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Mathias Blanz
Frank Como-Zipfel
Franz J. Schermer
(Hrsg.)

Verhaltensorientierte Soziale Arbeit

Grundlagen, Methoden, Handlungsfelder

Verlag W. Kohlhammer

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart

Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher

Gesamtherstellung:

W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-021973-1

E-Book-Formate:

pdf:     ISBN 978-3-17-024042-1

epub:  ISBN 978-3-17-025410-7

mobi:  ISBN 978-3-17-025411-4

Inhalt

  1. Geleitwort
  2. Vorwort
  3. I   Grundlagen
  4. 1   Wissenschaftshistorische und berufsethische Grundlagen der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit
  5. Frank Como-Zipfel
  6. 2   Wissenschaftstheoretische und verhaltenswissenschaftliche Grundlagen der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit
  7. Christoph Bördlein
  8. II   Methoden
  9. 3   Methoden der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit
  10. Mathias Blanz und Franz J. Schermer
  11. III  Handlungsfelder
  12. 4   Verhaltensorientierte Soziale Arbeit mit Menschen mit Behinderungen
  13. Friedrich Linderkamp
  14. 5   Verhaltensorientierte Soziale Arbeit mit alten Menschen
  15. Anita Plattner
  16. 6   Verhaltensorientierte Soziale Arbeit mit psychisch erkrankten Menschen
  17. Georg Jungnitsch und Silke Lederbogen
  18. 7   Verhaltensorientierte Soziale Arbeit mit suchtkranken Menschen
  19. Michael Klein
  20. 8   Verhaltensorientierte Soziale Arbeit mit straffälligen Menschen
  21. Klaus Mayer
  22. 9   Soziale Arbeit bei tiefgreifenden Entwicklungsstörungen
  23. Hanns Rüdiger Röttgers
  24. 10  Verhaltensorientierte Soziale Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
  25. Michael Borg-Laufs und Katja Dittrich
  26. 11  Verhaltensorientierte Soziale Arbeit in Schule und Bildung
  27. Edeltrud Marx und Raphaela Trinks
  28. 12  Verhaltensorientierte Soziale Arbeit mit Familien
  29. Annett Kuschel und Sylvia Harstick-Koll
  30. 13  Verhaltensorientierte Soziale Arbeit im Gesundheitsbereich
  31. Christoph B. Kröger und Johanna Wenig
  32. 14  Verhaltensorientierte Supervision Sozialer Arbeit
  33. Dieter Schmelzer
  34. Literaturverzeichnis
  35. Autorenverzeichnis

Geleitwort

Die Entscheidungen und professionellen Urteile, die Praktiker der Sozialen Arbeit täglich fällen, haben weit reichende Folgen und bedürfen einer Begründung, sowohl gegenüber den Klienten als auch gegenüber der Gesellschaft als Ganzes. Es ist deshalb unumgehbar, dass diese Entscheidungen nicht auf der Grundlage persönlicher Voreingenommenheit, Hörensagen oder veralteten Theorien getroffen werden, sondern auf pragmatischen, wissenschaftlich fundierten Kenntnissen darüber, wie menschliche Interaktionen und Verhaltensweisen entstehen und beeinflusst werden – insbesondere durch den Kontext, in dem sie auftreten, die individuelle Lerngeschichte und Erfahrungen sowie die vorherrschenden kulturellen und ethischen Normen und Werte.

Die Verhaltenswissenschaften und im Besonderen die Angewandte Verhaltensanalyse bieten diese Wissensgrundlage. Aufbauend auf einem funktionalen und kontextualen Verständnis darüber, wie Verhalten gelernt, geformt, generalisiert und aufrechterhalten wird, bietet die Verhaltensorientierte Soziale Arbeit individuell zugeschnittene, kontextspezifische Interventionen, die ethisch fundiert sowie transparent und nicht bevormundend ausgerichtet sind.

Es ist deshalb nicht überraschend, dass gerade die Verhaltensorientierung eine Vorreiterrolle in der Entwicklung eines evidenzbasierten, Aufgaben-orientierten und Person-zentrierten Vorgehens in der Sozialen Arbeit einnimmt. Doch werden deren theoretisch-konzeptuelle Grundlagen üblicherweise in den Aus- und Weiterbildungen der Sozialen Arbeit, die primär an Methodenlehre orientiert sind, nicht gelehrt.

Der vorliegende Band zeigt, wie die Praxis der Sozialen Arbeit von einem soliden Verständnis der Verhaltenstheorie profitieren kann und wie dies zu besseren Ergebnissen im gesamten Bereich ihrer Aufgaben und Aktivitäten führt. Der Leser wird eingeladen, bisherige Überzeugungen zu überprüfen und sich zu einem sorgfältig und kritisch reflektierenden Praktiker zu entwicklen, der seine Arbeit »eher vertritt als verteidigt« (»defensible rather defensive practice«, O’Neill, 2012).

Dieser Band bietet die erste umfassende Darstellung der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit in Deutschland und schließt damit die normative als auch empirische Lücke zur internationalen Best-Practice in der Sozialen Arbeit (Thyer & Kazi, 2004).

Der Leser wird in die ethischen, wissenschaftlichen, theoretischen und methodologischen Grundlagen der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit unter Bezugnahme auf aktuelle internationale Forschung eingeführt. Verhaltensorientierte Konzepte werden auf eine umfassende und beeindruckende Bandbreite von Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit angewandt, die von Menschen mit Behinderungen zu alten Menschen, von psychisch erkrankten, suchtkranken, und straffälligen Menschen zu Kindern, Jugendlichen und Familien sowie vom Bildungs- und Gesundheitsbereich zur Supervision Sozialer Arbeit reicht. Diese vielen Beispiele veranschaulichen, wie evidenzbasierte Entscheidungsprozesse, die auf einer »wissenschaftliche Methode« (»the scientific method«; Keenan & Dillenburger, 2012) aufbauen, zur Qualitätssicherung, der Vermeidung ineffizienter Interventionen und der Weiterentwicklung der Profession beitragen.

Dieses Buch ist Pflichtlektüre für all diejenigen, die sich einer evidenzbasierten und nicht bevormundenden Praxis der Sozialen Arbeit verpflichtet fühlen: Lehrende, Forschende, Studierende und Praktiker in den verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit und angrenzenden Gebieten.

Karola Dillenburger PhD; BCBA-D
Professor for Behaviour Analysis and Education
Centre for Behaviour Analysis
School of Education
Queen’s University Belfast
qub.ac.uk/cba

Literaturhinweis

 

Keenan, M. & Dillenburger, K. (2012). Behaviour analysis: A primer. ibook available on itunes.

O’Neill, L. (2012). Using theory in social work practice. Guardian Professional, August, 3.

Thyer, B. & Kazi, M. (2004). International perspectives on evidence-based practice in Social Work. Ashgate, UK: Venture.

Vorwort

Behavioral Social Work stellt im angloamerikanischen Bereich einen seit Jahrzehnten etablierten Zugang in der Sozialen Arbeit dar, welcher durch eine empirische Fundierung seiner theoretischen Grundannahmen, eine zielgerichtete problemorientierte Vorgehensweise und eine ausgeprägte Evidenzbasierung gekennzeichnet ist. Wie alle Zugänge zur Sozialen Arbeit sieht sich auch die Verhaltensorientierung der Wahrung der Würde ihrer Klientel unter Berücksichtigung der allgemeinen Menschenrechte sowie den berufsethischen Kodizes der Sozialen Arbeit verpflichtet. Dem steht eine bislang vergleichsweise geringe Rezeption der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit in der deutschsprachigen Fachöffentlichkeit gegenüber.

Mit dem vorliegenden Lehrbuch wird ein umfassendes Grundlagenwerk zur Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit vorgestellt, das sich im Kontext der Öffnung des deutschen Bildungssektors durch den Bolognaprozess an internationalen Standards der Ausbildung in Sozialer Arbeit orientiert. Der Band gliedert sich in drei Teile. Im ersten Teil werden die ethischen und historischen sowie die wissenschafts- und verhaltenstheoretischen Grundlagen dargestellt. Der zweite Teil behandelt die methodologischen Grundlagen der Beziehungsgestaltung, der Analyse von Anliegen, der Erreichung von Zielen und der Erfolgsbewertung. Im dritten Teil wird die Umsetzung dieser Grundlagen in einer breiten Palette von Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit dokumentiert.

Der Band wendet sich sowohl an Lehrende als auch Studierende der Sozialen Arbeit und verwandter Studiengänge, die sich auf theoretischer oder praktischer Ebene mit dem verhaltensorientierten Ansatz vertraut machen wollen. Darüber hinaus gibt er dem Berufspraktiker Einblick in das verhaltensorientierte Vorgehen in unterschiedlichsten Anwendungsbereichen der Sozialen Arbeit.

Wir möchten uns an dieser Stelle herzlich bei den Autorinnen und Autoren für ihr Engagement und ihre Kooperations- und Kompromissbereitschaft bedanken, welche die vorliegende einheitliche Gestaltung des Bandes erst ermöglichte. Darüber hinaus haben wir den Herren Dr. Ruprecht Poensgen und Dr. Klaus-Peter Burkarth vom Kohlhammer-Verlag für ihre wertvolle Unterstützung und Betreuung zu danken.

Zur leichteren Lesbarkeit des Textes haben wir uns entschieden, in den meisten Fällen nur eine der beiden Geschlechtsformulierungen zu verwenden; die jeweils andere ist dabei selbstverständlich immer mitgedacht.

Würzburg, im Frühjahr 2013

Mathias Blanz
Frank Como-Zipfel
Franz J. Schermer

I   Grundlagen

1          Wissenschaftshistorische und berufsethische Grundlagen der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit

Frank Como-Zipfel

1.1       Einleitung

Dieser Beitrag stellt die wissenschaftshistorischen und ethischen Grundlagen der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit im anglo-amerikanischen und deutschsprachigen Raum dar. Zugunsten des Begriffs »Soziale Arbeit« werden die Termini »Sozialarbeit« und »Sozialpädagogik« im Folgenden eher zurückhaltend bzw. weitgehend synonym gebraucht. Der hier verwendete Begriff der Sozialen Arbeit orientiert sich an zwei Definitionen und zwar:

(1) der Definition des Fachausschusses »Theorie- und Wissenschaftsentwicklung« des Fachbereichstags Soziale Arbeit von 1999: »Die Wissenschaft der Sozialen Arbeit ist die Lehre von den Definitions-, Erklärungs- und Bearbeitungsprozessen gesellschaftlich und professionell als relevant angesehener Problemlagen. … Der Gegenstand der Sozialen Arbeit ist die Bearbeitung von gesellschaftlich und professionell als relevant angesehenen Problemlagen« (Klüsche, 2004, S. 256, 262); sowie

(2) der Definition der Generalversammlung der International Federation of Social Workers und der International Association of Schools of Social Work von 2004: »Die Profession Soziale Arbeit fördert sozialen Wandel, Problemlösungen in menschlichen Beziehungen und die Stärkung und Befreiung von Menschen, um das Wohlergehen zu stärken. Gestützt auf Theorien über menschliches Verhalten und sozialer Systeme greift Sozialarbeit an den Stellen ein, wo Menschen mit ihrer Umwelt in Wechselwirkung stehen. Die Grundlagen von Menschenrechten und sozialer Gerechtigkeit sind für die Soziale Arbeit wesentlich« (Deutscher Berufsverband für Soziale Arbeit, 2009, S. 2).

Diese allgemeinen Definitionen Sozialer Arbeit weisen explizit auf die wissenschaftliche Fundierung und die ethischen Dimensionen des Berufsbildes hin. Eine wissenschaftliche Orientierung sowie ein ethisches Bewusstsein und Handeln wird im Folgenden als konstituierend für die berufliche Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit angesehen. Dass dieses insbesondere auch für die Tradition der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit gilt, wird im Abschnitt 1.3 dieses Beitrags dargestellt.

Die Frage »Was ist Verhaltensorientierte Soziale Arbeit?« kann aufgrund zahlreicher, zumeist übereinstimmender Definitionen in der Literatur (Bartmann, 2010; Gambrill, 1995; Payne 2005; Thomlison, 1982; Thyer & Hudson, 1987) beantwortet werden: In ihren grundlegenden Zielsetzungen unterscheidet sich die Verhaltensorientierung nicht von anderen Formen der Sozialen Arbeit. Auch sie steht selbstverständlich für die verantwortungsvolle Förderung und die Unterstützung ihrer Klientel bei der Lösung und Bewältigung von deren Problemlagen; dies stets unter der Wahrung der Menschenwürde, der sozialen Gerechtigkeit, dem Einbezug der Lebensumwelt und der Autonomie ihrer Klientel. Die besonderen Charakteristika der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit finden sich somit nicht in deren Zielsetzungen, sondern in der Gestaltung des Weges, der zum Ziel führt: also in deren Konzept, Methoden und Techniken, die in der Praxis eines verhaltensorientierten Hilfeprozesses zum Tragen kommen. Unter Berücksichtigung der zentralen Aussagen der o. g. Quellen werden die Charakteristika der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit wie folgt definiert:

•  Sie betont die zentrale Bedeutung des Lernens für die Erklärung und Veränderung menschlichen Handelns. Sie berücksichtigt deshalb insbesondere die Prinzipien der klassischen Lerntheorien (respondentes Lernen, operantes Lernen, sozial-kognitives Lernen), d. h. Modellvorstellungen mit empirischem Gehalt.

•  Sie führt eine umfassende gegenwartsbezogene Analyse des Anliegens des Klienten durch (Verhaltensanalyse). Bei dieser stehen das Anliegen des Klienten sowie dessen momentane Einflussfaktoren aus der intrapersonellen, sozialen und materiellen Umwelt im Mittelpunkt.

•  Sie operationalisiert (konkretisiert auf Verhaltensebene) und quantifiziert (ermöglicht die Zähl- und Messbarkeit) das Anliegen des Klienten.

•  Die im Hilfeprozess verfolgten Ziele leiten sich aus der Verhaltensanalyse ab.

•  Die Analyse des Anliegens, die Festlegung der Interventionsziele sowie die Durchführung der Veränderungsmaßnahmen erfolgen stets unter Einbezug und in Absprache mit dem Klienten bzw. dessen gesetzlichem Vertreter. Es gilt die Wahrung von Transparenz und informiertem Einverständnis des Klienten.

•  Der Hilfeprozess ist alltagsorientiert und hat einen übenden Charakter. Er soll die Kompetenzen zur Selbstkontrolle des Klienten fördern, d. h. zur »Hilfe zum Selbstmanagement« beitragen, damit die Veränderungen auch dann noch aufrecht erhalten werden können, wenn der Hilfeprozess beendet ist.

•  Sie strebt an, dass positiv veränderte (spezielle) Verhaltensweisen des Klienten von diesem auf andere Problemsituationen übertragen werden können (Generalisierung).

•  Der Verlauf und die Fortschritte des Hilfeprozesses werden kontinuierlich überprüft, indem die Messdaten der Gegenwart mit Messdaten der Situation vor Beginn, während und nach Ende der Intervention verglichen werden.

•  Sie bezieht im Bedarfsfall wichtige Personen aus dem Lebensumfeld des Klienten in den Hilfeprozess ein bzw. berät Mediatoren (z. B. Eltern, Lehrer), und berücksichtigt so das soziale Umfeld des Klienten.

•  Sie betont die starke Verantwortlichkeit von allen Personen (Klient, Fachkraft, Bezugspersonen), die mittelbar bzw. unmittelbar an der Durchführung eines verhaltensorientierten Hilfeprozesses beteiligt sind.

Prinzipiell gilt, dass das verhaltensorientierte Konzept und dessen Vorgehensweise in der Praxis in allen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit und bei den unterschiedlichsten individuellen und lebensweltlichen Problemlagen ihrer Klienten zum Einsatz kommen können. In der Arbeit mit den Klienten stehen Verantwortlichkeit, Transparenz, die Förderung der Kompetenzen zum Selbstmanagement sowie die Verbesserung von dessen Lebensqualität im Mittelpunkt des Hilfeprozesses.

1.2       Wissenschaftshistorische Grundlagen der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit

Die Wissenschaftshistorie widmet sich der Entstehung, der Entwicklung und dem Erfahrungsbestand der Wissenschaft und ihrer einzelnen Diziplinen im Kontext ihrer sozialen, politischen und ideengeschichtlichen Rahmenbedingungen. Sie beschäftigt sich mit den Institutionen, Repräsentanten, Forschungsprogrammen, Theorien und der wissenschaftlichen Praxis. Die Bedeutung von wissenschaftshistorischer Forschung speziell für die Soziale Arbeit betont Rössner, da »es sich hier um die Tradierung von Theorien handelt, bei denen Effektivitätsüberlegungen besonders zentral waren; denn Probleme der Sozialarbeit (Fürsorge) waren gesellschaftlich besonders relevant (da besonders störend), so dass die realisierten (technologisch fundierten) Handlungen in besonderem Maße im Hinblick auf ihre Effektivität kontrolliert wurden« (Rössner 1990, S. 93f.). So können die Grundlagen heutiger Beurteilungen der Entwicklung effektivitätsorientierter Konzepte und Methoden für die Praxis der Sozialen Arbeit rekonstruiert werden.

Die Wissenschaftsgeschichte der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit wird hauptsächlich von vier Strömungen beeinflusst: (1) der Entwicklung der Aufgabenstellungen der Sozialen Arbeit, deren Anfänge bis in die Armen-, Waisen- und Gesundheitsfürsorge der öffentlichen und kirchlichen Institutionen des Mittelalters und der frühen Neuzeit zurückreichen; (2) der Professionalisierungsgeschichte der sozialen Berufe, die ihren Beginn im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert findet; (3) der Entwicklung der verhaltenswissenschaftlichen Lerntheorien und den Methoden der Verhaltensmodifikation in der Praxis der pädagogischen und psychosozialen Handlungsfelder, deren Ursprung im späten 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert liegen; (4) den wissenschaftlichen Aktivitäten der Repräsentanten der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit in Theorie und Praxis. Die Historie der Sozialen Arbeit und der Lerntheorien sind in der Literatur bereits vielfach und differenziert dargestellt worden (z. B.: Amthor, 2012; Hering & Münchmeier, 2007; Schermer, 2006, 2011), so dass diese in der folgenden Darstellung der Wissenschaftsgeschichte der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit im anglo-amerikanischen und deutschsprachigen Raum nicht ausführlich dargestellt werden, sondern allenfalls gestreift werden.

1.2.1     Verhaltensorientierte Soziale Arbeit im anglo-amerikanischen Raum

Die Ursprünge der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit finden sich im angloamerikanischen Raum. Dort entstanden zu Beginn und um die Mitte des 20. Jahrhunderts drei institutionelle Ausgangspunkte, die in Großbritannien und den Vereinigten Staaten wegweisend für die weitere Entwicklung der Behavioral Social Work waren: die Massachusetts Habit Clinics; die Doctoral Programs in Social Work an der University of Michigan, School for Social Work; die School of Social Work an der University of Leicester und die Behavioural Social Work Group.

Massachusetts Habit Clinics, Boston

Die erste dokumentierte systematische Anwendung von verhaltensorientierten Methoden in der Sozialen Arbeit findet sich in den frühen 1920er Jahren in den Massachusetts Habit Clinics for the child of preschool age (später: Habit Clinics for child guidance), die ab 1921 im Großraum Boston tätig waren. Die Habit Clinics, deren Fachpersonal aus Psychiatern, Psychologen und Sozialpädagogen bestand, waren stadtteilorientierte Einrichtungen für Erziehungsberatung und Erziehungshilfen. Zudem waren sie eine Praktikumsstelle für Studierende der Sozialen Arbeit der Bostoner Hochschulen.

Die Aufgaben der Sozialpädagogen der Habit Clinics umfassten das Management der Klinik, die Erstkontakte mit Ratsuchenden, die Öffentlichkeitsarbeit, die Kooperation mit kommunalen Interessengruppen und Institutionen (z. B. Schulen) sowie die Leitung von Gesprächskeisen. Die Hauptaufgabe war jedoch die kontinuierliche Arbeit mit den Familien, die in der Regel durch Hausbesuche durchgeführt wurde – angefangen mit Gesprächen zur Erstellung einer Sozialanamnese, über die Verhaltensbeobachtung des Kindes und dessen Familie in deren häuslicher Umgebung, die Erklärung und Umsetzung des Hilfeplans, die Arbeit mit Bezugspersonen (Verwandten, Nachbarn, Lehrern) bis hin zur fortlaufenden Wirksamkeitskontrolle der Interventionen. Die primäre Zielgruppe der Habit Clinics waren Kinder mit »habit disorders«, also Verhaltensstörungen, wie z. B.: Schüchternheit, Eifersucht, Enuresis, Schlafstörungen, Verweigerung der Essenaufnahme, Zorn und Wutanfälle, Zerstörungswut und Delinquenz. In der Sichtweise der Clinics wurden diese Störungen des Handelns und Denkens durch externe Umweltfaktoren erworben und aufrecht erhalten. Verhaltensweisen wurden demnach situationsbezogen durch Konsequenzen, die auf ein Verhalten folgen, gelernt; insbesondere wenn auf das wiederholte Auftreten eines Verhaltens stets positive Konsequenzen folgen. Strafen und Gewalt in der Erziehung lehnten die Habit Clinics ab, da diese Angst und Unterdrückung erzeugten, aber nicht zu einem positiven Verhalten ermutigten. So wurde primär mit der Gabe von positiven Konsequenzen im Prozess einer pädagogischen Verhaltensmodifikation bei den Kindern gearbeitet. Die Veränderung von unerwünschtem Verhalten erfolgte daher nicht durch aversive Konsequenzen, sondern vor allem durch einen Entzug der bisherigen (positiven) Konsequenzen des problematischen Verhaltens und durch maßvolle Ignoranz (Orme & Stuart, 1981).

Die pädagogische Sichtweise des Leiters der Habit Clinics, des Psychiaters Douglas Thom – die er auch in diversen Publikationen formuliert hat (Thom 1924, 1928, 1929, 1938) –, nimmt direkt Bezug auf die Lerntheorie Edward Lee Thorndikes, dessen Schriften bereits einige Jahre vor Gründung der Habit Clinics vorlagen; ebenso wie auf Mary Richmonds »Social Diagnosis« (1917), das bis heute einen Meilenstein für die Entwicklung der Profession der Sozialen Arbeit darstellt. Richmond empfahl in ihrem Bestreben, die direkte Arbeit mit Klienten effektiver zu gestalten, empirisch fundierte Verfahrensweisen als Grundlage für einen erfolgreichen Hilfeprozess in der Sozialen Arbeit. Sie sieht die investigative soziale Diagnose als einen wissenschaftlichen Prozess, in dem Fakten und Theorien als Basis für eine Hypothesenbildung zusammengetragen werden, die dann durch empirisch belegte Evidenzen überprüft werden. Daneben betonte Richmond die person-in-environment-perspective, nach der das menschliche Verhalten nicht losgelöst von den Einflüssen aus dessen materieller und sozialer Umwelt verstanden werden kann (Geißler-Pilz, 2005). Die Verwendung der Begriffe »Diagnose« (social diagnosis), »Behandlung« (social treatment) und »Sozial-Arzt« (social physician) verdeutlicht Richmonds Orientierung an medizinischen Modellen. Ihr Konzept einer ausführlichen Informationsgewinnung, einer auf Effektivität ausgerichteten Interventionsplanung und -durchführung sowie deren Wirkungskontrolle weist vielfältige Ähnlichkeiten zum Procedere der Habit Clinics auf – auch hinsichtlich des multiprofessionell gestalteten Hilfeprozesses, in denen Sozialpädagogen eng mit Medizinern und Psychologen kooperierten. Trotz des Erfolges der Habit Clinics (1058 Fälle im Jahr 1933) wurden Ende der 1930er Jahre durch den Ausbau von anderen Gesundheitsdiensten für Kinder und Jugendliche in Massachusetts Teile der Clinics in andere Einrichtungen überführt. Thom verließ im Jahr 1938 die Einrichtung und wurde Präsident der Massachusetts Association for Mental Health (Orme & Stuart, 1981). Letztlich stellt die Arbeit der Habit Clinics einen frühen und singulären Vorläufer einer Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien dar, der auch aus heutiger Sicht – bzgl. seiner gemeindenahen Angebote, seiner wirksamkeitsorientierten Konzepte sowie seines präventiven Ansatzes – noch erstaunlich modern wirkt und zu Unrecht in der neueren Literatur kaum rezipiert wird.

School for Social Work, University of Michigan

Nach dem historischen Vorläufer der Habit Clinics aus den 1920er und 1930er Jahren finden sich in den USA erst wieder in den 1960er Jahren im Bereich der akademischen Ausbildung Initiativen für eine systematische Entwicklung der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit. Verantwortlich hierfür war insbesondere die Doktorandengruppe um Edwin Thomas an der School for Social Work der University of Michigan. Das 1957 in Michigan erstmals aufgelegte Promotionsverfahren zum PhD in Social Work and Social Sciences entwickelte mit dem Joint Interdisciplinary Doctoral Program ein curriculares Modell, das vorsah, dass Promovierende eine Doppelqualifikation erhielten, indem sie ergänzend zum Fach Soziale Arbeit verpflichtend in einem weiteren Fach – wahlweise: Anthropologie, Soziologie, Politikwissenschaft, Psychologie oder Ökonomie – geprüft wurden. Die Universität betonte mit diesem Curriculum die Bedeutung von sozialwissenschaftlichem Theorie- und Methodenwissen für die Soziale Arbeit – zumal für Sozialpädagogen, die mit der Promotion auch eine wissenschaftliche Qualifikation und Karriere anstrebten (Marsh 2004).

Eine maßgebliche Rolle bei der Gestaltung des Doctoral Programs und der Integration von empirischen Forschungsmethoden in den Studiengang hatte Edwin J. Thomas. Thomas war, nach dem Masterabschluss in Social Work und der Promotion in Sozialpsychologie, von 1956 bis 1993 als Professor für Soziale Arbeit und Psychologie in Michigan tätig und wesentlich an der Entwicklung des Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit beteiligt. Gemeinsam mit seinen Doktoranden entwickelte Thomas im Sinne einer empirically-based-practice zunächst Methoden zur Evaluation von Interventionen in der Sozialen Arbeit; später, ab Mitte der 1960er Jahre, wandte sich die Gruppe den verhaltensorientierten Methoden zu. Thomas entwickelte einen auf die Praxis der Sozialen Arbeit zugeschnittenen Ansatz, den socio-behavioral-approach. Dieser auf den Lerntheorien basierende Ansatz betonte die Bedeutung insbesondere zweier Faktoren: die person-in-environment-perspective (in direktem Bezug auf Richmonds Konzept) sowie die Maßgabe starting-where-the-client-is. Dies bedeutete: (1) eine ausführliche Beschäftigung mit den negativen Einflüssen aus der Alltagsumwelt des Klienten, die dessen Möglichkeiten, sein Leben zu verbessern, behindern; (2) eine ausführliche Begutachtung und Bewertung der individuellen Fähigkeiten und Ressourcen eines Klienten sowie (3) die gegenwartsbezogene individuelle Gestaltung des Interventionsplans (Gambrill 1995, Marsh 2004).

Die weltweit erste Publikation zur Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit legte Thomas gemeinsam mit Esther Goodman 1965 unter dem Titel »Soziobehavioral theory and interpersonal helping in social work« vor. Im Jahr 1967 stellte die Gruppe um Thomas ihre Konzepte der Fachöffentlichkeit vor. Zunächst in einer Reihe von »dramatischen und kontroversen Präsentationen« (Reid, 1994, S. 168) auf dem Jahreskongress des Council of Social Work Education, darauf folgend in den von Thomas edierten Publikationen »Behavioral science for social workers« (1967a) und »The socio-behavioral approach and applications to social work« (1967b: Sammelband mit Vorträgen von Edwin Thomas, Richard Stuart, Sheldon Rose, Roger Lind, Phillip Fellin, Jack Rothman und Henry Meyer sowie den anschließenden Diskussionen auf dem Jahreskongress der Council of Social Work Education von 1967), in denen bereits die Spannbreite der Einsatzbereiche der Verhaltensorientierung – von der Einzelfallhilfe, über Gruppen- und Gemeinwesenarbeit bis hin zur administrativen Sozialen Arbeit – zum Ausdruck kommt (vgl. Schermer, 2005a). Bereits Ende der 1960er und Beginn der 1970er Jahre sind drei Prozesse zur kontinuierlichen Verbreitung des verhaltensorientierten Konzepts im akademischen Bereich festzustellen: (1) mehrere Absolventen des Michigan-Doctoral-Programs wurden an andere amerikanische Hochschulen berufen um dort das verhaltensorientierte Konzept an den Schools for Social Work zu implementieren – so ging z. B. Sheldon Rose zur University of Wisconsin-Madison, Eileen Gambrill zur University of California in Berkeley, William Butterfield zur Washington University in St. Louis und Clayton Shorkey zur University of Texas in Austin; (2) es entwickelte sich eine hohe Publikationsaktivität von Vertretern der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit mit mehreren Hundert Titeln bis zum Ende der 1970er Jahre; (3) Doktoranden und Nachwuchswissenschaftler von konzeptionell anders ausgerichteten Hochschulen interessierten sich zusehends für den verhaltensorientierten Ansatz und wechselten nach Michigan (z. B. Richard Stuart, Tony Tripoldi und Irwin Epstein von der Columbia University) oder integrierten die verhaltensorientierten Konzepte in ihre akademische Arbeit – z. B. Arthur Schwarz, Elsie Pinkston, Laura Epstein und William Reid an der Universtiy of Chicago, School for Social Service Administration (Marsh, 2004; Rothman & Thyer, 1984).

Durch diese Prozesse wurden die Voraussetzungen für eine nachhaltige Verankerung des verhaltensorientierten Konzepts in der Sozialen Arbeit sowie auch für eine empirisch orientierte Praxis in der akademischen Lehre an den Schools for Social Work gelegt. Auch die Grundlage für weitere Publikationsaktivitäten in den Vereinigten Staaten wurde etabliert. Bereits zum Ende der 1970er Jahre hatte die Verhaltensorientierte Soziale Arbeit in der amerikanischen Fachöffentlichkeit einen festen Platz eingenommen. Illustriert wird dies auch durch Bildung von Berufsverbänden wie der 1975 gegründeten Social Work Group for the Study of Behavioral Methods, die in den 1980er Jahren in Association for Behavioral Social Work umbenannt wurde (Thyer, 1987), sowie die Gründung der empirisch-verhaltensorientiert ausgerichteten Zeitschrift Research on Social Work Practice im Jahr 1991.

School of Social Work, University of Leicester und die Behavioural Social Work Group

Zeitgleich, jedoch unabhängig von den Entwicklungen an der Michigan University, veröffentlichte Derek Jehu 1967 mit »Learning Theory and Social Work« eine Monographie, die ebenfalls für die Integration des verhaltensorientierten Konzepts in die Soziale Arbeit plädierte. Der Sozialpädagoge und Psychologe Jehu war zunächst in der Kinder- und Jugendarbeit der Stadt Southhampton tätig und lehrte an der University of Liverpool, bevor er 1970 zum Professor an die School of Social Work der University of Leicester berufen wurde, wo er als Direktor verhaltensorientierte Lehrinhalte in das Studium integrierte. Gemeinsam mit Pauline Hardiker, Margaret Yelloly und Martin Shaw, die damals ebenfalls in Leicester lehrten, publizierte Jehu 1972 den Band »Behaviour Modification in Social Work«, der 1977 in Deutschland unter dem Titel »Verhaltensmodifikation in der Sozialarbeit/Sozialpädagogik« veröffentlicht wurde.

Vertreter der School of Social Work der Universität Leicester haben später auch in der Geschichte der Behavioural Social Work Group (BSWG) immer wieder eine bedeutende Rolle übernommen. Diese Gruppierung wurde auf Initiative von Carole Sutton (De Montfort University, Leicester) und Barbara Hudson (Green College, University of Oxford) im Jahr 1978 gegründet. Auf der ersten Konferenz der BSWG im Juni 1979 mit bereits rund 100 Teilnehmern übernahm Martin Herbert (Leicester School of Social Work) den Eröffnungsvortrag »Why not behavioural social work?«, in dem er die gesamte Spannbreite von Konzepten, Ethik, Praxisfeldern und der Wirksamkeit der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit vorstellte. Hudson wurde die erste Vorsitzende der BSWG, die eine aktive Öffentlichkeitsarbeit betrieb und bereits nach einem Jahr über 140 Mitglieder und 270 gelistete Adressen verfügte. Über die Publikation eines zunächst noch schlicht gefertigten DIN-A4-Newsletter des BSWG konnte schließlich eine landesweite Informationsplattform und ein Vernetzungsmedium für Interessenten des verhaltensorientierten Ansatzes eingerichtet werden. Der BSWG-Newsletter entwickelte sich in der Folgezeit unter dem Editorium von Sutton bald zu einem professionellen Periodikum, das unter der Bezeichnung Behavioural Social Work Review veröffentlicht wurde und zu einem markanten Forum für die wissenschaftliche Diskussion der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit in Großbritannien wurde (Cigno, 1995).

Das Jahr 1997 markiert einen Einschnitt in die Geschichte der BSWG: die Gruppe wurde in Cognitive Behavioral Social Work Group (CBSWG) umbenannt und das Journal erhielt den Namen Cognitive Behavioral Social Work Review bei weiter fortlaufender Nummerierung. Gleichzeitig wechselte das Editorium der Review von Leicester an die University of Hull zu Katy Cigno, die dort als Senior Lecturer am Department of Social Work tätig war. Auch der Vorsitz der Gruppe wechselte mit Tony Ellingham an einen Vertreter der Universität Hull. Ellingham prognostizierte noch 1999 auf dem 20. CBSWG-Jahreskongress einen Zuwachs in der Anwendung des verhaltensorientierten Konzepts in der Sozialen Arbeit in Großbritannien. Anlass dazu waren Initiativen der Regierung Blair in den Gesundheits- und Sozialdiensten, welche nun zunehmend die Effektivität von Dienstleistungen hervorhoben. In diesem Zusammenhang habe die CBSWG schon immer auf den Einsatz evidenz-basierten Maßnahmen hingewiesen (University of Leicester, Bulletin, 1999). Doch bereits fünf Jahre nach Ellinghams optimistischer Rede zeigte sich, dass die Gruppe wohl das Projekt einer einzigen Generation war, welche nach einem großen Enthusiasmus in den Gründerjahren, einem soliden Ausbau und der Etablierung nun zusehends in den Ruhestand wechselte. Die Auflösung des CBSWG wurde jedoch auch durch die radikalen Umstrukturierungen des Studiums und der Praxis der Sozialen Arbeit in Großbritannien bestimmt: Die bereits in den 1980er Jahren unter den Regierungen Thatcher und Mayor betriebenen Sozialreformen forcierten nicht nur eine restriktive Ökonomisierung der Sozialarbeit und die Überführung von öffentlichen Diensten in private Trägerschaften, sondern blockierten auch eine Modernisierung des Social Work Studiums (z. B. Anhebung von zwei auf drei Studienjahre). Unter der Regierung Blair führten weitere Reformen des Gesundheits- und Sozialwesens letztlich auch zu einer weiteren Aufspaltung des grundlegenden Studiums der Sozialen Arbeit in die Studiengänge Counselling, Gerontology, Mental Health, Welfare and Community Work, Youth Work, Social Planning u. a. (Müller, 2001). Dieser weitere Zersplitterungsprozess des Berufsbildes der Sozialen Arbeit hatte inhaltliche Konsequenzen für die CBSWG, die ursprünglich noch auf der Grundlage einer generellen Sozialen Arbeit mit universell ausgebildeten Absolventen konzipiert wurde. Im April 2004 kam es schließlich nach 25-jähriger Tätigkeit zur Auflösung der Gruppe unter dem Gründungsmitglied Rosemary Strange, auch die Herausgabe der »Review« wurde nach insgesamt 23 Ausgaben eingestellt.

Insgesamt ist festzustellen, dass – abgesehen von den Publikationen Jehus – aus dem Umfeld der BSWG bzw. CBSWG die wesentlichen Impulse für die Etablierung der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit in Großbritannien ausgingen. So waren viele Mitglieder der Gruppe, insbesondere die Vorsitzenden und die Vorstandsmitglieder, gleichzeitig auch als Hochschullehrer tätig und repräsentierten über Jahrzehnte das verhaltensorientierte Konzept in der Ausbildung von Sozialpädagogen. Neben dem wissenschaftlichen Periodikum, dem »Review«, ist auch eine Vielzahl von Zeitschriftenbeiträgen und Monographien zur Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit erschienen, die von Mitgliedern verfasst wurden. Stellvertretend für diese soll hier auf zwei Publikationen hingewiesen werden: (1) die 1986 veröffentlichte Monographie »Behavioural Social Work. An Introduction« von Barbara Hudson, der Gründungsvorsitzenden des BSWG, und Geraldine Macdonald, die an den Universitäten Belfast und Bristol Soziale Arbeit lehrte; (2) der von Katy Cigno und Diana Bourn, einer weiteren ehemaligen Vorsitzenden der BSWG und Lecturer an der School of Social Work in Leicester, 1998 herausgegebene Sammelband »Cognitive-behavioural Social Work in Practice«. Beide Bände geben einen repräsentativen Überblick über die Charakteristika, Methoden, Entwicklungen und die Handlungsfelder der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit in Großbritannien.

1.2.2     Stellenwert der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit im anglo-amerikanischen Raum

Zur Erfassung des Verbreitungsgrads und des Stellenwerts der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit weist Gambrill (1995) auf das Bewertungskriterium der Anzahl der diesbezüglichen Veröffentlichungen in Fachzeitschriften der Sozialen Arbeit hin. Bezogen auf dieses Kriterium der Publikationsdichte stellen Rothmann & Thyer (1984) in amerikanischen Fachzeitschriften alleine bis zum Jahr 1981 über 350 gedruckte Publikationen zur Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit fest. Unter Bezugnahme auf zwei Studien aus den Jahren 1978 (Jayarante, 1982) und 1994 (Storm, 1994) sieht Gambrill einen interessanten Entwicklungsprozess zur Akzeptanz des verhaltensorientierten Konzepts in der Sozialen Arbeit: Während 1978 nur ein Drittel der befragten Sozialpädagogen angab, dass sie sich hauptsächlich an behavioralen Methoden orientierten, waren es 1994 bereits 62 % der Befragten, die angaben, kognitiv-verhaltensorientierte Methoden einzusetzen, und weitere 37 %, die angaben, verhaltensorientierte Methoden anzuwenden. Diese deutliche Steigerung des Stellenwerts des verhaltensorientierten Konzepts in der Sozialen Arbeit der USA führt Gambrill (1995) auf den zunehmenden Einfluss von Methoden der kognitiven Verhaltensmodifikation zurück. Auch Payne weist daraufhin, dass sich insbesondere kognitive bzw. sozial-kognitive Ansätze sehr stark in der amerikanischen Sozialen Arbeit etablieren konnten: »Cognitive practice has developed strongly in the 1990s and 2000s, because of its effectiveness and clarity, and probably also because of its structured assessment and action sequences, which can help to engage clients, focus practice and command management and policy support. … Social learning methods, especially social skills training, are more widely used than conventional behavioural methods« (Payne, 2005, S. 140).

Abgesehen von den Hinweisen auf die Anzahl von verhaltensorientierten Publikationen, betonen Marsh und Angell, dass das verhaltensorientierte Konzept in ganz anderer Weise die Ausgestaltung der heutigen Sozialen Arbeit bestimmt: Denn die Verhaltensorientierte Soziale Arbeit betont stets den Einsatz von empirisch überprüften Diagnose-, Interventions- und Evaluationsmethoden bei der Hilfeplangestaltung. Damit übt dieser Ansatz erheblichen Einfluss auf die Entwicklung einer evidenzbasierten Sozialen Arbeit in den USA und Großbritannien aus. Zudem basieren auch andere moderne Methoden der Sozialen Arbeit unmittelbar auf dem verhaltensorientierten Konzept, wie z. B. das von William Reid entwickelte Task-Centered-Modell. March und Angell stellen daher fest, dass die Verhaltensorientierung eine große Bedeutung für die Einführung von wirksamkeitsorientierten Ansätzen in den sozialen Dienstleistungen in den Vereinigten Staaten hat. Ebenso stark ist deren Einfluss auf die Gestaltung der Einzelfallhilfe und auf die Entwicklung der Evaluation Sozialer Arbeit (March, 2004; Angell 2008). Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die Verhaltensorientierte Soziale Arbeit, nach einer schnellen Entwicklung und erfolgreichen Ausbreitung im anglo-amerikanischen Raum der späten 1960er bis zum Anfang der 1980er Jahre, umfassend etabliert hat. Nach Bronson & Thyer (2001) bietet das verhaltensorientierte Konzept auch weiterhin Lösungen für gewichtige Probleme der gegenwärtigen und künftigen Praxis der Sozialen Arbeit an.

1.2.3     Verhaltensorientierte Soziale Arbeit im deutschsprachigen Raum

Die fachwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem verhaltensorientierten Konzept in der Sozialen Arbeit im deutschsprachigen Raum beginnt um die Mitte der 1970er Jahre, also rund 10 Jahre nach deren Anfang im anglo-amerikanischen Raum. Die erste diesbezügliche deutschsprachige Publikation erschien 1973 in Bern. Interessanterweise waren die Autorinnen, Verena L. Brunner und Rosmarie Welter-Enderlin, beide Master-Absolventinnen der School for Social Work der University of Michigan, also dem amerikanischen Ausgangspunkt der Verhaltensorientierung. Die Anzahl der Publikationen zur Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit und verwandten Handlungsfeldern, die bis zum Ende der 1970er Jahre in deutscher Sprache veröffentlicht wurden, umfasst die folgenden Titel:

•  Brunner, V. L./Welter-Enderlin, R.: Verhaltenstherapie in der Sozialarbeit, Schriftenreihe des Schweizerischen Berufsverbandes der Sozialarbeiter, Heft 17, Bern 1973

•  Hoffmann, N./Frese, M.: Verhaltenstherapie in der Sozialarbeit. Theoretische Einführung mit praktischen Übungen, Otto-Müller-Verlag, Salzburg 1975

•  Merzbach, U.: Verhaltensmodifikation in einer Gruppe verhaltensauffälliger Kinder, Verlag Modernes Lernen, Dortmund 1975

•  Rost, D.H./Grunow, P./Oechsle, D. (Hg.): Pädagogische Verhaltensmodifikation. Probleme, Übersichten und Beispiele zur Theorie und Praxis der Verhaltensmodifikation in Vorschule, Schule, Hochschule, im Elternhaus und bei jugendlicher Delinquenz, Beltz Verlag, Weinheim & Basel 1975

•  Fiedler, P./Hörmann, G. (Hg.): Therapeutische Sozialarbeit. Diskussionsbeiträge zu Grundlagen, zur Methodenintegration und zu Ausbildungsfragen am Beispiel der Verhaltenstherapie, Gesellschaft zur Förderung der Verhaltenstherapie, Münster 1976

•  Tharp, R./Wetzel, R.: Verhaltensänderungen im gegebenen Sozialfeld, Urban & Schwarzenberg Verlag, München 1976 (Behavior modification in the natural enviornment, 1969)

•  Sprau-Kuhlen,V.: Kritische Einführung in die Verhaltensmodifikation für Sozialarbeiter, Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge, Frankfurt am Main 1977

•  Hoffmann, N.: Der verhaltenstherapeutische Ansatz in der Sozialarbeit, In: N. Hoffmann (Hg.): Therapeutische Methoden in der Sozialarbeit, Otto-Müller-Verlag, Salzburg 1977, S. 74–94

•  Jehu, D./Hardiker, P./Yelloly, M./Shaw, M.: Verhaltensmodifikation in der Sozialarbeit/Sozialpädagogik, Lambertus-Verlag, Freiburg 1977 (Behaviour Modification in Social Work, 1972)

•  Adameit, H./Heidrich, W./Möller, Ch./Sommer, H.: Grundkurs Verhaltensmodifikation. Ein handlungsorientiertes Arbeitsbuch für Lehrer und Erzieher, Beltz-Verlag, Weinheim & Basel 1978

•  Emminghaus, W./Kuhnle, W.: Praxisanleitung Verhaltensmodifikation. Ein praxisbegleitendes Fortbildungsprogramm für Erzieher, DGVT-Verlag, Tübingen 1979

In den 1980er Jahren findet in den deutschsprachigen Veröffentlichungen zur Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit, nach der Reihe von Publikationen in den 1970er Jahren, ein Einschnitt statt. Die Anzahl der Veröffentlichungen verringerte sich, es erscheint nur noch eine Monographie und keine weiteren Übersetzungen aus dem Englischen. Die fachwissenschaftliche Diskussion des verhaltensorientierten Konzepts findet nun vor allem in Form von vereinzelten Beiträgen in Sammelbänden und Fachzeitschriften statt:

•  Müller, R./Klauß, Th./Heimberg, U./Mittmann, A.: Verhaltensmodifikation in der Praxis. Ein Kursprogramm zur Aus- und Weiterbildung für pädagogische Fachkräfte, Ernst Reinhardt Verlag, München & Basel 1980

•  Hörmann, G.: Verhaltenstherapie und soziale Arbeit, In: S. Müller u. a. (Hg.): Handlungskompetenz in der Sozialarbeit/Sozialpädagogik I: Interventionsmuster und Praxisanalysen, AJZ-Verlag, Bielefeld 1982, S. 79–94

•  Niemeyer, Ch.: Zur Kritik an der Verwendung verhaltenstherapeutischer Konzepte in der Sozialarbeit/Sozialpädagogik, in: S. Müller u. a. (Hg.): Handlungskompetenz in der Sozialarbeit/Sozialpädagogik I: Interventionsmuster und Praxisanalysen, AJZ-Verlag, Bielefeld 1982, S. 95–129

•  Schermer, F. J. & Schmelzer, D.: Verhaltenstherapie in ambulanten Beratungsstellen: Ein Problemlösungsmodell als Orientierungsrahmen für die Praxis, in: Verhaltensmodifikation, 3 (1), 1982, S. 2–23

•  Schermer, F. J.: Verhaltenstherapeutische Erziehungsberatung, In: Jugendwohl, 65/1984, S. 261–267

•  Schermer, F. J.: Das Konzept der Verhaltenstherapie – ihre Modifikation und Übertragung auf Beratung in der sozialen Arbeit, in: B. Kunze (Hg.): Beratung in der Sozialen Arbeit, Gesamthochschule Kassel 1986, S. 19–47

•  Schmitt, R.: Psychosoziale Verhaltenstherapie? Einzelfallhilfe und Familienhilfe als praktischer Versuch, in: Verhaltenstherapie und Psychosoziale Praxis, 2/1988, S. 176–187

•  Schmitt, R.: Verhaltenstherapie und Einzelfallhilfe – Ein Fallbeispiel, in: Verhaltenstherapie und Psychosoziale Praxis, 1/1989, S. 95–108

Ein Blick auf die Titel der Publikationen der 1970er und 1980er Jahre verdeutlicht, dass einige der Autoren damals noch direkt Bezug auf die Verhaltenstherapie als Orientierungsgröße für die Verhaltensorientierte Soziale Arbeit nahmen. Die vermeintliche Therapeutisierung der Sozialen Arbeit durch die Integration von psychotherapeutischen Verfahren (z. B. Gesprächspsychotherapie, Systemische Therapie, Familientherapie) ist seit den 1970er Jahren ein immer wiederkehrendes und berufspolitisch kontrovers besetztes Thema. Zudem ist es die Quelle von zahlreichen Missverständnissen. Festzustellen ist, dass die Verhaltensorientierte Soziale Arbeit ihre theoretische Fundierung in den verhaltenswissenschaftlichen Lerntheorien findet – ebenso wie auch die Verhaltenstherapie. Es bestehen jedoch hinsichtlich Berufsrecht, Ausbildungsregelungen, Arbeitskontexten sowie des sozial- bzw. gesundheitspolitischen Auftrags deutliche Trennlinien zwischen Psychotherapie und Sozialer Arbeit. Trotz dieser Trennlinien wäre eine Distanzierung der Sozialen Arbeit zu Konzepten, die nicht unmittelbar sozialpädagogischen Ursprungs sind, sondern wissenschaftlichen Nachbardisziplinen entspringen, fahrlässig. Denn indem die Soziale Arbeit empirisch fundierte Methoden, z. B. aus Pädagogik und Psychologie integriert, wird sie ihrem Profil als wissenschaftliche Disziplin gerecht, da die interdisziplinäre Kommunikation ein Kennzeichen von Wissenschaft ist (Barkey, 2007; Bartmann, 2010; Schermer, 2011).

Zusammenfassend ist festzustellen, dass die deutschsprachigen Publikationen zur Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit der 1970er und 1980er Jahre einerseits grundlegende Einführungen in das lerntheoretische Konzept waren; andererseits hatten sie auch einen anwendungsbezogenen bzw. übenden Charakter, der speziell für die sozialpädagogische Praxis in diversen Handlungsfeldern konzipiert war. Zudem waren diese Publikationen auch ein Versuch, die Verhaltensorientierung erstmals in die Fachdiskussion der Sozialen Arbeit im deutschsprachigen Raum einzuführen. In den Zeitraum der 1970er und 1980er Jahre fällt auch der Großteil der Veröffentlichungen Rössners zur Sozialen Arbeit. Rössner sah in der Sozialen Arbeit ein prophylaktisches bzw. korrigierendes tertiäres Erziehen, das auf Wirksamkeit und Zielerreichung ausgerichtet ist. Rössner knüpfte zwar nicht direkt an die Terminologie der Lerntheorien an, entwickelte jedoch parallel eine ähnlich differenzierte Verhaltenstheorie (Alisch & Rössner, 1977; Rössner, 1973).

In den 1990er Jahren sind keine deutschsprachigen Publikationen zur Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit zu verzeichnen. In Anbetracht dieser Tatsache erscheint es rückblickend angemessen, von den deutschsprachigen Autoren der 1970er und 1980er Jahre als eine »Erste Generation« zu sprechen. Erst nach der Jahrtausendwende kam es erneut zu einer Reihe von Veröffentlichungen. So sei auf die folgenden Publikationen hingewiesen: »Die Rolle der Verhaltensmodifikation als Methode der sozialen Arbeit aus der Sicht von Berufspraktikern« von Bartmann & Grün (in: Verhaltenstherapie und psychosoziale Praxis, 1/2004), »Verhaltensmodifikation als Methode der Sozialen Arbeit. Ein Leitfaden« von Bartmann (DGVT-Verlag 2005), »Methoden der Verhaltensänderung: Basisstrategien« (Kohlhammer Verlag, 2005) von Schermer, Weber, Drinkmann & Jungnitsch, »Methoden der Verhaltensänderung: Komplexe Interventionsprogramme« (Kohlhammer Verlag, 2006) herausgegeben von Schermer und Weber. »Wenn Auftraggeber den Nachweis der Wirksamkeit verlangen. Verhaltensorientierte Methoden in der Sozialen Arbeit« von Mayer (in: Sozial Aktuell, 4/2007b). Diese Publikationsaktivitäten stehen in Verbindung mit aktuellen Initiativen verschiedener Hochschulen (z. B. Luzern, Würzburg-Schweinfurt, Zürich), das verhaltensorientierte Konzept stärker in der akademischen Aus- und Weiterbildung von Sozialpädagogen zu etablieren (Como, 2010; Löbmann & Como-Zipfel, 2012). Diese beiden aktuellen Prozesse stellen ggf. den Ausgangspunkt für eine »Zweite Generation« von Autorinnen und Autoren und damit den Beginn eines neuen Diskurses der Verhaltensorientierten Sozialen Arbeit in der deutschsprachigen Fachöffentlichkeit dar.

Reflektionen im deutschsprachigen Raum

Auch wenn die Verhaltensorientierte Soziale Arbeit im deutschsprachigen Raum gegenwärtig eine noch vergleichsweise geringe Publikationsdichte aufweist, finden sich jedoch in der neueren Fachliteratur vielfältige Hinweise auf das behaviorale Konzept. Exemplarisch hierfür werden im Folgenden drei Stellungnahmen (Erath, Galuske, Pauls) vorgestellt. Erath bemerkt bzgl. des noch zurückhaltenden Verbreitungsgrad des verhaltensorientierten Konzepts im deutschsprachigen Raum: »Auch das Modell einer verhaltensorientierten Sozialarbeit ist in Deutschland insbesondere wegen der in den 1970er Jahren entwickelten Vorbehalte gegenüber den empirisch-rationalen Ansätzen im Bereich der Pädagogik/Sozialpädagogik theoretisch noch nicht sehr stark entwickelt, allerdings lassen sich in der Praxis immer mehr Konzepte finden, die – oftmals unausgesprochen – auf ein solches Bezug nehmen. In England und den USA genießt dieses Modell breite Anerkennung« (Erath, 2006, S. 145f.). betont Pauls die Bedeutung eines Einsatzes verhaltensorientierter Methoden für die Praxis der Sozialen Arbeit: »Die verhaltentherapeutischen Methoden sind