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Brennpunkt Politik

 

Herausgegeben von Gisela Riescher, Hans-Georg Wehling, Martin Große Hüttmann und Reinhold Weber

 

 

 

 

 

Die Herausgeber:

Professorin Dr. Gisela Riescher lehrt Politische Ideengeschichte an der Universität Freiburg, Professor Dr. Hans-Georg Wehling lehrt Politische Wissenschaft an der Universität Tübingen, Dr. Martin Große Hüttmann lehrt als Akademischer Oberrat Europapolitik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen und Professor Dr. Reinhold Weber ist Honorarprofessor am Institut für Zeitgeschichte der Universität Tübingen und Publikationsreferent bei der Landeszentrale Baden-Württemberg.

Wolfram Hilz

Deutsche Außenpolitik

Verlag W. Kohlhammer

 

 

 

 

 

1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN: 978-3-17-028925-3

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-028926-0

epub:    ISBN 978-3-17-028927-7

mobi:    ISBN 978-3-17-028928-4

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Inhaltsverzeichnis

  1. Inhaltsverzeichnis
  2. Einleitung
  3. 1 Außenpolitische Strukturen, Akteure und Prozesse in Deutschland
  4. 2 Entwicklungslinien bundesdeutscher Außenpolitik 1949–1990
  5. 2.1 Verankerung im Westen unter Konrad Adenauer
  6. 2.2 Stagnation der Außenpolitik unter Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger
  7. 2.3 Neue außenpolitische Akzente unter Willy Brandt
  8. 2.4 Krisenbewältigung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt
  9. 2.5 Sicherheits- und europapolitische Festigung unter Bundeskanzler Helmut Kohl
  10. 2.6 Außenpolitik im deutschen Einigungsprozess
  11. 3 Außenpolitik des vereinten Deutschlands seit 1990
  12. 3.1 Europäische Integrationspolitik
  13. 3.2 Sicherheitspolitische Neuorientierung nach 1990
  14. 3.3 Multilaterales und ökonomisches Engagement
  15. 4 Bilanz und Perspektiven deutscher Außenpolitik
  16. Abkürzungsverzeichnis
  17. Literaturhinweise

 

Einleitung

 

Das Jahr 2015 war für die deutsche Außenpolitik und die Wahrnehmung Deutschlands in Europa und der Welt zweifelsohne ein besonders wichtiges. Die deutschen Initiativen zur kooperativen Beilegung von drei höchst unterschiedlichen Krisen, mit dem Minsk-II-Abkommen für die Ukraine im Februar, der Abwendung eines drohenden griechischen Staatsbankrotts innerhalb der Eurozone im Juli sowie der Auflösung der migrationspolitischen Blockade auf der Westbalkanroute durch das deutsche Aufnahmeangebot im September, sind Belege für die Bedeutung des Landes in der Mitte Europas.

25 Jahre nach der Erlangung der staatlichen Einheit in einem friedlichen Verhandlungsprozess handelt die Bundesrepublik Deutschland weiterhin ausgehend von internationalen, überwiegend westlich geprägten Strukturen, die sie größtenteils aktiv mitgeschaffen hat. Trotzdem wurden nicht erst im Jahr 2015 Stimmen unter deutschen Partnern laut, die entweder vor einer zu starken Stellung, ja sogar Dominanz der Bundesrepublik in Europa warnten, oder genau entgegengesetzt eine stärkere deutsche Rolle in einer an Orientierung schwachen Europäischen Union forderten. Die gegensätzlichen Warnungen und Forderungen gegenüber Deutschland machen zumindest eines klar: Deutschlands Außenpolitik ist wichtig in Europa – und darüber hinaus. Zugleich wird das Handeln Deutschlands von vielen Staaten sehr genau verfolgt, da es ganz offensichtlich als relevant für viele Länder eingestuft wird.

Umgekehrt sind im 21. Jahrhundert für einen international politisch und insbesondere ökonomisch in hohem Maße verflochtenen Staat wie die Bundesrepublik kaum relevante Entwicklungen auf der Welt vorstellbar, die nicht in der eigenen Außenpolitik berücksichtigt werden müssen. Die Globalisierung mit ihren Hauptcharakteristika der erleichterten Mobilität, Kommunikation und der fast schon unbeschränkten Wirtschaftsaktivitäten ist somit eine wesentliche Herausforderung für die Außenpolitik Deutschlands. Den damit verbundenen Chancen und Gefahren muss sich das größte Land in Westeuropa stellen. Zugleich muss die Regierung mit ihrer Außenpolitik einen Beitrag dazu leisten, damit für die Menschen in Deutschland die Rahmenbedingungen gesichert sind, um ein Leben in Frieden und Freiheit führen zu können.

Inwiefern die deutsche Außenpolitik dieser doppelten Anforderung von außen und innen bisher gerecht geworden ist, lässt sich 25 Jahre nach der epochalen Wende in Europa, die den Deutschen die Chance zur friedlichen Einheit eröffnet hat, bereits gut bewerten. Dabei spielt auch eine Rolle, inwiefern bewährte außenpolitische Orientierungen der Bundesrepublik, die sich zur Zeit der Ost-West-Teilung Deutschlands zwischen 1949 und 1990 herausgebildet haben, weiter wirksam waren bzw. durch neue verdrängt worden sind. Hierzu soll im vorliegenden Band die Außenpolitik der Bundesrepublik seit der Staatsgründung nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Ende der deutschen Teilung 1990 sowie deren Weiterentwicklung zu Beginn des 21. Jahrhunderts betrachtet werden.

Gliederung

Diejenigen, die sich zum ersten Mal vertiefter mit deutscher Außenpolitik beschäftigen, bekommen in einem ersten Teil einen Überblick, welche Akteure in welchen Strukturen in unserem Land bei der Formulierung und Umsetzung der Außenpolitik mitwirken. Dabei sind rechtliche und politische Rahmenbedingungen wichtig, innerhalb derer deutsche Außenpolitik handeln kann.

Auf dieser Grundlage geht es anschließend darum, zu verstehen, welche Organisationen mit welchen Partnern ab der Mitte des 20. Jahrhunderts geschaffen wurden, die für die deutschen Regierungen den Handlungsrahmen für die eigene Außenpolitik bis heute bilden. Zunächst wird beleuchtet, wie die Außenpolitik der Bundesrepublik sich nach dem Zweiten Weltkrieg, unter den Rahmenbedingungen der deutschen Teilung und des Ost-West-Konflikts, entwickelt und an welchen Leitlinien sich diese bis zur historischen Wende 1989/90 orientiert hat. Obwohl es beim hier vorgelegten Einstieg in die deutsche Außenpolitik nicht darum gehen kann, die komplexen Zusammenhänge des Aufstiegs der Bundesrepublik vom außenpolitisch unmündigen Objekt im spannungsgeladenen „Kalten Krieg“ hin zum international geachteten Partner vollständig nachzuzeichnen, so sollen doch die zentralen Faktoren hierfür herausgearbeitet werden. So wie sich die bis heute besonderen Beziehungen zu Frankreich und den USA entscheidend in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt haben, so wurde Deutschlands Außenpolitik in Europa wesentlich durch die deutsche Rolle in den Vorgängerorganisationen der heutigen EU und seine Sicherheitspolitik durch die NATO geprägt.

Für die Außenpolitik des vereinten Deutschland seit 1990 ist zum einen wichtig, inwiefern diese Prägungen der ersten vier Jahrzehnte westdeutscher Außenpolitik nachwirken; zum anderen richtet sich der Blick auf die Veränderungen in der grundlegenden Orientierung sowie den außenpolitischen Schwerpunktbereichen in der Praxis. Die wichtigsten Handlungsfelder, die Aufschluss über Kontinuität und Wandel in der deutschen Außenpolitik geben, sind die Europapolitik sowie die Sicherheitspolitik. Vor dem Hintergrund dieser beiden Schwerpunktbereiche wird anschließend das deutsche Engagement im Rahmen weiterer internationaler Organisationen (u. a. UNO, WTO, G7) und in wichtigen außenpolitischen Themenfeldern betrachtet, mit dem die Bundesrepublik seiner gewachsenen Bedeutung bei der Bewältigung globaler Herausforderungen gerecht zu werden sucht. Entwicklungs- und Klimaschutzpolitik spielen dabei eine ebenso große Rolle wie die vielfältigen ökonomischen Aktivitäten der Bundesrepublik.

Abschließend erfolgt eine Einordnung der deutschen Außenpolitik zu Beginn des 21. Jahrhunderts, bei der auch gängige Rollenzuschreibungen nochmals kritisch beleuchtet werden (z. B. Zivilmacht, Handelsmacht, Zentralmacht Europas), mit denen versucht wird, das prägende Charakteristikum für das Handeln Deutschlands auf einen Nenner zu bringen. Im Ausblick auf die Entwicklungsmöglichkeiten bundesdeutscher Außenpolitik gilt es schließlich, den kontinuierlich bestehenden Anpassungsbedarf für den größten Staat in Westeuropa zu benennen, der seine außenpolitische Verantwortung auch weiterhin wahrnehmen muss.

 

1          Außenpolitische Strukturen, Akteure und Prozesse in Deutschland

Allgemeines zur Außenpolitik-Forschung

Wie in allen anderen Politikbereichen stellt sich auch bei der Außenpolitik die Frage, welche Faktoren die Inhalte bzw. die Verantwortlichen bei ihren Entscheidungen beeinflussen. Stärker als bei innenpolitischen Themen spielen bei der Außenpolitik naturgemäß äußere Einflüsse eine Rolle, seien es die Politik anderer Staaten oder Probleme auf der internationalen Ebene. Die nationale Außenpolitik wird zugleich davon maßgeblich beeinflusst, welche Größe, welche geographischen Gegebenheiten, welche Nachbarn und welche ökonomischen Potenziale ein Staat hat.

Neben der Suche nach Einflussfaktoren auf die Außenpolitik eines bestimmten Staates ist es zudem interessant, welche verallgemeinerbaren Aussagen (Theorien) es zu den Ursachen und Antriebskräften für das Verhalten von Staaten auf der internationalen Ebene gibt. Außenpolitik ist dabei nur diejenige Politik eines Staates, die die hierzu von ihm bevollmächtigten Vertreter nach außen betreiben; in der Regel sind dies Angehörige der Regierung. Mit Theorien zur Außenpolitik versuchen Wissenschaftler, allgemeingültige Erklärungen zum Verhalten von Staaten zu liefern, um zum einen grundlegende Zusammenhänge hervorzuheben, ohne in jedem Einzelfall alle Details von außenpolitischen Entscheidungen herausarbeiten zu müssen. Zum anderen geht es häufig auch darum, das mögliche außenpolitische Verhalten anderer Staaten prognostizieren zu können, um die eigene Außenpolitik darauf abzustimmen. Theoretische Aussagen zur Außenpolitik von Staaten hängen sehr eng mit den Versuchen zur Erklärung von „Gesetzmäßigkeiten“ in den internationalen Beziehungen als Rahmen für nationale Außenpolitiken zusammen. Beides ist nicht voneinander zu trennen, da nationale Außenpolitik dort wirkt, wo auch andere nationale Akteure oder internationale Organisationen das Gesamtsystem der internationalen Beziehungen bilden. Ob für das außenpolitische Handeln eines Staates eher die äußeren Rahmenbedingungen (Strukturen) einflussreich sind, oder die innenpolitischen Aushandlungsprozesse eine größere Rolle spielen, ist unter Wissenschaftlern umstritten („Strukturalisten“ vs. „Liberalisten“).

Für die weitere Betrachtung deutscher Außenpolitik soll dieser Grundsatzstreit nicht weiter im Detail betrachtet werden. Es reicht an dieser Stelle, sich vor Augen zu halten, dass sowohl äußere Einflüsse als auch innenpolitische Aspekte für außenpolitische Orientierungen und Einzelentscheidungen relevant sind. Dies gilt umso mehr für einen Staat wie die Bundesrepublik mit einer offenen Gesellschaft, in der die Möglichkeiten zur eigenständigen Informationsbeschaffung vom Staat unabhängig sind und auch die Debatten über außenpolitisch relevante Fragen ohne vorgegebene Begrenzungen erfolgen können.

Zwar mündet auch der außenpolitische Diskussionsprozess in einer parlamentarischen Demokratie wie der Bundesrepublik regelmäßig in Debatten des Bundestages, anders als in anderen Politikfeldern steht jedoch am Ende nur selten ein formeller Gesetzgebungsakt als Basis des außenpolitischen Handelns der Regierung. Der Prozess der Konzeptionierung und inhaltlichen Festlegung außenpolitischer Positionen bleibt deshalb auch ein erhebliches Stück intransparenter als in anderen Politikfeldern. Ein weiteres Charakteristikum, in dem dieser Sonderfall zum Ausdruck kommt, ist der Umgang mit Dokumenten: Vielfach bleiben außenpolitische Konzeptionen sowie Beratungs- und Entscheidungsgrundlagen jahrzehntelang unter Verschluss. Damit bleibt ein Element der früheren „Geheimdiplomatie“ oder gar „Kabinettspolitik“ erhalten. Der vollständige Einblick in Entscheidungsgrundlagen, Motive und Einflüsse bleibt uns somit verwehrt, wenn wir außenpolitische Prozesse nachvollziehen wollen. Diese Informationslücken lassen sich für die Bundesrepublik, wie für alle westlichen Demokratien, folglich nur durch die Analyse der tatsächlichen Entscheidungen schließen. Während also die Einflussfaktoren auf die nationale Außenpolitik durchaus ersichtlich sind, bleibt der eigentliche Entscheidungsprozess notwendigerweise intransparent. Außenpolitik als rhetorische Positionierung oder gar praktisches Handeln ist somit zu einem erheblichen Teil interpretationsbedürftig. Für die hier analysierte deutsche Außenpolitik bis zur Gegenwart bleibt somit der Vorbehalt bestehen, dass lediglich die aktuell zugänglichen Informationen zu inhaltlichen Entscheidungen einbezogen werden können. Wer in der Bundesrepublik an diesen Diskussionsprozessen mitwirkt und welcher rechtliche Rahmen hierfür existiert, soll nun zunächst geklärt werden.

Rechtlicher Rahmen des außenpolitischen Handelns in Deutschland

Die außenpolitischen Grundorientierungen der Bundesrepublik waren bei Gründung des westdeutschem Teilstaates im Jahr 1949 unmittelbar von den katastrophalen Folgen der nationalistischen und aggressiven Außenpolitik des „Dritten Reiches“ unter Adolf Hitler geprägt, die zu den Verbrechen während des Zweiten Weltkriegs und zur planmäßigen Vernichtung der europäischen Juden und anderer Minderheiten geführt hatten.

In der Präambel des Grundgesetzes vom 23. Mai 1949 wurden in Abgrenzung zu einer erneuten, national unabhängigen Außenpolitik die Ziele aufgenommen, „als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“ sowie „in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden“. Damit war die Orientierung an einer friedlichen europäischen Entwicklung vorgezeichnet, die zugleich einen Beitrag zu einer weltweiten Friedensordnung liefern sollte. Die Überwindung der deutschen Teilung, die als Folge des Zweiten Weltkriegs auch völkerrechtlich an eine Einigung mit den vier Siegermächten (USA, Sowjetunion, Großbritannien, Frankreich) gekoppelt war, durfte dementsprechend nur auf friedlichem Weg angestrebt werden. Dieses zentrale Ziel der Bundesrepublik wurde mit der deutschen Einheit am 3. Oktober 1990 erreicht.

Als verbindlichen Handlungsrahmen aller staatlichen Aktivitäten, und damit auch der Außenpolitik, betont das Grundgesetz „die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes“ (Art. 25, Absatz 1 GG). Damit ist das auswärtige Handeln der Bundesrepublik, das das Grundgesetz ausdrücklich dem Bund überträgt (Art. 32, Absatz 1 GG) und ihm die ausschließliche Gesetzgebungszuständigkeit für die „auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung“ (Art. 73, Absatz 1 GG) zuordnet, normativ klar gebunden.

Während die Mitwirkungsrechte in internationalen Organisationen bereits aus dem Völkerrecht hervorgehen, wurde in Artikel 24, Absatz I GG die darüber hinausgehende Möglichkeit eingeräumt, „durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen [zu] übertragen.“ Dies ist der Ankerpunkt für die späteren europäischen Integrationsanstrengungen, bei denen staatliche Zuständigkeiten auf eigens dafür geschaffene, europäische Institutionen übertragen wurden.

In Artikel 24, Absatz 2 GG wird dem Bund das Recht eingeräumt, „sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ einzuordnen, wodurch sowohl die Mitgliedschaft in der UNO als weltweitem Sicherheitssystem als auch der NATO als kollektivem Verteidigungsbündnis ermöglicht wurde. Der Bund kann dazu „in die Beschränkung seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern“.

Friedenswahrung und -förderung als wichtige Leitlinie bundesdeutscher Außenpolitik wird zudem dadurch besonders betont, dass laut Artikel 26, Absatz I GG

„Handlungen, die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten, […] verfassungswidrig“

sind. Hierdurch wird der Appell zur Friedenswahrung und aktiven Mitwirkung an einer friedlichen Entwicklung in Europa und der Welt auch verfassungsrechtlich bindend.

Das 1955 im Zuge des NATO-Beitritts ins Grundgesetz (Art. 87a, Absatz 1 GG) aufgenommene Recht, „Streitkräfte zur Verteidigung“ aufzustellen, begrenzt die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Sinne des Artikel 26, Absatz 1 GG zusätzlich. Inwieweit damit eine dauerhafte Beschränkung des Einsatzes der Bundeswehr auf Landesverteidigung oder Bündnisverteidigung im Sinne des Artikel 24, Absatz 2 GG verbunden war, blieb bis zum Ende der deutschen Teilung weitgehend unstrittig. Erst durch die sich verändernden internationalen Rahmenbedingungen nach Ende des „Kalten Krieges“ 1989/90 und die gestiegenen Ansprüche an Maßnahmen der Friedenssicherung im Rahmen von UNO, NATO und später EU geriet die Interpretation von „Verteidigung“ zunehmend zum innenpolitischen Streitfall.

Welche Befugnisse die Bundeswehr im Inneren im Verteidigungsfall (Art. 87a, Absatz 2 GG), bei einem Inneren Notstand (Art. 87a, Absatz 3 GG) oder bei der Katastrophenhilfe (Art. 35 GG) bekommen kann, sind für die außenpolitischen Handlungsoptionen nicht unmittelbar von Belang.

Die indirekte Beteiligung an Kriegen bzw. militärischen Konflikten mittels Waffenlieferungen wird durch Artikel 26, Absatz 2 GG beschränkt und gesetzlich der Regierung überantwortet, da Herstellung, Beförderung und Inverkehrbringen von Kriegswaffen an die Genehmigung durch die Bundesregierung gebunden sind.

Mit Ausnahme des Wiedervereinigungsgebotes der Präambel, das seit Erlangung der deutschen Einheit 1990 nicht mehr im Grundgesetz enthalten ist, stellen alle anderen verfassungsrechtlichen Regelungen und Selbstverpflichtungen weiterhin den Rahmen für das auswärtige Handeln der Bundesrepublik dar. Die Mitwirkung in europäischen und anderen internationalen Organisationen wird durch die genannten Verfassungspassagen als erstrebenswert angeregt. Damit wird die multilaterale Einbindung zu einem bevorzugten außenpolitischen Ziel mit Verfassungsrang, das zugleich als friedensförderndes Verhalten positiv eingeordnet wird. Die Einbettung in einem „vereinten Europa“ stellt hierbei weiterhin ein besonders wichtiges Ziel des staatlichen Handelns dar. Nach der Vollendung der deutschen Einheit 1990 wurden die spezifischen Regelungen zur Förderung dieses Zieles im neuen Artikel 23 GG zusammengefasst und mit der „Entwicklung der Europäischen Union“ begrifflich konkretisiert.

Diese verfassungsrechtlichen Handlungspräferenzen und anspruchsvollen normativen Postulate haben die bundesdeutsche Außenpolitik seit 1949 maßgeblich beeinflusst, da Kooperation und sogar Integration als wünschenswerte Verhaltensmuster betont und damit den klassischen außenpolitischen Aktivitäten in Form von rein bilateralen Beziehungen übergeordnet wurden. Die ausdrückliche Selbstbindung an das Völkerrecht, das als „Bestandteil des Bundesrechts“ bezeichnet Vorrang vor normalen Gesetzen hat, erzeugt einen Rechtfertigungszwang für die Regierungsverantwortlichen. Konsequenterweise bindet sich der Bund „zur Regelung zwischenstaatlicher Streitigkeiten“ zudem an eine „internationale Schiedsgerichtsbarkeit“ (Art. 24, Absatz 3 GG).

In Verbindung mit den „unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt“, zu denen sich die Bundesrepublik in Artikel 1, Abs. 2 GG bekennt, entsteht eine normbasierte Werteorientierung, die für die gesamte Außenpolitik als Orientierungs- und Bewertungsmaßstab dient. Die ausdrückliche Völker- und Menschenrechtsorientierung schränkt folglich den außenpolitischen Handlungsspielraum der Bundesrepublik stärker ein, als dies für andere Staaten der Fall ist.

Vor diesem rechtlich und normativ bereits stark aufgeladenen Rahmen gilt es nun die Kompetenzen einzelner Akteure in der Formulierung und Ausführung der deutschen Außenpolitik zu betrachten.

Außenpolitische Akteure und ihr Zusammenspiel in Deutschland

Nachdem im föderativen System der Bundesrepublik die „Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten“ (Art. 32, Absatz 1 GG) als Zuständigkeit der Bundesebene festgeschrieben ist, sind insbesondere die Bundesregierung, der Bundestag und der Bundespräsident an der Außenpolitik beteiligt.

Bundespräsident

Der Bundespräsident hat formell die Aufgabe, „den Bund völkerrechtlich“ zu vertreten und „im Namen des Bundes die Verträge mit auswärtigen Staaten“ zu schließen (Art. 59, Absatz 1 GG). In dieser Funktion tritt er als oberster Repräsentant des Staates auf, ohne jedoch inhaltliche Gestaltungszuständigkeiten zu haben. Bei Auslandsreisen oder außenpolitischen Reden hat er keine eigenständigen inhaltlichen Kompetenzen, sondern er vertritt die von der Regierung bestimmte Außenpolitik. Gleiches gilt für seine Zuständigkeit bei der Unterzeichnung völkerrechtlicher Verträge oder Gesetze mit außenpolitischem Inhalt. Hierbei steht dem Bundespräsidenten kein inhaltliches Prüfungsrecht zu; lediglich bei Zweifeln an der Verfassungskonformität kann er das Bundesverfassungsgericht anrufen.

Bundesregierung

Die zentrale Stellung bei der Gestaltung der Außenpolitik hat die Bundesregierung inne. Hierbei konkurriert der Bundeskanzler, der – wie in allen Politikbereichen – die Richtlinien der Politik bestimmt (Art. 65 GG), insbesondere mit dem Außenminister, der wie „jeder Bundesminister seinen Geschäftsbereich selbständig und unter eigener Verantwortung“ leitet (Art. 65 GG).

Da dem Auswärtigen Amt (AA) die Aufgabe der Organisation der Beziehungen zu auswärtigen Staaten und internationalen Organisationen über diplomatische Vertretungen sowie die Beteiligung an Verhandlungen auf internationaler Ebene zukommt, hat es organisatorisch und personell eine zentrale Stellung in der deutschen Außenpolitik. Mit ihren Mitarbeitern im Ausland (Diplomaten) sowie den auf Länder, Regionen und das große Spektrum an Themenfeldern der Außenpolitik spezialisierten Mitarbeitern im Ministerium selbst berät und unterstützt das Auswärtige Amt sowohl den Außenminister als auch die gesamte Bundesregierung in allen außenpolitisch relevanten Fragen. Internationale Lagebeobachtung, Krisenfrüherkennung, Krisenreaktion, Koordination der Politik gegenüber wichtigen Partnern spielen im Aufgabenbereich des Auswärtigen Amtes eine ebenso große Rolle, wie die Konsularaufgaben für deutsche Staatsbürger im Ausland oder die Vorbereitung und Aushandlung von internationalen Verträgen. Ein spezielles Feld der Außenvertretung Deutschlands ist die auswärtige Kulturpolitik, die die Regierung zwar durch Finanzinstrumente fördert, jedoch überwiegend durch dafür spezialisierte Organisationen umsetzen lässt (z. B. den DAAD, die Goethe-Institute oder die Alexander-von-Humboldt-Stiftung).

Der Außenminister ist durch den ständigen Austausch mit seinen Kollegen in anderen Ländern normalerweise am intensivsten mit der Vertretung der Regierung nach außen beschäftigt. Als „Chefdiplomat“ eines großen und wirtschaftsstarken Landes wie der Bundesrepublik kommt ihm auf internationaler Bühne traditionell eine wichtige Rolle zu, die ihn in eine Reihe mit den Außenministern der wichtigsten Staaten der Welt stellt.

Die in der außenpolitischen Praxis auftretende Konkurrenz zwischen Außenminister und Bundeskanzler ist zum einen auf den Gestaltungsanspruch des Bundeskanzlers in auswärtigen Angelegenheiten in den Anfangsjahren der Bundesrepublik unter Konrad Adenauer zurückzuführen (1949–1963). Zum anderen wollten alle Bundeskanzler, die seit der ersten Großen Koalition 1966 immer Außenminister des kleineren Koalitionspartners an ihrer Seite hatten, die Außenpolitik als „Bühne“ zur eigenen Profilierung auch unter innenpolitischen Gesichtspunkten nutzen. Hinzu kommt die Tendenz vieler Bundeskanzler, entscheidende Verhandlungen mit wichtigen Partnern über Schlüsselthemen selbst zu führen und dabei den Außenminister in den Hintergrund zu drängen. Die Art der Krisenbewältigung auf internationaler Ebene durch Staats- und Regierungschefs („Gipfeldiplomatie“) verstärkte die Dauerpräsenz deutscher Bundeskanzler(-innen) auf der diplomatischen Bühne, die traditionell den Außenministern vorbehalten war.

Bundeskanzler

Als Folge dieser dominanten Rolle deutscher Bundeskanzler bei internationalen Verhandlungen hat sich im Bundeskanzleramt eine eigene Struktur mit außenpolitischer Expertise verfestigt, die jeder deutsche Regierungschef intensiv für seine Bedürfnisse genutzt hat. Dadurch entstanden nicht nur eine weitere Beratungs- und Politikformulierungskompetenz für die Außenpolitik der Bundesrepublik, sondern oftmals Rivalitäten zwischen dem an sich zuständigen Auswärtigen Amt mit seinen Experten und den schnell handlungsfähigen Beratern der Bundeskanzler im Kanzleramt. Für die wichtigsten außenpolitischen Themenfelder sind im Bundeskanzleramt Abteilungen eingerichtet (Außen-, Sicherheits-, Europa- und Entwicklungspolitik), die im Kleinen die entsprechenden Arbeitseinheiten des Auswärtigen Amts oder der anderen Ministerien „spiegeln“. Die Leiter dieser Abteilungen im Bundeskanzleramt sind normalerweise die engsten thematischen Berater des Regierungschefs in allen außenpolitischen Fragen. Daneben ist dort auch der Koordinator für die Geheimdienste tätig.

Andere Regierungsakteure

Wegen der klarer definierten Arbeitsbereiche befinden sich das Verteidigungsministerium (BMVg) und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) innerhalb der Regierung mit dem Bundeskanzleramt nicht in einer ähnlichen Konkurrenzsituation. Im normalen Tagesgeschäft führen die jeweiligen Minister entsprechend der vereinbarten Regierungslinie ihre Ressorts eigenständig und vertreten die Position für die Bundesrepublik alleine nach außen. Weder Bundeskanzler noch Außenminister schränken diese Zuständigkeit in der Praxis stark ein. Das Gewicht beider Ressorts für die deutsche Außenpolitik ist gleichwohl sehr unterschiedlich: Während die Bedeutung des Entwicklungsministeriums für die deutsche Außenpolitik, je nach weltpolitischer „Großwetterlage“ und entwicklungspolitischer Ambition der jeweiligen Bundesregierung, starken Schwankungen unterworfen ist, stellt das Verteidigungsministerium seit seinem Aufbau in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre ein Schlüsselressort der Bundesregierung dar. Durch die besondere geopolitische Situation des geteilten Deutschlands, den erheblichen Umstrukturierungsbedarf der Streitkräfte nach der deutschen Einheit sowie den sich rasch ändernden Anforderungen an deutsche militärische Beiträge im Zuge internationaler Krisen seit 1990 hatten alle Verteidigungsminister eine besondere Verantwortung für die internationale Rolle der Bundesrepublik. Während dem Verteidigungsminister zu Friedenszeiten die 1956 geschaffene Bundeswehr mit allen Standorten und dem umfangreichen Zivilpersonal untersteht, geht im Verteidigungsfall, den der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates feststellen muss (Art. 115a GG), „die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte auf den Bundeskanzler über“ (Art. 115b GG). Nur in diesem Ausnahmefall, der hinsichtlich seiner Konsequenzen für den Staat im Grundgesetz detailliert geregelt ist (Art. 115a–l GG), tritt an die Stelle des Verteidigungsministers der Regierungschef.

Während die Außenpolitik der Bundesrepublik aufgrund der intensiven ökonomischen Verflechtung Deutschlands weltweit fast immer auch wirtschaftliche Folgen für das eigene Land hat, trägt die Wirtschaftspolitik der Regierung umgekehrt auch zur eignen Außenpolitik bei. Die Rolle des Wirtschaftsministers als Gestalter der in den Außenbeziehungen wirksamen nationalen Wirtschaftspolitik ist jedoch durch die Aktivitäten des Außenministers und Bundeskanzlers auf der internationalen Ebene begrenzt. Beide vertreten immer auch die ökonomischen deutschen Interessen innerhalb internationaler Organisationen sowie bei Kontakten mit Kollegen anderer Staaten. Handelsverträge mit anderen Ländern fallen seit den 1970er Jahren zudem in den ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der EG/EU. In maßgeblichen Gremien zur Koordinierung der internationalen Währungspolitik (IWF und Eurogruppe) wird die Bundesregierung vom Finanzminister vertreten.

Zur regelmäßigen Koordinierung der deutschen Sicherheitspolitik wurde der Bundessicherheitsrat (BSR) geschaffen. Diesem Kabinettsausschuss der Bundesregierung, der für die Genehmigung von Rüstungsexporten zuständig ist, gehören neben dem Bundeskanzler als Vorsitzendem, der Vizekanzler, die Minister für Auswärtiges, Verteidigung, des Innern, der Justiz, für Wirtschaft, Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie der Chef des Bundeskanzleramts an.

Parlament

Neben der Regierung, die die Außenpolitik gestaltet, hat der Bundestag eine zentrale Rolle bei der Rahmensetzung und Handlungsbegrenzung dieser Politik. Obwohl die Regierungsfraktionen als Stützen der Exekutive auftreten, hat die Opposition sowohl im Rahmen öffentlicher Plenumsdebatten zu außenpolitisch relevanten Fragen als auch durch die verschiedenen Ausschüsse die Möglichkeit, Einfluss auf die deutsche Außenpolitik zu nehmen. Die Ausschüsse für auswärtige Angelegenheiten, für Verteidigung und für Angelegenheiten der Europäischen Union sind im Grundgesetz verankert (Art. 45 und Art. 45a GG). Dort wird auch der Posten eines Wehrbeauftragten festgeschrieben, der im Sinne der parlamentarischen Kontrolle der Streitkräfte sowie des Schutzes der Grundrechte der Soldaten wirken soll (Art. 45b GG). Durch Gespräche mit ausländischen Politikern in den Bundestagsausschüssen können die Parlamentarier ebenso eigene außenpolitische Informationen gewinnen wie durch Delegationsreisen ins Ausland oder durch die Mitwirkung in Parlamentarischen Vertretungen internationaler Organisationen (u. a. Europarat, NATO, OSZE). Neben den politischen Einflussmöglichkeiten des Parlaments auf die Inhalte der Außenpolitik der Regierung ist der Bundestag sowohl über sein Haushaltsrecht (Etat der einzelnen Ressorts) als auch über die Notwendigkeit der Zustimmungspflicht zu völkerrechtlichen Verträgen direkt an außenpolitischen Weichenstellungen beteiligt (Ratifikation gem. Art. 59, Absatz 2 GG). Bei Kompetenzübertragungen auf die Europäische Union oder Änderungen der EU-Verträge per Gesetz gilt die Zustimmungspflicht des Bundesrates (Art. 23, Absatz 1 GG). In beiden Kammern ist dann eine Zweitdrittelmehrheit erforderlich (gem. Art. 79, Absatz 2 GG). In der Europapolitik gilt zudem eine spezielle Informations- und Konsultationspflicht der Regierung gegenüber Bundestag und Bundesrat, wenn die Bundesregierung auf europäischer Ebene (im Ministerrat) an der Rechtsetzung der EU mitwirkt (Art. 23, Absatz 2–6 GG).

Für die Beteiligung der Bundeswehr an bewaffneten Einsätzen außer im Verteidigungsfall (Art. 115a GG) ist die Zustimmung des Bundestages erforderlich. Mit seiner Entscheidung vom 12. Juli 1994 hat das Bundesverfassungsgericht festgelegt, dass deutsche Soldaten an Militäreinsätzen internationaler Organisationen teilnehmen dürfen, wenn das Parlament den von der Regierung vorgeschlagenen Modalitäten, dem Umfang, den Kosten und der Dauer der Einsätze vorab zustimmt. Dieser „Parlamentsvorbehalt“ ist seitdem verpflichtend und wurde im Jahr 2005 in ein Parlamentsbeteiligungsgesetz gefasst. Der Einsatz der Bundeswehr, die deshalb auch als „Parlamentsarmee“ bezeichnet wird, kann durch Beschluss des Bundestages vorzeitig beendet (Rückholrecht), jedoch nicht verändert werden. Während die Initiative hierzu weiter von der Regierung ausgehen muss, ist für eine Verlängerung oder Änderung des Einsatzes in jedem Fall die einfache Mehrheit des Bundestages notwendig. Humanitäre Rettungseinsätze fallen nicht unter den Parlamentsvorbehalt.

Bundesverfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht hat angesichts parteipolitischer Divergenzen nicht nur im Fall des militärischen Engagements der Bundesrepublik eine entscheidende Rolle für die Klärung des sicherheitspolitischen Handlungsrahmens seit 1990 gespielt, sondern auch maßgeblich bei der Definition des zulässigen europapolitischen Spielraums der Bundesregierungen mitgewirkt. Durch seine Urteile nach Klagen gegen den Maastrichter Vertrag und den Lissabon-Vertrag steckte es die Gestaltungsoptionen der Bundesregierungen auf europäischer Ebene klar ab: Im Maastricht-Urteil vom 12. Oktober 1993 erklärte das oberste deutsche Gericht die Vereinbarkeit des Vertrags mit dem Grundgesetz; zugleich machte es die Grenzen der Übertragbarkeit von Kompetenzen auf die EU als „Staatenverbund“ deutlich, die nicht die Legitimation der Einzelstaaten mit den Staatsvölkern als Basis aushöhlen dürfe. Im Lissabon-Urteil vom 30. Juni 2009 bestätigte das Bundesverfassungsgericht ebenfalls die deutsche Mitwirkung am Vertrag; zugleich betonte es jedoch die Verpflichtung der nationalen Entscheidungsorgane, Bundestag und Bundesrat als Vertretung des deutschen Souveräns weiterhin ausreichend an europapolitischen Entscheidungen zu beteiligen.

Medien

Neben dem Parlament als Forum öffentlicher Debatten wirken die Medien durch ihre breite Berichterstattung über außenpolitische Aktivitäten und Entscheidungen der Regierung seit den frühen 1950er Jahren an der öffentlichen Meinungsbildung hierüber mit. Obwohl der Bundesrepublik gerade im Vergleich zu den USA das Fehlen einer breiten außenpolitisch einflussreichen community nachgesagt wird, die durch sachliche Expertise die Entscheidungsträger in Bonn bzw. Berlin berät, spielen außenpolitische Themen in Zeitungen, Journalen und digitalen Medien eine wichtige Rolle. Sowohl außenpolitische Richtungsentscheidungen (Westintegration, Neue Ostpolitik, Nachrüstung, Irak-Krieg) führten über die Medienberichterstattung zu breiten öffentlichen Debatten als auch Fragen der deutschen Positionierung bei international bedeutsamen Entwicklungen (Jugoslawienkriege, „9/11“, Eurokrise, Flüchtlingskrise). Der Einfluss einzelner Medientypen (Boulevardpresse, öffentlich-rechtlicher Rundfunk) auf öffentliche Debatten über die deutsche Außenpolitik hat sich dabei notwendigerweise mit dem Wandel der Medienwelt (Print, digitale Medien, social media) sowie dem veränderten Nutzungsverhalten der Bevölkerung geändert. Die Intensität der Medienberichterstattung, durch die die interessierte Öffentlichkeit Kenntnisse über außenpolitisch wichtige Entscheidungen gewinnen kann, ist in der Bundesrepublik – gerade im westlichen Vergleich – durchaus hoch.

Transnationale Akteure

Zu den sogenannten transnationalen Akteuren, also Gruppierungen, die grenzüberschreitend in anderen Staaten oder in internationalen Verbünden tätig sind, gehören sowohl Unternehmen, Verbände, Interessengruppen und Stiftungen. Unternehmen nutzen dabei einzeln, in größeren Zusammenschlüssen (joint ventures) oder durch Fusionen den von der deutschen Außenpolitik geöffneten Rahmen für ihre internationalen Wirtschaftsaktivitäten. Zugleich bilden sie für ein international intensiv vernetztes Land wie die Bundesrepublik eine wichtige „Stütze“ des politisch nutzbaren Einflusses auf der internationalen Ebene. Die traditionell stark exportabhängige deutsche Wirtschaft, in der rund ein Viertel der Arbeitsplätze von den Ausfuhren abhängen, ist somit sowohl Triebkraft für politisch vorteilhafte politische Rahmenbedingungen als auch Profiteur derselben. Der Charakter des außenpolitischen Engagements der Bundesregierungen, in deren Delegationen bei Staatsbesuchen im Ausland häufig Vertreter der deutschen Wirtschaft mitreisen, wird somit zwangsläufig von den ökonomischen Interessen der eigenen Wirtschaft mitgeprägt. Im Stile der traditionellen Handelsnationen wie den Niederlanden, Spanien oder Großbritannien agieren deutsche Regierungen auf internationaler Ebene folglich als stark an der fortgesetzten wirtschaftlichen Prosperität orientierte Vertreter des nationalen Wohlstands. Der Vorrang ökonomischer bzw. geo-ökonomischer Interessen vor Macht- oder Status-Fragen korrespondiert in idealer Weise mit einer an möglichst friedlichen Beziehungen interessierten deutschen Bevölkerung. Die beiden Etiketten vom „Handelsstaat“ und von der „Zivilmacht“, die sich dahinter verbergen, sind hinsichtlich der Handlungspräferenzen ohnehin weitgehend deckungsgleich. In der weit überdurchschnittlichen Außenhandelsquote von über 70% (der Anteil des Außenhandels am BSP liegt im internationalen Durchschnitt bei rund 50%) kommt die wettbewerbsfähige deutsche Wirtschaft und die Abhängigkeit deutscher Unternehmen von internationalen, florierenden Geschäften in gleichem Maße zum Ausdruck. Der 2015 verzeichnete Rekordhandelsüberschuss von rund 248 Mrd. Euro (Warenexporten in Höhe von 1195,9 Mrd. Euro stehen Importe im Wert von 948,1 Mrd. Euro gegenüber) ist für ein ressourcenarmes Land, das stark von Einfuhren, u. a. im Energiebereich abhängig ist, Ausdruck einer beachtlichen internationalen Wettbewerbsfähigkeit. Der „Verlust“ des Titels „Exportweltmeister“ an China im Jahr 2009 ist im Vergleich dazu nebensächlich, da es beim ökonomischen Gewicht Deutschlands nicht um absolute, sondern nur um relative Bedeutung geht.

Neben der Bedeutung der Wirtschaft als außenpolitisch bedeutsamem Strukturfaktor spielen auch verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen als wichtige Begleiter deutscher Regierungspolitik eine Rolle, die sowohl eigenständig das Beziehungsgeflecht über die eigenen Landesgrenzen hinaus verbreitern als auch direkten Einfluss auf die Verantwortlichen in der nationalen Außenpolitik nehmen. Verbände und Nicht-Regierungsorganisationen (non-governmental organizations, NGOs) wirken dabei entweder zusammen mit Gleichgesinnten in internationalen Zusammenschlüssen für ihre spezifischen Interessen (Gewerkschaften, Medien, Unternehmen, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen), oder sie versuchen auf nationaler Ebene ein einzelnes Anliegen ihrer Mitglieder in die Außenpolitik einzubringen. Gerade im Bereich des internationalen Umweltschutzes haben NGOs durch ihre Aktivitäten auf nationaler und internationaler Ebene beachtlichen Einfluss gewonnen. Das in Deutschland seit langem gesellschaftlich bedeutsame umweltpolitische Engagement wirkt sich somit auch international spürbar aus.