image1
Logo

Anuschka Tischer

Ludwig XIV.

Verlag W. Kohlhammer

 

 

 

 

 

 

 

 

 

1. Auflage 2016

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN: 978-3-17-021892-5

 

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-028968-0

epub:    ISBN 978-3-17-028969-7

mobi:    ISBN 978-3-17-028970-3

 

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

 

 

 

Zum Andenken an Birgit Simon (1967–2013)

Vorwort

 

 

 

Dieses Buch hat mich über mehrere Jahre und damit über verschiedene Lebensstationen hinweg begleitet, und viele Personen haben im Laufe dieser Zeit zu seiner Entstehung beigetragen. Angeregt wurde es von Herrn Professor Dr. Dr. h.c. Klaus Malettke, dessen zahlreichen Studien zur französischen Geschichte mir seit jeher wichtige Impulse lieferten und der mir als junger Kollegin in Marburg wohlwollend die Möglichkeit zu vielen wissenschaftlichen Gesprächen gab. Herr Professor Dr. Christoph Kampmann hat an der Entwicklung seiner Assistentin in Marburg zur Professorin in Würzburg engagiert Anteil genommen. Ihm verdanke ich in besonderer Weise die Perspektive auf Ludwig XIV. im Kontext seiner historischen Konkurrenten und insbesondere Kaiser Leo-polds I. Herr Kampmann und mein Assistent, Christian Mühling, haben das Manuskript jeweils aus ihrer eigenen profunden Kenntnis der Zusammenhänge dieser Epoche kritisch gelesen und durch ihre vielen hilfreichen Kommentare zu seiner endgültigen Entwicklung beigetragen. Bei den Genannten und allen anderen, die darüber hinaus zur Entstehung dieser Biographie beigetragen haben, möchte ich mich an dieser Stelle ganz herzlich bedanken! Insbesondere meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere Geschichte in Würzburg und hier neben Herrn Mühling vor allem die Herren Dr. Andreas Flurschütz da Cruz, Daniel Stöhr und Manuel Mildner möchte ich in diesen Dank ausdrücklich einbeziehen, ebenso Herrn Daniel Kuhn, der als Lektor des Kohlhammer-Verlages dem Werdegang des Manuskripts mit viel Geduld zur Seite stand. Ich widme dieses Buch meiner viel zu früh verstorbenen Freundin Birgit Simon, mit der mich seit Studientagen das historische Interesse vereint hat und die den Beginn dieses Buches noch mit großer Aufmerksamkeit begleitet hat, dessen Fertigstellung sie leider nicht mehr erleben konnte.

 

Würzburg, im März 2016

Inhaltsverzeichnis

 

 

 

  1. Vorwort
  2. 1 Ludwig – der Gottgegebene, der Große, der Sonnenkönig
  3. 2 Ein junger König zwischen Krieg und Frieden (1643–1661)
  4. Kindheit und Ausbildung
  5. Die Fronde – Ludwigs prägende Kindheitserfahrung
  6. Westfälischer Frieden (1648) und Pyrenäenfrieden (1659)
  7. Die Heirat mit der spanischen Infantin Maria Teresa (1660)
  8. 3 Die Sonne Frankreichs, die Sonne Europas: Ludwig XIV. erfindet sich selbst
  9. Die Sonne Frankreichs
  10. Die Sonne seiner Familie
  11. Der Sonnenkönig greift nach Europa
  12. 4 Ein ständiges Streben nach Ruhm
  13. Das neue Frankreich
  14. Der Niederländische Krieg von 1672 bis 1679 und der Beginn der Reunionen
  15. Ein gereifter Mann hält Einzug in Versailles
  16. 5 Der Allerchristlichste König
  17. Ein König – ein Glaube
  18. Der fromme Witwer
  19. 6 Der Schrecken Europas
  20. Der »Pfälzische Erbfolgekrieg« (1688–1697)
  21. Frankreich und Europa an der Wende
  22. Der Spanische Erbfolgekrieg (1701–1714)
  23. 7 Der König stirbt
  24. 8 Ludwig XIV. und die Nachwelt
  25. Fazit
  26. Anmerkungen
  27. Register
  28. Personenregister
  29. Ortsregister

1          Ludwig – der Gottgegebene, der Große, der Sonnenkönig

 

 

Ludwig XIV. kam am 5. September 1638 auf Schloss Saint-Germain-en-Laye, rund 20 Kilometer westlich von Paris, zur Welt. Seine Geburt war so bemerkenswert, dass ihm die Zeitgenossen den Beinamen »der Gottgegebene« (Dieu-donné) verliehen: Ludwigs Eltern, Ludwig XIII. von Frankreich und die spanische Infantin Anna von Österreich, waren bereits seit 23 Jahren kinderlos verheiratet. Die Dynastie der Bourbonen, die erst mit der Erbfolge des 1610 ermordeten Heinrich IV. auf den französischen Thron gekommen war, war somit über einen längeren Zeitraum ohne eine stabile Nachfolge.1 Frankreich hatte mit dem Salischen Gesetz eine klare Sukzessionsordnung. So war bis zur Geburt des Dauphins, wie der französische Thronfolger traditionell tituliert wurde, der präsumtive Thronerbe Ludwigs Onkel Gaston, Herzog von Orléans, ein notorischer Unruhestifter, der seinerseits keinen männlichen Erben hatte. Die nächsten in der Thronfolge stammten aus einer Seitenlinie der Bourbonen: der Fürst von Condé und seine Söhne, die für einen erneuten dynastischen Bruch und einen Politikwechsel mit ungewissem Ausgang gestanden hätten. Nach den langen Religions- und Bürgerkriegen des 16. Jahrhunderts und dem nicht unproblematischen dynastischen Neubeginn mit den Bourbonen waren dies keine guten Aussichten für ein Land, das gerade erst zur inneren Stabilität zurückgefunden hatte und auf die außenpolitische Bühne zurückgekehrt war. Die Geburt des Thronfolgers 1638 erschien dann als ein Zeichen Gottes, der Neuausrichtung Frankreichs schließlich seinen Segen zu geben. Der Junge wurde nach Ludwig IX. dem Heiligen benannt wie sein Vater und die folgenden französischen Könige. Diese Benennung war nicht nur eine Reminiszenz an den jeweiligen Vorgänger, sondern ein Bezug darauf, dass die Bourbonen auf den Thron gekommen waren, weil sie aus einer von Ludwig dem Heiligen begründeten Seitenlinie abstammten. 1640 wurde die junge Herrscherdynastie weiter abgesichert durch die Geburt von Ludwigs XIV. Bruder Philippe, der den Titel eines Herzogs von Anjou erhielt und nach dem Tod seines Onkels Gaston auch dessen Herzogtum Orléans übernahm.

Selbstbild und Selbstdarstellung

Ludwig XIV., der nach dem frühen Tod seines Vaters bereits 1643 König wurde, nahm in seiner langen Regierungszeit ab 1661 nicht nur alle politischen Entscheidungen in die eigene Hand, sondern er wollte auch das Bild vorgeben, das die Welt und die Nachwelt von ihm haben sollten. Dafür inszenierte er sein eigenes Leben und nutze alle Möglichkeiten der Selbstdarstellung von der Malerei bis zur Architektur, von der Historiographie über das Ballett bis zur Gartengestaltung. Es ist hinter dieser minutiösen Gestaltung kaum möglich, ihn als authentische Person zu greifen. Er ist eine »kulturelle Konstruktion« (Lothar Schilling),2 eine »Königsmaschine« (Roi-Machine, Jean-Marie Apostolidès).3 Seine Biographie zu schreiben, bedeutet zugleich, »Ludwig XIV. zuzusehen, wie er seine Rolle als König spielt, als erster König der Welt« (regarder Louis XIV jouer son rôle de roi, de premier roi du monde, Lucien Bély).4

Dennoch ist es dem König nicht gelungen, das Urteil der Geschichte über ihn so zu prägen, wie er sich sehen wollte: Gezielt lancierte man in Frankreich nach seinem Herrschaftsbeginn die Rede von Ludwig dem Großen (Louis le Grand). Doch obwohl Ludwig XIV. zweifellos prägend war für seine Zeit und obwohl sein Herrschaftsstil und kulturelles Gepränge ein Modell waren, an dem andere sich orientierten, hat sich dieser Beiname nicht durchgesetzt. Selbst in Frankreich, wo der König die öffentliche Meinung kontrollierte, gedachte man seiner nach seinem Tod immer seltener als Ludwig dem Großen, auch wenn der Beiname bis heute sporadisch Verwendung findet. Es ist jedoch das 17. Jahrhundert, das Zeitalter der drei ersten Bourbonen auf dem französischen Thron, das als »großes Jahrhundert« (Grand Siècle) firmiert, weil Frankreich sich in dieser Zeit aus den Bürgerkriegswirren herausarbeitete und sich heraufarbeitete zur politischen und kulturellen Führung in Europa. Ludwig XIV. dominierte dieses »große Jahrhundert« als König von 1643 bis 1715. Er läutete aber auch bereits das Ende des »großen Jahrhunderts« ein, den Niedergang, der sich bis zur Französischen Revolution 1789 immer weiter fortsetzen sollte. Im Rückblick erschien diese Epoche dann umso größer und glanzvoller. Voltaire konterkarierte seine eigene Gegenwart eine Generation später, indem er ihr das »Zeitalter Ludwigs XIV.« entgegenhielt, ein Titel der bis heute leicht als Lobpreis vermeintlich vergangenen Glanzes und Größe missverstanden wird.

Außerhalb Frankreichs hielten sich die Bewunderung für Ludwig XIV. und die Kritik an ihm allerdings ohnehin frühzeitig die Waage. Seiner aggressiven, überpräsenten Selbstdarstellung setzten andere Herrscher moderatere, oft konkurrierende, Inszenierungsmodelle entgegen. Die gegen den König gerichteten politischen, militärischen und publizistischen Kampagnen kritisierten nicht nur sein Handeln, sondern sie dekonstruierten bereits zeitgenössisch auch seine eigene Inszenierung.5 Neben dem Mythos Ludwig XIV. entstand so zeitgleich ein Gegenmythos. Im distanzierten historischen Urteil ist die Rolle des Königs in der Geschichte offensichtlich zu zwiespältig, als dass man ihn als »der Große« titulieren würde. Unbestritten sind dagegen seine Wirkung und Prägekraft, die bis in die Gegenwart reichen. Präsent ist er als »Sonnenkönig« (Roi Soleil). Die Sonnensymbolik hatte Ludwig XIV. selbst aufgegriffen und damit die führende Position des Kaisers in der fürstlichen Hierarchie in Frage gestellt. Der Titel des Kaisers implizierte traditionell den Vorrang vor allen anderen christlichen Fürsten, eine Rolle, die mit der der Sonne am Firmament in Analogie gesetzt wurde. Doch Ludwig XIV., ein politisch und militärisch starker Herrscher, dessen Position durch eine auf ihn zugeschnittene Staatsrechtstheorie bekräftigt wurde, sah sich angesichts seines eigenen Erbrechts und seiner vermeintlich uneingeschränkten Autorität als französischer König den Kaisern überlegen, die gewählt wurden und sich der politischen Mitsprache der Reichsstände stellen mussten. Herablassend betrachtete er sie als »Wahlfürsten« und »Generalkapitäne einer Deutschen Republik«.6 Erfolgreich etablierte sich Ludwig XIV. gegen Leopold I., dem die Sonnensymbolik eigentlich gebührte, als »die andere Sonne«.7 Dieses Symbol, das, anders als die Beinamen vom Gottgegebenen oder vom Großen, subtil in Bildprogrammen, Ballettkostümen oder Feuerwerksfiguren transportiert wurde, ging schließlich ganz auf Ludwig XIV. über. Zu verhalten hatte Leopold I. die Sonnenemblematik verwendet, zu wenig passte sie zum defensiven Kaisertum, das er repräsentierte. Für Ludwig XIV. erwies sie sich dagegen als perfekt. Prägnant bringt dieses Symbol seine Rolle in der Geschichte auf den Punkt, denn wie die Sonne besaß er eine Strahlkraft, die zugleich wärmte und faszinierte, aber auch blendete und verbrannte.

Titulierungen Ludwigs im Kontext seiner historischen Bedeutung

Ob wir die Titulierung Ludwigs XIV. als Gottgegebenem, als Großem oder als Sonnenkönig aufgreifen, immer sind es Beinamen, die der dynastischen oder herrschernahen Propaganda entspringen. Die Geschichtswissenschaft hat diese zu entschlüsseln und gegebenenfalls zu dekonstruieren. Dennoch machen die verschiedenen Titulierungen Ludwigs eines deutlich: die Entwicklung Frankreichs von einer um Stabilität ringenden Monarchie in den 1630er Jahren, für die bereits die Geburt des Thronfolgers ein göttliches Geschenk war, hin zu einer Führungsmacht in Europa, deren Herrscher eine herausragende Rolle in der Geschichte beanspruchte und einnahm. Dieser Schritt war keineswegs das alleinige Werk Ludwigs XIV., der allerdings das, was andere vor ihm und für ihn aufgebaut hatten, konsequent zu nutzen verstand. Ludwig XIV. war der erste französische König seit rund einem Jahrhundert, der sich wieder völlig auf die Außenpolitik, aber auch auf einen systematischen Staatsaufbau konzentrieren konnte. Frankreich war mit dem Frieden von Cateau-Cambrésis 1559 von der politischen Bühne Europas verschwunden und in den Religionskriegen versunken. Die französischen Könige, die bis dahin ihre Monarchie und deren Rolle in Europa aktiv gestaltet hatten und dabei an der Spitze des Kampfes gegen die habsburgische Hegemonie standen, agierten zunehmend defensiv. Die Zerreißprobe erlebte Frankreich, als mit dem Bourbonen Heinrich IV., dem König von Navarra, ein Hugenotte den Thron erbte. Erst nach einem längeren Bürgerkrieg und schließlich der Konversion zum Katholizismus konnte Heinrich IV. 1594 gekrönt werden. Befriedet war Frankreich damit nur an der Oberfläche: In der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts hatten die Nachfolger Heinrichs IV. es immer wieder mit Aufständen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppierungen zu tun. Heinrichs IV. Sohn Ludwig XIII. unternahm mit seinem Prinzipalminister Kardinal Richelieu eine konsequente Politik der Stärkung der königlichen Autorität, die allerdings das Oppositionspotenzial weiter verschärfte.

In den 1630ern hatten Ludwig XIII. und Richelieu die Opposition so weit im Griff, dass sie an die einstmalige anti-habsburgische Politik früherer französischer Könige wieder anknüpfen konnten: 1635 erklärte Ludwig XIII. seinem Schwager Philipp IV. von Spanien den Krieg und verwickelte Frankreich damit auch in den Dreißigjährigen Krieg: Einen Krieg gegen Spanien von einem Krieg gegen den Kaiser trennen zu können, erwies sich angesichts der Einheit des Hauses Habsburg und der engen Interessenverflechtung der Habsburger Philipp IV. und Ferdinand II. als illusorisch, zumal Frankreich bereits seit 1631 den Krieg Schwedens im Heiligen Römischen Reich finanziell unterstützte. Als Ludwig XIII. 1643 starb, hinterließ er seinem erst 4-jährigen Sohn somit zwei Kriege, aber auch eine Opposition, die vielfach nicht beseitigt, sondern nur unterdrückt worden war und bald erneut hervortrat. Die Minderjährigkeit Ludwigs XIV. wurde zur Feuerprobe für die Position der französischen Krone nach innen wie nach außen. Es war das Verdienst Annas von Österreich, die als Regentin für ihren Sohn fungierte, und des Prinzipalministers Kardinal Jules Mazarin, dass die Krone diese Feuerprobe bestand. Aus dem »gottgegebenen« Ludwig XIV. konnte dann ein König werden, der sich selbst als groß und als Sonne am politischen Firmament sah und dem von anderen eine herausragende Rolle in der Geschichte zugestanden wurde und wird.

Images

Ludwig XIII., der Vater Ludwigs XIV., starb bereits 1643 und hinterließ den Thron seinem erst vierjährigen Sohn.

Die Herausforderungen, vor denen Frankreich stand, waren in ganz Europa ähnlich: der Wandel der mittelalterlichen ständischen Gesellschaft mit einer wachsenden Bedeutung des handel- und gewerbetreibenden Bürgertums und anderer Funktionseliten; die Verdichtung des modernen Staates mit einem Anwachsen der Bürokratie und der Durchdringung sowie auch Vereinheitlichung des Herrschaftsraumes; ein enormer Geldbedarf, der zunächst aus der Kriegsintensität der Epoche resultierte, aber auch eine langfristige Folge des wachsenden Staates mit wachsenden Staatsaufgaben war; die Auseinandersetzungen um die politische Autorität zwischen dem Monarchen und verschiedenen gesellschaftlichen Einflussgruppen; die konfessionelle Spaltung; die kleine Eiszeit, die in Europa im 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichte und zu Ernteausfällen und sonstigen klimabedingten Auswirkungen auf die Gesellschaft führte.

Frankreich auf dem Weg in die Moderne

Auch wenn die konkreten Bevölkerungszahlen unsicher sind und sich während der langen Herrschaftszeit Ludwigs XIV. durch demographischen Wandel und territoriale Zugewinne veränderten, so hat sich doch die mit Pierre Gouberts Klassiker zur französischen Alltagsgeschichte eingeführte Faustformel von »Ludwig XIV. und 20 Millionen Franzosen« bewährt.8 Frankreich war damit das bevölkerungsreichste Land Europas. Es hatte mehr Einwohner als das Heilige Römische Reich, als Polen-Litauen oder als Russland, die Frankreich alle an Fläche übertrafen. Frankreich war folglich dicht besiedelt, insbesondere gemessen an anderen Territorialstaaten. Dabei war das Land zu über 90 % agrarisch geprägt. Die hohe Bevölkerungszahl und Bevölkerungsdichte hatten Auswirkungen auf die Politik der französischen Krone: In Frankreich hatte der Modernisierungsprozess bedingt durch den Hundertjährigen Krieg (1337–1453) früher als in vielen anderen europäischen Herrschaftsgebieten begonnen. Frankreichs Entwicklung hin zu einem institutionalisierten, in seinen Verfassungsgrundlagen gefestigten, in ersten Ansätzen bereits nationalen Staat, der stetig steigende Steuern erhob, war darum am Beginn der Neuzeit vergleichsweise weit fortgeschritten. Die französischen Könige hatten ihre Autorität beständig ausbauen und zentralisieren können. Zwar stellten die Religionskriege in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts diese Entwicklung nochmals ernsthaft in Frage, mit den Bourbonen aber wurde sie konsequent wieder aufgegriffen und weitergeführt. Damit waren die französischen Könige nicht nur vielen anderen Herrschern in der Absicherung und der Durchsetzung ihrer Herrschaft voraus, sondern diese Dynamik hatte angesichts der Bevölkerungssituation in Frankreich auch wesentliche Auswirkungen auf ganz Europa: Wenn der französische König in seinem Herrschaftsgebiet Entscheidungen oder auch seine Sicht auf Politik und Gesellschaft durchsetzen konnte, so erreichte er damit bereits einen vergleichsweise hohen Anteil der europäischen Bevölkerung. Wenn er Steuern durchsetzte, so standen ihm quantitativ mehr Steuerzahler zur Verfügung als jedem anderen Herrscher. Diese Voraussetzungen trugen mit zur Bedeutung und zur Modellhaftigkeit Frankreichs in der Epoche Ludwigs XIV. bei, wobei das französische Modell aber immer auch mit anderen konkurrieren musste.9

Ludwig XIV. nutzte die Strukturen, die er vorfand, konsequent. Kardinal Mazarin, der Prinzipalminister und Ziehvater des jungen Königs, ließ bei seinem Tod 1661 ein nach Innen und Außen befriedetes, aufstrebendes Land zurück. Ludwig XIV. nahm die Zügel nun konsequent selbst in die Hand und trieb die Entwicklungstendenzen hin zu einer starken Krone, einer starken Dynastie und einem in Europa starken Frankreich ins Extrem. Er drängte damit sein Land in neue Konflikte. Hoffnungen auf eine Periode langen Friedens zerschlugen sich, als der junge König Frankreich bereits 1667 wieder in einen Krieg verwickelte, dem in den nächsten vier Jahrzehnten viele weitere folgen sollten. Es sollten Jahrzehnte werden, in denen die Zeitgenossen Ludwig XIV. gleichermaßen zu fürchten wie zu bewundern lernten.

1     Klaus Malettke. Die Bourbonen, Bd. 1: Von Heinrich IV. bis Ludwig XIV., 1589–1715, Stuttgart 2008, S. 122f.

2     Lothar Schilling. Das Jahrhundert Ludwigs XIV. Frankreich im Grand Siècle. 1598–1715. Darmstadt 2010, S. 125.

3     Jean-Marie Apostolidès. Le Roi-Machine. Spectacle et politique au temps de Louis XIV. Paris 1981.

4     Lucien Bély. Louis XIV. Le plus grand roi du monde. Paris 2004, S. 5. Die einschlägige Studie zur Inszenierung Ludwigs XIV., von der zahlreiche weitere Forschungsimpulse ausgingen, stammt von Peter Burke. The Fabrication of Louis XIV, New Haven u. a. 1992 (Dt.: Ludwig XIV.: die Inszenierung des Sonnenkönigs. Berlin 1993.).

5     Christoph Kampmann, Katharina Krause, Eva Krems und Anuschka Tischer (Hrsg.). Bourbon – Habsburg – Oranien um 1700. Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa. Köln/Weimar/Wien 2008; Hendrik Ziegler. Der Sonnenkönig und seine Feinde: die Bildpropaganda Ludwigs XIV. in der Kritik (= Studien zur internationalen Architektur- und Kunstgeschichte 79). Petersberg 2010.

6     Ludwig XIV. Memoiren. Basel/Leipzig 1931, S. 59f.

7     Jutta Schumann. Die andere Sonne. Kaiserbild und Medienstrategien im Zeitalter Leopolds I. (= Institut für Europäische Kulturgeschichte der Universität Augsburg, Colloquia Augustana 17). Berlin 2003.

8     Pierre Goubert. Ludwig XIV. und zwanzig Millionen Franzosen. Berlin 1973. Zum aktuellen Stand der demographischen und weiteren strukturellen Situation Frankreichs in der Zeit Ludwigs XIV. siehe Olivier Chaline. La règne de Louis XIV. Bd. 1, Paris 2005, S. 262–291.

9     Siehe dazu Christoph Kampmann, Katharina Krause, Eva Krems und Anuschka Tischer (Hrsg.). Bourbon – Habsburg – Oranien. Konkurrierende Modelle im dynastischen Europa um 1700. Köln u. a. 2008.

2          Ein junger König zwischen Krieg und Frieden (1643–1661)

 

 

Kindheit und Ausbildung

Über die Kindheit und Ausbildung Ludwigs XIV. ist vergleichsweise wenig bekannt, wenn man bedenkt, dass er als französischer Thronfolger geboren wurde, bald darauf König war und damit im Blickfeld der Öffentlichkeit und historischer Überlieferung stand.1 Überhaupt ist die Quellensituation uneinheitlich: Das Bild des Königs ist geprägt von der zweiten Hälfte seines Lebens. Es war die Zeit, in der er die Blicke unübersehbar auf sich gezogen hatte und als etablierter Monarch in Versailles residierte. Es ist vor allem die breite Quellenbasis dieser Zeit, die das Bild Ludwigs XIV. und seines Hofes mitbestimmt hat, die anschaulichen und unterhaltsamen Texte von literarischem Wert: die vielfach herausgegebenen Briefe seiner 1671 an den Hof gekommenen Schwägerin Elisabeth Charlotte von der Pfalz, die Memoiren des erst 1675 geborenen Herzogs von Saint-Simon oder der Bericht des brandenburgischen Gesandten Ezechiel Spanheim, den dieser nach einem mehrjährigen Aufenthalt in Frankreich 1690 verfasste.2

Gerade diese besonders stark rezipierten Texte sind problematisch. Sie befassten sich mit dem König in einer Zeit, als er historisch bereits deutlich präsent geworden war. Das, wofür er nun seit Jahrzehnten politisch und gesellschaftlich stand, aber auch die immer perfektere Inszenierung auf der großen Theaterbühne Versailles flossen in die Wahrnehmungen der Autoren ein, die alles andere als unbefangen waren. Elisabeth Charlotte von der Pfalz oder der Herzog von Saint-Simon betrachteten das Treiben am Hof ebenso wie die Politik Ludwigs XIV. aus einer innerlichen Distanz heraus. Mit oftmals spitzer Feder skizzierten sie ein Geschehen, in das sie nur bedingt eingreifen konnten und das sie durch ihre Darstellung konterkarierten. Elisabeth Charlotte berichtete mit einer Mischung aus Resignation und Verachtung, nahm aber durch ihre unverblümten Kommentare Leser über alle Zeiten hinweg für sich ein. Der Herzog von Saint-Simon, der seine Memoiren erst weit nach dem Tod Ludwigs XIV. begann, konzipierte sie als ein amüsantes, literarisch stark überformtes Werk, in das er neben persönlichen Erinnerungen auch andere Quellen, einschließlich ihm kolportierter Anekdoten, einfließen ließ. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass gerade in späteren, von bürgerlichen Idealen geprägten Epochen ein missbilligendes Urteil über das Zeitalter Ludwigs XIV. nicht selten auf der Grundlage dieser beider Autoren gefällt wurde und wird, denn beide waren selbst von aristokratischer Überheblichkeit geprägt und schilderten die Welt aus dieser Perspektive heraus. Spanheims Bericht diente dagegen der Information als Grundlage für das politische Handeln seines Auftraggebers. Als Hugenotte und Gesandter einer Ludwig XIV. gegenüber tendenziell eher feindlich eingestellten Macht war aber auch Spanheim alles andere als objektiv eingestellt. Es waren diese und noch so manch andere Zeitzeugen, die über den späten Ludwig XIV. berichteten, der in seiner neuen Residenz das Interesse auf sich zog. Reiseberichte aus Versailles und Reiseführer dorthin wurden eine auch im Druck weit verbreitete Literaturgattung. Die Wahrnehmung vieler Besucher war so bereits nicht mehr unbefangen, und die Berichte der literarisch weniger originellen unter ihnen konnten auf vorgegebene Eindrücke und Formulierungen zurückgreifen.

Ludwig als Projektionsfläche seines Zeitalters

Ludwig XIV. wurde im Laufe der Jahre zu einer Projektionsfläche der eigenen Inszenierung, aber auch der unterschiedlichen Erwartungshaltungen und Absichten jener, die über ihn berichteten. Die vielleicht nüchternste und zugleich kontinuierlichste Quelle, die wir über das Leben des Königs besitzen, sind die Berichte dreier seiner Ärzte, die für den Zeitraum von 1647 bis 1711 zu einem fortlaufenden Journal zusammengefasst wurden.3 Hier ist nicht der politische Akteur, der energische Kriegskönig oder die charismatische Persönlichkeit dokumentiert, sondern ein menschlicher Organismus mit seinen Funktionsweisen. Dieses Journal ermöglicht intimere Einblicke in die rein physische Existenz des Königs als man sie bei einem allgemeinen historischen Interesse in der Regel erhalten möchte. Doch in keinem anderen Bericht wird derart deutlich, dass Ludwig XIV. in all seinem Handeln ein normaler Mensch war, der im Alltag mit Magenbeschwerden, Erkältungen, Zahnweh, Blähungen oder Schlafproblemen kämpfte und dem die Medizin seiner Zeit im Krankheitsfall nur sehr bedingt Abhilfe und Linderung zu bieten hatte.

Diese Umstände sollten ebenso wenig aus dem Blick geraten wie die Tatsache, dass Ludwig XIV., auch wenn er als Thronfolger geboren und bereits mit vier Jahren König wurde, er damit nicht bereits jener König war, den wir aus seiner immer perfekteren Selbstdarstellung und den Berichten der zunehmend auf ihn fokussierten Zeitgenossen späterer Jahre kennen. Die frühen Jahre des Königs sind quellenärmer, aber die Quellen sind unbefangener. Ihre Autoren wie die Korrespondenten, allen voran Kardinal Mazarin, die vom französischen Hof berichteten oder Françoise de Motteville, eine Hofdame Annas von Österreich, die der Königin in ihren Memoiren ein literarisches Denkmal setzte, erwähnten den jungen Ludwig XIV. eher beiläufig. Sie waren mit den politischen Ereignissen ihrer Zeit befasst, in denen der König noch eine marginale Rolle spielte.

Denn Ludwig XIV. wuchs in turbulenten Zeiten auf. Frankreichs Kriege und bald auch innere Unruhen absorbierten das allgemeine Interesse. Vielleicht sorgte das besondere Umfeld der Kindheit und Jugend dieses Königs gerade dafür, dass die Atmosphäre, in der er heranwuchs, familiärer und intimer war als die, von der viele andere Fürsten geprägt wurden. Ludwig nahm quasi vom Tag seiner Geburt an repräsentative und zeremonielle Pflichten wahr. Als kindlicher König konnte er zwar nicht selbst regieren, alles aber geschah in seinem Namen. Er selbst wuchs durch aktive Präsenz frühzeitig in seine Aufgaben hinein. Von Kindheit an hielt er Audienzen ab, war in den höchsten Institutionen des Königreichs wie dem Kronrat oder dem Pariser Parlament zugegen und verfolgte die Regierungsarbeit persönlich aus der Nähe. Ludwig und sein Bruder Philippe hatten von Anfang an einen angemessenen Hofstaat, einschließlich Amme und Gouvernanten, später männlichen Lehrern und Erziehern. Der junge König war dabei aber stets von Personen umgeben, die sich gerade inmitten aller Turbulenzen, von denen auch seine eigene Familie während des Aufstands der Fronde betroffen war, um ihn sorgten. Anna von Österreich ließ sich nicht davon abhalten, sich persönlich um ihre Söhne zu kümmern, weder zu Lebzeiten ihres Mannes, der auch nach der Geburt der Kinder ein distanziertes Verhältnis zu seiner Gemahlin behielt, noch als Regentin nach seinem Tod. Auch im politischen Alltagsgeschäft einer kriegführenden Großmacht mit wachsender innerer Opposition pflegte sie Ludwig, als dieser 1647 an Windpocken erkrankte. Anna und Ludwig hatten zeitlebens ein inniges, liebevolles Verhältnis, das nicht unbedingt typisch war für elterliche Beziehungen an frühneuzeitlichen Höfen. Es wurde allerdings auch dadurch befestigt, dass Anna schon während ihrer Regentschaft ihren ältesten Sohn stets in den Vordergrund stellte und langfristig bereitwillig wieder in die zweite Reihe zurücktrat. Das unterschied sie von der Mutter Ludwigs XIII. und Großmutter Ludwigs XIV., Maria von Medici. Diese hatte rund 30 Jahre zuvor nach dem Ende ihrer Regentschaft mit ihrem volljährigen Sohn erbitterte Auseinandersetzungen um die Macht geführt und auch den jüngeren Gaston ermuntert, seinem Bruder, dem König, offen entgegenzutreten.4 Das Umfeld Ludwigs XIV. dagegen war von Anfang an auf ihn hin geordnet.

Die Rolle des Herrschers

Die Vaterrolle an dem früh vaterlos gewordenen König vertrat Jules Mazarin, der nicht nur die Regierung führte, sondern auch Ludwigs Taufpate war. Mazarins Nichten und sein Neffe wuchsen zeitweilig zusammen mit Ludwig und Philippe auf. 1646 wurde der Kardinal Oberaufseher der Erziehung des jungen Königs. Ludwig und Philippe genossen die gleiche Ausbildung durch die gleichen Lehrer, aber Ludwig wurde schon jetzt zum König erzogen. In dieser Zeit existierte eine Fülle an Literatur zum Ideal des christlichen Herrschers, vor allem die sogenannten Fürstenspiegel, Traktate, die ein Bild davon zeichneten, wie ein Fürst sein sollte. Sie waren keineswegs in der Art von Niccolò Machiavellis Der Fürst gehalten, auch wenn die Politik des 17. Jahrhunderts dieser Richtschnur oft zu entsprechen schien. Tatsächlich jedoch stellte der Zeitgeist einem König respektive seinen Erziehern das Ideal eines christlichen Herrschers vor Augen, der Recht und Moral verpflichtet war: Er sollte für das physische Wohl und den Schutz seiner Untertanen und vielleicht noch mehr für ihr seelisches Heil sorgen. Er sollte das Ansehen, aber auch die Rechte seines Landes und seiner Dynastie wahren und zugleich freundschaftlich mit der übrigen Gemeinschaft christlicher Fürsten verkehren.5 Im politischen Alltag produzierte dieses Ideal nicht selten unlösbare Widersprüche. Einen französischen König statteten das allgemeine Herrschaftsdenken und erst recht die politische Theorie in Frankreich mit der selbstbewussten Gewissheit aus, von Gott an seinen Platz gestellt worden zu sein und als weltlicher Vertreter Gottes nur diesem Rechtfertigung zu schulden. Zugleich stand ein König unter der Belastung, für jeden einzelnen seiner Untertanen verantwortlich zu sein und Gott dafür Rechenschaft ablegen zu müssen. »Schließlich aber: wie wir unseren Untertanen gehören, so gehören unsere Untertanen uns«, brachte es Ludwig XIV. selbst in seinen Memoiren auf den Punkt.6 Sein einflussreicher Hoftheologe Jacques-Bénigne Bossuet formulierte in seiner systematischen Politiktheorie ganz ähnlich: »Die großen Menschen sind nicht für sich selbst geboren.«7

Dem König war keine Zeit geblieben, in diese Anspannung von Überhöhung und Verpflichtung hineinzuwachsen. Er wuchs damit auf und musste sein Maß darin mitten in der Herrschaftsausübung selbst ausloten. Dennoch war er in gewisser Weise noch frei, sich selbst zu finden und zu erfinden: Anders als die Habsburger, die über Jahrhunderte ein dynastisches Rollenmodell aufgebaut und perfektioniert hatten, das dem Einzelnen klare Vorgaben machte und in dem jeder Habsburger erzogen wurde, waren die Bourbonen eine junge Herrscherdynastie.8 Was für die Dynastie zunächst problematisch war, dass ihr nämlich noch ein Image fehlte, mit dem sie sich präsentierte, war für Ludwig XIV. ein klarer Vorteil: Er konnte die Rolle, die er zeitlebens zu spielen hatte, noch ein gutes Stück weit selbst gestalten und an seine eigene Persönlichkeit anpassen. Die beiden Könige, die ihm bis zur Französischen Revolution noch nachfolgen sollten, hatten sich dann allerdings am übermächtigen Modell ihres Vorgängers abzuarbeiten.

Ausbildung

Die Ausbildung, die Ludwig erhielt, war nicht besonders gelehrt.9 Er lernte grundsätzliche Fertigkeiten wie Lesen, Schreiben, Mathematik und Zeichnen, außerdem Latein, Italienisch und Spanisch, die Sprache seiner Mutter. Ein Unterricht in Geschichte, aus der sich im 17. Jahrhundert alles Staats- und Völkerrecht herleitete, war selbstverständlich. Nichts aber spricht für ein besonders intensives Studium historischer und rechtlicher Zusammenhänge, obwohl Ludwigs Ausbildung von dem Geistlichen Hardouin de Péréfixe, einem renommierten Geschichtsschreiber, angeleitet wurde. Er publizierte später eine überaus populäre Biographie Heinrichs IV., in der sich das panegyrische Gedenken an den ersten Bourbonen-König auf dem französischen Thron mit der politischen Programmatik seines Enkels verband.10 Für Ludwig XIV. selbst war ein solcher Umgang mit Geschichte und Recht, der seinen eigenen Zielen und Nutzen diente, ohnehin symptomatisch.

Über den Ablauf und detaillierte Erfolge des Unterrichts, den Ludwig XIV. erhielt, wissen wir kaum etwas. Viel später getroffene Aussagen auch des Königs selbst, die das Bild seiner nur unzulänglichen Ausbildung begründet haben, sind nicht unbedingt verlässlich. Doch Ludwig war gewiss kein Bücherkönig und wollte keiner sein. Als König förderte er Wissenschaft und Literatur, unter anderem indem er die Akademie der Inschriften und der Literatur sowie die Akademie der Wissenschaften protegierte, die Jean-Baptiste Colbert 1663 und 1666 gegründet hatte. Ludwig XIV. spielte aber keine aktive Rolle in der Wissenschaft oder der Literatur. Es gab diverse Herrscher, die ihn an theoretischer Bildung und Sprachkenntnissen übertrafen. So erhielten die habsburgischen Kaiser des 17. Jahrhunderts durchweg eine fundierte jesuitische Ausbildung. Dies traf insbesondere für Ludwigs jahrzehntelangen Gegenspieler Kaiser Leopold I. zu, der ursprünglich für eine geistliche Laufbahn erzogen worden war. Einige Herrscher traten durch schriftstellerische Tätigkeit hervor, so Jakob I. von England und Schottland, dessen Basilikon Doron von 1599, der Form nach ein Leitfaden für seinen Nachfolger, zu den zentralen Werken der politischen Theorie der Zeit gehört und ein publizistischer Bestseller war, der in mehrere Sprachen übersetzt wurde. Andere Herrscher komponierten, unter ihnen auch Ludwig XIII. Auf die persönliche Konzeption Ludwigs XIV. hingegen geht neben seinen fragmentarisch gebliebenen sogenannten Memoiren für den Dauphin als präsumtivem Thronerben lediglich ein Führer durch den Park von Versailles zurück.11

Images

Die von Colbert betriebene Wirtschafts- und Wissenschaftspolitik war strikt auf die Zielsetzungen der Politik Ludwigs XIV. und auf dessen Person hin ausgerichtet. Hier zeigt eine inszenierte Darstellung von Henri Testelin, wie Colbert dem König die Mitglieder der 1667 gegründeten Akademie der Wissenschaften präsentiert.

Ein Fürst des 17. Jahrhunderts musste allerdings kein Gelehrter sein, erst recht nicht in Frankreich, wo akademische Bildung nicht zum adeligen Erziehungsideal gehörte. Der Adelige sollte sich vielmehr bemühen, ein honnête homme zu sein, ein »anständiger Mensch«, der weniger vertiefte Bildung besaß denn vielmehr einen ausgeglichenen Charakter, der sich in den verschiedensten Situationen so zu benehmen wusste, wie es seinem elitären Stand angemessen war, und der stets seine Ehre und seine Würde wahrte.12 Der Adelige, der am Hof verkehrte, repräsentierte dort seine Familie und andere Personen, die von ihm abhingen. Der Hof war eine Kontaktbörse, an dem man sich durch angenehme Manieren und vielfältige gemeinsame Sozialpraktiken empfahl. Der Adelige, der in den königlichen Dienst strebte, musste vielfältig einsetzbar sein. Dazu gehörten ein geschmeidiges Auftreten, soziale Umgangsformen und eine breite, aber nicht notwendig tiefe Allgemeinbildung oder spezifische Kompetenzen. Ludwig XIV., der Wert auf den geselligen Umgang und eine gefällige Repräsentation legte, perfektionierte später an seinem neuen Hof in Versailles das Ideal des kultivierten Adeligen, der nach außen zu glänzen verstand. Es war das Ideal, das er selbst lebte und das wie das seines souveränen Königtums ein Ideal war, das als Gegenentwurf zur brutalen und anarchischen Realität der Religionskriege des 16. Jahrhunderts entstanden war.

Ludwig XIV. erlernte die diversen Körpertechniken, die den Adeligen vom einfachen Menschen unterschieden und aufgrund ihrer langjährigen Einübung in jungen Jahren kaum imitiert oder nachgeholt werden konnten: Reiten, Kämpfen, Jagen, Tanzen, Tennis, Lauten- und Gitarrenspiel. Ludwig XIV. nutzte sie im wörtlichen Sinn zur Herrschaftspraxis: Als kriegführender König begleitete er zusammen mit dem Hof die Armee, begab sich aber niemals in der Schlacht selbst in Gefahr. Als aktiver König, der in diversen Arten von Sport, Spiel und Unterhaltung bewandert war, machte er seinen Hof zu einem Ort ständiger Abwechslung und Aktivität und damit attraktiver als die bis dahin tonangebenden habsburgischen Höfe, die vor allem ihre Frömmigkeit zelebrierten. Erst mit zunehmendem Alter sollte Ludwig XIV. sich ihnen darin annähern.

Die politische Regierungsarbeit erlernte Ludwig XIV. ähnlich wie Reiten und Tanzen: in der Praxis, aber unter der Führung eines erfahrenen Ausbilders. Bis er selbst nach dem Tod Mazarins 1661 die Regierung übernahm, hatte der Kardinal für ihn zwei auswärtige Kriege und einen Bürgerkrieg geführt und beendet. Die Turbulenzen, die Ludwigs Heranwachsen begleiteten, wurden ihm damit zugleich zu einer Lehrmeisterin, die ihm nützlicheres Wissen über Politik und Herrschaft vermittelte als es Buchwissen konnte. Als er selbst später Ratschläge für den Thronfolger formulierte, brachte er die Überlegenheit seiner Instruktion, die aus der Herrschaftspraxis kam, gegenüber allen anderen auf den Punkt: »Denn mögen andere über mehr Begabung und größere Erfahrung verfügen als ich, so haben sie doch nicht regiert, nicht in Frankreich regiert«.13 Die theoretische Reflexion und Rücksichtnahmen auf Traditionen und Gepflogenheiten blieben gerade in den ersten Jahrzehnten der eigenen Herrschaft Ludwigs XIV. zurück hinter dem Instinkt des Praktikers. So setzte Ludwig XIV. neue Standards, die vielfach begeisterten, aber oft auch verstörten und ihm Bewunderer und Nachahmer ebenso wie erbitterte Gegner eintrugen.

Tatsächlich wurde der junge König bereits als Kind schonungslos mit einer politischen Praxis konfrontiert, in der alle Theorie ebenso wie die königliche Autorität schnell an ihre Grenzen gerieten. Der Bürgerkrieg, dem er noch vor seiner Krönung ausgeliefert war, sollte Ludwig XIV. prägen.

Die Fronde – Ludwigs prägende Kindheitserfahrung

Als Anna von Österreich 1643 die Regentschaft übernahm, erbte sie nicht nur die offensichtlichen Probleme der Regierung ihres verstorbenen Mannes, nämlich den Krieg gegen ihren eigenen Bruder, Philipp IV. von Spanien, und gegen Kaiser Ferdinand III., der ebenfalls ein Habsburger war und der Ehemann von ihrer und Philipps jüngerer Schwester Maria Anna. Anna von Österreich wurde auch mit jener Opposition konfrontiert, die Ludwig XIII. und Kardinal Richelieu mit starker Hand ausgeschaltet und unterdrückt hatten. Eine solche Stärke besaß eine Regentschaft für einen minderjährigen König nicht. Der Krieg verschärfte den Widerstand noch: Zum einen trieb er die Verschuldung Frankreichs voran und schuf soziale Konflikte. Zum anderen war dieser Krieg in Frankreich auch grundsätzlich umstritten, denn das katholische Frankreich führte ihn gemeinsam mit Protestanten gegen andere katholische Mächte.

Anna von Österreich selbst hatte sich als Habsburgerin zu Lebzeiten Ludwigs XIII. in einer eher zwiespältigen Position am französischen Hof befunden. Dies galt erst recht nach dem Ausbruch des französisch-spanischen Krieges 1635, zumal sie die Korrespondenz mit ihren Verwandten zunächst heimlich fortgeführt hatte. Der König misstraute seiner Frau. Seine Mutter Maria von Medici hatte ihn als Jugendlichen im Rahmen der von ihr initiierten kurzzeitigen französisch-spanischen Annäherung mit der Infantin verheiratet.14 Anna wurde zum langfristigen Relikt dieser schnell wieder obsolet gewordenen und schließlich ins Gegenteil umgeschlagenen Politik. Ludwig XIII. wollte ihr nach seinem Tod nicht die Regierung überlassen, zumal die Regentschaft seiner eigenen Mutter während seiner Minderjährigkeit eher ungute Erinnerungen hinterlassen hatte. Doch Anna von Österreich gelang es, das Testament ihres Mannes, in dem dieser einen Regentschaftsrat eingesetzt hatte, nach seinem Tod vom Pariser Parlament, dem obersten Gerichtshof, kassieren zu lassen. Dieser Handstreich sicherte ihr die alleinige Macht, war aber tückisch im Hinblick auf die kommenden Ereignisse, denn das Parlament sollte einer von Annas Hauptkontrahenten während der Fronde werden. Dass es 1643 den Willen eines Königs für nichtig erklären konnte, musste es in seiner selbstbewussten Haltung bestärken, Teilhaber der Macht in Frankreich zu sein.15

Anna von Österreich war durch ihre dynastische Herkunft als spanische Infantin einerseits und ihre Heirat andererseits in einer unbequemen Zwitterstellung. Es wäre durchaus verständlich gewesen, wenn sie als Regentin den schnellen Frieden mit ihren habsburgischen Verwandten gesucht hätte. Doch sie entschied sich überraschend deutlich und kompromisslos für die Interessen ihres Sohnes und damit der Bourbonen und Frankreichs.16 Anders als eine Generation zuvor Maria von Medici, die mit einem eigenen politischen Selbstbewusstsein auftrat, bezog Anna ihr Handeln stets auf ihren Sohn und ließ sich auch entsprechend inszenieren. Die neue Regentin bestätigte Kardinal Mazarin als ihren Regierungschef. Das bedeutete eine Fortsetzung der Politik Ludwigs XIII. und Richelieus, gegen die

Images

Die Mutter Ludwigs XIV., die spanische Infantin Anna von Österreich, übernahm nach dem Tod ihres Mannes die Regentschaft und griff die traditionelle habsburgische Frömmigkeitsinszenierung auf. Hier ist sie von einem Maler aus dem Atelier von Philippe de Champaigne 1646 mit ihren Söhnen, der heiligen Scholastika und dem heiligen Benedikt von Nursia dargestellt, der die beiden Halbwaisen der Trinität empfiehlt.

sich unmittelbar Widerstand regte. Wenige Monate nach Beginn der Regentschaft konnten ein Aufstand unzufriedener Hochadeliger, die Cabale des Importants, und die Ermordung Mazarins verhindert werden.

Bis 1648 allerdings staute sich die Unzufriedenheit von verschiedenen Seiten weiter auf. Es kam zur Fronde, jenem großen Aufstand, der seinen Namen von der kleinen Steinschleuder herleitete, der Waffe von Kindern oder strukturell unterlegenen Gegnern. Tatsächlich bewegte sich dieser Aufstand irgendwo zwischen spielerischer Tändelei und einem Kampf nach Art eines David gegen Goliath. Die Fronde dauerte in ihren letzten Ausläufern bis mindestens 1653, vereinzelt auch darüber hinaus.17 Es war keine einheitliche Bewegung, sondern verschiede-

Images

Kardinal Mazarin (hier ein Porträt Philippe de Champaignes) setzte nach dem Tod Kardinal Richelieus und Ludwigs XIII. nicht nur deren politisches Werk fort, sondern wurde auch zum Ziehvater für den jungen Ludwig XIV.

ne Aufstände mit entsprechend unterschiedlichen Trägern und Motivationen. Insbesondere unterscheidet man die Fronde des Pariser Parlaments, die Anfang 1648 den Beginn der Unruhen markierte, und später die sogenannte Prinzenfronde, die von Hochadeligen getragen wurde mit Mitgliedern des königlichen Hauses wie dem jungen Fürsten von Condé und seinem Bruder Conti an der Spitze. Hinzu kamen andere Aufstandsherde wie der des Parlaments in Bordeaux. Die weitere Bevölkerung schloss sich den Unruhen phasenweise an. In den Provinzen zogen die Hochadeligen ihre Anhänger mit in den Aufstand, so dass die Fronde keineswegs nur Hauptstadt-Phänomen war. In Paris selbst sorgte die Beteiligung der Bevölkerung aber für jenen tumultösen, bürgerkriegsähnlichen Charakter, der den König und die Regentschaftsregierung unmittelbar betraf.

Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Fronde

Wenn es eine Gemeinsamkeit der Aufständischen gab, so war es die Unzufriedenheit mit einer langfristigen Regierungspolitik, die die Macht der verschiedenen politischen und administrativen Eliten immer mehr eindämmte: die des alteingesessenen Schwertadels, der die Provinzen kontrollierte und traditionell Einfluss am Hof ausübte, ebenso wie die des relativ jungen Amtsadels, dem zuvor über den Ausbau der königlichen Verwaltung und wachsender Institutionalisierung Bedeutung zugewachsen war. Die Parlamente waren keine Gremien zur politischen Repräsentation, sondern Gerichtshöfe. Insbesondere das Pariser Parlament war aber nicht nur eine judikative Instanz, sondern war auch in den Gesetzgebungsprozess eingebunden, da es alle Gesetze registrierte. Es lag nahe, diese Funktion als Kontrollfunktion und also in gewisser Weise als politische Mitsprache zu interpretieren.

Der französischen Gesellschaft fehlte eine Plattform vergleichbar den Ständevertretungen anderer Länder dieser Zeit, auf der gesellschaftliche Missstände vorgetragen und diskutiert werden konnten: Die entsprechenden Gremien, die Generalstände und die Notabelnversammlung, waren seit 1614 bzw. seit 1627 nicht mehr einberufen worden. Die kriegsbedingten wirtschaftlichen Probleme verschärften die politische und gesellschaftliche Unzufriedenheit, da die Regierung dem Land immer höhere Abgaben abverlangte. 1648 musste der Staatsbankrott erklärt werden. Es war dabei sicher kein Zufall, dass die Fronde erst recht an Dynamik gewann, als im Oktober 1648 der Westfälische Friede geschlossen wurde, der den Krieg gegen den Kaiser beendete. Denn auch wenn dieser Friede für die Regierung einen Reputationsgewinn darstellte, so war doch ein Friede mit Spanien nicht erreicht worden. Dass der Westfälische Friedenskongress sich auflöste, bedeutete, dass ein Frieden mit Spanien und damit eine finanzielle Entlastung in absehbarer Zeit nicht zustande kommen würden.

Die Fronde richtete sich nicht gegen die Krone oder den König, sondern gegen Mazarin. Ihm wurde vorgeworfen, die Autorität des Königs zu usurpieren und dabei die traditionellen Eliten zu beschneiden, die Mitsprache gerade in Zeiten der Minderjährigkeit des Königs beanspruchten. Mazarin, dem gebürtigen Italiener, der erst in den 1630er Jahren nach Frankreich gekommen und dort durch die Förderung Kardinal Richelieus in wenigen Jahren kometenhaft aufgestiegen war, schlug nicht nur Ablehnung, sondern vielfach Hass entgegen. Die gegen ihn während der Fronde publizierten Pamphlete, die Mazarinaden, erreichten mit rund 5000 verschiedenen Stücken ein derartiges Ausmaß und eine derartige Qualität, dass man sie als eigene Quellengattung bezeichnen kann. Als die Feindfigur der Fronde schlechthin musste der Ziehvater des jungen Königs sich schließlich 1651 für fast ein Jahr ins Exil nach Brühl im Kurfürstentum Köln zurückziehen. Das Pariser Parlament verfügte einen offiziellen Erlass gegen ihn. Nach Paris konnte er erst zwei Jahre später, im Februar 1653, zurückkehren.

Auch wenn sich die Fronde nicht gegen Ludwig XIV. selbst richtete, so war er doch fundamental betroffen von den Unruhen, die durchaus gegen die Krone hätten umschlagen können. Die königliche Familie hatte mit England, wo zeitgleich ein Bürgerkrieg mit weitaus dramatischeren Konsequenzen tobte, ein warnendes Beispiel vor Augen: Die Gemahlin Karls I., Henrietta Maria, eine Schwester Ludwigs XIII., befand sich mit ihren Kindern im Exil in Saint-Germain-en-Laye. Im Januar 1649 flüchtete Anna von Österreich selbst mit dem König und ihren Anhängern vor den Unruhen aus Paris zeitweilig dorthin. Die Hinrichtung Karls I. von England kurz darauf zeigte, welche Dynamik ein solcher Bürgerkrieg gewinnen konnte.18