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MARIE TOURELL SØDERBERG

in Zusammenarbeit mit Kathrine Højte Lynggaard

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DAS GROSSE GLÜCK LIEGT
IN DEN KLEINEN DINGEN

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen:

3. Auflage 2019

© 2017 by mvg Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Copyright der Originalausgabe: © Marie Tourell Søderberg, 2016

Die englische Originalausgabe erschien 2016 bei Penguin Books Ltd, London unter dem Titel Hygge. The Danish Art of Happiness.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Martin Bauer

ISBN Print 978-3-86882-820-7

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

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INHALT

Begrüßung

So spricht man Hygge

Woher kommt Hygge?

Beisammensein

Hygge bei Tisch

Wie man sich Hygge nach Hause holt

Mit Hygge durch das Jahr

Das Potenzial von Hygge

Hygge-Lexikon

Inspiration

Danksagung

Quellen

Bildnachweis

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Hyggelig, Sie zu treffen!

Und willkommen zu Hygge. Auch wenn Ihnen der Begriff neu sein sollte, kennen Sie das Konzept bestimmt aus Ihrem Leben. Kurz gesagt handelt es sich um das dänische Wort dafür, sich an den kleinen Dingen im Leben zu erfreuen.

Es heißt, Hygge sei eng mit dem dänischen Nationalcharakter verbunden. Doch sein Kern ist nicht dänisch, sondern universal. Hygge ist für alle – egal wo Sie sind und wer Sie sind.

Ich heiße Marie Tourell Søderberg, lebe in Kopenhagen und arbeite als Schauspielerin. Manchmal habe ich das Gefühl, zu sehr von meiner Arbeit vereinnahmt zu werden: erst die Theaterprobe, dann ein Casting für eine Fernsehserie, gefolgt von Synchronaufnahmen für einen neuen Disney-Film. Manchmal vergesse ich dabei, auch mal einen Gangrunterzuschalten und mir Zeit für mich zu nehmen.

Ich finde es ganz entscheidend, Hygge-Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen, Hygge-Momente mit mir selbst und ein hyggeliges Zuhause zu haben.

Hygge nimmt vielerlei Formen an und bedeutet für jeden Menschen etwas anderes. In diesem Buch lasse ich viele Dänen zu Wort kommen. Sie erklären, was Hygge für sie persönlich bedeutet. Lassen Sie sich doch davon inspirieren, wie auch Sie Ihr Leben hyggeliger machen können!

Viele Dänen empfinden Hygge als etwas Erstrebenswertes. Es ist wie ein Kompass, der uns den Weg zu kleinen Augenblicken des Glücks weist, die man für Geld nicht kaufen kann, und so den Zauber im Alltäglichen zu entdecken.

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Für mich bedeutet Hygge:

mit meiner Schwester im Park spazieren gehen und plaudern, rumblödeln und lachen, als wären wir wieder Kinder

in Gesellschaft meines Partners mit einer Tasse Tee in der Hand dem Regen lauschen, der aufs Dach prasselt

im Garten meiner Mutter Wein trinken

mit guten Freunden eine Tasse Kaffee trinken, spontan gemeinsam essen und bis spät in die Nacht hinein trinken und plaudern, weil einfach niemand will, dass der Abend endet

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SO SPRICHT MAN HYGGE

Ausländer finden oft, das Dänische sei schwer zu lernen. Die Grammatik ist kompliziert, die Aussprache noch schwieriger. Glücklicherweise müssen Sie nicht Dänisch lernen, um „Hygge zu sprechen“.

Mit meinem Freund rede ich Spanisch, aber wir verwenden immer den Begriff ‚hygge-out‘, wenn wir etwas Hyggeliges planen. Zum Beispiel ‚vamos a hygge-out‘. Ich finde das dänische Wort inzwischen unersetzlich. Was sollte man sonst verwenden? ‚Gemütlich‘ bringt die Bedeutung einfach nicht vollständig rüber. Das Konzept von Hygge gibt es in anderen Kulturen natürlich auch, aber wenn man ein eigenes Wort dafür hat, geht man bewusster damit um. Und plötzlich merkt man, wie viel Hyggeliges im Alltag steckt.

Júlia Reig aus Katalonien,
die mit ihrem Freund in Kopenhagen wohnt

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Nützliche Hygge-Ausdrücke

Zum Nomen „Hygge“ gibt es ein Verb („hyggeln“) und ein Adjektiv („hyggelig“): „Jetzt ist Zeit für Hygge!“, „Lass uns hyggeln!“, „Was für ein hyggeliges Zuhause!“

Hygger – Das Verb (hyggeln) wird verwendet, wenn man über eine hyggelige Unternehmung oder einen hyggeligen Augenblick redet. Beispiel: „Was macht ihr gerade?“ – „Wir hyggeln.“

Hyggeligere/hyggeligste – Steigerungsformen von hyggelig (hyggeliger, am hyggeligsten): „Das ist der hyggeligste Ort, den ich je gesehen habe.“

Hygge om – für jemand anderen Hygge schaffen, ihn sozusagen „umhyggeln“, etwa indem man ihm Tee oder Knabbereien serviert, ihn in eine weiche Decke hüllt oder mit ihm plaudert.

Hygge sig – einen hyggeligen Augenblick erleben.

Hygge sig med – sich mit etwas hyggeln oder einen hyggeligen Augenblick mit etwas verbringen. Wird gern in Verbindung mit Hobbys verwendet: „Er hyggelt sich beim Gitarrespielen.“ „Wir hyggeln mit diesem Heimwerkerprojekt.“

Kan du hygge dig/hyg dig – ein verbreiteter (salopper) Gruß beziehungsweise Abschiedsgruß (wörtlich „Kannst du dich hyggeln“/„Hyggle dich“).

Es gibt auch viele Zusammensetzungen mit Hygge, etwa Familien-Hygge, Hygge-Bier oder Hygge-Snack. Am Ende des Buchs finden Sie eine Aufstellung mit zahlreichen Hygge-Ausdrücken.

Hygge ist ein Daseinszustand, in dem man mit sich selbst, mit seinem Partner, dem Finanzamt und seinen inneren Organen im Reinen ist.

Tove Ditlevsen,
dänische Autorin und Dichterin (1917–1976)

Im Gespräch verwenden wir Dänen ständig den Ausdruck Hygge: Wir versichern uns, wie sehr wir uns darauf freuen, wieder gemeinsam zu hyggeln, wir weisen darauf hin, wie hyggelig eine Situation ist, wenn wir gerade hyggeln, und hinterher reden wir gern darüber, was für eine gute, hyggelige Zeit wir miteinander verbracht haben.

Die Wurzeln des Wortes reichen ins Altnordische zurück: „hyggja“ bedeutet, emotional und geistig zufrieden zu sein, einen Unterschlupf gefunden zu haben, wo man sich in Sicherheit ausruhen und Kraft und Mut tanken kann.

Die Wirkung der Wörter,
die wir verwenden

Einem neueren Zweig der Psychotherapie, der narrativen Therapie, zufolge konstruieren wir alle unsere Identitäten mittels der Geschichten, die wir über uns und übereinander erzählen. Deshalb prägen die Sprache und die Wörter, die uns zur Verfügung stehen, ganz erheblich, wer wir sind und wie wir uns wahrnehmen.

Die grönländischen Inuit kennen mehr als zwanzig Wörter für Schnee. Dieser Umstand ermöglicht es ihnen nicht nur, ihre Erfahrungen mit verschiedenen Schneearten mitzuteilen, er schärft auch ihre Wahrnehmung für die Feinheiten des Wetters und ihren Blick für den Reichtum und die Vielfalt der Natur.

Das Gleiche gilt für Hygge. Je präziser wir über Hygge und all ihre Nuancen und Formen reden können, desto schärfer nehmen wir Hygge auch wahr, desto leichter fällt uns, sie herzustellen und desto besser können wir uns darüber austauschen.

Das Wort ist nicht nur ein passiver Signifikant, sondern eine performative Aussage. Indem wir eine Erfahrung ‚hyggelig‘ nennen, verbinden wir – möglicherweise unbewusst – eine ganze Reihe von Werten mit dieser Erfahrung. Auf diese Weise verschafft sich Hygge Platz in unseren Geschichten und dem Narrativ darüber, wer wir sind und was wir schätzen.

Torkild Fogh Vindelev,
Psychologe

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WOHER KOMMT HYGGE?

Ein kurzer Blick in die Kultur und
Geschichte von Hygge

Die Länder dieser Erde definieren sich über unterschiedliche zentrale Werte. Amerikaner lieben ihre persönliche Freiheit, Franzosen schwelgen in ihrer „gloire“ (Ruhm, Ehre), Deutsche pochen auf Ordnung und Genauigkeit. In Dänemark zählt Hygge sicherlich zu den zentralen Werten.

Zu diesem Phänomen haben Professor Jeppe Trolle Linnet zufolge unter anderem das dänische Klima, die geringe Größe des Landes, ein gewisser Hang zur Nabelschau, der Wohlfahrtsstaat und eine weitgehend egalitäre Gesellschaft beigetragen.

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Viggo Johansen, Fröhliche Weihnacht, 1891

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Das nordische Klima weist große Kontraste auf zwischen Wärme und Kälte sowie Licht und Dunkelheit. Die Sommernächte scheinen endlos, aber im Winter schwindet das Licht, bis am Tiefpunkt nur noch sieben bis neun Stunden Tageslicht übrig bleiben. Die Wettervorhersage im Fernsehen lautet meistens: „grau und bedeckt“. Im Schnitt regnet es an 171 Tagen im Jahr, im Sommer erreichen die Durchschnittstemperaturen 17 Grad, im Winter liegen sie gerade so über dem Gefrierpunkt.

Aufgrund des etwas deprimierenden Klimas sehnen wir Dänen uns nach Wärme und Geborgenheit, die wir meistens zu Hause finden, wo wir es uns, unserer Familie und unseren Freunden gemütlich einrichten. Der Hygge-Professor Jeppe Trolle Linnet erklärt:

Das ungemütliche Klima hat sicher auch dazu beigetragen, dass nordische Kulturen das Zuhause als ‚sicheren Hafen‘ romantisiert haben, in dem Familien sich treffen und neue Kraft schöpfen, um sich der Welt da draußen wieder stellen zu können. Das Zuhause ist der physische Teil von Hygge, die Familie der soziale Teil: ein Vorstadium von Hygge. Wenn wir außerhalb unseres Heims Hygge suchen, dann meistens an Orten, die an ein Zuhause erinnern: von fremden Blicken abgeschirmt, umschlossen, mit gedämpfter Beleuchtung und gemütlicher Möblierung.

Hygge ist auch eine Reaktion auf die geschwundene Größe Dänemarks. Früher einmal gehörten Teile von Schweden, Deutschland und Norwegen – und vorübergehend sogar Teile Großbritanniens – zu Dänemark, doch mit der Zeit ging fast alles verloren, Stück für Stück. Als Norwegen 1814 seine Unabhängigkeit erklärte, verloren wir die sagenhaften Berge, Dänemark wurde flach wie ein Pfannkuchen. 1864 stürzte sich eine naive, größenwahnsinnige dänische Regierung in einen Konflikt mit dem militaristischen Preußen Otto von Bismarck. Dabei verloren wir ein Drittel unserer Bevölkerung und den Großteil unseres Nationalstolzes.

Was konnten wir danach noch groß tun? Die einzige Lösung schien, das Beste aus dem kleinen, flachen Land zu machen, das noch übrig blieb. Unser nationales Motto wurde: „Was im Äußeren verloren wurde, soll im Inneren gewonnen werden.“ Dieses Zitat des dänischen Dichters H. P. Holst besagt: Bestellen wir unser Land und suchen wir nach innerer Erleuchtung.

Wir haben einen starken Gemeinsinn geschaffen, indem wir Organisationen und Vereine für Menschen mit gemeinsamen Interessen oder Zielen bildeten. Wir gründeten auch eine neue Art von Schule, die der großen Masse Bildung nahebringen sollte. Diese Schulen sind als dänische Volkshochschulen bekannt.

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Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstand in Dänemark daraus das Wertesystem, auf dem der moderne Wohlfahrtsstaat beruht:

Bei der Vermögensverteilung haben wir viel erreicht, wenn nur wenige zu viel haben und noch weniger zu wenig.

N. F. S. Grundtvig (1783–1872),
Pfarrer, Dichter, Philosoph, Historiker, Lehrer und Politiker

Dieses Zitat galt mehr als hundert Jahre lang als Credo der dänischen Sozialpolitik. Dänemark ist berühmt für seine sozialen Sicherungssysteme und gilt als eines der egalitärsten Länder weltweit. Die Umverteilung von Wohlstand schmälert die Kluft zwischen Arm und Reich. Ausbildung und Krankenversicherung sind kostenlos, und wenn man seine Arbeit verliert, hilft der Staat: All das vermittelt den Dänen das Gefühl wirtschaftlicher Sicherheit. Wenn die Grundbedürfnisse erfüllt sind, kann man sich besser auf die sozialen, kreativen und persönlichen Elemente im Leben konzentrieren – Hygge hat es dann leichter.

Die Sozialpolitik und eine auf das subjektive Glück des Einzelnen ausgerichtete Moral geben den Menschen die Möglichkeit, den Raum und die Freiheit, Hygge-Pausen einzulegen und ein wenig runterzukommen. Man muss sich nicht immer nur abrackern.

Jeppe Trolle Linnet,
Hygge-Professor

Hygge ist von ihrer Natur her friedlich, zutiefst persönlich, nach innen gerichtet und egalitär. Damit passt sie bestens zu dem Selbstbild, das wir von uns als Nation haben: Dänemark ist ein kleines, friedliebendes Land, das niemandem wehtut und in dem alle gleich sind. Jeppe Trolle Linnet schreibt dazu:

Hygge ist universell und für jedermann zugänglich. Hygge gehört wesentlich zur Natur des Menschen und ist nicht ausschließlich etwas für Dänen. Doch einige Elemente von Hygge passen hervorragend zum nordischen Wohlfahrtsstaat und zum dänischen Selbstbild als kleines Land.

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Am Set eines Films zeigt sich unser nationales Erbe ganz deutlich, vor allem unsere Kultur der Gleichheit. Die empfinde ich als etwas sehr Dänisches. Wir verstecken uns nicht in unseren Wohnwägen oder stolzieren herum und halten uns für etwas Besonderes, nur weil wir Schauspieler sind. Wir sind es gewohnt, uns als Teil eines Teams zu sehen, und plaudern am Set mit jedem. Geselligkeit ist uns allen enorm wichtig, viel wichtiger, als die meisten Menschen es sich bewusst machen.

Lars Mikkelsen, bekannt aus den Fernsehserien
House of Cards und The Killing,
in einem Interview mit der Zeitschrift Ud og Se

BEISAMMENSEIN

Viele Experten, die sich eingehend damit beschäftigt haben, warum Dänemark zu den glücklichsten Ländern der Welt gehört, nennen Hygge als wichtigen Faktor.

Folgendes macht mich persönlich glücklich:

mit meinem Freund, meiner Familie oder guten Freunden zusammen sein

an fesselnden und inspirierenden Projekten arbeiten

in netter Gesellschaft köstliches Essen zu mir nehmen

ein gutes Buch lesen oder ein kleines Handarbeitsprojekt verfolgen

Tanzstunden nehmen

meditieren

lachen

gemeinsam mit geliebten Menschen reisen