eifeleinstand

Der Autor

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Peter Splitt wurde am 09. September 1961 in Remscheid geboren und verbrachte seine Kindheit und Jugendzeit im Bergischen Land. Nach einer technischen sowie kaufmännischen Berufsausbildung wechselte er in die alte Bundeshauptstadt Bonn und erlangte dort Sprachdiplome in Englisch, Spanisch und Portugiesisch. Neben Musik, Literatur und Antiquitäten wurden Reisen in ferne Länder zu seiner großen Leidenschaft. Besonders Lateinamerika mit seinen Menschen und Gebräuchen sowie den Jahrtausend alten Hochkulturen finden immer wieder seine Begeisterung. Seit mehr als zehn Jahren lebt er nun teilweise in Lateinamerika und in seiner Wahlheimat am Rhein. Unter dem Motto „Vom Rheinland und der Eifel in die weite Welt“ schreibt er Abenteuergeschichten, Thriller und spannende Krimis aus der Region.

Weitere Eifel-Krimis des Autors Peter Splitt

im Machandel-Verlag

K1.

Mordinstinkt

340 Seiten

Taschenbuch / Ebook


K2

Eifeltrauma

240 Seiten

Taschenbuch / Ebook


www.machandel-verlag .de


Eifel-Einstand

Peter Splitt


keilerkopf

Krimi

© Peter Splitt 2016

Machandel Verlag, C. Erpenbeck

Haselünne, 2016

Coverelemente: Kasza / www.shutterstock .com

Covergestaltung: C. Erpenbeck

Druck: booksfactory .de

ISBN 978-3-95959-031-0


 Kapitel 1


Montag, 07. Mai 2012

21:30 Uhr

 

Die scharfen Zähne des Sägeblattes fraßen sich durch das weiche Fleisch. Blut spritzte aus dem Spalt, den die Säge hinterließ. Der Mann spürte eine freudige Erregung in sich aufsteigen. Er hatte seine Vorbereitungen getroffen, hatte den Körper in diesen speziellen Raum gebracht, wo er ihn mit einer elektrischen Säge bearbeiten konnte. Er wusste, dass er eine ziemliche Schweinerei veranstalten würde. Blutspritzer versauten alle saugfähigen Materialien in ihrer unmittelbaren Umgebung in Sekunden, deshalb war ein gefliester Boden mit einem Ablauf, der direkt in die Kanalisation führte, eine nützliche Gegebenheit.

Das Blatt traf auf den ersten Knochen. Der Widerstand war gering. Er nickte zufrieden. Qualität bei Werkzeugen zahlte sich immer aus. Das Sägeblatt arbeitete sich weiter vor. Mitten durch sein Opfer. Er betrachtete die blutigen Hälften.

War doch eine gute Idee, die Leiche zu zerstückeln, dachte er. Ich werde die Teile später unter die Leute bringen. Das garantiert mir noch einen zusätzlichen Spaß.

Zwar wollte er die Leichenteile keinesfalls dort ablegen, wo man sie allzu leicht finden würde, jedoch durfte er sie auch keinesfalls so gut verstecken, dass sie monatelang unentdeckt blieben. Er musste die Balance finden, und genau das war der schwierigste Teil seines makabren Spiels. Aber er hatte alles präzise geplant. Da konnte nichts schiefgehen. Die blutigen Teile würden wie ein Puzzle überall in der Stadt auftauchen. Und damit im Bezirk von dem frisch hierher versetzten Kommissar Laubach. Ein Glücksfall für ihn. Nach allem, was er so von dem gehört hatte, würde der Mann den Fall vermutlich nicht einmal lösen, wenn er ihn auf dem Silbertablett serviert bekam. Er lächelte bei dem Gedanken.

Das restliche Blut, das sich noch in den Leichenteilen befand, rann über den gefliesten Fußboden. Der Mann blickte auf seine Armbanduhr. Es war kurz vor vier Uhr, Zeit, um nach Hause zu fahren. Er wusch sich die Hände. Bestimmt würde seine Frau bereits auf ihn warten. Er nickte mit einer perversen Genugtuung. Bisher war alles bestens gelaufen. Niemand würde Verdacht schöpfen.

Den Torso, einen Arm, die Beine, Kopf und Hände packte er in einen alten Jutesack. Die würde er getrennt entsorgen, weil sie niemals gefunden werden durften. Den anderen Arm steckte er in eine Plastiktüte vom Aldi. Danach vergewisserte er sich, dass alles in Ordnung war. Wenigstens in seinem Sinne. Routinemäßig überprüfte er seine Sicherheitsvorkehrungen, schloss die Türen ab, ging durch den kurzen Tunnel und stieg die ausgetretene Steintreppe hinauf. Ein kurzer Blick auf den alten Schlachthof bestätigte ihm, dass alles unverdächtig aussah. Sorgfältig schloss er auch noch die letzte Tür ab. Dann ging er seelenruhig mit der Aldi-Tüte zu dem kleinen Parkplatz, auf dem sein Wagen stand. Noch einmal schaute er zurück auf das Gebäude, dann stieg er in den Wagen und fuhr los.

Zunächst ging es durch enge Seitenstraßen, aber bald schon traf er auf die ersten Geschäfte. Zwanzig Minuten später fuhr er bereits durch die Hauptstraße von Wittlich, langsam und erwartungsvoll. Auf den Straßen war viel los. Das Wetter war freundlich, Menschen standen vor den Bars und tranken Bier. Die meisten waren Geschäftsleute, die nach getaner Arbeit noch nicht gleich nach Hause gehen wollten, oder auswärtige Besucher. Die Randalierer würden erst später kommen. Das waren jene Jugendlichen, die sich bewusst betranken, um danach richtigen Ärger zu machen. Vielleicht würden sie Mülltonnen umwerfen ... und darin einen Arm finden!

Na, wie wäre das Jungs? Würde euch das gefallen?

Er grinste hämisch. Dann fuhr er ein Stückchen weiter, steuerte seinen Wagen Richtung Innenstadt, bog links ab und musterte erneut das Nachtleben. Die Straßen leerten sich jetzt langsam. Auf der rechten Seite gab es ein Sex-Kino, gefolgt von einem durchgehend geöffneten Supermarkt, danach kam ein schicker Neubau mit Apartmentwohnungen. Er blickte auf die gepflegten Balkone. Dort könnte ich meinen Sonder-Müll entsorgen ...

Er fuhr langsam weiter. An der nächsten Ecke war eine rote Ampel, vor der er brav anhielt. Er wollte auf keinen Fall, dass irgendein eifriger Polizist ihn wegen einer Lappalie aus dem Verkehr zog und wohl möglich die Plastiktüte mit dem kompromittierenden Inhalt fand. Hinter der Ampel bog er rechts ab. Noch eine? Wittlich war die Stadt der Ampeln. Er wartete, dass sie umschaltete, und fuhr um den Block. Jetzt befand er sich wieder auf der L52. Von hier gingen kleine Seitenstraßen ab. Es waren fast alles Einbahnstraßen. Er nahm die erste, die zu dem Neubau mit den Apartments führte, fuhr ein Stück geradeaus und stellte auf der Höhe des Neubaus seinen SUV auf dem Seitenstreifen ab. Dann ging er zügig los, näherte sich dem Hauseingang und drückte gegen die Tür. Sie ließ sich problemlos aufdrücken. Haustüren von Apartmenthäusern waren so gut wie nie gesichert. Im Flur schaute er sich vorsichtig um. Das erste, was er sah, war der Aufzug. Das war ja geradezu ideal für seine Zwecke! Er drückte den Knopf, der Aufzug kam, die Türen öffneten sich, und er stellte die Aldi-Tüte mit ihrem blutigen Inhalt in einer Ecke ab. Dann drückte er den Knopf für die Penthauswohnung, verließ rasch den Aufzug und hörte zufrieden das sanfte Zischen, als die Türen sich schlossen und der Aufzug sich nach oben in Bewegung setzte. Was für eine hübsche Überraschung!

Er verließ das Haus auf demselben Weg, auf dem er es betreten hatte. Der Bürgersteig vor dem Haus war leer, aber weiter hinten kamen ihm zwei Personen entgegen. Als sie sich näherten, sah er, dass es sich um ein Pärchen handelte, das über irgendetwas heftig stritt. Keiner der beiden schenkte ihm auch nur einen Blick. Er drückte sein Gesicht tief in den Kragen seiner Jacke, ging rasch hinüber zu seinem Wagen, startete und rollte langsam davon.

Das erste Teil bin ich los, dachte er.

 

23:30 Uhr

 

Sie waren im Kino gewesen und hatten sich danach noch einen Absacker in der Altstadt gegönnt. Dabei hatten sie angefangen zu streiten. Zuerst mit leisen, flüsternden Stimmen, doch anhand ihrer Gesten hatte jeder in dem Lokal sofort gemerkt, was mit ihnen los war. Es betraf eigentlich nur eine Kleinigkeit – den Film, den sie am Abend gesehen hatten. Sie behauptete, dass die Originalfassung aus den 50er Jahren wesentlich authentischer sei, er hatte die High-Tec Szenen des modernen Films bewundert. Sie stritten noch immer, als sie sich schon längst auf dem Nachhauseweg befanden. Und diesmal war der Anlass für den Streit ein wesentlich ernstzunehmender. Es ging um das, worüber sie sich fast immer stritten: Um das liebe Geld.

Ein paar halbwüchsige Mädchen kamen ihnen zu jener späten Stunde entgegen. Sie hatten sich für die Disco aufgedonnert und sahen in ihren Augen so aus wie Nutten nach einem harten Arbeitstag. Er drehte sich nach ihnen um – und hatte sofort den nächsten Ärger mit seiner Partnerin am Hals.

„Würde es dir gefallen, wenn ich auch so herumliefe?“, fragte sie gereizt.

„Warum denn nicht?“, erwiderte er und grinste. „Vielleicht bekämen wir so wieder etwas Schwung in unser Liebesleben.“

„Lustmolch!“, keifte sie ihn an. „Und überhaupt – selbst wenn ich das tun wollte – was ich ganz sicher nicht will –, ich könnte das gar nicht. Du gibst mir einfach nicht genügend Geld für neue Klamotten!“

Sie gingen zu dem Apartmenthaus, in dem sie wohnten. Ein Mann kam aus dem Eingang. Keiner von ihnen würdigte ihn eines Blickes, zu sehr waren sie mit sich selbst beschäftigt.

„Du erwartest wirklich, dass ich dir mehr Geld gebe? Kommt überhaupt nicht in Frage, du gibst immer viel zu viel davon für unnütze Dinge aus!“, schimpfte er.

„Und du bist ein alter Geizhals!“, konterte sie.

„Bin ich nicht! Ich finde es nur nicht gut, dass du unser Geld mit vollen Händen verprasst!“

„So? Ich finde nichts Falsches daran, wenn man sich ab und zu mal etwas gönnt! Das hebt das Selbstwertgefühl. Wenn ich mich danach fühle, dann kaufe ich mir eben etwas!“

„Genau das ist dein Problem! Leider fühlst du dich viel zu häufig danach!“

Selbst im Hausflur vor dem Aufzug stritten sie sich weiter. „Ich sehe es verdammt noch mal nicht ein, dass du mein sauer verdientes Geld verschleuderst!“

„Dein sauer verdientes Geld? Und ich, tue ich vielleicht nichts? Waschen, kochen, bügeln, die Wohnung sauber halten. Ist das vielleicht gar nichts?“

Die Türen öffneten sich.

„Was ist das denn für eine Sauerei? Die Nachbarn werden auch immer dreister! Jetzt lassen sie schon ihren Müll im Aufzug stehen! Ich meine, es ist doch nicht zu viel verlangt, wenn sie ihren Kram in die Tonne werfen!“

„Dann sag es ihnen doch, verdammt nochmal! Ich habe deine ewige Meckerei satt!“ Voller Wut kickte er mit der Schuhspitze gegen die Mülltüte. Sie fiel um, etwas rutschte heraus.

„Was ist das?“

Zuerst dachten sie noch an die Fleischreste von einem Tier. Dann begriffen sie, dass sie auf die blutigen Reste eines menschlichen Armes blickten. Sie schrie aus Leibeskräften, er würgte. Und beide rannten sie hinaus auf die Straße, als sei der Teufel hinter ihnen her. Während sie schluchzend an der Hausecke zusammenbrach, griff er zu seinem Handy und wählte eine ganz bestimmte Telefonnummer ...


 

Dienstag, 08. Mai 2012

00:20 Uhr

 

Thomas Werner, von seinen Kollegen nur Tommy genannt, hatte es eilig. So eilig, dass er beim Einbiegen in die Schlossstraße fast auf einer alten Zeitung ausrutschte. Mit einem gemurmelten Fluch hastete er weiter und bog in die Kurfürstenstraße ein, die zu seiner Rechten lag. Sein Kollege Ralf Neubarth wartete an seinem Einsatzwagen vor einer Durchfahrt auf ihn. Er sah ziemlich blass aus.

„Was liegt an?“, fragte Tommy.

„Komm mit, du wirst es gleich sehen!“

„Was werde ich gleich sehen?“

Sein Kollege antwortete nicht, sondern ging schnurstracks durch die Durchfahrt und dann nach links an die Rückseite eines Apartmenthauses. Hier standen mehrere Mülltonnen, die anscheinend darauf warteten, geleert zu werden.

„Nimm die in der Mitte“, sagte Neubarth.

Tommy hob den Deckel von der Tonne. Ganz oben drauf lag eine Aldi-Tüte. Sie war blutverschmiert. Tommy zog sich einen Gummihandschuh über, griff in die Tüte und fischte einen Arm heraus. Sein Kollege verdrehte die Augen. „Warum muss es ausgerechnet mir passieren, das verdammte Ding zu finden? Wie kannst du das bloß so einfach anpacken?“

„Alles Gewohnheitssache. Ich habe schon mal eine Hand in einem Koffer am Flughafen gefunden“, sagte Tommy.

„Ach, hör bloß auf mit deinen Horrorgeschichten!“, knurrte Neubarth. Er kam näher heran und sah mit Abscheu im Blick auf den Arm. „Ist ja eklig! Ich könnte glatt kotzen!“

„Aber wieso denn? Der Arm ist doch sauber vom Rumpf abgetrennt worden. Ist doch bloß Fleisch.“

Ralf Neubarth sah elend aus. „Was machen wir jetzt damit? Der Spusi den ganzen Kram hier überlassen?“,fragte er.

„Klar. Die müssten sowieso jeden Moment auftauchen. Sollen die sich doch um den Scheiß kümmern. Leichentransporte sind deren Sache. Ich hätte ganz bestimmt keine Lust, mit einem abgeschnittenen Arm herumzulaufen.“

„Meinst du etwa, ich? Hoffentlich ist das auch wirklich alles! Hast du in den anderen Tonnen richtig nachgesehen?“

„Noch nicht.“

„Na, dann machen wir uns mal an die Arbeit!“

Auch Neubarth griff zu den Plastikhandschuhen, und dann begannen die beiden, die anderen Mülltonnendeckel hochzuheben. Es stank bestialisch, aber sie fanden keine weiteren Leichenteile. Trotzdem sperrten sie eine Fläche von gut zehn Quadratmetern um die Mülltonnen ab. Das gleiche taten sie mit dem Aufzug des Apartmenthauses. Sicher war sicher!

Danach waren sie mehr als erleichtert, als das Fahrzeug der Spurensicherung eintraf und ihr Job damit erledigt war. Sämtliche Einzelheiten würden in Kürze dem ermittelnden Kommissar auf dem Schreibtisch liegen. Der Rest war Routine.

 

 

 


Kapitel 2


Dienstag 08. Mai.2012

2:10 Uhr

 

Rainer Sigismund schlief sein Resultat des gestrigen Alkoholexzesses auf einem bequemen Klappsofa im Untergeschoss des alten Fachwerkhauses aus. Sie hatten den Einstand des neuen Chefs gefeiert. Es war ein fragwürdiges Ereignis gewesen.

Besagter neuer Chef hatte noch nicht einschlafen können und starrte die Decke an. Kommissar Kurt Laubach hatte nicht einmal halb so viel getrunken wie sein neuer Assistent, so dass sein Kopf sich einigermaßen klar anfühlte. Und trotzdem war sein Verstand zu dieser frühen Stunde irgendwie durcheinander. Er versuchte sich zu entspannen, spürte jedoch eine aufkommende Verkrampfung seiner Muskeln in Beinen und Rücken. Er ballte die Faust, brummte vor sich hin und rollte missmutig aus seinem Bett.

Es kostete ihn merklich Mühe, in ein normales Leben zurückzukehren, auch wenn der Ärger und die Anspannung über die Strafversetzung in die Eifel zunehmend zu verblassen begannen. Er fühlte eine innere Leere, die ihn einfach nicht mehr verlassen wollte, und klammerte sich an den Glauben, dass seine Unzufriedenheit nicht von den aktuellen Ereignissen abhing, auch wenn es ihm noch so schwerfiel, sich selbst davon zu überzeugen.

Mürrisch zog er sich an und riskierte dabei einen Blick in den verschmierten Spiegel, der gegenüber von seinem Bett an der Wand hing. Die Jahre waren keinesfalls spurlos an ihm vorüber gegangen. Sein Haar war schütter, seine Gesichtsfarbe grau, und die Haut um sein Kinn herum schien wesentlich schlaffer geworden zu sein. Auch die vielen Fältchen, sowie die chronisch tiefen Ränder unter seinen Augen deuteten auf Veränderungen hin. Na ja, und sein Bauchumfang ... Hier lag seine eigentliche Problemzone.

Mit der rechten Hand strich er sich sein braunes Hemd glatt. Von wegen bügelfrei, dachte er. Übellaunig äffte er seine neue Berufsbezeichnung nach: Kommissar Laubach, Kurt Laubach, Kommissar des Morddezernats 3, Kreispolizeibehörde Daun, Region Eifel, Rheinland-Pfalz. Na, wenn das kein Titel ist ...

Im Gegensatz zu den meisten früheren Kollegen in Köln, hatte ihn seine Versetzung in die Eifel nicht wirklich überrascht. Er wusste, dass der Alkohol ihn eines Tages schaffen würde, aber bis dahin blieb ihm noch ein wenig Zeit. Er verzog sein Gesicht zu einer Grimasse. Im Grunde genommen ging es ihm ja heute gar nicht schlecht, auch wenn früher alles anders gewesen war. Bei der Einschulung in die Polizeischule zum Beispiel. Da war er noch Single gewesen und gerade so über die Runden gekommen. Und es sollte noch einige Jahre dauern, bis er vom Hauptwachtmeister zum Kommissar aufstieg. Damals hatte er eine winzige Kammer am Rande der Stadt angemietet, in der es nur sporadisch warmes Wasser und Strom gab. Die Wände des fast schon baufälligen Gebäudes waren so dünn, dass er jedes auffällige Wort seiner Nachbarn verstehen konnte. Am Tag waren es Streitigkeiten, die sie sich an den Kopf warfen und Nacht auf Nacht folgte das unaufhörliche Gestöhne aus ihrem Schlafzimmer, wenn sie sich wieder versöhnt hatten. Er war so oft er konnte zum Blutspenden gegangen, um sich ein paar Pfennige extra zu verdienen, aber trotzdem reichte es immer nur für einfache Mahlzeiten. Dazu hatte er sich schuldig gefühlt, weil er seine Eltern im Bergischen Land, wo er aufgewachsen war, zurückgelassen hatte. Wenn er richtig darüber nachdachte, hatte er damals bereits angefangen, seinen Frust mit dem einen oder anderen Glas Bier zu viel hinunterzuspülen.

Laubach brummte laut etwas vor sich hin und ging die Treppe nach unten um die gestrige Zeitung endlich mal aus dem Briefkasten zu holen, doch die hatte dieser Idiot von Zeitungsausträger einfach auf den Rasen geworfen.

„Ich werde mich beim Verlag darüber beschweren! Schließlich kostet dieses Käseblatt verdammt genug Geld!“, brummte er vor sich hin, nahm die vom Tau gründlich durchfeuchtete Zeitung an sich und ging zurück ins Haus. Er hatte Kaffeedurst.

Auf dem Weg zur Küche kam er am Wohnzimmer vorbei. Der zusammengefaltete Klumpen auf dem Ledersofa war der Kollege Sigismund, wenn er sich richtig erinnerte. Das war vielleicht `ne Type. Wie der schon aussah! Viel zu enge Jeans in Cowboystiefeln, weißes Pilotenhemd, bis zur Mitte offen, Goldkettchen und gespiegelte Sonnenbrille. Nicht gerade ein Aushängeschild für die hiesige Kripo. Für den finde ich auch noch einen passenden Spitznamen, dachte Laubach, während er in die Küche schlurfte und die automatische Kaffeemaschine anstellte.

Als die ein einigermaßen trinkbares Gebräu fertiggestellt hatte, setzte er sich an den Küchentisch und blätterte in der Tageszeitung.

„Griechenland, Islamisten, wieder Sieg der Bayern ..., die sollte man alle, wie sie da sind, auf den Mond schießen“, sagte er zu sich selbst.

Sigismunds Schnarchen drang aus dem Wohnzimmer zu ihm herüber. Jeder tiefgezogene, rasselnde Atemzug hörte sich an wie das Grunzen eines größeren Tieres. Plötzlich kam in das Schnarchen ein abruptes Stottern, dann war Sigismund wach, gähnte und streckte alle Viere von sich. Laubach schenkte ihm ein schmales Grinsen durch die offene Tür.

„Tut mir leid. Ich habe versucht, leise zu sein. Hat wohl nicht so ganz geklappt.“

„Meine Güte, Chef“, räusperte sich Sigismund „Wie spät ist es denn?“

Laubach schaute auf seine Armbanduhr. „Gleich halb drei.“

„Ach, doch noch so früh? Sagen Sie, schlafen Sie eigentlich nie? Ehrlich gesagt, mir würde es wesentlich besser gefallen, wenn Sie `ne Frau bei sich wohnen hätten. Dann würden Sie mit Sicherheit niemals vor halb zehn hier unten auftauchen.“

„Von wegen halb zehn. Ich habe mir vorgenommen, stets als erster vor euch Pfeifen im Büro aufzutauchen. Aber mach dir deshalb bloß keinen Kopf.“ Laubach versuchte zu lächeln. Es gelang ihm nur kurz.

Sigismund erhob sich von dem Sofa und trottete in Richtung des Gästebadezimmers mit der kleinen Dusche. „Ich spring mal schnell in den Pool“, murmelte er, ehe er hinter der Tür mit dem kleinen Herzen verschwand.

Inzwischen setzte Laubach eine neue Tasse Kaffee auf. Eine, die nicht nach seinem eher masochistischem Kaffeegeschmack gebraut werden sollte.

Noch während er das Kaffeepulver in den Filter schüttete, läutete das Telefon.

„Herr Kommissar?“, fragte eine aufgeregte weibliche Stimme aus dem Hörer. Wer war denn das schon wieder? Ach ja, diese graue Maus, die ab jetzt seine Sekretärin sein sollte, Fräulein Hübscher. Er hatte sie von seinem Vorgänger vererbt bekommen.

„Was gibt`s?“, meckerte Laubach.

„Da ... äh ... anscheinend hat jemand einen Arm gefunden ...“

„Fräulein Hübscher, vermute ich? Immer direkt zur Sache kommen, was? Das gefällt mir. Wo, wann und wer denn, wenn ich fragen darf?“

Sie gab ihm die Details.

„Okay ... ich bin schon unterwegs.“

Vorbei ist es mit gemütlichem Kaffeetrinken, dachte Laubach und legte auf. In diesem Augenblick kam Sigismund aus dem Badezimmer. Er hatte das bei ihm anscheinend übliche Grinsen aufgesetzt. „Kennen Sie schon den neusten Witz, Boss?“, fragte er.

„Was, wieso?“ Laubach war nicht bei der Sache.

„Passen Sie auf: Kommt ein Typ in eine Kneipe. Auf einem Barhocker sitzt ein alter Mann und heult. Der Typ bestellt sich ein Bier und beobachtet den Mann. Der heult und heult sich die Augen aus. Schließlich ist der Typ es leid, bestellt ein weiteres Bier und schiebt es dem Alten hinüber. Gleichzeitig fragt er ihn: `Hey Alter, was ist denn mit dir los?´

Der alte Mann schluchzt und reibt sich die Augen. Schließlich sagt er: `Ich bin so verdammt verzweifelt! Vor ein paar Monaten habe ich eine hübsche Dreißigjährige geheiratet und ich bin noch nie in meinem Leben so glücklich gewesen. Jeden Morgen weckt sie mich sanft und macht es mir mit dem Mund. Danach serviert sie mir das beste Frühstück der Welt. Nach dem Frühstück lege ich mich wieder aufs Ohr und ruhe mich aus, bis zum Mittag. Dann nämlich kommt sie wieder zu mir, macht es mir mit dem Mund und serviert mir ein ausgezeichnetes Mittagessen. Und wieder gehe ich danach ins Bett, ruhe mich bis zum Abend aus und warte auf sie. Kurz vor dem Abendessen kommt sie abermals zu mir, macht es mir mit dem Mund und serviert mir ein exklusives Abendmahl. Danach schlafe ich durch bis zum Morgen und sie kommt wieder, macht es mir mit dem Mund und serviert mir das Frühstück. Sie ist wirklich die wunderbarste Frau, die man sich vorstellen kann.´

Der Typ schaut den Mann erstaunt an und meint: `Deine Sorgen möchte ich haben, alter Mann. Und warum heulst du dann ununterbrochen? An deiner Stelle wäre ich doch überglücklich, bei solch einer Frau?´

Der Mann nippt an seinem Glas. Danach verfällt er in ein erneutes Schluchzen und sagt: `Weil ich verdammt noch mal vergessen habe, wo ich wohne!´“

Laubach brachte ein bemühtes Lachen zustande.

„Bist du immer so witzig am frühen Morgen?“, fragte er. „Ich habe aber auch einen Witz für dich ...“

„Sie, Boss?“, erwiderte Sigismund erstaunt.

„Ja, ich! Ein junges Pärchen wartet im Erdgeschoss eines Apartmenthauses auf den Aufzug. Der kommt, die Türen öffnen sich, auf dem Boden des Aufzugs liegt eine Alditüte ...“

„Ja und, Chef? Wie geht es weiter ...?“

„Ganz einfach. In der Tüte steckt ein blutiger Arm und die beiden rufen die Notrufzentrale an. Schnapp´ dir deine Jacke, wir müssen los, du Clown!“

Kurz darauf waren sie unterwegs, fuhren über kurvenreiche Landstraßen in Richtung Wittlich. Von Daun, wo Laubach wohnte, bis nach Wittlich benötigten sie 30 Minuten.