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Carlo Manzoni

Kein Whisky unter Wasser

Ein Superkrimi mit einem Girl, das Hagelkörner weint, noch einem Girl, das im Ballsaal schwimmt, einem anklagenden kleinen Finger und anderen Sächelchen scheinbar made in USA, aber statt dessen lachmuskelspannend.

LangenMüller

Titel der Originalausgabe:

Pancia da Schiaffi

Aus dem Italienischen übertragen von Maria Kern

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© für das eBook: 2016 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

© alle Rechte für die deutsche Sprache: 1968 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

Umschlagmotiv: Shutterstock

eBook-Produktion: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

ISBN 978-3-7844-8273-6

Erstes Kapitel

Von mir aus können Sie sich ruhig wundern, ich bin nämlich selbst höchst erstaunt über das, was ich tue – eine wartende Witwe müßte da sein, sie ist aber nicht – und auch das ist ein Grund der Verwunderung.

Genau im richtigen Moment komme ich an.

Ein Haufen Menschen ist auf dem Trottoir versammelt, alle traurig gekleidet und mit Gesichtern, noch trauriger als ihre Kleidung.

Versuchen Sie sich eine Gruppe von Menschen vorzustellen, die alle nicht das Geld haben, einen morgen fälligen Wechsel einzulösen, dann liegen Sie richtig.

Gruppen von drei, vier, fünf Personen, die alle ganz leise reden, genauso, als ob sie einen Pump anlegen wollten. Stellen Sie sich vor, daß die Gespräche ungefähr so verlaufen:

»Morgen geht mir ein Wechsel in Protest«, sagt einer, »könntest du mir mit 50 000 aushelfen?«

»Nichts zu machen«, flüstert ein anderer, schüttelt den Kopf und starrt dabei aufs Pflaster. »Bei mir sind morgen zwei fällig, und ich habe keinen Pfennig.«

»Ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen bei dem Gedanken, daß morgen der Gerichtsvollzieher kommt«, sagt ein Dritter und schnupft mit rotgeränderten Augen auf.

Einer ist dabei, der nahe ans Wasser gebaut hat und sich die Augen mit dem Taschentuch betupft.

Und dabei, liebe Leute, geht’s hier gar nicht um fällige Wechsel.

Das Haustor ist schwarz drapiert mit Kordeln, Fransen und silbernen Schleifen, und gegen die Hausmauer sind sieben oder acht Kränze mit goldbeschrifteten lilafarbigen Bändern gelehnt.

»Ciao, Federico, einen guten Rutsch ins Jenseits.«

»Schmerzlichst beweinen wir unseren vierten Mann. Die Pokerfreunde. Auch die Karten weinen.«

»Familie Sispende, untröstlich über den Verlust ihres teuren Federico und einer gelbledernen Reisetasche.«

Es geht um eine Beerdigung, Kinder, da gibt’s keinen Zweifel, und diese ach so betrübliche Angelegenheit betrifft ausgerechnet mich. Die Adresse stimmt, und der Name steht auf dem Kärtchen in meiner Tasche: Federico Piè. Federico Piè ist tot, und er wird noch oben liegen und sich von seinen Verwandten und Freunden bewundern lassen, ehe sie ihn in sein hölzernes Etui stecken.

Man weiß ja, wie es so zugeht: da stirbt einer, und alle meinen, daß er nun zu einem Ausstellungsstück für die Auslage geworden ist.

Schönes Ausstellungsstück, Kinder! Eine kaputte Maschine, die nicht mehr funktioniert und die man, weil sie doch zu nichts mehr gut ist, schnellstens verschwinden lassen sollte.

Lassen wir’s.

Vorsichtig fahre ich zum Trottoirrand, und die Leute weichen zurück, um dem Wagen Platz zu machen. Ich halte direkt vor dem Haustor.

Dann atme ich ein paarmal tief ein und aus.

Geschafft, Leute!

Es ist sinnlos, daß ich mich jetzt noch frage, warum ich da hineingestolpert bin. Drinnen bin ich und muß wohl oder übel drin bleiben.

Auch wenn mir die schwarze Uniform mit den Silberknöpfen ein wenig eng sitzt und die Mütze mit dem Schirm meine roten Haare nicht ganz verbirgt.

Hier wird es keinem einfallen, nachzukontrollieren, ob die Uniform, die ich anhabe, auf meinen Körperbau maßgeschneidert ist.

Alle schauen zu Boden oder sonstwohin. Darum steige ich aus, überquere die Straße und verkrümele mich in der Bar gegenüber.

Zu dieser frühen Morgenstunde ist noch kein Gast da. Nur der Besitzer der auf den Regalen aufgereihten Flaschen. Ganz kann ich ihn nicht sehen, weil seine untere Hälfte hinter der Theke versteckt ist. Die obere Hälfte wäscht Kaffeetassen ab.

»Bourbon«, sage ich.

Er trocknet sich die Hände ab und schaut mich mit einem Blick an wie ein Tourist den schiefen Turm von Pisa.

»Sie sind wahrscheinlich neu in dem Geschäft, wenn Sie gleich einen Bourbon brauchen, um nicht zusammenzubrechen«, sagt er.

»Stimmt«, sage ich.

»Ich kann Ihnen nicht unrecht geben«, sagt er, während er einschenkt, »mir würde angst und bang bei dem Gedanken, daß der Kunde hinten plötzlich den Sargdeckel aufhebt und, nachdem er mir auf die Schulter geklopft hat, sagt: ›Hör zu, mein Junge, ich hab mirs anders überlegt, fahr mich lieber ins Fröhliche Rössl, ich bin ganz wild auf ein frisches Helles !‹«

Er fängt zu lachen an und will die Flasche ins Regal zurückstellen, aber ich nehme sie ihm aus der Hand. »Mitnichten«, sage ich, »ich will sie ganz.«

Da hört er zu lachen auf und schaut mich an.

»Junger Mann«, sagt er dann, »laut Verkehrsordnung ist es verboten, in betrunkenem Zustand ein Auto zu steuern. Auch wenn es sich um einen Leichenwagen handelt.«

Ich lasse das edle Naß aus dem Glas in meinen Magen rinnen und werfe das Geld auf die Theke.

»Paß auf, daß du in der Zunge keinen Muskelkater kriegst, wenn du zu viel Gymnastik mit ihr betreibst«, sage ich.

Ich stecke die Flasche unter meine Jacke und gehe.

Jetzt stehen noch mehr Leute auf dem Trottoir herum, und auch zwei oder drei frische Kränze sind dazugekommen.

Und außerdem noch allerlei. Vorne hat sich die ganze Kapelle der Filobus-Gesellschaft eingefunden mit Blech, Trommeln und Federhüten und vor ihnen ein ganzes Internat, die Kinder in blauen Uniformen mit weißen, gestärkten Krägelchen.

Ein Begräbnis, wie man es in unserer Stadt nur selten zu sehen bekommt.

Als er noch imstande war, ein Doppelleben zu führen, muß dieser Federico Piè eine eher wichtige Persönlichkeit gewesen sein.

Ich setze mich ans Steuer und stelle die Flasche griffbereit unter den Sitz.

Jetzt müßte ich eigentlich berichten, wieso ich, stilecht herausstaffiert in einer allerdings etwas zu knappen Montur, mich ausgerechnet am Steuer eines Leichenwagens befinde und wie es meiner Ansicht nach weitergehen soll, aber das muß ich auf später verschieben, Kinder.

Kaum habe ich die Flasche verstaut, als sich hinter den schwarzen Behängen des Haustores eine gewisse Bewegung bemerkbar macht, Leute kommen heraus, und ein paar Typen in der gleichen Montur wie ich tragen auf den Schultern ein hölzernes Ding heraus, das man auch beim besten Willen nicht für eine Kiste Champagner halten kann. Während sie das Ding in mein Vehikel schieben, stellen sich die Musikanten vor dem Wagen auf und die Schulkinder in Dreierreihen vor der Kapelle.

Ich zähle drei bis vier Totengräber, die damit beschäftigt sind, die Kränze an den Wagen zu hängen.

Einer mit einer Silberborte um seine Kappe, wahrscheinlich der Totengräberboß, wirft mir einen Blick zu.

»He du«, sagt er, »du brichst dir keine Verzierung ab, wenn du mithilfst, die Kränze zu verteilen.«

Dann bleibt er stehen, und ich sehe, wie sich mitten auf seiner Stirn zwei Falten bilden, und dann fängt er an, mich mit seinen Blicken zu kitzeln.

»Aber du«, sagt er, »bist ja gar nicht Clausidio.«

»Nein«, sage ich, »der bin ich nicht. Ich bin ein Aushilfstotengräber. Wenn du willst, kannst du mich ruhig Nothelfer nennen.«

Er nimmt seine Kappe zwecks Gehirnlüftung ab, setzt sie aber gleich wieder auf.

»Aber wo ist denn Clausidio geblieben?« fragt er.

»Ihm ist schlecht geworden während der Fahrt«, sage ich, »er hat einen Abszeß auf der großen Zehe vom rechten Fuß und kann nicht richtig aufs Gas drücken; darum hat er mich gebeten, ihn zu vertreten.«

»Was ist denn das für eine Räubergeschichte?« fragt er. Teufel, Teufel! Dieser Gehirnamputierte ist imstande, mir mein ganzes Programm über den Haufen zu werfen.

Das Schlimme mit mir ist, daß ich keine Diskussionen vertrage, meine Nerven reagieren sofort sehr unwirsch, ohne mich auch nur um Erlaubnis zu fragen.

Ich habe das Gefühl, daß ich aussteigen muß, um genau zwei Finger vor seiner Nase die Konversation fortzusetzen, aber ich habe mich noch nicht von meinem Sitz getrennt, als einer der Totengräber seine Rückfront vor mir aufbaut.

»Chef«, sagt er, »wir sind schon eine ganze Weile fertig, kann’s losgehen?«

»Hast du je diesen Kerl hier gesehen?« fragt der Obertotengräber und schaut zu mir her.

Der Totengräber dreht sich um und beäugt mich.

»Oh, wo zum Teufel kommt denn der her?« sagt er, »nie im Leben gesehen!«

»Er behauptet, daß dem Clausidio die rechte große Zehe weh tut«, sagt der Chef.

»Heut früh war er ganz in Ordnung«, sagt der Totengräber und stellt einen Fuß aufs Trittbrett. »He du, was soll denn das alles?«

Als Antwort setze ich ihm eine Faust auf die rechte Nasenseite, und er überquert im Rückwärtsgang den Gehsteig und vermengt sich dann mit der Hausmauer.

Einer, ganz in Schwarz, mit dem Hut in der Hand, nähert sich.

»Bitte schön«, sagte er, »wir warten schon eine ganze Weile…«

»Entschuldigen schon der Herr«, sagt der Totengräberboß, »wir fahren sofort los.«

Dann wirft er mir noch einen Blick zu.

»Wir zwei sehen uns später«, sagt er und läuft, mit den Armen Zeichen gebend, zur Spitze des Zuges.

Der andere Totengräber setzt seine Kappe gerade und läuft hinter seinem Chef her. Ich sehe, daß er ein paarmal zurückschaut, mich anstiert und mit dem Kopf wackelt, als ob er sagen möchte: »Wir zwei kommen schon noch zusammen!«

Ich schenke ihm mein allerschönstes Lächeln und hänge mich ans Steuer.

Die Kinder setzen sich in Bewegung, die Musikanten nehmen Habt-acht-Stellung ein, und dann beginnen ein paar Klarinetten nervtötende Klagelaute in die Gegend zu senden, sofort verstärkt durch ein halbes Dutzend Trompeten und Posaunen.

Beim ersten Ton heben die Musikanten den rechten Fuß und halten sich mit dem linken im Gleichgewicht, warten dann die dritte Note ab, um ihn zwanzig Zentimeter weiter vorne auf den Boden zu setzen, dann warten sie auf die fünfte Note und heben den linken und bei der siebten setzen sie ihn wieder zwanzig Zentimeter weiter vorne auf den Boden.

Jetzt bin ich dran, also drücke ich aufs Gas.

O heiliger Polykarp, diesmal hast du mich im Stich gelassen! Wahrscheinlich weil ich Elektromotoren nicht gewohnt bin, macht der Wagen einen Satz nach vorne und haut seine Stoßstange dem letzten Musikanten ins Kreuz. Ich trete auf die Bremse, ohne mich darum zu kümmern, was hinter mir vorgeht, ich schaue nur nach vorne, was sich da tut.

Der letzte der Musikanten ist ein eher robuster Typ, der, unterstützt von seinen Hosenträgern, eine Riesentrommel auf seinem Bauch balanciert.

Er fliegt zwei Meter weit und, kaum wieder auf den Beinen, dreht er sich mit verblüffender Schnelligkeit um mit der Absicht, mir ein saftiges »Rindvieh« an den Kopf zu werfen, was ich ihm, bei einiger Objektivität, nicht einmal übelnehmen kann.

Aber er kommt nicht dazu, die Rückwärtsdrehung ganz auszuführen. Die auf seinen Bauch gestützte große Trommel schlägt gegen die Klarinette, in die sein Kollege zur Rechten heftig bläst.

Die Klarinette tut einen Kickser, der Bläser spuckt ein paar Zähne aus und dreht sich stinkwütend zu dem Trommler um.

»Rindvieh!« zischt er.

»Nur ruhig, Kleiner«, sage ich, »ist ja nichts passiert.«

Ich stelle fest, daß sie wieder in ihren patentierten Gleichschritt verfallen und sich von neuem auf ihre Musik konzentrieren, also stoße ich ein paar Dankesseufzer aus und konzentriere mich meinerseits darauf, so lange am Gas herumzufummeln, bis ich die richtige Tour gefunden habe.

Es gelingt mir auch, ein gleichmäßiges Tempo zu halten, ungefähr zweihundert Meter in der Stunde, und auf vier Meter Distanz hinter der Kapelle zu bleiben.

Hinten formiert sich inzwischen der Trauerzug.

Ich muß meinem Magen dringendst ein paar Schluck Bourbon zukommen lassen, liebe Leute, durch die ganzen Aufregungen ist der Treibstoff in meinem Tank bis zum letzten Tropfen verdampft, aber vielleicht ist’s doch besser, ich warte noch.

Ich muß diesen Auftrag ausführen, diesen verdammten Auftrag, den ich schon ein paarmal am liebsten zum Teufel gewünscht hätte.

Im Augenblick erscheint es mir jedenfalls opportun, mich schnapsdudelnderweise in einem Leichenwagen überraschen zu lassen.

Jetzt bin ich einmal drin und muß drin bleiben, und es hat auch wenig Sinn, daß ich mir selber ein paar überziehe, weil ich mich habe weich machen lassen, was mir zum allerersten Mal passiert, Leute.

Allein wegen der Tränen einer Frau wäre ich nicht weich geworden, das kann ich Ihnen versichern, und Sie würden mich jetzt nicht als Fahrer eines Leichenwagens mit dem Toten darin erleben.

Um mein Herz schmelzen zu lassen, waren schon noch sechshundert Tausender nötig. Dreihundert auf die Hand und dreihundert nach getaner Arbeit.

Und außerdem natürlich auch die Überzeugung, daß es sich um saubere Arbeit handelt, wenn sie auch mit einem gewissen Risiko verbunden ist.

Sauber und in gewissem Sinn auch mit humanitärem Hintergrund, zufrieden?

Jetzt sagen Sie mir nur nicht, daß ich ein Sentimentalist bin. Sie kennen ja die Geschichte noch gar nicht, und momentan habe ich keine Zeit, sie Ihnen zu erzählen.

Wenn alles vorbei ist, erhalten Sie einen detaillierten Bericht: jetzt muß ich nur auf richtige Distanz und gleichmäßiges Tempo aufpassen.

Und dann muß ich mich bereit halten.

Der Trauerzug geht einen guten Kilometer geradeaus bis zum Ende der Straße, dann muß er links einbiegen.

Aber nach noch nicht fünfhundert Metern, am Ende des ersten Häuserblocks, improvisiere ich eine kleine Variante.

Während die Spitze des Trauerzuges mit den Kindern in Blau mit weißen Krägelchen, gefolgt von der Musikkapelle, geradeaus weiterzieht, biege ich in die erste Querstraße rechts ein.

Ich drehe mich um und sehe, daß die hinter mir nichts bemerkt haben und mir folgen.

Nun ist niemand mehr vor mir, der mir das Tempo vorschreibt. Nur der normale Straßenverkehr, aber die Autos lassen mich passieren, und die Polizisten halten sogar den Verkehr an. Deshalb erhöhe ich vorsichtig das Tempo, und der Zug hinter mir paßt sich an.

Ich biege noch einmal rechts ein, wo noch weniger Verkehr herrscht, und erhöhe wieder die Geschwindigkeit.

Ich sehe, wie der Zug sich auseinanderzieht und die letzten immer mehr an Boden verlieren, also fahre ich noch schneller.

Jetzt kommen auch die vordersten nicht mehr mit und verlieren den Anschluß. Einige fangen zu laufen an, während andere, sieben oder acht weibliche Wesen ganz in Schwarz, mitzuziehen versuchen, da sie nicht mehr Schritt halten können.

Als ich sehe, daß der ganze Zug längs der Straße auseinandergefallen ist, drücke ich das Gaspedal ganz durch. Der Wagen kommt ganz schön in Fahrt, und in weniger als einer Minute habe ich überhaupt niemanden mehr hinter mir.

Nun brause ich erst richtig los, biege in zwei verödete Straßen ein, kürze durch ein paar enge Gäßchen ab und komme bei einer großen Verkehrsader wieder heraus.

Als ich sicher bin, daß ich meine Spur gut verwischt habe, mäßige ich das Tempo und kann endlich meinen eingebauten Tank mit ein paar Schluck Bourbon auffüllen. Geschafft, Kinder.

Den ersten Teil des Programmes kann ich mit positivem Ergebnis als abgeschlossen betrachten, und nun beginnt der zweite, der eigentlich der leichtere sein müßte.

Ich muß noch ein ganz schönes Stück Weg hinter mich bringen, um zum Ort unserer Verabredung zu gelangen. Die halbe Stadt ist zu durchqueren, aber das macht mir fast gar nichts.

Ich fahre noch etwas langsamer, um die Leute nicht mißtrauisch zu machen und quetsche mir den schmerzgequälten Ausdruck eines mit Magengeschwüren Behafteten in die Visage.

Ich bemerke, daß die Menschen mich grüßen und grüße freundlich zurück, bis mir klar wird, daß sie nicht mich, sondern meinen Klienten hinter mir grüßen, also danke ich nicht mehr.

Gute dreiviertel Stunden dauert es, um durch die halbe Stadt zu kommen, dann endlich erreiche ich eine Vorstadtzone, wo es noch keine asphaltierten Straßen gibt, wo sich Neubauten mit kleinen Häusern abwechseln und Grundstücke zum Verkauf angeboten werden.

Lang muß ich nicht nach der mir angegebenen Straße suchen. Vor Beginn meiner Arbeit habe ich einen Blick auf den Stadtplan geworfen und gehe deshalb auf Nummer Sicher.

Die via Settefratture beginnt mit einem neuen Haus mit der Nummer eins, dann kommen auf der rechten Seite ungefähr zweihundert Meter weit keine Häuser mehr.

Auf der linken Seite sind ein langer Bretterzaun, dann eine Wiese und endlich ein von einem Drahtgitter eingezäuntes Fabrikgebäude.

So wie ich jetzt die via Settefratture vor mir sehe, bin ich mir sofort im klaren, daß da etwas nicht stimmt.

Außer dem Haus mit der Nummer eins ist weit und breit kein Wohnhaus zu erblicken.

Ich fahre bis zum Tor der Fabrik.

Aus der großen Aufschrift auf dem Gebäude hinter dem Zaun kann ich entnehmen, daß es sich um eine Fleischkonservenfabrik handelt. Längs des Gehsteiges sind ungefähr zwanzig Wagen geparkt, die Autos der Angestellten, vermute ich.

Das große Gittertor ist geschlossen, daneben ist ein kleiner Durchlaß für Fußgänger, auch dieser mit einem Gittertürchen gesichert. Genau über der kleinen Türe steht: via Settefratture 14.

Und vor dem Gittertor ist keine lebende Seele, während unserer Absprache nach hier eine ganz, oder wenigstens fast ganz in Witwenschleier gehüllte Dame stehen müßte mit ein paar in Tränen aufgelösten, vertrauten Freunden.

Diese Geschichte legt sich mir langsam auf den Magen, Leute. Ich trinke einen Schluck Bourbon und steige aus.

Ich gehe zu der kleinen Gittertür für Fußgänger und drücke auf den Klingelknopf.

Nach einer Weile kommt der Portier an in blauer Jacke mit silbernen Knöpfen und der in Silber gestickten Fabrikmarke auf dem Brusttäschchen.

»Hören Sie«, sage ich, »ist das tatsächlich die via Settefratture 14?« Er nickt bejahend mit dem Kopf.

»Genau, via Settefratture 14«, sagt er.

»Gibt es vielleicht noch eine Nummer vierzehn in dieser Straße?« sage ich.

»Gibt es nicht«, sagt er und schüttelt wieder den Kopf. »Warum?«

»Meinen Informationen nach müßte hier eine dunkelgekleidete Dame wohnen, eventuell sogar mit einem Witwenschleier«, sage ich.

»Diese Information stimmt nicht«, sagt er, »da können Sie Gift drauf nehmen.« Teufel, Teufel, soll das ein Witz sein? Ich zeige ihm das Kärtchen mit Name und Adresse.

»Neta de Lapis«, sage ich, »wohnt also nicht hier?«

»Hier wohnt überhaupt niemand«, sagt er, »und diesen Namen habe ich noch nie gehört.«

»Es könnte doch eine Ihrer Angestellten sein«, sage ich. »Hier gibt es nur drei weibliche Angestellte«, sagt er, »aber die sind weder dunkel gekleidet noch haben sie einen Witwenschleier auf dem Kopf und heißen tun sie auch ganz anders.«

Er wirft einen Blick auf den Totenwagen.

»Sind Sie mit dem da gekommen?« fragt er.

»Allerdings«, sage ich, »und die Betreffende sollte hier auf mich warten.«

»Tut mir leid«, sagt er, »schreiben Sie auf die Karte: Adressat unbekannt, zurück an den Absender. Und bringen sie ihn wieder dahin, von wo sie ihn geholt haben.«

Er dreht mir den Rücken zu und verschwindet wieder in seinem Glaskasten.

Ich fahre mit der Hand unter die Kappe und kratze mich am Kopf. Das habe ich jetzt von meiner Vertrauensseligkeit, verdammt noch mal!

Ausgerechnet ich muß so blöd sein und auf diesen ausgemachten Schwindel hereinfallen!

Ich frage mich nur warum? Was für einen Zweck verfolgte diese Idiotin?

Hier herum werde ich die Antwort darauf keinesfalls finden. Ich setze mich ans Steuer, nehme die Bourbonflasche, lasse den ganzen Inhalt in mein Reservoir tröpfeln, und die leere Flasche werfe ich dann ins Gras.

Ich fahre noch ein Stück weiter, aber es ist hoffnungslos, es gibt gar keine Häuser mehr.

Und wohin soll ich jetzt mit dem Wagen und seinem Inhalt?

An den Ausgangspunkt zurück, nur nicht daran denken. Zum Friedhof? Nicht einmal im Traum.

Ungefähr hundert Meter weiter wird ein neues Haus gebaut. Aber von Neta de Lapis, von mir Sintflut getauft, keine Spur.

Zwei Maurer bleiben stehen und grüßen. Ich fahre weiter.

Dann biege ich in eine Querstraße ein.

Rechts wird ein Fabrikgebäude abgebrochen. Die Außenmauern sind schon weg, aber wie durch ein Wunder steht im Inneren noch ein Schuppen.

Ich lenke mein Vehikel hinein und halte.

Dann stütze ich die Ellbogen aufs Steuerrad, lege meine Stirn auf die Hände und denke nach.

Mir bleibt nichts anderes übrig, als den Wagen hier stehen zu lassen und mit einem Taxi in die Stadt zurückzufahren.

Von zu Hause aus rufe ich sofort das Beerdigungsinstitut an und sage ihnen, wo der Wagen samt Inhalt geblieben ist, dann können sie ihn abholen und den Sarg endlich dahin bringen, wo er hingehört.

Und dann, ich schwöre es beim unheiligen Hasdrubal, werde ich sie finden und in ihren eigenen Tränenfluten ersäufen!

Ich mache die Türe auf und steige aus, habe aber noch nicht einmal einen Fuß am Boden, als mir irgend etwas von hinten genau dahin fällt, wo das Gehirn zu Ende ist, und ich schlafe ein.