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Psychotherapie kompakt

 

Herausgegeben von

 

Harald J. Freyberger

Rita Rosner

Ulrich Schweiger

Günter H. Seidler

Rolf-Dieter Stieglitz

Bernhard Strauß

Rolf-Dieter Stieglitz

Harald J. Freyberger (Hrsg.)

Diagnostik in der Psychotherapie

Ein Praxisleitfaden

Verlag W. Kohlhammer

 

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

 

 

 

 

 

1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-17-028719-8

 

E-Book-Formate:

pdf:       ISBN 978-3-17-028720-4

epub:    ISBN 978-3-17-028721-1

mobi:    ISBN 978-3-17-028722-8

 

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Geleitwort zur Reihe

 

 

 

Die Psychotherapie hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt: In den anerkannten Psychotherapieverfahren wurde das Spektrum an Behandlungsansätzen und -methoden extrem erweitert. Diese Methoden sind weitgehend auch empirisch abgesichert und evidenzbasiert. Dazu gibt es erkennbare Tendenzen der Integration von psychotherapeutischen Ansätzen, die sich manchmal ohnehin nicht immer eindeutig einem spezifischen Verfahren zuordnen lassen.

Konsequenz dieser Veränderungen ist, dass es kaum noch möglich ist, die Theorie eines psychotherapeutischen Verfahrens und deren Umsetzung in einem exklusiven Lehrbuch darzustellen. Vielmehr wird es auch den Bedürfnissen von Praktikern und Personen in Aus- und Weiterbildung daran gelegen sein, sich spezifisch und komprimiert Informationen über bestimmte Ansätze und Fragestellungen in der Psychotherapie zu informieren. Diesem Bedürfnis soll die Buchreihe »Psychotherapie kompakt« entgegenkommen.

Die von uns herausgegebene neue Buchreihe verfolgt den Anspruch, einen systematisch angelegten und gleichermaßen klinisch wie empirisch ausgerichteten Überblick über die manchmal kaum noch überschaubare Vielzahl aktueller psychotherapeutischer Techniken und Methoden zu geben. Die Reihe orientiert sich an den wissenschaftlich fundierten Verfahren, also der Psychodynamischen Psychotherapie, der Verhaltenstherapie, der Humanistischen und der Systemischen Therapie, wobei auch Methoden dargestellt werden, die weniger durch ihre empirische, sondern durch ihre klinische Evidenz Verbreitung gefunden haben. Die einzelnen Bände werden, soweit möglich, einer vorgegeben inneren Struktur folgen, die als zentrale Merkmale die Geschichte und Entwicklung des Ansatzes, die Verbindung zu anderen Methoden, die empirische und klinische Evidenz, die Kernelemente von Diagnostik und Therapie sowie Fallbeispiele umfasst. Darüber hinaus möchten wir uns mit verfahrensübergreifenden Querschnittsthemen befassen, die u. a. Fragestellungen der Diagnostik, der verschiedenen Rahmenbedingungen, Settings, der Psychotherapieforschung und der Supervision enthält.

Harald J. Freyberger (Stralsund/Greifswald)

Rita Rosner (Eichstätt-Ingolstadt)

Ulrich Schweiger (Lübeck)

Günter H. Seidler (Dossenheim/Heidelberg)

Rolf-Dieter Stieglitz (Basel)

Bernhard Strauß (Jena)

Inhalt

 

 

 

  1. Geleitwort zur Reihe
  2. Einführung: Diagnostik in der Psychotherapie
  3. Rolf-Dieter Stieglitz und Harald J. Freyberger
  4. I Allgemeine Grundlagen
  5. 1 Allgemeine Grundlagen der Diagnostik in der Psychotherapie
  6. Anton-Rupert Laireiter und Karin Kalteis
  7. 2 Störungsübergreifende Verfahren in der Psychotherapie
  8. Rolf-Dieter Stieglitz und Harald J. Freyberger
  9. 3 Erfassung von Veränderungen
  10. Rolf-Dieter Stieglitz und Wolfgang Hiller
  11. II Diagnostik in verschiedenen therapeutischen Schulen
  12. 4 Diagnostik in der Psychoanalyse und in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie
  13. Wolfgang Schneider
  14. 5 Diagnostik in der Gesprächspsychotherapie
  15. Jochen Eckert und Reinhold Schwab
  16. 6 Diagnostik in der Verhaltenstherapie
  17. Rebekka Neu, Martin grosse Holtforth und Wolfgang Lutz
  18. 7 Diagnostik in der Systemischen Paar- und Familientherapie
  19. Maria Borcsa und Julia Hille
  20. III Störungsspezifische Diagnostik
  21. 8 Diagnostik bei schizophrenen Störungen
  22. Reinhard Maß
  23. 9 Diagnostik bei affektiven Störungen
  24. Lars P. Hölzel, Philomena Storz und Claus Normann
  25. 10 Diagnostik bei Panik und Agoraphobie
  26. Sandra Brogli und Klaus Bader
  27. 11 Diagnostik bei Generalisierter Angststörung
  28. Jürgen Hoyer und Andre Pittig
  29. 12 Diagnostik bei sozialen Angststörungen
  30. Jihong Lin und Ulrich Stangier
  31. 13 Diagnostik bei posttraumatischen Belastungsstörungen
  32. Harald J. Freyberger und Rolf-Dieter Stieglitz
  33. 14 Diagnostik bei Zwangsstörungen
  34. Jan Terock, Deborah Janowitz und Hans-Jörgen Grabe
  35. 15 Diagnostik bei dissoziativen Störungen
  36. Carsten Spitzer, Rolf-Dieter Stieglitz und Harald J. Freyberger
  37. 16 Diagnostik bei Essstörungen
  38. Beate Steinfeld, Anika Bauer, Andrea S. Hartmann und Silja Vocks
  39. 17 Diagnostik bei somatoformen Störungen und anderen Störungen mit unspezifischen körperlichen Beschwerden
  40. Wolfgang Hiller
  41. 18 Diagnostik bei Borderline-Persönlichkeitsstörungen
  42. Harald J. Freyberger und Rolf-Dieter Stieglitz
  43. Verzeichnis der Herausgeber und Autoren
  44. Sachwortverzeichnis

Einführung: Diagnostik in der Psychotherapie

Rolf-Dieter Stieglitz und Harald J. Freyberger

 

 

 

Diagnostik hat im Kontext der Psychotherapie im deutschsprachigen Raum über Jahrzehnte bestenfalls eine untergeordnete Rolle gespielt. Zu Beginn einer Therapie beschränkt sich diese oft auf die Diagnosestellungen nach einem etablierten Klassifikationssystem (ICD-10 oder DSM-IV/-5). Im Verlauf finden dann nur noch selten diagnostische Verfahren Anwendung, die z. B. den Therapiefortschritt dokumentieren. Diagnostik wurde oft wegen des mit ihr verbundenen strukturierten Vorgehens als belastend für die therapeutische Beziehung betrachtet und zumeist wurde auf sie zu Gunsten einer hermeneutischen oder pragmatischen Betrachtungsweise verzichtet. Auch nachvollziehbare diagnostische Ansätze zu differenzierteren Fallkonzeptionen wurden erst allmählich entwickelt (Schneider und Freyberger 2014; Freyberger und Caspar im Druck). Lediglich in der Gesprächspsychotherapie hat sie eine lange Tradition (image Kap. 5).

Im angloamerikanischen Bereich spielt die Integration einer umfassenden Psychodiagnostik in die Psychotherapie seit Jahren eine ungleich größere Rolle. Exemplarisch sei auf drei herausragende Monografien verwiesen, die zu den ersten umfassenderen Arbeiten zu dieser Thematik gehören:

•  Ogles et al. (1996) legten eine Übersicht zu Verfahren zur Outcome-Messung vor und gaben Empfehlungen für die praktische Anwendung ab. Als besonders positiv zu erwähnen sind die detaillierten Ausführungen zu Fragen der Veränderungsmessung unter klinischen Gesichtspunkten.

•  Im Buch von Strupp et al. (1997) wurde von einer Bestandsaufnahme der psychotherapeutischen Outcome-Forschung bezogen auf die affektiven, Angst- und Persönlichkeitsstörungen ausgegangen. Darauf aufbauend wurden Kriterien für die Auswahl von Instrumenten entwickelt und Vorschläge für Standardverfahren (sog. core battery) gegeben.

•  Im Buch von Antony und Barlow (2002) wird besonders auf die enge Verzahnung von Diagnostik und Therapie hingewiesen, bezogen auf 13 ausgewählte Störungen (u. a. alle Angststörungen nach DSM-IV, Depression Schizophrenie, Persönlichkeitsstörungen). Auch hier werden explizite Empfehlungen für einzelne Verfahren formuliert.

Diese Vorschläge wurden im deutschsprachigen Bereich kaum rezipiert bzw. als eigenständige Ansätze entwickelt. Ausnahmen bilden das Buch von Laireiter (2000), das multiaxiale System der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (AK OPD 2001) und das Rahmenmodell psychotherapeutischer Diagnostik von Grawe und Braun (1994) mit ihrem sog. »Figurationsanalytischen Ansatz«. Letztere schlugen verschiedene Möglichkeiten der Kontrolle von Prozess- und Ergebnisqualität vor. Versucht wurde, die Veränderung eines einzelnen Patienten1 in Bezug auf die relevante Bezugs- oder Referenzgruppe abzubilden, d. h. eine Gruppe vergleichbarer Psychotherapiepatienten (= Figuration). Unterschieden wurde zwischen Effekt-, Zustands- und Prozessfiguration unter Verwendung psychometrischer Verfahren. Effektfiguration umfasst die Bewertung der Veränderung im Prä-Post-Vergleich, Zustandsfiguration den Ausgangszustand des Patienten bei Therapiebeginn und Prozessfiguration die Prozessqualität der Therapie, erfasst mittels sog. »Stundenbögen«. Diese beinhalten u. a. die Erfassung der Zufriedenheit mit der Therapie sowie Fortschritte innerhalb und außerhalb der Therapie (vgl. hierzu auch Stieglitz und Hiller 2014; image Kap. 3).

Trotz dieser seit langem existierenden Vorschläge ist erst allmählich die Tendenz einer stärkeren Verbindung zwischen Diagnostik und Therapie auch im deutschsprachigen Bereich erkennbar. Hierfür lassen sich verschiedene Faktoren verantwortlich machen:

•  Zunahme von verfügbaren Verfahren, d. h. sowohl störungs- als auch z. T. therapierelevante Verfahren (vgl. Teil III in diesem Band)

•  z. T. Zunahme an Verfahren, die aus einer Therapietheorie abgeleitet sind bzw. in enger Beziehung dazu stehen (vgl. hierzu auch Teil II in diesem Band),

•  zunehmende Forderung, die Qualität der Behandlung zu dokumentieren (Stichwort Qualitätssicherung/-management; vgl. z. B. Härter et al. 2003),

•  Erkennen des eigenen Nutzens für die therapeutische Arbeit.

Diese Entwicklungen und Möglichkeiten aufzuzeigen, ist Gegenstand des vorliegenden Bandes.

Ein Problem bei der Auswahl und Anwendung von psychometrischen Verfahren besteht jedoch unverändert darin, dass es bis heute kein sog. »Evidence Based Assessment« (vgl. im Überblick Hunsley und Mash 2007) gibt mit Vorgaben, welche verbindlichen Anforderungen an psychodiagnostische Verfahren gestellt werden und welche Verfahren zur Anwendung kommen sollten. Therapieleitlinien verschiedener nationaler wie internationaler Fachgesellschaften bezüglich einzelner Störungsbilder fokussieren fast ausschließlich auf die Therapie, der Fokus der Diagnostik liegt meist auf der somatischen und klassifikatorischen Diagnostik, eine psychometrische, direkt therapiebezogene Diagnostik wird (wenn überhaupt) eher am Rande erwähnt (Freyberger und Stieglitz 2006) und bleibt dann auch eher allgemein im Hinblick auf die Empfehlung einzelner Verfahren, meist an deren Bekanntheitsgrad und nicht psychometrischer Qualität orientiert.

Exemplarisch sei auf den Aspekt der Zunahme an Verfahren hingewiesen. Bereits vor ca. 25 Jahren gab es erste Zusammenstellungen von Instrumenten für die Psychotherapie:

•  Hank et al. (1990) stellten erstmalig Verfahren für den Paar- und Familienbereich zusammen.

•  Brähler et al. (2003) publizierten die Zusammenstellung »Diagnostische Verfahren in der Psychotherapie« von insgesamt 46 Verfahren, die für den Einsatz auch in der Psychotherapie empfohlen wurden.

Von beiden Bänden liegen zwischenzeitlich Neuauflagen vor (Richter et al. 2015 sowie Geue et al. 2016) sowie Erweiterungen und Ergänzungen (Strauss und Schumacher 2005 zu klinischen Interviews und Ratingskalen, Schumacher et al. 2003 zu Verfahren zur Erfassung von Lebensqualität und Wohlbefinden).

Basierend auf den Entwicklungen der letzten Jahre versucht der vorliegende Band, einen Überblick zu Möglichkeiten der Diagnostik in der Psychotherapie zu geben. Neben den allgemeinen Grundlagen und Möglichkeiten (Teil I) wird aus Sicht der wichtigsten Therapieschulen (tiefenpsychologisch, gesprächspsychotherapeutisch, verhaltenstherapeutisch, systemisch) der Stellenwert der Diagnostik dargestellt (Teil II). Der Schwerpunkt dieses Bandes liegt auf der Darstellung der störungsspezifischen Diagnostik ausgewählter Störungsgruppen (Teil III). Gerade in diesem Bereich sind die umfangreichsten Entwicklungen erkennbar, bedingt durch die zunehmenden störungsspezifischen Therapieangebote mit der Entwicklung entsprechender Verfahren.

Insgesamt musste eine Auswahl getroffen werden, da es den Rahmen des Bandes gesprengt hätte, zu allen Störungen entsprechende Kapitel aufzunehmen. Als Auswahlkriterien wurde neben der klinischen Relevanz der Störungen vor allem berücksichtigt, ob überhaupt Instrumente in den gegebenen Bereichen vorliegen. So musste z. B. die relevante Gruppe der Anpassungsstörungen wegen des Fehlens geeigneter Instrumente ausgeschlossen werden. Bei den Persönlichkeitsstörungen konnte nur die Borderline-Persönlichkeitsstörung einbezogen werden, da nur hier Verfahren vorliegen.

Um den praktischen Nutzen (clinical utility) des vorliegenden Bandes herauszustellen, wurden (bis auf wenige Ausnahmen) nur Verfahren einbezogen, die auch in deutscher Sprache verfügbar sind, d. h. es mussten zumindest deutschsprachige Übersetzungen vorliegen und für diese zusätzlich auch Validierungsstudien vorliegen.

Die diagnostischen Referenzsysteme der nachfolgenden Kapitel stellen die verschiedenen Versionen der International Classification of Diseases (lCD; dt. Internationale Klassifikation psychischer Störungen) der World Health Organisation (WHO) und das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM; dt. Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen) der American Psychiatric Association (APA) dar. Um Redundanzen der Zitierungen in den einzelnen Kapiteln zu vermeiden, werden nachfolgend die deutschsprachigen Bezugsreferenzen aufgeführt:

ICD

•  Klinisch-diagnostische Leitlinien: Dilling et al. (2015)

•  Forschungskriterien: Dilling et al. (2011)

DSM

•  DSM-III: Koehler und Sass (1984)

•  DSM-III-TR: Wittchen et al. (1989)

•  DSM-IV: Sass et al. (1996)

•  DSM-IV-TR: Sass et al. (2003)

•  DSM-5: Falkai und Wittchen (2015)

Ziel des Buches ist es, dem Kliniker Anregungen und Empfehlungen zu geben, der Diagnostik in der Psychotherapie einen größeren Stellenwert einzuräumen. Es wurden Hinweise und Empfehlungen in die Abschnitte aufgenommen, Instrumente entsprechend den eigenen Bedürfnissen auszuwählen. Erst so kann deren Nutzen erkannt werden. Der Verzicht auf eine differenzierte Eingangs- und vor allem aber auch Verlaufsdiagnostik lässt sich kaum begründen. Eine unzureichende Diagnostik zu Beginn der Therapie lässt eine gute Therapieplanung kaum zu, der Verzicht auf eine Diagnostik im Verlauf lässt Fortschritte oder auch Stagnation nicht hinreichend erkennen.

Unser Dank im gesamten redaktionellen Prozess der Erstellung dieses Bandes gilt Frau BSc Milena Hauke, die mit großer Umsicht, Genauigkeit und Engagement wesentlich zum Gelingen dieses Bandes beigetragen hat, sowie Frau MSc Sarah Königer, die an der Endredaktion wesentlich beteiligt war.

Literatur

Antony MM, Barlow DH (Eds.) (2002) Handbook of assessment and treatment planning for psychological disorders (2nd ed.). New York: Guilford.

Arbeitskreis OPD (Hrsg.) (2001) Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik (OPD). Grundlagen und Manual. Bern: Huber.

Brähler E, Schumacher J, Strauss B (Hrsg.) (2003) Diagnostische Verfahren in der Psychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

Dilling H, Mombour W, Schmidt MH (Hrsg.) (2015) Internationale Klassifikation psychischer Störungen, ICD-10, Kapitel V (F). Klinische Beschreibungen und diagnostische Leitlinien (10. Aufl.). Bern: Huber.

Dilling H, Mombour W, Schmidt MH, Schulte-Markwort E (Hrsg.) (2011) Internationale Klassifikation psychischer Störungen, ICD-10, Kapitel V (F). Forschungskriterien (5. Aufl.). Bern: Huber.

Falkai P, Wittchen HU (Hrsg.) (2015) Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen (DSM-5®). Göttingen: Hogrefe.

Freyberger HJ, Caspar F (im Druck) Diagnostik und Psychotherapie. In: Herpertz SC, Lieb K, Caspar F (Hrsg.) Störungsorientierte Psychotherapie. München: Urban & Fischer.

Freyberger HJ, Stieglitz RD (2006) Leitlinien zur Diagnostik in der Psychiatrie und Psychotherapie. Z Psychol Psychiatr Psychother 54:23–33.

Geue K, Strauss B, Brähler E (Hrsg.) (2016) Diagnostische Verfahren in der Psychotherapie (3. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.

Grawe K, Braun U (1994) Qualitätskontrolle in der Psychotherapie-Praxis. Z Klin Psychol 23:242–267.

Härter M, Linster HW, Stieglitz RD (Hrsg.) (2003) Qualitätsmanagement in der Psychotherapie. Göttingen: Hogrefe.

Hank G, Hahlweg K, Klann N (Hrsg.) (1990) Diagnostische Verfahren für Berater. Materialien zur Diagnostik und Therapie in Ehe-, Familien- und Lebensberatung. Weinheim: Beltz-Test.

Hunsley J, Mash EJ (2007) Evidence-based assessment. Annu Rev Clin Psychol 3:29–51.

Koehler K, Sass H (Hrsg.) (1984). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen (DSM-III). Weinheim: Beltz.

Laireiter AR (Hrsg.) (2000) Diagnostik in der Psychotherapie. Wien: Springer.

Ogles BM, Lambert MJ, Masters KS (Eds.) (1996) Assessing outcome in clinical practice. Boston: Ally and Bacon.

Richter D, Brähler E, Ernst J (Hrsg.) (2015) Diagnostische Verfahren für Beratung und Therapie von Paaren und Familie. Göttingen: Hogrefe.

Sass H, Wittchen HU, Zaudig M (1996) Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen (DSM-IV). Göttingen: Hogrefe.

Sass H, Wittchen HU, Zaudig M, Houben I (2003) Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen - Textrevision (DSM-IV-TR). Göttingen: Hogrefe.

Schneider W, Freyberger HJ (2014) Diagnostik in der Psychotherapie. Psychotherapeut 59:439–447.

Schumacher J, Klaiberg A, Brähler E (Hrsg.) (2003) Diagnostische Verfahren zur Lebensqualität und Wohlbefinden. Göttingen: Hogrefe.

Stieglitz RD, Hiller W (2014) Strategien und Instrumente der Veränderungsmessung. Z Psychiatr Psychol Psychother 62:101–111.

Strauss B, Schumacher J (Hrsg.) (2005) Klinische Interviews und Ratingskalen. Göttingen: Hogrefe.

Strupp HH, Horowitz LM, Lambert MJ (Eds.) (1997) Measuring patient changes in mood, anxiety, and personality disorders: Toward a core battery. Washington, DC: American Psychological Association.

Wittchen HU, Sass H, Zaudig M, Köhler K (Hrsg.) (1989). Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen – Revision (DSM-III-R). Weinheim: Beltz.

1     Nachfolgend soll der Begriff Patient verwendet werden, wobei selbstverständlich ebenso Patientinnen damit gemeint sind. Dies gilt auch für alle anderen in diesem Band verwendeten entsprechenden Formulierungen.

 

 

 

 

I           Allgemeine Grundlagen

1          Allgemeine Grundlagen der Diagnostik in der Psychotherapie

Anton-Rupert Laireiter und Karin Kalteis

 

1.1       Einleitung

 

Von den vielen Aufgaben, die Diagnostik in der Klinischen Psychologie hat (Befundung, Begutachtung, Erklärung, Indikation etc.; Röhrle et al. 2007), sind diejenigen im Rahmen der Psychotherapie von besonderer Bedeutung: Diagnostik übernimmt hier im Vergleich zu anderen Anwendungsbereichen eigene Aufgaben und ist zentraler Bestandteil derselben und Voraussetzung für diese. Die Bedeutung der Diagnostik für die Psychotherapie wird daher heute kaum mehr in Frage gestellt (Laireiter 2011a) und die Anzahl entsprechender Publikationen hat in den letzten Jahren zugenommen (z. B. grosse Holtforth et al. 2009; Röhrle et al. 2007). Auch sehen verschiedene Richtlinien, z. B. zur Dokumentation oder Qualitätssicherung (grosse Holtforth et al. 2009; Laireiter 2011c), Diagnostik als einen verpflichtenden Bestandteil der Psychotherapie.

Die Diagnostik selbst und das Verhältnis von Diagnostik und Therapie zueinander haben sich stark verändert: Vermehrt werden therapierelevante Methoden entwickelt (z. B. OPD, klinische Verhaltensanalyse, Therapietracking), ebenso wird anerkannt, dass der Wert der Diagnostik nicht nur zu Beginn einer Therapie gegeben ist, sondern auch in der Verlaufs- und Prozesssteuerung (Boswell et al. 2015) und für die Evaluation (image Kap. 3). Störungsbezogene Therapieprogramme haben vermehrt an Bedeutung gewonnen, exakte Diagnostik ist hier integraler Bestandteil einer qualitätsgerechten Durchführung (Röhrle et al. 2007).

Im vorliegenden Kapitel wird die Bedeutung, die die Diagnostik für die Psychotherapie besitzt, anhand ihrer spezifischen Funktionen in den verschiedenen Therapiephasen aufgezeigt. Abschließend werden Qualitätskriterien erörtert, die für deren Durchführung relevant sind.

 

1.2       Diagnostik im Prozess der Psychotherapie

 

Allgemein kann man drei große diagnostische Fragestellungen unterscheiden (Laireiter 2011a): Statuserfassung, Prozess- und Veränderungsdiagnostik sowie Evaluation. Diese entsprechen gleichzeitig den zentralen Aufgaben der Diagnostik im Verlauf der Psychotherapie (grosse Holtforth et al. 2009).

1.2.1     Diagnostik zu Therapiebeginn

Zu Therapiebeginn hat Diagnostik vor allem statusdiagnostische und indikatorische Aufgaben. Entsprechend wird diese häufig auch als indikative oder indikationsorientierte Diagnostik bezeichnet (grosse Holtforth et al. 2009).

Funktionen und Aufgabenbereiche von Diagnostik zu Therapiebeginn – indikationsorientierte Diagnostik (erweitert nach Laireiter 2011, S. 16 f.)

•  Beschreibung/Identifikation und Erfassung psychischer Auffälligkeiten und Probleme

•  Erfassung psychopathologischer Status (status psychicus) und Diagnostik der Suizidalität

•  Klassifikation und Diagnostik psychischer Störungen

•  Differenzialdiagnostik

•  orientierungsspezifische Beschreibung, Erfassung und Analyse von Therapieproblemen (»Theorienbezogene Diagnostik«, z. B. Problem-/Verhaltensanalyse, psychodynamische Diagnostik, systemische Diagnostik)

•  biografische Analyse und Anamnestik; Klärung ätiologischer Fragestellungen

•  Klärung prognostischer Fragestellungen: möglicher Therapieverlauf, Störungsverlauf etc.

•  Ressourcendiagnostik: Erfassung psychologischer und sozialer Ressourcen, Resilienz

•  Analyse möglicher therapeutischer Zielvariablen und Zielbereiche (Goal Attainment Scaling, GAS)

•  Unterstützung von Indikation, Fallkonzeption und Therapieplanung

•  Dokumentation

•  therapeutische Aufgaben: Rückmeldung, Psychoedukation etc.

•  berufsrechtliche Aufgaben: Aufklärung, Informed Consent, Therapievereinbarung etc.

•  Beginn evaluativer Diagnostik: Statuserhebung psychischer Auffälligkeiten, therapeutischer Zielvariablen, sonstiger evaluativer Parameter, Zielvereinbarungen und -festlegungen, Kernsymptomatik etc.

Neben der Einschätzung des psychopathologischen Status und der Vergabe von Diagnosen sind die Therapieprobleme im Sinne der jeweiligen Therapieorientierung zu erfassen und zu analysieren, um darauf aufbauend eine Fallkonzeption und eine therapeutische Strategie mit entsprechendem Vorgehen zu entwickeln.

Ein zentrales weiteres Element zu Therapiebeginn ist im Sinne der Sicherung der Prozess- und Ergebnisqualität die Durchführung quantifizierender Erhebungen, vor allem in den zentralen Behandlungsbereichen, den vereinbarten Therapiezielen (grosse Holtforth et al. 2009) und wichtigen Prozessvariablen, um nach späteren Erhebungen Veränderungsbeurteilungen vornehmen zu können (image Kap. 3). Welche Bereiche dabei erfasst und welche Verfahren eingesetzt werden sollen, wird kontrovers diskutiert (z. B. grosse Holtforth et al. 2009; Röhrle et al. 2007). Einigkeit besteht hingegen darin, dass qualitätssichernde Evaluation in der Praxis ökonomisch sein muss und sowohl die Kernsymptomatik wie auch darüber hinausgehende Bereiche, z. B. Befindlichkeit, zwischenmenschliche Probleme, Therapieziele und relevante Prozessvariablen, abdecken soll.

1.2.2     Diagnostik im Therapieverlauf

Nach Abschluss der diagnostischen und indikatorischen Phase (Probatorik) und der Genehmigung der Therapie durch den Kostenträger beginnt die eigentliche Behandlung, in deren Verlauf die Diagnostik neue Funktionen annimmt.

Funktionen und Aufgabenbereiche von Diagnostik im Therapieverlauf – therapiebegleitende Diagnostik (erweitert nach Laireiter 2011, S. 17 f.)

•  Verlaufs- und Prozessmonitoring/Therapietracking: kontinuierliche Erfassung von

–  psychischen Symptomen und therapeutischen Zielvariablen (Verlaufsdiagnostik)

–  therapeutischen Prozessvariablen (Prozessdiagnostik)

•  evaluative Diagnostik/ Zwischenevaluation(en):

–  Status- und Veränderungsdiagnostik (image Kap. 3)

–  Zielerreichungsbeurteilung (GAS)

•  Unterstützung adaptiver Indikation

•  Unterstützung weiterer Prognose

•  Dokumentation

•  therapeutische Aufgaben: Information, Psychoedukation, Einsicht etc.

•  berufsrechtliche Aufgaben: Aufklärung, Informed Consent etc.

Die zentralste Funktion ist das Monitoring des Behandlungsverlaufs (therapiebegleitende Diagnostik, vgl. Schulte 1996) auf zwei Ebenen. Auf der ersten Ebene erbringt das Ergebnis- oder Verlaufsmonitoring die Grundlage für die Einschätzung, ob sich eine Therapie in die richtige Richtung hin entwickelt (positive Veränderungen der Therapieprobleme, Erreichung der avisierten Therapieziele). Auf der zweiten Ebene erlaubt die Erfassung zentraler Prozessvariablen (Prozessmonitoring) im Sinne Schultes (1996) zweigleisigem Therapiemodell eine Beurteilung, ob sich diese Variablen (Therapiemotivation, Beziehungsqualität etc.) im funktionalen Bereich bewegen, sodass ein entsprechender Therapieerfolg erwartet werden kann (grosse Holtforth et al. 2009; Laireiter 2011b). Im Falle nicht positiver Ergebnisse wären in beiden Fällen unterschiedliche Maßnahmen der adaptiven Indikation zu setzen (Laireiter 2011b): Abänderung der Therapieziele, Bearbeitung der Therapiemotivation, neue Indikationsentscheidungen, Überweisung in stationäre Therapie etc. (vgl. Lambert und Vermeersch 2008).

Hinsichtlich des Designs kann therapiebegleitende Diagnostik unterschiedlich betrieben werden (Laireiter 2011b): Im Rahmen prospektiver Erfassungen finden sich längere und kürzere Erhebungsintervalle. Längere Erfassungen werden im Rahmen von Zwischenevaluationen durchgeführt und entsprechen herkömmlicher Veränderungsmessung (image Kap. 3). Kurzfristige Erfassungen variieren zwischen hoch- (z. B. täglich bis mehrmals täglich) und niederfrequenten Aufzeichnungen (einmal wöchentlich bis seltener). Hochfrequente Aufzeichnungen werden meist im wissenschaftlichen Kontext appliziert (grosse Holtforth et al. 2009), in der Praxis findet man meist tägliche (Tagebücher) bis wöchentliche Aufzeichnungen (Sitzungs-, Postsession-, Intersession-Aufzeichnungen) (Hoyer et al. 2009).

Unter methodischer Perspektive erfüllen in der Praxis in erster Linie (unsystematische) Befragungen und Beobachtungen des Therapeuten diese Aufgaben, aus Qualitätsüberlegungen heraus sind jedoch auch systematische Verfahren zu fordern, sowohl auf Problem-/Symptom- wie auch Prozessebene. Bezogen auf die Symptomebene kommen primär (klinische Kurz-)Skalen und Tagebuchverfahren zum Einsatz (Hoyer et al. 2009; Thiele et al. 2002), die den Verlauf der relevanten therapeutischen Zielvariablen (z. B. Symptome) erfassen. In diesem Zusammenhang kann auch der sogenannte Intersession-Prozess – die individuelle Auseinandersetzung mit der Therapie zwischen den Sitzungen – erfasst werden (Hartmann 1997). Prozessbezogene Variablen werden in der Regel über Stunden- und Prozessbögen erfasst, z. B. dem Berner Stundenbogen (grosse Holtforth et al. 2009).

Moderne Ansätze applizieren Prozess-, Intersession- und Verlaufsvariablen in Form integrierter computerisierter Monitoring- und Navigationssysteme. Diese als Prozess- und Outcome-Monitoring (oft auch als »therapy-tracking« oder »progress-monitoring«, Overington und Lonita 2012) bezeichnete Strategie geht von der empirisch gestützten Tatsache aus, dass die kontinuierliche Erfassung relevanter Therapievariablen und deren Feedback an den Therapeuten Effektivität und Dauer von Therapien nachhaltig verbessern und negative Therapieentwicklungen verhindern können (Boswell et al. 2015; Shimokawa et al. 2010). Die entsprechenden Variablen werden dazu regelmäßig (meist im Sitzungstakt oder täglich, z. B. Schiepek und Aichhorn 2013) über spezifische Outcome- und Prozess-Maße (Overington und Lonita 2012) »abgetastet«, über spezielle Algorithmen elektronisch verarbeitet, mit einem individuell steuerbaren Benchmarking-System mit »Ampelfunktion« (z. B. »orange« und »rot« für problematische und negative Entwicklung; »weiß« und »grün« für erwartete und positive Entwicklungen) versehen und rückgemeldet (Lambert und Vermeersch 2008). Therapietracking beginnt sich mittlerweile auch in der Praxis zu etablieren (auch im deutschsprachigen Raum, s. Dold et al. 2010; Schiepek und Aichhorn 2013) und kann so zu effektivem Outcome-Qualitätsmanagement beitragen (Boswell et al. 2015; Shimokawa et al. 2010).

1.2.3     Diagnostik zum Therapieende

Die zentrale Aufgabe der Diagnostik zum Therapieende ist die Ergebnis- oder Erfolgsmessung (in Begriffen der Evaluationsforschung als summative Evaluation bezeichnet). Entsprechend wird diese häufig auch als evaluative Diagnostik bezeichnet (grosse Holtforth et al. 2009; Laireiter 2011a).

Funktionen und Aufgabenbereiche von Diagnostik zum Therapieende – Veränderungs-/evaluative Diagnostik (erweitert nach Laireiter 2011, S. 17 f.)

•  mehrdimensionale Therapieevaluation, z. B.:

–  indirekte Veränderungsmessung (Prä-Post-Vergleiche)

–  direkte Veränderungsmessung (subjektiv wahrgenommene Veränderung seit Therapiebeginn mittels Veränderungsskalen; image Kap. 3)

–  Zielerreichungsbeurteilung (GAS)

–  Zufriedenheitsbeurteilungen, Qualitätsrückmeldungen

–  Kriteriumsbezogene Evaluation (Vergleich mit Normen, klinischen Cut-offs, Diagnosekriterien etc.)

–  negative Effekte

•  Statuserhebungen zu evtl. notwendigen Beurteilungen, z. B.:

–  vorhandene psychische Auffälligkeiten und Störungen (klinische Skalen, Diagnosen)

–  Arbeitsfähigkeit

–  Notwendigkeit weiterführender Betreuung

–  Verlaufs- und Stabilitätsprognose

•  Prüfung der Stabilität der Therapieeffekte

–  Follow up/Katamnese

•  Dokumentation

•  therapeutische Aufgaben: Information, Rückmeldung etc.

•  berufsrechtliche Aufgaben: Aufklärung, Informed Consent etc.

Dafür wurde eine Reihe von Strategien entwickelt, wovon die indirekte und die direkte Veränderungsmessung sowie die Zielerreichungsbeurteilung die wichtigsten sind. Zusätzlich sind die »kriterienbezogene Veränderungsmessung« und Zufriedenheitsbeurteilungen von Bedeutung. Diese und die entsprechenden Designs und Methoden (Ein-, Zwei-/Mehrpunkterhebungen, Status- vs. retrospektive Einschätzungen, Selbst- vs. Fremdbeurteilungen etc.) werden ausführlich in Kapitel 3 dieses Bandes behandelt. Therapieergebnisse sind aber auch zu beurteilen: Dafür bedarf es normierter Veränderungsverfahren (z. B. Goal Attainment Scaling; direkte Veränderungsmessung), zum anderen sollten bei der Wiederholung von Status- (Prä-Post-) Messungen Effektstärken, reliable klinische Veränderungen und die klinische Signifikanz routinemäßig bestimmt werden (image Kap. 3).

Über die Veränderungsmessung hinausgehend ist es zum Therapieende häufig wichtig, (noch) vorhandene Störungen, die Arbeitsfähigkeit, das soziale und berufliche Funktionieren, Risikofaktoren, Prognosen etc. zu bestimmen. Für entsprechende Verfahren sei auf die jeweiligen Kapitel dieses Buches verwiesen.

 

1.3       Anwendungs-, methodische und Qualitätskriterien der Diagnostik in der Psychotherapie

 

Therapiebezogene Diagnostik besitzt eine Reihe von Qualitätskriterien, ebenso wie deren adäquate Anwendung an solche gebunden ist. Kriterien, die sich aus Abschnitt 1.2 ergeben, werden im Folgenden nur kurz erwähnt.

1.3.1     Diagnostik ist integraler Bestandteil des psychotherapeutischen Prozesses

Die bisherigen Ausführungen machen deutlich, dass therapeutisches Handeln ohne Diagnostik nicht möglich ist: Ohne indikatorische Diagnostik keine Fallkonzeption, Indikation und Therapieplanung (grosse Holtforth et al. 2009; Laireiter 2011a), ohne Verlaufs- und Veränderungsdiagnostik keine adäquate und qualitätsgesicherte therapeutische Arbeit (Laireiter 2011b, c) und ohne Ergebnismessung keine Beurteilung der Ergebnisqualität und kein Qualitätsmanagement in der therapeutischen Praxis (Laireiter 2011c). Grosse Holtforth et al. (2009, S. 1) sprechen daher zu Recht davon, dass die Diagnostik der »verlängerte Arm der Therapie« sei.

1.3.2     Diagnostik in der Psychotherapie ist multifunktional

Diagnostik besitzt im Therapieverlauf multiple Funktionen (grosse Holtforth et al. 2009; Laireiter 2011a). Auch das machen die bisherigen Ausführungen deutlich (vgl. die Aufzählungen in image Kap. 1.2).

1.3.3     Diagnostik in der Psychotherapie ist multimodal

Methodisch sollte Diagnostik in der Psychotherapie multimodal betrieben werden (Baumann und Stieglitz 2001). Nicht nur, dass unterschiedliche Konstrukte und Funktionsbereiche (Störungen, Anamnese, Therapieansatzpunkte, Prozess, Veränderung etc.) auf unterschiedlichen Datenebenen (Erleben, Verhalten, Interaktionen, biologische Prozesse) zu erfassen sind, es sind diese auch aus unterschiedlichen Perspektiven (Therapeut, Klient, Bezugspersonen etc.) und mittels unterschiedlicher Verfahren (Interviews, Beobachtung, Selbst- und Fremdbeurteilung) erhebbar.

1.3.4     Diagnostik in der Psychotherapie ist »mehrfach-theoretisch« verortet

Therapiebezogene Diagnostik basiert auf verschiedenen diagnostischen Konzepten (Laireiter 2011a): Im Zusammenhang mit der Erfassung psychischer Störungen ist klinisch-psychologische und psychiatrische Diagnostik relevant wie auch somatisch-medizinische. Im Zusammenhang mit Problem- und Symptomerfassung, dem Verlaufs- und Prozessmonitoring und der Evaluation spielt die psychologische Diagnostik eine zentrale Rolle und für die Fallkonzeption wiederum sind Konzepte und Methoden der jeweiligen therapeutischen Orientierung (z. B. Problemanalyse, psychodynamische Diagnostik; Laireiter 2011a; Röhrle et al. 2007) von Bedeutung. Für eine adäquate Durchführung der Diagnostik sind demnach sowohl Kenntnisse der Psychopathologie und Symptomatik psychischer Störungen wie auch der Grundlagen und Methoden psychologischer, insbesondere klinisch-psychologischer Diagnostik und der entsprechenden Verfahren (Beobachtung, Rating, Interviews, Checklisten, Veränderungsmessung etc.) nötig, ebenso wie von Konzepten und Methoden der jeweiligen therapeutischen Orientierung (z. B. OPD; Verhaltensanalyse).2 Dies verlangt auch, dass Kenntnisse und Fertigkeiten in diesen Bereichen auch in der Ausbildung ausreichend vermittelt werden.

1.3.5     Diagnostik in der Psychotherapie ist an spezifische Qualitätskriterien gebunden

Für die Anwendung und Durchführung der Diagnostik in der Psychotherapie sind methodische und Anwenderkriterien zu beachten: Unter methodischen Gesichtspunkten ist eine adäquate Testkonstruktion und die Berücksichtigung der Testtheorie, insbesondere für die Veränderungsmessung (vgl. Stieglitz und Hiller in diesem Band), wichtig. Hunsley und Mash (2005) betonen in diesem Zusammenhang, dass (empirisch fundierte) Diagnostik in der Psychotherapie insbesondere die Kriterien der klinischen Nützlichkeit und Funktionalität (Vermeidung diagnostischer Fehler, der Unterstützung therapeutischer Entscheidungsfindung und Qualitätssicherung), der Kostenreduktion der Therapie, der Testfairness, der Akzeptanz durch Anwender (Therapeuten, Patienten) und der Ökonomie sowie der effizienten Kosten-Nutzen-Relation zu erfüllen hat. Die Vorteile des Einsatzes entsprechender Verfahren und Vorgehensweisen sollten den damit verbundenen Aufwand deutlich übersteigen. Dazu sollten in erster Linie leicht zu handhabende computerbasierte Verfahren entwickelt und verwendet werden.

Anwenderkriterien werden von Laireiter (2011a, S. 17 ff.) diskutiert: Aus der Dokumentations- und Sorgfaltspflicht sowie aus der Verpflichtung zur Qualitätssicherung folgt relativ eindeutig eine Verpflichtung zu umfassender diagnostischer Begleitung des Therapieprozesses. Aus methodischen und Qualitätsgründen ist der Einsatz systematischer (wenn möglich standardisierter) Verfahren unumgänglich. Normwerte und standardisierte Veränderungswerte sollten, wann immer möglich, berücksichtigt werden. Dies impliziert, wie in Abschnitt 1.3.4 bereits festgehalten, dass sich Psychotherapeuten aller Provenienz fundierte Kenntnisse in den Grundlagen, Strategien und Methoden der Diagnostik in der Psychotherapie anzueignen haben, ebenso wie diese in der Ausbildung entsprechend zu berücksichtigen sind. Damit Diagnostik im therapeutischen Prozess adäquat zur Anwendung kommen kann, sind die entsprechenden Erhebungen in den verschiedenen Phasen korrekt durchzuführen (s. o.).

1.3.6     Diagnostik ist zentraler Bestandteil der Qualitätssicherung von Psychotherapie

Ein adäquater Einsatz der Diagnostik in der Psychotherapie ist sowohl ein Qualitätskriterium der Psychotherapie selbst, wie er auch eine zentrale Voraussetzung für die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität darstellt: Ergebnisse einer fundierten indikatorischen Diagnostik ermöglichen erst adäquate Fallkonzeptionen, Therapieindikationen und -planungen; kontinuierliches Monitoring und Feedback tragen zu kontrollierter Therapiedurchführung und zur Vermeidung negativer Entwicklungen bei und eine reflektierte Evaluation unterstützt die Sicherung der Ergebnisqualität des Falles und der Praxis. Alle bisher angesprochenen Inhalte können im Rahmen von Qualitätszirkelarbeit und Supervision/Intervision bearbeitet werden und tragen so zu Qualitätsverbesserungen bei (Laireiter 2011c).

 

1.4       Fazit und Perspektiven