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Oliver Kohler

Dag Hammarskjöld

Die längste Reise
ist die Reise nach innen.

Auszüge aus dem Tagebuch
des UN-Generalsekretärs

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Foto: UN/DPI

Eine Annäherung an Dag Hammarskjöld, den zweiten Generalsekretär der Vereinten Nationen, zu wagen, bringt einen Schriftsteller, einen Maler und einen Verlag mit den Lesern dieses Buchs auf eine gemeinsame Spur. Die fünfzigjährige Wiederkehr seines mysteriösen Todes auf einer Friedensmission signalisiert Aktualität. Das eigentliche Interesse gilt dabei nicht der Kriminalistik. Die Faszination einer originellen, nicht opportunistischen, sondern wertorientierten Persönlichkeit voller Komplexe und Visionen ist groß. Er war einer jener seltenen Politiker, die Kompetenz und Augenmaß, Mut und Demut, Bildung und Spiritualität in sich vereinen.

Dieses Buch ist weder Biographie noch historische Erzählung. Es sammelt vielmehr Reflexe und Resonanzen. Die Erde aus Hammarskjölds Welt geht in neue Bildkompositionen ein. Der Innere Monolog vernetzt Tatsächliches mit Imaginiertem. Hammarskjöld, so fotogen er auf den unzähligen Pressebildern wirkt, bedient keine Klischees. Wer sich aber auf ihn einlässt, findet vielleicht einen Begleiter in den Umbrüchen und Aufbrüchen dieser Jahre.

Inhalt

Nicht ich, sondern Gott in mir

Dich wählte der Weg

… ein Schimmer Gold in dem Eisengrau

Meine Mittelmäßigkeit erkennen

Der Einsatz sucht uns, nicht wir den Einsatz.

Hunger nach Gerechtigkeit

Ein Examen, dem keiner entgeht.

Acht Schritte oder neun

Augenblick

I

Berufung

II

Weg

III

Einsamkeit

IV

Verantwortung

V

Bescheidenheit

VI

Gott

VII

Leben

VIII

Schweigen

IX

Licht

Jeder Tag ein Leben

Epilog

Hinweise

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Die längste Reise

ist die Reise nach innen.

1950

Suche nicht die Vernichtung.
Die wird dich finden.

Suche den Weg,
der zur Vollendung führt.

6. Oktober 1957

Nicht ich, sondern Gott in mir

Will man Dag Hammarskjöld charakterisieren, will man sein Leben beschreiben, wo soll man beginnen? So viele Rollen hat er in seinem nur 56 Jahre währenden Leben gespielt, so viele Aufgaben übernommen: der große Friedensstifter, der UN-Generalsekretär, der stellvertretende Außenminister, der Politiker, der Präsident des Reichsbankdirektoriums, der Wissenschaftler, der kluge Verhandler, der Friedensnobelpreisträger, der Sohn aus wohlhabendem Hause, der Einsame, der Mystiker, der Gottsucher – vielleicht auch: der Verschwörer? Viele Geschichten ranken sich um seine Person, am aufreibendsten die um seinen Tod und am unklarsten, bis heute, die Spekulationen über dessen Ursache.

Abgesehen aber von und mitten in allem politischen Tagesgeschäft und allen diplomatischen Verhandlungen war Dag Hammarskjöld zeitlebens ein zutiefst religiöser Mensch. Das ist es, was mich am meisten beeindruckt am Leben dieses großen Politikers und Philo- oder vielleicht sollte man sagen Theosophen: diese ganz klare und doch immer neu suchende Beziehung zu Gott, sein Glauben, der ihn stets begleitete und der ihm oft so viel zumutete, den er je neu zu fassen und zu begreifen suchte und auf den er all sein Handeln und Denken gründete. Die Tiefe dieser Gottesbeziehung und das grundlegende Vertrauen in Gottes Begleitung und Führung – bei aller erlebten Einsamkeit und allen Zumutungen dieses Lebens – sind gebündelt in dem Satz, den Dag Hammarskjöld in seinem Tagebuch verewigte und der neben den schlichten Lebensdaten seinen Grabstein im Dom von Uppsala ziert: „Icke jag utan gud i mig“ – „Nicht ich, sondern Gott in mir“. Mit dieser auf die kürzest mögliche Formel gebrachten theologischen Grundaussage, mit diesem Credo seines Lebens macht Dag Hammarskjöld sein ganz eigenes Verständnis eines Lebens im Dienste Gottes und der Menschen deutlich – und steht damit zugleich in der Tradition vieler großer christlicher Kunstschaffender und Theologen. Denken Sie etwa an Johann Sebastian Bachs „Soli Deo Gloria“ oder an Franz von Assisis Bitte: „Herr, mache mich zu einem Werkzeug deines Friedens.“ Wer so von sich weg weist, wer seine Bedeutung so zu relativieren und alle ihm zufallende Ehre auf deren Urheber zu beziehen weiß, ist in der Lage, von sich ab und auf das große Ganze zu sehen – und damit in letzter Konsequenz wirklich Großes zu vollbringen.

Wie seine Rolle im Kongo-Konflikt auch ausgesehen haben mag, welche Umstände schließlich zu seinem Tod führten, ob ein tragischer Unfall, Sabotage oder ein gezielt geplantes Mordkomplott: Dag Hammarskjölds Leben bleibt ein faszinierendes Beispiel einer lebenslangen Gottsuche, eines Lebens im Dienste des Friedens und der Menschen – und ein Beispiel dafür, auf wie vielfältige, manchmal unverständliche und oft ungewöhnliche Weise Gott einen Menschen finden und in dessen Leben wirken kann.

Nikolaus Schneider

Dich wählte der Weg 1

Aus dem Leben des Dag Hammarskjöld


Wo aber Gefahr ist, wächst
das Rettende auch.

Friedrich Hölderlin

1 Alle Titel dieses Essays finden sich im Tagebuch von Dag Hammarskjöld.