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Schattenfluch

Feuersänger-Trilogie III

Tina Alba

Roman

Immer noch: für Bine, meine Ta’nesha.

Ohne Dich wären die Nithyara nicht,

was sie heute sind.


broken-dagger.

©Tina Albat 2016

Machandel Verlag

Charlotte Erpenbeck

Cover: C.Erpenbeck, Hintergrund JovanCormac, wikimedia

Nithyara-Illustration im Buch: Trudy Wenzel

Flamme-Vignette: Photoshop-Brush

Haselünne

2016

ISBN 978-3-95959-034-1

Weitere Bücher aus der Welt der Nithyara

Die beiden ersten Bände der Feuersänger-Trilogie sind ebenfalls im Machandel Verlag als Taschenbuch und Ebooks erschienen.

Es sind die Bände


Harfenzorn


FS1


Ein todbringender Fluch liegt über dem Land. Durch Verrat und schwarze Magie konnten die Dunkelelfen den Clan der Hainhüter auslöschen. Nur den Barden Silbersang haben die Dunklen verschont, damit sein Bericht Angst und Schrecken zu den anderen Clans bringt.

Silbersang ist allein. Allein mit einer zerbrochenen Harfe, seinen Erinnerungen und seiner Verzweiflung. Aber muss nicht auch eine zerbrochene Klinge durch das Schmiedefeuer gehen, um eine neue, hervorragende Waffe zu werden?


Schattenfluch


FS2


Die Nacht seiner ersten Jagd ist die letzte, in der seine Welt noch heil ist. Die letzte Nacht vor jener großen Katastrophe, die Feuersängers Welt von einem Moment zum anderen für immer zerreißt.

Die Beute ist erlegt, Feuersänger fühlt sich stolz und glücklich - doch als er zu seinem Clan zurückkehrt, erwarten ihn nicht Jubel und Lieder, sondern beißender Rauch, Blut und Tod.

Und sein sterbender Sharass fordert von ihm, dass er zu den Hainhütern eilt und sie vor der Gefahr warnt, die dem gesamten Volk der Nithyara droht.




www.machandel-verlag.de

Der Machandel Verlag bietet Ihnen ungewöhnliche Fantasy aus verschiedenen Teil-Genres: Romantik-Fantasy, humorvolle Fantasy, klassische Fantasy, Urban Fantasy, Dark Fantasy. Unsere besondere Spezialität sind Kurz-Romane für Jugendliche und Erwachsene. In der Abteilung >Lesesaal< auf unserer Webseite finden Sie Leseproben und Gratis-Kurzgeschichten als pdf-Downloads.

Was zuvor geschah

Nachdem Nachtelfen und Dämonen die Nithyara vom Waldrandclan überfallen haben, ist Feuersänger als einziger Überlebender auf sich allein gestellt. Dem letzten Wunsch seines sterbenden Lehrmeisters folgend versucht er, den Clan der Hainhüter zu finden. Sternenglanz, ein Späher der Hainhüter, findet Feuersänger halb erfroren im Wald, bringt ihn zu seinem Clan und wird sein neuer Lehrmeister. Feuersänger wird in den Hainhüterclan aufgenommen. Seine finsteren Träume, die er für Warnungen vor weiteren Dämonenüberfällen hält, teilt er mit Silbersang, dem Legendenbewahrer der Hainhüter, der selbst schon Erfahrungen mit dunklen Flüchen gesammelt hat und sich Feuersänger nur langsam öffnet – bis zu dem Augenblick, in dem Feuersänger und Silbersang erkennen, dass sie Seelenbrüder – Ta’nesha – sind. Feuersänger und Silbersang stellen sich gemeinsam mit ihrem Clan der Bedrohung durch die Nachtelfen.

nithyra

 

1: Sternenaufgang

 

Sieben Jahre später

 

 

Feuersänger streckte sich genüsslich im Wasser des heißen Quellteichs und betrachtete seine Hand. Wasser perlte von der Haut und ließ die vielen Zeichen schimmern, die er sich unter Schmerzen, Enttäuschungen und Gefahr verdient hatte.

Das war er.

Die Zeichen erzählten die Geschichte seines Lebens. In der letzten Nacht hatte er ein neues empfangen. Es vereinte Runen für Neugier, Suche, Weisheit, Stärke und Aufmerksamkeit auf seinem rechten Handrücken. Ein Zeichen für seine Zukunft und den Weg, den er für sich gewählt hatte: Kundschafter und Kämpfer, Gelehrter und Suchender. Silbersangs und Sternenglanz’ Hände hatten das Zeichen gemeinsam gewoben und danach Feuersängers alte Zeichen nachgezogen, bis alle drei miteinander im Sternenfeuer verglüht waren.

Feuersänger schloss die Augen bei der Erinnerung an diese Zeit und ließ gedankenverloren die Hände über seine Haut wandern. Er fühlte sich wohl. Sein Leben war wunderbar.

 

„Feuersänger? Ta’nesha, wir warten auf dich!“ Silbersang lugte grinsend durch die Büsche, die das flache Steinbecken des Quellteichs umgaben.

„Gebt mir noch einen Moment!“ Feuersänger war gespannt, was er vorfinden würde. Sternenglanz und Silbersang taten schon den ganzen Abend so geheimnisvoll. Sie hatten ihm seine besten Roben in die Hand gedrückt und ihn zum Quellteich geschickt. Nach dem Bad würden sie ihn an ihrem Lieblingsplatz erwarten – einer kleinen Lichtung nahe dem Götterhain. Feuersänger sah Silbersang nach, als er zwischen den Bäumen verschwand. Er kletterte mit einem bedauernden Seufzen aus dem Becken, rubbelte sich trocken, zog dann die Seidenrobe mit weiten Ärmeln und silberbestickten Säumen an und legte seinen Gürtel mit dem Jagdmesser um.

Das Tuch und die getragenen Kleider stopfte er in einen Korb, legte seine Schuhe darauf und ging damit barfuß zur Lichtung. Sie lag zwischen Quellteich und Götterhain, ein wenig versteckt. Nicht nur Feuersänger und Silbersang kamen oft hierher, um sich zu entspannen, alle aus dem Dorf kannten und liebten diesen Platz. Dennoch konnte jeder, der es wollte, hier allein sein. Am Zugang zur Lichtung lag ein flacher Stein, dessen eine Seite mit Ruß schwarz gefärbt war. Lag diese Seite oben, war das ein Zeichen dafür, dass jemand auf der Lichtung war, der nicht gestört werden wollte. Jetzt lag die geschwärzte Seite oben.

Feuersänger sah schon von weitem die Lichter. Auf dem Tischfelsen brannten Kerzen in Windlichtern aus buntem Glas. Gläser und eine bauchige Flasche, deren Inhalt Feuersänger nur zu gut kannte, standen auf einem roten Tischtuch, daneben mehrere zugedeckte Schalen und Körbe. Silbersang und Sternenglanz warteten Seite an Seite neben dem Steintisch. Beide hatten ihre Handschuhe abgelegt, trugen aber ihre Masken.

Ein erwartungsvolles Kribbeln kroch Feuersängers Rücken entlang, die feinen Haare in seinem Nacken sträubten sich. Er stellte seinen Korb am Rand der Lichtung ab und näherte sich den beiden langsam. Sternenglanz trat einen Schritt vor und streckte ihm die Hände entgegen.

„Komm näher, Sha’ir. Ich rufe dich als dein Sharass. Für das, was hier nun geschehen soll, ist Silbersang Zeuge.“

Jetzt verstand Feuersänger. Sein Herz schlug schneller. Er musste sich zwingen, langsam auf Sternenglanz zuzugehen und dessen Hände zu nehmen. Aus den Augenwinkeln sah er Silbersang breit grinsen und ihm zublinzeln.

//Mistkerl//, schossen Feuersängers Gedanken. //Du hast es gewusst!//

//Ja und?//, kam es trocken von Silbersang. //Sollte ich dir die Überraschung verderben?//

Feuersänger versuchte, seine Gesichtszüge zu bändigen.

//Wir sprechen uns noch, Ta’nesha!//

//Das will ich hoffen!//

Sternenglanz’ schmales Gesicht blieb unbeweglich. Wenn er die lautlose Unterhaltung mitbekommen hatte, zeigte er es nicht. Fest umschloss er Feuersängers Hände und sah ihm in die Augen.

„Ich habe dich gerufen, an diesen Ort und zu diesem Zeugen, um dich aus dem Stand des Sha’ir zu entlassen. Du hast Wissen erworben unter Enttäuschung, Schmerz und Verlust. Du bist durchs Schmiedefeuer gegangen. Aus dem rohen Eisen, das sich in meine Hände gegeben hat, ist eine Klinge geworden. Du erfüllst mein Herz mit Stolz, Feuersänger. Alle sollen es sehen. Komm und empfange das Zeichen, das dich zum Mann macht.“

Sternenglanz lockerte seinen Griff und trat zur Seite. Feuersänger sah die ausgebreiteten Schleicherfelle auf dem Gras. Er drückte stumm Sternenglanz’ Hände und blickte ihm in die Augen. Dann zog er seine Hände zurück. Langsam streifte er seine Robe und das Lendentuch ab und legte sich rücklings auf die weichen Felle, die Arme ausgebreitet, als wolle er den Himmel umarmen. Er atmete tief die laue Nachtluft ein. Sternenglanz kniete sich an seiner linken Seite ins Gras, Silbersang an seiner rechten. Sternenglanz beugte sich über ihn.

„Ich bin stolz auf dich, Sha’ir“, flüsterte er. „Du bist eine gute Klinge. Das warst du schon, als ich dich als Sha’ir annahm.“ Seine Hand wanderte durch Feuersängers Haar, streifte sein Ohr, glitt den Hals hinab und begann, auf seiner Brust das Zeichen zu weben, das aus dem Heranwachsenden einen Mann, aus rohem Stahl eine Klinge machte. Bis zu dieser Nacht war diese eine Stelle auf Feuersängers Brust frei geblieben. Feuersänger hielt Sternenglanz‘ Blick fest, als dieser ihn berührte. Was er in den rot leuchtenden Augen seines Sharass sah, machte ihn stolz.

 

Seine Haut brannte ungewohnt heftig unter Sternenglanz’ Fingern, als sei dieses Zeichen anders als alle anderen. Sternenglanz wob es so fein, dass es lange dauerte, es fertigzustellen. Als Sternenglanz die letzten feinen Linien zog, krallte Feuersänger seine Finger stöhnend in die weichen Felle. Ihm war, als sei sein ganzer Körper in das göttliche Feuer eingehüllt. Jede noch so kleine Berührung ließ ihn zusammenzucken und keuchend nach Atem ringen. Als Sternenglanz begann, seine alten Zeichen nachzuziehen, wie das Ritual es als Abschluss verlangte, konnte er nur noch die Augen schließen und sich hingeben. Das Sternenfeuer verbrannte die Vergangenheit. Feuersänger nahm seine Kindheit und Jugend, all das Schöne und vor allem all das Schreckliche, und warf es ins Feuer. In den Flammen sah er seine Eltern, die ihm die Arme entgegenstreckten, Nachtläufer, der ihn voller Stolz anblickte, und den Anführer seines gefallenen Clans, der ihm seinen Segen gab. Stimmen erfüllten Feuersängers Ohren wie das Rauschen des Windes in den Blättern. Feuersänger öffnete die Augen, blickte zu den Sternen, und er wusste, dass all die Legenden seines Volkes die Wahrheit sprachen. Die Nithyara waren Kinder der Sterne. Er nahm die Tränen kaum wahr, die ihm über das Gesicht rannen. Sternenglanz zog ihn an sich. Silbersang setzte sich zu ihnen und nahm Feuersängers Hand in seine. Eine Weile saßen sie stumm da und betrachteten die Sterne. Feuersängers Atem beruhigte sich nur langsam wieder. Er fuhr sich mit der Hand über die feuchte Maske und lehnte sich an Sternenglanz. Silbersang strich ihm über die Wange.

Sternenglanz sah Feuersänger in die Augen. „Ich habe dir nichts mehr beizubringen, Sha’ir-ethár. Von dieser Nacht an bist du frei.“

Feuersänger sah den Stolz in den Augen seines Lehrers, als er ihn seinen „ehemaligen Schüler“ nannte. Einen Erwachsenen, der keinen Lehrer mehr brauchte.

„Ich bezeuge, was dein Sharass gesagt hat, Feuersänger. Ich habe dich auf deinem Weg als Sha’ir begleitet, auch von mir hast du vieles gelernt. Ich bezeuge, dass du das Zeichen der Freistellung zu Recht erhalten hast. Du hast deine Kindheit hinter dir gelassen. Von nun an sollst du alle Rechte und Pflichten der Erwachsenen als die deinen betrachten.“ Auch Silbersang sah Feuersänger aus leuchtenden Augen an.

Feuersänger richtete sich auf, bis er vor Sternenglanz und Silbersang kniete. Sein Blick wanderte zu seinem ehemaligen Sharass.

„Ich werde nie aufhören zu lernen. Ich werde nie vergessen, was du für mich getan hast. Du hast mein Leben gerettet und mich aufgerichtet. Ich danke dir.“ Er atmete tief und sein Blick wanderte zu Silbersang.

„Ich danke dir ebenso, Ta’nesha. Für alles.“

„Ich habe dir zu danken.“ Silbersang zog Feuersänger an sich und der lehnte sich dankbar an ihn. Sternenglanz umarmte beide.

„Dann werde ich wohl anfangen müssen, mir ein Haus zu bauen.“ Feuersänger versuchte, seine Stimme fröhlich und stolz klingen zu lassen, aber er hatte sich so daran gewöhnt, bei Silbersang und Sternenglanz zu leben, dass ihn der Gedanke an ein eigenes Haus eher erschreckte als glücklich machte.

Sternenglanz strich ihm durchs Haar. „Es braucht sich nichts zu ändern, wenn du es nicht willst.“

Feuersänger seufzte erleichtert. „Das ist gut. Ich will weiter mit euch leben. Aber es wird doch sehr angenehm sein, nicht mehr immer derjenige zu sein, der als Erster aufzustehen hat!“ Er spürte, wie seine Anspannung einer angenehmen Müdigkeit wich, die nicht nach Schlaf verlangte, sondern nach Gemütlichkeit, Nähe und einem guten Essen, und lachte befreit auf.

Sternenglanz boxte ihn freundschaftlich in die Seite. „Gib es zu, nur darum hast du darauf gewartet, freigestellt zu werden!“

Feuersänger machte sich immer noch grinsend los. „Was hast du denn gedacht, Sharass?“

„Undankbarer!“ Sternenglanz lachte und stürzte sich auf Feuersänger, Feuersänger zog beim Ausweichen Silbersang mit sich, und wenig später wälzten sie sich als Knäuel in den Nachtschleicherfellen. Ihr Lachen erfüllte die Nacht.

 

Sternenglanz war der Erste, der aufstand und zu dem steinernen Tisch trat. Er öffnete die Schalen und Körbe, und der verführerische Duft süßer Früchte und würzigen Fleisches strömte über die Lichtung. Feuersänger schnupperte. Silbersang richtete sich auf, küsste Feuersänger auf die Nasenspitze und warf ihm seine Roben zu.

„Komm, lass uns essen. Du musst hungrig sein!“

„Wie ein Schleicher!“ Feuersänger schlüpfte in die Roben und setzte sich zusammen mit Silbersang an den Tisch aus Stein. Sternenglanz hatte die Gläser gefüllt, Wein duftete süß und schwer. Er hob sein Glas.

„Al-Hai’re“, sagte er lächelnd. „Auf die Sterne und auf dich, Feuersänger, Sha’ir-ethár.“

Feuersänger neigte den Kopf. „Nein. Auf dich, Sharass-ethár. Und auf dich, Silbersang, Ta’nesha. Ohne dich wüsste ich nicht, wie es sich anfühlt, wirklich ganz zu sein!“

Sie stießen an, das melodische Klirren der Gläser klang wie das Lied der Sterne. Feuersänger genoss den Wein. Er schmeckte wie das Leben selbst. Süß, schwer, nach Beeren, Gewürzen, Honig und Wald, und doch war tief verborgen in diesem Geschmack ein Hauch von saurer Bitterkeit, die ihn daran erinnerte, dass das Leben nicht nur aus Festen bestand. Der Gedanke war flüchtig, er schob ihn beiseite. Diese Nacht war eine Nacht zum Feiern. Gemeinsam aßen und tranken sie, fütterten sich gegenseitig mit den verschiedenen Köstlichkeiten. Süßsauer eingelegtes Fleisch stand auf dem Tisch, gebraten und mit scharfen, fruchtigen Saucen gereicht, honigtriefendes Gebäck, das an Fingern und Zähnen klebte, frisches Kräuterbrot mit eingebackenen Nüssen, eine Creme aus zermahlenen Nüssen und in Honig eingelegten Früchten. Feuersänger naschte für sein Leben gerne von dem Honiggebäck, immer wieder fischte er sich ein Stück davon aus der Schale. Silbersang lachte.

„Wenn du so weitermachst, wirst du fett und träge wie ein Airah!“

Feuersänger grinste weinselig und warf ein Stück Kräuterbrot nach Silbersang, das ihn weit verfehlte. So träge wie diese Tiere, die ständig nur reglos in den Bäumen hingen, würde er nie sein!

„Das ist mir vollkommen gleichgültig“, brummelte er mit schwerer Zunge und leckte sich den Honig von den Fingern. „Im Augenblick weiß ich nur, dass ich mich gut fühle, auch wenn ich euch wirklich dankbar wäre, wenn ihr die Wiese daran hindern könntet, sich zu drehen.“

Silbersang lachte und sah Sternenglanz an. „Vielleicht ist dieser junge Mann doch noch nicht ganz so erwachsen“, sagte er und strich Feuersänger durchs Haar. Feuersänger schnaubte verächtlich, lehnte sich dann an Silbersang, ließ er sich an ihm hinunterrutschen und legte den Kopf in den Schoß seines Ta’nesha. Er schnurrte zufrieden. Diese Nacht sollte nie enden!

„Nenn mich wie du willst, ich bin so glücklich, dass mich nichts stört!“

Silbersang küsste Feuersängers Lippen. Feuersänger schloss die Augen.

„Du schmeckst nach Honig“, murmelte Silbersang. „Ich beschwere mich nie wieder. Du schmeckst gut!“

Sternenglanz lachte. Er stand auf und begann, die Sachen zusammenzuräumen. Feuersänger merkte, dass sein ehemaliger Sharass ihn und Silbersang liebevoll beobachtete. Es erfüllte ihn mit Glück, dass Sternenglanz und Silbersang Freunde geblieben waren, auch wenn er, Feuersänger, zu Silbersangs Ta’nesha geworden war. Still betete er zur Sternengekrönten und dem Nachtschatten, dass sich zwischen ihnen niemals etwas ändern möge. Er war glücklich mit diesen beiden Männern, die sein Leben verändert und erneuert hatten.

 

Am nächsten Abend erwachte Feuersänger in Silbersangs Armen. Sternenglanz war verschwunden, ebenso die Körbe und die Überreste des Festessens. Feuersänger streckte sich, gähnte und kuschelte sich an seinen Ta’nesha. Silbersang hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen.

„Guten Abend, Langschläfer!“

Feuersänger räkelte sich in den Decken. „Wo ist Sternenglanz?“

„Zurück zum Dorf, schon sehr früh. Er wollte mit Mitternacht sprechen.“ Silbersangs Augen funkelten. Feuersänger richtete sich auf.

„Ist etwas passiert?“

„Ja.“

„Was? Legendensänger, mach es nicht so spannend!“

Silbersang lachte. „Immer noch so ungeduldig, Feuersänger? Wir sollten dich Feuerseele nennen. Sternenglanz wollte Mitternacht von deiner Freistellung berichten, denn du musst dich heute Nacht noch einmal dem Rat vorstellen und den Treueschwur gegenüber Mitternacht erneuern. Wenn du das willst.“

„Natürlich will ich. Aber wenn ich vor den Rat trete, dann sollte ich vielleicht vorher schnell noch ein Bad nehmen.“

 

Sie liefen zum Quellteich, wuschen sich und kehrten zu Silbersangs Baumhaus zurück. Sternenglanz wartete bereits auf sie. Er umarmte beide zur Begrüßung.

„Silbersang hat dir gesagt, was noch zu tun ist?“

„Wann ist es soweit?“ Feuersänger musste sich zusammennehmen, um nicht vor Aufregung von einem Fuß auf den anderen zu treten.

„Wenn der Mond seinen höchsten Stand erreicht hat. Bereite dich in aller Ruhe vor. Du hast Mitternacht bereits einmal die Treue geschworen, aber damals hat sie Zeugen und Bürgen gebraucht. Wenn du dieses Mal schwörst, wird dein Wort allein genug sein.“

 

Bis es Zeit für die Zeremonie war, zog Feuersänger sich in den Schlafraum zurück, um sich auf den Schwur vorzubereiten. Die anderen ließen ihn allein. Silbersang spürte ohnehin immer, was er gerade brauchte, und Sternenglanz kannte ihn inzwischen so gut, dass er es ihm ansehen konnte.

 

Feuersänger wählte schlichtes Schwarz für seine Kleidung. Er war eine einfache Klinge, die zum Kampf geschmiedet war. Alle sollten es sehen.

Als der Mond hoch am Himmel stand, beendete er seine Meditation und stieg langsam die Leiter zum Wohnraum hinunter, wo Silbersang und Sternenglanz ihn erwarteten.

Diesmal schritt er voran, als sie zum Versammlungsplatz aufbrachen, und die anderen folgten ihm. Wie schon bei seinem ersten Schwur war der ganze Clan in einem großen Halbkreis am großen Feuer versammelt. Mitternacht stand vor ihnen, wie immer zu feierlichen Anlässen in ihr silberdurchwirktes Gewand gehüllt, den Silberreif auf der Stirn. Sie blickte Feuersänger ruhig entgegen. Feuersänger trat näher. Er fühlte, wie die Versammelten ihn musterten. Vereinzelt wehten geflüsterte Worte an seine Ohren.

Wie groß er geworden ist. Wie reif er geworden ist. Ich weiß noch, wie er aussah, als Sternenglanz ihn hier anschleppte, ein zerzauster Welpe war er, und seht ihn euch jetzt an! Was nur sieben Jahre aus einem halben Kind machen können!

Ja, er hatte sich verändert. Er war gewachsen, seine Schultern waren breiter geworden, die Hüften schmaler, das feingeschnittene Gesicht kantiger und die Zeichen auf seiner Haut waren sehr viel zahlreicher als bei seinem ersten Schwur. Sie wanden sich unter den Rändern seiner Maske hervor, schimmerten auf seinen Händen und Armen. Damals war ein halbes Kind vor den Rat getreten, unsicher und schüchtern. Jetzt stand Feuersänger als Mann vor der Königin. Er sah sie an, neigte respektvoll den Kopf und wartete.

„Feuersänger. Warum bist du hier?“ Mitternachts Stimme jagte ihm noch immer Schauer über den Rücken.

„Um mich dir zu geben, Königin.“

Mitternacht lächelte.

„Dann leiste deinen Schwur, Feuersänger. Als Angehöriger meines Clans und als starke Klinge.“

Feuersänger sah noch einmal zu Mitternacht auf, dann sank er auf ein Knie und nahm Mitternachts Hand in seine.

„Ich erneuere den Eid, den ich dir als Sha’ir gegeben habe. Ich schwöre dir Treue, Königin und Clanmutter. Ich schwöre, für die Hainhüter zu kämpfen, sie zu schützen und ihnen zu helfen. Dafür nehme ich mit Freuden Hilfe und Schutz des Clans an. Ich schwöre bei den Sternen, dem Mond, der Sternengekrönten und dem Nachtschatten, dass ich deinem Clan und dir dienen werde, bis meine Seele zu den Sternen geht.“

Feuersänger berührte Mitternachts Hand mit der Stirn, dann hauchte er einen Kuss auf die behandschuhten Finger und ließ sie wieder los.

„So lasse mich deinen Schwur in deine Haut zeichnen.“ Mitternacht deutete auf die zu ihren Füßen ausgebreiteten Felle.

Feuersängers Herz begann, schneller zu schlagen, als er mit geschmeidigen Bewegungen sein Hemd ablegte und sich auf die Felle kniete. Er spürte, wie die Blicke der anderen über seine zeichengeschmückte Haut glitten. Es erfüllte ihn mit Stolz.

Als Mitternacht hinter ihn trat, ließ er sich auf dem Bauch zu Boden gleiten und breitete liegend die Arme zu beiden Seiten aus. Mitternacht streifte ihre Handschuhe ab und zog das Zeichen seines ersten Schwurs nach, das Clanzeichen, das sich seine Wirbelsäule entlangzog. Er spürte, dass sie nicht überall den feinen Linien exakt folgte. Hier und da nahm sie Linien fort – er fühlte den scharfen Schmerz, als sie Teile des Zeichens mit dem Sternenfeuer ihrer Hände löschte, dann glitten die zeichnenden Fingerkuppen wieder über seine Haut und woben das Zeichen seines Schwurs neu. Feuersänger schloss die Augen und ließ es geschehen. Er nahm den Schmerz und verwandelte ihn. Er ließ sich fallen in Lust und Pein.

Mitternacht ließ sich Zeit. Ihre Finger tanzten über Feuersängers Haut und schrieben mehr als nur ein Zeichen. Es war eine Geschichte, die sich unter Mitternachts Händen entspann. Feuersänger konnte jedes einzelne Wort spüren, jedes Kapitel, das unter den Berührungen der Clankönigin seinen Lauf nahm. Bilder rauschten durch seinen Verstand wie Wind durch die Blätter der Silberbäume über ihm. Zeit verlor ihre Bedeutung. Er fiel.

 

Er sieht Schnee. Der Hain glitzert unter Eis. Kälte greift nach Feuersänger. Schatten ziehen an ihm vorbei, er erkennt Gesichter. Mitternacht, Silbersang, Sternenglanz, Mondsichel. Auf dem Götterstein erhebt sich die Gestalt eines Mannes, der alles und doch nichts von allem zu sein scheint: Nithyara, Kha’da’sena, Dunkelelf. Harfenklänge zerreißen die Luft. Feuersänger muss nicht hinsehen, um zu wissen, wer die Harfe spielt und den Winterfluch des Mannes, der in den Legenden der Nithyara Ascheherz heißt, in Fetzen reißt.

Das Bild verschwimmt, ein anderes taucht auf. Mitternacht und die anderen Nithyara beraten sich, neue Bänder werden geknüpft, alte gelöst – Feuersäger sieht, wie aus dem Bündnis zwischen Hainhütern und Waldrandclan zwei neue Clans erstehen. Er sieht die lächelnden Gesichter seiner Großeltern, die in den Wirren des Kampfes gegen den Winterfluch Liebe fanden.

Wieder verschwimmt das Bild. Feuersänger ist wieder ein Kind, er spürt die Berührung seiner Mutter, eine sanfte Hand an seinem Rücken, die ihn in Nachtläufers Arme schiebt. Feuersänger ist wieder ein Sha’ir, er sieht sich selbst lernen, streift noch einmal bei seiner ersten Jagd mit Nachtläufer durch den Wald, nur, um bei seiner Rückkehr seinen Clan verloren zu finden. Der Schmerz ist überwältigend.

 

Wind streift seinen Körper, unter seinem Rücken spürt er Stein, kühl und doch pulsierend und voller Leben. Eine weiche Pfote berührt ihn. Feuersänger schlägt die Augen auf und findet sich im Götterhain wieder, rücklings liegt er auf dem Götterstein und blickt in den sternenklaren Himmel. Neben ihm hockt eine Waldkatze, klein und zart, das Fell mondsilbern, die Augen tiefblau und voller Sterne.

//Sternenkind//, raunt eine Stimme in Feuersängers Gedanken. Die Katze reibt ihren Kopf an seiner Schulter, springt vom Stein und ist im nächsten Augenblick eine Frau, die lächelnd auf Feuersänger hinabblickt und sein Haar streichelt.

Herrin“, flüstert er, denn er weiß genau, vor ihm steht keine andere als Ti’shanari selbst, die Sternengekrönte.

Feuersänger“, flüstert sie. „Sternenkind. Sturmwind. Die Finsternis wird nicht mehr lange schlafen, und es ist an dir, die Zeichen ihrer Rückkehr zu erkennen. Lerne, Sturmwind, und lehre deinen Clan. Du wirst durch Schmerz gehen und du wirst leiden, doch du wirst wachsen an jedem Leid, das dich trifft. Du wirst Einsamkeit finden, und du wirst an ihr wachsen, damit du sein kannst, wofür ich dich ausersehen habe. Du bist eine Klinge, Feuersänger. Sturmwind. Und ich werde bei dir sein, wo auch immer du bist. Meine Botin wird dich leiten. Sieh die Zeichen und deute sie weise.“

Noch einmal spürt Feuersänger die Hand der Herrin auf seinem Haar, hört ihr silbriges Lachen, ihre Lippen berühren seine Stirn in einem liebevollen Kuss. Sterne füllen Feuersängers Blick. Und dann Dunkelheit.

Er liegt auf dem Bauch, das Gesicht in weiches Nachtschleicherfell gedrückt, der Duft von Fell und Wald füllt seine Sinne, und eine Hand schreibt auf seinem Rücken eine Geschichte.

 

Feuersänger stöhnte in das Nachtschleicherfell. Seine Hände hatten sich fest in die weichen Haare gekrallt, während Mitternacht die Zeichen auf seinen Rücken schrieb, die eine Geschichte und ein Schwur zugleich waren. Als sie schließlich ihre Hand zurückzog und Feuersänger leicht über das Haar strich, brannte seine Haut. Die Bilder seiner Visionen flimmerten hinter seinen geschlossenen Lidern. Sein Körper stand in Flammen, und er rang nach Atem wie nach einem langen Lauf. Er hatte sich lange nicht so lebendig gefühlt. Langsam stemmte er sich mit den Armen hoch und kam schwankend wieder auf die Beine. Mitternacht fasste seinen Arm und stützte ihn. Funken tanzten in ihren Augen. Ihr Lächeln war wie ein warmer Sommernachtwind. Sie umarmte ihn. „Noch einmal und für alle Zeit willkommen, Feuersänger! Ich bin froh, dass du hier bist.“ Sie zog ihn noch näher an sich.

„Komm morgen Nacht mit Silbersang und Sternenglanz zu mir. Ich hatte wieder Träume und ich will sie mit dir teilen, denn ich weiß, du wirst sie verstehen. Mein Legendenbewahrer und mein erster Kundschafter sollen dabei sein. Ich brauche dein Wissen, Feuersänger.“

Feuersänger neigte den Kopf. „Ich habe den Winterfluch gesehen, während du mich gezeichnet hast“, murmelte er in ihr Ohr, „ich habe gesehen, wie Harfenklänge ihn zerrissen. Ich habe mein Leben noch einmal gelebt und sah meinen Clan fallen. Die Herrin hat zu mir gesprochen. Wir werden da sein, meine Königin. Die Schatten kommen zurück.“

„Danke, mein Feuersänger.“ Mitternacht hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Jetzt geh und lass dich feiern. Die anderen warten. Diese Nacht soll eine Nacht ohne Schatten für uns alle sein.“

Sie wandte sich dem Clan zu. „Feiert, Hainhüter, denn von nun an haben wir einen Jäger mehr in unserer Mitte, einen weiteren Gelehrten und einen weiteren Kundschafter. Feiert, mein Clan, hebt eure Gläser und singt zu den Sternen! Was auch immer an Finsternis in den Wäldern lauert, soll wissen, dass die Nithyara stärker sind als je zuvor!“

„Al’Hai’re!“ Silbersangs Stimme hob sich über den Jubel und die gerufenen Glückwünsche, er trat mit zwei Bechern Met auf Feuersänger zu, umarmte ihn und zog ihn hinein in den versammelten Clan, und Feuersänger fühlte sich unendlich willkommen. Er war nicht mehr der Fremde, der Welpe, den Sternenglanz im Wald gefunden hatte. Er war ein Hainhüter.

 

Feuersänger ließ sich fallen in die Liebe seines neuen Clans. Ihre Umarmungen waren voller Willkommen. Feuersänger erwiderte jede von ihnen, ließ sich küssen und drücken, spürte beglückt die Hände, die ihm verspielt durch das Haar strichen oder mit festem Druck seine Schulter berührten, Lippen, die seine Wangen streiften, und die freundlichen Worte der anderen sorgten dafür, dass das Lächeln gar nicht mehr aus seinem Gesicht verschwinden wollte. Einige gaben ihm kleine Geschenke, Lederbänder, einen Gürtel, ein kleines Messer in einer schwarzen Scheide. Sternschnuppe, die er als kleines Mädchen auf den Arm genommen hatte, als Sternenglanz ihn das erste Mal vor den Clan gebracht hatte, kam an der Seite ihrer Shara zu ihm und reichte ihm voller Stolz eine Tunika aus feinstem schwarzen Leder. Die Kleine war gewachsen, Feuersänger entdeckte weiße Haare in ihrem schwarzen Schopf.

„Für dich“, sagte Sternschnuppe schüchtern und errötete unter ihrer Maske, als sie Feuersänger die Tunika in die Hand drückte. Windlied, ihre Shara, lachte und legte ihrer Sha'ira einen Arm um die Schultern. Im Hintergrund sah Feuersänger Rabenschwinge, Sternschnuppes Mutter, stolz zu ihrer Tochter blicken.

Vorsichtig nahm Feuersänger die Tunika und legte sie über seinen Arm. „Ich danke euch beiden, sie ist wunderschön.“ Er umarmte Sternschnuppe und Windlied zum Dank und küsste Sternschnuppe auf die Wange. Kichernd flüchtete sie in die Menge. Sternenglanz sah ihr nach, dann legte er Feuersänger grinsend eine Hand auf die Schulter. „Kaum erwachsen, schon laufen ihm die Mädchen nach!“

Silbersang grinste. „Das tun sie doch schon eine ganze Weile.“

//Sie ist noch ein Kind. Aber ich will ohnehin nur einen//, drangen Feuersängers Gedanken sanft in Silbersangs Geist. Silbersang errötete beinahe so tief wie Sternschnuppe.

 

Bis in die frühen Morgenstunden saßen sie am Feuer, aßen und tranken zusammen und lauschten, als Silbersang seine Harfe holte und die alten Lieder aus der Zeit des Winterfluchs sang. Feuersänger hatte sie inzwischen alle gelernt und Silbersang seinerseits die Lieder des Waldrandclans beigebracht. Sie sangen, allein und gemeinsam, und die Sterne hörten zu.

Doch so schön und harmonisch die Nacht auch war, so ruhig und friedlich, Feuersänger musste immer wieder an Mitternachts Einladung denken. Träume. Er hatte lange nicht von den Kha’da’sena und den Shir’athana geträumt. Wenn er genau darüber nachdachte – er hatte nicht mehr von ihnen geträumt, seit er und Silbersang Ta’nesha waren. Auch Silbersangs Träume waren friedvoller geworden, die dunklen Visionen, die ihn gequält hatten, waren nach und nach zu matten Bildern verblasst. Die Schatten waren in die Ferne gewichen.

Als die letzten Sterne verblassten und die Versammlung sich langsam auflöste, stand auch Feuersänger auf.

„Lasst uns nach Hause gehen, ich muss mit euch beiden reden.“

 

2. Schattenträume

 

Feuersänger ließ sich auf den Schlaffellen nieder, aber er machte keine Anstalten, sich hinzulegen. Silbersang setzte sich hinter ihn und zog ihn an sich.

„Was ist, Ta’nesha? Du siehst nachdenklich aus.“

„Mitternacht sagte mir, dass sie uns morgen Nacht sehen will. Sie hat wieder geträumt.“ Die Angst kam zurück, dieses altbekannte Gefühl von plötzlicher, eisiger Schwere im Magen. Die Götter schickten Mitternacht Träume und ließen ihn selbst Dinge sehen, die ihnen zeigten, dass die Schatten zurück waren.

„Hast du in der letzten Zeit geträumt, Ta’nesha?“, fragte Feuersänger.

Silbersang schüttelte den Kopf. „Du?“.

„Ich hatte eine Vision, als Mitternacht mich zeichnete.“ Feuersänger lehnte sich an Silbersang. Sternenglanz setzte sich zu ihnen, schweigend füllte er flache Tonschalen mit einem süßen, leichten Beerenwein.

„Ich habe die Sternenherrin gesehen“, sagte Feuersänger und nahm eine Schale, „sie hat mich gewarnt.“ Er trank, dann sprach er weiter. „Sie will auch euch beide sehen. Ihren Legendenbewahrer und ihren ersten Kundschafter.“

„Dann kommen wir mit dir.“ Silbersang zog Feuersänger fester in seine Arme.

Feuersänger schloss die Augen.

„Ich wünschte, sie wären weggeblieben – sie waren so lange fort – es ist, als ob sie auf diese Nacht gewartet hätten. Ich werde freigestellt und leiste meinen Schwur als Mann, und das Erste, was sich mir ins Gedächtnis zurückdrängt, sind die Shir’athana.“ Er ballte die Linke zur Faust und hieb in die Felle. Es war so ungerecht. Immer, wenn er glaubte, glücklich werden zu können und etwas erreicht zu haben, kehrten die Schatten zurück und machten seine Hoffnungen auf ein Leben in Frieden zunichte.

Silbersang strich ihm durchs Haar und über seine Stirn. Er stellte seine Schale beiseite und ergriff Feuersängers Hand.

„Wir werden gemeinsam kämpfen, Klinge“, flüsterte er.

„Alle gemeinsam.“ Sternenglanz legte seine Hand auf die seiner besten Freunde. „Wir sollten versuchen, zu schlafen. Die Nacht war anstrengend und es wird sich nichts ändern, wenn du weiter darüber nachgrübelst, was Mitternacht uns sagen will.“ Sternenglanz streifte seine Kleider ab und streckte sich auf den Fellen aus.

„Du hast Recht. Ich werde mir dennoch abgewöhnen müssen, immer auf deine Ratschläge zu hören – Sharass.“ Feuersänger lachte leise.

Silbersang grinste. „Du bist freigestellt, ja, und du bist vor dem Gesetz erwachsen – aber das bedeutet doch nicht, dass du von nun an alles ganz allein entscheiden oder tun musst. Auch für einen Erwachsenen ist es keine Schande, den Rat eines Freundes zu suchen oder anzunehmen. Im Gegenteil.“ Er zwinkerte Feuersänger zu, nahm ihm die Weinschale ab und stellte sie beiseite, dann drückte er ihn behutsam in die Felle und legte sich neben ihn.

Zwischen die beiden Älteren gekuschelt, umgeben von ihrer Wärme, wurde Feuersänger ruhiger, aber er brauchte eine Weile, bis er schließlich einschlief.

Zum ersten Mal seit langer Zeit träumte er von Nachtläufer. Er sah das Gesicht seines ehemaligen Lehrers vor sich. Ein Lächeln lag auf den vertrauten Zügen, aber tief verborgen in den forschend blickenden Augen stand Sorge. Feuersänger streckte die Hand aus, doch noch bevor er Nachtläufers Gesicht berühren konnte, verblasste der Traum. An seiner statt schlich ein anderer sich in Feuersängers Geist – die Vision der Sternenherrin mit ihrem funkelnden Blick und der Warnung in ihrer Stimme.

 

Das Dunkel nähert sich“, raunt ihm die Herrin zu, „sei wachsam, Sternenkind. Wenn Dunkelheit die Ruhe der Herrschenden schwarz färbt und kalte Furcht sich der Herzen von Königen bemächtigt, wenn starke Felsen zittern und ruhige Wasser schäumen, dann wisse, Sternenkind, dass es an der Zeit ist, die Augen offen zu halten. Sei auf der Hut, sei wachsam! Sei wachsam – sei wachsam –“

Die Stimme verklingt und Feuersänger blickt in das gesichtslose Dunkel eines Shir’athana. Eiskalte Leere greift nach seiner Seele und er kann nur noch schreien.

 

Feuersänger fuhr hoch, als ihn jemand an der Schulter fasste und ihm eindringlich ins Ohr flüsterte.

„Ta’nesha, wach auf!“

Die Stimme seines Traumes mischte sich mit der der Realität. Feuersängers Herz schlug hämmernd gegen seine Rippen. Er riss die Augen auf und wusste dennoch nicht, wo er war.

„Ta’nesha, komm zu dir!“

Eine Hand strich ihm das schweißfeuchte Haar aus der Stirn, ein Arm schlang sich um ihn und er fühlte sich in liebevolle Wärme gezogen.

„Silber –?“ Feuersänger lehnte sich mit einem erleichterten Seufzen an Silbersang, der ihn sacht auf die Stirn küsste.

„Götter, Ta’nesha, was hast du geträumt?“

Feuersänger atmete tief und schloss die Augen. „Shir‘athana“, murmelte er, „ich habe einen Schatten gesehen.“ Er rollte sich in Silbersangs Armen herum, so dass er das Gesicht an seiner Brust vergraben konnte. Es tat so gut, den ruhigen Herzschlag seines Ta‘nesha zu hören und seine Hand im Haar zu spüren.

Silbersang schwieg und Feuersänger war dankbar dafür. Der Shir’athana hatte ihm Angst gemacht, aber er wollte nicht darüber sprechen. Erst nach einer ganzen Weile fiel ihm auf, dass er mit Silbersang allein war.

„Wo ist Sternenglanz?“, murmelte er undeutlich in die Decken. Silbersang streichelte seinen Rücken.

„Er war zur Wache eingeteilt und hat sich mitten am Tag so heimlich davongemacht, dass du davon nicht wach geworden bist. Er hätte es beinahe vergessen.“ Silbersang grinste. „Aber es dämmert schon, er wird bald zurückkommen. Willst du reden, Ta’nesha?“

Feuersänger schüttelte den Kopf

Wortlos zog Silbersang ihn an sich. Sie lagen schweigend beieinander, bis sie Sternenglanz’ Schritte draußen auf der Balustrade hörten.

Feuersänger blickte auf. „Tee“, murmelte er und löste sich vorsichtig aus Silbersangs Umarmung. Der Legendenbewahrer küsste ihn auf die Nasenspitze.

„Guter Vorschlag.“

Sie waren kaum aufgestanden, als Sternenglanz die Hütte betrat und seinen taufeuchten Umhang neben der Tür aufhängte.

„Wie war der Tag?“ Feuersänger schlüpfte in seine Kleider und sah seinen ehemaligen Lehrmeister an.

„Ruhig.“ Sternenglanz setzte sich ans Kochfeuer und legte Holz nach. „Wir haben die Schreie der Zugvögel gehört, wahrscheinlich gibt es einen frühen Herbst.“

Feuersänger schüttelte sich. Was, wenn die Vögel zogen, weil auch sie die Schatten spürten? Er gesellte sich zu Sternenglanz und stellte den Kessel mit Wasser und Teekräutern ins Feuer. Nachdenklich stocherte er in der Glut herum und beobachtete die Funken, die glitzernd in die Höhe stoben.

Silbersang hockte sich hinter Sternenglanz und massierte ihm den Nacken, was dem Kundschafter ein Schnurren entlockte.

„Hmmmm. Wenn du so weitermachst, werde ich gleich einschlafen, statt mit euch zu Mitternacht zu gehen.“ Er lehnte sich an Silbersang. „Habt ihr gut geschlafen?“

Silbersang warf Feuersänger einen Blick zu. Der biss sich auf die Lippen.

„Ich habe gar nicht gemerkt, dass du gegangen bist. Aber guter Schlaf ist etwas anderes. Ich hab von Schatten geträumt.“

Feuersänger bemerkte, dass Sternenglanz mit Silbersang einen Blick wechselte, und er war dankbar, dass die beiden nicht weiter fragten. Er zog den Kessel aus dem Feuer, füllte den Tee in eine Kanne um und schenkte Schalen für sich und die anderen voll. Dann nahm er eine Handvoll Beeren aus einem Korb und begann, zu essen. Die anderen schwiegen ebenfalls, jeder schien seinen Gedanken nachzuhängen. Schließlich stellte Sternenglanz seine Teeschale zur Seite und stand auf. „Lasst uns losgehen. Mitternacht wartet sicher schon.“

Feuersänger legte erleichtert die restlichen Beeren zurück in seine Schale. Er hatte ohnehin kaum Hunger gehabt. Zu sehr lastete die Anspannung auf ihm, und er war froh, dass sie endlich aufbrachen.

Während die über die Brücken zu Mitternachts Baumpalast gingen, streckte Sternenglanz sich in der frischen Abendbrise. „Ich werde bald wieder auf Kundschaft gehen“, sagte er. Seine Stimme klang fast ein wenig erleichtert. Feuersänger wusste, dass Sternenglanz nur seinetwegen auf weite Kundschaftswege verzichtet hatte. Manchmal hatte er schon ein schlechtes Gewissen deswegen gehabt – Sternenglanz brauchte die Wälder, so wie Feuersänger Silbersang und seine Bücher brauchte.

„Es wäre gut, wenn jemand da draußen ist, der um die Gefahren weiß, die von den Shir’athana ausgehen.“

„Unter anderem deswegen will ich gehen“, sagte Sternenglanz. „Wir sollten wachsam sein, wenn deine Träume warnen, dass die Schatten nahe sind. Auch die anderen Kundschafter müssen von ihnen erfahren. Mitternacht wird es ihnen sagen müssen, auch wenn sie sich davor fürchtet.“

„Die Herrin sagte, ich solle euch lehren –“ Feuersänger blickte nachdenklich in den sternenübersäten Himmel.

 

Sie hatten die Brücke zum Baumpalast erreicht. Die Wachen am Eingang zu dem Gebäude, das fast die ganze Krone des mächtigsten Silberbaums im Hain einnahm, ließen sie ohne Fragen passieren. Mondsichel, Mitternachts engste Vertraute unter den Kriegerinnen und Kriegern ihrer Wache, nahm Feuersänger und seine Begleiter hinter dem Tor in Empfang und begleitete sie zu Mitternachts Saal tief im Inneren des Palastes.

Mitternacht schien schon auf sie gewartet zu haben. Als Mondsichel die Tür öffnete, erhob sie sich und trat Feuersänger entgegen, während Mondsichel draußen blieb.

„Seid willkommen!“ Mitternacht deutete einladend auf die Sitzecke mit den dicken, weichen Kissen und den Fellen auf dem Boden. Feuersänger, Sternenglanz und Silbersang neigten respektvoll die Köpfe, dann ließen sie sich auf den Kissen nieder. Wie bei Feuersängers erstem Besuch im Palast brannten Kerzen, eine Karaffe Wein stand auf dem Tisch, dazu eine Schale mit verschiedenen Leckereien. Mitternacht selbst schenkte den Wein ein.

„Macht es euch bequem. Heute Nacht empfange ich euch als Freundin.“ Sie legte ihren Stirnreif auf eines der niedrigen Tischchen. „Ich brauche eure offenen Ohren und einen Rat.“

„Auch wenn du uns als Freunde empfängst, ist es uns eine Ehre“, sagte Feuersänger und wusste, dass er auch für Sternenglanz und Silbersang sprach.

Mitternacht strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Sie atmete tief durch und straffte die Schultern. „Ich habe lange gezögert, diesen Traum mit euch zu teilen, aber es ist an der Zeit, denn der Traum kehrt immer wieder.“ Sie hielt inne und sah Feuersänger an.

„Feuersänger, du ahnst es sicher schon.“

„Shir’athana, nicht wahr? Auch ich erhielt eine Warnung. Nur zu gerne wäre ich davor weggelaufen. Aber ich bin jetzt deine Klinge. Ich gehe in den Kampf für dich und die Hainhüter, wenn es so sein soll.“

Mitternacht nickte. „Shir’athana.“ Sie holte tief Atem. „In meinem Traum streife ich allein durch den Wald. Da ist kein Wind in den Bäumen, und die Stille ist beinahe unnatürlich. Es dämmert, aber ich kann keine Sterne sehen. Nicht, weil Wolken am Himmel sind oder die Baumkronen zu dicht. Die Sterne sind einfach – nicht da. Mit jedem Schritt habe ich das Gefühl, es verfolgt mich jemand. Es ist, als hätte der Wald Augen. Ich fürchte mich, aber ich weiß, dass ich weitergehen muss.“

Feuersänger biss sich auf die Lippen, um nicht nachzuhaken, als Mitternacht innehielt, um nach Worten zu suchen. Auch die anderen schwiegen. Sternenglanz hielt sein Kristallglas in den Händen, aber er trank nicht, und Silbersang spielte mit einem Waldapfel, ohne ihn zu essen.

Mitternacht nahm einen Schluck Wein, sah Feuersänger in die Augen.

„Dann sehe ich Flammen auflodern. Das Feuer wird größer, ich kann Hitze auf der Haut spüren, höre das Rauschen der Flammen– und dann höre ich Schreie.“

Mitternachts Hand zitterte. Feuersänger nahm ihr das Glas ab, bevor sie den Wein verschütten konnte. Mitternacht lächelte dankbar. Sie schwieg einen Moment, dann fuhr sie fort. „Ich weiß nicht, was dort brennt. Ich sehe euch – sehe den gesamten Clan auf mich zulaufen, aber sie scheinen mich gar nicht zu sehen. Viele von ihnen sind verletzt, einige tragen Bewusstlose aus dem Feuer. Ich spüre etwas Feuchtes an den Füßen, blicke zu Boden und sehe Blut. Es ist alles voller Blut. Jemand lacht. Ich sehe eine Gestalt ohne Gesicht, sie ist nichts als Schatten. Kälte geht von ihr aus, frostiger als der Atem des Winterfluchs und – diese Gestalt atmet Angst und lähmt alles um sie herum.“

Mitternacht hielt inne und blickte Feuersänger an.

Feuersänger wechselte einen Blick mit Silbersang und Sternenglanz, die aus geweiteten Augen die Königin anstarrten.

„Das ist er. Das ist ein Shir’athana“, murmelte er.

„Dann ist es also soweit.“ Silbersang nahm einen tiefen Schluck aus seinem Glas und stellte es beiseite. „Warnungen, Ta’nesha, wie du schon vermutet hast.“

Feuersänger nickte. „Vielleicht hast du eine mögliche Zukunft gesehen, Mitternacht, oder eine schon lange vergessene Vergangenheit. In Silbersangs alten Schriften haben wir vieles gefunden, das darauf hindeutet, dass der Überfall auf meine Höhlen nicht der erste Angriff der Shir’athana war. Anscheinend haben sie sich aber danach über Jahrhunderte nicht gerührt und die Erinnerung an sie verblasste. Doch die Kha’da’sena vergessen nicht. Sie zürnen uns noch immer. Erst Amayas Nachtherz, dann Ascheherz‘ Winterfluch – und jetzt die Shir’athana. Die Kha’da’sena werden niemals aufgeben.“

Feuersänger hielt inne und sah Mitternacht an. „Ich habe noch nie so viel Hass in einem lebenden Wesen gespürt wie in dem Moment, als ich das erste Mal einem Shir’athana begegnete.“

„Leben sie denn überhaupt?“, fragte Mitternacht.

„Ich vermute es“, antwortete Feuersänger nach kurzem Nachdenken, „auch wenn es eine ganz andere Art von Leben sein muss als unseres. Wir leben von Wärme und Nähe. Sie leben von Hass und Kälte. Sie sind unser finsterer Spiegel. Sie sind alles, was wir nicht sind.“

Mitternacht nickte. „Und deine Träume, Feuersänger?“

„Auch sie waren eine Warnung. Ich habe Nachtläufer gesehen. Und ich hörte die Stimme der Sternenherrin. Sie sagte – ‘Wenn Finsternis die Ruhe der Herrschenden schwarz färbt und kalte Furcht sich der Herzen der Clankönige bemächtigt, wenn starke Felsen zittern und ruhige Wasser schäumen, dann wisse, Sternenkind, dass es an der Zeit ist, die Augen offen zu halten.’ Das waren ihre Worte. Finsternis hat deine Ruhe schwarz gefärbt, Mitternacht. Die Herrin sprach von Verlust und drohender Einsamkeit.“ Feuersänger ballte die Hände zu Fäusten. „Ich werde kämpfen. Ich habe meinen neuen Clan nicht gefunden, nur um ihn mir wieder wegnehmen zu lassen.

Mitternacht drückte Feuersängers Hand. „Wir alle werden kämpfen, wenn es soweit ist. Und wir werden aufeinander Acht geben, mein Feuersänger. Warten wir nicht länger. Beginnen wir mit den Vorbereitungen.“

Sternenglanz hob seine Hand. „Ich spreche mit den Spähern. Keiner soll mehr allein das Dorf verlassen.“

„Ich möchte, dass von nun an ständig vier von ihnen gemeinsam dort draußen sind“, stimmte Mitternacht zu. „Sie sollen regelmäßig zu dir und zu mir senden, damit wir wissen, dass alles in Ordnung ist. Ich spreche mit meinen Kriegern und mit Eiswind. Feuersänger, Silbersang ... euch beide möchte ich in meiner Nähe behalten. Ich möchte, dass ihr alle alten Schriften aus meinem Besitz nach weiteren Hinweisen durchsucht. Ich weiß, Silbersang, dass du die meisten dieser Schriften bereits kennst, aber nicht alle. Es gibt eine Sammlung von Erinnerungen unseres Volkes hier im Palast, die noch auf Iloyon Flammenstern zurückgehen. Ich habe sie verwahrt wie alle Hainhüter-Clanführer vor mir, obwohl ich nicht viel damit anfangen konnte. Mehr als die Hälfte davon kann ich nicht einmal lesen. Aber vielleicht findet ihr etwas darin, das uns weiterhilft.“

Silbersangs Augen leuchteten auf.