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Dirk K. Wolter

Schmerzen und Schmerzmittelabhängigkeit im Alter

Die gerontopsychiatrische Perspektive

Verlag W. Kohlhammer

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1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-030643-1

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-030644-8

epub:   ISBN 978-3-17-030645-5

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Meiner Mutter
         Jahrgang 1927
                                    nicht frei von Schmerzen
                                                         aber überwiegend guten Mutes

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

  1. Abkürzungsverzeichnis
  2. Geleitworte
  3. Vorwort
  4. 1 Einleitung
  5. 2 Grundlagen – Neurobiologie
  6. 2.1 Was ist Schmerz?
  7. 2.2 Schmerzverarbeitende Systeme
  8. Exkurs I – Thermal Grill Illusion
  9. 2.3 Deszendierendes schmerzmodulierendes System (DSMS)
  10. 2.4 Interaktive Schmerzmatrix
  11. 2.5 Störungen der absteigenden Schmerzhemmung und Entstehung chronischer Schmerzsyndrome
  12. 2.6 Neuronale Netzwerke und Neuroplastizität
  13. 2.7 Neurotransmitter und Neuromodulatoren
  14. 3 Grundlagen – Psychologie, Chronobiologie und Geschlecht
  15. 3.1 Emotionen und Schmerz
  16. Exkurs II: Abwärtsspirale von negativen Gefühlen und chronischen Schmerzen
  17. 3.2 Aufmerksamkeit, Kognition, Lernen und Schmerz
  18. 3.3 Vermeidungsverhalten und Schmerz
  19. Exkurs III: Angst – Furcht – Ängstlichkeit
  20. 3.4 Das Angst-Vermeidungs-Modell (fear avoidance model of pain) und seine Weiterentwicklung
  21. 3.5 Schmerz und Chronobiologie
  22. 3.6 Sex und Gender: Der Einfluss von Geschlecht und Geschlechterrolle
  23. 4 Besonderheiten von Schmerzen im höheren Lebensalter
  24. 4.1 Epidemiologie
  25. 4.2 Neurobiologie und Neurophysiologie
  26. 4.3 Schmerzerleben und Schmerzverhalten
  27. 5 Schmerzen, Kommunikation und Beziehung: Anmerkungen zu Anamnese und Diagnosestellung
  28. 5.1 Verschiedene Typen von chronischen Schmerzpatienten
  29. 5.2 Schmerzäußerung und Schmerzpräsentation
  30. 5.3 Kommunikation über Schmerzen in medizinischen Einrichtungen
  31. 5.4 Körperliche Erkrankungen bei psychiatrischen Patienten
  32. 6 Schmerzen und neuropsychiatrische Erkrankungen
  33. 6.1 Kognitive Beeinträchtigungen und Demenzen
  34. 6.1.1 Häufigkeit von Schmerzen bei Demenz
  35. 6.1.2 Schmerzempfinden und Schmerzerleben bei Demenz
  36. 6.1.3 Instrumente zur Schmerzerkennung bei Demenz
  37. 6.1.4 Schmerzen als Ursache für herausforderndes Verhalten bei Demenz
  38. 6.1.5 Behandlung von Schmerzen bei Demenz
  39. 6.2 Depressive Störungen
  40. 6.3 Suizidalität
  41. 6.4 Manien und bipolare Erkrankungen
  42. 6.5 Schizophrene Erkrankungen
  43. 6.6 Persönlichkeitsvarianten und Persönlichkeitsstörungen
  44. 6.7 Angst
  45. 6.8 Somatoforme Störungen
  46. 6.8.1 Fibromyalgiesyndrom
  47. 6.9 Folgen psychischer Traumatisierungen
  48. 6.10 Schlafstörungen
  49. 6.11 Parkinson-Krankheit
  50. 6.12 Multiple Sklerose (MS)
  51. 6.13 Schmerzen nach Schlaganfall
  52. 6.14 Delir und andere Bewusstseinsstörungen
  53. 7 Neuro-Psycho-Pharmaka und Schmerz
  54. 7.1 Neuro-Psycho-Pharmaka als Auslöser von Schmerzen
  55. 7.2 Neuro-Psycho-Pharmaka zur Behandlung von Schmerzen
  56. 7.2.1 Allgemeine Aspekte
  57. 7.2.2 Antidepressiva
  58. 7.2.3 Antipsychotika (Neuroleptika)
  59. 7.2.4 Benzodiazepine (BZD) und Z-Substanzen
  60. 7.2.5 Antikonvulsiva
  61. 8 Suchtkrankheiten und Schmerz – Missbrauch und Abhängigkeit von Schmerzmitteln
  62. 8.1 Sucht, Abhängigkeit und Missbrauch
  63. 8.2 Schmerz und Sucht: neurobiologische Überschneidungen
  64. Exkurs IV: »Belohnungssystem« und chronische Schmerzen
  65. 8.3 Suchtmittel, Suchterkrankungen und Schmerzen
  66. 9 Opioidanalgetika
  67. 9.1 Verordnung und Wirksamkeit von Opioidanalgetika bei chronischen nichttumorbedingten Schmerzen
  68. 9.2 Missbrauch und Abhängigkeit von Opioidanalgetika
  69. 9.2.1 Diagnosestellung nach ICD und DSM
  70. 9.2.2 Begriffsvielfalt
  71. 9.2.3 Alternative diagnostische Kriterien
  72. 9.2.4 Abhängigkeit oder Pseudoabhängigkeit?
  73. 9.2.5 Epidemiologie
  74. Exkurs V: Die Situation in Nordamerika
  75. 9.2.6 Entstehungsbedingungen, Entwicklung und Folgen
  76. 9.2.7 Risikofaktoren und ihre Erkennung
  77. 9.3 Andere Nebenwirkungen und Folgeprobleme
  78. 9.3.1 Nebenwirkungen
  79. 9.3.2 Kognitive Beeinträchtigungen
  80. 9.3.3 Toleranzentwicklung und Hyperalgesie
  81. 9.4 Ein anderer Blick auf Missbrauch und Abhängigkeit von Opioidanalgetika
  82. 9.4.1 Komplexe persistierende Abhängigkeit – therapeutische Abhängigkeit – opioid overuse pain syndrome – Syndrom der fehlgeschlagenen Opioid-Therapie
  83. Therapie
  84. Exkurs VI: Komplexe persistierende Abhängigkeit: die Abwärtsspirale der Entstehung der Abhängigkeit von Opioidanalgetika im Kontext chronischer Schmerzen
  85. 9.4.2 Behandlungsdauer und kurzwirksame vs. retardierte Opioidanalgetika
  86. 9.5 Abhängigkeit von Opioidanalgetika im höheren Lebensalter
  87. 9.6 Behandlung der Abhängigkeit von Opioidanalgetika
  88. 10 Gibt es Abhängigkeit von Nicht-Opioid-Analgetika?
  89. 10.1 Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch
  90. 11 Schmerzbehandlung bei Suchtproblemen
  91. 11.1 Schmerzbehandlung bei Sucht-Risikopatienten
  92. 11.2 Schmerzbehandlung bei manifesten Suchterkrankungen
  93. 11.3 Praktisches Vorgehen – Prävention
  94. 11.4 Abschließende Bemerkungen
  95. 12 Behandlung und Begleitung (»Management«) aus gerontopsychiatrischer Sicht
  96. 12.1 Indirekt wirksame, unspezifische Verfahren
  97. 12.1.1 Stressabbau
  98. 12.1.2 Entspannungsverfahren
  99. 12.1.3 Körperorientierte Therapien
  100. 12.1.4 Tiergestützte Therapie
  101. 12.1.5 Kreativtherapeutische Verfahren
  102. 12.1.6 Musiktherapie
  103. 12.1.7 Aromatherapie
  104. 12.2 Spezifische Verfahren
  105. 12.2.1 Psychodynamische Therapieansätze
  106. 12.2.2 Kognitiv-verhaltenstherapeutische Interventionen und Programme
  107. 12.2.3 Hypnose
  108. 12.3 Achtsamkeitsbasierte Verfahren (mindfulness)
  109. 12.3.1 Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (Mindfulness-Based Stress Reduction – MBSR)
  110. 12.3.2 Achtsamkeitsbasierte kognitive Therapie (Mindfulness-Based Cognitive Therapy – MBCT)
  111. 12.3.3 Wirksamkeit
  112. 12.3.4 Wirkmechanismen
  113. 12.4 Weiterentwicklungen achtsamkeitsbasierter Therapieformen
  114. 12.4.1 Akzeptanz und Selbstverpflichtungs-Therapie (Acceptance and Commitment Therapy – ACT)
  115. 12.4.2 Achtsamkeitsbasierte Verfahren in der Suchtbehandlung
  116. 12.5 Selbstmanagement
  117. 12.6 Abschließende Bemerkungen
  118. Literatur
  119. Register

 

Abkürzungsverzeichnis

 

 

1GAP – Antipsychotika der ersten Generation

2GAP – Antipsychotika der zweiten Generation (»atypische« Neuroleptika)

ACT – Acceptance and Commitment Therapy

ADD – Assessment of Discomfort in Dementia Protocol

ADHS – Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom

ADRB – Aberrant Drug Related Behavior

AGS – American Geriatrics Society

AIA – Abuse Index Algorithm

AP – Antipsychotika

AS – Anxiety Sensitivity, Angstsensitivität

ASI – Addiction Severity Index

ASS – Acetylsalicylsäure

AV/AVM – Angstvermeidung / Angst-Vermeidungs-Modell

BDNF – brain derived neurotrophic factor

BESD – Beurteilung von Schmerzen bei Demenz (deutsche Version der PAINAD-Skala)

BISAD – Beobachtungsinstrument für das Schmerzassessment bei alten Menschen mit Demenz

BPS – Behavioral Pain Scale (BPS-NI: Behavioral Pain Scale für nicht-intubierte Patienten)

BPSD – Behavioral and Psychological Symptoms in Dementia

BS – Borderline-Störung (Borderline-Persönlichkeitsstörung)

BZD – Benzodiazepine

CNPI – Checklist of Nonverbal Pain Indicators

CNTS – chronische nichttumorbedingte Schmerzen (Nicht-Tumor-Schmerzen)

COMM – Current Opioid Misuse Measure

COMT – Catechol-O-methyltransferase

COPD – Chronisch obstruktive Atemwegserkrankung (Chronic Obstructive-Pulmonal Disease)

CPAT – CNA Pain Assessment Tool (CNA: certified nursing assistant)

CPM – Conditioned Pain Modulation

CPOT – Critical-Care Pain Observation Tool

CWP – Chronic WidespreadPain

DAS-Leitlinie – S3-Leitlinie Analgesie, Sedierung und Delirmanagement in der Intensivmedizin

DAST – Drug Abuse Screening Test

DBS – Discomfort Behavior Scale

DBT – Dialektisch Behaviorale Therapie

DIRE – Diagnosis, Intractability, Risk, Efficacy (Skala zur Eignung für eine längerfristige Opioidbehandlung)

DMN – Default Mode Network (Ruhezustandsfunktionsnetzwerk)

DNIC – Diffuse Noxious Inhibitory Controls

DOC – Disorders of Consciousness

DS-DAT – Discomfort Scale in Dementia of the Alzheimer’s Type

DSM – Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders

DSMS – deszendierendes schmerzmodulierendes System

ECPA – L‘Echelle Comportementale de la Douleur pour Personnes Agees non Communicates (Echelle Comportementale pour Personne Agées)

EPCA – Elderly Pain Caring Assessment

EPS/EPMS – extrapyramidalmotorische Symptome

FACS – Facial Action Coding System

FDA – Food and Drugs Administration der USA

FLACC – Faces Legs Activity Cry Consolability Pain Scale

FMS – Fibromyalgiesyndrom

FPS-R – Faces Pain Scale – revised

GABA – Gamma-Aminobuttersäure

GDNF – Glial cell-line derived neurotrophic factor

HHNA – Hypothalamus - Hypophysen - Nebennierenrinden – Achse

HR – Hazard ratio

IASP – International Association for the Study of Pain

ICD – International Classification of Diseases

INCB – International Narcotics Control Board

LONTS – Langzeitanwendung von Opioiden bei nichttumorbedingten Schmerzen

MAO-Hemmer – Mono-Amino-Oxidase-Hemmer

MBCT – Mindfulness-Based Cognitive Therapy

MBFT – Mindfulness Based Functional Therapy

MBRP – Mindfulness Based Relapse Prevention

MBSR – Mindfulness-Based Stress Reduction

MCS – Minimally Conscious State

MMSE – Mini Mental Status Examination

MOBID – Mobilization-Observation-Behaviour-Intensity-Dementia

MORE – Mindfulness-Oriented Recovery-Enhancement

MPS – Mahoney Pain Scale

MS – Multiple Sklerose

MÜKS – Medikamenten-Übergebrauchs-Kopfschmerz (Kopfschmerz bei Medikamentenübergebrauch)

NCS – Nociception Coma Scale

NGF – Nerve growth factor (Nervenwachstumsfaktor)

NIDA-Modified ASSIST – National Institute on Drug Abuse Quick Screen

NMDA – N-Methyl-D-Aspartat

nNOS1 – neuronale Stickstoffmonoxid-Synthase

NOA – Nicht-Opioid-Analgetika

NOPPAIN – Non-Communicative Patient’s Pain Assessment Instrument

NPAT – Nonverbal Pain Assessment Tool

NRS – Numerische analoge Rating-Skala

NSAR/NSAID – Nichtsteroidale Antirheumatika / Nonsteroidal Anti-Inflammatory Drugs

NVPS – Adult Nonverbal Pain Scale

OA – Opioidanalgetika

OiH – opioidinduzierte Hyperalgesie

ORT – Opioid Risk Tool

PACSLAC – Pain Assessment Checklist for Seniors with Limited Ability to Communicate

PADE – Pain assessment for the dementing Elderly

PAG – periaquäduktales Grau

PAIC – Meta-tool Pain Assessment in Impaired Cognition

PAIN – Pain Assessment and Intervention Notation

PAINAD – Pain Assessment in Advanced Dementia Scale

PAINE – Pain Assessment in Noncommunicative Elderly Persons

PATCOA – Pain Assessment Tool in Confused Older Adults

PBM – Pain Behavior Measure

PDUQ – Prescription Drug Use Questionnaire

PFK – Präfrontaler Kortex (PFC: Prefrontal Cortex)

PK – Parkinson-Krankheit

PMQ – Pain Medication Questionnaire

POAC – Prescription Opioid Abuse Checklist

POATS – Prescription Opioid Addiction Treatment Study

PODS(CS) – Prescribed Opioid Difficulty Scale (Concern Scale)

POINT – Pain and Opioids IN Treatment (Studie)

POTQ – Prescription Opioid Therapy Questionnaire

POUD – Prescription opioid use disorder

PPQ – Proxy Pain Questionnaire

PTBS/PTSD – posttraumatische Belastungsstörung / Post-Traumatic Stress Disorder

RAC – Reward-Aversion-Circuity (Verhaltenssteuerungssystem, »Belohnungssystem«)

RADARS – Researched Abuse, Diversion and Addiction-Related Surveillance

RDS – Reward Deficiency Syndrome

REMS – Risk Evaluation and Mitigation Strategy der FDA

REPOS – Rotterdam Elderly Pain Observation Scale

RVM – rostroventromediale Medulla

SNRI – Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer

SOAPP – Screener and Opioid Assessment for Patients with Pain

SOAPP-R – Revised Screener and Opioid Assessment for Patients with Pain

SSRI – Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer

STAR – Screening Tool for Addiction Risk

TENS – transkutane elektrische Nervenstimulation

TROUP – Trends and Risks of Opioid Use for Pain (Studie)

SUQ – Substance Use Questionnaire

TAD – trizyklische Antidepressiva

UAW– unerwünschte Arzneimittelwirkung

UWS – Unresponsiveness Wakefulness Syndrome

VAS – visuelle Analog-Skala

VRS – verbale Rating-Skala

VS – Vegetative State (Wachkoma)

WDR – Wide-Dynamic-Range (WDR-Neurone)

ZOPA – Zurich Observation Pain Assessment

 

Geleitworte

 

 

Geleitwort Prof. Dr. Birgit Kröner-Herwig

Lieber Leser, freuen Sie sich! Der Titel des Buches verspricht sehr viel weniger als das Buch leistet! Er verspricht die Fokussierung auf ein eingegrenztes Thema: Schmerzmittelabhängigkeit im Alter, betrachtet aus der fachlichen Perspektive eines Gerontopsychiaters. Sie wollen vielleicht mehr wissen über Schmerzen. Sie sind nicht nur an Altersabhängigkeit interessiert und kein Psychiater!

Dann wartet ein Buch auf Sie, dass eine sehr viel breitere Perspektive auf Schmerz hat als gedacht. Jeder Gegenstandsbereich, den Sie im Inhaltsverzeichnis finden, wird sozusagen »rundherum« beleuchtet. Die dem Autor innewohnende »Interdisziplinarität« vermittelt eine differenzierte und vielschichtige Sicht auf den Menschen mit Schmerzen, wie ich es selten zuvor erlebt habe. Schon die Einleitung macht dem Leser Lust auf die folgenden Seiten.

Ein besonders gutes Beispiel für den gesamten Tenor des Buches sind Kapitel 1 und 2 zu den biologischen und psychologischen Grundlagen, die kohärent dargestellt sind, dabei mit einer fachlichen Brillanz und gleichzeitig persönlichen Sprache. Herr Wolter vermag die verschiedenen professionellen Sichten zu vereinen, mit der Folge, die Leser in diese »Welt« mit zu ziehen. Sein Stil ist von Klarheit und der Bemühung um Anschaulichkeit geprägt. Auch die folgenden Kapitel sind von einer empirisch verankerten Wissenschaftlichkeit geprägt, die mir sehr gefallen hat. Alle Aussagen beruhen nicht nur auf Konsensanschauungen und persönlichen Überzeugungen, sondern Herr Wolter sucht immer nach der empirischen »Wahrheit«, der er sich verpflichtet fühlt. Dabei kennzeichnet er mutig ihre blinden Flecken und Widersprüche. Gleichzeitig werden auf eine wohltuende Weise seine persönlichen Auffassungen deutlich, die er immer als solche kennzeichnet.

Besonders hinweisen möchte ich auf die didaktische Motivation des Autors, der die Texte mit Abbildungen, Tabellen, »Geschichten« anzureichern weiß, sodass die Wissensaufnahme nicht nur aus dem Lesen von Buchstabenreihen besteht, sondern letztendlich aus Verstehen und dem Erwerb von Einsichten. Dies hat zur Folge, dass ein sehr differenziertes Bild der Besonderheiten von Schmerzen im Alter gezeichnet wird, das eben so ist, wie es ist: kompliziert und z. T. widersprüchlich, wie häufig die Befunde der empirischen Wissenschaft. Dies macht es manchmal etwas schwer, ein Kapitel in einem Rutsch durchzulesen, da Herr Wolter immer das Bedürfnis hat, bis in die Tiefe der Dinge durchzudringen.

Ich möchte den Leser anhalten, in jedem Fall die Kapitel 1, 2 und 3 flüssig und im Zusammenhang zu studieren, sich dann aber sehr gezielt erst einmal das Eine oder Andere aufgrund des eigenen Wissensbedarfs und des eigenen Interesses »einzuverleiben«.

Man wird in jedem Kapitel Fakten finden, die einem persönlich neu sind (mir in den Kapiteln 7 und 8), sich auch vielleicht manchmal überfordert fühlen durch die vielen Details. Deshalb beim Lesen immer auf die Dosis achten, die für einen selbst bekömmlich ist, und hedonistischen Motiven Vorrang geben vor leistungsbezogenem »Herunterschlingen«.

Es ist ein Fachbuch, das die Lust und das persönliche Interesse des Autors an diesem Thema deutlich zeigt und im Zusammenhang mit der hohen wissenschaftlichen Kompetenz, die fachübergreifend ist, den Leser mitreißt.

Prof. Dr. Birgit Kröner-Herwig

Leiterin der Abteilung für Klinische Psychologie und Psychotherapie am Georg-Elias-Müller-Institut für Psychologie der Georg-August-Universität Göttingen

Geleitwort Prof. Dr. Dr. Gereon Heuft

Von welch großer Relevanz die Schmerzthematik bei Älteren ist, belegt ein Bonmot, das man von über 60-Jährigen immer wieder hört: »Wenn ich morgens aufwache und mir nichts mehr weh tut, bin ich tot!« Dieser Ausspruch scheint oft einen selbsttröstenden Charakter zu haben: Schmerzen gehören eben zum Alternsprozess unvermeidlich dazu. Dass diese Annahme in dem vorliegenden »Schmerzbuch« bereits in der Einleitung hinterfragt wird, macht auf die weitere Lektüre neugierig. Nach einer anspruchsvollen und dicht gedrängten Darstellung der neurobiologischen Grundlagen des Schmerzes, die selber Betroffene vermutlich eher überblättern werden, sind die dargestellten Grundlagen der Zusammenhänge zwischen Emotionen und Schmerz auch für den interessierten Laien mit den Unterscheidungen zwischen Angst, Furcht und Ängstlichkeit, den tageszeitlichen Schwankungen der Schmerzwahrnehmung und des Einflusses des Geschlechtes leichter allgemein verständlich und nachzuvollziehen.

Das Kapitel über die Besonderheiten von Schmerzen im höheren Lebensalter zentriert dann noch einmal auf die grundsätzliche Zielrichtung des Werkes, in dem im weiteren Verlauf auch der Zusammenhang von Schmerz und demenziellen Erkrankungen, depressiven Störungen und anderen psychischen sowie neurologischen Erkrankungen dargestellt wird. Besonders interessant, weil sonst wenig thematisiert, ist das Kapitel über die Schmerzauslösung durch Neuropsycho-Pharmaka und natürlich der Abschnitt zum zweiten Hauptthema des Buches, der Schmerzmittelabhängigkeit Älterer.

Das Kapitel über die Behandlung und Begleitung von Schmerzpatienten aus gerontopsychiatrischer Sicht führt neben den bewährten psychodynamischen Therapieansätze und verhaltenstherapeutischen Behandlungsstrategien auch viele therapeutische Ansätze auf, die für sich noch nicht in Anspruch nehmen können, evidenzbasiert zu sein

Zahlreiche Schemazeichnungen und textliche Hervorhebungen erleichtern das Verständnis der zum Teil sehr komplexen Zusammenhänge des Buches, das seinen Platz überall dort haben sollte, wo »Altersmedizin« betrieben wird, d. h. letztlich in jeder niedergelassenen Praxis und nahezu in jeder Krankenhausabteilung, wo die Thematik auch einen festen Platz in den Weiterbildungscurricula der nachfolgenden Fachärztegeneration haben sollte. Denn Medizin wird in Zukunft auch immer Altersmedizin sein.

Und wie gesagt: Vielleicht traut sich auch der eine oder andere interessierte Laie an die Lektüre dieses gehaltvollen Buches, um die Erfahrung zu machen, dass er auch als älterer Mensch darauf hoffen kann, dass ihm sowohl psychosomatisch-psychotherapeutisch, gerontopsychiatrisch oder/und medikamentös zu helfen sein wird.

Prof. Dr. Dr. med. Gereon Heuft

Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Münster

Geleitwort Prof. Dr. Hans Gutzmann

Ohne die Fähigkeit, Schmerzen zu empfinden, gäbe es die Menschen schon lange nicht mehr, auch wäre die Lebenserwartung nicht in dem beobachteten Maße angestiegen. Auf Schmerzen als Warnzeichen müssen wir uns verlassen können. Während neurobiologische Bedingungen die Grundlage für das Phänomen Schmerz bilden, sind es gerade die psychischen Prozesse, die sich modulierend und überformend auf das Schmerzerleben auswirken. Das Ausmaß der subjektiv empfundenen Schmerzen ist deshalb in manchen Fällen nur wenig mit dem Umfang einer tatsächlichen oder möglichen Gewebeschädigung verknüpft. Auch die Antizipation von Schmerzen allein kann bereits in funktionelle Einschränkungen münden. Umgebungsfaktoren können ebenso zu einer Verschlimmerung oder Exazerbation chronischer Schmerzen führen wie individuelle psychische Faktoren. Die hier nur angedeutete Verschränkung von Soma und Psyche im Schmerzerleben wird in der vorliegenden Schrift umfassend beleuchtet. Nicht nur die neurobiologischen Grundlagen, sondern auch psychologische Schmerzkonzepte werden exemplarisch behandelt und gewinnen dank zahlreicher didaktischer Hilfen große Anschaulichkeit.

Fast alle psychischen Erkrankungen gehen mit einer veränderten Schmerzwahrnehmung einher, sei es wegen einer verschobenen Schmerzschwelle oder einer veränderten Schmerztoleranz, sei es dass das Phänomen überhaupt nicht in der Körperperipherie, sondern allein im Gehirn generiert wird. Namentlich Affekte, besonders Depressivität und Angst, erweisen sich dabei als zentrale Schmerzmodulatoren. Darüber hinaus beeinflussen Konzentration und Aufmerksamkeit ebenso wie Lernen und weitere kognitive Prozesse den Schmerz und sein Erleben.

Schmerzen sind im Alter häufig, wir wissen aber noch zu wenig darüber. Entgegen einer weitverbreiteten Auffassung findet sich keine generelle Zunahme von Schmerzen im Alter, vielmehr ist die Altersverteilung für verschiedene Schmerzformen unterschiedlich. Ihre frühe Erfassung, Diagnose und Behandlung ist noch weitgehend unzureichend. In besonderem Maß gilt dies für Patienten mit psychischen Erkrankungen im Alter. Die Gründe sind vielfältig. Auf Seiten der Ärzte sind Insuffizienzen in der Aus- und Weiterbildung ebenso anzuschuldigen, wie das auch Ärzten nicht fremde negative Stereotyp vom »naturgemäß leidgeplagten Alter«, das durch das Stigma »psychische Erkrankung« eine Potenzierung erfahren kann. Auf Seiten der Patienten bergen die verschlungenen Wege von der Schmerzwahrnehmung zum Schmerzerleben und schließlich zu dessen Schilderung Gefahren vielfachen Missverständnisses. Exemplarisch deutlich wird dies im Abschnitt Schmerzen und Demenz, einem in der Versorgungspraxis zunehmend mehr wahrgenommenen Problemkomplex.

Wenn dann aber das Problem ärztlicherseits wahrgenommen wird, werden nicht selten diverse Apparate bemüht. Die oft erheblichen Diskrepanzen zwischen apparativen Befunden einerseits und subjektiv erlebter Schmerzintensität sowie funktionellen Beeinträchtigungen andererseits können in der Folge das Arzt-Patienten-Verhältnis gravierend belasten. Wenn dann eine eskalierende Pharmakotherapie nicht zum erwünschten Ergebnis der Schmerzfreiheit führt, ist das Vertrauen in den Arzt ernstlich kompromittiert. Die Folgen unzureichend therapierter Schmerzen sind gerade bei alten Patienten schwerwiegend, es drohen Verzögerungen des Genesungsverlaufs bis hin zur Chronifizierung. Nicht kontrollierte Schmerzen können neben der körperlichen Einschränkung im täglichen Leben zu einem Verlust der Autonomie und sozialen Beeinträchtigungen und schließlich zur Isolation führen. Das pharmakotherapeutische Schwergewicht dieses Buches liegt auf den Neuro-Psycho-Pharmaka. Ihr Einsatz birgt eine Reihe von Risiken, an die auch Fachleute immer wieder erinnert werden müssen. Zusätzlich droht die in diesem Buch hervorragend dargestellte Gefahr, dass der Versuch der Schmerzbehandlung in Missbrauch oder Abhängigkeit von Schmerzmitteln mündet. Besonders empfohlen sei dem Leser hier der Abschnitt über die Opiatanalgetika. Aber auch jenseits dieser Gefahr sind psychische Erkrankungen im Alter eine Herausforderung für eine gute Schmerztherapie. Die Präsentation kann durch kognitive Einbußen erschwert, die Therapieresponse kann verändert und die Rehabilitation wegen verzögerter oder gar verminderter funktioneller Recovery eingeschränkt sein. Deshalb ist es von besonderer Bedeutung, dass der Autor am Ende des Buches in einem kritischen Überblick auch die nichtmedikamentösen psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten beleuchtet. Er schließt mit dem vorsichtig optimistischen Hinweis, dass Ältere sich vielleicht dadurch besonders von Jüngeren unterscheiden, dass sie sich eher als diese das Ziel setzen, mit den Schmerzen fertig zu werden.

Das sollte man im Auge behalten, daran versuchen anzuknüpfen, wenn man schmerzgeplagte alte Menschen behandelt. Es dürfte schwer fallen, eine andere Publikation zu finden, in der die Psychiatrie des Schmerzes im Alter so ausführlich und systematisch dargestellt wird.

Prof. Dr. Hans Gutzmann

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Gerontopsychiatrie und -psychotherapie, Berlin

Geleitwort Prof. Dr. Jürgen M. Bauer

Nur wenige klinische Symptome weisen im Alter eine dem Schmerz vergleichbare hohe Prävalenz auf und besitzen eine ähnlich große Relevanz für die Lebensqualität in dieser Patientengruppe, wobei in diesem Kontext die Auswirkungen einer unzureichenden Schmerztherapie auf Mobilität, emotionale Befindlichkeit und soziale Teilhabe der Betroffenen der besonderen Berücksichtigung bedürfen. Gerade im höheren Lebensalter kommen sehr unterschiedliche Entstehungsmechanismen des Schmerzes zum Tragen. Dies trifft sowohl auf den akuten alsauch auf den chronischen Schmerz zu. Komplizierend erschweren zahlreiche Komorbiditäten, wie kognitive und kommunikative Störungen sowie die altersassoziiert sich verändernde Pharmakokinetik, die Diagnostik und Therapie. Dieser komplexen Behandlungssituation gilt es gerecht zu werden, um zum einen eine Schmerztherapie erfolgreich gestalten zu können und um zum anderen die gerade für den älteren Patienten oftmals verhängnisvollen Nebenwirkungen einer Schmerztherapie zu vermeiden oder sie zumindest zu verringern.

Für diesen anspruchsvollen Behandlungsansatzes bedarf es profunder Kenntnisse, sodass jeder Arzt, der täglich ältere Patienten versorgt, und insbesondere jeder Geriater ein guter Schmerztherapeut sein sollte. Das vorliegende Buch ist eine sehr wertvolle Informationsquelle, die auf den umfangreichen Erfahrungen des Autors und seiner Kenntnis der aktuellen Literatur beruht. Es kann uns helfen, unserem Anspruch einer verantwortungsvollen medizinischen Versorgung des älteren Patienten zukünftig noch besser gerecht zu werden. Daher wünsche ich dieser Publikation von Herzen eine große Leserschaft.

Prof. Dr. Jürgen M. Bauer

Professor für Geriatrie der Universität Heidelberg

Ärztlicher Direktor des AGAPLESION Bethanien Krankenhauses Heidelberg

Präsident der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie

Geleitwort Prof. Dr. Anil Batra

Schmerzerkrankungen erfassen den Menschen in all seinen Lebensbereichen: körperliche, psychische und psychosoziale Einschränkungen reduzieren im Lauf einer Schmerzerkrankung Mobilität, soziale Vernetzung und Lebensqualität des Betroffenen. Wenn auch anfangs noch die körperliche Symptomatik im Vordergrund steht, so erfasst der Schmerz bald auch das psychische Wohlbefinden – Isolation, Verbitterung, Einschränkungen im Umgang mit anderen Personen und vieles mehr sind für den Erkrankten wie auch die nahen Bezugspersonen spürbar.

Schmerzerkrankungen treten in jedem Lebensalter auf – und in jedem Lebensalter sind die Konsequenzen im beruflichen und privaten Bereich erheblich. Während dem Jüngeren die eigene Einschränkung im Vergleich zu gleichaltrigen peers zusätzliche Pein verursacht, hat der ältere Mensch mit begleitenden körperlichen Gebrechen, reduziertem psychosozialen Spielraum und anderen Lebensaufgaben oftmals weniger Ressourcen zur Kompensation des Schmerzes im Alltag zur Verfügung.

Schmerzmittel mindern das Leid – kurzfristig. Sie sind wirksam, solange der organische determinierte Schmerz im Vordergrund steht, solange noch keine Toleranzentwicklung eingesetzt und die körperliche Abhängigkeit nicht eine zusätzliche Einschränkung der Freiheit mit sich bringt. Oftmals gewinnen Schmerzmittel ihren Verstärkerwert nicht allein durch die physiologische Wirkung auf die Schmerzen – psychotrope Effekte, soziale Verstärker, wenn die Alltagstätigkeiten wieder ausgeübt werden können, und die Veränderung der psychischen Situation sind relevante kurz- und langfristige Konsequenzen. Je größer der Verstärkerwert, je umfassender die individuelle funktionale Bedeutung der Schmerzmittel, umso größer ist die Gefahr einer sekundären Abhängigkeit oder die Entwicklung eines eigenständigen Schmerzmittelabusus und einer –abhängigkeit jenseits der Bedeutung der Substanz in der unmittelbaren Schmerzbekämpfung.

In diesem umfassenden Werk werden alle thematisch relevanten Bereiche – von der Neurobiologie des Schmerzes über epidemiologische und psychosoziale Faktoren – berücksichtigt. Die Zielsetzung, den älteren Menschen im Mittelpunkt der Behandlung, aber auch bei der Entstehung der Problematik und im Kontext einer möglicherweise bestehenden Multimorbidität zu sehen, ist neu und wird der Bedeutung dieser Gemengelage in vorbildlicher Weise gerecht.

Dabei wird deutlich: Analgetika sind gleichzeitig auch Suchtmittel! Umso wichtiger ist bei der Behandlung des Schmerzsyndroms auch die Entstehung einer körperlichen wie auch einer psychischen Abhängigkeit von Schmerzmedikamenten im Blick zu behalten.

Die »stille Sucht«, die iatrogen eingeleitete und unbemerkt sich entwickelnde Abhängigkeit von psychotropen Substanzen – Analgetika wie auch Tranquilizern, Sedativa und Hypnotika – ist bei Schmerzpatienten generell und bei Schmerzpatienten im Alter eine langfristige Konsequenz, die im Fall der mangelhaften Verträglichkeit, Überdosierung, Toleranzentwicklung und Entzugsproblematik bei Dosisreduktion den Kreis der Helfenden gezwungenermaßen um Psychiater und Psychotherapeuten erweitert.

Psychische Abhängigkeit und körperliche Abhängigkeit liegen dicht beieinander. In der Behandlungsplanung sind sowohl pharmakologische Unterstützungen als auch eine psychotherapeutische Begleitung des Patienten vorzusehen. Wichtige Behandlungsschritte sind hierbei immer die Psychoedukation, Techniken zur Motivationsförderung sowie kognitiv-verhaltenstherapeutische Maßnahmen im engeren Sinne. Dabei geht es in erster Linie um eine Motivationsförderung, aber auch einen erfolgreich bewältigten Entzug und eine Berücksichtigung der Funktionalität der Schmerzmitteleinnahme jenseits der Schmerzreduktion. Dies gibt der psychotherapeutischen Vorgehensweise mit Hilfe von verhaltenstherapeutischen Methoden einen starken Stellenwert in der Behandlung.

Mit der Berücksichtigung des Abhängigkeitsthemas in der Schmerzthematik hat dieses Buch einen wichtigen, soliden Grundstein für die Prävention von Abhängigkeitssyndromen wie auch die begleitende suchttherapeutische Behandlung bei Schmerzpatienten gelegt.

Bemerkenswert ist neben der umfassenden Bearbeitung der Thematik insbesondere auch die Offenheit des Buches gegenüber neuen psychotherapeutischen Verfahren.

Dem Autor sei an dieser Stelle herzlich für die umfassende und wegweisende Darstellung dieser Thematik gedankt.

Prof. Dr. med. Anil Batra

Stellv. Ärztl. Direktor und Leiter der Sektion Suchtforschung und Suchtmedizin der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Tübingen

Past-President der Deutschen Gesellschaft für Suchtforschung und Suchttherapie

 

Vorwort

 

 

Klagen von Patienten über Schmerzen, aber auch offensichtliche Beeinträchtigungen durch Schmerzen sind in der Alterspsychiatrie an der Tagesordnung. Doch das Wissen der Gerontopsychiater über Schmerzen ist nur selten umfassend. Schmerzen stehen nicht im Mittelpunkt, ein nicht selten als lästig empfundenes »Begleitsymptom«, gegen das dann nur en passant irgendetwas unternommen wird. Gerne wird z. B. eine somatische Vormedikation unhinterfragt fortgeführt.

Müssen unsere Patienten manchmal mehr Schmerzen erleiden als nötig wäre? Lösen Schmerzen manchmal psychische Symptome aus oder verstärken sie zumindest? Oder ist unsere psychiatrische Behandlung manchmal Grund für Schmerzen unserer Patienten? Rufen wir vielleicht manchmal durch Schmerzmittel psychische Symptome oder andere Beschwerden hervor? Wären nicht mitunter andere Maßnahmen als analgetische Medikamente sinnvoll, und falls ja: was empfiehlt sich besonders? Können wir tatsächlich mit »unseren« Psychopharmaka auch Schmerzen lindern, und wenn ja, auf welche Weise? Wer bestimmt eigentlich beim beliebten Instrument der Bedarfsmedikation, wann der Bedarfsfall eingetreten ist? Werden dann mitunter Patienten »bestraft«, indem ihnen eine Schmerztablette (zunächst) vorenthalten wird, oder wird ein Machtgefälle ausgekostet, indem man sie darum betteln lässt? Und wenn sie darum betteln, sind sie dann »süchtig«? Damit zusammenhängend, last but not least: Wie steht es eigentlich mit dem Suchtrisiko von Schmerzmitteln, insbesondere der Opioidanalgetika? Das Spektrum der Einstellungen reicht hier vom unbewussten Klischee »Die sind ja alle süchtig« bis hin zum unhinterfragten Dogma, dass bei gezielter Schmerzbehandlung praktisch keinerlei Suchtgefahr bestehe.

Es liegt nahe, bei solchen Fragen Hilfe beim Schmerzmediziner zu suchen. Sind damit dann die Probleme gelöst? Leider nicht immer, und manchmal beschleicht den Gerontopsychiater gar die unangenehme Frage, ob denn auch überall Schmerzmedizin drin ist, wo Schmerzmedizin drauf steht – oder anders gefragt: Kann man sich wirklich darauf verlassen, dass ein Arzt mit der Zusatzbezeichnung Schmerzmedizin mehr tut, als mit Analgetika und Koanalgetika zu jonglieren?

Fragen über Fragen, die sich umso weniger verdrängen lassen, je länger man in der Gerontopsychiatrie tätig ist. Und so war die Zeit reif für dieses Buch.

Schmerzfachleute, die sicherlich über viele Passagen in diesem Buch die Stirn runzeln werden, möchte ich um Nachsicht bitten: es ist nur der Versuch eines Gerontopsychiaters, sich dieses Feld zu erarbeiten. Gleichwohl hoffe ich, dass das Buch eine Brücke schlägt, dass Schmerzfachleute und Geriater von den zusammengetragenen psychiatrischen Bausteinen profitieren mögen und Gerontopsychiater von den schmerzspezifischen. Und vielleicht vermag es auch dazu beizutragen, den Dialog zwischen Schmerzmedizinern und Suchtmedizinern zu beleben und das gegenseitige Verständnis der unterschiedlichen Sichtweisen zu fördern, zwischen denen sich mitunter tiefe Gräben auftun.

Trotz des breiten Themenspektrums kann und will dieses Buch kein schmerzmedizinisches (Lehr-)Buch ersetzen, dazu fehlt mir einerseits die Fachkompetenz und andererseits ist meine Perspektive zu spezifisch und selektiv; systematische Darstellungen von Schmerzdiagnostik, Pharmakotherapie, technischen nichtpharmakologischen Therapieverfahren und Physiotherapie fehlen in diesem Buch, und auch der gesamte Bereich der Malignomerkrankungen ist ausgeklammert.

Die Erkennung und Einordnung von Schmerzen, ihre Behandlung sowie der angemessene Umgang mit Patienten, die Schmerzen erleben und darüber (nicht) klagen, erfordern eine Herangehensweise, die die klassischen Grenzen der medizinischen Fächer überschreitet. Dieses interdisziplinäre Denken kommt in den Geleitworten zum Ausdruck, mit denen namhafte Experten aus den Bereichen Schmerzmedizin bzw. -psychologie, (Geronto-)Psychosomatik, Gerontopsychiatrie, Geriatrie und Suchtmedizin dieses Buch auf die Reise schicken und denen ich hierfür herzlich danken möchte.

Die Arbeit an diesem Buch hat fast zwei Jahre gewährt. Ich danke meiner Frau und meiner kleinen Tochter sehr dafür, dass sie meine häufige (mentale wie physische) Abwesenheit in dieser Zeit geduldig ertragen haben – meiner Frau aber auch dafür, dass ich von ihrer physiotherapeutischen Expertise sehr profitieren konnte.

Ohne Anstöße und Hilfe von sowie Reibungen mit zahlreichen anderen Menschen hätte dieses Buch nicht entstehen können, ich danke herzlich: beim Kohlhammer Verlag Dr. Rupert Poensgen, der meine Idee von Anfang an positiv aufgenommen und mir den Weg geebnet hat, sowie Anita Brutler und Dominik Rose, die die Entstehung des Buches durch ihre zuverlässige und konsequente Begleitung erst ermöglicht haben: es war ein sehr schönes Hand-in-Hand-Arbeiten. Mein Dank gilt auch den zahllosen Patienten, Mitarbeitern/-innen und Kollegen/-innen, durch die und mit denen ich in Münster, Haugesund, Wasserburg a. Inn, Haderslev und Aabenraa viel gelernt habe und immer noch lerne. Für feed-back, inhaltliche Diskussionen und die Überlassung wichtiger Informationen danke ich herzlich: Prof. Dr. Karl-Jürgen Bär, Dr. Miles Belgrade, Dr. Mary-Ann Fitzcharles, Prof. Dr. Herta Flor, Dr. Eric Garland, Prof. Dr. Monika Hasenbring, Prof. Dr. Winfried Häuser, Prof. Dr. Gereon Heuft, Dr. Jette Højsted, Prof. Jürgen Hoyer, Prof. Dr. Birgit Kröner-Herwig, Prof. Dr. Miriam Kunz, PD Dr. Matthias Schuler, Prof. Dr. Stefan Seidel, Dr. Peter Cremer-Schaeffer sowie dem am 24.12.2015 verstorbenen Dr. Lutz M. Drach.

 

1          Einleitung

 

 

Wer Schmerzen verspürt, sucht gern nach einer Erklärung, einer Ursache. In unserem technisierten Zeitalter mit seinem hochgerüsteten Medizinbetrieb werden hierfür die verschiedensten technischen Untersuchungsverfahren angeboten, von einfachen Laboruntersuchungen bis hin zur Kernspintomographie. Doch oft, ja sogar sehr oft, gibt es eine erhebliche Diskrepanz zwischen solchen apparativen Befunden einerseits und der subjektiv erlebten Schmerzintensität und den funktionellen Beeinträchtigungen andererseits. Eine Diskrepanz in beide Richtungen: schwerste degenerative Veränderungen an der Wirbelsäule können ein Zufallsbefund sein bei Menschen, die keinerlei bedeutsame Beschwerden haben, und umgekehrt können erhebliche Funktionseinschränkungen und massive Schmerzklagen vorliegen, obwohl die bildgebenden Untersuchungen mehr oder weniger nichts Pathologisches zeigen. Das gilt auch im Alter. Für Funktionseinschränkungen und Behinderungen im Alltag sind organmedizinische Befunde nicht ausschlaggebend (Weiner 2015, Weiner et al. 2004), was interessanterweise nicht nur für Menschen gilt, sondern auch im Tierversuch gezeigt werden konnte (McDougall et al. 2009). Eine Eskalation von unnötiger technischer Untersuchungen ohne erkennbaren Nutzen ist oft die Folge (Weiner 2015). Die moderne naturwissenschaftlich ausgerichtete Medizin reagiert auf (chronische) Schmerzen mit einer Eskalation von apparativer Diagnostik und Pharmakotherapie, die aber nicht immer zu einem befriedigenden Ergebnis führt: chronische Nicht-Tumorschmerzen (CNTS) können extrem hartnäckig und therapieresistent sein und die Behandler mitunter zur Verzweiflung bringen, weshalb sie auch schon als »Koryphäen-Killer-Syndrom« bezeichnet wurden (Beck 1977).

Der Göttinger Schmerzmediziner Jan Hildebrandt, einer der Wegbereiter für ein modernes Verständnis chronischer Rückenschmerzen in Deutschland, hat diese paradoxe Situation folgendermaßen beschrieben: »Nur etwa 20% der Rückenbeschwerden und Ischialgien werden heute als spezifisch bezeichnet. Hierin sind schwerwiegende Ursachen wie Metastasen und Spondylitiden, rheumatische und metabolische Erkrankungen ebenso eingeschlossen wie radikulär bedingte Syndrome. Die weit überwiegende Mehrzahl der Schmerzen aufgrund von Veränderungen in den Bandscheiben, Facetten- und Iliosakralgelenken, Bändern oder der Muskulatur aber muss als unspezifisch bezeichnet werden, da weder anamnestische Hinweise noch klinische Untersuchungen einschließlich radiologischer Nachweise existieren, um eine sichere Zuordnung zum Schmerz zu gewährleisten. Darüber hinaus sind auch die therapeutischen Konsequenzen aus einer näheren Zuordnung von Struktur zum Schmerz derzeitig unklar. Bei akuten Rückenschmerzen ist eine genauere Differenzierung wegen des schnellen Rückgangs der Beschwerden unnötig, bei chronischen sind psychische Faktoren wie Schmerzverhalten und Schon/Vermeidungs-Einstellungen wesentlich wichtiger als strukturelle oder funktionelle Veränderungen.« (Hildebrandt 2004)

Dabei sind Schmerzen wichtig als Warnsignal vor drohenden Gesundheitsschäden, und zwar nicht nur auf der bewussten Ebene, sondern auch innerhalb der unbemerkt ablaufenden Prozesse in unserem Organismus (image Infobox 1.1).

Infobox 1.1: Der bellende Wachhund der Gesundheit

Das geflügelte Wort vom Schmerz als dem bellenden Wachhund der Gesundheit wird den alten Griechen zugeschrieben (Bromm 2003). Wie sehr diese Metapher zutrifft, veranschaulicht das folgende Beispiel:

»Eine kanadische Frau, die mit einer Indifferenz für schmerzhafte Reize geboren wurde, hatte ansonsten keine sensorischen Defizite und war durchaus intelligent. Obwohl sie früh darauf trainiert wurde, schädlichen Situationen auszuweichen, kam es zu einer Degeneration der Gelenke und der Rückenwirbel, was schließlich zu einer Skelettdeformation, zu Degeneration, Infektion und letztendlich zum Tod im Alter von 28 Jahren führte. Offenbar ist eine geringe Aktivität der Nozizeptoren im Alltag wichtig, um zu signalisieren, dass eine bestimmte Bewegung oder eine länger eingenommene Körperhaltung den Körper zu sehr beansprucht. Sogar während des Schlafens scheinen die Nozizeptoren dafür zu sorgen, dass man sich genügend dreht und wendet, um Verspannungen und ein Wundliegen zu verhindern. Menschen, die erblich bedingt keine Schmerzen empfinden, machen deutlich, dass der Schmerz eine separate Sinnesempfindung ist und sich nicht einfach aus einem Übermaß der anderen Sinnesempfindungen ergibt. Die betroffenen Personen sind für gewöhnlich dazu in der Lage, ganz normal auf andere somatosensorische Sinnesreize zu reagieren. (…) Auf jeden Fall ist ein Leben ohne Schmerz kein Segen.« (Bear et al. 2009, S. 453; Hervorhebung im Original)

Doch der Weg vom Schmerzreiz (Nozizeption) zum Schmerzerleben ist lang und kompliziert. Der Fußballer, der im Rausch eines dramatischen wichtigen Spiels eine klaffende, blutende Wunde überhaupt nicht bemerkt, oder der berühmte Fakir auf dem Nagelbrett sind Beispiele dafür, wie trotz offensichtlicher Verletzung bzw. Reizung von Nozizeptoren keine Schmerzen empfunden werden (Bromm 2003). Schmerzen können sich aber auch verselbständigen, sodass ein eigentlich harmloser Berührungsreiz eine heftige Schmerzreaktion auslöst. Schmerz kann chronisch werden, ja er kann selbst dann empfunden werden, wenn das betreffende Körperteil gar nicht mehr existiert (Phantomschmerz). Die Reizung eines Nozizeptors ist weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung dafür, dass wir Schmerzen wahrnehmen. Diese Zusammenhänge werden in Kapitel 2 erläutert.

Doch das Erleben von Schmerzen ist noch einmal etwas Anderes als die bloße Wahrnehmung.

Das Sich-Hineinsteigern in dunkle, sorgenvolle Gedanken, das Grübeln über mögliche Ursachen und Katastrophenphantasien über mögliche Folgen, Deprimiertheit, Ärger und Anspannung bewirken, dass Schmerzen schlimmer empfunden werden als es in einem entspannten Zustand mit positiven Gefühlen der Fall wäre. Überwachsam auf Schmerzen zu warten, die ganze Aufmerksamkeit darauf zu konzentrieren, ist eine treffliche Voraussetzung dafür, dass es richtig weh tut. Und Angst ist kein guter Ratgeber, wenn es darum geht, wie man sich angesichts von Schmerzen verhalten soll. Die wechselseitegen Zusammenhänge kommen auch zum Ausdruck in alltagssprachlichen Begriffen, wenn etwa die Rede ist vom »Abschiedsschmerz«, wenn es heißt, jemand ist »rasend vor Schmerz« oder dass es »in der Seele weh tut«.

Kapitel 3 will zu verstehen helfen, auf welch vielfältige Art und Weise sich Geist und Seele auf den langen und komplizierten Weg vom Schmerzreiz zum Schmerzerleben auswirken und das Endergebnis, nämlich das Schmerzerleben, wesentlich beeinflussen (image Abb. 1.1).

Images

Abb. 1.1: Vom Schmerzreiz zum Schmerzerleben Nach Tracey 2008, modifiziert

Es gibt viele Klischees über Schmerzen im höheren Lebensalter, Klischees wie sie widersprüchlicher kaum sein könnten:

•  Schmerzen sind bei alten Menschen häufiger als bei jüngeren.

•  Alte Menschen haben weniger Schmerzen als jüngere.

•  Alten Menschen haben zwar mehr Schmerzen, aber Schmerzen gehören unabänderlich zum Alter.

•  Alte Menschen sind zwar weniger schmerzempfindlich als jüngere, jammern aber mehr, sodass daraus der fälschliche Eindruck entsteht, Schmerzen wären im Alter häufig.

•  Die verschiedenen Elemente der schmerzverarbeitenden Systeme altern gleichsinnig und gleich schnell (Gagliese 2009, Molton & Terrill 2014).

Keines dieser Klischees – so viel sei bereits an dieser Stelle verraten – trifft in dieser Form zu. Aber sie markieren entscheidende Fragestellungen für die Gerontologie und die Altersmedizin; in Kapitel 4 wird versucht, Antworten auf diese Fragen zu geben.

Mit Kapitel 5 beginnt der klinische Teil dieses Buchs; hier geht es zunächst darum, wie sich die in Kapitel 3 beschriebenen psychischen Zusammenhänge, Biografie und Persönlichkeit auf die Präsentation von und die Kommunikation über Schmerzen auswirken – Fragen, die für die Begegnung zwischen chronischen Schmerzpatienten und dem »Medizinbetrieb« alles andere als unwichtig sind.

Infobox 1.2 Schmerz – die Definition der IASP (International Association for the Study of Pain)

Schmerz ist eine unangenehme sensorische und emotionale Empfindung, die im Zusammenhang mit einer aktuell vorliegenden oder potenziellen Gewebeschädigung steht oder mit den Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird.

Zur Beachtung:

Das Fehlen verbaler Kommunikationsmöglichkeiten schließt nicht die Möglichkeit aus, dass eine Person Schmerzen erlebt und einer angemessen schmerzlindernden Behandlung bedarf. Schmerz ist immer subjektiv. Jedes Individuum erlernt schon früh im Leben den Gebrauch des Begriffes Schmerz durch Erfahrungen im Zusammenhang mit Verletzungen. Biologen gehen davon aus, dass die Reize, die Schmerzen auslösen, auf Gewebsschädigungen zurückzuführen sind. Dementsprechend ist Schmerz die Empfindung, die wir mit einer aktuell vorliegenden oder potenziellen Gewebeschädigung verbinden. Es handelst sich zweifellos um eine Empfindung in einem oder mehreren Teilen des Körpers, aber es ist auch stets unangenehm und deshalb auch eine emotionale Empfindung. Empfindungen, die Schmerzen ähneln aber nicht unangenehm sind, wie z. B. ein Prickeln, sollten nicht als Schmerz bezeichnet werden. Unangenehme abnorme Empfindungen (Dysästhesien) können schmerzhaft sein, sind es aber nicht unbedingt, weil es sein kann, dass sie subjektiv nicht die sensorische Qualität von Schmerzen haben. Viele Menschen geben Schmerzen an, ohne dass eine Gewebeschädigung oder eine vergleichbare pathophysiologische Ursache vorliegt; gewöhnlich sind psychische Gründe dafür verantwortlich. Es ist gewöhnlich nicht möglich, auf Grundlage der subjektiven Schmerzschilderung diese Empfindungen von solchen Empfindungen zu unterscheiden, die auf eine Gewebeschädigung zurückgehen. Wenn die Betroffenen ihre Empfindungen als Schmerzen ansehen und wenn sie sie in derselben Weise schildern wie Schmerzen aufgrund von Gewebeschädigungen, so sollten sie als Schmerzen akzeptiert werden. Diese Definition vermeidet eine feste Verknüpfung von Schmerz mit dem Schmerzreiz. Eine durch einen nozizeptiven Reiz ausgelöste Aktivität im Nozizeptor oder in den nozizeptiven Leitungsbahnen ist kein Schmerz, Schmerz ist vielmehr immer ein psychischer Zustand, selbst wenn wir meist davon ausgehen mögen, dass Schmerzen eine naheliegende körperliche Ursache haben.

(IASP 2012)

So wenig wie Schmerzen »objektiv« und rein organmedizinisch zu erklären sind, so wenig sind sie andererseits bloße »Einbildung«. Natürlich gibt es körperliche Ursachen, die bei jedem Menschen zu (mehr oder weniger intensiv erlebten) Schmerzen führen. Und so wie Geist und Seele das Schmerzerleben beeinflussen, so wirken sich Schmerzen auf Geist und Seele aus. Diese Auswirkungen können bis zur Auslösung oder Verschlimmerung von psychischen Erkrankungen bzw. psychischen Störungen führen. Umgekehrt ist das Schmerzerleben bei vielen dieser Erkrankungen und Störungen in besonderer Weise verändert. Diese Wechselbeziehungen sind Gegenstand von Kapitel 6, wobei hier neben »rein« psychiatrischen Problemfeldern auch wichtige neuropsychiatrische Krankheitsbilder berücksichtigt werden, denen Gerontopsychiater immer wieder begegnen.

Kapitel 7