Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­bibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

info@rivaverlag.de

1. Auflage 2017

© 2017 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Carina Heer

Umschlaggestaltung: Kristin Hoffmann

Umschlagabbildung: © Neo Edmund/Shutterstock

E-Book-Konvertierung: Carsten Klein, München

ISBN Print 978-3-86883-164-1

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86413-157-8

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86413-187-5

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de



Bei den in diesem Buch beschriebenen Beispielen handelt es sich

um wahre Kriminalfälle aus dem Freistaat Bayern,

an deren Aufklärung das Kriminaltechnische Institut

des Bayerischen Landeskriminalamts beteiligt war.

Die Namen der beteiligten Personen, von Tätern, Opfern

und Zeugen, wurden verändert.

Inhalt

Impressum

Anmerkung

Die ewige Versuchung

Das Kriminaltechnische Institut: Wissenschaftler, nicht Polizisten

Der CSI-Effekt – das falsche Bild

Daktyloskopie

Der Mühltal-Mord

Physik

Die Gasexplosion von Lehrberg

Formspuren

Mord auf der Uhr

Ein geheimnisvoller Tresor

Der Automatenknacker

Der Tote in der Plastikfolie

Eine verräterische Heftklammer

Ein toter Wachmann

Waffen

Ein vermisster Zahnarzt

Der Andenmord

Chemie

Der Fall Blumenstraße

Der vorgetäuschte Mord

Handschriften

»Doktor Mord«

Falsche Alibis

Die Schulaufgabe

Urkunden

Der Waldunfall

Phonetik

Schuss oder knallende Tür?

Lebendig begraben

Der TV-Beweis

Forensische Informations- und Kommunikationstechnik

Mord in Passau

Mikrospuren

Zwei tote Anhalterinnen im Wald

Ein Serienmörder

Forensische DNA-Analytik

Der Briefbombenattentäter

Zentrale Fototechnik

Die Banalität eines Motives

Am Ende bleiben die Opfer

Wissenswertes zu ausgewählten ­kriminaltechnischen Fachbereichen

Daktyloskopie

Physik

Formspuren

Waffen

Chemie

Handschriften

Biologie

Urkunden

Phonetik

Forensische Informations- und Kommunikations­technik

Zeitpunkte

Ein historischer Abriss

Die ewige Versuchung

Das Leben ist ein ewiger Kampf ums Überleben. Von der Geburt an bis zur letzten Stunde dreht sich fast alles im Leben eines Menschen um die Befriedigung unserer einfachsten Grundbedürfnisse – um Essen und Trinken. Der menschliche Organismus braucht diesen »Treibstoff«, ansonsten stirbt er innerhalb weniger Tage gleichsam ab. So war das in der Steinzeit, und so ist es – bei allem technischen Fortschritt – auch heute noch.

Im Lauf der Jahrtausende sind weitere Bedürfnisse hinzugekommen, die zu erfüllen den Menschen vor immer weitere Probleme gestellt hat. Irgendwann wollte er einen Schutz, eine Höhle, eine Hütte, ein Dach über dem Kopf. Irgendwann wollte er nicht mehr frieren, also brauchte der Mensch Feuer, Kleidung und Schuhe – und irgendwann auch einen HD-Fernseher, ein Auto und ein Smartphone. Die Entwicklung hat den Menschen über die Jahrhunderte hinweg immer anspruchsvoller gemacht, und um diesen Ansprüchen gerecht zu werden, musste der Mensch immer größere Anstrengungen unternehmen. Er musste arbeiten, handeln, kalkulieren, planen – er musste sich bilden, anpassen und sich in eine immer größer werdende Gesellschaft einfügen.

Diese Gesellschaft musste sich im Lauf der Zeit und Generationen Regeln und Normen schaffen. Nur diese Normen und Regeln machten es möglich, das Chaos zu verhindern, das die Befriedigung all dieser Begehrlichkeiten und Bedürfnisse des Menschen auszulösen drohte. Das in der Steinzeit erlegte Wildschwein gehörte dem, der es gejagt hatte. Wer von Fleisch satt werden wollte, musste selbst jagen oder denjenigen, der etwas übrig hatte, davon überzeugen, das Fleisch mit ihm zu teilen. Wer später Kartoffeln oder Mais essen wollte, musste Felder bestellen oder den Bauern, die das taten, etwas geben, was diese nicht hatten: Geld, Tauschwaren oder Arbeitsleistung.

Und das ist bis heute so geblieben. Wer einen teuren Wagen fahren möchte, muss ihn normalerweise kaufen. Für das Geld, das er für diesen Kauf braucht, muss er in der Regel arbeiten, und für diese Arbeit sollte der Mensch üblicherweise auch bezahlt werden. Ein gewaltiges wirtschaftliches System ist so über die Jahrtausende hinweg entstanden. Der Mensch hat, als Grundlage dieses Systems, Normen und Gesetze entwickelt, die ein gemeinsames Mit- und Nebeneinander möglich machten. Oder eben machen sollten …

Dass dies bis in die Gegenwart hinein nicht immer funktioniert, zeigt ein einfacher Blick in die Kriminalstatistik. Hunderttausende oder vielmehr Millionen von Gesetzesübertretungen pro Jahr allein in Deutschland (laut Kriminalstatistik im Jahr 2014 knapp 6,1 Millionen Straftaten) – von einfachsten Eigentumsdelikten wie Ladendiebstählen bis hin zu brutalsten Kapitalverbrechen sind stumme oder, wenn man es so will, gar laut schreiende Zeugen einer menschlichen Gesellschaft, die es bei aller hochtechnisierten Entwicklung bis heute nicht geschafft hat, vernünftig und im gegenseitigen Respekt miteinander und nebeneinander zu leben. Womit wir letztlich wieder bei dem simplen Grundbedürfnis des Menschen nach Wasser, Brot und in heutigen Tagen gern auch nach Kreditkarten, vollen Bankkonten oder aber auch Armbanduhren mit Touchscreen angelangt wären.

Sicher, es gibt Verbrechen aus Leidenschaft. Menschen, die eine ­Zurückweisung oder Trennung nicht verkraften und deshalb irgendwann zu Mördern oder Totschlägern werden. Es gibt Menschen, die aufgrund psychischer Erkrankungen straffällig oder die aus einer nicht zu kanalisierenden sexuellen Lust gewalttätig werden. Die gibt es, und davon lebt eine gewaltige Unterhaltungsbranche, die uns in Büchern oder Filmen genau von dieser Art Mensch erzählt. Geschichten, die uns in Angst und Schrecken versetzen und unserem Alltag jenen Schauer und Thrill verschaffen sollen, den das Leben gemeinhin nicht bereithält.

Es sind Geschichten von hochintelligenten Psychopathen, die mit der Exekutive ein heimtückisches Katz-und-Maus-Spiel treiben, ihre Taten bis ins letzte Detail vorausplanen und ihrer perversen Choreografie folgend die keineswegs dummen Ermittler bisweilen hilflos und ohnmächtig aussehen lassen. Das ist das Bild, das die ­Filmindustrie in unsere Köpfe gepflanzt hat, obwohl eigentlich jeder heute wissen müsste, dass Verbrechen in aller Regel unfassbar banal, primitiv und häufig auch auf niedrigstem Niveau einfach nur schmutzig sind. Und dass es im Grunde doch mehrheitlich um »Wasser und Brot« geht.

Dieses Buch wird nicht dazu beitragen, dass ein Straftäter seine Taten – wie auch immer diese aussehen möchten – in Zukunft perfekter und besser ausführen kann. Es wird kein Ratgeber für Räuber, Mörder oder Sexualstraftäter werden. Kein Buch, das diese Menschen schlauer und raffinierter werden lässt, weil sie es letztlich nie schaffen werden, bewusst und gezielt einer riesigen Ermittlungsmaschinerie zu entkommen, die ihnen in ihrem schlechtesten Fall mit aller Macht gegenübersteht.

Wer heute glaubt, er könnte das perfekte Verbrechen planen, ist naiv – oder überheblich, also dumm und unwissend. Wer heute mordet, vergewaltigt oder raubt, bekommt es mit einer ganzen Heerschar von Spezialisten zu tun, die versuchen werden, jedes noch so kleine Puzzleteil mithilfe modernster wissenschaftlicher Techniken zu entdecken, zu analysieren und zu einem großen Gesamtbild zusammenzusetzen, das am Ende den Weg zum Täter weist.

Biologen, Chemiker, Physiker, Ingenieure, Mediziner, Kriminologen, hochqualifizierte Experten aller Fachrichtungen werden alles tun, jene Spuren zu finden, die Straftäter ganz zwangsläufig hinterlassen haben, ganz unabhängig davon, wie viele Folgen von CSI New York, Miami oder Las Vegas diese auch gesehen haben mögen.

Dieses Buch soll einen tiefen Einblick in das Kriminaltechnische Institut des Bayerischen Landeskriminalamts bieten und an viele verschiedenen Beispielen aufzeigen, wie es den Wissenschaftlern und Fachkräften in München wirklich gelungen ist, den Tätern auf die Spur zu kommen.

Das Kriminaltechnische Institut: Wissenschaftler, nicht Polizisten

Das Bayerische Landeskriminalamt im Münchner Stadtteil Maxvorstadt, das 1946 als »Landeserkennungsamt Bayern« gegründet wurde, nimmt einen ganzen Häuserblock ein. Wie eine Festung mitten in der Stadt liegt es an der Maillingerstraße. Der gewaltige, verschachtelte Bau beherbergt eine riesige Behörde mit sechs großen Abteilungen, unter anderem »Polizeilicher Staatsschutz«, »Informations- und Kommunikationstechnik« oder »Ermittlungsdienst/Operative Spezialeinheiten«, 15 Dezernate und 72 Sachgebiete.

Schon im Jahr der Gründung wurde der Name wieder geändert. Aus dem »Landeserkennungsamt« wurde das »Zentralamt für Kriminalidentifizierung, Polizeistatistik und Polizeinachrichtenwesen des Landes Bayern« und 1949 das »Zentralamt für Kriminalidentifizierung und Polizeistatistik des Landes Bayern«. Der Name, der bis heute gilt, wurde schließlich im Jahr 1952 eingeführt, und seither sind die Aufgaben des »Landeskriminalamts«, gleichsam parallel zur technischen und wissenschaftlichen Entwicklung unserer Gesellschaft, permanent angewachsen.

Wer das Gebäude heute betritt, wird sich schnell wundern, wie wenig diese Behörde im Grunde nach Polizei aussieht. Uniformen, bewaffnete Männer und Frauen, Beamten in Schutzwesten, die Handschellen am Gürtel befestigt, sind so gut wie gar nicht zu sehen. Rund 1600 Mitarbeiter gehen hier ihrer Arbeit nach, ob als Kriminalbeamte, Chemiker, IT-Experten oder Phonetiker. Und wer sich durch das riesige Gebäudelabyrinth bis zur Abteilung II des Bayerischen Landes­kriminalamts, zum Kriminaltechnischen Institut durchgefragt hat, wird in einer Abteilung landen, die mehr nach einem wissenschaftlichen Institut einer Universität aussieht denn nach einer Polizei­behörde. Männer und Frauen in weißen Laborkitteln, auf den Fluren der Geruch von scharfen Reinigungsmitteln und an den Türschildern eine Vielzahl akademischer Titel, die bei den Mitarbeitern dieser Abteilung auf eine langjährige universitäre Ausbildung schließen lassen.

Was die Kriminaltechnik in diesem Haus leistet, formuliert die Selbstbeschreibung der Abteilung II folgendermaßen:

»Das Kriminaltechnische Institut des Bayerischen Landeskriminalamtes hat die Aufgabe, die im Zusammenhang mit Straftaten anfallenden Spuren auszuwerten sowie sonstige Untersuchungen oder Prüfungen an Materialien, die im Zusammenhang mit Straftaten sichergestellt werden, durchzuführen. Zu diesen Aufgaben gehören häufig auch Untersuchungen an Tatorten mit unmittelbarer Bewertung der Spuren und mit fachkundiger Vorauswahl des anfallenden Spurenmaterials. Mit dieser Arbeit unterstützt das Kriminaltechnische Institut ermittelnde Polizeidienststellen und Staatsanwaltschaften und leistet wesentliche Beiträge zur Entscheidungsfindung in Strafprozessen.«

(Quelle: Broschüre des Bayerischen Landeskriminalamtes, Seite 15)

Rund 400 Mitarbeiter sind in den unterschiedlichen Bereichen beschäftigt, die sich in Chemie, Physik, Forensische DNA-Analytik, ­Mikrospuren/Biologie, Handschriften, Urkunden/Papier, Waffen, Formspuren, Phonetik, Forensische Informations- und Kommunikationstechnik (IuK), Zentrale Fototechnik und einer Prüfgruppe für Wirtschaftsdelikte untergliedern. Sie sichern Spuren, untersuchen diese, werten sie aus und fassen die Ergebnisse ihrer Arbeiten in Gutachten zusammen, die nicht selten vor Gericht am Ende eines Falls zu einer Verurteilung beitragen.

Deshalb legen die Mitarbeiter des Kriminaltechnischen Instituts auch den allergrößten Wert auf ihre absolute Unabhängigkeit und Neutralität. Die Tatsache, dass die Kriminaltechnik organisatorisch in das Bayerische Landeskriminalamt eingegliedert ist, heißt nicht, dass die hier erstellten Gutachten tendenziös sind und zugunsten des Staats und seiner Ermittlungsbehörden ausfallen. Die Sachverständigen des Kriminaltechnischen Instituts handeln in ihrer gutachterlichen Tätigkeit vielmehr zu 100 Prozent weisungsfrei – ganz so, wie es ein privates oder universitäres Institut auch täte.

Insgesamt werden im Kriminaltechnischen Institut des Bayerischen Landeskriminalamts pro Jahr etwa 30 000 Untersuchungsanträge mit rund 60 000 Untersuchungsgegenständen oder Spuren eingereicht, was in den unterschiedlichen Sachgebieten und Laboren zu etwa 200 000 Einzelanalysen führt. Eine Auswahl dieser Analyse- und Untersuchungsmethoden soll in diesem Buch am Beispiel einiger interessanter und zum Teil auch spektakulärer Kriminalfälle, die sich in den zurückliegenden Jahren im Freistaat Bayern ereignet haben, vorgestellt werden. Namen, Orte und Jahreszahlen wurden im Sinne der Betroffenen, Hinterbliebenen und auch der verurteilten Straftäter verändert oder anonymisiert.

Ebenso werden Mitarbeiter des Kriminaltechnischen Instituts nicht namentlich genannt. Sie legen nicht nur wenig Wert auf Öffentlichkeit, sondern wollen auch nicht Gegenstand der Berichterstattung werden. Nur so und ohne jeglichen Personenkult sind sie in der Lage, ihre wissenschaftliche Arbeit zu leisten – im Auftrag der Justiz und im Dienste der Gerechtigkeit.

Der CSI-Effekt – das falsche Bild

Dass das Fernsehen Segen und Fluch zugleich sein kann, ist gerade im Bereich der Kriminaltechnik ganz deutlich zu spüren. Mit den überwältigenden Erfolgen großer US- Serien wie Crossing Jordan – Pathologin mit Profil und der unzähligen Ableger von CSI: Den Tätern auf der Spur hat die Kriminaltechnik auch in Deutschland eine ungeheuerliche Aufmerksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung erfahren. Das Berufsfeld Kriminaltechnik wurde insbesondere durch die CSI-Serien weltweit einem Millionenpublikum bekannt, und es dürfte dem Bayerischen Landeskriminalamt wie auch den 15 anderen Landeskriminalämtern der Bundesrepublik Deutschland in nächster Zukunft beileibe nicht an Bewerbern auf frei werdende Stellen mangeln.

Einem Mitarbeiter der Kriminaltechnik wird in der heutigen Zeit bei privaten Anlässen oder auf Grillpartys deutlich mehr Interesse zuteilwerden, als das noch vor zehn oder zwanzig Jahren der Fall war. Er wird aber auch zu seinem Leidwesen immer wieder in Gesprächssituationen geraten, in denen er gezwungen ist, Filmfiktion und Realität voneinander zu trennen. Der hochmoderne Bereich eines kriminaltechnischen Instituts ist eben keine Filmkulisse mit schicken Räumen und ausgefallenen Science-Fiction-Apparaturen, die DNA-Analysen in Sekundenschnelle vornehmen und mit einer weltweit aktiven Datenbank abgleichen. Das ist Hollywood beziehungsweise Las Vegas oder Miami.

Auch die Münchner Kriminaltechniker wissen von vielen Fällen zu berichten, bei denen sie bei der Verrichtung ihrer Arbeit an einem Tatort in enttäuschte Gesichter – auch von Polizeikollegen – blicken müssen, die unverhohlen einräumen, dass sie mit einer Speziallampe wie in den US-Serien gerechnet hatten – oder hinterfragen, warum ein an einem Tatort gefundenes Haar nicht eben mal vor Ort in ein Gerät gelegt werden kann, das Alter, Geschlecht und im besten Fall auch noch Name, Adresse und Sozialversicherungsnummer der fraglichen Person erkennen und in Sekundenschnelle ausspucken kann.

Was viele Mitarbeiter des Bayerischen Landeskriminalamts mit ­einem Augenzwinkern und Schmunzeln erzählen, ist in den Vereinigten Staaten von Amerika mittlerweile jedoch zu einem echten Problem geworden. In dem Land, in dem Strafprozesse vor Geschworenengerichten abgehalten werden, haben Richter, Staatsanwälte und Strafverteidiger in zunehmendem Maß mit Geschworenenjurys zu tun, deren Lebenswirklichkeit auf dem Halbwissen von fiktionalen Kriminalserien beruht und die aus diesem Grund dann auch verstärkt auf forensische Beweise bestehen und diese deutlich stärker gewichten als andere Sachbeweise, was in manchen Fällen zu erheblichen Fehlurteilen führen kann – sei es nun am Ende ein unrechtmäßiger Schuld- oder Freispruch. Das hat zur Folge, dass in den Vereinigten Staaten mittlerweile bei der Auswahl von Geschworenen jene Kandidaten abgelehnt werden, die sich offen als Anhänger von TV-Serien wie CSI Miami oder Crossing Jordan bekennen.

Aber auch in Deutschland ist es mitunter Opfern und deren Angehörigen nur sehr schwer zu vermitteln, dass manche kriminaltechnischen Untersuchungen mitunter einfach Wochen oder gar Monate in Anspruch nehmen können und viele der in den Hochglanz-Forensik-Serien dargestellten Geräte in der Wirklichkeit schlichtweg nicht existieren – und möglicherweise so auch nie existieren werden.

Die in der Realität klare Aufgabenteilung innerhalb der Ermittlungsbehörden wird im Film aus spannungstechnischen Gründen einfach ignoriert. Bei CSI und anderen Film- oder Fernsehproduktionen werden die Verdachtsschöpfung, die Ermittlungen, das Einholen von Beschlüssen für Durchsuchungen, Observation, Spurensuche, Spuren­sicherung, Vernehmungen, Fahndungen und und und allesamt von Forensikern erledigt. Sie sind gewissermaßen die Superermittler und schreiten vom Labor direkt zur Verbrecherjagd. Doch Forensiker sind eben keine Ermittler. Sie sitzen nicht mit der Pistole am Gürtel über dem Mikroskop, um dann beim ersten wissenschaftlichen Ergebnis direkt den möglichen Täter festzunehmen.

In Wahrheit greifen die vielen unterschiedlichen polizeilichen Abteilungen bei ihrer Arbeit wie Zahnräder ineinander – auch auf internationaler Ebene, denken wir nur an Interpol. Und anders als im Film würde ein Kriminalkommissar einen gefährlichen bewaffneten Verdächtigen nicht selber festnehmen, sondern für diesen Job ein SEK-Team anfordern, das eigens für diese Aufgabe ausgebildet wurde. ­Völlig ausgeschlossen werden kann auf jeden Fall, dass ein Kriminaltechniker Polizeiarbeit im klassischen Sinne verrichtet. Die Waffe des Forensikers ist – wenn man es überspitzt formulieren möchte – die Wissenschaft.

Das soll natürlich nicht heißen, dass es den Tätern im wirklichen Leben in irgendeiner Form leichter gemacht wird als im Fernsehen oder auf der Kinoleinwand. Ganz im Gegenteil! Nur geschieht die Arbeit eines echten und leibhaftigen Kriminaltechnikers eben ganz ohne Filmmusik, Spezialeffekte oder Maßanzüge und gänzlich ohne Theaterschminke. Und das ist – wie die in diesem Buch beschriebenen Fälle mit Sicherheit zeigen werden – auch gut so.