Cover

Thilo Mischke

Die Frau fürs Leben braucht keinen großen Busen

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

Über Thilo Mischke

Thilo Mischke, geboren 1981, arbeitet als freier Journalist für »Neon«, »GQ« und andere Zeitschriften. Mit seiner Produktionsfirma PartizipZwei entwickelt er Fernseh- und Dokuformate, in denen er häufig auch als Moderator zu sehen ist. Darüber hinaus hatte er fünf feste Freundinnen und drei Affären. Er lebt in Berlin.

Über dieses Buch

An seinem 30. Geburtstag stellt Thilo Mischke fest, dass er längst erwachsen ist und doch das Leben der Anfang-20-Jährigen führt. Er will der Liebe endlich ins Gesicht blicken, sie zulassen und nicht länger davonlaufen. Also fasst Thilo einen aberwitzigen Plan: Er wird mit der erstbesten attraktiven Frau zusammenziehen – 9 ½ Wochen, auf Probe.

Das Buch für die Generation Bloß-nicht-festlegen!

Impressum

eBook-Ausgabe 2013

Knaur eBook

© 2013 Knaur Taschenbuch

Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.

Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München

Coverabbildung: FinePic®, München

ISBN 978-3-426-41604-4

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Teil 1

Kapitel 1

Der Geburtstag

Meine Eltern waren mir immer ein Vorbild. Immer. Wenn ich andere über ihre Eltern sprechen höre, bin ich mir sicher, ich bin einer der wenigen Menschen, der sich nicht dagegen sträubt, so zu werden, so zu sein wie seine Eltern.

Ich wäre sogar stolz, wenn ich es irgendwann schaffen würde, so zu sein wie meine Eltern. Aber es hat gedauert, bis ich das festgestellt habe.

Sehr lange, bis heute, um genau zu sein, bis zu diesem Moment. Jetzt, hier, gerade, in einem kleinen Dorf, bei Berlin. Fast alleine bin ich hier. Nur meine vier besten Freunde, alle männlich, sind mit dabei.

 

Es ist kein besonderes Haus, von außen, es ist einfach nur ein schöner Ort. Ein kleines Dorf, Bettine von Arnim hat hier mal gewohnt und verliebte Briefe an Goethe geschrieben. Eine Straße, eine Bushaltestelle und ein verwilderter Park. Brandenburgische Einöde, die niemanden herlockt. Und deswegen ist es schön.

Das ist nett, aber nicht wichtig, um hier zu sein. Wir sind hier, weil wir uns wohl fühlen. Weil ich mich wohl fühle. Und dabei könnte man meinen, es habe etwas Trauriges, wenn fünf Jungs, die eigentlich Männer sind, aber wegen ihrer Turnschuhe nur zu gerne als Jungs bezeichnet werden, hier sitzen.

Es hat nichts Trauriges, mit ihnen hier zu sein. Es ist nämlich mein dreißigster Geburtstag. Das ist etwas Besonderes, und dieses Dörfchen, hier in Brandenburg, ist ebenso besonders. Ich habe diesen Ort ausgewählt, weil ich schon seit frühester Kindheit hierherkomme. Meine Mutter war schon als Kind hier, wurde von ihrer Mutter, also meiner Oma, mitgenommen. Ich habe viele Sommer hier verbracht, unter Eichen gespielt und mit Kindern bekannter DDR-Künstler unsere Eltern beobachtet, wie sie sich betranken und irgendetwas planten. Ich bin, als ich erwachsen wurde, mit meiner ersten Freundin hergefahren.

Außerdem ist es hier angenehmer, die Geschenke, die ich bekomme, auszupacken und auszuprobieren.

 

Ich schaue in die Runde, drei trinken Alkohol, einer nippt nur an Sekt, wenn Silvester ist. Ich rauche, obwohl das hier verboten ist. Schiebe den Ärmel meines Pullovers ein Stück hoch, sehe auf meine Armbanduhr. Noch 24 Minuten.

Dreißig. Ich denke an die Zahl, ohne davor Angst zu haben. Denke an meine Eltern, die nicht wollten, dass wir hierher, nach Brandenburg, fahren. Es sei ihr Refugium, wir würden nur lärmen, sagten sie, während ich die Tür des Autos schloss.

»Willst du keine große Party machen?«, hatte mich Jirka Wochen zuvor gefragt. Er freute sich schon darauf, dass ich Frauen einladen würde. Ich war mir nicht sicher, wie ich feiern wollte, deswegen schüttelte ich mit dem Kopf. Er wusste, wenn ich nichts antworte, nicht argumentieren würde, nur mit meinem Kopf schüttelte, dann hätte ich kein Argument. Deswegen fragte Jirka nicht weiter nach.

Jetzt sitzt er dort, auf dem weichen Polstersessel, trägt seinen Schal zu eng, hat wieder ein unmögliches Hemd an und trinkt an einer Flasche Bier, als wäre es dieser unbekömmliche Hustensaft aus der DDR.

Jirka sieht immer besonders aus. Er ist von allem ein bisschen. Er ist ein bisschen zu schmal, er hat ein bisschen zu struwweliges Haar und auch nur ein bisschen Modegeschmack. Das mögen wir, als seine Freunde, besonders ich, fragen uns aber oft, wie Jirkas Außenwirkung sein mag. Wenn er mit seinen schlaksigen Händen aus zu engen Pullovern gestikuliert, wenn er unsicher lacht und dabei mit seinen etwas zu nah beieinanderstehenden Augen versucht, sein Gegenüber zu fixieren. Er ist ein bisschen zu sehr gepflegt, ein bisschen zu sehr darauf bedacht, Erfolge bei Frauen zu landen, und er riecht auch oft, als würde er sich ein bisschen zu viel parfümieren. Aber er ist ein lieber Mensch, ein vertrauenswürdiger Mensch. Er ist ein Freund, und manchmal frage ich mich, ob er für diese Welt nicht ein bisschen zu lieb ist.

 

Wir mögen alle kein Bier. Schmeckt scheiße, aber hier gibt es nichts anderes. Ich halte die Flasche zwischen Daumen und Zeigefinger und trinke mit schnellen, hastigen Schlucken. Betrunken würde ich trotzdem gerne sein, auch wenn ich mich gegen ein rauschendes Fest entschieden habe, denke ich still.

Dreißig. Was soll das bitte sein, außer einer Zahl. Einer, die dein Leben verändert. Vielleicht.

Und während ich weiter darüber nachdenke, ob und wie sich etwas in den nächsten Jahren ändern wird, denke ich wieder an meine Eltern. Und stelle fest: Die Weisheit unserer Eltern wird unterschätzt.

 

Ich setze mich auf meinen Polstersessel. Adri ist auch da. Locken, wirre, er beugt sich mit seinem struppigen Bart zu mir, küsst meine Wange mit seinen spröden Lippen, es riecht nach Tomatenfisch. Adri riecht immer komisch. Er fragt, wie spät.

Ich ziehe wieder den Pullover hoch, »noch zwanzig Minuten«, sage ich und schiebe die Füße unter den Tisch.

Stein hat still seine Hände auf dem Bauch gefaltet. Er ist stiller als wir anderen und manchmal sagt er »Halt’s Maul«, wenn wir alle wieder zu laut werden. Oder zu emotional. Stein sieht aus wie die Brandenburger Version von Johnny Knoxville, der Typ aus Jackass. Mehr muss ich zu ihm nicht sagen. Er sieht einfach so aus. Und Stein ist sogar stiller als Andreas. Der, weil so klug, eigentlich viel stiller sein müsste.

Ich trinke Bier, rülpse in mich, weil ich Rülpsen peinlich finde. Und liebe meine Freunde, mehr als alles andere, wie sie dort sitzen, mit ihren Bärten, Pullovern, Hosen, ihren Händen und Gesichtern. Wie wir alle Geschichten kennen und bewerten, wie wir mit Frauen über Kreuz geschlafen und sie uns gegenseitig ausgespannt haben. Wir haben viel zusammen erlebt. Ich bin stolz auf uns. Stolzer als auf mich. Und dabei liebe ich mich ja fast am meisten.

Noch 15 Minuten, denke ich und greife in eine Kristallschale mit Mon Chéri. Mag ich, sag ich aber niemandem. Und überlege, ob ich von Mon Chéri betrunken werden kann.

 

Und dann, kurz davor, es ist Nacht, es ist dunkel, es ist kalt, weil es März ist, denke ich wieder an meine Eltern, an ihre Weisheit. Und wie ich mich dagegen gewehrt habe, sie zu akzeptieren.

Weil ich bin wie alle in meinem Alter, wie die Generationen vor uns in dem Alter, wir unternehmen alles, um nicht so zu werden, nicht so zu leben wie unsere Eltern. Frauen wollen nicht so werden wie ihre Mütter, Männer wollen alles selbst erleben. Wir wollen keine Spießer sein, keine Beamten, wollen unsere eigenen Leben leben, ohne darauf zu hören, was unsere Eltern sagen. Wir wollen keine Rentenversicherungen, wollen nicht auf unsere Zähne achtgeben, wollen nicht immer treu sein, wollen nie das tun, was uns unsere Eltern empfehlen. Aus einem einfachen Grund: Sie sind unsere Eltern, sie dürfen uns zeugen und erziehen, aber wenn wir ausgezogen sind, wenn wir die Füße unter ihrem Tisch weggenommen haben, dann lassen wir sie sich nicht mehr einmischen in unser Leben. Niemals. Wir wissen es besser.

Früher, als ich renitent und pubertär war, stritten wir uns oft, meine Eltern und ich, die Türen wurden geknallt. Mein Vater sagte oft im Scherz: »Wir schicken dich auf die Militärakademie.« Meine Mutter keifte. Pubertät eben.

Wir waren oft uneinig. Besonders, was die Gestaltung des Lebens betrifft. Wie ein Leben zu leben sei. Eltern denken, auch meine, man müsse einen festen Job haben, vierzig Jahre lang. Eltern glauben, die erste Freundin ist die erste richtige.

Meine Eltern wollten, dass ich Lehrer werde. »Sechs Monate Ferien im Jahr, und 7000 brutto«, das war das Argument meiner Mutter. Mein Vater hielt sich aus dieser Diskussion heraus und knabberte dabei oft Nüsschen. Er hörte uns zu.

 

Adri unterbricht meine Gedanken. Sieht mich an, ich erkenne ein Stück Brot in seinem Mundwinkel. Er versucht es mit der Zunge zu entfernen, ich nehme meinen Finger, schnippe es weg. »Danke«, sagt er, und dann fragt er mich, was mit Leah ist. Ob wir zusammen sind.

Ich zucke mit den Schultern. »Ich weiß nicht«, sage ich. Und mache mir eine neue Zigarette an. Die letzte für das 29. Lebensjahr.

»Ich mag sie«, erklärt mir Adri. Er mochte meine Freundinnen manchmal nicht. Er ist sehr kritisch. »Sie ist schlau«, sagt er.

Ich finde schlau schöner als klug und denke gleichzeitig an ihre Vorgängerin.

»Wird das was Festes?«, fragt er, in einem ähnlichen Ton wie meine Mutter, wann sie endlich Oma wird.

Ich zucke wieder mit den Schultern, nicht nur Jirka weiß, dass ich, wenn ich nichts sage, sondern nur zucke, kein Argument habe.

 

Er weiß noch nicht, dass Leah und ich uns getrennt haben. Wir haben die vermutlich komplizierteste Kennenlerngeschichte, die nur vorstellbar ist. Und wir haben diese Kompliziertheit in eine Beziehung getragen.

Einen Sommer lang war es traumhaft. Eine schöne Beziehung, die sich nicht ausmalte, wie eine gemeinsame Zukunft sein sollte. Weil es unmöglich erschien. Wir lagen am Müggelsee in Berlin, und wir haben uns nicht um eine Zukunft gekümmert. Der Winter würde kommen, daran haben wir nicht gedacht. Und das hat uns das Genick gebrochen.

Es ist vorbei, aber ich habe mich noch nicht getraut, es meinen Freunden zu sagen. Sie sind immer so streng, und sie wissen, ich leide, und deswegen leiden sie mit. Und heute ist mein Geburtstag.

»Wie viele Minuten noch?«, fragt Andreas.

Langsam werde ich aufgeregt, »noch zehn Minuten«, sage ich.

»Halt’s Maul«, sagt Stein.

Wir lachen und sehen uns an und lachen wieder.

»Fünf Männer in einem einsamen Schloss«, sagt Jirka, und ich weiß, was er gleich noch sagen wird. »Irgendwie ganz schön schwul. Keine Mädchen.« Und dann atmet er enttäuscht aus.

 

Noch neun Minuten, noch mal schnell zurück zu meinen Eltern.

Ich erinnere mich sehr gut an die Gespräche mit ihnen. Ich erinnere mich auch an die Sätze, die ich nie glauben wollte. Daran, wie sie mir zum Beispiel erklärten, wie die Zeit rast. Rasende Zeit, was sollte das sein?

Ich erinnere mich, wie sie Silvester nebeneinanderstanden, Hand in Hand. Liebevoll betrunken umarmten sie sich, und ich habe ihnen zugehört.

»Schon wieder ein Jahr rum«, sagte mein Vater.

»Na und?«, sagte dann meine Mutter.

Damals habe ich nicht verstanden, was sie damit meinten.

Ich muss sechzehn gewesen sein, als mich meine Eltern zum ersten Mal mit ihrer Zeittheorie überforderten: »Thilo, genieß das Leben, denn die Zeit rast.«

Und ich habe es nicht geglaubt, wollte unbedingt 18 werden. Um Pornos aus der Videothek ausleihen zu können, um ins Kino zu gehen, wann ich wollte. Um meine Entscheidungen selbst treffen zu können. Und es dauerte ewig. Alles. Sommer waren wie Jahre, und Geburtstage erschienen weit weg. Der 18. Geburtstag sowieso. Ein Jahr war ein Jahrzehnt. Zumindest fühlte es sich so an.

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass die Zeit irgendwann schneller vergeht, als man sie spüren kann. Ich wollte meinen Eltern auf gar keinen Fall recht geben, weigerte mich zuzugeben, dass sie recht haben könnten. Ich stritt mich mit ihnen, wieder wurden Türen geknallt. Das alte Spielchen. Und es wurde schlimmer.

Als deutlich wurde, wen ich lieben würde, als erste Freundin, ein dunkelhaariges Mädchen mit einem zarten Flaum auf dem Rücken, das Handball spielte und immer blaue Flecken an der Hüfte hatte, nahm mich meine Mutter zur Seite und sagte: »Genieß es, diese Frau wird nicht deine letzte Frau sein.«

Ich glaubte ihr nicht.

Drei Jahre später trennte ich mich holprig. Meine Mutter hatte recht.

 

Aber meine Eltern sprachen nicht nur von der Zeit, die fließt, von Frauen, die kommen und gehen werden, nein, sie warnten mich vor weiteren Dingen. Nie streng, das rechne ich ihnen hoch an, sondern immer weise. Erklärend, auf eine gesunde Art.

Einmal sagte mein Vater, traurig in der Küche sitzend: »Pass auf deine besten Freunde auf, irgendwann sind sie verschwunden.« Er griff in das Erdnussschälchen vor sich und knabberte, während er mich ansah.

»Das glaube ich dir nicht«, antwortete ich. »Meine Freunde werden immer meine Freunde bleiben.«

Vielleicht sollten wir öfter auf unsere Eltern hören.

 

Noch vier Minuten, hier mit ihnen, in Brandenburg, mit meinen Freunden.

Wir sehen uns seltener. Das ist mir aufgefallen, nicht unangenehm, aber es ist mir aufgefallen. Früher, nein, was sage ich, noch vor zwei Jahren haben wir regelmäßig beieinander übernachtet. Wir waren 27 und nicht 16, haben trotzdem Filme geguckt und sind mit Erdnussflips auf dem Bauch eingeschlafen.

Wenn Stein traurig war, habe ich neben ihm geschlafen und meine Hand um seinen Bauch gelegt wie bei einer Frau. Das Gleiche habe ich auch bei Adri und Jirka gemacht, nur bei Andreas nicht. Dafür ist er zu stolz, er ist älter als wir. Und eben zu klug. Aber wie er da sitzt, zufrieden mit uns, glücklich mit sich selbst, wusste ich, er würde es auch okay finden, wenn ich mich neben ihn legen und ihn umarmen würde.

 

Noch drei Minuten. Ich stehe auf, und ich stelle mich mit hinter dem Rücken verschränkten Armen vor das Fenster. Meine vier besten Freunde sitzen immer noch in den weichen Polstersesseln hinter mir. Sie hören mir zu. Sehen mich an. Wir sind ausgelassen und fröhlich. Und dann, ganz plötzlich, sind wir erwachsen.

»Und die Zeit rast«, sage ich, während ich mich wieder in den freien Sessel fallen lasse.

Ich habe meine Freunde seit Wochen nicht mehr gesehen. Zu meinem dreißigsten Geburtstag habe ich sie eingeladen, hierher, nach Brandenburg, in dieses besondere Gutshaus. Kein Handyempfang, keine Freundinnen, kein Job.

Zwei von ihnen, Adri und Andreas, lieben. Die beiden anderen, Jirka und Stein, arbeiten. Für unsere Freundschaft bedeutet Lieben und Arbeiten das Gleiche: Wir sehen uns nicht mehr.

»Wie viele Minuten noch?«, fragt Andreas. Wir schauen alle auf unsere Uhren, außer Adri, der schaut auf sein Handy.

Ich bin dreißig. Jetzt. Erwachsen.

Adri hat feuchte Augen, Jirka küsst mich auf die Stirn, Andreas sagt: »Spast.«

Stein sagt: »Schnauze und halt’s Maul.«

***

Als die Sonne aufgeht, Märzsonne, liegen wir alle auf dem Teppich in einem der Zimmer. Wir haben auf dem Boden geschlafen und RBB geguckt. Lokalfernsehen. Wir sind in eine Dorfkneipe gegangen, unsere Kleidung riecht nach altem Fett. Jirka hat mit einem Mädchen geknutscht, das im Magnet eine zwei von zehn auf unserer Bewertungsskala bekommen hätte, hier, in Brandenburg war es vermutlich die Dorfschönheit. Der Rest hat getrunken, sogar Andreas. Auch wenn es nur ein Glas Apfelschorle mit einem Schuss Korn war.

Später sind wir, es wurde noch nicht hell, zurück ins Gutshaus. Haben uns auf den Teppich gelegt und ferngesehen, ich habe davon heimlich ein Bild mit meinem Handy gemacht. Mich dazugelegt und noch ein Mon Chéri gegessen. Nun rauche ich am Fenster, alle wachen auf, weil der Geruch beißt.

»Guten Morgen«, sagen wir alle gleichzeitig und verwickeln uns in einen komplizierten Wettkampf bezüglich der verschiedenen Betonungsmöglichkeiten eines »Guten Morgen«. Es ist eine hohe Kunst, »Guten Morgen« so auszusprechen, dass es wie das »Guten Morgen« in einem Hotelfrühstücksraum klingt.

 

»Spazieren?«, frage ich, weil ich weiß, hier kann nichts anderes unternommen werden. Spazierengehen ist die einzige Möglichkeit, etwas zu unternehmen. Wir haben keinen Kater, sind alle wach und ausgeruht. Die eine Nacht hier, zu meinem Geburtstag, fühlt sich an, als wären wir alle gemeinsam im Urlaub gewesen.

Wir ziehen uns an, keiner duscht. Selbst Andreas, der immer gegelte Haare hat, gelt sich nicht souverän. Wir verlassen, ohne zu frühstücken, das Gutshaus und rauchen, Zigarette im Mundwinkel, Hände in den Taschen.

Wir spazieren. Durch einen gepflegten Park, an einem Zaun vorbei, auf ein Feld, durch einen Wald. Reden, schmeißen Kienäpfel auf Steine, seifen Jirka und Adri mit vergammeltem Laub ein.

Beide haben rote Wangen. Gepflegter Brandenburger Wald.

»Vermisst du Leah?«, fragt Andreas plötzlich. Und ich erschrecke.

»Woher weißt du, dass ich sie vermissen könnte?«, möchte ich wissen.

Und er sieht mich an, wie Freunde sich ansehen, wenn sie versuchen, etwas voreinander zu verheimlichen. »Ist doch wohl klar, dass du nichts mehr mit ihr hast. Du erzählst nichts, leidest uns nicht die Ohren voll, dass sie an deinem dreißigsten Geburtstag nicht dabei ist.«

 

Leah und ich haben über ein Jahr lang eine Beziehung geführt, dann ist sie gegangen, und auch ich. Wir haben nicht mehr miteinander geredet. Ich weiß, sie war eine besondere Frau, aber ich wusste nun auch, mit dieser besonderen Frau sollte ich nicht zusammenbleiben. Ich werde mich an sie erinnern, als schöne, große Frau, die mit ihren dunklen Haaren Schatten in meine Wohnung warf. Und mit ihrem Gemüt. Um es mir leichtzumachen, würde ich sagen, dass unsere Stimmungen nicht zusammengepasst haben. Wenn ich es mir schwermachen will, dann sage ich, dass sie nicht zu mir gepasst hat. Oder ich zu ihr.

 

»Ja, ich vermisse sie«, sage ich und reiße ein Stück Rinde vom Baum. Es ist kalt, wir haben jetzt alle rote Nasen.

»Warum hast du es nicht länger mit ihr probiert?«, fragt Andreas.

»Sie wollte nicht«, sage ich. »Wir haben uns verändert.«

»Vielleicht solltest du mal mit einer Frau zusammenleben«, sagt Andreas. »Dann veränderst du dich mit ihr gemeinsam.«

Dann wird es still. Wir laufen die langen Waldwege nebeneinanderher und wissen nicht, was wir sagen sollen. Ich weiß, dass Jirka, Stein, Adri, Andreas und ich darüber nachdenken, was passieren würde, wenn einer von uns mit einer Frau zusammenziehen würde. Es ist so, als müssten wir darüber nachdenken, was wäre, wenn einer von uns ein Kind bekommen würde. Nein, eigentlich ist es so absurd, so weit weg. Es ist, als würden wir das Geschlecht wechseln müssen.

»Mit einer Frau zusammenziehen?«, sage ich. Es ist mittlerweile so kalt, dass nicht mal mehr das Rauchen Spaß macht. »Das traue ich mich nicht.«

»Aber vielleicht ist das unser Fehler«, sagt Andreas.

Ich beobachte ihn, er sagt es so ernst, so traurig. Vielleicht, denke ich. »Wir bleiben alle immer gleich, wollen uns gar nicht weiterentwickeln.«

Jirka unterbricht uns. »Wollen wir heute Abend wieder in die Dorfdisko?« Er will ablenken.

Und es funktioniert. »Nein«, sagen wir alle gleichzeitig.

 

Niemand von uns hat je mit einer Frau zusammengewohnt. Außer Adri. Adri war verschwunden, in dieser Zeit. Das hat uns alle sehr verletzt.

»Wie ist das, mit einer Frau zusammenzuwohnen?«, frage ich ihn.

»Großartig«, sagt Adri, und er weiß, dass ich weiß, was er meint.

»Du lebst mit ihr, du liebst sie, alles spielt keine Rolle mehr. Ihr seht euch jeden Abend. Jeden Tag, verbringt jede mögliche Minute miteinander.«

»Ich weiß nicht, ob ich es mögen soll«, sage ich ehrlich. »Als Leah bei mir übergangsweise lebte, war es, nun ja, anders«, erkläre ich. »Wir hatten keinen Sex mehr. Ganz plötzlich. Und so«, sage ich jetzt leiser.

 

Stein untersucht Moose. Jirka hilft ihm, er glaubt nicht an Ehe, an Zusammenleben. Er ist vorausgelaufen, hat »Pffff« gemacht und reißt nun müdes Grün vom Boden und legt es auf Steins Kopf. Er findet das witzig. Stein und Moos. Wir lachen nur ein bisschen.

 

»Willst du mit einer Frau zusammenziehen?«, frage ich Andreas.

»Ich weiß nicht«, sagt er. »Was ist mit meiner Freiheit?«

»Bedeutet es, die Freiheit aufzugeben, wenn wir zusammenziehen? Mit Frauen?« Ich blicke, während ich das sage, Adri ins Gesicht.

Das Gespräch fühlt sich an wie ein Gespräch über den ersten Sex, und Adri ist der Einzige, der schon entjungfert wurde.

Adri bleibt stehen, hockt sich hin und sammelt von totem Eichenlaub die Parasiten ab, dabei erklärt er uns Zusammenleben. In knappen Worten. Wir verstehen nicht, was er sagen will.

 

»Würdest du denn mit einer Frau zusammenziehen?«, fragt mich nun Adri.

Jirka und Stein hören uns nicht, sie laufen vor, tragen sich gegenseitig Huckepack und spielen Bulettenboxen. Ein Spiel, bei dem es nur darum geht, dem anderen so kräftig wie möglich auf die Schulter zu schlagen. Bis die blauen Flecken kommen.

Entweder wollen sie wirklich nicht darüber reden, oder sie haben Angst. Sie werden später riesige blaue Flecken haben.

 

Ich überlege und erinnere mich an die letzten Monate. An das Aufwachen neben einer Frau, an Frühstücke zubereiten und verträumt sein, an fehlenden Sex, der nicht gefehlt hat, und an gemeinsam duschen.

Mehr nicht.

Es war kein Zusammenleben, es war mehr so, als hätte diese Frau bei mir übernachtet. Allerdings hatte sie ihr eigenes Fach in meinem Schrank.

Das mochte ich. Das vermisse ich, aber ich glaube, Zusammenleben funktioniert anders.

»Mit wem soll ich denn zusammenziehen?«, frage ich die Runde.

»Na, mit deiner nächsten Freundin«, antworten sie alle.

»Nein, das fühlt sich nicht richtig an«, erkläre ich. »Ich kann nicht einfach mit der nächstbesten Frau zusammenziehen.«

»Wir reden hier von einer Freundin«, sagt Andreas.

»Aber ich werde Monate brauchen, um mich wieder auf eine Frau einzulassen.«

»Vielleicht ist das der Fehler. Wir versuchen immer uns selbst zu heilen, brauchen länger und ewig, um eine neue Frau kennenzulernen. Schlafen wahllos mit Nachtbekanntschaften. Und wofür?«, sagt Andreas jetzt sehr erwachsen.

»Damit ich die alte vergesse.«

»Schwachsinn, damit du dein Ego reparierst. Ich glaube, du könntest dich auf die nächste halbwegs Richtige einlassen.«

»Warum sollte ich das tun?«

»Weil du genug hast vom Suchen. Du bist einmal um die Welt gefahren, davor durch ganz Berlin rotiert. Langsam ist Schluss.«

 

Wir sind jetzt wieder am Gutshaus angekommen, laufen an abgedeckten Statuen vorbei, der Winter würde sie zersprengen, und erst im Frühling, wenn die Blüten kommen, werden die Figuren aus ihren hölzernen Häusern befreit. Dann stehen sie in der Sonne. Als Kind dachte ich immer, sie würden im Frühling frieren und im Herbst schwitzen.

Die Strenge, mit der Andreas den ersten Tag meines neuen Lebens eingeleitet hat, stimmt mich nachdenklich. Und gibt mir das Gefühl, als müsste ich etwas ändern. Ich schließe die weiße Flügeltür zum Salon auf, in dem wir gestern Nacht auf meinen Geburtstag gewartet haben.

Ich setze mich in einen der Sessel. Und rauche wieder heimlich hier, obwohl mir das ausdrücklich verboten wurde.

 

»Wenn du wissen willst, wie es ist, mit einer Frau zusammenzuleben, dann such dir doch eine. Ohne die Eitelkeiten des Liebeskummers«, sagt Stein, als er sich neben mich setzt.

»Stimmt«, sage ich. »Ich suche mir eine, und ihr werdet mir helfen. Ich werde mit ihr zusammenziehen. Egal was passiert. Ich mache es.«

Alle vier haben sich mittlerweile hingesetzt, bleiben still, sehen mich entsetzt an. Sie wissen aus der Vergangenheit, dass ich so etwas einfach tue. Dass ich das wirklich machen werde. Deswegen fragen sie nicht nach, sondern nicken nur.

Außer Jirka. »Wirklich?«, fragt er.

»Frag lieber nicht«, sagt Adri, der nach meinem letzten Versuch, eine Frau kennenzulernen, der mich sehr viel Geld und drei Monate Reisen gekostet hat, misstrauisch geworden ist.

»Ich find’s cool«, sagt Andreas. »Ich helfe dir, eine Frau zu finden. Bei mir gibt’s genug.« Andreas kennt viele Frauen.

Stein ist einfach nur still und schüttelt mahnend den Kopf. »Was habe ich da nur wieder angestellt«, sagt er und steckt sich verzweifelt eine Zigarette an. Glücklicherweise ist seine Verzweiflung nur gespielt.

»Gibt es diesmal wieder irgendwelche Regeln? Beschissene Nummern?«, frage ich vorsichtshalber nach.

»Nein, wir wetten ja nicht. Wir wollen wissen, wie du dich verhältst. Vielleicht können wir daraus lernen«, sagt Andreas. »Außerdem, wer wettet, der betrügt. Das war schon immer so.«

Ich muss kurz lachen und freue mich über ein neues Ziel, das wieder mit einer Frau zu tun hat.

»Irgendwas um drei Monate«, sagt Adri. »Das ist die klassische Zeit einer Affäre, so lange musst du mit ihr zusammenleben. 9½ Wochen.«

Ich spüre, dass wir immer aufgeregter werden. Es scheint meinen Freunden Spaß zu machen, mein Leben zu verplanen.

»Sie darf keine eigene Wohnung haben«, sagt Stein jetzt mutig.

Jirka sagt gar nichts dazu.

»Und sie muss wirklich mit allem Krimskrams bei dir leben. Alles«, fügt Stein hinzu.

»Sie muss gut aussehen«, sagt Jirka.

»Das ist klar«, antworte ich. »Dann sind wir uns ja einig. Andreas? Darf ich als Erstes in deinem sozialen Umfeld wildern?«

»Hm. Ja«, sagt er.

»Und kriege ich jetzt endlich meine Geschenke?«, frage ich und besiegle damit den Plan.

Kapitel 2

Andreas

Es ist ein bisschen Zeit vergangen, seit ich mit meinen Freunden in Brandenburg eine wichtige Entscheidung getroffen habe. So viel Zeit, dass ich die Möglichkeit hatte, mir eine Affäre zu suchen. Nicht suchen, sondern es ist einfach entstanden. Rebound wird das genannt, glaube ich. Meine Affäre ist nicht wichtig, sie macht mich nur etwas arroganter und ist nicht Teil des Plans. Ich bin also nicht mehr wirklich alleine und deswegen auch viel entspannter. Und ich glaube, für dieses Vorhaben ist Entspannung gut. Außerdem ist der Winter vorbei.

In Berlin wird es nämlich langsam Sommer. Ich spüre das, die Fenster sind offen. Es weht kein eisiger Wind mehr durch die Straßen, und immer öfter höre ich Musik aus Autos. Doch am deutlichsten wird es, weil die Mauersegler und Kinder aus den Hinterhöfen keifen. Vermutlich keifen sie dasselbe: »Mutti, darf ich noch ein bisschen unten bleiben?« Ein Satz und ein Geräusch, das ich mit meiner Kindheit und dieser Stadt verbinde. Im Winter gibt es nur die knirschenden Füße auf dem Rollsplitt, im Sommer hört man viel mehr.

Ich glaube, jetzt ist die richtige Zeit, um mit dem Spiel zu beginnen. Weil ich spüre, dass sich meine Angst mit jedem Tag, der länger wird, legt.

Ich bin bereit. Bereit für Andreas und seine Frauen.

 

Andreas ist nämlich sehr vielversprechend, was Frauen betrifft. Frauen, die ich kennenlernen könnte. Einfach, weil er von meinen Freunden der optisch attraktivste ist. Obwohl etwas hager und manchmal zu still, gibt es viele Frauen, die ihn heimlich beobachten, wenn wir zusammen durch die Stadt laufen. Oder herumstehen. Er zieht Frauen an, mit seinem erfahrenen Blick und seiner Stilsicherheit.

Frauen finden seine verschlossene Art anziehend, er, ganz anders als ich, zurückhaltend, bescheiden und indirekt, zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Und das, auch wenn ich laut und auffällig neben ihm bin. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin, wenn Andreas mit mir unterwegs ist, mit Absicht so laut und auffällig, damit ich neben seinen langen Wimpern und den würdigen grauen Haaren eine Chance habe.

 

Ich bin so anders, neben ihm. Und vielleicht ist das auch der Grund, warum wir beobachtet werden. Ich bin um Auffälligkeiten bemüht. Mit einfachen Mitteln wie unachtsam getragener Mode oder aber auch mit meinem Äußeren.

Immer brauner als die anderen, weil mein Großvater Armenier ist. Ich habe ein anderes Gesicht. Es ist nicht fein gezeichnet. Eher gröber, für kalte Winter gemacht. Ein Hauch Osteuropa und DDR. Zumindest habe ich das Gefühl, dass es so ist.

Ich bin kleiner als er, ich bin nicht so stilsicher gekleidet. Manchmal, wenn ich neben ihm in einem dunklen Berliner Klub stehe, habe ich das Gefühl, ich bin sein kleiner Bruder vom Land, der erst lernen muss, wie es funktioniert. Das Leben in Berlin. Dabei kommt er aus Magdeburg. Also vom Land.

 

Von allen vier besten Freunden, die ich habe, ist Andreas der älteste, im Scherz mache ich ihn manchmal vierzig oder fünfzig. Frage ihn, wie es damals im Krieg war oder ob er freiwillig der Hitlerjugend beigetreten ist. Dabei ist er gerade mal fünf Jahre älter als ich.

Aber fünf Jahre, denke ich manchmal, sind doch ganz schön viel. Als er sein erstes Schamhaar hatte, war ich noch in der Grundschule. Als er zum ersten Mal ein Mädchen geküsst hat, hatte ich mein erstes Schamhaar, und als er zum ersten Mal Sex hatte, da wusste ich noch nicht mal, dass es möglich ist, mit Frauen zu schlafen. Er wird immer der Erste sein. Er wird als Erster vierzig sein, als Erster Altmännerkrankheiten haben, und er ist deswegen auch der Erste, der das Attribut »weise« tragen wird.

Er ist einer der Freunde, die einem eine Hand auf den Arm legen, wenn ich mit vor Kummer zitternden Schultern neben ihm sitze und versuche, ihn davon zu überzeugen, dass ich nie wieder eine große Liebe finden werde. Und das Besondere an Andreas ist, er sagt dann: »Ja.« Einfach so, ohne überhaupt etwas anzusetzen, einfach »ja«. Und damit ist er ehrlicher und direkter als die meisten Menschen, die ich kenne.

Um nur kurz ein Beispiel zu nennen: Ich hatte eine rothaarige Freundin, sie war etwas spezieller als die meisten Frauen, allerdings war sie sehr schlau und lustig. Als ich sie verließ, schüttelte Andreas still den Kopf, blickte dabei enttäuscht auf den Boden und sagte, dass wir gut zusammengepasst hätten. Er war der Grund, warum ich dann Liebeskummer bekam.

 

Andreas hat sich Zeit für mich genommen, will mir zeigen, was seine Welt zu bieten hat. Seine, die so anders ist. Berlin Mitte.

Viele Menschen haben darüber geschrieben, gesprochen, diese Welt wurde im Feuilleton zersetzt, selbst das Zeit-Magazin hat ihr eine Geschichte gewidmet, ohne diese Welt zu verstehen. Jeder Versuch von Redakteuren, diesen Mikrokosmos zu analysieren und zu beschreiben, ist gescheitert. Weil er verspottet wurde. Immer. Und nun, ganz langsam, ist er dabei, in Vergessenheit zu geraten.

Berlin Mitte, bewohnt von Menschen mit schmalen Gesichtern, ihren engen oder gepluderten Hosen, von Frauen, die seltsamen Schmuck tragen und oft aus kleinen Städten kommen. Ich meine eine Welt, zu der ich keinen Zutritt habe, weil ich keinen Zutritt will.

Aber ich muss ehrlich sein. Dieser Ort, Berlin Mitte, übt einen sonderbaren Reiz auf mich aus, eine besondere Anziehung. Wenn ich dort bin, meist mit Andreas, fühle ich mich wohl und aufgehoben. Er beschützt mich, wenn ich zu ausfallend war, zu wenig charmant zu seinen Freunden, die Techno-DJs sind und Adam heißen, oder wenn ich wieder zu direkt zu Frauen war, die in Marketingagenturen arbeiten und Hosenlabels bewerben. »Hosenlabels«, ich drehe das Wort dann immer in meinem Kopf, ohne diesen Beruf zu verstehen.

 

Andreas nimmt mich mit zu seiner Arbeitsstelle. Er arbeitet bei einem Magazin, ich habe dort auch einmal gearbeitet, bin aber schon vor Jahren gegangen, weil ich befürchtet habe, es würde mich nicht weiterbringen, wenn ich jeden Tag einfach nur provozieren sollte. Aus diesem kleinen Magazin ist mittlerweile ein mächtiges Medienunternehmen geworden, und Andreas macht dort noch immer dasselbe. Er rezensiert Platten.

Der mürrische Chefredakteur hat mir verboten, den Namen des Magazins hier zu nennen, durch seine abweisende Haltung und sein müdes Interesse an Dingen, die ihn nicht betreffen, hatte er schon damals erfolgreich Selbstbewusstsein aufgebaut. Ich halte mich daran.

 

Andreas hat mich angekündigt und holt mich morgens ab. Mit dem Fahrrad. Die Sonne scheint, aber es ist noch kühl, als wir beide nebeneinander auf dem Fahrradweg fahren und uns unterhalten. Ihm fällt auf, ich habe mich ein wenig hübsch gemacht.

Ich habe meine Haare gescheitelt, mir ordentliche Hosen angezogen und bunte Schuhe, damit ich nicht so auffalle.

»Was erwartest du heute von dem Tag?«, fragt mich Andreas, als wir in die Rosenthaler Straße abbiegen, im Hintergrund die Volksbühne.

»Ich weiß gar nicht«, sage ich. »Ich freue mich auch, mit dir Zeit zu verbringen. Sind denn gerade interessante Frauen da?«

»Nicht unbedingt«, sagt Andreas. »Aber nachher gehen wir essen, da sind vielleicht welche dabei.«