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1. Auflage 2017
© 2017 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
 
Copyright der Originalausgabe
Die englische Originalausgabe erschien 2002 bei Villard Books unter dem Titel Vagabonding. © 2002, 2016 by Rolf Potts, Vorwort © 2013, 2016 by Tim Ferris. This translation is published by arrangement with Villard Books, an imprint of Random House, a division of Penguin Random House LLC. All rights reserved.
 
Teile aus Tim Ferriss’ Vorwort entstammen der Hörbuch-Ausgabe von Vagabonding, die 2013 von Audible, Inc. veröffentlich wurde.
Auszüge aus Tim Cahills Exotic Places Made Me Do It (Outside, März 2002): Copy­right © 2003 by Mariah Publications Corporation. Reprinted by permission of Outside magazine.
Auszüge aus Ed Buryns Vagabonding in Europe and North Africa: Copyright © 1971 by Ed Buryn. Used by permission of Random House, an imprint and division of Penguin Random House LLC.
 
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
 
Übersetzung: Egbert Baqué
Redaktion: Ronit Jariv
Umschlaggestaltung: Manuela Amode, Krista Vossen
Umschlagabbildung: Rolf Potts
Layout: Daniel Förster, Judith Stagnitto Abbate
Illustration: shutterstock.com/LongQuattro
Satz und E-Book: Daniel Förster
 
ISBN Print 978-3-7423-0082-9
ISBN E-Book (PDF) 978-3-95971-494-5
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-493-8
 
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.rivaverlag.de
Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.
 
 
 

Für zwei Lehrer:

GEORGE D. POTTS,
Prärie-Naturforscher und ein unvergleichlicher Träumer

 

Und in Erinnerung an

JOHN FREDIN,
Mentor und Freund (1930–2000)

 
 
 
 

Die Luft, die mir den Atem zum Sprechen gewährt;

Ihr Gegenstände, die ihr meine Gedanken

aus ihrer Zerstreuung zusammenruft und ihnen Gestalt verleiht;

Du Licht, das mich und alle Dinge

mit seinen gleichmäßigen Schauern umhüllt;

Ihr ausgetretenen Pfade in den unebenen Senkungen

zu beiden Seiten des Weges;

Ich glaube, ihr verbergt in euch unsichtbare Existenzen,

denn ihr seid mir so teuer.

WALT WHITMAN, GESANG VON DER FREIEN STRASSE

 

Vagabonding (1) Die geordnete Welt hinter sich zu lassen, um für längere Zeit unabhängig auf Reisen zu gehen. (2) Eine individuell sinngebende Art des Reisens, bei der es auf Kreativität, Abenteuer, Erkenntnis, Einfachheit, Entdeckung, Unabhängigkeit, Eigenständigkeit und die Entwicklung von Geist und Seele ankommt. (3) Eine bewusste Art zu leben, durch die Freiheit zum Reisen entsteht.

Inhalt

Vorwort
Vorbemerkung
EinleitungWie man sich selbst gewinnt
Teil 1: WELTENBUMMELN – VAGABONDING
Kapitel 1: Erkläre deine Unabhängigkeit
Teil 2: VOR DER REISE
KAPITEL 2: Erlange deine Freiheit
Empfehlungen
WELTENBUMMLER-STIMMEN
Walt Whitman
KAPITEL 3: Lebe einfach
Empfehlungen
WELTENBUMMLER-STIMMEN
Henry David Thoreau
KAPITEL 4: Lerne und hör damit niemals auf
Die Reisevorbereitung – Fragen & Antworten
Empfehlungen
WELTENBUMMLER-STIMMEN
Bayard Taylor
Teil 3: UNTERWEGS
KAPITEL 5: Setz dir keine Grenzen
Empfehlungen
WELTENBUMMLER-STIMMEN
John Muir
KAPITEL 6: Lerne deine Nachbarn kennen
Interkulturelle Kommunikation – Fragen & Antworten
Empfehlungen
WELTENBUMMLER-STIMMEN
John Ledyard
KAPITEL 7: Lass dich auf Abenteuer ein
Empfehlungen
WELTENBUMMLER-STIMMEN
Berühmte Weltenbummlerinnen
Teil 4: SEIT LANGEM AUF REISEN
KAPITEL 8: Akzeptiere die Realität
Empfehlungen
WELTENBUMMLER-STIMMEN
Ed Buryn
KAPITEL 9: Sei kreativ
Empfehlungen
WELTENBUMMLER-STIMMEN
Die Weltenbummler der Pax Islamica
KAPITEL 10: Lass deine Seele wachsen
Empfehlungen
WELTENBUMMLER-STIMMEN
Annie Dillard
Teil 5: WIEDER ZU HAUSE
KAPITEL 11: Lebe deine Geschichte
Danksagung
Über den Autor

Vorwort

Ab 2004 bereiste ich ungefähr 18 Monate lang die Welt. Die Lektionen, die ich dabei lernte, bildeten die Grundlage für einen großen Teil meines Buchs Die 4-Stunden-­Woche.

Auf meiner Reise von den Hinterhöfen Berlins bis zu den versteckten Seen Patagoniens hatte ich fast nichts dabei: nur einen Rucksack und einen winzigen Koffer. Und nur zwei Bücher. Das eine war (natürlich) Walden von Henry David Thoreau, das andere Vagabonding von Rolf Potts.

Seit 2005 lese ich im Durchschnitt ein bis drei Bücher pro Woche, also 50 bis 150 im Jahr.

Vagabonding ist immer noch in meiner Top-Ten-Liste lebensverändernder Bücher. Warum? Weil ein einziger unglaublicher Trip, vor allem eine langfristige Reise, dein Leben für immer verändern kann. Und Vagabonding lehrt dich, wie man reisen (und denken) sollte – nicht nur für einen Trip, sondern für den Rest deines Lebens.

In meinem eigenen abgenutzten Exemplar von Vaga­bonding finden sich auf fast jeder Seite Anmerkungen, Unterstreichungen und Hervorhebungen, die sich auf ein breites Themenspektrum beziehen: von Taktischem (zum Beispiel wie man intelligent packt, was man mitnehmen sollte und was nicht) bis hin zu Philosophischem (die Upanischaden, wie man nach einem von Hektik und Koffein geprägten Leben das Tempo drosselt, und so weiter).

Auf die Umschlaginnenseite kritzelte ich gleich nach dem Kauf eine Liste von Traumzielen, zu denen Orte wie Stockholm, Prag, Paris, München, Berlin und Amsterdam gehörten. Die Liste wurde fortgesetzt.

Rolfs Anleitungen und Tipps nutzend, habe ich alle abgehakt. Viele davon konnte ich in meinem eigenen, selbst bestimmten Tempo jeweils zwei bis drei Monate lang erkunden, sorglos und ohne Eile. Ein Traum wurde wahr.

Alles in Vagabonding hilft weiter – vorausgesetzt, du arbeitest auch an dir selbst. Während ich es auf Reisen immer und immer wieder las, wurde mir klar: Reisen heißt nicht nur, das äußere Umfeld zu verändern, es bedeutet auch, sein Innenleben neu zu erfinden.

Dieses Buch hat mein Leben komplett verändert und das Gleiche wünsche ich auch euch.

Genießt die Abenteuer. Möge es viele davon geben!

Pura vida,

Tim Ferriss

Vorbemerkung

GEBRAUCHSANWEISUNG FÜR DIESES BUCH

Es gibt viele Reisebücher, die für die Vorbereitung einer langen Reise hilfreich sind, doch dieses Buch kann dich mithilfe einer einfachen und bewährten Ethik für den Rest deines Lebens die Kunst des Reisens lehren. Manche Bücher erzeugen mit ihren beinahe enzyklopädischen (und oft redundanten) Reiseinformationen die Illusion, der beste Weg, eine ausgedehnte Reise anzugehen, sei, sie so detailliert wie möglich zu planen. Dieses Buch bietet dir nur, was du wirklich brauchst, um dich fürs Unterwegssein vorzubereiten, und ermutigt dich dadurch, deine Reisen mit den Freuden der Ungewissheit zu bereichern. Während manche Reisebücher nach einmaliger Lektüre unbrauchbar sind, wird dir dieses Buch neue Perspektiven aufzeigen und, je länger du unterwegs bist, auf neuartige Weise in dir nachhallen.

Dieses Buch betrachtet Langzeitreisen nicht als eine Flucht, sondern als Abenteuer und Leidenschaft – als Möglichkeit, Ängste zu überwinden und das Leben in vollen Zügen zu genießen. Bei der Lektüre wirst du erfahren, wie du durch Einfachheit eine beachtliche Fülle an (Reise-)Zeit gewinnst. Du wirst entdecken, wie du unterwegs neue Erfahrungen machen und Abenteuer erleben und damit umgehen kannst. Und vor allem wirst du lernen, die Welt zu deinen eigenen Bedingungen zu bereisen, indem du die Mythen und Ansprüche überwindest, die dein Erlebnis abzuwerten drohen.

Wenn du je den Drang verspürt hast, für längere Zeiträume auf Reisen zu gehen, aber nicht sicher bist, woher du die Zeit und die Freiheit dazu nehmen sollst, dann ist dieses Buch für dich das richtige. Wenn du schon mal auf Reisen warst, aber das Gefühl hast, dass diesem Erlebnis irgendetwas Wichtiges fehlte, ist dies ebenfalls das richtige Buch für dich.

Dies ist kein Buch für Draufgänger und Leute, die nur den Nervenkitzel suchen. Es ist ein Buch für jeden, der bereit ist, eine ungewöhnliche Entscheidung zu treffen, die es ihm ermöglicht, wochen- oder monatelang durch die Welt zu reisen und unterwegs zu improvisieren (und dabei Geld zu sparen).

Wenn das für dich nach einer verführerischen Möglichkeit klingt, dann lies unbedingt weiter …

 
 
 

Allem, was ich als das Meinige bezeichne,

solltest du ein Deiniges gegenübersetzen

Sonst wäre es verlorene Zeit, mir zuzuhören.

WALT WHITMAN, GESANG VON MIR SELBST

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Einleitung

Wie man sich selbst gewinnt

Vor einiger Zeit schipperte ich auf einem heruntergekommenen alten Postdampfer gemächlich den Irrawaddy-Fluss in Myanmar stromabwärts, als mir der Lesestoff ausging. Sobald das Schiff in der kleinen Stadt Pyay anlegte, stürzte ich an Land und kaufte das einzige englischsprachige Buch, das ich auftreiben konnte: ein abgenutztes Exemplar von Dale Carnegies How to Win Friends and Influence People (auf Deutsch: Wie man Freunde gewinnt. Die Kunst, beliebt und einflussreich zu werden). Während wir langsam Richtung Rangun dampften, fing ich an, darin zu lesen.

Irgendwie hatte ich es bislang geschafft, ohne die Lektüre eines einzigen Selbsthilfebuchs durchs Leben zu gehen. Carnegies Empfehlungen waren, wie sich herausstellte, eine charmante Mischung aus gesundem Menschenverstand (»Sei ein guter Zuhörer«), guten Ratschlägen (»Respektiere die Meinung anderer«) und althergebrachten Vorstellungen (»Vergiss nicht, wie sehr sich Frauen für Kleidung interessieren«). Nachdem ich das Buch während der Flussfahrt genüsslich ausgelesen hatte, verschenkte ich es in Rangun und vergaß es eine Zeit lang völlig.

Ungefähr einen Monat später bekam ich das Angebot, ein Buch über die Kunst des Langzeitreisens zu schreiben. Da ich über die Ethik des Weltenbummelns bislang in erster Linie in Form von Erzählungen für Salon.com geschrieben hatte, dachte ich mir, es sei vielleicht hilfreich, mich ein wenig über Struktur und Format von Ratgeberbüchern zu informieren. Während ich also versuchte, wieder ein Exemplar von How to Win Friends and Influence People aufzutreiben, stellte ich fest, dass sich der Markt für Ratgeber- und Selbsthilfebücher seit Carnegies Tagen erheblich verändert hatte. Es gibt inzwischen scheinbar für jede menschliche Aktivität, alle nur denkbaren Sehnsüchte und Wünsche und sämtliche Bevölkerungsgruppen irgendein inspirierendes Buch. Allein schon die Bücher der Reihen Chicken Soup for the Soul (auf Deutsch: Hühnersuppe für die Seele) und Don’t Sweat the Small Stuff (auf Deutsch: Alles kein Problem!) nahmen jeweils fast eine eigene Abteilung in der Buchhandlung in Anspruch.

Als ich so – verwirrt von der Vielzahl der Titel – zwischen den Regalen stand, begann ich, mir ein eigenes Bücherimperium zum Thema Weltenbummeln vorzustellen: nicht nur Weltenbummeln, sondern auch Weltenbummeln für Teens, Weltenbummeln für Golfer, Wie man seine Kleidung weltenbummeln lässt, Die Zehn-Wochen-Weltenbummler-Diät, Eine Weltenbummler-Weihnacht, Baby zum ersten Mal auf Weltenbummel, 101 pikante Weltenbummler-Rezepte, Alles, was ich wirklich wissen musste, lernte ich beim Weltenbummeln. Und so weiter.

Schließlich verließ ich den Buchladen ohne ein einziges Buch. Ich beschloss, mein Buch auf die einzige Art und Weise zu schreiben, die ich beherrschte: aus Erfahrung, aus Leidenschaft und mit gesundem Menschenverstand.

Wenn dieses Buch gelegentlich unkonventionell erscheint, gut so. Weltenbummeln selbst ist unkonventionell.

Was das Wort »Vagabonding« anbelangt, so dachte ich lange, es sei meine eigene Erfindung. 1998 begann ich, eine Kolumne zum Thema Abenteuerreisen für Salon.com zu schreiben. Damals suchte ich ein prägnantes Wort, um zu beschreiben, was ich tun wollte: die wohlgeordnete Welt verlassen, um für einen längeren Zeitraum und mit wenig Geld auf Reisen zu gehen. »Backpacking« schien mir eine zu vage Beschreibung zu sein, »Globetrotten« klang zu prätentiös und »Touring« – eine Tour unternehmen – ein bisschen schwach. Daraufhin spielte ich mit dem Wort »Vagabund« – dem alten, aus dem Lateinischen abgeleiteten Begriff, der einen Wanderer ohne festen Wohnsitz bezeichnet – und dachte mir »Vagabonding« aus.

Fast hatte ich mich schon selbst davon überzeugt, dass ich einer bestimmten Geisteshaltung des Reisens zu einem coolen neuen Ausdruck verholfen hatte, als ich im Regal eines Secondhand-Buchladens in Tel Aviv ein mit Eselsohren versehenes Taschenbuch mit dem Titel Vagabonding in Europe and North Africa entdeckte. Es stammte von einem Amerikaner namens Ed Buryn und war nicht nur geschrieben worden, bevor meine Reisekolumnen im Internet erschienen, sondern bevor ich überhaupt auf die Welt kam. Trotz des gelegentlich aufblitzenden Hippie-Jargons (»Meide Reiseveranstalter genauso sehr wie Bullen und erkunde die Welt auf eigene Faust«), stellte ich fest, dass der Band ausgezeichnete Ratschläge enthielt und ein vernünftiges, aufschlussreiches Prä-Lonely-Planet-­Kompendium aus praktischen Tipps und der Philosophie unabhängigen Reisens war. Die Entdeckung von Buryns Buch entmutigte mich ganz und gar nicht, sie wirkte sogar befreiend: Mir wurde klar, dass der Akt des Weltenbummelns – egal, welche Bezeichnung man ihm gibt – kein isolierter Trend ist, sondern eine »geisterhafte Beziehung zwischen Menschen, die durch Ort und Zeit zwar lange getrennt waren, aber auf irgendeine Art die gleiche Sprache sprechen« (um einen Satz von Greil Marcus aufzugreifen).

Inzwischen habe ich das Wort »Vagabonding« auch schon in einem Text von 1871 gesehen (in Mark Twains Roughing It, auf Deutsch: Durch dick und dünn), es jedoch nie in einem Wörterbuch gefunden. In gewisser Weise ist es eine Art Nonsens-Wort, das spielerisch benutzt wurde, um ein Reisephänomen zu beschreiben, das es bereits gab, als Walt Whitman schrieb: »Und ich oder du können, ohne einen Groschen in der Tasche, das Köstlichste auf der Erde kaufen.«

Entsprechend will ein Teil von mir den Begriff weiterhin im Unsinn belassen: unbestimmt, flüchtig und offen für Interpretationen wie das Reiseerlebnis selbst.

Denk also beim Lesen dieses Buchs immer an die weisen Worte des Kampfkunst-Meisters Bruce Lee: »Forsche nach eigenen Erfahrungen, um die Wahrheit zu finden … Nimm an, was nützlich ist. Lass weg, was unnütz ist. Und füge das hinzu, was dein Eigenes ist.«

Unterwegs gilt das Gleiche für das Weltenbummeln.

 

Teil 1

WELTENBUMMELN – VAGABONDING

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Von dieser Stunde ab erkläre ich mich befreit von allen Einschränkungen und eingebildeten Scheidelinien;

Wohin ich will, geh ich; ganz unbedingt mein eigener Herr;

Höre den andern zu und überlege wohl, was ich sage;

Verweile, forsche, empfange, betrachte;

Entziehe mich lind, aber mit unwiderstehlicher Willenskraft den Banden, die mich halten wollten.

WALT WHITMAN,
GESANG VON DER FREIEN STRASSE

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Kapitel 1

Erkläre deine Unabhängigkeit

Unter all den haarsträubenden, einfach so dahingewor­fenen Sätzen, die man in Filmen zu hören bekommt, gibt es einen, der für mich heraussticht. Er stammt weder aus einer verrückten Komödie noch aus einem esoterischen Science-Fiction-Streifen oder aus einem mit Spezialeffekten vollgepackten Actionthriller. Er ist in Oliver Stones Wall Street von 1987 zu hören, wenn Bud Fox, die von Charlie Sheen verkörperte Figur –, eine große Nummer an der Börse – seiner Freundin von seinen Träumen erzählt.

»Wenn ich, bevor ich 30 bin, einen Haufen Kohle zusammenkriege und aus dieser Tretmühle rauskomme, kann ich mit meinem Motorrad kreuz und quer durch China fahren.«

Als ich diese Szene vor ein paar Jahren zum ersten Mal auf Video sah, fiel ich vor Verwunderung fast vom Hocker. Im Grunde genommen könnte Charlie Sheen oder sonst jemand doch acht Monate lang als Kloputzer arbeiten und hätte dann genug Geld zusammen, um mit einem Motorrad durch China zu fahren. Selbst jemand, der noch gar kein eigenes Motorrad besitzt, könnte mit noch ein paar Monaten länger Toilettenschrubben genug verdienen, um sich vor der Abreise eins zu kaufen.

Die meisten Menschen fänden an dieser Szene vermutlich nichts merkwürdig. Aus irgendwelchen Gründen sehen wir Langzeitreisen zu fernen Ländern als einen wiederkehrenden Traum oder als eine exotische Verlockung an und nicht als etwas, das ins Hier und Jetzt gehört. Stattdessen beschränken wir unsere Reisen – aus einer verrückten Abhängigkeit von unseren Ängsten, Gewohnheiten und monatlichen Zahlungen für Dinge, die wir eigentlich nicht brauchen – auf kurze, hektische Ausbrüche. Während wir unser Geld für eine abstrakte Vorstellung namens »Lifestyle« verpulvern, wird das Reisen bloß zu einem weiteren Accessoire – einem goldgeränderten, fein verpackten Erlebnis, das wir genauso kaufen wie Kleidung und Möbel.

Vor Kurzem las ich, dass Reiseagenturen im letzten Jahr fast eine Viertelmillion an Kurzzeitaufenthalten in Klöstern und Ordensstiften verkauft haben. Spirituelle Enklaven von Griechenland bis Tibet verwandelten sich in gefragte Touristenattraktionen und Reiseexperten führten diesen Boom auf die Tatsache zurück, dass »gestresste Karrieristen nach einem einfacheren Leben suchen«.

Leider wies niemand darauf hin, dass es ungefähr so sinnvoll ist, auf der Suche nach einem einfacheren Leben einen Pauschalurlaub zu buchen, wie in einen Spiegel zu gucken, um zu erfahren, wie man aussieht, wenn man gerade nicht in den Spiegel blickt. Verkauft wird doch nur eine romantische Vorstellung von einem einfacheren Leben. Und genau wie man es niemals schaffen wird, sich unbefangen im Spiegel zu betrachten, egal, wie unauffällig und schnell man hineinschaut, wird auch keines dieser Reisearrangements für eine Woche oder zehn Tage uns wirklich aus unserem Alltagsleben führen.

Letztlich hält uns diese Zwangsehe von Zeit und Geld in einer Warteschleife. Je mehr wir Erlebnisse mit einem Geldwert verbinden, desto mehr glauben wir, dass Geld das Wichtigste ist, was wir zum Leben brauchen. Und je mehr wir Geld mit dem Lauf des Lebens verbinden, desto überzeugter sind wir schließlich, dass wir zu arm sind, um uns Freiheit kaufen zu können. Bei einer solchen Denkart ist es kein Wunder, dass so viele der Meinung sind, ausgedehnte Reisen ins Ausland seien nur etwas für Studenten, alternative Aussteiger und müßige Reiche.

In Wirklichkeit hat Langzeitreisen nichts mit demografischen Faktoren zu tun – Alter, Ideologie, Einkommen –, sondern hängt einzig und allein von der individuellen Einstellung des Einzelnen ab. Für Langzeitreisen muss man keine Universität besuchen, sondern das Leben um sich herum studieren. Langzeitreisen ist kein Akt der Rebellion gegen die Gesellschaft, sondern ein Zeichen gesunden Menschenverstands im Rahmen dieser Gesellschaft. Für Langzeitreisen braucht man nicht Unmengen von »Kohle«, man muss sich nur bewusster durch die Welt bewegen.

Diese bewusstere Art, die Welt zu durchwandern, war schon immer der althergebrachten und ohne Weiteres verfügbaren Tradition des Reisens eigen, die als Weltenbummeln oder »Vagabonding« bekannt ist.

Vagabonding erfordert, dass man sich eine verlängerte Auszeit aus dem normalen Leben nimmt – sechs Wochen, vier Monate, zwei Jahre –, um die Welt zu seinen eigenen Bedingungen zu bereisen.

Doch über das Reisen hinaus ist Vagabonding auch eine Lebensauffassung. Es geht darum, den Reichtum und die Mittel des Informationszeitalters zu nutzen, um persönliche Möglichkeiten zu erweitern, anstatt persönliche Besitztümer anzuhäufen. Vagabonding heißt, nach Abenteuern im Alltag zu suchen und nach dem normalen Leben im Abenteuer. Vagabonding ist eine Haltung – ein freundliches Interesse an Menschen, Orten und Dingen, das uns zu Entdeckern im wahrsten, anschaulichsten Sinne des Wortes macht.

Vagabonding ist weder ein Lifestyle noch ein Trend. Es ist vielmehr eine ungewöhnliche Art der Lebensbetrachtung – eine Wertberichtigung, die wie von selbst Handlungen nach sich zieht. Es geht um Zeit – unser einziges wirkliches Gut – und die Art, wie wir mit ihr umgehen wollen.

John Muir, der Gründer des Sierra Club (ein Ur-Vaga­bund, wenn es je einen gab), drückte stets seine Verwunderung über die betuchten Reisenden aus, die den Yosemite-Nationalpark besuchten und nach nur wenigen Stunden Sightseeing wieder davonrauschten. Muir nannte solche Leute die »Zeitarmen« – Menschen, die so besessen davon waren, ihren materiellen Reichtum und ihre gesellschaftliche Stellung zu bewahren, dass sie nicht einmal die Zeit erübrigen konnten, die Pracht der Wildnis der kalifornischen Sierra Nevada wirklich wahrzunehmen. Zu den Besuchern, die Muir im Sommer 1871 in Yosemite aufsuchten, gehörte Ralph Waldo Emerson, der beim Anblick der Mammutbäume begeistert ausrief: »Es ist ein Wunder, dass wir diese Bäume sehen können und nicht mehr darüber staunen.« Als Emerson dann allerdings ein paar Stunden später wieder abreiste, fragte Muir leicht spöttisch, ob sich der berühmte Transzendentalist die Bäume überhaupt richtig angeschaut hatte.

Fast ein Jahrhundert später bezog sich der Naturforscher Edwin Way Teale auf Muir und beklagte das hektische Tempo der modernen Gesellschaft. »Freiheit wie John Muir sie kannte«, schrieb er in seinem 1956 erschienenen Buch Im Herbst durch Amerika, »mit ihrer Fülle an Zeit, ihren unreglementierten Tagen, ihrem Spielraum an Wahlmöglichkeiten …, eine solche Freiheit scheint mit jeder neuen Generation immer seltener zu sein, immer schwieriger zu erreichen, immer ferner.«

Doch Teales Klage über die zunehmende Einschränkung persönlicher Freiheit war schon 1956 eine genauso hohle Verallgemeinerung wie heute. John Muir war klar, dass das Weltenbummeln sich nie nach einer der Mode unterworfenen, allgemein akzeptierten Definition von Lebensstil richtet. Vielmehr handelte es sich schon immer um eine persönliche Entscheidung, getroffen aus einer Gesellschaft heraus, die uns unentwegt bedrängt, uns anders zu verhalten.

Dieses Buch handelt davon, wie man eine solche Entscheidung in die Tat umsetzt.