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1. Auflage 2016
 
© 2016 by FinanzBuch Verlag,
ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH
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D-80636 München
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Fax: 089 652096
 
Copyright © 2015 by Roger Lowenstein. Die englische Originalausgabe erschien 2015 unter dem Titel »AMERICA'S BANK: The Epic Struggle to Create the Federal Reserve« bei Penguin Press. All rights reserved.
 
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
 
Anmerkung des Verlags: Bis 1929 wurde »Jekyl-Island« mit einem »l« geschrieben, erst danach ändert sich die Schreibweise in »Jekyll«. Im Buch wird dieser Chronologie Rechnung getragen und die alte Schreibweise immer dann verwendet, wenn auf den historischen Ort verwiesen wird. Bei der Interpretation der Ereignisse im zeitgenössischen Kontext wird dagegen die moderne Schreibweise verwendet.
 
Übersetzung: Almuth Braun
Redaktion: Werner Wahls
Korrektorat: Leonie Zimmermann
Umschlaggestaltung: Melanie Melzer, Isabella Dorsch
Umschlagabbildung: A. Loeffler: Wall Street, N. Y. 1855, © Art & Picture Collection, The New York Public Library
Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern
 
ISBN Print 978-3-89879-975-1
ISBN E-Book (PDF) 978-3-86248-895-7
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86248-896-4
 
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.finanzbuchverlag.de

Für Judy, in alle Ewigkeit

Wir halten es nicht für fair, dass Männer, die zugeben, sich gar nicht mit dem Reformentwurf auseinandergesetzt zu haben, Geschrei über eine Zentralbank anstimmen oder den Geist Andrew Jacksons heraufbeschwören.

NELSON ALDRICH

Inhalt

Vorwort
Einführung
TEIL 1 Der Weg nach Jekyl Island
1. Kapitel Das Tabuwort
2. Kapitel Der privilegierte Bankier und der machthungrige Aufsteiger
3. Kapitel Nervosität an der Wall Street
4. Kapitel Panik
5. Kapitel Der Wendepunkt
6. Kapitel Progressivismus
7. Kapitel Jekyl Island
Bildteil
TEIL 2 Auf der politischen Bühne
8. Kapitel Die Feuerprobe
9. Kapitel Die große Kampagne
10. Kapitel Woodrows Wunder
11. Kapitel Termin in Princeton
12. Kapitel Der »Schleim des Bryanismus«
13. Kapitel »Das Unmögliche ist geschehen«
14. Kapitel Epilog
Danksagung
Quellenangaben
Über den Autor
Anmerkungen

Vorwort

Ich fühle mich den deutschen Lesern besonders verbunden. Es passiert nicht oft, dass eine Studie über amerikanische Politik einen Sohn Hamburgs zum Helden hat, aber so ist es in diesem Fall. Paul Moritz Warburg hatte großen Einfluss auf das amerikanische Bankwesen und die amerikanische Regierung, ein Einfluss, der bis heute spürbar ist.

Warburg wurde 1868 in Deutschland geboren und emigrierte im turbulenten ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts nach Amerika, einer Zeit der umwälzenden Veränderungen, die viele Menschen als furchteinflößend empfanden. Amerika war damals ein aufstrebender Industriegigant; seine Städte, voll von Einwanderern, bestimmten zunehmend das amerikanische Leben, nicht mehr die ländlichen Regionen mit ihren ausgedehnten Farmen; und die elitär geprägte Tradition der amerikanischen Demokratie wich dem rauen Lärm eines progressiven Zeitalters. Zwar war das 20. Jahrhundert eingeläutet, dennoch passten sich die amerikanischen Institutionen nur schleppend den neuen Entwicklungen an: Weder gab es ein Wahlrecht für die amerikanischen Frauen noch war die Mehrheit der Arbeitnehmer rentenberechtigt. (Zum selben Zeitpunkt erstritten die Sozialdemokraten in Deutschland wichtige soziale Rechte.) Insbesondere das Bankwesen war in einem System gefangen, das auf ein kaum entwickeltes Agrarland ausgerichtet war.

Warburg betrachtete Amerika mit dem unverstellten Blick eines Außenstehenden und erkannte die Schwächen des Bankensystems bereits geraume Zeit, bevor sie die Amerikaner selbst erkannten. Er war der dritte von fünf Brüdern und stammte aus einer wohlhabenden Bankiersfamilie: Sein Großvater hatte 1798 die Bank M.M. Warburg gegründet. Als Lehrling im familieneigenen Unternehmen wurde er Zeuge der rasanten Entwicklung Deutschlands zu einer industriellen Supermacht – ein Prozess, der Lucy Dana Chen zufolge »von den Güterbewegungen in und aus dem Hamburger Hafen abhing«.I Außerdem absolvierte er eine Lehrzeit in London und Paris, die in England unter anderem auch die Tätigkeit als Börsenmakler einschloss. Warburg entwickelte eine starke Abneigung gegen Aktienspekulation. Er war zu besonnen und vielleicht auch zu feinnervig für die ungeschlachte Welt des Spekulantentums; auch seine Vorlieben waren eher intellektueller Natur. Aufgrund seiner Ausbildung im Ausland (und seiner Brillanz) verfügte er aber bereits als junger Mann über ein umfassendes Wissen über die praktischen und theoretischen Aspekte des internationalen Finanzwesens.

Dieses Wissen leistete ihm gute Dienste, als er 1895 Nina Loeb heiratete, die jüngste Tochter von Solomon Loeb, Partner von Kuhn, Loeb & Company, einer mächtigen Investmentgesellschaft an der Wall Street. Zunächst richtete sich das Paar in Hamburg ein, aber da Ninas Eltern die Nähe zu ihrer Tochter vermissten, schickte sich Paul in das Unvermeidliche. Im Jahr 1902 siedelten sie nach New York um.

Kaum dass der 34-jährige Warburg in der Neuen Welt angekommen war, erlebte die Wall Street eine ihrer häufigen Paniken, in deren Verlauf die Zinssätze auf 100 Prozent schossen. In seiner philosophischen und grüblerischen Art machte sich Warburg daran, die merkwürdige Volatilität des amerikanischen Finanzwesens zu untersuchen. »Ich war kaum drei Wochen hier«, sollte Warburg später vor dem Banken- und Währungsausschuss des Senats sagen, »als ich versuchte, mir die Wurzeln des Übels zu erklären.«

Warburgs Diagnose zufolge litt Amerika unter dem Fehlen einer Zentralbank. In Deutschland und anderen europäischen Ländern gab es Zentralbanken, die den Geschäftsbanken Kredit gewährten, die Spannungen im Finanzsystem glätteten und (in Krisenzeiten) als Kreditgeber der letzten Instanz fungierten. In Amerika hielt jede Bank ihre eigene Reserve vor. Das führte dazu, dass die Banken Bargeld horteten – außer in Zeiten eines Bankenansturms, wenn die Kunden massenhaft ihre Einlagen abzogen – und wenig Neigung hatten, die Wirtschaft und Privathaushalte mit den benötigten Krediten zu versorgen. Für Warburg glich das amerikanische Bankensystem einer Stadt ohne zentrale Versorgung, in der jeder Haushalt seine eigene Versorgung gewährleisten musste.

Warburg erforschte die »Wurzel des Übels« auch mit Blick auf die amerikanische Geschichte. Wie viele Europäer vor und nach ihm war Warburg von der amerikanischen Kultur befremdet. Insbesondere die Amerikanische Revolution schien die amerikanische Psyche im dauerhaften Klammergriff zu halten. Alexis de Tocqueville, der französische Publizist, Politiker und Historiker, der Amerika in den 30er-­Jahren des 19. Jahrhunderts bereist hatte, bezeichnete die Amerikaner in seinen Schilderungen als »besessen« von der Angst vor »Zentralisierung« – als sei der englische König Georg III. noch immer eine mächtige und reale Bedrohung. De Tocqueville nicht unähnlich, stellte Warburg in Amerika eine »Abscheu« vor Macht fest, sei es vor der politischen Macht Washingtons oder der Finanzmacht der Wall Street. Diese Angst vor Macht und Machtkonzentration manifestierte sich in allen Diskussionen über das Bankwesen und war besonders deutlich aus der flammenden Rhetorik der Politiker herauszuhören. Was eigentlich ein unkompliziertes und geradliniges Projekt war, nämlich die Gründung einer starken Zentralbank, galt in Amerika als ein absurdes und gefährliches Konzept.

Wie Warburg und eine Handvoll weiterer Eiferer dieses Vorurteil überwanden, ist das Thema dieses Buches. Warburg entwarf nicht nur das finanzielle Konzept, sondern setzte sich auch mit Leib und Seele für seine Umsetzung ein. Wie stark er sich in diesem Kampf engagierte, kann man daran ermessen, dass er innerhalb eines Jahrzehnts nach Ankunft bereits die amerikanische Staatsbürgerschaft annahm. Kurz danach, im Jahr 1914, wurde er von US-Präsident Woodrow Wilson in den Rat der amerikanischen Zentralbank berufen, zu deren Gründung er so viel beigetragen hatte. Die Fed war für Warburg mehr als ein Projekt; sie war seine Leidenschaft. Er träumte, so schrieb Warburg, die Fed werde einst als eines der herausragenden Denkmäler Amerikas gelten, »so wie die altehrwürdigen Kathedralen in Europa«.

Zwar wurde Warburg in die heiligen Hallen der Zentralbank zugelassen, aber seine Amtszeit war nur kurz. Noch bevor die Fed ihren eigentlichen Betrieb aufnahm, befanden sich die Mittelmächte und Amerika im Krieg. Warburg, der nicht nur eine familiäre, sondern auch eine starke emotionale Bindung an Deutschland hatte, klammerte sich verzweifelt an die Hoffnung, Amerika möge neutral bleiben. Als Amerika in den Krieg eintrat, wurde seine Loyalität infrage gestellt und er wurde zum Rücktritt von dem Gremium gezwungen, für das er Empfindungen hegte, so seine Worte, wie für ein leibliches Kind. Dass die Fed in jenen Jahren vor der Großen Depression auf Warburgs Rat und Unterstützung verzichten musste, trug zu den finanziellen Tumulten in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg bei.

Nichtsdestotrotz wurde Warburgs Meisterwerk im Lauf der Zeit immer mehr gefestigt und gestärkt. Zwar ist die Fed nicht unumstritten, dennoch ist sie heute der Chefingenieur der modernen Finanzwelt. Es ist mir eine große Freude, Warburg in Erinnerung zu rufen und seinen Landsleuten und den Menschen seiner ursprünglichen Heimat seine ganze Geschichte zu erzählen.

 

Roger Lowenstein

Boston, November 2015

I Lucy Dana Chen, »Staying the Course: Global Conflict, Federal Reserve Policy and the Life of Paul M. Warburg, 1914–1918«. Diplomarbeit zur Erlangung des Abschlusses als Bachelor of Arts an der Fakultät für Geschichte der Universität von Harvard, 2011.

Einführung

Der Einfluss der amerikanischen Notenbank Federal Reserve – umgangssprachlich kurz »Fed« genannt – ist heute so groß und allumfassend, dass Amerikaner sich eine Welt ohne sie kaum noch vorstellen können. Zunächst emittiert die Fed als Amerikas Zentralbank die Banknoten, die wir als »Geld« bezeichnen. Sie setzt die Höhe der kurzfristigen Zinsen fest, die den Hypothekenmarkt, den Markt für Autokredite, Unternehmensschulden und sogar die Notierung des Aktienmarktes beeinflusst. Sie steuert, gelegentlich unbewusst und gelegentlich ganz bewusst, das Kreditangebot, dessen Überfluss oder Verknappung die Wirtschaft alternativ boomen oder abkühlen lässt. Sie überwacht, oder soll es zumindest, die amerikanischen Geschäftsbanken. Und wie den Amerikanern während des Beinahezusammenbruchs des weltweiten Finanzsystems lebhaft in Erinnerung gerufen wurde, fungiert die Federal Reserve als Kreditgeber der letzten Instanz, indem sie den Banken Kredit gewährt, wenn sich die Interbankenkredite verklemmen.

Vor kaum einem Jahrhundert existierte die Fed noch gar nicht. Alle anderen Industrienationen verfügten bereits über eine Zentralbank, die das Bankensystem des Landes überwachte und für Stabilität sorgte. Nur das amerikanische Finanzsystem, wenn man es damals überhaupt so nennen konnte, war antiquiert, unorganisiert und mit großen Schwächen behaftet. Die USA waren die größte Volkswirtschaft der Welt, durch ihre ausgedehnten Territorien zogen sich Eisenbahnschienen und Telefonleitungen, ihre Städte waren angefüllt mit Fabriken, die gewaltige Mengen an Eisen und Stahl ausspuckten. Ihre Banken jedoch waren versprengt, isoliert, unkoordiniert und sich selbst überlassen; ihr Erfolg oder Scheitern hing allein von den individuellen Reserven des jeweiligen Bankinstituts ab. Wie Paul Warburg, einer der Helden dieser Geschichte, mit der für ihn so typischen Schärfe anmerkte, glichen die amerikanischen Banken weniger einer einheitlichen schlagkräftigen Armee, die von zentralen Machthabern geführt wurde, denn einer chaotischen Legion versprengter Infanteristen. Daher war es keine Überraschung, dass die USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis zu Beginn der 20er-Jahre des 20. Jahrhunderts als einzige Industriemacht immer wieder Opfer von Finanzpaniken, Bankenanstürmen, Geldverknappung und schweren Depressionen wurde.

Dieses Buch erzählt die Geschichte der Entstehung der Federal ­Reserve, die in den Tagen vor dem Weihnachtsfest 1913 ihren Höhepunkt fand. Es war eine schwere und mühselige Geburt. Den amerikanischen Bürgern des angehenden 20. Jahrhunderts – vor allem den Farmern – erschien die Aussicht auf eine Zentralbank als Bedrohung des bequemen Jefferson’schen Prinzips des schlanken Staats. Auf ein Volk, für das Lokalautonomie ein Heiligtum war, wirkte die Vorstellung einer mächtigen Bank an der Seite einer noch mächtigeren föderalen Regierung zutiefst verstörend. Der Widerstand gegen eine zentrale Autorität hatte die MinutemenII von Lexington und Concord beseelt; der Kampf um die Gründung der Fed ähnelte einer zweiten amerikanischen Revolution – einer Finanzrevolution.

Die Vereinigten Staaten hatten schon früh in ihrer Geschichte mit dem Zentralbankwesen experimentiert. Nach dem Unabhängigkeitskrieg – zwar ein militärischer Erfolg, aber ein finanzielles Desaster – war die Regierung hoch verschuldet. Nach der Ratifizierung der Verfassung der USA, die ein größeres Maß an politischer Einheit ermöglichte, schlug Alexander Hamilton für das Finanzwesen eine vergleichbare Institution vor, und zwar eine Bank der Vereinigten Staaten, die nach dem Vorbild der britischen Zentralbank modelliert werden sollte.1 Thomas Jefferson und viele seiner Anhänger waren jedoch strikt dagegen. Nichtsdestotrotz ließen sich US-Präsident George Washington sowie die Mehrheit des Kongresses dazu überreden. Und im Jahr 1791 nahm die Bank mit Sitz in Philadelphia ihren Geschäftsbetrieb auf.

Aus moderner Perspektive war diese Bank ein merkwürdiges Konstrukt.2 Zu 20 Prozent gehörte sie der Regierung und zu 80 Prozent privaten Investoren. Sie war autorisiert, die Geldeinlagen der Regierung zu verwalten, hatte aber keine spezielle Befugnis, als Währungshüter zu fungieren oder andere Funktionen einer Zentralbank zu erfüllen. Dennoch begann die Bank, in der Praxis genau diese Rolle zu übernehmen. Insbesondere stützte sie die bis dahin als minderwertig geltenden Kredite der US-Bundesregierung. Die 20 Jahre, die ihre erste Konzession dauerte, waren allgemein erfolgreich, was dazu führte, dass die Zahl der privaten Banken, die staatliche Bankkonzessionen erhielten, von fünf auf mehr als 100 Institute anstieg.

Das Schicksal der Bank stand aufgrund des Vormarschs der Antiföderalisten im Weißen Haus – verkörpert durch die Person von James Madison – und im Kongress jedoch unter einem schlechten Stern.3 Die Verlängerung der Konzession scheiterte an jeweils einer Stimme in beiden Kammern. Und so kehrte Amerika 1811 zu einem Zustand der Währungsunschuld beziehungsweise des Laisser-faire zurück. Das Geldwesen war wieder die alleinige Verantwortung individueller Banken in jedem Bundesstaat, von denen jede gemäß ihrer jeweiligen Macht Banknoten ausgab. Es folgte eine Inflation, und als sich die Regierung im Rahmen des Krieges von 1812, des zweiten Unabhängigkeitskrieges, bis über beide Ohren verschuldete, stellten die Banken ihre Betrieb ein und veranlassten Madison zu einer Kehrtwende. Im Jahr 1816 erteilte der Kongress – nun mit Madisons Zustimmung – eine Konzession für die Second Bank of the United States.

Die Second Bank war zwar mit mehr Kapital ausgestattet, ansonsten aber eher eine treue Kopie der First Bank. Es gelang ihr, die großzügige Geldemission der State Banks zu bremsen und auf diese Weise die Inflation zu stoppen. Und es gelang ihr auch, die Konjunkturausschläge zu dämpfen. Außerdem wurden die Banknoten der Second Bank praktisch überall als Währung akzeptiert, was in einer Nation, die sich über einen uneinheitlichen und nicht vollständig erschlossenen Kontinent ausbreitete, kein geringer Erfolg war. Allerdings war der Second Bank am Ende das gleiche Schicksal beschieden wie der First Bank. Zwar bewilligte der Kongress eine Verlängerung der Konzession, aber die Mehrheit der Befürworter war zu knapp, um das entschiedene Veto Andrew Jacksons zu überstimmen. Im Jahr 1836 ließ Amerika seine Nationalbank zum zweiten Mal sterben. Daraufhin erlebte das Land eine erneute Inflation, auf die dieses Mal eine schwere Depression folgte. Im Jahr 1841 erteilte der Kongress eine Konzession für eine dritte Bank. Doch US-Präsident John Tyler, ein Südstaatler, der in erster Linie die Rechte der Bundesstaaten im Auge hatte, legte ein Veto ein. Und so ruhte das Thema Nationalbank für rund sieben Jahrzehnte.

Wenn man die gesamte Erfolgsbilanz der beiden Banken (unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Schnitzer) betrachtet, stellt sich die Frage: Warum solche Eile, sie abzuschaffen? Trotz ihres Erfolgs beäugten viele Amerikaner beide Banken mit tiefem Misstrauen. Alexis de Tocqueville, der französische politische Vordenker, der Amerika zur Zeit der Präsidentschaft von Andrew Jackson bereiste, wurde während seiner Reisen durch eine Gesellschaft, die sich nach wie vor an den Grenzen der Zivilisation bewegte, auf einige sich scheinbar widersprechende Fakten aufmerksam. Die Banknoten der Second Bank wurden »am Rande der Wildnis« genauso wertgeschätzt wie in Philadelphia – ein Beweis für das allgemeine Vertrauen der Menschen in die Bank. Dennoch war sie zum »Gegenstand intensiven Hasses« geworden.4 De Tocquevilles Diagnose lautete, die Amerikaner seien »offensichtlich von einer großen Angst beseelt«, die er als Angst vor einer tyrannischen Regierung identifizierte oder, wie er es ausdrückte, als Angst vor »Zentralisierung«.5 Das befremdete De Tocqueville zutiefst. Für ihn wie für die meisten Franzosen war die französische Zentralbank eine natürliche Entwicklung, die sich aus der Nationalregierung ergab und nicht weniger französisch war als das Schloss von Versailles. In Amerika wirkte eine Zentralbank dagegen als etwas Widernatürliches; sie brachte amerikanische Urängste zum Wiedererwachen – die Angst der einstigen Kolonie, ihre hart erkämpften Freiheiten würden ihr von einem fernen Machthaber erneut genommen.

Selbst nach der Unabhängigkeit sorgte das Besiedelungsmuster – die kontinuierliche Ausdehnung der Zivilisationsgrenzen in Richtung Westen – dafür, dass fernab von den einflussreichen Großstädten eine Klasse der ewigen Außenseiter entstand, welche die etablierten Machtstrukturen im Osten und vor allem im Nordosten Amerikas infrage stellte und sich dagegen auflehnte. Denn der Widerstand gegen das Zentralbankwesen war von Anfang an in erster Linie eine Frage der Geografie.6 Bei der Abstimmung im Repräsentantenhaus über die Gründung der First Bank stimmten nur drei Kongressabgeordnete aus den Südstaaten für die Bank und nur ein Kongressabgeordneter aus dem Norden stimmte dagegen. Es war kein Zufall, dass ausgerechnet Andrew Jackson, ein raubeiniger Soldat, der gegen die Indianer gekämpft hatte und der erste Präsident der Vereinigten Staaten war, der nicht von der Ostküste stammte, zum Totengräber der Second Bank wurde.

Viele Amerikaner aus der damaligen Zeit waren nicht nur gegenüber einer Zentralbank misstrauisch, sie misstrauten allen Großbanken; ein Vorurteil, das vor allem in ländlichen Gegenden sehr verbreitet war. Für Kaufleute und Stadtbewohner waren Banken ein Segen, aber Farmer und Schuldner (oft waren sie beides gleichzeitig) hassten es, den Banken, und vor allem den Großstadtbanken, ausgeliefert zu sein. In der Tat war der größte Teil Amerikas sehr lange Zeit ländlich geprägt. Zu Zeiten von Jacksons Präsidentschaft lebte nur jeder 15. Amerikaner in einer Stadt.7

Zwar hatte auch Europa landwirtschaftliche Traditionen, aber die europäischen Bauern lebten in Dorfverbänden. Sie waren von Nachbarn umgeben und an die gegenseitigen Abhängigkeiten gewöhnt, die aus dem Leben in einer solchen Gemeinschaft entstehen. Im dünn besiedelten Amerika lebten die Farmer weit verstreut und voneinander abgeschieden. Sie verließen sich weniger auf Arbeitskraft (die knapp war) als auf Kapital – soll heißen auf Banken.8 Die humorige Bemerkung, die amerikanischen Farmer hassten die Banken, weil sie von ihnen Geld brauchten, wurde daher nicht ohne Grund gemacht. Insbesondere Jefferson misstraute Geldverleihern, einer Profession, die er als ethisch verwerflich betrachtete.9 Man muss hinzufügen, dass Jefferson bis kurz vor seinem 18. Geburtstag nie eine Stadt besucht hatte. Auch Jackson verachtete Kapitalgeber. Er fällte das Todesurteil über die Second Bank im Wesentlichen, weil sie in seinen Augen ein Instrument der Eliten von der Ostküste war.III

Jacksons Vermächtnis zeichnete sich durch bemerkenswerte Beharrungskräfte aus. Selbst Generationen später konnten sich die Reformer, die eine zentrale Bundesinstitution gründen wollten, nicht zu einer »Zentralbank« durchringen – schon das Wort war ein Tabu. Nelson W. Aldrich, Senator von Rhode Island und erster Gesetzgeber des 20. Jahrhunderts, der einen Gesetzentwurf zur Schaffung einer Nationalbank erarbeitete, hatte das Gefühl, er kämpfe nicht nur gegen die Populisten und die bankenfeindlichen Agitatoren seiner eigenen Zeit, sondern auch – wie er es ausdrückte – gegen »den Geist Andrew Jacksons«.

Bevor der Kongress über ein Gesetz nachdenken konnte, musste die Öffentlichkeit überzeugt beziehungsweise erst einmal mit der Idee der Schaffung eines übergeordneten Finanzinstituts als ­einheitliches Dach über den State Banks vertraut gemacht werden. Im ersten Teil unserer Geschichte starten Bankiers und andere Interessengruppen eine Kampagne, um einflussreiche Bürger in der Wirtschaft, in Universitäten und der Presse zu überzeugen. Die Reformer waren eine sehr gemischte Truppe; sie reichten von Ökonomen und Bankiers über Idealisten, die das System modernisieren wollten, bis zu Kapital­gebern von der Wall Street, die eher von dem egoistischen Motiv der Gewinnmaximierung geleitet waren.

Die New Yorker Großbanken waren zum Teil deswegen an einer Zentralbank interessiert, weil sie eine größere Rolle im Weltgeschehen spielen wollten. Das Amerika des ausgehenden 19. Jahrhunderts war ein Industriekraftwerk, aber im Finanzwesen rangierte es unter ferner liefen. Der US-Dollar war eine zweitrangige Währung.10 Man möchte es nicht glauben, aber der Dollar war in weniger Währungsmärkten notiert als die relativ schwächliche italienische Lira oder der österreichische Schilling. Aus Währungsperspektive betrachtet, war Amerika nach wie vor das Stiefkind der Bank of England, deren Zinsmanöver die Wall Street jederzeit in eine Rezession schicken konnte, was auch wiederholt geschah. Finanzielle Unabhängigkeit setzte eine widerstandsfähigere Währung voraus, die überdies nicht in London oder Paris, sondern in Amerika selbst reguliert wurde.

Aber welche Art Bank würde diese Währung ausgeben und nach welchen Regeln würde sie arbeiten? Diese Fragen beschäftigten die Amerikaner seit dem Bürgerkrieg. Unaufhörlich rangen sie um die Frage, ob die Geldmenge an die Goldreserven des Landes oder eher an Silber oder irgendeinen anderen Standard gebunden werden sollte. Die Banken des sogenannten Gildet Age, des »Vergoldeten Zeitalters« (etwa von 1877 bis zur Jahrhundertwende)IV, machten sich Sorgen über Inflation, wie es Banken immer tun. Die chronisch klammen amerikanischen Farmer hatten dagegen nie genug Geld. Farmer, Industrielle, Banken, Verbraucher und Arbeiter – alle hatten widerstreitende Interessen. Erst nach der katastrophalen Panik im Jahr 1907, als den Banken buchstäblich das Geld ausging, war endgültig klar, dass das bestehende System, in dem jede Bank auf sich allein gestellt war, nicht funktionierte.

Die Unzulänglichkeiten des Systems erkannte niemand besser als ein Neuling im Land der unbegrenzten Möglichkeiten: Paul Warburg, der deutsche Auswanderer aus Hamburg. Er war über den primitiven Zustand des amerikanischen Bankensystems verblüfft und wirkte unermüdlich auf seine Finanzkollegen ein, sich für Reformen einzusetzen, die den europäischen Zentralbanken nachempfunden waren. In dem Maße, wie sich Warburg in seiner neuen Heimat einlebte, erkannte er die Notwendigkeit, das politische Establishment zu kultivieren, das damals durch und durch republikanisch war. Nach einigen vergeblichen Anläufen gelang es ihm schließlich, den mächtigen republikanischen Senator Nelson W. Aldrich für sein Anliegen zu gewinnen.

Aldrich war für die progressive Welle, die der amerikanischen Politik ein neues Gesicht verlieh, jedoch nicht gerüstet. Der Sozialaktivismus war auf dem Vormarsch und ähnlich wie heute protestierten die Amerikaner gegen die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, die sich in den palastartigen Residenzen von Eisenbahnmagnaten und Industriebaronen manifestierte. Die progressive Bewegung hatte es sich zum Ziel gesetzt, für eine größere soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Da die Reformer ständig von Modernisierung sprachen, hätte man meinen sollen, sie hätten Vorschlägen zur Schaffung einer Zentralbank wohlwollend gegenübergestanden. Die progressiven Kräfte waren aber von Haus aus misstrauisch gegenüber Bankiers, selbst den reformwilligen. Und sie misstrauten Senator Aldrich zutiefst, der seinen immensen Reichtum mithilfe von undurchsichtigen Kungeleien mit Monopolisten angehäuft hatte. Aldrich war so unbeliebt, dass er es vorzog, sich gemeinsam mit einer Reihe von Beratern von der Wall Street der Öffentlichkeit zu entziehen und die Bankengesetze des Landes in aller Heimlichkeit neu zu fassen. Sein heimlichtuerisches Werk, eine äußerst eigenartige Mission, die er auf einer abgelegenen Insel im Bundesstaat Georgia erfüllte, sollte die Gründung der Fed für immer mit den wildesten Behauptungen diverser Verschwörungstheoretiker und anderer Sonderlinge verbinden.

Im zweiten Teil unserer Geschichte werden Warburgs Vorschläge akribisch in Gesetze gegossen und die Bankiers reichen den Stab an die Politiker weiter.

Kaum hatte dieser Prozess begonnen, verhalfen die Wähler 1912 den Demokraten zur Macht im Kongress. Die Demokraten waren der Idee einer Zentralbank gegenüber jedoch alles andere als aufgeschlossen. Schließlich war Andrew Jackson einer der ihren gewesen. Außerdem konzentrierte sich ihre Macht besonders im Westen und Süden Amerikas; von daher fürchteten sie, dass eine Zentralbank die Macht der Großbanken im fernen New York steigern würde. Allerdings konnten die Demokraten kaum den Reformdruck ignorieren, der im Land herrschte. Und der frisch gewählte demokratische Präsident Woodrow Wilson blickte ein gutes Stück weiter als seine Vorgänger, die stets für einen schlanken Staat plädiert hatten. Obgleich man Wilson kaum als einen Aktivisten im Stile des New Deal bezeichnen konnte, so war er doch bereit, die Sorge um die individuelle Freiheit mit dem Wunsch nach nationaler Einheit und einer insgesamt gesunden Gesellschaft in Einklang zu bringen. Was das konkrete Thema der Schaffung einer Zentralbank betraf, stand Wilson, der im Rahmen seines Geschichtsstudiums die amerikanische Regierungspolitik genau studiert hatte, der Reformidee grundsätzlich wohlwollend gegenüber.

Die Aufgabe, eine Reformierung des Bankwesens mit der Parteitradition einer Verteidigung bundesstaatlicher Rechte zu versöhnen, fiel ausgerechnet einem Kongressabgeordneten aus einem Südstaat zu, und zwar Carter Glass aus Virginia. Als Kind des Bürgerkriegs und eingefleischter Rebell war Glass ehrgeizig genug, zu erkennen, dass die Modernisierung des Bankwesens ein äußerst karriereförderliches Thema sein konnte. Allerdings musste er ein Programm entwerfen, das nicht an den Vorurteilen seiner Partei scheitern würde.

Unter dem Ansporn Wilsons und dem Druck Paul Warburgs sowie der Geschäftsbanken legte Glass einen Gesetzentwurf vor, der in gewisser Weise eine Replik des verfassungsmäßig verankerten politischen Föderalismus darstellte. Anstatt das europäische Konzept zu kopieren, das aus einer einzigen zentralen Notenbank bestand, sollte das Federal-Reserve-System aus zwölf regionalen Banken bestehen. Die Macht sollte zwischen der Zentrale und der Peripherie aufgeteilt werden, das heißt zwischen der Bundesregierung und den Geschäftsbanken, denen die Zentrale dienen sollte. Zwar war die Gründung der Fed zu einem Zeitpunkt, da sich die Gesellschaft von einem Laisser-faire-Modell in Richtung einer größeren staatlichen Einflussnahme bewegte, ein bahnbrechendes Ereignis, dennoch war sie bewusst als Kompromiss angelegt.

Glass’ Absicht war es, die zahlreichen Spannungen zwischen lokalen und föderalen Autoritäten, zwischen privaten und öffentlichen Interessen, zwischen Farmern und Kaufleuten und zwischen Kleinstadtbanken, Großstadtbanken und der Wall Street abzubauen. Er wollte die Bankreserven der Nation im Einklang mit dem Prinzip der kollektiven Sicherheit zusammenlegen, ohne ein Machtmonster zu erzeugen, das die amerikanischen Traditionen verletzte und die vorherrschenden Animositäten gegenüber Großbanken stärkte. Was er und die anderen Gründer sich nicht vorstellen konnten, war das Ausmaß der Beharrlichkeit dieser Spannungen. In dem heutigen politischen Klima wäre es tatsächlich zweifelhaft, ob das amerikanische Zentralbankgesetz (»Federal Reserve Act«) verabschiedet werden würde. Ein Jahrhundert später ist der Widerstand gegen die Bundesregierung in Washington, wie ihn die Tea Party – der äußere rechte Flügel der republikanischen Partei – zelebriert, so leidenschaftlich wie eh und je. Im Jahr 1913 musste Glass der Befürchtung entgegentreten, eine Zentralbank würde ein willfähriges Instrument der Wall Street sein. Im Anschluss an die Finanzkrise von 2008, als die Fed und das amerikanische Finanzministerium diverse Rettungspakete schnürten und die größten Banken mit Liquidität versorgten, um sie vor einem folgenschweren Zusammenbruch zu bewahren, wurden erneut die wildesten Befürchtungen laut. Und so wie die Zentralbankgegner damals meinten, die Gründung einer solchen Institution würde unweigerlich eine Inflation auslösen, hat auch die anhaltende Niedrigzinspolitik der modernen Fed alle möglichen Kritiker auf den Plan gerufen, die vor der unmittelbaren Gefahr einer gefährlichen Inflation warnen. Insgesamt kann man sagen, dass sich die USA noch immer die Wunden der Finanzkrise lecken. Sowohl die US-Notenbank als auch die größten amerikanischen Geschäftsbanken sind Opfer von Misstrauen und giftigen Attacken. Der Kampf um die Gründung der Fed im Jahr 1913 war letztlich ein prophetischer Vorläufer der heutigen Auseinandersetzungen.

II Freiwillige im Unabhängigkeitskrieg, die auf Abruf in den Krieg zogen (A.d.Ü.).

III Als junger Mann hatte Jackson Land gegen ein Zahlungsversprechen eines Kaufmanns aus Philadelphia verkauft und dessen Schuldscheine indossiert, um damit Waren für ein Geschäft zu kaufen. Als der Kaufmann nicht zahlte, haftete Jackson für die Wechsel und blieb auf einem gewaltigen Schuldenberg sitzen. Diese Erfahrung prägte die intensive Abneigung des zukünftigen Präsidenten gegen die Hochfinanz.

IV Der Ausdruck wurde von Mark Twain geprägt und bezieht sich darauf, dass diese Zeit zwar nach außen hin eine Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs und technologischen Fortschritts war, aber zugleich auch mit großer Armut verbunden.