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Karin Kneissl

Der Energiepoker

Wie Erdöl und Erdgas die Weltwirtschaft beeinflussen

Karin Kneissl

Der

Energiepoker

Wie Erdöl und Erdgas die Weltwirtschaft beeinflussen

Gesamtbearbeitung: Druckerei Joh. Walch

2., überarbeitete Auflage 2008

Alle Rechte vorbehalten, einschließlich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks sowie der photomechanischen und elektronischen Wiedergabe. Dieses Buch will keine spezifischen Anlage-Empfehlungen geben und enthält lediglich allgemeine Hinweise. Autor, Herausgeber und die zitierten Quellen haften nicht für etwaige Verluste, die aufgrund der Umsetzung ihrer Gedanken und Ideen entstehen.

Die Autorin erreichen Sie unter:

ISBN 978-3-89879-187-8
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-947-3

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Danksagung

Einleitung

Kapitel 1
Geografische Fakten: Wissen ist Macht, gerade beim Investieren

1.1. Grenzziehungen entlang von Pipelines

1.2. Chinas Expansion nach Westen

1.3. Alte und neue Begehrlichkeiten: Ansprüche auf Erdölund Erdgasfelder

Kapitel 2
Die OPEC mit 48: weniger mächtig, aber noch immer präsent

2.1. Vom unbekannten Dialogforum zum globalen Akteur

2.2. Wie funktioniert die OPEC?

2.3. Die besondere Allianz der USA mit dem Hause Saud

Kapitel 3
Die Nicht-OPEC-Produzenten: hohe Erwartungen und schwankende Resultate

3.1. Russland und die Renationalisierung der Energie

3.2. Russlands „nahes Ausland“ in Zentralasien und im Kaukasus

3.3. Byzantinische Machtspiele zwischen Russland und dem Iran

3.4. Die Nordsee-Lieferanten: teuer, aber verlässlich

3.5. Die neue Kolonialisierung Afrikas: China, die USA und Europa im Kampf um die Rohstoffe

Kapitel 4
Die Nachfrage: Der Durst nach fossilen Energien wächst rasant

4.1. Die USA und ihre Erdölinteressen

4.2. Die EU und ihre fehlende Energiepolitik

4.3. Die Schwellenländer und ihre neuen Energieallianzen

Kapitel 5
Die Erdölkonzerne – zwischen Profiten, Unsicherheit und Kritik

5.1. Investieren ja, aber unter welchen Bedingungen?

5.2. Investitionsformen

5.3. Aus Ölkonzernen werden Energiekonzerne

Kapitel 6
Energie als Faktor der Finanzmärkte

6.1. Termingeschäfte und Energiemarkt: Börsentaktik versus langfristige Strategie

6.2. Die Währungsfrage

6.3. Welche Auswirkungen hat die Preishausse auf Investitionen in die Energiebranche?

Kapitel 7
Strategien angesichts neuer Umweltstandards

7.1. Politik muss handeln

7.2. Der Versicherungssektor und Investoren werden Energietrends mitgestalten

7.3. Die Transportindustrie braucht einen Neuanfang

7.4. Zeit gewinnen

Schlusswort

Empfohlene Literatur

Vorwort

Energie ist ein integraler Bestandteil unseres Alltags, mehr noch: Es ist die Quelle allen Lebens. In Zeiten hoher Energiepreise wächst auch die Aktualität dieses Themas. Erdöl und Erdgas sind unsere wesentlichen Energieträger und daher stets im Mittelpunkt aller Energiedebatten. Gerade der Energiesektor – und hier insbesondere der dynamische Erdölmarkt – reflektiert die schnellen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen unseres globalisierten Zeitalters.

Die Ölpreissteigerungen der Jahre 2004-2005 waren ursprünglich durch ein starkes Wachstum der Weltwirtschaft bedingt. In der Folge führten Engpässe in der Erdölverarbeitung und geopolitische Unsicherheiten zu dem anhaltend hohen Preisniveau. Die Sorge um künftige Unterbrechungen in der Energieversorgung ist gewachsen. Hinzu trat eine heftige Diskussion über die Höhe der noch vorhandenen Erdöl- und Erdgasreserven. Parallel läuft eine öffentliche Debatte zur Entwicklung alternativer Energiequellen und zur Steigerung der Energieeffizienz. Während all diese Diskussionen und Entwicklungen bedeutsam sind, so wird Erdöl jedenfalls der wichtigste Energieträger im globalen Energiemix bleiben. Es wird angenommen, dass die vorhandenen Ressourcen die Nachfrage der Konsumenten noch viele Jahrzehnte abdecken werden.

So wie das Erdöl die Entwicklung der Industriestaaten im 20. Jahrhundert entscheidend beeinflusst hat, so spielt es auch in unserem Jahrhundert eine ähnlich wichtige Rolle für die Wirtschaftsexpansion der Entwicklungsländer. Da in den kommenden Jahren eine stark steigende Nachfrage nach Erdöl und Erdgas erwartet wird, müssen alle Marktteilnehmer an einem Strang ziehen und rechtzeitig in die gesamte Bandbreite des Energieangebots investieren. Diese Investitionen müssen sich an den Erfordernissen des Umweltschutzes und einer nachhaltigen Entwicklung ausrichten.

Dr. Karin Kneissl, die mich in der Vergangenheit mehrfach interviewt hat, gelingt mit dem vorliegenden Buch ein wichtiger Beitrag zur schon dichten Liste an Literatur über Erdöl und Erdgas. Sie behandelt viele interessante Facetten wie den Dialog zwischen Produzenten und Konsumenten, den die OPEC seit ihrer Gründung verfolgt. In einer interdependenten Welt sind Dialog und Kooperation unerlässlich, um die Transparenz der Energiemärkte und ein nachhaltiges globales Wirtschaftswachstum zu ermöglichen.

Da dieses Buch in deutscher Sprache geschrieben wurde, wird es zweifellos innerhalb des deutschen Sprachraums, und vielleicht auch darüber hinaus, seine Leser finden und ihnen nützliche und sehr aktuelle Einblicke in den spannenden Erdöl- und Erdgasmarkt bieten.

Wien, im April 2006

Dr. Adnan Shihab-Eldin,
ehemaliger Interim-Generalsekretär
und Chefökonom der OPEC

Vorwort zur zweiten Auflage

Die Gefahren, die von hoch verschuldeten US-Haushalten für die gesamte Weltwirtschaft ausgehen, waren bereits vor Ausbruch der Krise auf den Finanzmärkten im Sommer 2007 hinlänglich bekannt. Der als „credit crunch“, also Kreditklemme, bezeichnete Kollaps zahlreicher US-Hypothekenbank war die seit Jahren absehbare Folge von Spekulationen auf dem US-Immobilienmarkt. Was erstaunte, war der Umfang der Verwicklung europäischer Banken, die Geld an US-Partner geliehen hatte. Die Notenbanken engagieren sich seither mit hohen Finanzspritzen, um Geldinstitute zu stützen, und setzen auf die Herabsetzung der Zinssätze, um das höchste Gut, nämlich das Vertrauen, wiederherzustellen.

Doch die allgemeine Lage hat sich nun vor dem Hintergrund eines anhaltend hohen Preisniveaus für Erdöl und Erdgas weiter verschärft. Als die letzte große Finanzkrise ausbrach, nämlich jene auf dem asiatischen Bankensektor 1997, waren die Energieträger und Rohstoffe ganz allgemein billig. Das Inflationsrisiko daher auch entsprechend gedämpft. Gegenwärtig sind wir aber mit Energieverknappung und einer weltweiten Krise auf den Finanzmärkten konfrontiert, die sich als veritable Liquiditätskrise mit noch unabsehbaren Folgen entpuppen können. Auf ihrer Frühjahrstagung von Weltbank und des Internationalen Währungsfonds IWF Mitte April 2008 wurde deutlich verkündet, dass es eindeutige Vorzeichen für eine ausgeprägte und lange Wirtschaftskrise gebe. Das Wirtschaftswachstum verlangsame sich, die Perspektiven für 2008 und 2009 würden immer schlechter. Als Gründe für die trostlose Prognose gelten die immer noch weiter hervortretenden Vorfälle auf den Finanzmärkten im Gefolge der US-Immobilienkrise und hohe Inflationsrisiken, vor allem bei höheren Preisen für Nahrungsmittel, Energie und Konsumartikel.

Schwellen- und Entwicklungsländer sind zwar bisher stark weitergewachsen und haben gegenüber der andauernden Finanzkrise Widerstandskraft gezeigt. Sie werden jedoch umso mehr vom starken Preisanstieg bei Nahrungsmitteln und Energie getroffen. Dies gilt ganz besonders für ein Land wie Indien, wo die Inflation galoppiert und über 60 Prozent der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze leben. IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn warnte vor verheerenden Folgen einer andauernden Nahrungsmittelkrise: Sollte Nahrung so teuer bleiben, könnte die Bevölkerung einer sehr großen Zahl von Ländern mit schwierigen Konsequenzen konfrontiert werden. Zu ersten Hungerrevolten war es bereits 2007 in Mexiko gekommen, als infolge des Ethanol Booms in den USA die Maispreise drastisch anstiegen. Neben diesem grauenhaften Szenario weltweiter Brot- und Reisaufstände, die fragile Regierungen stürzen können, wächst auch die Kriegsgefahr.

Denn gekämpft wird nicht nur am Persischen Golf und in Zentralafrika, gar in der Arktis kehren manche Mächte wieder zur alten Kanonenbootdiplomatie zurück und zeigen Flagge. Auch wenn man hierfür erst 5000 Meter zum Meeresgrund reisen muss. Die Konstante der Rohstoffkriege, welche die Menschheit von Anbeginn ihrer Kriege um Wasser, Weiden und später Goldminen oder Erdölfelder begleiteten, manifestiert sich in aller Deutlichkeit: was zählt ist der physische Zugang zu diesen Quellen, ein Rechtstitel in Form von Konzessionen, reicht nicht. Eng damit verbunden ist daher auch die militärische Dimension aller Energiepolitik. Daher rückt die Sicherung des Zugangs zu Energiereserven und der Transitwege, ob es die Straße von Hormuz oder der Pipelines auf der Arabischen Halbinsel ist, immer mehr in den Mittelpunkt der Planung nationaler, aber auch europäischer Außenpolitik.

Am 25. Oktober 2006 veröffentlichte die deutsche Bundesregierung das „Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr 2006“. Die Sicherung des Zugangs zu den Rohstoffen wird als ein wesentlicher Aufgabenbereich beschrieben. Die Prioritäten des Militärbündnisses NATO haben sich ebenso zugunsten der Sicherung der Infrastruktur der Energieversorgung entsprechend verschoben. Die Liste der Seminare und Konferenzen unter dem Titel der „Sicherung der Energieversorgung“ wächst. Denn das Thema hat vor dem Hintergrund der Krisen zwischen Europa und Russland, zwischen den USA und dem Iran oder zwischen China und dem Westen auf dem afrikanischen Kontinent Hochkonjunktur. Der Waffenmarkt profitiert von der Aufrüstung der Truppen und privaten Sicherheitsdienste, welche Pipelines und Terminals schützen.

Der Poker um den Zugang zu Erdöl- und Erdgasfeldern in Zentralasien, wobei Moskau seinen Einflussbereich zu Lasten der internationalen Energiekonzerne erfolgreich ausbauen konnte, sowie der Wettlauf um Urankonzessionen angesichts eines Wiedererstarkens der Nuklearenergie und die geopolitisch bedingten Konfrontationen haben das Interesse am Thema Energie nur noch verstärkt. Immer mehr Politiker sprechen von einer Außenpolitik, die von der Energiepolitik geprägt ist. Dabei ist das Thema Energie an sich nichts Neues, es wird nur offensichtlich bei jeder Krise neu entdeckt. Man möge sich der Erdölkrise 1973 entsinnen, der Atomdebatte rund um Tschernobyl 1986 oder eben der angekündigten Erdgaskrise zwischen Russland und der Ukraine zu Neujahr 2006.

Zudem bedingt die allgemeine Debatte um den Klimawandel eine zusätzliche Dynamik, die sich u.a. in ambitionierten aber wohl kaum erreichbaren Zielen zur Emissionsreduzierung durch die Vertragsstaaten des Kyoto-Protokolls erschöpft. Bei aller Sensibilisierung für das Thema sind doch starke Kontroversen erkennbar, die nicht nur quer über den Atlantik verlaufen. Neben der Diagnose der Ursachen und der Folgen, sind die Gegenmaßnahmen zur Emissionsbeschränkung teils fragwürdig und führen eher zu Zahlenkosmetik als ernsten Lösungen. Als besonders heikel erweist sich bereits die Alternative der Biotreibstoffe, welche diese Auflage im Lichte der neuen Erkenntnisse zum Einsatz nachwachsender Rohstoffe behandeln wird.

Die Entwicklungen auf dem Energiesektor sind zwar im Umbruch. Vorhersagen über die Entwicklung von Angebot und Nachfrage lassen sich nur schwer treffen. Denn neben einer schon in der ersten Auflage angesprochenen Rezession der US-Wirtschaft, die in der Folge zu einem Preisverfall von Erdöl- und Erdgas führen könnte, ist ebenso die Möglichkeit einer weiteren Preisexplosion aufgrund stetig wachsender Nachfrage gegeben. Ein konsumfreudiger Mittelstand entsteht in allen Schwellenländern, von Vietnam bis Brasilien. Sowohl die Internationale Energieagentur IEA als auch die Organisation Erdöl exportierender Länder OPEC revidieren regelmäßig ihre Prognosen nach oben oder unten. Jede Schwankung um einige Mio. Fass Erdöl oder Kubikmeter Erdgas wirkt sich auf die geplanten Förder- und Raffinierungsprojekte aus. Während die Konsumenten Energieversorgungssicherheit einfordern, plädieren die Produzenten für Nachfragesicherheit, um teure Explorationsprojekte nicht an sinkende Nachfrage zu verlieren. Die Erinnerungen an die Folgen der Preiskrise der 1970er Jahre, nämlich einen Preisverfall, sind in vielen Produktionsstaaten präsent.

Bei allem Interesse am Thema Energie darf doch eines nicht außer Acht gelassen werden: um zu vermeiden, einer Überfütterung mit Weltuntergangsszenarien und Preisprognosen zu erliegen, sollte dieses breite Thema, v.a. mit Blick auf Klimawandel und Investitionen in Alternativen, behutsam und seriös behandelt werden. Weder sollten Regierungen, Konsumenten und Industrie auf bestimmte Interessensgruppen hereinfallen noch kann fossile Energie wie bisher weiter verfeuert werden.

Der Energiesektor ist auf Langfristigkeit angelegt. Das Erfordernis politischer Rahmenbedingungen, unanfechtbarer Gesetze und damit einer Vorhersehbarkeit für Investitionen, ist wesentlich für sinnvolle und nachhaltige Energiepolitik, die diesen Namen verdient. Hiervon sind aber Produzentenstaaten wie Importländer bedauerlicherweise weit entfernt. Für multilaterale Ansätze, wie sie die Europäische Union unternimmt, fehlen zudem der politische Wille und die Mechanismen.

Der Leser möge in dieser überarbeiteten zweiten Auflage aufschlussreiche Informationen finden, die ihm dabei helfen, sich ein eigenes Bild über die vielen Spieler, Karten und hohen Einsätze in diesem weltweiten Energiepoker zu machen.

Seibersdorf, im Frühjahr 2007

Karin Kneissl

Danksagung

Dieses Buch zum Thema Erdöl, Erdgas und Investitionen in die Energiebranche hätte nicht ohne die freundliche Unterstützung der folgenden Personen entstehen können, denen ich hiermit meinen Dank aussprechen möchte. Am Wiener Sitz des OPEC-Generalsekretariats konnte ich nicht nur Recherchen in der Bibliothek, sondern auch viele gute Hintergrundgespräche führen. In diesem Sinne geht mein Dank an den ehemaligen Leiter der Forschungsabteilung der OPEC, Dr. Shukri Ghanem, später Premierminister Libyens, und seinen Nachfolger Dr. Adnan Shihab El-Din. Nona Schlegel von der OPEC-Bibliothek half mir stets mit guten Hinweisen und interessanter Literatur. Nadir Gürer, Monika Psenner und viele andere Analysten in der Organisation widmeten meinen Fragen ihre Aufmerksamkeit und Zeit. Den beiden früheren Generalsekretären Ali Rodriguez Araque und Alvaro Silva Calderon möchte ich ein herzliches „gracias“ für die interessanten Interviews aussprechen. Dies gilt auch für Diana Golpashin von der Presseabteilung und all die anderen guten Geister in den Sekretariaten.

Bill Farren-Price vom Middle East Economic Survey (MEES) und seine Kollegen wurden mir im Laufe der Jahre zu wichtigen Gesprächspartnern. Neben so manch anderer Fachpublikation, wie Petroleum Argus und Geopolitics of Energy, lernte ich den MEES als zuverlässige und pünktliche Quelle schätzen. William R. Edwards, Edwards Energy Consultants, der als alter Fuchs im texanischen Ölgeschäft viel gesehen hat, half mir, die Tücken der Termingeschäfte besser zu verstehen. Ebenso wertvoll war der Gedankenaustausch mit Thomas Pflanzl von gas-alive in Sachen Erdgas. Tanja Schlesinger, Deutsche Bahn, und Christian Sabata, Lufthansa, dürfen in dieser Auflistung an Ratgebern nicht fehlen. Jurrien Westerhof, Greenpeace, hat mich mit nützlichen Einblicken fernab der fossilen Energien versorgt, und der Wiener Finanzanalyst Toni Straka teilte mit mir wertvolle Informationen zum Finanzmarkt.

General Raimund Schittenhelm und seinen Kollegen von der Landesverteidigungsakademie Wien danke ich für ihr Vertrauen, dass sie mich mit Kursen über strategische Rohstoffe für den Generalstab betraut haben. Die Österreichische Militärzeitschrift hat freundlicherweise Grafiken für dieses Buch zur Verfügung gestellt. Besonders wertvoll waren all die Lehrveranstaltungen, die ich an der Diplomatischen Akademie Wien in den letzten Jahren zum Thema Energiemarkt halten durfte. Den Studentinnen und Studenten, mit denen ich bislang zwischen Wien, Beirut, Paris und Innsbruck zum Thema arbeiten konnte, sei an dieser Stelle all meine Wertschätzung für die interessanten Dialoge und ihre vielen Fragen zum Ausdruck gebracht. Der Geist braucht seine Reibeflächen, um nicht im eigenen Bratensaft zu schmoren. Der Unterricht und die Diskussionen mit den Studenten ermöglichen mir stets neue Einsichten.

Stellvertretend für eine Reihe wichtiger Personen, die ihren Anteil an der Entstehung dieses Buches haben, sei Nicole Luzar für das Lektorat, Angelika Feldwieser für das Layout, Stefan Schörner, Matthias Setzler und Axel Müller für den Vertrieb sowie Verlagsleiter Christian Jund für sein Vertrauen in Autorin und Werk und Sybille Marz für die administrative Betreuung ein großes Dankeschön ausgesprochen.

Dieses Dankeswort darf ich mit der besonderen Erwähnung von Botschafter Dr. Peter Hohenfellner schließen. Er hat als formidabler Gesprächspartner, kritischer Leser und Ratgeber von der ersten Stunde an dieses Buch begleitet. Ohne seinen Zuspruch wäre vieles nicht so zügig vorangeschritten. Ihm und Veronika Angerer, seiner ehemaligen Mitarbeiterin in der Politischen Direktion des österreichischen Bundesministeriums für auswärtige Angelegenheiten, sei für alle Ermutigung und sehr konkrete Unterstützung aufrichtig gedankt.

Karin Kneissl, Seibersdorf im März 2006

Einleitung

Will man die Konflikte unserer Zeit verstehen, schiebe man am besten vor das innere Auge der Betrachtung eine Linse, die sich Ölmarkt nennt. Bündnisse und Kriege werden sich im Lichte dieser Linse neu brechen. Um die Achse des Erdöls dreht sich aber nicht nur die Politik, sondern vor allem die Weltwirtschaft. Kaum ein wirtschaftliches Ereignis wird so aufmerksam verfolgt wie die Festlegung der Ölförderquote durch die OPEC. Dabei ist dieser Hebel der einst mächtigeren Förderstaaten relativ stumpf geworden. Denn viele andere Faktoren mischen bei der Preisbildung mit. Krisenprämien, Wetterkapriolen und die hohe Besteuerung der Mineralölprodukte bestimmen neben Angebot und Nachfrage das Preisniveau, das sich vor allem durch eines auszeichnet: seine Volatilität.

So lag etwa Anfang 1999 der Preis für ein Fass Erdöl bei knapp 12 US-Dollar. An einer Produktionsdrosselung und einem damit verbundenen Preisanstieg hatten damals alle ein Interesse. Die Förderstaaten der OPEC ebenso wie jene außerhalb des Kartells, allen voran Russland und Norwegen, die kaum mehr ihre Produktionskosten abdecken konnten. Die USA wollten höhere Preise um der Konzerne willen, aber ebenso aus Sorge um ihre Verbündeten im Golf, deren Regierungen infolge des Preisverfalls seit 1985 in einer Schuldenkrise versanken und instabil wurden. Als ich im Frühjahr 2005 am Entwurf für dieses Buch arbeitete, lag der Preis bereits bei über 40 US-Dollar pro Fass, der dann Ende August die 70 Dollar-Grenze kurz durchbrach. Bei der Vorlage des Manuskripts waren es 57 Dollar pro Fass. Der Preis übersprang die 100 Dollar-Marke Anfang 2008, da die Nachfrage der asiatischen Schwellenländer wächst und der US-Dollar stark an Wert verloren hat? Werden wir in den kommenden Jahren infolge sinkender Nachfrage aufgrund weltweiter Rezession und neuer Förder- und Raffineriekapazitäten einen Preisverfall erleben? Oder dreht sich die Preisspirale wegen verkapptem Angebot und Kriegsgründen nach oben? Beide Entwicklungen sind denkbar. Das Buch kann nur die möglichen Rahmenbedingungen und tiefer liegenden Ursachen aufzeigen, warum es in die eine oder andere Richtung gehen könnte.

Es war und ist ein Hasardspiel, die Erdölpreise prognostizieren zu wollen. Dies gilt analog für die Preisentwicklung des attraktiver werdenden Erdgases. Erdöl wird immer mehr zur Leitenergie, an der sich die Preisgestaltung anderer Energien orientiert. Erdöl ist aber anders als Kaffee oder Zucker kein normaler Rohstoff, sondern ein strategischer Energieträger, in dessen Namen über Krieg und Frieden entschieden wird. Um die Entwicklung dieses für die Weltwirtschaft so wichtigen fossilen Energieträgers besser zu verstehen, hilft eine Betrachtung, die politische und historische Zusammenhänge einbezieht.

Geopolitik, Psychologie und Spekulation mischen auf diesem Energiemarkt ebenso mit wie die Naturgesetze der Preisbildung, nämlich Angebot und Nachfrage. Nicht eine willkürliche, politisch bedingte Verknappung des Angebots, wie dies während der Ölkrisen 1973 und 1979 jeweils der Fall war, sondern eine rasant gestiegene Nachfrage, vor allem seitens der rasch wachsenden Schwellenländer China und Indien, verursacht die Preiskrise auf Raten, die seit Anfang 2004 die Märkte beherrscht. Geopolitische Unsicherheiten mischen jedoch immer wieder mit. Welchen Umfang die Spekulation hat, ist umstritten. Doch Termigeschäfte im Rohstoffsektor spielen eine Rolle, wie nun auch die Preisspirale der Nahrungsmittel zeigt.

Zeigten sich anfänglich noch viele Volkswirte von diesen Preissprüngen unbeeindruckt, so wurden die Finanzminister bei ihren Jahrestreffen im Rahmen des Weltwährungsfonds (IWF) seit dem Frühjahr 2004 immer unruhiger. Die gestiegenen Energiepreise wirken inflationstreibend, dämpfen eine ohnehin schwache Nachfrage nach Konsumgütern und drücken auf die Konjunktur insgesamt. Seit Ende 2003 hat sich der Weltmarktpreis von einem Jahresdurchschnittspreis von damals 25 Dollar pro Fass vervierfacht. Ganz so leicht können die Verbraucher diese Preissprünge nicht mehr absorbieren. Jede Kartoffel wird transportiert, wofür Energie, sprich vor allem Treibstoff, benötigt wird. Die Auswirkungen auf die Inflation wurden seit Sommer 2007 immer deulicher. Wenn auch seit den Krisen von 1973 und 1979 die Energieeffizienz in der industriellen Produktion gewachsen ist, so erhöhte sich dennoch zugleich die Importabhängigkeit vom Erdöl, denn der Verbrauch im Transportsektor ist stark gewachsen. Wie verwundbar mächtige Industrienationen sind, wenn ihnen ein Hurrikan Ölplattformen wegbläst oder eine Miliz Terminals in Westafrika lahm legt, zeigte sich im Sommer 2005 in aller Deutlichkeit.

Ähnlich wie schon vor 30 Jahren wird der Ruf nach alternativen Energieträgern, nach mehr Diversifizierung und Energieverzicht laut. Selbst der aus der texanischen Ölbranche kommende US-Präsident George W. Bush rief seine Landsleute im September 2005 zum Energiesparen auf. Ein solcher Appell lässt auf eine tiefer liegende Energiekrise und damit verbundene wirtschaftliche Probleme schließen, die uns alle in den kommenden Jahren noch heftig beschäftigen werden. Die spürbaren Auswirkungen eines fortschreitenden Klimawandels veranlassen nicht nur Ökologen, sondern insbesondere auch die Versicherungsbranche, eine massive Reduzierung der Emissionen einzufordern und entsprechend Druck auf die Politik auszuüben. Der Energiemix müsse neu gestaltet werden, haben einzelne Regierungschefs klar bekundet. Ähnliches fordert die Internationale Energieagentur (IEA), welche die Energiepolitik von 27 Staaten koordiniert. Die Rückkehr der Nuklearenergie mit der neuen Generation sicherer Anlagen – aber ohne Lösung für die Endlagerung des Atommülls – ist ebenso bemerkenswert wie die kommerzielle Expansion der erneuerbaren Energien, die für Investoren als Kapitalanlage immer attraktiver werden.

Wir befinden uns zweifellos in einer Umbruchphase, in der das Erdgas als eine Transformationsenergie aufgrund seiner geringeren Emissionswerte weiterhin Erdöl substituieren wird. Besonders deutliche Auswirkungen hat das hohe Ölpreisniveau bereits auf den Transportsektor und betrifft die Automobilindustrie und die Luftfahrt gleichermaßen. Forschung und Entwicklung neuer energiesparender Antriebstechniken haben von Asien ausgehend auch die westlichen Konzerne erreicht.

Weiter stark verändern werden sich die Erdölkonzerne, die sich immer mehr in Energiekonzerne verwandeln. Neben der Förderung und Verarbeitung von Erdöl und Erdgas setzen sie auf andere Energieformen, darunter auch erneuerbare Energien. Die aktuell hohen Profite könnten die Konzerne neben der Erschließung neuer Erdöl- und Erdgasfelder, auch zum dringend notwendigen Bau von Raffinerien motivieren, denn es mangelt vor allem an Erdölprodukten und weniger an Rohöl. Ebenso zeichnen sich verstärkt Investitionen jenseits des traditionellen fossilen Sektors ab. Doch verunsichert sind gegenwärtig sowohl die Regierungen in den wichtigen Förderstaaten, als auch die Entscheidungsträger in den internationalen Erdölkonzernen. Keiner weiß so recht, in welche Richtung sich die Weltwirtschaft, die Energiepolitik und damit die Preise für Erdöl und Erdgas entwickeln.

Wollen Investoren die Unwägbarkeiten des Energiegeschäfts besser einschätzen, so wird ihnen dieses Buch eine Orientierungshilfe bieten. Dazu ist es unerlässlich, die wichtigsten Faktoren für die Preisbildung auf dem Weltmarkt unter die Lupe zu nehmen, insbesondere, da sich das Erdölund Erdgasgeschäft aktuell durch politische Umwälzungen und technische Entwicklungen im Bereich Erdgas und erneuerbarer Energien sowie den Handel mit Emissionszertifikaten in einer Phase der Neuorientierung befindet. Ziel dieses Buches ist, ein wenig Übersicht in das Chaos der globalen Erdöl- und Erdgaspolitik zu bringen.

Diese Umbruchphase stellt Investoren vor schwierige Herausforderungen. In der Branche der Investmentbanken, die im Energiegeschäft tätig sind, lassen sich spekulativ binnen Stunden Gewinne oder Verluste machen, doch auf dem Sektor der Infrastruktur benötigen alle Beteiligten einen langen Atem und den „Riecher“, um auf das richtige Pferd zu setzen. Die Brisanz dieser Problematik zeigt sich schon in den widersprüchlichen Daten über Erdöl- und Erdgasreserven. Die Analyse wesentlicher geopolitischer und wirtschaftlicher Faktoren soll daher ein wichtiges Hilfsmittel für Investitionsentscheidungen bieten.

„Oil makes and breaks nations“ – so umreißt man in der Ölbranche gerne die Geschichte des 20. Jahrhunderts. Dies gilt wohl auch für unser noch junges 21. Jahrhundert: Die Besetzung des Irak, des Landes mit den zweitgrößten Erdölreserven der Welt im April 2003, die Neugestaltung der Regime im Kaukasus entlang strategisch wichtiger Pipelines vom Kaspischen Meer bis zum Mittelmeer und das Venezuela gewidmete Augenmerk sind Fixpunkte der US-Außenpolitik. Analog betreiben China und die Russische Föderation Diplomatie im Namen des Erdöls. Die Russen bieten ihres an, die Chinesen kaufen Reserven vom Sudan bis in den Iran, um die starke Nachfrage zu befriedigen. Nicht zum ersten Mal in der Geschichte der Region findet ein Wettlauf um Zugang zu Ölquellen, Verlegung von Pipelines und Allianzen statt. Der Begriff des „great game“ prägte solche diplomatischen und militärischen Planungen und Aktionen schon in den 1920er Jahren. Jüngst kam er angesichts der Umwerbung zentralasiatischer Ressourcen, Erdöl und Erdgas, wieder in Verwendung.

Politik und Markt sind bei den fossilen Energien Erdöl und Erdgas eng verquickt. Die Gesetze von Angebot und Nachfrage greifen nur langfristig. Kurz- und mittelfristig bestimmt die Politik den Preis. Denn Erdöl ist ein strategischer Rohstoff, in dessen Namen Kriege geführt wurden und werden. Das illustrierte bereits der Erste Weltkrieg. Schon vor 1914 war absehbar, dass Erdöl Kohle bald ablösen würde. Erdöl ermöglichte eine höhere Geschwindigkeit und Beschleunigung bei der Fortbewegung. Bereits im Vorfeld des Krieges zeichnete sich im britisch-deutschen Flottenwettlauf ab, dass Diesel der bessere Treibstoff für Kriegsschiffe war. Winston Churchill übernahm 1911 den Posten des obersten zivilen Kommandanten der Marine und setzte sich sogleich für eine Umstellung von Kohle auf Erdöl ein. Marcus Samuel, Begründer von „Shell“ und einstiger Muschelhändler, hatte ihn von den vielen Vorteilen des neuen Energieträgers überzeugt: leicht zu lagern und transportieren, unverrottbar und vor allem billig. Grundsätzlich gelten diese von Samuel genannten Eigenschaften weiterhin, denn Erdöl ist nicht so teuer, wie es sein könnte oder vielleicht auch sein sollte, damit wir sinnvoller mit diesem wichtigen Rohstoff umgehen.

An wen richtet sich das Buch?

An all jene, die strategische Investitionsentscheidungen treffen, ob im Banken- und Versicherungssektor, in der Energiebranche, im Transportwesen und im Bereich des Energiekonsums sowie im Wertpapierhandel angesichts des neu zu ordnenden Geschäfts mit den CO2-Emissionszertifikaten. Anleger in diesen Bereichen sollen aus der Lektüre dieses Buches zusätzliche Informationen für die Gestaltung ihrer Veranlagungen ziehen. Ebenso möchte das Buch Hintergrundinformationen für Führungskräfte der Wirtschaft und Politik bieten; denn bei der Gestaltung der Energiepolitik geht es auch um Bereiche, die nicht unmittelbar mit der Erdölindustrie verbunden sind.

In den folgenden sieben Kapiteln sollen Kenner der Materie genauso wie Einsteiger in den Energiesektor angesichts der größeren Zusammenhänge zwischen Erdöl, Geopolitik und Wirtschaft interessante Impulse für ihre Entscheidungen finden. Ebenso möge das Buch zur Abrundung des Wissens rund um die strategischen Rohstoffe Erdöl und Erdgas dienen.

Die englische Sprache kennt die sieben „C“ der Energie:

Concern –

wir kommen nicht ohne Energie aus

Competition –

es gab immer einen Wettlauf um Ressourcen, er ist nur mit neuen Akteuren entbrannt

Conflict –

um Zugang zu Energiequellen werden Kriege geführt

Co-operation –

diese ist unerlässlich, ob zwischen Konsumenten und Produzenten oder innerhalb des jeweiligen Marktes

Consensus –

ohne diesen wäre die OPEC unvorstellbar

Conservation –

die Verbesserung der Energieeffizienz ist das Gebot der Stunde

Confluence –

Nachhaltigkeit ist für die Zukunft entscheidend

Viel Literatur zum Erdöl wurde und wird in englischer Sprache verfasst. Diese Fachpublikationen sind jeweils auf die Bedürfnisse eines US-Marktes oder der angelsächsischen Firmen und Entscheidungsträger zugeschnitten. Um diesem Defizit zu begegnen, sollen in diesem deutschsprachigen Werk auch Themen aufgegriffen werden, die einen europäischen Leser vielleicht mehr interessieren als einen Briten oder US-Amerikaner. Hierzu gehört wohl auch die Frage: Wird der Euro den US-Dollar als Handelswährung am Erdöl- und Erdgasmarkt ablösen? Im Iran und in der Russischen Föderation zeichnen sich bereits Entwicklungen in diese Richtung ab. Angesichts des hochinflationären Dollars mehren sich die Stimmern, mittels neuer Währungskörbe den Rohstoffhandel insgesamt umzugestalten.

Fünf Gründe, warum man dieses Buch lesen muss

Es gibt Antwort auf folgende Fragen:

1. Wohin fährt der Zug der Energiepolitik: Welche Rolle werden Erdöl und Erdgas in Zukunft spielen? Welche Auswirkungen hat die Nachfrage aus China und Indien? Notwendige Folge wird eine Neugestaltung des Energiemix sein, und alternative Energien, ob nuklear oder erneuerbar, werden eine verstärkte Rolle spielen.

2. Welche Folgen hat die Industrietransformation für die fossilen Energien? Wie verändern sich nationale und internationale Erdölkonzerne? Ratsam erscheint jedenfalls eine dynamische Weiterentwicklung der technischen und rechtlichen Bereiche, um der Preishausse der fossilen Energieträger durch eine umfassende Umgestaltung der Energieindustrie zu begegnen.

3. Werden neue Umweltstandards den Energiemix durcheinander wirbeln? Sie führen jedenfalls zu einer verstärkten Sensibilität der Entscheidungsträger, ob in der EU oder in Ostasien.

4. Wie werden sich die Finanzmärkte infolge neuer Energiemärkte verändern? Wie beeinflussen die nationalen und internationalen Trends in Transport und Produktion von Energie die Investitionsentscheidungen von Kleinanlegern in diesen Sektoren?

Es wachsen die Spekulationen im Bereich der Termingeschäfte und wachsende Unsicherheit zur Lage der Reserven, wie die Rückkehr der Debatte zum „peak-oil“ zeigt.

5. Wie groß ist die Bedrohung der Energieversorgung aus politischen Gründen?

Mesalliancen im Namen des Erdöls haben die Welt in den letzten 50 Jahren nur unsicherer gemacht. Es zeichnen sich geopolitische Umwälzungen zum Zwecke neuer Energieallianzen ab, bei denen zukünftig nicht mehr die USA, sondern China und Indien das Steuer in der Golfregion oder in Zentralasien übernehmen. Parallel zeichnet sich in den USA die feste Entschlossenheit ab, sich aus der Abhängigkeit von nahöstlichem Erdöl zu lösen.

Immer wieder bricht der latente Konflikt zwischen Orient und Okzident auf. Die Angst vor der westlichen Ausbeutung der Ölquellen dominiert die Menschen im Osten, während im Westen die Kombination von Petrodollars und Terrorismus neue und alte Ängste inspiriert.

Technische Anmerkung zu den Ölsorten

Erdöl ist nicht gleich Erdöl. Die Skala der Ölsorten ist mit der Erschließung neuer Fördergebiete im Laufe der Jahre immer breiter geworden. Die erste industrielle Produktion in Baku im damals zaristischen Russland um 1890 unterschied noch nicht zwischen Erdölsorten, man sprach nur von Petroleum. Es folgten mit neuen Explorationen in den USA, so in Pennsylvania und Texas, in Europa in Rumänien, später auf der Arabischen Halbinsel zahlreiche neue Ölsorten, die sich jeweils in ihrer chemischen Zusammensetzung, sprich vor allem in ihrem Schwefelgehalt und sonstigen Einlagerungen, stark voneinander unterscheiden. Ganz grob gesagt, je „süßer“ das Erdöl, je geringer also der Schwefelgehalt ist, desto leichter lässt es sich zu Treibstoffen weiterverarbeiten. Je schwerer das Öl hingegen, desto besser eignet es sich beispielsweise für die Raffinierung zu Heizöl.

Die maßgeblichen Parameter in der Darstellung und Bestimmung des Ölpreises sind

a) Brent Crude Oil Future, der an der Londoner Börse IPE gehandelt wird. Crude Oil bedeutet in jedem Fall Rohöl. Brent bezieht seinen Namen von einem Feld in der Nordsee, das in den 1970er Jahren entwickelt wurde. Tatsächlich ist Brent eine Mischung aus verschiedenen Rohölen ähnlicher Beschaffenheit, die im East Shetland Basin gefördert werden.

b) Light Sweet Crude Oil Future, der in den USA an der NYMEX gehandelt wird

c) West Texas Intermediate (WTI), die maßgebliche US-amerikanische Rohölvariante

d) Der OPEC Oil Basket Price, der Durchschnittspreis diverser Rohölsorten der einzelnen OPEC-Mitgliedsstaaten.

Der Brent Crude Oil Future stellt die Wertentwicklung von 1000 Fässern Nordseeöl dar. Obwohl Brent Crude Oil ein deutlich geringeres Handelsvolumen als andere Rohölsorten hat, wird Brent Oil weltweit als die übergeordnete Benchmark verwendet. Tendenziell laufen die verschiedenen Rohölsorten synchron. Die Auswertung lässt unter anderem Rückschlüsse auf bevorstehende Preisentwicklungen von Heizöl oder Benzin zu. Der englische Begriff des Barrel ist die ursprüngliche und weiterhin gültige Maßeinheit, die exakt 35 imperiale Gallonen oder 158,97 Liter enthält.

Wenn in der Folge vom Erdöl schlechthin die Rede ist, so sollen nicht aus Gründen der Ignoranz die jeweiligen Ölsorten ausgeblendet werden. Vielmehr möge der Leser einen überschaubaren Einblick in die Entwicklung der Erdöl- und Energiemärkte – unter der hoffentlich verzeihbaren Vernachlässigung gewisser technischer Details – gewinnen.

Kapitel 1

Geografische Fakten

Wissen ist Macht, gerade beim Investieren

Klar erkannte Otto von Bismarck die „Geografie als Konstante der Geschichte“. Wie eng geografische Gegebenheiten mit politischen Zusammenhängen verknüpft sind, zeigt sich regelmäßig im Ausbruch von alten und neuen Territorialkonflikten. Wenn diese Gebiete rohstoffreich sind, tritt eine zusätzliche wichtige Dimension hinzu. Der Kampf um Ressourcen, sprich in unserem Fall fossile Energieträger, beherrschte das 20. Jahrhundert. Es handelte sich um das „Century of Oil“, wie der Ölhistoriker Daniel Yergin in seinem Bestseller „The Prize“ treffend beschreibt. Dieser Kampf um Öl, Geld und Macht ging 2003 mit dem Irakkrieg, der für alle Welt ersichtlich ein Krieg ums Öl war und ist, in die nächste Runde. In der Organisation Erdöl exportierender Länder (OPEC) sind die Analysten überzeugt: „Die nächste große Erdölkrise wird aus Gründen der Geopolitik ausbrechen, allein aus Marktdaten wird man sie nicht erklären können.“1

Der Krieg um Rohstoffe, ob Öl oder in absehbarer Zeit Wasser, tobt bereits. Zwischen den USA und China – deren Energiehunger aufgrund der US-Rezession zwar ein wenig nachließ, aber immer noch gewaltig ist – spielt sich dieser Kampf um die Kontrolle rohstoffreicher Gebiete hinter diplomatischen Kulissen und auf den Kommentarseiten der Wirtschaftszeitungen ab. Doch in absehbarer Zeit könnte der Zugriff auf Erdölreserven durch chinesische Konzerne die ohnehin gespannten Beziehungen zwischen Peking und Washington in eine gefährliche Phase steuern. Die nächste Erdölkrise kann zudem an vielen verschiedenen Orten ausbrechen: in einem der bekannten Krisenherde im Nahen Osten von Jordanien bis Irak, durch einen schweren Anschlag auf die saudische Erdölindustrie oder einen Sabotageakt auf die neue Trans-Kaukasus Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan (BTC). Ebenso könnte ein völlig unerwartetes Ereignis, wie ein 11. September, für Aufruhr im Erdölgeschäft, überzogene Panik an den Börsen und die nächste Preisspirale sorgen. Es war übrigens nicht der vielzitierte 11. September, der die gegenwärtige Preishausse auslöste, sondern vielmehr der Krieg im Irak, der ab Ende 2003 zu einem stetig steigenden Ölpreis führte. Die Kriegs- und Terrorgefahren sind gewachsen und die irakische Erdölproduktion liegt weiter unter jener vor Kriegsausbruch.

Sicherheit in der Energieversorgung ist eng mit der Kontrolle geografischer und sicherheitspolitischer Faktoren verbunden. Geopolitik zu verstehen, ist daher entscheidend, um in das Erdöl- und Erdgasgeschäft mit all seinen Unwägbarkeiten ein wenig mehr Vorhersehbarkeit zu bringen. Denn bei allem Chaos in den internationalen Beziehungen bestimmt doch eine gewisse Logik, die auf Fakten der Geografie und der Geschichte beruht, das Geschehen. Man muss sie nur richtig erfassen.

Militärische Erfordernisse bestimmten stets die Geopolitik des Erdöls

Ob es sich nun um den im Frühjahr 2005 heftig entflammten Disput zwischen China und Japan oder um die Bürgerkriege in zahlreichen Staaten Zentralasiens und des Kaukasus dreht, hinter all diesen brodelnden Kriegsherden stehen die Konflikte um Erdöl und Erdgas. Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg begann der Wunsch der Großmächte, physischen Zugriff auf Erdölquellen zu erlangen, die Außenpolitik zu dominieren.

Im „Großen Krieg“ 1914-1918, wie die Zeitgenossen diese Katastrophe des 20. Jahrhunderts nannten, ging es erstmals um die Mobilität von Truppen. Nicht mehr Eisenbahnen transportierten die Soldaten auf die Schlachtfelder, sondern eine rasche Verlegung der Armeen wurde erforderlich. Paris wäre eventuell schon 1915 von deutschen Truppen okkupiert worden, hätte nicht die famose „Taxi-Armada“ unter General Galliena, dem Verteidiger der französischen Kapitale, dies zu verhindern gewusst. Angesichts des herannahenden Feindes und des Mangels an Transportmöglichkeiten, um den Angriff zu stoppen, befahl Galliena sämtliche Pariser Taxis vor das Verteidigungsministerium. Nachdem man sich auf den Fahrpreis geeinigt hatte, chauffierten die Pariser Taxifahrer die Soldaten an die Ostfront. Hier sollte einer der vielen tragischen Stellungskriege beginnen, für den eine Generation von Europäern einen dramatischen Blutzoll bezahlte. Unter dem Eindruck dieser neuen militärischen Erfordernisse erklärte auch der französische Premier Georges Clemenceau den Zugang zu Erdölquellen zur obersten Priorität. Vor 1914 hatte er noch höhnisch gesagt: „Wenn ich Benzin brauche, dann besorge ich mir dies in der Apotheke.“ Als das Automobil noch eine Rarität war, wurde der Treibstoff bekanntlich von den Pharmazeuten vertrieben.

Der Brite Winston Churchill war seiner Zeit, jedenfalls den Franzosen, insofern voraus, als er noch lange vor dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges die Bedeutung des neuen Treibstoffs Diesel erkannte. In seiner Eigenschaft als Staatssekretär im britischen Kolonialministerium ließ er die britische Flotte umrüsten, an die Stelle von Kohle trat der Diesel. Hintergrund war der deutsch-britische Rüstungswettlauf zur See. Mit Diesel betriebene Kriegsschiffe waren schneller und wendiger. Churchill versuchte dadurch, den Vorsprung der deutschen Kriegsmarine aufzuholen. Sehr zum Missfallen einflussreicher Kreise im Militär und in der Wirtschaft, denn das Britische Empire verfügte zwar über ausreichend Kohle direkt auf dem Mutterland, musste aber Diesel importieren.

Als Siegermacht des Ersten Weltkriegs setzte London daher auch in der Folge alles daran, direkt an den strategisch entscheidenden Rohstoff Erdöl heranzukommen. Zielgebiet war das nördliche Mesopotamien, der heutige Irak. Über die großen Erdölreserven von Mossul waren die Briten durch ihre Geologen, die oft auch als Archäologen getarnt in der Spionage wirkten, perfekt informiert. Die physische Kontrolle über Erdölgebiete sollte zum entscheidenden Kriterium in der Aufteilung des Osmanischen Reiches werden. Erdöl war zum strategischen Rohstoff aufgestiegen, denn Erdöl zu haben oder nicht zu haben, war erstmals ein kriegsentscheidender Faktor. Der Erste Weltkrieg brachte binnen weniger Jahre einen gewaltigen Innovationsschub in der Kriegs- und damit auch in der Zivilindustrie. Die ersten Luftschlachten und die deutschen U-Boot-Angriffe – so auf US-Handelsschiffe, die zum Kriegseintritt der USA 1917 führten – hatten ihre Auswirkungen auf die Transportmittel des 20. Jahrhunderts. Ohne den Treibstoff Erdöl ging oder fuhr von nun an nichts mehr.

Frankreich wollte aber ebenso Zugriff auf den essentiellen Rohstoff. Zwischen London und Paris tobte während der Verhandlungen um die Neuordnung des Osmanischen Reiches 1919 in den Pariser Vororten ein wilder Streit. Großbritannien wollte seine Kontrolle der vielversprechenden Erdölfelder von Mossul nicht aufgeben, nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen. Frankreich sah sich seinerseits „historisch berufen“, die Region zu dominieren. Nach einigen Unstimmigkeiten wurde eine Aufteilung vorgenommen, dass Frankreich 25 Prozent Anteile an der Turkish Petroleum Company, die die Konzessionen in Mesopotamien hatte, erhielt. Im Gegenzug würde Frankreich die Errichtung zweier Pipelines durch das französisch kontrollierte Mandatsgebiet Syrien gestatten.

Ob man es mag, oder nicht: Die Grenzen der Staaten des Nahen und Mittleren Ostens basieren auf Abkommen entsprechend ihrer Erdölreserven. Gewissermaßen also nichts Neues unter der Sonne. Die Region wurde Anfang des 20. Jahrhunderts, ebenso wie zu Beginn unseres Jahrhunderts, von der Geopolitik des Erdölhungers geprägt. Für die Völker, insbesondere die Iraker, wurde der Erdölreichtum vom „Geschenk Gottes“ zum „Fluch Gottes“. Vom Recht auf Selbstbestimmung, das US-Präsident Woodrow Wilson noch 1918 feierlich verkündete, sind die Menschen in dieser Region weit entfernt, solange geopolitische Interessen, wie „Zugang zu billigem Erdöl“, über Krieg und Frieden entscheiden.

1.1. Grenzziehungen entlang von Pipelines

„Wer bestimmen kann, wie die Pipeline-Karte aussieht, wird die Zukunft eines riesigen Teils der Welt bestimmen.“

(Frederick Starr, Leiter des Kaukasus-Instituts an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore, USA)

Die Grenzen der Nationalstaaten im Nahen Osten sind großteils gewissermaßen mit dem Lineal gezogene, willkürliche Trennlinien. Die Anhänger des Panarabismus lehnten sie schlicht als „hudud al-mustana’a“, als künstliche Grenzen ab, da sie den gemeinsamen arabischen Sprachund Kulturraum durchschneiden. Die Idee der Arabischen Einheit ist zwar längst begraben, wenngleich die Diktatoren der 22 Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga diese Einheit, die „Wahda“, regelmäßig auf ihren Gipfeln beschwören. Doch auch für die religiösen Krieger, die so genannten Dschihadisten, ist die Aufteilung der Region ein koloniales Unrecht, das es zu beseitigen gilt. Sie wollen die Einheit der Gemeinschaft aller Muslime, der „Umma Islamiya“, jenseits aller territorialen Trennung wiederherstellen. Ihre extremen Forderungen im Namen eines pervertierten Islam sind umso brisanter, als eben diese Gruppen heute heftig in der Weltpolitik mitmischen. Großgezogen wurden diese Gotteskrieger teils von den USA und Saudi-Arabien während des Kalten Krieges. Osama bin Laden wurde 1979 von der CIA für den Untergrundkampf in Afghanistan gegen die Sowjetarmee rekrutiert. Der politische Hintergrund dieses von Washington miterfundenen Dschihad war die Eindämmung des Kommunismus, sprich der „Ungläubigen“, durch Förderung der Islamisten. Eine zweite – noch mehr fanatisierte – Generation ist soeben angetreten und beherrscht die internationale Terrorszene. Ihr Trainingslager ist seit 2003 der durch den Krieg und die Okkupation in Anarchie versunkene Irak.

Die Aufspaltung der arabischen, beziehungsweise islamischen Welt durch die Kolonialmächte nach dem Ersten Weltkrieg bewegt weiterhin die Gemüter. Verfolgt man aufmerksam die Botschaften von Osama bin Laden, die er regelmäßig per Tonband oder Video den Medien zukommen lässt, so ist hierin oftmals vom „Unrecht, das vor 80 Jahren begann“ die Rede. Gemeint sind diese Grenzziehungen in den 1920er Jahren und die Abschaffung des Kalifats durch den türkischen Reformer Kemal Atatürk. Glaubt man gewissen Analysen zur langfristigen Strategie der Al Qa’ida, so geht es dem diffusen Terror-Netzwerk um die Auflösung der gegenwärtigen Staatenstruktur in der Region. Die Vertreibung des Hauses Saud von der Arabischen Halbinsel ist bekanntlich das oberste Ziel der Dschihadisten, also der religiösen Krieger, deren Erfolge sich das fundamentalistische saudische Regime selbst zuzuschreiben hat. Nächstes Ziel der Dschihadisten ist die Beseitigung der westlichen Präsenz im Hedschas, wie die Halbinsel vor der Gründung Saudi-Arabiens 1932 hieß. Denn wegen des Erdöls kamen zunächst die Briten und Franzosen, später dann die USA in die Region.

Pipelines bestimmten das Schicksal des Nahen Ostens nach 1918, und sie tun es heute ebenso heftig in Zentralasien. Der Wettlauf um die Ressourcen in diesen rohstoffreichen Binnenstaaten bestimmt die Weltpolitik zwischen Moskau, Peking und Washington. Das neue „great game“ ist schon längst im Gange. Das „great game“, an dem im 19. Jahrhundert die Russen und Briten beteiligt waren, hat in den letzten Jahren eine dreipolige Neuauflage mit den USA, Russland und China erfahren. Europa mischt zwar am Rande mit, doch ohne echte Hebel bewegen zu können. Während die Europäer versuchen, sich von der russischen Umklammerung in Sachen Erdgas zu lösen, wollen die USA um jeden Preis verhindern, dass internationale Geschäfte zwischen Brüssel und dem erdgasreichen Iran zustande kommen.

Entlang von Pipelines wurden Grenzen gezogen, gestalten sich Einflusszonen internationaler Konzerne, entstehen geradezu exterritoriale Gebiete, bewacht von den Sicherheitskräften der Konsortien. Betrachtet man aufmerksam die Geschichte des 20. Jahrhunderts, so lautet der kleinste gemeinsame Nenner internationaler Interessen in der Region des Nahen und Mittleren Ostens: Erdöl und Erdgas.

Gefahr des Staatenzerfalls: Brennpunkt Irak

Wenn es um die Aufteilung der Konkursmasse des Osmanischen Reiches und die Schaffung britischer und französischer Mandatsgebiete im Nahen Osten 1920 geht, denken die meisten Betroffenen in der Region an das berüchtigte Sykes-Picot Abkommen. Es handelte sich um eine geheime diplomatische Korrespondenz zwischen London und Paris während des Ersten Weltkriegs. Ziel war die Schaffung von Einflusssphären, um die jeweiligen imperialen Interessen zu fördern, meist durch Unterstützung von gewissen Volksgruppen. So sah sich Frankreich als Schutzmacht der arabischen Christen, während Großbritannien mittels der Balfour-Deklaration den zionistischen Plan einer „jüdischen Heimstätte in Palästina“ förderte. Wäre es jedoch nach dem Sykes-Picot Abkommen gegangen, sähe der Nahe Osten heute völlig anders aus. Die Franzosen sicherten sich darin aufgrund ihrer ursprünglich durch ein dichtes Netz von Konsulaten, Schulen und Orden fest verankerten Position viel mehr Einfluss als Großbritannien. Das Interesse Londons konzentrierte sich auf die Wasserwege, denn die außenpolitische Doktrin lautete: free passage through Suez to India. Wichtiger war der Golf, wo zahlreiche britische Handelsniederlassungen bestanden. Aus diesen „Trucial States“, wörtlich Waffenstillstandsstaaten, sollten später die kleinen Golfemirate von Bahrain bis Kuwait werden.

Doch nicht dieses ominöse Sykes-Picot Abkommen sollte Realität werden;2