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Jens-Uwe Martens

Glück

in Psychologie, Philosophie und im Alltag

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2014

Alle Rechte vorbehalten

© 2014 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart

Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher

Umschlagabbildung: © Marianne Frank, »Cheper-Ra«

(alter ägyptischer Skarabäus)

Gesamtherstellung:

W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-023943-2

E-Book-Formate:

pdf:     ISBN 978-3-17-024074-2

epub:  ISBN 978-3-17-024075-9

mobi:  ISBN 978-3-17-024076-6

Für den Menschen,
dem ich mein größtes Glück verdanke.

Inhalt

  1. Geleitwort
  2. Vorwort
  3. 1   Zur Einführung: Aspekte des Glücks
  4. 1.1   Sind wir wirklich unseres Glückes Schmied?
  5. 1.2   Das kleine und das große Glück
  6. 1.3   Die Rolle des Glücksempfindens in der Evolution
  7. 2   Das Glück in der Philosophie
  8. 3   Möglichkeiten und Grenzen der psychologischen Glücksforschung
  9. 3.1   Verschiedene Sichtweisen des Glücks
  10. 3.2   Können wir überhaupt unser Glück vermehren?
  11. 3.3   Verlieren wir das Glück, wenn wir uns darum bemühen?
  12. 3.4   Das Bedürfnis unglücklich zu sein
  13. 3.5   Die Angst vor »der Götter Neide«
  14. 3.6   Gibt es Glück ohne die gegensätzliche Erfahrung von Unglück?
  15. 3.7   Die »Nebenwirkungen« des Glücklichseins
  16. 3.8   Kann man Glück messen?
  17. 4   Emotionale Hindernisse auf dem Weg zum Glück
  18. 4.1   Hindernisse für das Glück: Angst
  19. 4.2   Hindernisse für das Glück: Ärger und Wut
  20. 4.3   Hindernisse für das Glück: Negative innere Orientierungen
  21. 4.4   Hindernisse für das Glück: Der falsche Umgang mit der Zeit
  22. 4.5   Hindernisse für das Glück: Falsche Gewohnheiten
  23. 5   Versuche einer Systematik des Glücks
  24. 6   Wege zum Glück: Glück durch Beseitigung eines Mangels
  25. 6.1   Wege zum Glück: Beseitigung von Armut
  26. 6.2   Wege zum Glück: Jugend und Alter
  27. 6.3   Wege zum Glück: Gesundheit
  28. 6.4   Wege zum Glück: Gutes Wetter und schöne Umgebung
  29. 7   Wege zum Glück: Die Glücksfaktoren
  30. Physische Bedingungen
  31. 7.1   Wege zum Glück: Genießen
  32. 7.2   Wege zum Glück: Kunstgenuss – Glück durch Schönheit
  33. Soziale Beziehungen
  34. 7.3   Wege zum Glück: Freunde, Partner, Kinder
  35. 7.4   Exkurs über die Liebe
  36. 7.5   Wege zum Glück: Altruismus und Helfen
  37. 7.6   Wege zum Glück: Dankbarkeit
  38. Geistige Bedürfnisse
  39. 7.7   Wege zum Glück: Verzeihen, Vergeben
  40. 7.8   Wege zum Glück: Sinn erleben
  41. 7.9   Wege zum Glück: Glaube, Spiritualität, Meditation
  42. Aufbau eines positiven Ich-Bewusstseins
  43. 7.10   Wege zum Glück: Aktiv sein, Arbeiten
  44. 7.11   Wege zum Glück: Flow erleben
  45. 7.12   Wege zum Glück: Erfolg haben, sich mit anderen vergleichen
  46. 7.13   Wege zum Glück: Lernen, persönliches Wachstum
  47. 7.14   Wege zum Glück: Gestalter sein, Selbstwirksamkeit erleben
  48. 7.15   Wege zum Glück: Selbstwertgefühl
  49. 7.16   Wege zum Glück: Resilienz
  50. Übergeordnete Glückfaktoren
  51. 7.17   Wege zum Glück: Einstellungen
  52. 8   Zusammenfassung: Empfehlungen für ein glückliches Leben
  53. 9   Schlussbetrachtung
  54. 10    Verzeichnis der Geschichten
  55. 11    Literaturverzeichnis
  56. 12    Namen- und Stichwortverzeichnis

Geleitwort

Dieses Buch sollte man fairerweise mit einer Banderole ausliefern: »Achtung, die Lektüre kann Ihr Leben verändern!« Denn vor Veränderungen muss grundsätzlich gewarnt werden, weil sie zwar zum Guten führen, doch zuvor einiges verlangen. Bei mir zeigte sich nach der Lektüre die beginnende Änderung zuerst als Ärger und Selbstvorwurf: »Warum habe ich so viele Jahre lang so wenig aktiv für mein Glück getan?« Dabei war ich mir doch so sicher, genussfähig und mir bewusst zu sein, dass es mir gut geht. Aber vor allem nachdem ich die »Wege zum Glück« im Hauptkapitel 6 gelesen hatte, wurde mir klar, dass ich nur ein Glücksdilettant war, der bisher eben das »Glück« hatte, dass alles recht gut für ihn lief. Als Dilettant habe ich das zwar genossen, aber praktisch nichts von dem getan, was ein Glückscoach wie Jens-Uwe Martens empfiehlt. Ich erkannte beim Lesen, dass ich kein Gestalter meines Glücks war, sondern Glückskonsument.

Jens-Uwe Martens ist es tatsächlich gelungen, in mir den Vorsatz zu wecken, meinen Umgang mit Glück zu ändern. Es gibt viel zu tun! Als Psychologe bin ich dann neugierig geworden, wie er das bei mir geschafft hat. Und ich bin sicher, dass er viele andere Leser ebenso aufrütteln wird. Der Regisseur François Truffaut hat einmal mit dem Regisseur Alfred Hitchcock lange Gespräche geführt, um hinter dessen Tricks zu kommen. Die Dialoge erschienen als Buch mit dem Titel »Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht?« Ich wollte jetzt wissen: »Herr Martens, wie haben Sie das gemacht?«, nämlich jemand wie mich so zu überzeugen, dass man Glück gestalten kann und besser heute als morgen damit anfängt. Nun muss man wissen, dass so wie Hitchcock Spezialist für Spannung war, Jens-Uwe Martens als promovierter Psychologe sich ein Leben lang mit psychologischen Einstellungen und ihrer Beeinflussung beschäftigt hat. In seinem Buch »Glück« setzt er ganz auf die Strategie der Evidenz, der Überzeugungskraft des Augenscheins. Die Wirkung beim Leser ist: »Alles klar, das spricht doch für sich. Das liegt doch auf der Hand.« Evidenz beschafft er sich – jeweils mit geschickter Auswahl – aus zwei Quellen. Die erste Quelle ist die Wissenschaft. Das Buch referiert viele Befunde aus der empirischen Psychologie mit teils überraschenden Ergebnissen. Außerdem kommt eine imponierende Reihe von Philosophen zu Wort. Weil Wissenschaft so seriös ist, eignet sie sich besonders dazu, zu überzeugen. Die zweite Evidenzquelle ist das wahre Leben: Anekdoten, Geschichten, eigene Erfahrungen. Eigene Erfahrungen überzeugen durch ihre Authentizität ganz besonders (»Es war wirklich so«). Und Anekdoten und Geschichten von anderen Autoren sind, wenn gut ausgewählt, »Aha«-Anknipser. Es geht einem »ein Licht auf«. Meine Lieblingsgeschichte ist die mit dem Rasenfetischisten, den die Löwenzahnplage zur Verzweiflung treibt. Der Ratschlag des alten Gärtners »Wie wäre es, wenn Sie einfach anfangen, den Löwenzahn zu lieben?« ist in seiner weisen Paradoxie so treffend, dass man sofort erkennt: »Genau das ist es!« So funktioniert Blitzlernen. Mit diesen unwiderstehlichen Überzeugungsinstrumenten – Wissenschaft beweist durch ihre Methoden, Geschichten beweist das Leben – lässt Martens uns keine Chance mehr, uns herauszureden und unsere geliebten Routinen im bisherigen Umgang mit Glück weiter zu pflegen. Zumindest hätte ich jetzt, nach der Lektüre, ein schlechtes Gewissen. Denn man will doch so glücklich sein wie möglich, oder?

Von Jens-Uwe Martens habe ich allerdings gelernt, dass es recht dumm wäre, ärgerlich darüber nachzudenken, was mir entgangen ist, weil ich erst jetzt beginne, Glücksgestalter zu werden. »Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist«, singt Alfred in der Operette »Die Fledermaus« von Johann Strauss. Im Dreivierteltakt mit einem Glas Champagner in der Hand. Gibt es einen besseren Start in ein neues Gücksleben?

Bernd Weidenmann

(Emeritierter Universitätsprofessor für Pädagogische Psychologie an der Universität der Bundeswehr München)

Vorwort

Die Seele nährt sich von dem, woran sich das Herz freut.
Augustinus

Persönliche Erfahrungen auf der Suche nach Glück

Die Suche nach Glück ist zuallererst eine sehr persönliche Erfahrung. Auch dieses Buch ist primär durch persönliche Erlebnisse entstanden. Ich habe Psychologie studiert und mich damit beschäftigt, verschiedene Berufsgruppen zu trainieren oder Trainingsprogramme für sie zu entwickeln, damit diese erfolgreicher wurden. Ich wollte ihnen helfen, und sie ließen sich bereitwillig helfen, denn nicht nur die Firma, für die sie arbeiteten und die mein Auftraggeber war, sondern auch sie selbst wollten erfolgreicher werden, vor allem mehr Geld verdienen. Immer wieder überkamen mich Zweifel, ob das, was ich den verschiedenen Berufsgruppen (hauptsächlich Manager und Außendienstmitarbeiter, also Verkäufer) vermittelte, wirklich das war, was sie brauchten, um ein zufriedenes, erfülltes Leben zu führen. Sollte ich meinen Teilnehmern nicht eher vermitteln, wie sie besser, d. h. glücklicher leben können? Aber wenn ich der Firma vorgeschlagen hätte, ein Programm zu entwickeln, wie ihre Angestellten glücklicher werden, so hätten mich die Auftraggeber sicher nicht wieder engagiert. Und so verbrachte ich mein Leben damit, Verkaufs-, Führungs-, Motivationstechniken und viele andere Themen zu vermitteln. Erst heute, nachdem ich mich schon einige Jahre von meiner Firma getrennt habe, wende ich mich dem eigentlich wirklich wichtigen Thema intensiver zu, der Frage, wie man glücklich wird.

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Zur Einführung: Aspekte des Glücks

1.1       Sind wir wirklich unseres Glückes Schmied?

Die meisten Menschen sind so glücklich, wie sie es sich selbst vorgenommen haben.

Abraham Lincoln

Das Weltbild zweier Taxifahrer

Soeben hatte ich meinen Vortrag an der Universität von Würzburg beendet. Ich sprach noch ein paar Worte mit einem Kollegen, den ich schon lange kannte, als uns ein Mitarbeiter der Universität unterbrach: Das Taxi, das mich zum Bahnhof bringen sollte, würde schon unten auf der Straße warten.

Ich packte also schnell meine Sachen zusammen, verabschiedete mich und ging nach unten. – Da war kein Taxi zu sehen. Als ich so wartete und überlegte, was zu tun sei, kam der Mitarbeiter, der das Taxi gerufen hatte. Nachdem er sah, dass ich etwas verloren am Straßenrand stand, griff er erneut zum Telefon. Nach wenigen Minuten kam ein Taxi.

Der Fahrer stieg aus, und während er mir mit meinem Gepäck half, schimpfte er: »Ich habe sechs Minuten auf sie gewartet. Hier kann man nicht stehen, ich halte doch den ganzen Verkehr auf! Wenn man ein Taxi bestellt, dann sollte man auch da sein!« Ich murmelte zu meiner Entschuldigung, dass ich das Taxi nicht bestellt hatte und daher auch nicht wusste, ab wann es da war, aber der Taxifahrer hörte wohl gar nicht zu. Er konnte nicht aufhören zu schimpfen. Mehr zu sich selbst, als zu mir, sprach er davon, dass Taxifahren das Letzte sei, dass man von allen schlecht behandelt würde und dass man immer im Stress sei. Er murmelte noch weiter, aber ich konnte ihn nicht mehr verstehen und wollte es wohl auch nicht. Ich hatte damit zu tun, mir auszureden, dass ich an seiner schlechten Laune Schuld sei. Hatte ich ihm denn den Tag verdorben? Vielleicht war es ja auch gar nicht der Tag, der ihm verdorben war, vielleicht war das seine Art, mit seinem Leben umzugehen!?

Wie anders war doch die Hinfahrt verlaufen! Der Taxifahrer hatte mich freudig begrüßt, als ob er sich freute, mich fahren zu dürfen, und nachdem ich ihm die Adresse gesagt hatte, fragte er mich, ob ich wüsste, wer der Mann war, nach dem man den Platz benannt hatte. Ich hatte keine Ahnung, und er klärte mich darüber auf, dass das ein Bischof der Stadt gewesen sei, der noch 1957 die letzte Teufelsaustreibung vorgenommen hatte. Wir unterhielten uns angeregt über Glauben und Aberglauben, und ich war fast traurig, dass die Taxifahrt nur wenige Minuten dauerte.

Als es ans Bezahlen ging, war ich gerne bei der Bemessung des Trinkgeldes großzügig, und wir verabschiedeten uns mit einem herzlichen »Danke!«

Worin unterschieden sich die beiden Taxifahrten, worin unterschieden sich die beiden Fahrer? Beide hatten sie die gleiche Fahrt mit dem gleichen Gast. Aber beide haben nicht nur unterschiedlich viel Trinkgeld bekommen, sie haben eine fast gegensätzliche Sichtweise ihres Berufes, vielleicht sogar ihres Lebens demonstriert. Der erste war auf die negativen Seiten seiner Tätigkeit fokussiert, während der zweite sich auf den Gast eingestellt und sich interessiert gegenüber den Eindrücken gezeigt hat, die sich ihm boten. Der Letztere machte auf mich einen zufriedenen, glücklichen Eindruck, während der andere so unglücklich war, dass man richtig Mühe hatte, sich nicht anstecken zu lassen.

Es gibt offensichtlich zwei gegensätzliche Wege durch dieses Leben. Sind diese Wege nur eine Reaktion auf die Erlebnisse, denen man zufällig ausgesetzt ist? Sind die Wege vielleicht sogar durch erbliche Veranlagung vorbestimmt? Kann man einen dieser Wege frei wählen?

Wie viel können wir zu unserem Glück beitragen?

»Wie geht es Ihnen?«

Das ist wahrscheinlich die am häufigsten gestellte Frage. Sie ist zu einer Begrüßungsformel geworden, die wir oft gar nicht mehr als Frage zur Kenntnis nehmen. Die Antwort lautet in fast allen Fällen: »Gut!«, ebenso formelhaft und ohne Überlegung erwidert.

Aber wie geht es Ihnen wirklich? Wie fühlen Sie sich? Wie fühlen Sie sich allgemein, gestern und vorgestern, und wie fühlen Sie sich heute, im Moment. Ohne Zweifel geht es uns zu manchen Zeiten besser und dann wieder schlechter, und ebenso ist es eine Tatsache, dass es manchen Menschen offensichtlich grundsätzlich besser geht als anderen, nicht nur – vielleicht noch nicht einmal primär – weil die Umstände für diese Menschen angenehmer verlaufen, sondern weil sie einfach »ein glückliches Naturell besitzen«.

Können wir etwas dafür tun, dass es uns gut geht, dass wir uns noch mehr freuen, zu leben und unser Leben genießen, dass wir glücklich sind? Haben wir unser Glück in der Hand oder ist es abhängig von äußeren Umständen, die wir nicht beeinflussen können? Das ist eine Frage, die seit Jahrhunderten immer wieder gestellt wird. In den Zeiten der Antike war das eine Frage, mit der sich die Philosophen beschäftigten, heute ist es eher eine Frage der Psychologen, die versuchen, sie mit empirischen Untersuchungen zu beantworten.

Ich persönlich habe mir diese Frage gestellt, als ich in die Pubertät kam. Ich habe mein Tagebuch aus jener Zeit dieser Frage gewidmet und sie hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Heute, etwa sechzig Jahre später, ziehe ich ein Resümee, fasse zusammen, was ich in meinem Studium der Psychologie und Philosophie gelernt, aus den vielen Büchern über dieses Thema erfahren habe, und vor allem, was sich in den Jahrzehnten meines bewegten Lebens bewährt hat.

Das vorliegende Buch ist somit eine subjektive, aus persönlichem Erleben entstandene Zusammenfassung der Erkenntnisse zu diesem Thema, für Leser, die sich für Philosophie und Psychologie interessieren, die aber auch für sich persönlich einige Erkenntnisse gewinnen wollen, die sich einfach ein wenig mehr Glück, Zufriedenheit, Wohlergehen wünschen.

Subjektive Einsichten und objektive, statistisch belegte Erkenntnisse

Dieses Buch ist somit notgedrungen weitgehend subjektiv. Jeder Mensch ist einzigartig und daher reagiert auch jeder Mensch anders auf die hier beschriebenen Phänomene. Der eine liebt Brahms und empfindet höchstes Glück, wenn er in einem Konzertsaal seinem Lieblingssymphonieorchester bei einer Aufführung mit dem besonders verehrten Dirigenten lauschen kann, während andere sich freiwillig stundenlang für eine Karte für ein Heavy Metal Konzert anstellen, um dort in Ekstase zu geraten. Die Hinweise und Empfehlungen in diesem Buch können immer nur als Möglichkeiten verstanden werden, welche bei einigen, in der beschriebenen Form wirken. Bei diesen Lesern wird sich dann die Zahl ihrer Glücksmomente vergrößern. Ob Sie zu diesen Lesern zählen, müssen Sie selbst herausfinden.

Selbst Ärzte, wie der Frankfurter Chirurg Bernd Hontschik (2013), der doch in seinem ganzen Studium gelernt hat, wie »der Mensch« funktioniert, hat einmal gesagt: »Wir Ärzte erleben doch jeden Tag, dass eine Behandlung oder eine ärztliche Diagnose praktisch bei jedem Menschen andere Folgen hat.«1 Menschen funktionieren nicht wie Maschinen, bei ihnen gibt es neben Ursache und Wirkung mindestens noch die Ebene der »Bedeutungserteilung«. Wir Menschen haben die einzigartige Fähigkeit zu entscheiden, was wir in den Vordergrund unseres Bewusstseins stellen, welchem Bewusstseinsinhalt wir vorrangige Bedeutung geben und damit welche Vorstellungen uns und unseren Körper beeinflussen.

»Glück« ist ein Thema, mit dem sich schon seit einigen Jahren die Wissenschaft beschäftigt. Sie behauptet »allgemeingültige« Regeln und Gesetze gefunden zu haben, die für die Mehrzahl der Menschen gilt. Psychologen sind immer sehr stolz und glücklich, wenn sie solche Regeln entdecken, denn im Gegensatz zur Physik gibt es in der Psychologie fast immer sehr viele unkontrollierbare Einflussgrößen und damit entsprechend viele Ausnahmen, so dass ein Apfel eben nicht immer – wie in der Physik – nach unten fällt.

Ich werde Ihnen eine Reihe von Untersuchungen vorstellen, in denen eine deutliche Anzahl von Versuchspersonen so wie erwartet reagiert hat. Das heißt aber, dass es fast immer Ausnahmen gab, Personen die anders reagiert haben, die aber so sehr in der Minderheit waren, dass sie bei der Betrachtung der Ergebnisse unbeachtet blieben. Allerdings könnte es natürlich sein, dass Sie zu diesen Ausnahmen gehören!

Dazu noch ein Wort über Statistik. Es gibt viele spöttische Bemerkungen über Statistik: »Glaube nur der Statistik, die Du selbst gefälscht hast!« oder »Statistiken sind wie Bikinis, sie enthüllen eine ganze Menge, verbergen aber das Wichtigste.« Zu oft wurde uns mit statistischen Zahlen ein Zusammenhang »bewiesen«, der sich später als unhaltbar herausgestellt hat. Natürlich kann man Statistiken fälschen, natürlich kann ein statistisch festgestellter Zusammenhang auf einem Artefakt beruhen, der bei der Untersuchung missachtet wurde. Ich gehe davon aus, dass bei den in diesem Buch zitierten Untersuchungen diese Fehler nicht gemacht wurden, da diese von seriösen Wissenschaftlern durchgeführt wurden, und von vielen verschiedenen Autoren unabhängig voneinander bestätigt wurden. Ein Problem für den Einzelnen allerdings bleibt immer: Ob ein Zusammenhang auch für mich persönlich gilt, das kann mir keine Statistik beweisen, das muss ich selbst ausprobieren.

Hierzu ein Beispiel: Viele Untersuchungen haben immer wieder gezeigt, extremer Reichtum macht nicht glücklich. Die Massai in Afrika sind im Durchschnitt genauso glücklich wie die 400 reichsten Milliardäre in den USA. Aber ob Bill Gates nicht doch glücklicher ist, als andere, auch glücklicher als die Massai, sagt das natürlich nicht aus. Es geht um den Durchschnitt und nicht um alle, also es ist durchaus möglich, dass Sie auch auf Dauer glücklicher wären, wenn Sie den Jackpot mit 100 Millionen gewinnen, allerdings ist das unwahrscheinlich, weil eben statistisch ausgewertete Untersuchungen im Durchschnitt zu anderen Ergebnissen gekommen sind.

Statistisch gesicherte Zusammenhänge legen darüber hinaus häufig einen kausalen Zusammenhang nahe. Beispiel: »Menschen, die viel Sport treiben, sind glücklicher als andere Menschen«. Heißt das, dass Sport treiben glücklich macht? Kann es nicht auch sein, dass die Glücklichen mehr Sport treiben, dass also nicht Sporttreiben glücklich, sondern Glückserleben sportlich macht? Oder kann es nicht sein, dass diese Ergebnisse einen anderen nicht untersuchten Grund haben, z. B. dass Sportlehrer die Gabe besitzen, ihren Schülern nicht nur den Sport nahe zu bringen, sondern sie auch noch glücklich zu machen?

Sie sehen, dass solche Ergebnisse mit Vorsicht zu genießen sind. Wenn allerdings bestimmte Zusammenhänge immer wieder von verschiedenen Experimentatoren gefunden und entsprechende Kontrollgruppen einbezogen wurden, dann kann man mit einer steigenden Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es einen gewissen Zusammenhang gibt.

Allerdings geht es mir in diesem Buch nicht darum, Wissenschaft zu betreiben. Ich zitiere die Experimente, um die beschriebenen Regeln zu konkretisieren und zu untermauern. Ob Sie daraus für sich eine Konsequenz ziehen, liegt einzig und allein bei Ihnen. Sie können immer für sich beanspruchen eine Ausnahme zu sein. »Rauchen kann tödlich sein!« – aber ein Bekannter von mir ist als starker Raucher 96 Jahre alt geworden. Trotzdem habe ich für mich die Konsequenz gezogen, besser nicht zu rauchen – man kann nie wissen.

1.2       Das kleine und das große Glück

Glücklichsein besteht aus drei Dingen: Jemanden haben, den man lieben kann, etwas zu tun haben und Hoffnung auf etwas haben.

Chinesisches Sprichwort

In dieser Schrift wird »Glück« oder »Glücklichsein« als ein Gefühl bezeichnet, das der Betroffene, der dieses Gefühl erlebt, immer wieder sucht und das eine Reihe von positiven Auswirkungen auf sein soziales Verhalten und seinen Gesundheitszustand hat. Dabei muss man zwei Arten von »persönlichem Wohlbefinden« unterscheiden: das kleine Glück, die Glücksmomente, und das große Glück, das länger dauert.

Das kleine Glück: die Glücksmomente

Schönheit und Vergänglichkeit

Vor vielen Jahren besuchte ich die Seychellen. Die Inselgruppe begeisterte meine Begleitung und mich. Wir fanden schnell Freunde, die uns voller Stolz ihre Insel zeigten. Als ich einen besonders schön blühenden Baum entdeckte und unseren neu gewonnenen Freund auf ihn aufmerksam machte, sagte dieser abfällig: »Ach der, der blüht nur einmal im Jahr.« Er mochte keine Bäume, die nur einmal im Jahr blühen, seine Ansprüche waren höher. Was sollen wir da in Europa sagen? Wir trafen einen Europäer, der dort vor vielen Jahren hängen geblieben ist. Ich fragte ihn, ob er sich nicht jeden Tag darüber freut, in diesem Paradies leben zu können. »Ach«, sagte er »wenn man so lange wie ich hier lebt, dann sieht man die Blumen gar nicht mehr. Sie sind halt immer da.«

Ist das Vergehen notwendig, um sich auf das neue Werden, auf den Frühling freuen zu können und die Blumenpracht des Frühlings genießen zu können? Gilt das nicht auch für viele andere Dinge und Erfahrungen um uns herum? Wir wollen es oft nicht wahrhaben, aber der Wechsel ist wesentlich für das Erleben von Glück. Wenn wir Glücksmomente gefunden haben, dann wollen wir sie natürlich festhalten, für immer behalten, aber je mehr wir uns daran klammern, desto größer ist die Gefahr, dass wir sie verlieren.

Glücksmomente sind etwas Flüchtiges, etwas das mehr oder weniger lange dauert, meist eher von kurzer Dauer ist, und das man nicht festhalten kann. André Burguière schreibt »Glück ist nur ein momentanes, flüchtiges Gefühl, dessen Intensität und Dauer von der Verfügbarkeit jener Ressourcen abhängt, die es ermöglichen.« (Zitiert nach Ricard, 2009, S. 32). »Das Streben der Menschen nach Fortdauer ihres Glücks ist nämlich aufgrund der inneren Natur eben dieses Glücks zum Scheitern verurteilt: Wie jedes Gefühl ist auch das Glück ein instabiles Gleichgewicht zwischen Biologie und Psychologie, zwischen unserer persönlichen Geschichte und unserer Umgebung« (André, 2005, S. 34). Ich empfehle daher allen, die glücklicher werden wollen, eine Sammlung von Glücksmomenten anzulegen, als Eintragungen in einem speziellen Glückstagebuch. Man kann darauf immer zurückgreifen, wenn es einem einmal nicht so gut geht.

Eine Sammlung meiner Glücksmomente beinhaltet zum Beispiel:

•  Das Lächeln eines Kindes.

•  Eine gute Tasse Tee oder Schokolade nach einem langen Waldspaziergang.

•  Sonnenaufgang auf dem Gipfel eines Berges.

•  Eine Schorle in einem Gartenrestaurant nach einer anstrengenden Bergwanderung genießen und der Sonne zusehen, wie sie untergeht.

•  Die Geburt meiner lange ersehnten Tochter Stephanie.

•  Wir füttern auf einem Waldspaziergang Vögel, die sich auf unsere Hand setzen, von der sie Körner picken.

•  Ein romantisches Essen mit meiner Frau in einem schönen Restaurant bei Kerzenlicht.

•  Nach einem anstrengenden Tag in das offene Feuer des Kamins sehen.

Unser Glück besteht also wesentlich aus Glücksmomenten, allerdings können diese eine solche Intensität erreichen, dass sie in unserem Bewusstsein weiter bestehen, wir uns immer wieder an sie erinnern, und sie wie eine schöne Melodie in unserem Kopf und in unserem Herzen weiterschwingt, eine gewisse Dauer erlangt und unser Dasein in ein angenehmes Licht taucht.

Ich kann mich erinnern, dass meine Mutter einmal, als ich ein kleines Kind war, sagte: »Das sind Erlebnisse (sie meinte: glückliche Erlebnisse), die uns niemand mehr nehmen kann, und die uns helfen werden, wenn es uns einmal nicht mehr so gut geht.« Ich weiß nicht mehr, auf welches Erlebnis sich diese Bemerkung bezog, aber ich erinnere mich, dass sie das sagte, als der Zweite Weltkrieg für die Deutschen schon verloren war und wir (meine Mutter und fünf Kinder) dabei waren, aus Berlin zu fliehen. Ich fragte mich schon damals, ob man tatsächlich glückliche Augenblicke in der Erinnerung bewahren kann, um davon in schlimmen Zeiten zu zehren. Heute, über sechzig Jahre später, kann ich das bestätigen.

Das große Glück: Glückszustände

Neben den Glücksmomenten gibt es eine andere Form von Glück, die ich später entdeckte. Für Robert Mesrahi bedeutet Glück, »dass ein Mensch strahlt vor Freude über seine Existenz insgesamt oder über den lebendigsten Teil seiner aktiven Vergangenheit, realen Gegenwart oder vorstellbaren Zukunft.« (Ricard, 2009, S. 32).

Man kann also offensichtlich zwei Arten von »persönlichem Wohlbefinden« unterscheiden: die Glücksmomente, die zeitlich begrenzt sind, man könnte sie das kleine Glück nennen, sowie das große Glück, das länger dauert und im Idealfall das ganze Leben durchströmt, z. B. eine große Liebe, die Erfüllung in einem sinnvollen, geliebten Beruf. Wahrscheinlich kennt jeder den Unterschied zwischen dem Gefühl, in einem bestimmten Augenblick glücklich zu sein, und dem Glück, das von einem momentanen Erlebnis unabhängig ist. Man muss wohl zwischen »ich habe eine gute Zeit, bin gerade glücklich« und »ich führe ein glückliches, erfülltes, gelungenes Leben« unterscheiden.

1.3       Die Rolle des Glücksempfindens in der Evolution

Die Natur hat dafür gesorgt, dass es, um glücklich zu sein, keines großen Aufwandes bedarf.

Seneca

Freud hat einmal geschrieben, Glück sei im Schöpfungsplan nicht vorgesehen (Freud, 1974, S. 344). Vieles spricht dafür, dass er kein sehr glückliches Leben geführt hat und es gibt Beobachtungen und Untersuchungen, die seiner Auffassung widersprechen – zumindest dann, wenn man die Entwicklung des Menschen, so wie sie sich uns heute darstellt, als Teil des Schöpfungsplans ansieht. Ohne Zweifel bestimmt das Streben, Glücksmomente zu erleben und Unglück zu vermeiden, weitgehend unser Verhalten. Vieles spricht dafür, dass die Fähigkeit Glück und Unglück zu empfinden, sich als Überlebensvorteil bei der Auslese erwiesen hat, und wir daher diese Eigenschaften immer weiter entwickelt haben.

Wenn man die »Wege zum Glück« detailliert betrachtet, kann man feststellen, dass sie einen Beitrag zum Überleben des Einzelnen und der Gattung leisten, angefangen bei den sozialen Beziehungen, über die Liebe, bis zum Erfolg haben und dem Lernen bzw. dem persönlichen Wachstum. Besonders deutlich wird es dann, wenn sich dieses Streben nach Glück von der egoistischen Trieberfüllung abhebt, wenn das Streben nach Glück gleichsam eine Korrektur möglicher negativer Auswirkungen des Selbsterhaltungstriebes darstellt.

Beispiel 1: Wir alle sind von Natur aus Egoisten. Wir sorgen dafür, dass es uns gut geht, dass wir ausreichend zu essen haben, dass wir ausreichend Schutz vor den Unbilden der Natur und vor unseren Feinden besitzen usw. Warum sollten wir also anderen, uns fremden Menschen helfen? Andererseits sind wir soziale Wesen und darauf angewiesen, in Gruppen Schutz und seelische Unterstützung zu finden. Viele Untersuchungen zeigen, dass es uns glücklich macht, wenn wir für andere da sein können, wir anderen helfen können. »Wir helfen einander, weil uns das Gehirn belohnt, wenn wir das tun« (Grinde, 1996, S. 258). Dieser Belohnungsmechanismus ist das Ergebnis evolutionärer Auslese, denn offensichtlich hat sich der Grundsatz »Wie du mir, so ich dir« besser bewährt als der pure Egoismus2. Dieser Zusammenhang gilt in beide Richtungen: Es macht uns nicht nur glücklich, anderen zu helfen, sondern wenn wir glücklich sind, sind wir auch eher bereit, unsere Energie und unsere Ressourcen darauf zu verwenden, anderen zu helfen. Auch dieser Zusammenhang ist empirisch nachgewiesen.

Beispiel 2: Es muss sicher nicht näher ausgeführt werden, dass uns der Sexualtrieb dazu bringt, vielfältige Aktionen zu starten, die das Ziel haben, uns zu reproduzieren. Freud hat uns deutlich gemacht, dass die Leistung der Kultur darin besteht, diese Triebe in gesellschaftlich akzeptable Bahnen zu lenken. Aber es gibt noch einen zweiten Mechanismus, der uns davon abhält, ohne Hemmungen unserem Sexualtrieb zu folgen. Mir wurde das in jungen Jahren deutlich, als ich das erste Mal mit einem Freund aus meiner Schulklasse über unsere sexuellen Erfahrungen sprach. Er machte mir klar, dass es zwar schön ist, wenn man ein Mädchen »erobert« hat, dass man sich aber dann, wenn die »Entspannung eingetreten ist«, mies fühlt und am liebsten gleich weg will. Er hat daraus eine sehr negative Interpretation des ganzen Lebens abgeleitet und wollte mir deutlich machen, dass es Glück auf dieser Welt eigentlich nicht gibt, wenn man von den kurzen Augenblicken der Triebbefriedigung absieht.

Meiner Erfahrung widersprach diese Ansicht völlig. Zwar kannte natürlich auch ich das Gefühl der »Triebbefriedigung«, aber bezogen auf das Zusammensein mit meiner Freundin habe ich gerade das Gegenteil erlebt. Ich war nach dem ersten Mal, nach unserem ersten intimen Zusammensein so glücklich wie niemals vorher. Das hat mich und mein ganzes weiteres Leben geprägt. Ich suchte nicht mehr die Triebbefriedigung, sondern mein Streben nach diesem Glück brachte mich dazu, dass ich mit meiner Partnerin mehr als nur ein sexuelles Abenteuer erlebte. Ich wollte immer auch eine seelische Verbindung. Mein Streben nach Glück führte also dazu, dass ich mich mit meiner Partnerin auch über die sexuellen Gefühle hinaus verbunden fühlte. Ich suchte mehr als nur ein sexuelles Abenteuer – und das ist im Sinne der Evolution ein Vorteil, denn es vergrößert die Chance, dass die aus der Verbindung hervorgehenden Kinder gemeinsam groß gezogen werden.

Wenn unser Streben nach Glück im Laufe des Evolutionsprozesses entstanden ist und den Zweck hat, das Überleben von uns und unserer Gattung sicherzustellen, dann kann man im Umkehrschluss daraus folgern, dass nur das Verhalten uns langfristig glücklich macht, das unser Überleben und das Überleben unserer Gattung fördert.

Die Frage, die sich daran anschließt ist die, wessen Überleben wir fördern wollen, wen wir als Mitglied »unserer Gattung« ansehen. Natürlich sind das zunächst die Familienmitglieder, obwohl es da auch Ausnahmen gibt. Dann sind es die Freunde, also Menschen, mit denen wir viel zusammen sind und meist auch viel gemeinsam haben. Es scheint so zu sein, dass wir die Personen als Mitglied »unserer Gattung« ansehen, mit denen wir uns viel beschäftigen. Auch das scheint instinktiv gesteuert zu sein. Der Clan muss gefördert und beschützt werden und zum Clan gehören die, mit denen wir häufig zusammen sind. Aber es kommt nicht nur darauf an, ob wir rein physisch mit einem Menschen zusammen sind, es reicht offensichtlich, dass wir uns gedanklich mit ihm auseinandersetzen und uns dabei in ihn »hineinfühlen«.

Um das zu beweisen, schlage ich Ihnen ein Gedankenexperiment vor. Angenommen Sie entdecken eine Ameise auf Ihrem Schreibtisch. Die gehört dort wirklich nicht hin. Sie beobachten, wie sie offensichtlich auf Futtersuche hin und her läuft und es wird Ihnen bewusst, dass sie wahrscheinlich, wenn sie einen essbaren Krümel findet, ihre Stammeskollegen holt und Sie vielleicht am nächsten Tag eine Ameisenstraße auf Ihrem Schreibtisch beobachten können. Das möchten Sie natürlich vermeiden, Sie legen Wert auf ein sauberes Haus. Schmutz ist Materie an einem Ort, an den sie nicht hingehört, und eine Ameise gehört nicht auf Ihren Schreibtisch. Sie werden sie also mit dem Finger zerdrücken, vielleicht – wahrscheinlich sogar, ohne sich diese Gedanken der »Bedrohung« zu machen. Ähnliche Gedanken haben Sie sich so oft gemacht, dass die Entscheidung: ›Die Ameise stört mich auf meinem Schreibtisch‹ getroffen wird, ohne dass Sie darauf Aufmerksamkeit verwenden. Sie könnten ihren Gedanken allerdings auch eine andere Richtung geben. Sie könnten sich in diese Ameise hineinfühlen. Sie könnten auf die Idee kommen, dass sie sich verirrt hat, dass sie ängstlich ist, ob sie jemals wieder nachhause zu ihrem Stamm findet. Wenn Sie das intensiv tun, dann werden sie auf einmal Mitleid mit dieser Ameise empfinden – und sie werden Hemmungen haben, sie einfach als Schmutz zu betrachten und zu beseitigen3.

Könnte es sein, dass die Frage, ob wir jemanden sympathisch und damit schützenswert ansehen, nur davon abhängt, ob wir uns gedanklich mit ihm beschäftigen, ob wir uns in ihn hineinfühlen? Das Gefühl des Glücks ist also »die Belohnung« für ein Verhalten, das für das Überleben des Einzelnen und der Gattung förderlich ist.

1  Zitat in dem Artikel von W. Bartens, Süddeutsche Zeitung.

2  Kant (2012) sah darin ein »moralisches Gesetz«, das er als Schöpfungsergebnis so sehr bewunderte wie den gestirnten Himmel über ihm. (»Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir.«) »Kritik der praktischen Vernunft«, Beschluss, S. 300.

3  Ich komme auf die Bedeutung des Einfühlens für das Glückserleben beim Glücksfaktor in Images Kap. 5 zurück.

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Das Glück in der Philosophie

Die Philosophie ist dazu da, das Leben glücklich zu machen!

Montaigne

Im Rahmen meines Psychologiestudiums hatten wir auch Philosophie als Zusatzfach. Der Professor, bei dem ich studierte, vermittelte uns die Überzeugung, dass die Philosophie die eigentliche, wahre und wichtigste Wissenschaft sei, denn sie sei die einzige Wissenschaft, die sich damit beschäftigt, wie wir am besten leben. Alle anderen behandelten nur Teilaspekte dieses Lebens. Der Professor, der uns diese Auffassung nahe brachte, verkörperte selbst einen Menschen, der es wahrhaftig verstand zu leben. Er war damals ca. 45 Jahre alt, sah jünger aus, war immer urlaubsbraun und hatte eine sportliche Figur. Wir Studenten haben ihn bewundert, ihm gerne gelauscht und ich persönlich habe sicher viel von seinen Lehren übernommen, wenn ich mich auch nicht mehr an Einzelheiten erinnern kann, so wie ich auch leider seinen Namen vergessen habe.

In diesem Buch liegt der Schwerpunkt nicht auf der Philosophie, sondern auf der empirischen Psychologie. Allerdings ist es sicher hilfreich, kurz die Erkenntnisse der Philosophen der vergangenen Jahrhunderte zu streifen. Indem wir ihre Aussagen mit den Ergebnissen der Psychologie vergleichen, werden wir sehen, dass viele Erkenntnisse vom Glück schon Jahrhunderte alt sind.

Fast alle großen Philosophen haben auch über das Glück geschrieben. In einer Tabelle habe ich die wichtigsten Denker der verschiedenen Jahrhunderte, angefangen bei Lao-Tse bis zu den Psychologen der heutigen Zeit mit ihren Aussagen zum Glück und entsprechenden Zitaten, aufgeführt. Ich habe einige Psychologen mit in die Tabellen am Ende des Kapitels aufgenommen, da sie heute weitgehend die Rolle der Philosophen übernommen haben.

Hier einige Anmerkungen zu einzelnen Philosophen, die über die sehr kurz gefassten Inhalte der Tabelle hinausgehen.

Lao-Tse

Lao-Tse (1959) lehrte, das Dao sei die Wurzel von allem. Er ermahnte die Menschen, dass sich die himmlischen und irdischen Gesetze nicht nach ihren Wünschen und Vorstellungen verändern lassen. Das Leben und das Sterben aller Dinge sowie das alltägliche Leben der Menschen folgen dem natürlichen Lauf, dem man sich unterwerfen müsse. Lao-Tse weist im Dao De King darauf hin, dass das Unglück die Voraussetzung für das Glück sei und dass das Glück auch Elemente des Unglücks beinhalte. Er wendet sich gegen die Allmachtvorstellung mancher Menschen, die vor allem heute weit verbreitet ist. »Ich betrachte Untätigkeit als das wahre Glück, während die Welt sie als großes Unglück ansieht.«

Diese Philosophie widerspricht dem, was weiter unten über die Gestaltergrundhaltung aufgeführt wird. Die meisten Menschen des westlichen Kulturkreises, die in den zitierten Befragungen untersucht wurden, sind dann glücklich, wenn sie aktiv sein und etwas bewirken können.

Die Nikomachische Ethik von Aristoteles

Nach der »Nikomachischen Ethik« von Aristoteles gibt es sieben Bestimmungen des Glücks:

1.  Das Glück ist ein wählbares Gut.
Es geht dabei um die richtige Orientierung des individuellen Lebens. Wir können uns auf unser Wohlbefinden hin orientieren, wir können es im den Mittelpunkt unseres Lebens stellen und haben dabei eine Reihe von positiven »Nebeneffekten«.
Aristoteles kennt drei Lebensformen:

•  die der Lust zugeneigt,

•  die der gesellschaftlichen Arbeit gewidmete und

•  die theoretische.

Alle drei Lebensformen können zum Glück beitragen.

2.  Das Glück ist eine spezifische Tätigkeit.
Glück ist keine Haltung allein.
»Wichtig ist die Arbeit am Glück, die Einsicht, dass man für dieses Glück etwas tun muss, seelisch, alltäglich, ein Leben lang.«

3.  Das Glück ist ein Leben in der Verflochtenheit.
Glück kann es nur im Netz der sozialen Beziehungen, in der Familie, im Freundeskreis, in der Gesellschaft geben. Die Freundschaft besitzt dabei für Aristoteles eine herausgehobene Bedeutung. »Die Grundlage dafür, Freundschaft mit Anderen überhaupt schließen zu können, ist jedoch die Freundschaft mit sich selbst«.

4.  Das Glück besteht aus dreierlei Gütern:

•  seelischen Gütern (»Glück ist als ein Leben zu verstehen, das das Beste, Schönste und Lustvollste realisiert«.)

•  körperliche Güter (dazu gehört die seelisch-körperliche Gesundheit und Schönheit) und

•  äußerliche (materielle) Güter. (»Wie kann man durch edle Taten glänzen, wenn man über keine Hilfsmittel verfügt«) Dazu zählt Aristoteles auch »wohlgeratene Kinder«.

5.  Das Glück ist etwas, das man lernen kann.

6.  Das Glück ist ein »erfülltes Leben«.

Hierzu gehört sich auch das »Sinn erleben«.

7.  Das Glück ist etwas Göttliches.

Aristoteles war einer der ersten, die einen aufgearbeiteten Begriff des Glücks in einem Text vorgelegt haben, der uns überliefert ist, und der bis heute seine Gültigkeit besitzt. Aus ihm wird deutlich, dass es zwischen Philosophie und Psychologie fließende Übergänge gibt.

Epikur und seine Schüler

Epikur und seine Schüler, die Epikureer, waren überzeugt davon, dass das Streben nach Glück, verstanden als die Suche nach Genuss, das Ziel aller Menschen sei. »Jedes lebende Wesen strebt, sobald es geboren ist, nach Lust und freut sich daran als dem höchsten Gut, während es den Schmerz als das höchste Übel vermeidet.« Am Eingang zu seinem berühmten Garten, in dem man sich traf, um zu philosophieren, war zu lesen: »Freund, das ist ein guter Ort: Hier wird nichts mehr verehrt als das Glück.«

Der berühmteste Epikureer im Altertum war der römische Kaiser Marc Aurel, aber auch in der Neuzeit bekannten sich einige prominente Philosophen zu Epikur, wie Georg Büchner, Karl Marx, der eine Doktorarbeit über Epikur geschrieben hat, und Friedrich Nietzsche.

Häufig wurde den Epikureern vorgeworfen, dass sie genusssüchtige Egoisten sind. Sie unterscheiden jedoch zwischen kurzfristigen und langfristigen Egoisten. Nach ihrer Meinung sind nur die kurzsichtigen Egoisten zu verteufeln, die den Schmerz nicht beachten, den sie mit ihrem (kurzfristigen) Egoismus bei anderen und letztlich auch bei sich selbst auslösen.

Augustinus

Augustinus (zitiert nach Jaspers, 1957, S. 146) sieht im menschlichen Leben nichts, worin nicht Liebe ist, und damit, so möchte ich ergänzen, setzt er Liebe und das Streben nach Glück weitgehend gleich. Der Mensch ist in allem, was er ist, Wille (man würde heute wohl sagen: Motivation), und das Innerste des Willens ist die Liebe. Liebe ist Streben zu etwas, das man nicht hat. Wie das Gewicht die Körper bewegt, so die Liebe die Seelen. Sie ist nichts anderes als Willenskraft. Lieben ist Begierde, wo sie nach dem Besitz des Geliebten drängt, sie ist Freude, wo sie es besitzt; sie ist Furcht, wo sie den Besitz bedroht sieht; sie ist Trauer, wo sie den eingetroffenen Verlust empfindet. Die Liebe richtet sich allumgreifend auf Sachen und Personen, auf gedachte Dinge und leibhaftige Wirklichkeit, auf alles, was für uns darum besteht, weil es uns nicht gleichgültig ist.

Dieser sehr weit gefasste Begriff von Liebe durch Augustinus entspricht weitgehend dem, was die vielen Untersuchungen zum Thema Glück ergeben haben. Wir sind dann glücklich, wenn wir uns in voller Hingabe mit etwas beschäftigen, was außerhalb von uns liegt und wenn wir das mit Herz und Seele tun.

Die Kunst glücklich zu sein4

Eine Übersicht der wichtigsten Philosophen und Psychologen mit ihrer Auffassung von Glück im Vergleich mit den Ergebnissen der Psychologie.

Tab. 2.1: China, ca. 500 vor bzw. 600 n. Chr.

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Autor Bedingungen für das Glück Zitate Bestätigung durch die empirische Psychologie?

Tab. 2.2:  Athen und Rom, von 500 v. Chr. bis Christi Geburt

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Tab. 2.3:  Mittelalter

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Tab. 2.4:  Philosophie in Deutschland des 19. und 20. Jahrhundert, Psychoanalyse

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Tab. 2.5:  Esoterische Konzepte in der westlichen Welt, 1960er Jahre

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Tab. 2.6:  Psychologisch orientierte Selbsthilfebücher in der westlichen Welt, 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart

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4  Die Tabelle wurde entsprechend einer Aufstellung im Journal of Happiness Studies: Special issue on advice for a happy life, Bd. 9/3, 2008, entwickelt und wesentlich ergänzt.

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Möglichkeiten und Grenzen der psychologischen Glücksforschung

In den folgenden Abschnitten werden die Antworten der empirischen Psychologie auf die Frage, wie man Glück und Wohlbefinden erreichen kann, dargestellt. Man kann daraus Vorschläge ableiten, wie man sein persönliches Wohlbefinden steigern kann.

Ein erfolgreiches Leben

Ein Geschäftsmann kommt zum Zen-Meister. Er fragt nach dem Geheimnis eines erfolgreichen Lebens.

Da sagt der Meister: »Mache jeden Tag einen Menschen glücklich!«

Nach einer Weile: »Selbst wenn dieser Mensch du selbst bist.«

Wenig später: »Vor allem wenn dieser Mensch du selbst bist.«

3.1       Verschiedene Sichtweisen des Glücks

Es gehört schon eine Menge Mut dazu, schlicht und einfach zu erklären, dass der Zweck des Lebens ist, sich seiner zu erfreuen.

Lao-Tse

»Alle Menschen wollen glücklich sein« sagt schon Aristoteles. Andererseits stellt Watzlawick (1983) fest, dass man aus dem Verhalten der Menschen nur schließen kann, dass das ein Irrtum ist, denn sie tun doch alles, um unglücklich zu werden. Er hat daher eine »Anleitung zum Unglücklichsein« geschrieben – und ist damit offensichtlich auf großes Interesse gestoßen, denn dieses Buch war ein Bestseller.

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