, Grausamkeit und andere Übel sind die Folgen für alle Kreaturen, für Mensch wie Tier. Weil die Leiden der Tiere ein symbolischer Ausdruck der menschlichen Erbsünde sind, sind gerade die von Menschen arrangierten Tierkämpfe in puritanischer Sicht nicht zu rechtfertigen [...] Trotz der angedeuteten prinzipiellen Abwertung der ›Welt des Kreatürlichen‹ ist dem Puritaner die Welt als Verpflichtung auferlegt [...] Im Rahmen dieser ›stewardship‹ gegenüber der Schöpfung ist eine rationalen Kriterien genügende, wirtschaftliche Nutzung der Tierwelt nicht nur erlaubt, sondern direkt geboten [...] Für Farmer [...] bildeten Tiere nun häufig einen wesentlichen Teil ihres wirtschaftlichen Betriebskapitals. Schon aus Gründen einer rationalen Betriebsführung war daher häufig eine umsichtige und sorgsame Behandlung der Schafe, Pferde usw. dringend geboten.«15

Ein weiterer Motivstrang in der Tierethik der Puritaner und Quäker ist mit den genannten Motiven zwar eng verwoben, muss aber analytisch davon getrennt werden, »weil er an der Kreatur Tier selbst ansetzt. Diese zweite – nun vor allem bei den Quäkern hervortretende Handlungsorientierung antizipiert insofern einen Kernpunkt der modernen Tierschutzidee, als sie eine deutliche Auf- und Neubewertung des ontologischen Status des Tieres mit sich bringt: Religiös und ethisch werden Tiere hier nicht als bloße Naturobjekte oder als ›Dämonen in Tierverkleidung‹ angesehen, sondern letztlich als empfindungsfähige und ›diesseitige‹ Subjekte. Diese Neigung zu einer Subjektivierung ist mit einer tendenziell eschatologischen Sicht der Tiere eng verknüpft, das heißt, Tiere erhalten eine gewisse eigene Dignität dadurch, dass sie als Geschöpfe Gottes nun unmittelbar auf das christliche Heilsgeschehen bezogen werden: Der Gedanke einer kommenden Erlösung vom Leiden wird nun auf die tierliche Kreatur hin universalisiert. Diese beiden Blickverschiebungen bewirken, dass nun vor allem bestimmte Nutz- und Heimtiere insofern dem Personenkonzept einer modernen Ethik angenähert werden, als ihnen – bei aller sonstigen Inferiorität – eine gewisse kreatürliche ›Selbstzwecklichkeit‹ zukommt. Das Leiden der Tiere wird nun für sich betrachtet zu einem ethischen Problem.«16

Aber die englischen Quäker blieben, wie auch Gestalten wie Franz von Assisi und Albert Schweitzer, mit ihrer Meinung, die Schöpfung verbinde Mensch und Tier in einem tiefen naturhaften Sinne, bis heute Ausnahmen in der durch das Christentum geprägten europäischen Kultur, die das Tier als dem Menschen grundsätzlich untergeordnetes, seinen rationalen Zwecken ausgeliefertes Wesen ohne Seele betrachtete. »Es scheint so, als ob wir zwei Moralen hätten, eine für Menschen, und eine andere für Tiere«, schreibt die Berliner Philosophin Ursula Wolf in ihrem Buch »Das Tier in der Moral«,17 und sie zitiert Albert Schweitzer: »Wie die Hausfrau, die die Stube gescheuert hat, Sorge trägt, dass die Türe zu ist, damit ja der Hund nicht hereinkomme und das getane Werk durch die Spuren seiner Pfoten entstelle, also wachen die europäischen Denker darüber, dass ihnen keine Tiere in der Ethik herumlaufen.«18

In dem Maße, in dem Christentum und moderne Philosophie den Weg der westlichen Zivilisation bestimmten, erfüllte sich das Schicksal der Tierwelt in ihr. Die archaische Verbindung zwischen Mensch und Tier zerriss. Kulturen, die wie die indische an ihr festhielten, galten als rückständig. Hinzu kam, dass Wissenschaft und Technik auf den Erfolgsweg einer Naturbeherrschung führten, welche die Herrenrolle des Menschen in der Praxis durchsetzte. Von den asiatischen Kulturen misstrauisch und teilweise mit Verachtung verfolgt, entwickelte sich in Europa und in den von westlichen Ländern ›zivilisierten‹ Teilen der Erde eine immer tiefere Kluft zwischen dem Herrschaftswissen des weißen Mannes und einer Natur, die ihm immer ferner rückte: als Gegenstand seiner Nutzung und seiner Wissbegier. Erst spät entwickelte sich jene Haltung, die wir heute ökologisch nennen: Verantwortung, Pflege und Fürsorge für eine natürliche Welt, die inzwischen längst zum zoologischen Garten geworden ist. Es gab diesen Garten auch in der christlichen Vorstellung: als das Paradies. Heute ist er keine paradiesische Vorstellung mehr, sondern die harte Aufgabe des Naturschutzes, und dies zunächst wieder im Interesse des Menschen, der anders nicht überleben kann.

Aber wieder wirkt hier eine Dialektik: Nur durch abendländische Forschung sind wir heute in den Stand gesetzt, über Tiere so viel zu wissen, dass wir unsicher über die Angemessenheit unseres bisherigen Umgangs mit ihnen werden. Die Tier-Verhaltensforschung ebenso wie die auf den Menschen bezogene Verhaltens- und Gehirnforschung lassen Zweifel darüber aufkommen, ob Descartes recht hatte mit seiner kruden Unterscheidung von Körper und Geist. Im Umweg über Wissenschaften, die der Mensch selbst in Gang gesetzt hat, werden uns heute die Augen geöffnet für Verbindungen, die eine tiefe Gemeinschaft zwischen Tier und Mensch vermuten lassen. Über das geistige Umfeld dieser Einsichten wollen wir uns am Schluss dieses Kapitels noch Gedanken machen.

DOMESTIKATION

Tiergestütztes Helfen und Heilen bedeutet eine neue und vermutlich die intensivste Stufe tierischer Domestikation: Tiere sollen nicht nur für diese oder jene Funktion im Dienste des Menschen ausgebildet werden, sondern durch ihre bloße Existenz selbst hilfreich sein.

Das kann nur gelingen, wenn man von einer tiefen Gemeinschaft von Mensch und Tier überzeugt ist. Hier gibt es eine große Spannweite. Eine wesentliche Unterscheidung im Blick auf die Gemeinschaftsfähigkeit von Tieren, die durch keine Domestikation aufzuheben ist, trifft Karl König in seinem Buch »Bruder Tier«, indem er sagt, die einen Tiere leben neben den Menschen, die anderen mit ihnen. Zu den wenigen, die mit den Menschen leben, gehören Hund und Katze: »Sie teilen das Haus und die Wohnstatt mit uns Menschen, auch wenn wir ihnen manchmal eine eigene Hütte oder einen Korb zu eigen geben. Beide, Hund und Katze, sind dem Menschen viel näher, als es jemals Kuh und Schaf waren.«19 Papagei und Elster, Kanarienvogel und Wellensittich wohnen zwar mit Menschen zusammen, aber nur als Gefangene. Hunde und Katzen dagegen haben in der menschlichen Behausung ihre Heimat.

Eines der ältesten Haustiere ist der Hund. Seine Domestikation erfolgte schon in der Jäger- und Sammlerkultur der Altsteinzeit, und es ist durchaus kein Zufall, dass er zugleich das gemeinschaftsfähigste Tier ist. Bis heute ist offen, was eigentlich der wichtigste Grund für seine Domestikation war – der Nutzen, den man von ihm hatte (Wächter, Hirte, Jagdhelfer, Nahrungsmittel und Abfallvertilger) oder seine Gefährtenschaft, die immer wieder als gleichermaßen belebend und beruhigend erfahren wird.

Was für den Hund gilt, gilt in noch stärkerem Maße für die Katze. Ihre Domestikation geht ursprünglich wohl nicht auf Nützlichkeitserwägungen zurück. Wennschon man sie vor ihrer völligen Domestikation in den Dörfern nach kleinen Nagern jagen ließ, hatte man für den Schutz seiner Vorräte vor Ratten und Mäusen andere Tiere abgerichtet, zum Beispiel das Frettchen oder den Mungo. Die Katze wurde recht spät domestiziert und genoss in Ägypten als heiliges Tier hohe Verehrung. Sie durfte nicht getötet werden und erhielt kostbare Grabstätten. Noch in Rom besorgten den Mäusefang Wiesel, Iltisse und Marder, während Katzen einzig ihrer Schönheit wegen gehalten wurden. Die Reichen und Mächtigen sandten sich Katzen als Geschenk.

Die Geschichte der Katzen-Domestikation ist voll von Widersprüchen. Galt sie in Ägypten als heilig, so hatte das Christentum ein stark ambivalentes Verhältnis zu ihr, dessen Auswirkungen heute noch zu spüren sind. Zunächst ging es den Katzen gut. Christliche Eremiten übernahmen die ägyptische Sympathie für sie und teilten ihre Einsamkeit mit ihnen. Mit den Mönchen kam die Katze später nach Rom, und es gibt eine hübsche Geschichte für ihre Beliebtheit in jener Zeit. Gregor der Große hatte eine seiner gewaltigen Predigten mit der Aufforderung beschlossen, man solle sein Liebstes opfern. Da nahm ein Eremit aus dem weiten Ärmel seiner Kutte den einzigen Schatz auf Erden, seine Katze. Aber Gregor wehrte lächelnd ab und zog aus dem Ärmel sein eigenes Kätzchen hervor, das er immer bei sich trug.20

Aber dann kamen böse Zeiten für die Katze. Im Hochmittelalter und in der frühen Neuzeit wurde sie zum Teufelstier, galt als verschlagen und untreu. Dieses Bild von der Katze hält sich bis in unsere Tage. Das einst enge Band zwischen Katze und Mensch war zerrissen: Sie wurde in den Stall verbannt, durfte oft nicht einmal das Haus betreten oder nur, um nach Mäusen zu jagen. Der Mensch trat nach ihr, wenn sie ihm nahekam. Noch 1958 findet sich folgender Vergleich zwischen Hund und Katze und in ihm das Vorurteil von der Katze als eines Haustieres, das sich allenfalls dem Hause, nie aber dem Menschen zugehörig fühlt: »Begegnet ein Hund seinem Herrn, den er lange nicht gesehen, so äußert er lebhafte Zeichen der Freude und Anhänglichkeit. Trifft man aber die eigene Hauskatze [...], so wird sie nie ein Zeichen freudigen Wiedererkennens geben [...] Statt der affektiven Bindung an den Menschen sucht die Katze das Haus [...] Für sie gibt es eben keine Treue im Sinne des Hundes, weil ihr von Natur aus eine Bindung an den Menschen abgeht, die der Hund sucht.«21

Das ist Unfug. Das Missverständnis lässt sich allerdings begründen: Da bis vor nicht langer Zeit Katzen vornehmlich als Mäusefänger in Haus und Hof gehalten wurden und der Mensch sich für seine emotionalen Bedürfnisse ausschließlich an den Hund hielt, konnten die Katzen keine personale Bindung zum Menschen aufbauen. Heute stehen Katzen, die mit Menschen zusammenleben, dem Hund an sozialer Sensibilität in nichts nach. Aus einem Forschungsbericht von Leyhausen: »Alle meine gekäfigten Katzen, gleich ob einzeln oder zu mehreren gehalten, begrüßten stets zuerst mich bzw. den Pfleger, ehe sie sich dem mitgebrachten Futter zuwandten [...] Ließ man sie dann aus Versuchsgründen einmal ein oder zwei Tage hungern, so war doch das erste bei der nächsten Fütterung nicht die Nahrungsaufnahme, sondern ein wahrer Begrüßungssturm mit hochgehobenem Schwanz, Köpfchengeben, wobei sich die Tiere oft im Leeren einer ›imaginären‹ Streichelhand entgegen auf die Hinterbeine hoben [...], und intensives Flankenreiben an den Beinen des Pflegers. Erst danach wandten sie sich dem Futter zu, nahmen oft nur hastig ein paar Bissen, um dann wieder erst einige Zärtlichkeiten auszutauschen. Zu mehreren gehaltene Katzen können dieses soziale Bedürfnis nicht aneinander abreagieren, der Artgenosse ist hierzu nicht einmal als Ersatzobjekt tauglich. Auch in üblicher Weise frei gehaltene Katzen bedürfen zweifellos dieses Kontaktes mit dem Menschen [...] So ist zwischen Menschen und solitären Katzenarten eine echte und dauernde Freundschaft möglich, wie sie bei Katzen unter sich nie vorkommt.«22

Gründe für die Domestikation von Tieren gibt es zahllose: Für alle gilt als Voraussetzung ein Minimum an Symbiosefähigkeit, die in einer gemeinsamen naturhaften Verwurzelung von Mensch und Tier begründet ist. Das trifft besonders für die Domestikation von höheren Tieren zu, bei denen gemeinsame Bedingungen der Emotionalität, der Kommunikation und der Lernfähigkeit gegeben sind. Der Zoologe und Direktor der Konrad-Lorenz-Forschungsstelle für Ethologie Kurt Kotrschal nannte auf einer Tagung zur Mensch-Tier-Beziehung 2005 Domestikation die »Fähigkeit von Tieren, einen gewissen Teil der Aufmerksamkeit auf den Menschen zu richten«. So könne ein handaufgezogenes Kalb seine Bedürfnisse nicht nur durch seine Artgenossen, sondern auch durch Menschen und andere Tiere befriedigen.23

Die schönste und humanste Absicht der Tierdomestikation zielt auf die Symbiose von Mensch und Tier als solche. Unter Vernachlässigung aller Nutzfunktionen will man Solidarität von Lebewesen, die fühlen, dass sie verwandt und von der Natur selber zur Genossenschaft berufen sind. Diese Solidarität findet sich auch unter Tieren unterschiedlicher Arten. Schon manches Tier, dem im zoologischen Garten sein Artgefährte starb, ließ sich durch ein anderes Tier über den Verlust trösten. So war eine Giraffe, deren Gefährte starb, durchaus und auf Dauer mit der Genossenschaft eines Schafes zufrieden. Man kennt diese Tierfreundschaften auch quer durch alle Haustierarten. Es gibt nicht nur Feindschaften, sondern auch Freundschaften zwischen Hund und Katze, sogar zwischen Katzen und zahmen Vögeln.

Und wenn Anthropologen recht hätten mit ihrer Vermutung, die Wurzel der Domestikation läge in diesem Interesse des Menschen an einer zweckfreien Solidarität mit Tieren,24 so fände die These dieses Buches darin eine schöne Bekräftigung: dass wir Menschen eine ursprüngliche Freude an der Gemeinschaft mit Tieren haben. Die stärksten Argumente für diesen in sich selbst liegenden Sinn von Domestikation als der Wiederherstellung eines ursprünglich gegebenen Zusammenhanges alles Lebendigen finden sich in einem Phänomen, das die Grundlage dieser Gemeinschaft ist: der sogenannten Du-Evidenz.

DU-EVIDENZ

Mit Du-Evidenz bezeichnet man die Tatsache, dass zwischen Menschen und höheren Tieren Beziehungen möglich sind, die denen entsprechen, die Menschen unter sich beziehungsweise Tiere unter sich kennen. Meist geht dabei die Initiative vom Menschen aus, es gibt aber auch Fälle, in denen Tiere sich einen Menschen als Du-Genossen auswählen.

Für diese Du-Evidenz ist nicht entscheidend, ob die Weise der Wahrnehmung oder der emotionalen Zuwendung objektiv das Wesen des als Du adressierten Partners trifft. Worauf es einzig ankommt, ist die subjektive Gewissheit, es handele sich bei einer solchen Beziehung um Partnerschaft. Solche Du-Erfahrungen können durchaus einseitig sein. Auf subjektive Erlebnisse beschränkte Du-Evidenzen sind auch unter Menschen bekannt, zum Beispiel als die glühende Verehrung eines Stars durch seine ihm persönlich völlig unbekannten Fans oder die personhaft-emotionale Bindung eines Autobesitzers an sein ›Gefährt‹.

Die vom Menschen empfundene tierische Du-Evidenz äußert sich in vielen Erscheinungsformen, die eines gemeinsam haben: Das Tier wird als Genosse gesehen, dem personale Qualitäten zugeschrieben werden. Der deutliche Ausdruck für die Bereitschaft des Menschen, Tieren solche Genossenschaft zuzutrauen, ist die Tatsache, dass er ihnen Namen gibt. Mit dem Namen wird das Tier aus der Menge seiner Artgenossen herausgehoben, bekommt Individualität. Die Namensgebung macht das Tier zum Teil der Familie, zum Adressaten von Ansprache und Zuwendung, zum Subjekt mit Bedürfnissen und Rechten, denen ebenso entsprochen wird wie im Falle der menschlichen Mitglieder.

Wer ein Wesen als Individuum ein Leben lang respektiert hat, dem wird es schwerfallen, seinen Leichnam in den Mülleimer zu kippen. Was immer man gegen Tierfriedhöfe sagen mag, der Wunsch nach einer humanen Bestattung ist verständlich: Wer einen Namen hatte und Teil der Familie war, dessen sterbliche Hülle möchte man würdig bestatten und ihm auf diese Weise ein Andenken bewahren.

Sogar zu rechtlichen Konsequenzen kann Du-Evidenz führen. Vom Verbot der Tötung von Katzen sprachen wir schon. Im Mittelalter musste für ein unrechtmäßig getötetes Tier eine Buße bezahlt werden. Auch Tierprozesse gab es. So wurde einem Schwein, das ein Kind verletzt hatte, ein formeller Prozess gemacht, und bei seiner Hinrichtung mussten andere Schweine zuschauen.25

Bei uns zeigt die neuerliche Entwicklung des Tierschutzes eine deutliche Stärkung des Tieres als ›Rechtsperson‹. Noch vor 150 Jahren durfte in Deutschland ein Tier zwar nicht »öffentlich oder in Ärgernis erregender Weise bestraft, gequält oder roh misshandelt werden«, doch, wie das Wort »öffentlich« zeigt, war das Tier nicht um seiner selbst willen geschützt, sondern geschont werden sollte der mitleidige Mensch, der solche Tierquälerei nicht ansehen sollte.

Seit der Jahrhundertwende war es verboten, »ein Tier roh zu misshandeln oder absichtlich zu quälen«; dieses Gesetz erkannte erstmals die Leidensfähigkeit eines Tieres an. Aber das Leben des Tieres an sich war noch nicht geschützt. Erst ein Gesetz von 1972 schützt in Deutschland das Leben des Tieres schlechthin: »Dieses Gesetz dient dem Schutz des Lebens und Wohlbefinden des Tieres. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.« – Aber auch dieses Gesetz reicht vom Standpunkt des Tierschützers nicht aus: Der Mensch definiert die »vernünftigen Gründe«; seine Interessen sind denen des Tieres stets übergeordnet; gegen Tierversuche und Massentierhaltung bietet das Gesetz keine Handhabe. Dennoch war es ein Fortschritt: Das Tier bekommt einen eigenen Anspruch auf Leben und später vielleicht einmal auf gesundheitliche Versorgung. Im Kapitel »Dem Tierschutzgedanken Rechnung tragen« kommen wir auf dieses Thema ausführlich zurück.

Die Du-Evidenz ist die unumgängliche Voraussetzung dafür, dass Tiere therapeutisch und pädagogisch helfen können. Dabei reicht die Breite der durch die Du-Evidenz nahegelegten Zuwendung von Betrachten und Füttern der Aquarienfische bis zu einer Partnerschaft, welche kaum noch Unterschiede zu zwischenmenschlichen Beziehungen erkennen lässt. Das gilt besonders für die Kind-Tier-Beziehung. Das Kind ist dem Tier aus verschiedenen Gründen näher als der Erwachsene, und es gibt Theorien für eine Stufung einer sich über das Leben verändernden Weise, in Tieren Du-Evidenzen wahrzunehmen und als beglückend zu erfahren.26 Wir kommen auf diesen Gedanken im Kapitel »Großwerden mit Tieren« zurück. Helmut Schelsky unterscheidet in der Erkenntnis des Menschen die Ich-Subjektivität und die Du-Subjektivität.27 Schon Nietzsche hat darauf hingewiesen, dass das Du früher ist als das Ich: »Bevor das Kind sich selbst kennt als ein Ich, versteht es die Mutter und bald auch den Hund als ein Du.«28 Das ist ein Grund dafür, dass Kinder für Du-Evidenzen aufgeschlossener sind als Erwachsene.

Es gibt einen starken Einwand gegen die Neigung, in Tieren ein Alter ego, ein anderes Ich, zu sehen und anzusprechen: den Anthropomorphismus. Man warnt vor einer allzu einfachen Vermenschlichung der Tiere mit dem richtigen Hinweis, dass in einer Hinsicht die Beziehung zwischen Mensch und Tier immer ungleich bleiben wird: Im Unterschied zum Tier hat der Mensch ein Ich und weiß immer um sich, wenn er mit anderen Menschen oder Tieren Verbindung hat. Das gilt schon für Kleinkinder, die im Übrigen noch stark im animalen Gesamtzusammenhang leben. F.I.J. Buytendijk hat das so beschrieben: »Beobachten wir genau, wie ein Säugling schon nach einigen Monaten die Mutter anschaut, so wird deutlich, dass sich sein Blick von jenem eines jungen Tieres grundsätzlich unterscheidet, ebenfalls von der Art und Weise, wie etwa ein Hund seinem Herrn in die Augen schaut. Das Menschenkind zeigt im Blick eine gewisse ›Reserviertheit‹. Es bildet im Schauen eine gewisse Distanz, die es gleichzeitig überbrückt. Wir verstehen diese Eigenart sofort, und zwar als menschlich. Der Blick drückt Vertraulichkeit, Erkennen, aber auch Identifikation und Objektivierung aus. Diese Art des Anblickens ist beim Säugling im Prinzip dieselbe wie bei zweijährigen Kindern, die im Spiel eine Puppe anschauen: Auch dann zeigt der Blick Teilnahme und Distanzierung.«29

Tiere sind keine Menschen. Und doch liefern die Ethologie und die Gehirnforschung viele Gründe dafür, die Sorge vor einem falschen Anthropomorphismus nicht zu übertreiben. Der Ethologe Frans de Waal30 gibt ein gutes Beispiel für eine sorgfältige Abwägung bei Vergleichen zwischen tierischer und menschlicher Empathie. Er unterscheidet zwischen ›Mitgefühl‹ und ›Hilfsbereitschaft‹: »Aber kann ich überhaupt mit Recht den Begriff ›Mitgefühl‹ verwenden, der ja schließlich einen hohen menschlichen Wert bezeichnet und sich mit ganz bestimmten Vorstellungen verbindet? Wir wollen vorerst lediglich von Hilfsbereitschaft