Cover

GREG EVERETT

OLYMPISCHES
GEWICHTHEBEN

Das ultimative Handbuch für Athleten und Trainer

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Wichtiger Hinweis

Sämtliche Inhalte dieses Buches wurden – auf Basis von Quellen, die der Autor und der Verlag für vertrauenswürdig erachten – nach bestem Wissen und Gewissen recherchiert und sorgfältig geprüft. Trotzdem stellt dieses Buch keinen Ersatz für eine individuelle Fitnessberatung und medizinische Beratung dar. Wenn Sie medizinischen Rat einholen wollen, konsultieren Sie bitte einen qualifizierten Arzt. Der Verlag und der Autor haften für keine nachteiligen Auswirkungen, die in einem direkten oder indirekten Zusammenhang mit den Informationen stehen, die in diesem Buch enthalten sind.

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info@rivaverlag.de

1. Auflage 2017

© 2017 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Die amerikanische Originalausgabe erschien 2016 bei Catalyst Athletics, Inc., unter dem Titel Olympic Weightlifting. A Complete Guide for Athletes & Coaches.

© 2016 by Greg Everett. All rights reserved.

Produktion der deutschen Ausgabe: MCS Schabert GmbH, München, (www.mcs-schabert.de) unter Mitarbeit von Sigrid Brugger (Übersetzung), Jürgen Brust/Translibri (Übersetzung), Karola Koller (Übersetzung), Carina Wurzinger (Übersetzung) und Dr. Peter Preuß (Fachberatung).

Umschlaggestaltung: Karen Schmidt

Anatomische Illustrationen: Glen Oomen

Satz: MCS Schabert GmbH, München, (www.mcs-schabert.de) unter Mitarbeit von officin 56 GmbH, Brannenburg, (Umbruch)

Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien

Printed in the EU

ISBN Print 978-3-86883-548-9

ISBN E-Book (PDF) 978-3-95971-261-3

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-262-0

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de

Inhaltsverzeichnis

Dank

Zunächst muss ich auf die Verdienste und Beiträge aller meiner Vorgänger hinweisen, seien es Trainer oder Sportler. Mein Respekt vor ihnen ist grenzenlos, unabhängig davon, ob wir bei einzelnen Themen einer Meinung sind oder nicht, denn ihre Leidenschaft, ihr Engagement und ihre Arbeit innerhalb und außerhalb der Trainingsstätten war und ist der Motor für die Entwicklung von Trainings- und Coachingmethoden. Ohne diese Sportler wäre ich nie dahin gekommen, wo ich heute bin.

Der Trainer Mike Burgener hat in meiner Ausbildung eine besonders wichtige Rolle gespielt, denn er war mein erster Trainer und Mentor. Ohne ihn und seine Großzügigkeit würde dieses Buch wahrscheinlich nicht existieren. Ebenso möchte ich den Trainern Bob Morris, John Thrush, Jim Schmitz und besonders Bob Takano für alles danken, was ich von ihnen lernen konnte, und für ihre Unterstützung, die sie mir und diesem Buch auf unterschiedlichsten Wegen seit seiner Erstveröffentlichung zukommen ließen. Viele weitere Trainer haben mir geholfen und mich unterstützt. Ich hoffe, ihr wisst, wer ihr seid.

Selbstverständlich danke ich auch allen meinen Gewichthebern, an denen ich meine Trainingsansätze testen konnte, wobei ich als Trainer kontinuierlich dazulernte. Außerdem danke ich euch dafür, dass ich Fotos von euch in diesem Buch verwenden durfte.

Meiner Frau Aimee gebührt meine tiefste Dankbarkeit. Sie hat meine absurde Entscheidung unterstützt, als ich daranging, meinen Lebensunterhalt mit dem Erstellen von Trainingsmaterialien für eine missverstandene und wenig einträgliche Sportart zu bestreiten. Sie hat mich dorthin gebracht, wo ich bin. Alle Wege aufzuzählen, auf denen sie mich unterstützt hat, würde den Rahmen sprengen. Außerdem möchte ich meiner Tochter Jade für die vielen Wettkämpfe und die vielen Stunden im Fitnessstudio danken und dafür, dass sie Verständnis hatte für meine oft langen Arbeitstage.

Schließlich danke ich Robb Wolf und Nicki Violetti von NorCal Strength & Conditioning dafür, dass sie mich vor Jahren in ihr Studio gebracht und mich davon überzeugt haben, dass ich tatsächlich meinen Lebensunterhalt damit bestreiten kann, das zu tun, was ich liebe.

Vorwort

Vor acht Jahren ist die erste Auflage von Olympic Weightlifting: A Complete Guide for Athletes & Coaches erschienen. Seitdem wurde es zum weltweit erfolgreichsten Werk zu diesem Thema. Als Trainer unterliege ich jedoch durch die Arbeit mit meinen Gewichthebern und den Austausch mit anderen erfolgreichen Trainern einem fortlaufenden Lernprozess, und daraus ergibt sich, dass meine Herangehensweise an bestimmte Elemente des Hebens und Coachens, meine Überlegungen bezüglich einer Trainingsplanung und des Trainings selbst und meine Ansichten zur Betreuung der unterschiedlichsten Gewichthebertypen Veränderungen unterworfen sind. Außerdem konnte ich in all den Jahren erfahren, wie gut die Informationen der vorherigen Auflage bei den Lesern ankamen, wo es häufiger zu Unsicherheiten kam und welche neuen populären Informationen und Praktiken angesprochen werden müssen. Ich habe geeignete Veränderungen vorgenommen, um bei diesen Punkten für Klarheit zu sorgen.

Die neueste Auflage enthält diese Änderungen. Keine davon betrifft wesentliche Kernaussagen, und definitiv widerspricht keine der Aussagen der vorherigen Auflage. Des Weiteren habe ich die Gelegenheit genutzt, Informationsaufbau und -präsentation zu optimieren, damit die Informationen noch besser nutzbar und zugänglich sind. Das Buch enthält deutlich mehr Information – sowohl neue Kapitel als auch Ergänzungen bereits existierenden Materials – und Komponenten, die es als Nachschlagewerk geeigneter machen, wie z.B. ein Register, ein Glossar, mehr Tabellen und zusätzliche Kapitelüberschriften. Schlussendlich wurden die Fotos und Illustrationen optimiert, damit die im Text beschriebenen Konzepte bestmöglich kommuniziert werden können.

Ich bin allen Lesern in größter Dankbarkeit verbunden, die mich und Catalyst Athletics all die Jahre unterstützt haben und es möglich machten, dass wir im Gewichtheben eine Schlüsselrolle einnehmen, wenn es um Information und Ausbildung geht. Ich hoffe, mein ununterbrochener Einsatz zur Vermittlung von mehr und besserer Information, z.B. durch die Neuauflage dieses Buches, bringt diese Dankbarkeit zum Ausdruck.

Greg Everett, Januar 2016

Über dieses Buch

Der Umfang dieses Werkes stellt möglicherweise eine Herausforderung dar. Ich habe jedoch keine Mühen gescheut, um die Inhalte strukturiert und verständlich zu präsentieren. Außerdem wurden hilfreiche Zusammenfassungen und Vereinfachungen aufgenommen, damit es für Leser mit unterschiedlichsten Vorkenntnissen zugänglich und von Nutzen ist. Seit der ersten Auflage im Jahr 2008 wurde es bedeutend verändert, um seiner Zielsetzung immer besser gerecht zu werden.

Das Buch als Ganzes unterliegt einer fortlaufenden Progression. Wir beginnen mit den Grundlagen und vertiefen dann die Details bezüglich der Ausführung und Prinzipien. Ich habe versucht, Redundanzen möglichst zu vermeiden. Deshalb werden zunächst die universellen Prinzipien dargestellt, die dann bezüglich einer bestimmten Hebung später ausführlich erläutert werden. Die hinteren Kapitel bauen oft auf Informationen auf, die in früheren Kapiteln beschrieben wurden. Deshalb empfiehlt es sich, das Buch zunächst von vorn bis hinten zu lesen und dann zu bestimmten Abschnitten zurückzukehren, je nach Wunsch oder Bedarf.

Ich habe Zusammenfassungen eingebaut, um die wichtigsten Punkte eines Abschnitts knapp darzustellen, und zwar aus zwei Gründen: Zum einen festigen sie das gerade Gelesene, und zum anderen stellen sie für weniger erfahrene Gewichtheber oder Trainer ein vereinfachtes System dar, mit dessen Hilfe sie sich auf die praktische Information konzentrieren können, die dann direkt umgesetzt wird. Diese fortlaufenden Zusammenfassungen sind im entsprechenden Abschnitt am Ende des Buches zum schnellen Nachschlagen zusammengefasst.

Anfänger – sei es als Gewichtheber oder als Trainer – können sich zunächst oder ausschließlich auf die Zusammenfassungen jedes Schrittes der Progression konzentrieren und erhalten so einfache und klare Anweisungen, was zu tun ist und wie es zu tun ist. Diese Zusammenfassungen sind fortlaufend durchnummeriert. Später kann man zurückblättern und tiefer in die Details einsteigen, sobald durch die größere Erfahrung die Fähigkeit zunimmt, die Informationen besser zu verstehen und sinnvoll umzusetzen.

Das Inhaltsverzeichnis und das Register helfen dabei, bestimmte Abschnitte oder Themen im Buch zu finden. Am Ende des Buches finden Sie ein Glossar zum schnellen Nachschlagen der einschlägigen Terminologie.

Häufig richtet sich das Buch speziell an Trainer, obwohl es sowohl für Trainer als auch für Sportler gedacht ist. Wenn Sie als Sportler ohne Trainer trainieren, machen Sie nicht den Fehler und fühlen sich vernachlässigt – in diesem Fall sind Sie Ihr eigener Trainer.

Die enthaltenen Fotos sollen bestimmte Aspekte illustrieren und veranschaulichen. Bedenken Sie jedoch, dass es extrem schwierig, wenn nicht unmöglich ist, Bewegungsabläufe und Einzelmomente perfekt einzufangen. Außerdem habe ich so viele Fotos von realen Hebungen im Trainingsgeschehen wie möglich und von vielen verschiedenen Sportlern aufgenommen, um die Wirklichkeit möglichst treffend abzubilden. Die Beschreibung der Übungen im Text hat immer das letzte Wort, falls die Fotos scheinbar die zugehörige Erläuterung nicht perfekt abbilden.

Grundlagen

Funktionsweise des Gewichthebens

Ganz entscheidend für die Entwicklung von Technik und Coaching beim olympischen Gewichtheben ist die kontinuierliche Vertiefung des Verständnisses für die Prinzipien und mechanischen Abläufe. Die Grundprinzipien des Reißens (Snatch), Umsetzens (Clean) und Ausstoßens (Jerk) sind universell, obschon sie unterschiedlich zum Ausdruck kommen. Alle drei Hebevarianten basieren auf der Anwendung von Kraft gegen den Untergrund, um die Langhantel anzuheben und nach oben zu beschleunigen, gefolgt von weiterer Kraftanwendung gegen die Trägheit der angehobenen Langhantel, um den Sportler nach unten zu beschleunigen in eine Position zum Abbremsen der Hantel. Obwohl der Ablauf in Einzelschritten beschrieben wird, erfolgt die optimale Hebung ausgesprochen fließend.

Phasen einer Hebung

Reißen (Snatch) wie auch Stoßen (Umsetzen und Ausstoßen/Clean and Jerk) wird in zwei grundlegende Phasen unterteilt: In der ersten hebt der Sportler die Langhantel mit dem Unterkörper an, in der zweiten wird der Oberkörper, gefolgt vom restlichen Körper unter die angehobene Hantel bewegt (Abb. 1.1).

Wenn man Reißen und Umsetzen einzeln betrachtet, bietet sich zur Erleichterung der Analyse jeweils die Unterteilung in drei Phasen an: 1. Zug, 2. Zug und Umgruppieren. Zusätzlich zu diesen Phasen spricht man von Vorbereitender Stellung, Ausgangsposition, Abbremsen und Endposition. Die 3-Phasen-Methode ist sowohl einfach als auch logisch und eignet sich folglich für die effiziente Kommunikation zwischen Sportler und Trainer.

Vorbereitende Stellung: Diese Position nimmt der Gewichtheber ein, sobald er an die Langhantel getreten ist und bevor er aktiv die Ausgangsposition einnimmt. Es handelt sich um eine entspannte oder halbentspannte Position, die der Gewichtheber mindestens ein paar Augenblicke beibehält, während er sich konzentriert und sein individuelles mentales Ritual vor dem Heben absolviert. Oft umfasst der Sportler dabei die Stange leicht, beugt sich über sie oder verharrt hinter ihr in der Hocke.

Ausgangsposition: Daraus beginnt der Sportler das eigentliche Heben; d. h., dies ist die letzte Position des Gewichthebers, bevor die Langhantel vom Boden angehoben wird. Abhängig vom Stil des Sportlers kann dies eine statische Position sein, die deutlich wahrnehmbar und erkennbar ist, oder der Bewegungsablauf eines dynamischen Starts.

1. Zug: Die Hantel wird vom Boden bis zu dem Punkt angehoben, bei dem das endgültige explosive Beschleunigen einsetzt – wenn die Langhantel ungefähr die Mitte der Oberschenkel erreicht.

2. Zug: Dieser entspricht dem endgültigen ­explosiven Beschleunigen und bringt den Gewichtheber in die vollständige Streckung. Dieser Ablauf ­beinhaltet einen Knievorschub: Er beginnt, wenn sich die Langhantel ungefähr auf der Mitte der ­Oberschenkel befindet, und er endet, wenn der Gewichtheber die maximale Streckung von Knien und Hüfte abgeschlossen hat.

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Abb. 1.1 Reißen (Snatch) und Stoßen (Clean and Jerk) wird in zwei Phasen unterteilt: Diese sind durch die Richtungsänderung der wirkenden Kraft, durch die Bewegungsrichtung von Langhantel und Körper und durch die hauptsächlich für die Entstehung der Kraft und Bewegung verantwortlichen Körperteile gekennzeichnet.

Umgruppieren: Der Übergang von der gestreckten Position in das Abbremsen unter der Langhantel, d. h., der Sportler senkt den Körper unter die Langhantel.

Abbremsen: Die Langhantel hat ihre endgültige Position im Verhältnis zum Körper erreicht – über dem Kopf beim Reißen, vor den Schultern beim Stoßen.

Endposition: Der Sportler bewegt sich aus der Abbremsstellung in den endgültigen Stand, um das Gewicht zur Hochstrecke zu bringen. Beim Reißen bedeutet dies das Aufstehen aus der unteren Position der Reißkniebeuge, beim Stoßen aus der unteren Position der Frontkniebeuge.

In der russischen Literatur werden die Hebungen in drei Abschnitte und sechs Phasen unterteilt. Anhand dieser Unterteilung kann man Hebungen analysieren und spezifische Elemente unterrichten (Medvedyev 1986/1989). Trainer sollten mit diesen Phasen vertraut sein. In diesem Buch kommt allerdings bei der Analyse von Reißen und Stoßen ausschließlich die 3-Phasen-Methode zum Einsatz.

Abschnitt 1 (Zug)

Phase 1: Hier handelt es sich um die erste Kraftanwendung des Sportlers auf die Langhantel. Diese Phase beginnt mit dieser Kraftanwendung und endet, wenn die Langhantel den Boden verlässt, sie kann mit der Ausgangsposition verglichen werden.

Phase 2: Diese Phase beginnt mit dem Abheben der Langhantel vom Boden und endet, wenn der Heber den Knievorschub eingenommen hat. Diese Phase entspricht dem 1. Zug.

Abschnitt 2 (Explosive Knie- und Hüftstreckung)

Phase 3: Sie entspricht im Wesentlichen dem Knievorschub – es handelt sich um die Vorwärtsbewegung der teilgebeugten Knie, wenn der Rumpf sich in die Vertikale aufrichtet. Diese Phase ist der erste Teil des 2. Zuges.

Phase 4: In dieser Phase erfolgt die abschließende Streckung des Körpers nach oben und die Beschleunigung der Langhantel – sie beginnt am Punkt der größten Flexion der Knie beim Knievorschub und endet mit der kompletten Streckung des Körpers. Diese Phase entspricht dem zweiten Teil des 2. Zuges.

Abschnitt 3 (Umgruppieren/Squat Under)

Phase 5: In dieser Phase beginnt der Sportler damit, seinen Körper unter die Langhantel zu senken. Sie beginnt mit der kompletten Streckung des Gewichthebers in Phase 4 und endet, wenn die Langhantel ihre maximale Höhe erreicht (die Langhantel bewegt sich weiterhin nach oben wegen des in der explosiven Beschleunigung entstandenen Trägheitsmoments und weil der Heber eine nach unten gerichtete Kraft zum Abbremsen auf sie ausübt).

Phase 6: Diese letzte Phase beginnt, wenn die Langhantel ihre maximale Höhe erreicht hat, und endet, wenn der Heber sie in der tiefen Hockposition abgebremst hat.

Das Ausstoßen kann zur verständlicheren Darstellung gleichermaßen in Einzelschritte untergliedert werden. Diese Abschnitte decken sich zwar nicht vollständig mit denen beim Reißen und Umsetzen, sind jedoch ähnlich genug, um ein Muster zu erkennen.

Vorbereitende Stellung: Aus ihr beginnt der Heber das Ausstoßen. Sie kann identisch mit der Stellung beim Ausstoßen sein, muss es aber nicht.

Ausgangsposition: Aus dieser Stellung beginnt der Gewichtheber das eigentliche Heben; d. h., der Heber nimmt sie ein, bevor er den Auftakt zum Ausstoßen gibt (Dip).

Auftakt zum Ausstoßen: Beim Auftakt zum Ausstoßen (Dip) werden die Knie gebeugt, um eine elastische Spannung in den Muskeln und in der Langhantel aufzubauen, gleichzeitig wird der Körper in Position gebracht, um mit den Beinen die Langhantel nach oben zu bewegen.

Anstoß (Drive): Die Beine werden kraftvoll in den Untergrund geschoben, um die Langhantel maximal zu beschleunigen und anzuheben.

Treib- und Fallphase (Push Under): Diese Phase entspricht ungefähr dem Umgruppieren beim Reißen und Umsetzen; der Heber bremst die Hantel mit den Armen kontrolliert ab, um so viel von der aufwärts gerichteten Schwungbewegung wie möglich zu erhalten und gleichzeitig den Körper unter die Stange zu senken.

Fixieren: In dieser Stellung wird die Langhantel zur Hochstrecke gebracht. Normalerweise ist dies ein Ausfallschritt, es kann jedoch auch eine Teilkniebeuge oder parallele Kniebeuge sein.

Fixieren und Aufstehen: Hier erfolgt die abschließende Bewegung des Hebers aus dem Fixieren in den Stand. Beim Ausstoßen ist dies das Aufstehen aus dem Ausfallschritt, der Teilkniebeuge oder der parallelen Kniebeuge in eine aufgerichtete Körperhaltung, wobei die Langhantel in der Hochstrecke fixiert wird.

In der russischen Fachliteratur wird auch das Ausstoßen in drei Abschnitte und fünf Phasen unterteilt. Alternativ kann man diese Unterteilung ebenfalls zur Analyse des Hebens und zur Vermittlung spezifischer Elemente verwenden (Medvedyev 1986/1989). Auch wenn manche Trainer diese Unterteilung in der Praxis nicht einsetzen, ist es sinnvoll, sie zu kennen.

Abschnitt 1 (Auftakt zum Ausstoßen)

Phase 1: Diese Phase entspricht dem Auftakt zum Ausstoßen: Die Knie werden aus der ursprüng­lichen Standposition in die untere Stellung der Auftaktbewegung gebracht.

Abschnitt 2 (Anstoßen/Thrust)

Phase 2: Der Auftakt zum Ausstoßen wird abgeschlossen, um die Abwärtsbewegung von Heber und Langhantel zu beenden.

Phase 3: Die Beine werden aus der Auftaktbewegung gegen den Untergrund geschoben, um die Langhantel zu beschleunigen und anzuheben.

Abschnitt 3 (Treib- und Fallphase/Squat Under)

Phase 4: Hier werden die Beine in die Stellung für das Fixieren bewegt – normalerweise den Ausfallschritt – und der Körper in die korrekte Position unter der Stange gebracht.

Phase 5: Die Schlussphase ist das Sichern der Hantel in der Hochstrecke und das Herstellen eines sicheren Standes.

Die Bewegungsgesetze im Gewichtheben

Die Prinzipien, von denen der Erfolg der Bewegungen eines Gewichthebers abhängt, sind in den Bewegungsgesetzen Newtons beschrieben:

Trägheitsgesetz: Ein Körper in Bewegung bleibt in Bewegung, solange keine andere Kraft auf ihn einwirkt, um ihn zu stoppen oder seine Bewegungsrichtung zu ändern. Anders ausgedrückt: Ein Gegenstand wird seine Bewegung oder Ruheposition beibehalten, solange keine Kraft auf ihn einwirkt. Eine Langhantel bleibt auf dem Boden liegen, bis ein Sportler sie anhebt; genauso bewegt sich eine durch einen Sportler in Bewegung versetzte Langhantel weiterhin nach oben, solange die angewendete Kraft und/oder das resultierende Trägheitsmoment größer sind als die in Gegenrichtung auf die Hantel wirkende Erdanziehungskraft. Außerdem bewegt sich die Hantel in jede beliebige Richtung, in die der Sportler sie durch Kraftanwendung bringt (dies wird von Bedeutung sein, wenn der Kontakt der Hantel mit der Hüfte oder den Oberschenkeln während der abschließenden Streckung beim Reißen oder Umsetzen betrachtet wird).

Beschleunigungsgesetz: Das Maß der Veränderung des Trägheitsmoments eines Körpers bzw. seines Bewegungszustands ist proportional zur einwirkenden Kraft und erfolgt längs der Wirkungslinie dieser Kraft. Die Beschleunigung eines Körpers ist proportional zur angewendeten Kraft, aber umgekehrt proportional zu seiner Masse. D. h., eine größere Kraftanwendung auf ein Objekt bewirkt eine größere Beschleunigung dieses Objekts. Je größer aber die Masse dieses Gegenstands, umso geringer ist die Beschleunigung durch eine bestimmte Kraft. Soll die Beschleunigung einer Langhantel erhöht werden, ist mehr Kraft aufzuwenden, und dieselbe Kraft wird eine geringere Beschleunigung bewirken, je größer das Gewicht der Hantel ist.

Gegenwirkungsgesetz: Zu einer Wirkung besteht immer eine entgegengesetzt gerichtete und gleiche Gegenwirkung. Jede Kraft entspricht einer Gegenkraft, und diese ­beiden Kräfte sind gleich groß und entgegengesetzt ausgerichtet. Kraft und Gegenkraft müssen immer als Paar betrachtet werden. Dieses Gesetz wird oft mit den Worten Jede Aktion oder Kraft entspricht einer gleich großen und entgegengesetzten Reaktion oder Gegenkraft ausgedrückt. Wenn ein ­Gewichtheber die Füße in den Boden stemmt, um eine Hantel zu heben, wirkt dieselbe Kraft vom Boden auf den Gewichtheber. Die im Vergleich zur Einheit aus Sportler und Hantel um ein Vielfaches größere Masse der Erde wird in der wahrnehmbaren Bewegung sichtbar, die der Gewichtheber und die Hantel beim Abdrücken vom Boden ausführen. Dieses Gesetz spielt auch eine Rolle, wenn der Sportler Kraft gegen die Masse der angehobenen Hantel aufbringt, um seinen Körper darunter in Position zu bringen.

In der Anfangsphase des Reißens oder Umsetzens bringt der Sportler mit Beinen und Hüfte Muskelkraft gegen den Untergrund auf; dabei wird die Langhantel beschleunigt und angehoben. Wenn der Sportler die höchstmögliche beschleunigende Körperstreckung erreicht hat und sich folglich nicht weiter gegen den Untergrund pressen kann, um die Hantel weiter zu heben und zu beschleunigen, weist die Langhantel ein aufwärtsgerichtetes Trägheitsmoment auf und setzt ihre Aufwärtsbewegung kurzzeitig fort, selbst wenn der Heber keinerlei weitere Kraft einsetzt. Welche Strecke die Langhantel aufgrund ihres Trägheitsmoments zurücklegt, hängt zum einen vom Gewicht der Langhantel ab und zum anderen von der Größe der vom Gewichtheber aufgebrachten Kraft.

Beim korrekt ausgeführten Gewichtheben wird der Heber jedoch an diesem Punkt noch nicht aufhören, Kraft auf die Hantelstange auszuüben. Der Zug auf die Langhantel durch Arme und Hände wird unvermindert ausgeführt, der Sportler übt jedoch mit den Füßen keine Kraft mehr gegen den Untergrund aus. Wie im Gegenwirkungsgesetz beschrieben, führt die Kraftausübung auf die Langhantel ohne gleichzeitiges Pressen gegen den Untergrund dazu, dass einerseits die Langhantel ihre Aufwärtsbewegung fortsetzt und der Heber im Gegenzug die Abwärtsbewegung beginnt bzw. fortsetzt. Welche Strecke die beiden Körper im Verhältnis zueinander zurücklegen, hängt von ihrer relativen Masse und der Größe des Trägheitsmoments der Langhantel ab. Je schwerer also die Langhantel im Verhältnis zum Sportler ist und je langsamer sie sich bewegt, desto geringer wird die von ihr nach oben zurückgelegte Strecke sein und desto weiter wird sich der Sportler nach unten bewegen. (Hier ist außerdem der Einfluss der Schwerkraft zu berücksichtigen, die die Abwärtsbewegung des Hebers unterstützt und die Aufwärtsbewegung der Langhantel bremst.)

Zusammengefasst: Im 1. Abschnitt des Hebens (1. und 2. Zug) bringt der Heber mit dem Unterkörper Kraft gegen den Boden auf, um die Langhantel anzuheben. Im 2. Abschnitt (Umgruppieren) bringt der Heber mit dem Oberkörper Kraft gegen die Langhantel und deren Trägheitsmoment auf, um den Körper nach unten zu bewegen.

Standreißen und Standumsetzen unterscheiden sich vom Reißen und Umsetzen bezüglich des Zusammenspiels von Kraftanwendung, Masse der Langhantel und Masse des Sportlers. Übt ein Heber maximale Kraft auf die Langhantel aus, wird die Intensität, mit der diese Kraft abgebremst werden muss, ausschließlich von der Masse der Langhantel und der Masse des Sportlers bestimmt. Eine leichtere Langhantel erfährt also eine größere Beschleunigung und legt eine längere Strecke zurück, eine schwerere wird weniger beschleunigt und legt eine kürzere Strecke zurück.

Der Heber kann den Aufwand an Kraft kontrollieren. Eine leichte Langhantel kann in der parallelen Kniebeuge aufgenommen werden, indem die zum Anheben aufgebrachte Kraft verringert wird. Die Bewegung des Hebers beim Senken des Körpers unter die Stange ohne Ausüben von Kraft auf den Boden führt dazu, dass die Aufwärtsbewegung der Langhantel umso länger andauert, je geringer das Gewicht der Langhantel ist. Daher reicht eine noch geringere Anfangsbeschleunigung aus, um die Langhantel in der tiefen Hocke abzubremsen.

Dasselbe gilt für das Ausstoßen – der einzige Unterschied besteht darin, dass der Heber keinen Zug auf die Langhantel ausübt, sondern sie nach oben schiebt.

Diese Prinzipien lassen sich in wenigen einfachen Grundregeln für das Gewichtheben zusammenfassen und werden hier dargestellt. Im 1. und 2. Zug muss der Heber den Kontakt zum Boden beibehalten, bis die höchstmögliche beschleunigende Körperstreckung erreicht ist, um die Langhantel maximal zu beschleunigen. Um den Körper unter die Stange zu senken, damit er sie abbremsen kann, muss der Heber aktive und kräftige Zugkraft auf die Stange ausüben, wobei der Druck der Füße auf den Untergrund entfällt oder verringert wird. Der Übergang zwischen diesen Hebephasen muss möglichst schnell erfolgen – die abschließende explosive Streckung der Langhantel nach oben und das Senken des Sportlers unter die Stange geschieht bei einem effizienten Heber in einem einzigen pausenlosen Verlauf.

Masseschwerpunkt, Druckpunkt und Schwerkraftlinie

Einer der wichtigsten Parameter beim Gewichtheben ist die gleichbleibende Balance der Einheit aus Sportler und Langhantel auf einer stützenden Unterlage, während sich die Positionen von Körper und Gewicht dramatisch und schnell in Bezug auf den Boden und zueinander verändern.

Masseschwerpunkt: Um diesen ist die Gesamtmasse eines Körpers gleichmäßig verteilt – anders ausgedrückt: Es handelt sich um den Punkt des Körpers, an dem dieser sich im Gleichgewicht befindet – wird ein Objekt direkt unter dem Masseschwerpunkt aufgelegt, ist es auf der Unterlage ausbalanciert. Beim Gewichtheben liegt das Augenmerk primär auf dem Masseschwerpunkt von Sportler und Langhantel. Dieser Punkt verändert seine Lage während des Hebens ständig, muss aber stets über den Füßen sein, damit das Gewicht erfolgreich gehoben werden kann.

Schwerkraftlinie: Sie ist eine imaginäre senkrechte Linie, die den Masseschwerpunkt des Sportlers durchquert und durch den Punkt an der Basis (Fuß) verläuft, an dem der Sportler ausbalanciert ist: Die Einheit aus Sportler und Langhantel ist über dem Punkt des Fußes ausbalanciert, durch den die Schwerkraftlinie verläuft. Andere Quellen betrachten als Schwerkraftlinie einer unbelasteten, stehenden Person eine Stelle zwischen der vorderen Wölbung des Fersenballens und der Mitte des Abstands zwischen Fußballen und Ferse.

Jeder mit einem Mindestmaß an Gleichgewichtssinn ist in der Lage, auf einer beliebigen Stelle zwischen den Ballen und der Ferse zu stehen, ohne umzufallen. Jedoch unterscheidet man zwischen einer möglichen und der idealen Position, v. a., wenn ein externes, sich bewegendes schweres Objekt mit im Spiel ist. Beim Heben muss die Gesamtmasse von Langhantel und Sportler auf der Basis (den Füßen) ausbalanciert sein. Andernfalls wird beim Heben eine Bewegung nach vorn oder hinten stattfinden, wodurch es für den Heber mit der Langhantel schwierig oder unmöglich wird, die Balance zu halten. Durch das zusätzliche Gewicht einer Langhantel, die überdies keine festgelegte, konstante Position zum Heber einnimmt, kann ein Verschieben der Balance sehr schnell unkontrollierbar werden.

Steht man still, kann das ideale Gleichgewicht leicht durch einen etwas größeren Druck auf die Ferse im Vergleich zu den Ballen wahrgenommen werden. Beim Reißen und Umsetzen wird der Heber versuchen, die Schwerkraftlinie der Einheit Hantel–Körper unverändert durch denselben Punkt verlaufen zu lassen, unabhängig davon, wo im Einzelnen der Druckpunkt liegt, der sich beim Heben ständig verändert. Für unsere Zwecke bezeichnen wir die Vorderkante der Ferse als diesen Punkt, weil es für uns von Vorteil ist, die Balance innerhalb des vorher beschriebenen Bereichs mit einer leichten Rückneigung zu halten (Abb. 1.2).

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Abb. 1.2 Der Gleichgewichtsbereich im Fuß reicht ungefähr von den Ballen bis zum hinteren Bereich der Ferse. Der ideale Mittelpunkt des Gleichgewichts – durch den die Schwerkraftlinie des Sportlers verlaufen sollte – befindet sich ungefähr im vorderen Bereich der Fersenwölbung, etwas hinter dem Mittelpunkt des möglichen Gleichgewichtsbereichs.

In jedem Fall sollte das Gleichgewicht des Sportlers leicht hinter der Fußmitte liegen, also näher an der Ferse als an den Zehen. Die Vorderkante der Ferse bietet sich als Anhaltspunkt an, und dadurch wird unser Gleichgewicht dahingehend geschult, die Balance im Fuß etwas hinter dem Mittelpunkt des tatsächlichen Gleichgewichtsbereichs (Fußballen bis zum hinteren Bereich der Ferse) wahrzunehmen.

Druckpunkt: Das ist der Punkt am Fuß, an dem die abwärtsgerichtete Kraft der Einheit Körper–Hantel konzentriert ist. Stünde der Sportler z. B. im Zehenstand, läge der Druckpunkt in den Fußballen. Falls er auf die Fersen wippen würde, indem er die Zehen vom Boden abhebt, läge der Druckpunkt in der Ferse. Normalerweise verläuft die Schwerkraftlinie durch den Druckpunkt – dies trifft auf jedes unbewegte Objekt zu, das im Gleichgewicht bleiben soll.

Allerdings muss man verstehen, dass bei einem sich bewegenden Sportler die Schwerkraftlinie den Druckpunkt nicht kreuzen muss. Bei Bewegungen mit genügend Geschwindigkeit ist es absolut möglich, dass die Schwerkraftlinie durch einen Punkt verläuft, der nicht mit dem Druckpunkt im Fuß identisch ist. Dies ist bei der Streckung des Sprunggelenks im 2. Zug beim Reißen und Umsetzen der Fall oder auch beim Anstoßen – in diesem Moment liegt der gesamte Druck auf den Fußballen, die Schwerkraftlinie befindet sich jedoch immer noch an der Vorderkante der Ferse.

Zur Veranschaulichung dieses Konzepts stelle man sich einen Sportler vor, der einen vertikalen Sprung ausführt und exakt an der Absprungstelle wieder landet. Dafür muss die Schwerkraftlinie während der gesamten Bewegung an derselben Stelle bleiben. Der Druckpunkt wird jedoch nach vorn zu den Fußballen verlagert, wenn der Absprung durch die natürliche Plantarflexion des Sprunggelenks erfolgt. Dies macht die Divergenz zwischen Druckpunkt und Schwerkraftlinie deutlich. Diese Divergenz kann noch deutlicher hervorgehoben werden, wenn der Sportler nach hinten springt statt in die Vertikale. Der Druckpunkt wird sich nach vorn verschieben, wenn der Absprung durch die Plantarflexion vollendet ist, Masseschwerpunkt und Schwerkraftlinie werden sich – entgegengesetzt – nach hinten verschieben.

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Abb. 1.3 Im Stand dieselbe Schwerkraftlinie beizubehalten, wenn eine beladene Langhantel in den gestreckten Armen gehalten wird, erfordert eine gewisse Rückwärtsbewegung (des Rumpfes oder des gesamten Körpers), die proportional zur relativen Masse von Langhantel und Körper ist. Je schwerer die Langhantel im Verhältnis zum Körper ist, desto enger muss der Abstand zur gewünschten Schwerkraftlinie sein, um den gemeinsamen Masseschwerpunkt über den gewünschten Punkt auszubalancieren. (Abgebildet sind links der Stand mit unbeladener Hantelstange und rechts mit 135 % des Körpergewichts.)

Diese Divergenz tritt auch beim olympischen Gewichtheben auf. Es ist wichtig, dieses Konzept zu verstehen. Dass ein Sportler beim Heben auf die Fußballen kommt, bedeutet nicht zwangsläufig eine Vorwärtsverlagerung seines Masseschwerpunkts oder eine Veränderung der Balance in irgendeine Richtung.

Sportler und Trainer arbeiten wohl nicht mit Tools, die ein Überwachen oder Messen der Gewichtsverteilung im Fuß mit brauchbarer Genauigkeit ermöglichen – jedenfalls nicht in Echtzeit oder auf eine Art, die ein sofortiges Korrigieren während des Hebens ermöglichen würde. Gewichtheber können einfach etwas mehr Druck auf die Ferse ausüben als auf die Fußballen, solange die gesamte Fußsohle Kontakt zur Unterlage hat, und versuchen, dieselbe Balance aufrechtzuerhalten, wenn die Ferse angehoben wird. Dieses Halten der Balance (oder ihr Fehlen) wird in der Endposition des Hebers sichtbar. Wenn er etwa im Reißen nach vorn springt, hat er es offensichtlich zugelassen, dass sich sein Masseschwerpunkt in einer Phase des Hebens nach vorn verschoben hat.

Kraft versus Technik

Es gibt eine beständige Diskussion ohne klares Ergebnis darüber, welche Rolle Kraft und Technik beim Gewichtheben spielen – sie wird allerdings hauptsächlich außerhalb der Kreise der Gewichtheber geführt, die zu Wettbewerben antreten. Das liegt vermutlich daran, dass diese Sportart für viele obskur erscheint und es deshalb große Unwissenheit gibt. Die beiden gegensätzlichen Positionen lauten: Dieser Sport hängt vollständig von der Technik ab, und: Die Technik ist im Grunde bedeutungslos, wenn die Kraft fehlt.

Tatsache ist, dass weder Kraft noch Technik in der Lage sind, für den nötigen Ausgleich zu sorgen, wenn der jeweilige Gegenpart nicht ausreichend vorhanden ist. Kein Grad an technischer Versiertheit wird es einem Heber ermöglichen, die Gesetze der Physik auch nur ansatzweise zu überlisten – 200 kg werden sich nicht plötzlich vom Boden erheben und über den Kopf eines Sportler kommen, ohne dass große Muskelkraft im Spiel ist. Genauso wenig werden die enormen Kräfte eines Sportlers beim Reißen oder Stoßen wirkungsvoll zum Einsatz kommen, wenn er nicht über ausreichende Technik verfügt.

Die Technik ist das Mittel, mit dessen Hilfe sich die Kraft manifestiert – eine Hebung hängt somit vom schwächsten Teil der Gleichung ab. Weder Kraft noch Technik dürfen zugunsten der Verbesserung des jeweils anderen vernachlässigt werden. Das Trainingskonzept und seine Umsetzung müssen auf die Stärken und Schwächen des jeweiligen Trainierenden abgestimmt sein. Der größtmögliche Erfolg wird erreicht, wenn die Schwächen verbessert und die Stärken ausgebaut werden.

Beine versus Hüfte

Ein weiterer Diskussionspunkt – zumindest ein Anlass für Unsicherheit – ist der Einfluss von Knie- und Hüftstreckung auf das Heben. Tatsächlich spielen sowohl Knie- als auch Hüftstreckung eine entscheidende Rolle bei der optimalen Ausführung von Reißen und Stoßen. Solange es noch keine absolute Genauigkeit oder Vollständigkeit bei der Ausführung gibt, kann es hilfreich sein, die Kniestreckung (oder das Schieben der Beine gegen den Untergrund) grundsätzlich als verantwortlich für das Anheben der Langhantel zu betrachten und die Hüftstreckung als entscheidend für die Geschwindigkeit der Langhantel – anders gesagt: Der Heber benötigt beides, maximale Hüft- und Kniestreckung, um die Langhantel maximal anzuheben und zu beschleunigen, und er sollte sich nicht auf das eine oder andere mehr verlassen. Allerdings gibt es individuelle Variationen der Hebetechnik, die bis zu einem gewissen Grad dem einen oder anderen Aspekt den Vorzug geben. Dies hängt von den individuellen Stärken des Hebers und seinem Körperbau ab. Beim Ausstoßen geht der Einfluss der Hüftstreckung gegen null, weil hierfür eine entsprechende Position für den Auftakt zum Ausstoßen (Dip) und das Anstoßen (Drive) eingenommen werden muss. Deshalb wird die Bewegung nahezu ausschließlich von der Kniestreckung beeinflusst.

Erlernen und Unterrichten der Hebungen

Für das Erlernen von Reißen und Stoßen gibt es kein allgemeingültiges Vorgehen. Unterschiedliche Ansätze haben ihre Berechtigung aufgrund unterschiedlicher Technikstile, Tradition, verfügbarer Zeit und Ressourcen sowie der Bedürfnisse des Sportlers, u. a. Faktoren wie das Alter. Eine große Anzahl erfolgreicher Gewichtheber weltweit ist mit unterschied­lichen Trainingsmethoden erfolgreich. Dennoch ist es klar, dass die breite Palette an erfolgreichen Trainingsmethoden auf denselben unumstößlichen technischen Prinzipien basiert.

Analog zu den Unterschieden in den Trainingsphilosophien gibt es unter Sportlern und Trainern unterschiedliche Hebetechniken. Wenn man die ganz allgemein als schlechte Technik einzustufenden Unterschiede außer Acht lässt, existieren unterschiedliche Auslegungen der korrekten Technik. Einige sind den anatomischen Besonderheiten oder natürlichen Stärken eines Sportlers geschuldet, andere das Ergebnis seines Umfelds und Coachings. Für jedes Detail der in diesem Buch vorgestellten Hebetechnik lässt sich mindestens ein erfolgreicher Gewichtheber finden, der gegen diese Prinzipien verstößt.

Dieses Buch wurde in der Annahme geschrieben, dass der Leser beabsichtigt, das Heben zu lernen oder zu unterrichten – und zwar in Übereinstimmung mit dem vorgestellten Technikstil. Gelegentlich werden andere Stile vorgestellt, wenn es sachdienlich und hilfreich ist oder für Vergleiche. Dies macht jedoch einen relativ geringen Anteil aus. Daraus kann der Leser zu Recht folgern, dass ich den im Buch vorgestellten Technikstil bevorzuge.

Dennoch gehört es zu meiner Trainingsphilosophie, dass alles angesprochen wird, was dem Sportler hilft. Beim Lesen dieses Buches sollten Sie im Hinterkopf haben, dass wenig in Stein gemeißelt ist und Anpassungen immer dann vorgenommen werden sollten, wenn sie dazu geeignet sind, das Potenzial eines Hebers entsprechend seiner natürlichen Stärken und Schwächen zu maximieren – kurz gesagt:­Richtig und falsch gibt es beim Gewichtheben nicht, aber effektiv und uneffektiv.

Jeder Sportler sollte die Hebetechnik aus dem Lehrbuch erlernen und die erste Lernphase damit verbringen, sie einzuüben und ihre Effizienz und Übereinstimmung mit der traditionellen Technik zu optimieren. Mit der Zeit tendiert der Heber dann ganz natürlich zu einer individuellen Technik, die ­seinen Stärken entgegenkommt – solange dies nicht die Grundprinzipien verletzt. Das stellt sicher, dass ein Abweichen von der Lehrbuchtechnik ein Vorteil ist und nicht Unvermögen, Schwächen adäquat anzugehen oder dass nicht genug Zeit in die technische Grundversiertheit investiert wurde.

Über-Coaching: Dieser Fehler wird beim Heben angesichts der Menge an Detailinformationen oft begangen. Der Trainer sollte fokussiert bleiben und den Sportler nicht mit Informationen versorgen, für die er noch nicht bereit ist, also nicht produktiv nutzen kann. Oft drängt es Trainer, mit Wissen zu beeindrucken oder schnelle Fortschritte zu erzielen. Es ist kontraproduktiv, einen Sportler mit Informationen zu überhäufen, die er aufgrund mangelnder Erfahrung noch nicht umsetzen kann.

Vor diesem Hintergrund sollten die Informationen in diesem Buch von Trainer und Heber mit Bedacht umgesetzt werden. Ein Anfänger kann viele Details überspringen und seine Aufmerksamkeit auf das Grundsätzliche richten. In jedem Kapitel zur Lernprogression habe ich Zusammenfassungen und Listen aufgenommen. Diese sollten ausreichen, um einem Einsteiger das Heben ohne überflüssige Details nahezubringen. In dem Maße, in dem der Sportler Fortschritte macht, werden immer mehr Informationen im Buch Sinn ergeben und erfolgreich in das Training integriert werden können. Der Sportler wird also die Anfangsphase, in der er einfach nur die Übungen ausführt, hinter sich lassen und ein Verständnis des Trainingskonzepts entwickeln.

Progression: Es war meine Intention, ein Trainingsprogramm für Reißen und Stoßen zu beschreiben, das umfassend und auch flexibel ist. Zwar muss die Strategie vollständig sein, sollte jedoch auch einfach an einzelne Sportler und individuelle Rahmenbedingungen anzupassen sein. Dieses Programm liefert also ein Rahmenwerk für die Unterweisung im Heben als auch die Möglichkeit für spezifische Progression. Dieser Rahmen bietet Raum für Erweiterungen, Auslassungen und Anpassung durch Trainer und Sportler, sofern dies für sinnvoll erachtet wird.

Selbstverständlich kann der Prozess auch wie im Buch beschrieben ausgeführt werden. Das empfehle ich Trainern, die noch am Anfang stehen.

Die Flexibilität der Progression geht über die Bewegungen im Einzelnen hinaus. Jede Komponente kann als rein körperliche Übung verstanden werden oder als Gelegenheit zur Wissenserweiterung unter Betrachtung der Prinzipien. Dies gilt für Sportler jeglicher Erfahrungsstufe genauso wie für das mögliche Spektrum beim Coaching und Lernverhalten. Unerfahrene Sportler können das Heben auch mit wenigen oder ganz ohne Erläuterungen der Funktionsweise schnell lernen, indem sie die Übungen wiederholen. Erfahrenere werden in der Lage sein, ihre Technik zu verbessern, wenn sie die Prinzipien, die mit jedem Abschnitt der Progression einhergehen, erlernen und besser verstehen. Analog dazu werden Trainer, die eine minimalistische Herangehensweise bevorzugen, allein mit den Übungen Erfolg erzielen. Trainer dagegen, die viel Wert auf Theorie legen, können jede Übung mit detaillierten, aber verständlichen Erläuterungen unterfüttern.

Die Übungen der Trainingsprogressionen werden in vielen Fällen auch als Korrekturübungen für Heber dienen, die die Abläufe bereits beherrschen und nun an ihren technischen Fertigkeiten arbeiten wollen.

Wiederholung: Bewegungsmuster zu erlernen, ist letztendlich eine Frage von korrekter Wiederholung, Feedback und Anstrengung. Keine moderne Trainingsmethode oder -wissenschaft wird diesen Ansatz außer Acht lassen – es wird keinen Ersatz für Zeit, Konzentration und harte Arbeit geben; ohne diese entfällt der größte Teil des Potenzials für die Befriedigung, die dieser Prozess mit sich bringen kann.

Bei den Wiederholungen muss der Fokus auf der Korrektheit liegen. Wird eine Übung nicht korrekt ausgeführt, entwickelt sich nicht nur die Technik nicht weiter, sondern wirkt sogar kontraproduktiv. Denn Zeit und Energie werden verschwendet, die an anderer Stelle von größerem Nutzen gewesen wären; und es werden ähnliche, aber inkorrekte Bewegungsmuster geschaffen, mit denen die korrekten konkurrieren. Zu Beginn des Trainings werden die Bewegungsabläufe nicht perfekt sein, und es gibt wenige Gewichtheber, die über die ganze Karriere hinweg immer Perfektion zeigen. Das heißt nicht, dass das Erlernen der Technik ein sinnloses Unterfangen ist, es bedeutet lediglich, dass in jeder Phase des Trainings bewusste Anstrengungen nötig sind, jede Wiederholung so präzise wie möglich auszuführen. Die Verantwortung hierfür liegt bei Trainer und Sportler.

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