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Duft des Sturms

Erbe der Sieben Wüsten III

 

Helen B. Kraft

 

Roman

 

 

 

 

Für meine treuen Fans,

die immer da sind, um mich aufzumuntern,

auch wenn ich lästige Kürzungen vor mir habe.

 

 

 

 

©Helen B. Kraft 2016

Machandel Verlag

Charlotte Erpenbeck

Cover: Sylvia Ludwig /www. Cover-fuer-dich.de

Bildquelle: Studio10Artur /www. Shutterstock. com

Nejron Photo /www.shutterstock. com

Haselünne

2016

ISBN 978-3-95959-033-4

Weitere Bände der Bestien-Serie

 

In der Serie „Erbe der Sieben Wüsten“ sind bereits erschienen:


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Aus Verrat geboren

Erbe der Sieben Wüsten I

Helen B. Kraft

360 Seiten

 

Mit harter Hand herrscht König Crothar über sein Reich. Hart genug, dass sein Sohn Cruth es vorzieht, in der Menschenwelt zu leben. Dort allerdings muss er die Bestie, seine zweite Natur, zügeln, denn die Menschen fürchten seinesgleichen. Zu Recht, wie Cruth sehr genau weiß. Dann trifft er auf Nerey. Die atemberaubend schöne junge Hexe, zu der er sich sofort hingezogen fühlt, könnte sich allerdings für ihn als Katastrophe herausstellen. Denn zum einen fürchtet Nerey die Bestien, zum anderen hütet sie ein Geheimnis, das nicht nur Cruths Welt zu erschüttern droht. Doch ausgerechnet diese Frau wünscht sich Cruths Bestie als Partnerin.


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Schwarzstein und Königin

Erbe der Sieben Wüsten II

Helen B. Kraft

354 Seiten

 

Zeyndas Leben könnte so einfach sein, wäre da nicht das Gefühl, für den Tod der eigenen Mutter verantwortlich zu sein. Oder die Tatsache, dass sie sich ausgerechnet in den falschen Mann verliebt. Zudem droht ihrem Volk auch noch ein Krieg mit den Menschen, an dem besagter Mann nicht ganz unschuldig ist. Am liebsten würde Zeynda ihn in die Wüste schicken – bestünde nicht die Bestie, ihr zweites Ich, darauf, dass ausgerechnet Daeon den perfekten Duft besitzt und damit ihr wahrer Gefährte sein muss. 

 

www.machandel-verlag.de

 

Der Machandel Verlag bietet Ihnen ungewöhnliche Fantasy aus verschiedenen Teil-Genres: Romantik-Fantasy, humorvolle Fantasy, klassische Fantasy, Urban Fantasy, Dark Fantasy. Unsere besondere Spezialität sind Kurz-Romane für Jugendliche und Erwachsene. In der Abteilung >Lesesaal< auf unserer Webseite finden Sie Leseproben und Gratis-Kurzgeschichten als pdf-Downloads.

 

Danksagung

 

Allen voran danke ich diesmal meiner Verlagskollegin Tina Alba, die ich bei den ersten beiden Romanen vergessen habe, dabei war sie es, die mir geholfen hat, Cruth eine echte Stimme zu geben, die mich aufgerichtet und angespornt hat, dass auch Kurzgeschichten bzw. Novellen mal Romane sein dürfen. Danke, Liebes, ohne dich hätte ich die ersten Bände in den Sand gesetzt und schon aufgegeben.

Sabrina Železný, Sarah König, Susanne Bloos, Annika Dick und JaXen waren wunderbare Beta- und Testleser, die mich manchmal sanft, manchmal mit Gewalt, aber absolut richtig auf Logikfehler und Stilbrüche hingewiesen haben. Ihr habt alles gegeben, Leute, danke dafür.

Neben Sylvia Ludwig, die wieder einmal ein wunderschönes Cover erstellt hat und Charlotte Erpenbeck, ohne die es diese Reihe gar nicht gäbe, möchte ich noch Bianca Sigwart für das hervorragende Korrektorat danken. Sämtliche verbliebenen Fehler sind Absicht und dienen nur dazu, herauszufinden, wer aufmerksam liest … und sind natürlich ganz allein meine Schuld.

Mein größter Dank gilt meinem Mann, der gutmütig über meine kleine Schwindelei, ich sehe mir nur aus Recherchegründen ständig einen nackten Alexander Skarsgård an, hinweggegangen ist, weil er weiß, dass es nur einen einzigen für mich gibt. Ich liebe dich.

 


 

Prolog

 

 

Verrat. Ich spüre ihn um uns alle herum. Noch hat sich der Feind nicht gezeigt, doch er ist nahe. Die Natter, die ich an meiner Brust nährte, wird meinen Traum zerstören, bevor ich ihn träumen kann. Zeynda, mein Herz, ich fürchte, die Welt, in die du geboren wurdest, wird dich nicht willkommen heißen.

Aus: Cruths Tagebuch, Datum unbekannt.

 

 

372 n.Chr., ein halbes Jahr nach Osans Tod.

Schlammkrieg I.

 

Dunkle Wolken fegten über den sonst so blauen Himmel. Unter dem Knattern vergessener Fahnen im Wind erfüllte leises Wimmern der Verwundeten die Luft. Die Welt hielt für kurze Zeit den Atem an, nur um sich dann gemächlich weiterzudrehen, ungeachtet des Dramas, das sich im heißen Sand Selas abspielte: Vermummte Männer bargen Leichen von Verwandten, Freunden und Kampfgefährten. Frauen huschten zwischen den Toten hin und her, nahmen sich, was noch brauchbar war, um es für die Hinterbliebenen zu verwahren oder selbst zu Geld zu machen. Das Schlachtfeld war trostlos, kalt und blutig.

Inmitten dieses Chaos' lag Zeynda. Ihre Augen starrten ins Nichts und doch war sie nicht tot. Ein winziger Funken Leben verhinderte, dass Cruths Tochter ihren letzten Atemzug tat. Ihr Körper mochte gebrochen sein, ihr Wille indes war es nicht.

Zeyndas Hand krampfte sich um den breiten Taillengurt, der ihr ungeborenes Kind vor den Angreifern hatte schützen sollen.

Es war dumm gewesen, aktiv am Kampf teilzunehmen, obwohl die Schwangerschaft schon so weit fortgeschritten war. Doch wie anders hätte Zeynda sich verhalten sollen? Ihr Volk zählte darauf, unter der Führung des Königshauses zu kämpfen. Also war die Kriegerin ihrer Bestimmung gefolgt – und hatte mit dem Wertvollsten bezahlt, das sie besaß.

Cruth, betete Zeynda stumm. Ich habe versagt. Ich sterbe, und mit mir deine Enkelin. Unsere Feinde werden unser Land überrennen und auch meinen Sohn abschlachten. Vergib mir, Vater, vergib mir.

Ohne hinzusehen, wusste Zeynda, dass ihr Gefährte neben ihr im Dreck lag. Eine der feindlichen Bestien hatte Daeon den Schädel vom Rumpf getrennt, als er versucht hatte, seine Familie zu beschützen.

Dumme, dumme Bestie. Närrischer Schwarzsteiner. Geliebter Gatte. Freund.

Bald schon würde Zeynda ihn wiedersehen.

Ein Zittern lief durch ihren Körper, ließ ihre Zähne klappernd aufeinanderschlagen, den Unterleib zucken. Kälte umhüllte sie, verlangsamte ihren Herzschlag und brachte sie Stück für Stück dem Ende näher.

Dennoch, während das Leben aus Zeynda heraussickerte, den Boden mit dunklem Rot nässte, weigerte sie sich zu sterben. Ihre Beine waren zermalmt, ihre Lunge durch mehrere Rippenbrüche verletzt. Zeynda war sich sicher, dass sie innerlich an weiteren Stellen blutete. Nicht einmal einhundert Herzen könnten sie jetzt noch retten. Trotzdem biss sie die Zähne zusammen. Solange sie durchhielt, lebte das Ungeborene. Kein Schrei durfte sich ihrer Kehle entringen, denn jeder tiefe Atemzug würde die zersplitterten Knochen weiter in die Lunge treiben. Es grenzte ohnehin an ein Wunder, dass das Kind sich noch regte.

Komm, Kleines, kämpf dich ans Licht. Du bist eine Bestie, du hast die Stärke deines Großvaters in deinen Adern. Rette dein Leben. Ich weiß, dass du es kannst!

Als ob das Ungeborene die Gedanken seiner Mutter hören konnte, begann es wild zu strampeln. Zeynda fühlte, wie etwas von innen scharf ihre Bauchdecke kratzte.

Ja, so ist es gut. Kämpfe, mein Herz. Kämpfe! Ignorier mich. Mein Leben ist verwirkt, aber du kannst es schaffen, mein kleiner Schatz.

Nadelspitze Klauen zerrissen Zeynda innerlich. Sie bäumte sich auf, gab jedoch keinen Laut von sich. Womöglich konnte das Baby überleben, selbst wenn sie nicht mehr war.

„Dort drüben liegt die Schlampe! Sieht aus, als lebt sie noch!“

Entsetzt hörte Zeynda das rasch näherkommende Klirren von Rüstungen. Sie rochen nach Tod und nach etwas, das sie in ihrem Dämmerzustand nicht mehr benennen konnte. Feind, nicht Freund, stürmte auf Zeynda zu, um ihr und dem Baby den Rest zu geben. Sie weigerte sich, einen Gedanken daran zu verschwenden. Einzig das Kind zählte, das nun mit seinen winzigen Fängen und Klauen seinen Weg aus der schützenden Hülle des Mutterleibes grub. Das Kind würde Zenyda zerreißen, um zu überleben.

Der Schmerz hätte sie zerbrechen müssen, doch sie fühlte sich seltsam schwerelos, beinahe euphorisch. Längst war sie über jenen Punkt hinaus, an dem sie mehr fühlen konnte als die Angst einer Mutter um ihr Kind.

„Kämpfe“, krächzte Zeynda und presste das Kinn fest auf ihr Brustbein.

Winzige Füße drückten gegen eine zu stark gespannte Bauchdecke, und Zeynda erkannte, dass ihr Ledergürtel verhinderte, dass das Baby entkommen konnte. Sie selbst war viel zu schwach, das Band zu öffnen.

Tränen traten Zeynda in die Augen. Ihr Kind bekam nicht einmal mehr die Chance dazu, den heißen Wüstensand auf dem Gesicht zu spüren. Es würde nie die Sonne erblicken, die Säbelzähne fletschen und den heißen Wind Selas schnuppern. Zeyndas Tränen begannen zu fließen, setzten sich als glitzernde Perlen in ihr Fell.

Ein heiseres Knurren erscholl über dem Schlachtfeld. Noch mehr Rüstungsklirren, noch mehr Krieger, die Blut sehen wollten. Zeynda war bereit.

Wenn der Tod ein Opfer verlangte, sollte er doch endlich zugreifen und sich nehmen, was ihm zustand!

„Für die Königin!“

Der Schlachtruf wehte über die Sterbende hinweg und hinterließ einen Geschmack nach bitterer Galle.

Ein dunkler Schatten sprang über Zeynda auf die Angreifer zu. Rote Haut unter schwarzen Fellbüscheln, doppelte Hornung mit blutroten Spitzen. Eine Sturmbestie. Earron. Noch nie war ihr sein Anblick so willkommen gewesen wie in diesem Moment.

Knochen knirschten, als der Verteidiger seine Hörner in einen Gegner rammte und gleichzeitig mit messerscharfen Klauen die Kehlen zweier weiterer zerfetzte. Blut spritzte in hohem Bogen auf Zeynda, die dem Tanz des Todes nur halbherzig folgen konnte.

Ihr eigener Leib wand sich in Krämpfen, während das Kind darin um sein Leben kämpfte.

Jemand landete neben ihr auf den Knien. Zeyndas Kopf wurde in einen befellten Schoß gebettet, die Wangen sanft umfasst.

„Kind. Gürtel“, stieß sie schwach hervor.

Wer auch immer sie festhielt, verstand. Das Lederband um ihre Mitte wurde gelöst und beiseite geworfen.

Über den Lärm der Kämpfenden hörten Sterbende und Helfer, wie Haut und Fleisch zerrissen, begleitet von einer Fontäne aus dunkelrotem Blut, dem schon der Geruch des Todes anhaftete.

Anders als bei der Geburt ihres Sohnes gab es keine Wehen, die das Kind hinausdrückten. Stattdessen sah Zeynda spitze Krallen aus Onyx, je eine an jeder Hand aus blitzendem Silber, die Muskeln und Gewebe beiseite drückten, um so eine Öffnung zu schaffen.

Ein kleiner befellter Arm, dunkel und rot, schob sich ins Freie. Die winzige Klaue krallte sich in Zeyndas Bauchdecke, zog sich daran entlang, bis der Kopf erschien.

Die Augen der Babybestie waren verklebt, aber geöffnet. Das dunkle Violett darin schimmerte beinahe schwarz. Die flache Nase bebte, als das Kind seinen ersten Atemzug tat und die heiße Wüstenluft einsog. Der zweite Arm folgte dem ersten. Mit einer Kraft, die man einem Neugeborenen nicht zutraute, arbeitete es sich aus Zeynda heraus.

Der Helfer, der die Königin weiterhin im Arm hielt, tat nichts, um dem Kleinen die Geburt zu erleichtern. Selbst in Bestiengestalt wäre es zu gefährlich, das Baby anzufassen. Das war auch gar nicht nötig. Zielstrebig arbeitete sich das Kind bis zur Brust hinauf, wo es erschöpft liegen blieb.

Die Kleine kuschelte sich an ihre Mutter, als wäre sie nicht gerade erst geboren worden. Deutlich war unter all dem Blut silbernes Fell erkennbar, das neben den Silberkrallen die Herkunft des Babys bezeugen würde. Wenn erst einmal die Hörner herausgebildet waren, gäbe es keinen Zweifel mehr daran, wer die neue Herrin in Sela war.

Zeynda blinzelte die Tränen weg. Tiefe Liebe erfüllte sie. Aber ihr blieb kaum noch Zeit. „Gut gemacht, mein Herz. Ich bin stolz auf dich, Natayla.“

Das Baby gurrte leise, während es versuchte, an einer der Schnallen zu saugen, die die Rüstung seiner Mutter über den Brüsten zusammenhielt.

„Meine Königin“, sagte der Helfer leise und rief sich damit in Erinnerung. „Du bist zu schwer verletzt. Es tut mir leid. Selbst das Herz eines Feindes kann dich nicht mehr retten.“

Das wusste Zeynda bereits, doch sie bedauerte nichts. Ihre Tochter lebte, nur das zählte.

Die Sturmbestie, die die Angreifer ausgeschaltet hatte, ließ sich zu Zeyndas Füßen nieder. Schweiß und Blut dampften in der Wüstensonne. Ein Grollen lag in der Kehle des roten Kämpfers.

Zeynda lächelte schwach. „Beschütze mein Bluterbe, Earron. Beide Kinder, bis ihre Zeit gekommen ist.“

Die Sturmbestie zog mit einem schabenden Geräusch ihre Säbelzähne ein und presste die Lippen zusammen. Schmerz lag auf den dunkelroten Zügen, Trauer glomm in den eisblauen Augen. Dennoch nickte Earron.

„Ich schwöre es, beim Leben meiner Söhne. Das Haus der Roten wird immer offen für die Deinen sein, Kleines.“

Zufrieden rang sich Zeynda ein Lächeln ab. Earron war schon für ihren Vater stets ein guter Freund gewesen. Bei ihm waren ihre Kinder in Sicherheit. Er würde nicht zulassen, dass Baelmon oder Natayla etwas zustieß.

Mit einem letzten Blick auf ihre Tochter ließ sie los.

Das Schicksal der Sieben Wüsten lag nun in den Händen anderer.

 

1. Kapitel

 

Lug, Trug und Verrat. Ich glaube, wir Bestien sind schlimmer als die Menschen! Dabei sollten wir stärker sein, auch im Geiste. Doch unsere Niedertracht kennt keine Grenzen, wenn es darum geht, unseren eigenen Vorteil zu sichern. Manchmal wünschte ich, wir würden gar nicht existieren. Aber dann sehe ich meine kleine Zeynda an, die mich so sehr an ihre Mutter erinnert, und ich flehe zu den alten Göttern – lass ihr Schicksal von Glück erfüllt sein.

Aus: Cruths Tagebuch, Datum unbekannt.

 

Im Jahr 1992.

 

Längst hatte er sich an die allumfassende Schwärze gewöhnt. Das dumpfe Ziehen der Luft um ihn herum, die versuchte, seinen Leib zu verdrängen, weil er eine Anomalie an einem Ort bildete, an dem Nichts existieren durfte. Sogar die Kälte, die eine dünne Schicht aus Eis über seine Haut zog, fühlte er nicht länger.

Cruth wehrte sich nicht mehr dagegen. Das Zerren und Reißen würde nicht enden, also konnte er seine Kraft dafür aufsparen, in Selbstmitleid zu suhlen – was er zumindest anfangs recht gründlich getan hatte.

Mittlerweile waren so viele Jahrhunderte ins Land gegangen, dass die Wunde, die seine Verbannung an diesen Ort geschlagen hatte, zwischenzeitlich verschorft und vernarbt war.

Es gab keinen Ausweg. Die einzige Person, die Cruth hätte befreien können, hatte er selbst getötet. Unfähig, sich seiner Bestie zu entziehen. Nicht in der Lage, gegen diesen unmenschlichen Hunger, die junge Edwell zu besitzen, anzukämpfen.

Die Hexe hatte ihn verflucht. Ihn und all seine Nachkommen ins Verderben geschickt. Und als ob dies alles nicht genug wäre, würden seine Kinder und Kindeskinder durch den Fluch auch noch das verlieren, was ihnen das Liebste war. Einen Mann, ein Kind, das eigene Leben.

Tief in seinem Inneren wusste Cruth, dass Edwell nur ihn hatte treffen wollen. Doch in ihrem Todeskampf war sie nicht länger Herrin ihrer Sinne gewesen und hatte somit Unheil über Cruths gesamte Familie gebracht.

Einsam und allein musste er von der Ebene der Nichtexistenz aus das Schicksal seiner Familie beobachten. Ohne eingreifen zu dürfen. Edwells Rache war grausam.

Dabei war die junge Menschenfrau nicht einmal diejenige gewesen, die Cruth tatsächlich gewollt hatte. Ihr Duft, das wusste er mit jeder Faser seines Herzens, hatte niemals mit dem seiner geliebten Nerey übereingestimmt. Jemand hatte Cruth das glauben machen wollen.

Jemand, dem viel daran lag, dass der Fürst Selas und Herrscher der Bestien verschwand. Ein Usurpator, der den Thron der Sieben Wüsten in der Menschenwelt für sich beanspruchte, ohne offen zu agieren.

Inzwischen wusste Cruth, wer es gewesen war: Osan. Einer seiner engsten Vertrauten, ein Freund, den das Schicksal längst ereilt hatte. Die Gebeine des Verräters waren vor langer Zeit im Wüstensand verblichen.

Cruth seufzte. Seine Möglichkeiten, mit der realen Welt in Kontakt zu treten, waren auf einen einzigen Eingriff beschränkt, mit dem er in die Geschicke seiner Erben eingreifen konnte, das Beobachten …

„Sie wird bald aufbrechen, mein Fürst.“

… und den Besuch eines Kobolds.

„Ich weiß, mein Freund. Ich weiß.“ Cruth gestattete sich ein Seufzen, das nicht allzu weit drang, ehe es von der Schwärze verschluckt wurde.

Es grenzte ohnehin an ein Wunder, dass das Wesen, mit dem er sich gerade unterhielt, einen Weg hierher gefunden hatte.

Zufall und Schicksal, dachte Cruth. Laut sagte er: „Du wirst die Augen offenhalten müssen. Osan hat geschworen, dass er am Ende gewinnt, und ich bin nicht sicher, ob wirklich schon alles vorbei ist, nur weil sein Erbe noch die Füße stillhält. Ich an seiner Stelle hätte zugeschlagen, als Zeynda fiel.“

Cruth erinnerte sich, als sei es gestern gewesen. Sein kleines Mädchen, blutend auf dem Schlachtfeld. Sie hatte nur daran gedacht, ihr Ungeborenes zu beschützen. Zeynda war gestorben, um das zu retten, was sie am meisten liebte. Edwells Fluch hatte sich einmal mehr bewahrheitet: Neben Nerey hatte er nun auch noch sein einziges Kind verloren.

In seiner Einsamkeit hatte Cruth getobt, als der letzte Lebensfunke seiner Tochter zerstob wie Asche im Wind. Erst Barrique hatte ihn einmal mehr aus seinem Schmerz gerissen und darauf verwiesen, dass es da noch Enkelkinder gab, auf die es achtzugeben galt.

„Dass er es nicht tat, macht mir Sorgen.“

„Wir werden vereint über Lady Natayla wachen, mein Fürst. Aber ich fürchte, sie will keine Leibgarde mitnehmen.“

Cruth lachte bellend. „Sie ist meine Enkelin. Was erwartest du? Sie hat den angeborenen Dickkopf ihrer Mutter.“ Cruth starrte durch die Finsternis, bis diese sich ein wenig lichtete und ihm den Blick auf das freigab, was in der realen Welt geschah. Sein einziges Vergnügen und doch gleichzeitig eine Folter. Er konnte sehen, wie seine Nachfahren lebten. Ihre Fehler, ihre Träume und ihre Erfolge miterleben. Und ihre Niederlagen.

Leise fügte Cruth hinzu: „Und sie ist eine wundervolle Kämpferin. Earron hat sie sehr gut ausgebildet.“

„Sie ist zu leichtsinnig.“

„Sie ist temperamentvoll.“

„Temperament nützt ihr nicht viel, wenn eine andere Bestie ihre Hörner in sie schlägt, sobald sie im Kampfrausch abgelenkt ist.“

„Earrons Sohn beschützt sie.“

Ein Wiehern, das kaum nach einem Lachen klang, aber ein solches darstellen sollte. „Er kann nicht ewig an ihrem Rocksaum hängen und sabbern.“

„Ich hatte gehofft, sie würde ihn erwählen.“

„Mit Verlaub, mein Fürst. Sein Clan ist vernichtet. Er besitzt nichts mehr – außer einem wertlosen Titel und seinem Amt.“

„Er hat ihr Vertrauen.“

„Ich werde euch Bestien nie verstehen. Mein Fürst, Eure Enkelin muss sich den richtigen Mann suchen. Falls sie sich für den Falschen entscheidet, wird ihr Nachkomme nicht über die Kraft verfügen, die notwendig ist, Sela am Leben zu erhalten.“

„Barrique, darüber musst du dir wirklich keine Sorgen machen.“ Cruth bleckte die Zähne, obwohl er wusste, dass sein Freund ihn nicht sehen konnte. „Weibliche Wüstenbestien wissen sehr genau, wer der passende Partner für sie ist. Nur mit jemandem, der ihnen ebenbürtig ist, werden sie Kinder zeugen.“

„Mögen die alten Götter Euren Worten Gehör schenken.“ Es klang nicht allzu überzeugt.

„Die Götter, mein Guter, haben meine Familie am Tag meiner Verbannung verlassen. Dank dir halten mich die Bestien für einen Gott. Doch ihr Glaube an mich wird von Jahr zu Jahr schwächer. Ich bin nur noch ein alter Narr, der sich nicht gegen einen Zauber hatte wehren können. Meine Familie ist es, die darunter leidet. Wahrlich, die Götter haben ihre Blicke von uns abgewandt.“

 

*

 

Die Bewohner Selas eilten eifrig über den kleinen Markt, der im äußeren Ring der Burg lag. Niemand verschwendete einen Blick in Richtung des schwarzen Gebäudes, das eingequetscht zwischen gewöhnlichen Wohnhäusern lag.

Innerhalb des Gemäuers stand der Schrein, der einst das Tor beherbergt hatte, das die Welten von Menschen und Bestien miteinander verband, ehe es sich mit Cruths Verbannung schloss und damit Familien und Freunde auseinanderriss. Seit jenem verhängnisvollen Tag waren Reisen nach Scáthgard nicht mehr möglich, weil niemand mehr wusste, wie die Portale einst geschaffen worden waren. Damit war alles, was die Bestien an Heimat noch besaßen, sie selbst und die Dinge, die sie mit hierher gebracht hatten. Selbst das Eldar-Wasser, das nötig war, um Gefährten vor den alten Göttern aneinander zu binden oder Wüstenbestien bei Vergiftungen zu heilen, war bis auf wenige Bestände verloren.

Die Selaner liebten ihre Herrscher, Prinz Baelmon ebenso sehr wie Königin Natayla, die jedoch nach außen hin nie als solche auftrat, sondern aus guten Gründen ihrem Bruder den Vortritt ließ.

Die Rufe von Standbetreibern, Marktweibern und Kunden wehten zu den Zinnen der Burg, die tief im Herzen der Wüste lag, verborgen von einer magischen Kuppel. Einst geschaffen, um einen mächtigen Feind abzuwehren, diente sie heute der Geheimhaltung. Kein Mensch, der nicht absolutes Vertrauen genoss, durfte wissen, dass Bestien in ihrer Welt existierten. Niemand verirrte sich jemals an diesen Ort, der so geschützt lag wie ein Kind im Mutterschoß.

Natayla, die von oben auf das Treiben hinunterstarrte, verzog bei dem Gedanken den Mund. Der Vergleich galt wohl nicht für jeden. Sie selbst hatte den Tod ihrer Mutter nur aus eigener Kraft überlebt.

Sie beobachtete den kläglichen Rest ihres Volkes, der im Laufe der Jahrhunderte immer weiter geschrumpft war, und dachte wehmütig daran, was alles hätte sein können. Die wenigsten Selaner fanden noch ihren wahren Gefährten, wodurch die Geburtenrate stark zurückgegangen war. Einige munkelten, es läge an Edwells Fluch. Natayla wusste es besser. Die Engstirnigkeit der Bestien und ihr Geltungsbedürfnis verhinderten, dass sich die übrigen Clans mit den Wüstenbestien vermischen wollten. Die bestehenden Allianzen waren kaum das Pergament wert, auf dem sie festgehalten worden waren. Im Grunde war das Königreich nicht mehr als ein längst vergessenes Relikt. Sämtliche Clans hatten sich in alle Himmelsrichtungen verteilt. Es waren Regenten ernannt worden, die die Bestien in den jeweiligen Ländern kontrollieren und dem selanischen Königshaus Rechenschaft ablegen sollten. In Wahrheit jedoch kochten die Regenten allesamt ihr eigenes Süppchen.

Natayla nahm einen tiefen Schluck aus der grünen Flasche in ihrer Hand. Der Whiskey darin zählte zu den edelsten Tropfen der ganzen Welt. Für Natayla bedeutete der Alkohol kein Vergessen. Er wirkte nicht einmal wie bei Menschen. Aber er schmeckte einfach gut und sie mochte das Gefühl, wie er heiß und samtig zugleich ihre Kehle hinabrann. Es schickte sich vielleicht nicht für eine Königin, doch Natayla war bekennende Whiskeysüchtige. Sollte man sie jemals zwingen, zwischen einer Flasche der goldgelben Flüssigkeit und ihrem Bruder zu wählen, würde sie sicher einen Moment länger darüber nachdenken müssen, wo ihre Prioritäten lagen.

Jetzt tanzte der vollmundige Geschmack als Komposition aus Malz, Vanille, Honig und Schokolade auf ihrer Zunge und ließ Natayla genussvoll die Augen schließen, während sie versuchte, die bitteren Erinnerungen in Schach zu halten.

Sie selbst hatte im Zweiten und Dritten Schlammkrieg gekämpft, war dem Beispiel ihrer Mutter gefolgt, um ein Volk zu retten, das sich heute einen Dreck darum scherte, welche Opfer gebracht worden waren. Viel Blut war vergossen worden, um den Anspruch Selas zu wahren und gleichzeitig den Frieden unter den Clans zu sichern.

Von den noch existierenden achtzigtausend Wüstenbestien waren nur etwa sechstausend in Sela verblieben. Der Rest hatte sich über die ganze Welt verteilt. Nur der Glaube an Cruth, der nach seinem Verschwinden wie ein Gott verehrt wurde, und die unverbrüchliche Treue zum Königshaus verband die im Exil Lebenden noch mit den Erben der Sieben Wüsten. Die Zeit alleine mochte zeigen, wie viel das wert war. Die übrigen Bestien lebten mehr oder weniger für sich, erkannten aber den Glauben an Cruth immer noch als Religion an.

„Hier versteckst du dich also, meine Königin.“

Natayla zuckte zusammen, als sie Rogans Stimme hörte. Ihr Kampfbruder, bester Freund und General ihrer mickrigen Garde bewegte sich unwahrscheinlich leise, obwohl er die Statur eines Ochsen besaß. Selbst das Leder seiner Rüstung wagte nicht zu knirschen, wenn er sich an einen Gegner anschlich, um ihn mit einem gezielten Biss oder den Spitzen seiner Hörner zu töten.

Rogan war eine wahre Kampfmaschine, die in Menschengestalt über einen Meter neunzig maß und als Bestie die zwei Meter weit überragte. Trotz seiner Brutalität im Kampf, die Nataylas in nichts nachstand, war er der engste Vertraute des Königshauses. Wie schon sein Vater Earron zuvor.

„Trinkst du einen Schluck mit mir?“ Ohne Rogan anzusehen, hob Natayla die Flasche.

„Seit wann teilst du?“

Wie immer, wenn er in ihre Nähe kam, fühlte Natayla sich gleich entspannter.

Auf diese Sturmbestie konnte sie sich bedenkenlos verlassen. Rogan würde ihr niemals etwas tun, sondern eher ihr Leben über das seine stellen. So, wie es sein Vater nach Nataylas Geburt ihrer sterbenden Mutter geschworen hatte, ehe sein Clan ausgelöscht wurde.

Seite an Seite hatten Rogan und Natayla im Dritten Schlammkrieg gegen die Eisenkrallen gekämpft, die nach Sela gekommen waren, um den Thron zu erobern, auf dem seit Jahrtausenden stets eine Wüstenbestie gesessen hatte. Woran sich, wenn es nach Natayla ging, niemals etwas ändern würde. Sie traute den übrigen Regenten einfach nicht zu, dauerhaften Frieden zu garantieren. Irgendwann strebte wieder jemand nach der absoluten Macht und dann würden die Selaner die Brandherde löschen müssen.

Ohne auf die spitze Bemerkung ihres Freundes einzugehen, wackelte Natayla mit der Flasche und ließ erst los, als Rogan danach griff.

Sein vertraut angewiderter Gesichtsausdruck, als er einen großen Schluck nahm, ließ Natayla grinsen. Rogan bevorzugte Bier. Dass er den Anloin dennoch trank, war überraschend, aber nicht völlig ungewöhnlich. Das Geräusch seines Schluckens und das leise Gluckern des Whiskeys hatte etwas Beruhigendes. Ein wenig bedauerte Natayla daher, diesen Moment der Zufriedenheit gleich zerstören zu müssen.

„Elisera ist schwanger.“

Rogan verschluckte sich und spuckte den Whiskey prustend über die Brüstung.

„Hey, der ist teuer! Sowas darf man doch nicht verschwenden!“ Natayla riss ihrem Freund die Flasche aus der Hand und starrte ihn wütend an. Dass Rogans Hals anschwoll und das Gesicht die Farbe einer untergehenden Sonne annahm, übersah sie bewusst.

„D-Danke für deine H-hilfe, meine Königin“, japste Rogan und hustete, bis er wieder normal atmete und ausreichend Luft bekam. Noch trockener fügte er hinzu: „Entschuldige bitte, ich werde das nächste Mal versuchen, zu ersticken, indem ich runterschlucke.“

Natayla schnaubte und trank einen Schluck. „Stell dich nicht so an. Hast du gehört, was ich gesagt habe?“

„Natürlich.“

„Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“

„Entschuldige, aber ich dachte, das wären gute Neuigkeiten. Du klingst nicht sonderlich begeistert.“

„Bin ich auch nicht, Ro. Ist dir nicht klar, was das für mich bedeutet?“ Natayla warf ihm einen düsteren Blick zu.

Ein Schulterzucken. „Du wirst Tante. Na und?“

Eine Windbö erfasste Nataylas dunkles Haar, das sie über den Schläfen zu Zöpfen geflochten trug, und spielte damit. Alles könnte so friedlich sein, wenn das Leben einer Wüstenbestie nicht ein einziger Kampf wäre.

Ahnte Rogan denn nicht, warum sie sich nicht über die Schwangerschaft ihrer Schwägerin freute? Natürlich war es wichtig, dass ihr Bruder einen Erben bekam. Allein schon für den Fall, dass er und Natayla starben. Cruths Blutlinie musste weiterbestehen. Doch gleichzeitig bedeutete dies auch für Natayla, dass sich ihr eigenes Leben grundlegend ändern würde.

„Ich werde morgen abreisen.“

Rogan versteifte sich. Da er Natayla um mindestens einen Kopf überragte, musste sie den Kopf recken, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Ihre Hüfte ruhte an der Brüstung, während sie die Arme vor der Brust verschränkte, ohne dabei die kostbare Flasche in Gefahr zu bringen.

„Das musst du nicht tun.“

Natayla lachte bitter. Offenbar hatte Rogan tatsächlich keine Ahnung. „Doch.“

Riesige Hände legten sich auf ihre Schultern und schüttelten sie. Ein wildes Knurren floss aus Rogans Kehle. Seine eisblauen Augen bohrten sich wie Messer in Nataylas.

„Nein! Ich bin hier! Du könntest mich wählen. Ich liebe dich. Das weißt du schon lange. Ich …“

„Du bist gebunden!“ Natayla trat entschlossen einen Schritt zurück, sodass Rogans Hände von ihren Schultern glitten. „Ro, wir sind Freunde. Ich vertraue dir mein Leben und das meines Bruders an. Aber ich werde deiner Gefährtin nicht den Mann nehmen. Sie hat dich gewählt. Dein Duft passt zu dem ihren – nicht zu meinem. Sie ist eine reinrassige Wüstenbestie. Du könntest es schlechter treffen!“

„Oder besser!“ Er schob den Unterkiefer vor und sah in seiner Menschgestalt plötzlich ebenso gefährlich aus wie als Bestie.

„Süßer, du würdest es mit mir als Frau keine Woche aushalten. Ich bin eine Nervensäge, hast du das vergessen? Wenn ich erst mal Macht über dich hätte, würde ich dir den Arsch aufreißen und Whiskey reinlaufen lassen. Den billigen Fusel, versteht sich.“

Rogan machte keinerlei Anstalten, darüber zu lachen. Sein Blick fixierte Natayla weiterhin unverwandt. Eine Wand aus Stein und Entschlossenheit. „Du hast schon heute Macht über mich.“

Natayla verdrehte die Augen, drehte sich um und sah wieder hinab auf die Bewohner Selas. Sie mochte solche Gespräche nicht. Zwar vermutete sie bereits eine ganze Weile, dass Rogan heimlich in sie verliebt war, aber es jetzt aus seinem Mund zu hören, veränderte die Lage.

„Rogan …“

„Nein, Natayla. Ich meine es ernst. Du musst nicht gehen, um dich durch tausende von Betten zu vögeln. Du könntest bleiben. Ich schenke dir das Kind, nach dem du dich sehnst.“

Natayla wirbelte herum und warf die Flasche gegen seine Brust. Da er wie immer einen Lederpanzer mit Eisenbesatz trug, zerschellte sie und der Inhalt spritzte in alle Richtungen davon.

„Nein! Hörst du dir eigentlich zu? Was du vorschlägst, widerspricht allem, woran ich glaube! Riskier unsere Freundschaft nicht, Rogan. Denn im Augenblick ist sie alles, was mir noch etwas bedeutet.“ Natayla atmete schwer. Sie hatte einen schwierigen Weg eingeschlagen und würde ihn zu Ende gehen. Das tat sie schon ihr Leben lang und würde jetzt nicht damit brechen. „Wenn ich könnte, würde ich mein Geburtsrecht noch heute zurückgeben. Ich wollte diese Pflicht nicht. Denkst du, es macht mir Spaß, mich so lange zur Hure zu machen, bis ich den optimalen Erzeuger gefunden habe?“

„Niemand zwingt dich dazu!“, blaffte Rogan.

„Oh doch. Du bist keiner von uns.“ Sie ignorierte, dass er zusammenzuckte. „Eine Wüstenbestie trägt Verantwortung, ob sie es will oder nicht. Ich muss nach dem bestmöglichen Partner Ausschau halten. Wenn ich es nicht tue, verrate ich mich, mein Volk und alles, woran ich glaube.“

Rogan sah aus, als wolle er noch etwas erwidern. Stattdessen presste er die Lippen zusammen und fuhr sich mit der Hand übers Gesicht, um die Überreste des Whiskeys abzuwischen.

Natayla bedauerte bereits, ihren Freund derart angegriffen zu haben, aber wenn er es nicht auf die sanfte Art begreifen wollte, musste sie eben drastisch werden.

Nach einer Weile, die sie schweigend voreinander standen, schwer atmend auf die Reaktion des anderen lauernd, brummte Rogan: „Dann lass mich mit dir kommen, Natayla. Ich wache über dich und halte jene von dir fern, die ein Nein nicht akzeptieren.“

Auch das hatte Natayla erwartet. Vehement schüttelte sie den Kopf. „Ich kann gut auf mich selbst aufpassen, wie du sehr wohl weißt. Schließlich bin ich diejenige, die deinen Riesenarsch ständig rettet. Du wirst hier gebraucht, Ro. Ich möchte, dass du Baelmon und Elisera beschützt. Ich reise inkognito. Wenn du mitkämst, wüsste sofort jeder, dass da etwas nicht stimmt.“

„Und was ist mit der Versammlung? Du wolltest sämtliche Regenten zusammenrufen. Hast du das vergessen? Spätestens dann wissen alle, dass Sela eine Königin und keinen König hat.“

Die Zusammenkunft war eine fixe Idee von Natayla. Seit sie vor einigen Monaten ein altes Tagebuch ihres Großvaters entdeckt und gelesen hatte, wollte sie die Regenten der einzelnen Länder an einen Tisch holen. Ein dauerhafter Konsens musste her. Die derzeit bestehenden Bündnisse konnten im besten Fall als wackelig bezeichnet werden. Jeder Lord und jede Lady handelte nur aus dem eigenen Vorteil heraus. Wer dabei auf der Strecke blieb, war unerheblich. Alles, was Cruth nach dem Tod seines Vaters aufgebaut hatte, war nach und nach verloren gegangen. Die Bestien waren so uneins wie selten zuvor, trotz der Gefahr, in der sie schwebten.

Sollten die Menschen jemals daran erinnert werden, dass unter ihnen Kreaturen lebten, die sich in die Monster aus ihren Alpträumen verwandeln konnten und Herzen aßen, um sich zu heilen, würde es erneut Krieg geben. Und diesmal gab es nicht genug Sturm- und Wüstenbestien, um den Sieg davonzutragen.

Als Cruth seinerzeit erste Befürchtungen diesbezüglich aufgeschrieben hatte, waren die Welten noch miteinander verbunden gewesen. Damals wussten nur wenige Menschen – die meisten davon Hexen – von der Existenz der Bestien. Doch deren Magie hatte, bis auf wenige Ausnahmen, jener der Wüstenbestien nichts entgegenzusetzen. Heute sah die Kräfteverteilung ganz anders aus.

Mit Schaudern dachte Natayla an die Massenvernichtungswaffen, die die Menschen so leichtfertig herstellten und einsetzten. Sela lag so weit abseits von der Moderne, dass man oftmals vergessen konnte, dass die Bestien mittlerweile im 21. Jahrhundert der Menschen lebten.

Bestien waren zäh, und in ihrer wahren Gestalt konnten sie verheerende Schäden anrichten. Aber ein Schuss aus einer Feuerwaffe in die richtige Stelle tötete genauso effizient wie eine Bestie, die einem das Herz herausriss.

Nein, Natayla musste die Clans einen und vor allem die Macht Selas stärken. Viel zu lange hatte sie es vor sich hergeschoben – und Eliseras Schwangerschaft verzögerte die Sache noch weiter.

Wenn bloß ihr Großvater damals schon entsprechende Schritte unternommen hätte! Aber Cruth hatte aufgrund seiner Verbannung die Vision der geeinten Bestien niemals vollständig umsetzen können. Wäre es ihm davor gelungen, die Clans zu einen …

Wer wusste schon zu sagen, ob dann nicht Nataylas Mutter noch am Leben wäre – und auch ihr Vater. Womöglich hätte es sogar das Massaker am Sturmbestien–Clan niemals gegeben, das einzig und allein dem Zweck gedient hatte, die Erben der Sieben Wüsten zu vernichten. Bloß weil die Sturmbestien den Kindern von Königin Zeynda Schutz und Obdach geboten hatten. Nur Rogan hatte überlebt – weil seine Mutter mit ihm im Leib nach Sela geflohen war.

Doch darüber nachzudenken war genauso müßig, wie Rogans Angebot, seine Geliebte zu werden, in Betracht zu ziehen.

„Es bleibt dabei, Ro. Allerdings legen wir das Datum etwas weiter in die Zukunft.“ Natayla rieb sich über die Stirn. Sie bekam Kopfschmerzen. „Ich werde alles Notwendige mit Barrique besprechen. Die Regenten hören auf ihn und werden sich seinem Willen beugen, selbst wenn Sela bei ihnen keinen hohen Stellenwert mehr einnimmt.“

„Und was soll ich tun?“

Natayla zuckte die Schultern. „Bilde Rekruten aus. Mach deiner Gefährtin ein Kind. Du wirst schon etwas finden, um dich abzulenken. Solange du mir nicht hinterherkommst oder dich an meinen Whiskey-Vorräten bedienst, ist mir alles recht.“

„Ist das dein letztes Wort?“

„Für den Augenblick, mein General.“

„Meine Königin.“ Rogan schlug sich die Faust gegen die Brust, ganz der Soldat, ehe er auf dem Absatz kehrtmachte und im Innern der Burg verschwand. Eindeutig wütend und sehr nahe an seiner Bestie.

Nataylas Kehle wurde eng, während sie ihm schweigend hinterher sah.

Alles würde sich ändern, wenn sie zurückkam. Ob sie und Rogan immer noch Freunde waren, sobald eine fremde Bestie einen Großteil ihres Herzens besetzt hielt? Konnte ein stolzer Krieger wie er einen anderen Mann in seinem Revier akzeptieren? Oder wäre Natayla gezwungen, die Sturmbestie fortzuschicken?

Vielleicht reicht es, einfach nur einen Samenspender für mein Kind zu finden. Meine Suche bedeutet ja nicht, dass ich den Mann lieben muss.

Ein tiefes Brüllen aus dem Bauch der Burg heraus ließ Natayla erstarren. Ohne nachzudenken, sprang sie auf alle Viere und war in ihrer Bestiengestalt, noch ehe sie die Tür erreicht hatte. Wie ein silberner Blitz hechtete sie die Stufen zum Hauptsaal hinab, von dem aus Kampflärm zu ihr drang.

Licht durchflutete den Raum und hob jedes einzelne Detail hervor. Bestien standen sich schweratmend gegenüber, die Klauen zum Angriff erhoben, die Köpfe gesenkt, bereit, die todbringenden Hörner in ihre Gegner zu rammen.

Auf den silberblauen Bodenfliesen klebte bereits Blut. Ein Diener lag mit aufgerissenem Brustkorb zwischen den gegnerischen Linien.

Als Natayla schlitternd zu stehen kam, sah sie gerade noch, wie eine mausgraue Bestie sich auf Rogan stürzte, der sie mit einem Schnicken seines gewaltigen Schädels beiseite schleuderte. Jaulend krachte die Bestie gegen mehrere Standleuchter, riss sie um und landete schließlich mit dem Kopf voran an der Wand.

Die massiven Steine hatten dem Aufprall wenig entgegenzusetzen. Risse bildeten sich, Putz bröckelte und feiner Kalksand rieselte herab.

Die davongeschleuderte Bestie war im nächsten Moment schon wieder auf den Beinen, wurde jedoch von den zusammengedrängten Körpern ihrer eigenen Gefährten aufgehalten.

Natayla zählte acht auf der Seite der Angreifer. Rogan, Baelmon, Elisera, Hazel und zwei Gardisten auf der anderen. Als Sturmbestie wog Rogan sicher zwei oder drei Gegner auf, aber Elisera war schwanger und musste besonders geschützt werden.

Was Baelmon anging: Es stand außer Frage, dass er seine Verlobte schützen würde, doch aufgrund einer nie verheilten Beinverletzung, die ihn hinken ließ, war er nur eingeschränkt in der Lage, zu kämpfen.

„Baelmon! Schaff deine Gefährtin hier raus! Hazel!“, knurrte Natayla mit gefletschten Zähnen und brachte sich mit einem Satz neben Rogan, der bereits vor Schweiß und Erregung dampfte. Sie achtete nicht darauf, ob Hazel den unausgesprochenen Befehl, den Rücken ihres Bruders freizuhalten, verstanden hatte. Sie ging einfach davon aus. Die Bestien-Kobold-Hybride zählte zu Nataylas persönlicher Garde und kannte ihre Anführerin ziemlich gut.

Die beiden Gardisten sicherten umgehend Nataylas und Rogans Flanken. Diese Bestien waren kleiner und nicht so wendig, aber gegen die Angreifer mochte ihre Kampfkraft reichen.

Mit in den Nacken gelegtem Kopf brüllte Natayla ihren Unmut heraus. Dann griff sie ohne Vorwarnung an. Ihre muskulösen Schenkel katapultierten sie auf die Bestie direkt vor ihr zu. Die onyx- und silberfarbenen Klauen nach vorne gerichtet und mit gesenktem Schädel rammte Natayla gegen die Brust ihres Gegners. Es knirschte. Ein dumpfes Schmatzen folgte, als die Hörner ins Fleisch eindrangen und den Feind in einem Schwall aus Blut und Knochensplittern aufspießten.

Wie auf ein Signal preschten die Gardisten und Rogan ebenfalls vor. Im nächsten Moment erfüllte ein tobendes Chaos aus Klauen, Fängen und Schreien den Raum.

Der Boden wurde schlüpfrig vom Blut, sodass Natayla eins ums andere Mal ausglitt. Flüchtig beschloss sie, ihn kampfsicherer zu gestalten, sollte dieser Angriff niedergeschlagen werden.

Etwas Hartes traf sie an den Lendenwirbeln und brachte sie zu Fall. Wie ein riesiger Bettvorleger rutschte sie über den mittlerweile dunkelroten Untergrund.

Damit hatte ihr Gegner einen gewaltigen Fehler begangen. Jetzt war Natayla richtig wütend. Mit einem Knurren warf sie sich auf den Rücken, ungeachtet dessen, dass ihr Fell sich voll Blut sog. Sie fühlte die Macht in sich wachsen, die feinen blauen Runen, die sich über die silberne Haut zogen.

Die Feinde waren eins zu zwei überlegen? Mitnichten!

Aus Nataylas Augen schossen dunkle Blitze, während sie eine männliche Bestie mit einer lässigen Geste bewegungsunfähig machte, um dem überlebenden Gardisten die Gegenwehr zu erleichtern, ehe sie sich auf die anderen Kämpfer konzentrierte.

Rogan benötigte ihre Hilfe nicht. Er wütete wie ein Berserker unter den Gegnern.

Die Bestie, die sich bereits einmal an Natayla herangeschlichen und sie zu Fall gebracht hatte, versuchte einen weiteren Ausfall. Natayla sprang elegant auf die Beine, Hörner und Klauen ausgestreckt, die Reißzähne gebleckt.

Nataylas Augen suchten die des Gegners, fixierten sie, sodass dieser innehielt und reglos zurückstarrte.

Dies war kein Unbekannter, kein unbedeutender Feind. Crokk, der Anführer der Flussbestien, die derzeit in Neuseeland residierten, hatte schon öfter angegriffen, seit das fragile Bündnis zwischen dem Flussclan und Sela kurz vor Beginn des Zweiten Schlammkriegs zerbrochen war. Crokks Fellbüschel glänzten von Blut und Schweiß, seine graubraunen Augen funkelten machtgierig. Er war einen Kopf größer als Natayla und roch nach Meer und Sonne, viel zu freundlich für einen so miesen Charakter. Er verzog den Mund zu einem höhnischen Lächeln und entblößte dabei sein Haifischgebiss. Sehr zu Nataylas Leidwesen vollständig, obwohl sie ihm bei mehreren Gelegenheiten bereits einige Zähne ausgeschlagen hatte.

„So sieht man sich wieder, Prinzessin.“ Seine dunkle Stimme knarzte und raschelte wie ein alter Baum.

„Immer noch ein hinterhältiger Bastard, wie ich sehe, Crokk. Dachtest du, meinen Bruder und seine Frau zu töten, bringt dich dem Thron der Sieben näher?“

Die Flussbestie grunzte bloß.

Crokk und Natayla umkreisten einander in gebückter Haltung, ohne auf die Kämpfenden ringsum zu achten. Crokks Ausfälle parierte sie unbeeindruckt oder wich ihnen aus. Sie kannte den Flussköter ziemlich gut. Während des Zweiten Schlammkriegs waren sie häufig aufeinandergetroffen, und mit jedem Zweikampf war deutlicher geworden, dass Crokk Natayla nicht gewachsen war.

Sofern sie ihre Magie einsetzte.

Was sie nur ungern tat. Wie jede Macht im Universum forderte auch der Gebrauch der Bestienmagie einen Preis. Natayla war sich sicher, dass ihr Großvater und ihre Mutter zum Teil auch wegen des sorglosen Umgangs mit diesen Kräften vorzeitig gestorben waren.

„Ohne deine faulen Zauber hast du wohl Angst vor mir, kleine Bestie?“

Natayla schoss mit der Parodie eines Lachens zurück. „Vor einem Kerl, der den Begriff Wasser nur vom Hörensagen kennt, obwohl sein Volk schon immer auf Flüssen gelebt hat? Vergiss es!“

„Du würdest nicht so abfällig über mich reden, wenn du wie ich gezwungen worden wärest, deine Heimat zu verlassen.“

„Ihr seid freiwillig gegangen. Ihr hättet bleiben und auf unserer Seite kämpfen können!“ Natayla drehte sich seitlich weg, um Crokks Hieb auszuweichen, und verpasste ihm ihrerseits einen Tritt in den unteren Rücken.

Er jaulte, also hatte sie offenbar die Nieren getroffen.

Sehr schön.

„Und euch einen weiteren Machtbereich sichern? Ihr Wüstenbestien denkt immer noch, ihr seid etwas Besseres!“ Speichel flog, als er mit gesenktem Kopf auf sie zustürmte.

Doch Natayla hatte diesen Zug vorhergesehen und sich vor einer Steinsäule in Stellung gebracht. Einen Herzschlag, bevor Crokk Natayla erreichte, stieß sie sich ab, umfasste im Sprung die gewundenen Hörner der Flussbestie und brachte den Krieger zu Fall. Dass sie dabei ebenfalls zu Boden gehen würde, hatte sie einkalkuliert und rollte bereits über die Schulter ab, um im nächsten Augenblick eine onyxfarbene Klaue in den Bauch des Flussköters zu rammen.

Sein Brüllen erfüllte die Luft, mischte sich in die Schmerz- und Wutschreie der anderen Kämpfer.

Natayla würde ihn nicht töten. Crokk mochte ein widerlicher Opportunist sein, aber er zeigte seine Abscheu offen und mied den Konflikt nicht. Ein solcher Gegner war Natayla lieber als alle, die im Verborgenen agierten und versuchten, sich ihren Teil des Kuchens zu sichern, während andere die Drecksarbeit erledigten.

Langsam zog Natayla ihre Klauen zurück. Sie sah Crokk kalt an, ehe sie sich schwer auf seine Brust kniete. Sein Röcheln war übertrieben, denn Natayla wog sicher nicht einmal die Hälfte von ihm, doch sie hatte ihm eine Wunde zugefügt, von der er sich nicht so schnell erholen konnte. Es fehlte nur ein winziger Hieb, ein Krallenstoß, und Crokks enervierende Existenz wäre für immer vernichtet.

Wie um auszutesten, ob sie dazu im Stande war, streckte Natayla einen Zeigefinger aus. Die silberne Kralle ritzte leicht die Haut. Direkt über Crokks Halsschlagader.

Beinahe zärtlich lächelte Natayla, während sie die Spitze gemächlich bewegte. „Was hast du dafür bekommen?“

„Elende Wüstenschlampe!“, brüllte Crokk.

Ehe er es kommen sah, schlug Natayla mit der anderen Faust von links gegen seinen ausgefahrenen Säbel, der mit einem ekelhaften Geräusch abbrach. Jäh verwandelte sich Crokks Brüllen in ein klägliches Jammern. Säbelzähne wuchsen nicht so leicht nach, und so ein zerbrochener Zahn tat höllisch weh. Ganz abgesehen davon, dass er nie wieder seine alte Stabilität zurückbekam.

Crokk bäumte sich unter Natayla auf, die die Bewegung jedoch mitging und sich keinen Millimeter rührte. Ein Vorteil, solch ein Leichtgewicht zu sein.

Gleichzeitig öffnete sich die Brustwunde der Flussbestie weiter und der Blutverlust nahm zu.

Natayla hob eine Augenbraue. „Gleiche Frage: Wie lautet deine Antwort diesmal?“

„Du hast mir einen Säbel abgebrochen, du Miststück!“ Crokk keuchte, dicke Schweißperlen standen auf seiner Stirn. Er stank nach Angst und Hoffnungslosigkeit. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er das Bewusstsein verlor. Und eine schwerverletzte Bestie konnte nur selten gerettet werden, wenn sie nicht selbst ein Herz fraß, um den Heilprozess in Gang zu setzen.

„Ticktack, kleiner Bettvorleger. Du hast nicht mehr viel Zeit. Also: Antworte, oder der zweite muss auch daran glauben.“

Aus den Augenwinkeln registrierte Natayla eine Bewegung: Rogan und ein Gardist. Offenbar hatten sie die anderen Bestien besiegt und wollten ihr nun helfen.

„Ich an deiner Stelle würde antworten, Flussköter. Sie sieht ziemlich wütend aus!“, brummte der Gardist.

Rogan grollte bloß. Ein dunkler Schleier lag über seinen eisblauen Augen. Mordlust glitzerte darin wie Tau auf einem Blütenblatt.

„Töte mich wie ein echter Mann, Sturmbestie. Ich will nicht durch die Hand dieser kleinen … Ah!“

Rogans mit Hornplatten bedeckter Fuß landete krachend auf Crokks Arm. Das Brechen der Knochen war deutlich zu hören. Rasch warf Natayla ihrem Freund einen Blick zu. Die Sturmbestie hatte sich anscheinend nicht vollständig unter Kontrolle. Wenn sie jetzt weitermachte, war Crokk so gut wie tot.

„Rogan …“

Das kehlige Knurren sagte mehr als tausende Worte, wie kurz Rogan vor einem endgültigen Ausrasten stand. Als letzter seiner Art, aufgewachsen unter Fremden, hatte er nie wirklich gelernt, seine Bestie vollkommen zu beherrschen. Im Kampfrausch gefangen schoss er oft übers Ziel hinaus. Was ihn zu einem gefährlichen Verbündeten machte.

„Herrin!“

Endlich kamen weitere Helfer herbei. Natayla stand auf und machte ihnen Platz. Zwei Soldaten packten Crokk und zogen ihn ungeachtet seiner Schmerzen an den Armen hinter sich her. Sie würden dafür sorgen, dass er geheilt wurde, und ihn dann einsperren und befragen. Und wie immer würde Natayla keine Antworten erhalten und befehlen, dass man ihn freiließ. Eine Bestie im Käfig konnte wahnsinnig werden. Ein Schicksal, das Natayla nicht einmal ihrem ärgsten Feind wünschte – und das war Crokk sicher nicht. Er war nur ein lästiges Übel, das immer wieder auftauchte wie falsch geprägte Münzen.

Natayla wandte sich Rogan zu. Sein Kiefer mahlte krampfhaft. Träge wie warmer Honig tropfte es von seinen Fängen. Dunkel. Rot. Der stechende Geruch von Kupfer hing in der Luft. Reizte Nataylas eigene Bestie, die sie mit aller Willenskraft kontrollierte.

Ein Zittern lief durch Natayla. Erregung, keine Angst. Sie hatte oft genug Seite an Seite mit Rogan gekämpft, um zu wissen, wie es sich anfühlte, dieser kurze Moment der Lust, das Aufwallen der Leidenschaft, wenn der Kampf seinen Höhepunkt erreichte und man selbst als Sieger hervorging. Es gab nur eine einzige Sache, die besser war – und an die zu denken, weigerte sich Natayla im Moment.

Langsam ging sie auf Rogan zu. Sein Blick war immer noch verhangen. Der Rausch seiner Aggressionen erlaubt ihm keinen klaren Gedanken. Falls Natayla jetzt einen Fehler machte, würde er sie ebenso angreifen wie Crokk.