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PROBLEMLOS
GEBISSLOS

FEINES REITEN AUF DIE SANFTE ART

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(Foto: Anne Binnendijk)

Josepha Guillaume

PROBLEMLOS
GEBISSLOS

FEINES REITEN AUF DIE SANFTE ART

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Die Autorin, der Verlag und alle anderen an diesem Buch direkt oder indirekt beteiligten Personen lehnen für Unfälle oder Schäden jeder Art, die aus in diesem Buch dargestellten Übungen entstehen können, jegliche Haftung ab. In diesem Buch sind einige Reiter abgebildet, die ohne splittersicheren Kopfschutz reiten. Dies ist nicht zur Nachahmung zu empfehlen! Achten Sie immer auf die entsprechende Sicherheitsausrüstung für sich selbst: feste Schuhe und Handschuhe bei der Bodenarbeit sowie Reithelm, Reitstiefel/-schuhe, Reithandschuhe und gegebenenfalls Sicherheitsweste beim Reiten.

IMPRESSUM

Copyright © 2014 by Cadmos Verlag, Schwarzenbek

Titelgestaltung und Layout: www.ravenstein2.de

Gestaltung und Satz: Pinkhouse Design, 1140 Wien

Titelfoto: Ralph Scheffer

Fotos im Innenteil: Anne Binnendijk, Fotolia.de,

Stéphanie Kniest, Ralph Scheffer, Shutterstock.com,

Starbridle.com und Tierfotoagentur.de

Lektorat der Originalausgabe: Stéphanie Kniest

Übersetzung: Maren Müller

Konvertierung: S4Carlisle Publishing Services

Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.ddb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten.

Abdruck oder Speicherung in elektronischen Medien nur nach vorheriger schriftlicher Genehmigung durch den Verlag.

eISBN: 978-3-8404-6393-8

INHALT

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(Foto: Ralph Scheffer)

Vorwort

Warum gebisslos reiten?

Es ist logischer

Es ist sicherer

Es hat sich bewährt

Das Gebiss als Notbremse

Die geeignete Zäumung …

Gedanken vorab: Ziele und Ambitionen

… für die Arbeit an der Hand

… für das Longieren

… für das Dressurreiten (Klassisch/Barock)

… für das Dressurreiten (Turnier/Sport)

… für das Springreiten

… für das Gelände- und Wanderreiten

… für das Westernreiten

… für das Fahren

Gezieltes Kaufen

Korrekte Verschnallung

Das Gebiss loswerden

Auf der sicheren Seite

Bodenarbeit zur Vertrauensbildung

Die Umstellung

Das erste Mal gebisslos

Die Hilfengebung

Gebisslos reiten

Ein Wort der Vorsicht

Basislektion: Das Halten

Basislektion: Das Rückwärtsrichten

Basisübung: Die Übergänge

Basisübung: Wendungen und Zirkel

Die Basis sitzt

Für Fortgeschrittene: Das Schenkelweichen

Für Fortgeschrittene: Die Vorhandwendung

Für Fortgeschrittene: Die Hinterhandwendung

Für Fortgeschrittene: Das Schultervor und Schulterherein

Für Profis: Travers und Renvers

Für Profis: Die Piaffe

Mit Vorurteilen aufräumen

Den Kiefer entspannen

Am Zügel gehen

Die Versammlung

Fazit

Unbegrenzte Möglichkeiten

Reiten im Gelände

Hoch hinaus

Die Hohe Schule der Dressurreiterei

Reiten mit Halsring

Anhang

Nachwort

Vielen Dank

Kontakt

VORWORT

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Die Autorin zusammen mit ihrem Kinsky-Wallach im Schulterherein. (Foto: Ralph Scheffer)

Seit mehr als 20 Jahren helfe ich Problempferden. Von jedem Pferd, dem ich geholfen habe, erhielt ich neue Informationen, die es mir ermöglichten, dem nächsten Pferd sogar noch effektiver helfen zu können. Mein ehemaliges Stierkampfpferd Don Jamie fügte das „Gebisslos-Puzzleteil“ hinzu.

Von Jamie lernte ich Lektionen der Hohen Schule wie die Piaffe, das Terre à Terre und den Rückwärtsgalopp. Aber obwohl er sehr talentiert war, blieb er doch immer nervös und hatte kein Vertrauen zum Gebiss. Ich musste ihn mit losen Zügeln arbeiten, damit er nicht explodierte. Dr. Robert Cook, der einen der ersten modernen gebisslosen Zäume entwickelte, war so freundlich und schickte mir sein Bitless Bridle zur Probe. Ich war beeindruckt von dessen positiver Wirkung. Von da an testete ich gebisslose Zäume bei verschiedensten Pferden und erzielte damit außerordentliche Erfolge. Mittlerweile verwende ich bei der Arbeit mit Pferden allerdings einen Kappzaum mit weichem Nasenteil, den ich nach dem Vorbild der Kappzäume entwickelt habe, die der Reitmeister Antoine de Pluvinel im 17. Jahrhundert verwendet hat.

Mit der Kombination aus dem weichen Kappzaum, einer Cordeo, sorgfältiger Gymnastizierung und positiver Verstärkung haben meine Schüler und ich zahlreichen Pferden, bei denen andere Trainer bereits komplett aufgegeben hatten, wieder zu gesunder und als angenehm empfundener Arbeit verholfen.

Ich hoffe, dass Sie in diesem Buch Antworten finden und Inspiration erhalten. Ich habe dieses Buch für all diejenigen geschrieben, denen Pferde am Herzen liegen und die ständig bestrebt sind, bessere Reiter zu werden!

Bon voyage!

WARUM GEBISSLOS REITEN?

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(Foto: Ralph Scheffer)

Auf diese Frage gibt es wahrscheinlich so viele Antworten, wie es Reiter gibt. Die einfachste Antwort wäre für mich jedoch diese: Weil Sie es wollen. Ich selbst reite gebisslos, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass es sicherer, einfacher, logischer und gesünder ist und vor allem mehr Spaß macht als das Reiten mit einem Gebiss.

Es ist logischer

Abgesehen von dem Komfort, den ein weicher gebissloser Zaum bietet, müssen wir uns auch fragen, ob es logisch ist, ein Pferd mittels Zufügen von Schmerzen kontrollieren zu wollen. Das gilt insbesondere für das wichtigste Kommando: das zum Anhalten. Wenn wir zum Anhalten des Pferdes an den Zügeln ziehen, üben wir mit dem Gebiss Druck auf das Maul des Pferdes aus – auf seine Laden, seine Zähne und seine Zunge. Instinktiv reagieren Pferde auf Schmerzen mit Flucht; wir haben sie allerdings darauf konditioniert, bei diesem Druck anzuhalten. Das ist nicht gerade logisch.

Ein weiteres Problem, das auftritt, weil das Gebiss Schmerzen verursacht, wird in Situationen deutlich, in denen ein Pferd in Panik gerät und durchgeht: Jetzt ist es nahezu unmöglich, das Pferd durch Ziehen an den Zügeln zu stoppen. Versucht man das, wird es, statt anzuhalten, selbst an den Zügeln ziehen und weiterrennen. Das Gebiss kann das Pferd nicht mehr kontrollieren, sondern veranlasst es ganz im Gegenteil dazu, noch schneller zu rennen. Der Grund dafür ist der Anstieg des Adrenalinspiegels, den die vom Gebiss verursachten Schmerzen auslösen (Urheber des Ganzen ist der am Zügel ziehende Reiter). Das Pferd versucht also nicht nur, dem zu entkommen, vor dem es sich zunächst erschreckt hat, sondern auch, vor den Schmerzen im Maul zu fliehen.

Mit einem weichen gebisslosen Zaum ist es eher unwahrscheinlich, dass Sie Ihrem Pferd Schmerzen zufügen, wenn Sie an den Zügeln ziehen. Als Reiter verursachen Sie in der beschriebenen Situation also keinen weiteren Anstieg des Adrenalinspiegels, was die Chance, dass das Pferd sich schneller beruhigt, viel größer macht. Daher ist gebissloses Reiten in meinen Augen viel logischer.

Es ist sicherer

Das Reiten ohne Gebiss ist nicht nur sicherer für den Reiter, sondern auch sicherer für das Pferd, genauer gesagt, für dessen Gesundheit. Viele Pferde haben Angst vor den Schmerzen, die ein Gebiss verursacht. Diese Angst begleitet sie oftmals lebenslang und führt zu vielen Problemen. Sie hat häufig zur Folge, dass die Pferde ihren Körper auf unnatürliche und somit auch ungesunde Weise benutzen. Das wiederum kann Schäden am Rücken, am Hals, an den Vorderbeinen und an den Schultern des betroffenen Pferdes verursachen. Letztlich kann es sein, dass das Pferd beginnt, sich gegen das Geritten- beziehungsweise Gearbeitetwerden zu wehren.

Das hat jedoch nichts mit Ungehorsam oder Faulheit zu tun, was oft fälschlicherweise angenommen wird, sondern wir müssen es als einen durch die Schmerzen ausgelösten Abwehrmechanismus des Pferdes betrachten, der seinen Körper vor weiteren Schädigungen schützen soll.

Zieht man all diese Dinge in Betracht, sollte klar sein, dass der Einsatz eines Gebisses in geübte Hände gehört, wenn verhindert werden soll, dass dem Pferd versehentlich Schmerzen zugefügt werden. Es kann viele Jahre dauern, bis man sich die erforderlichen Fähigkeiten angeeignet hat. Allerdings sind viele Freizeitreiter dazu nicht in der Lage oder es fehlt ihnen die nötige Zeit.

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Diese junge Stute wird völlig gebisslos ausgebildet. (Foto: Ralph Scheffer)

Es hat sich bewährt

In einigen Bereichen des Reitsports mag das gebisslose Reiten als neuer Trend erscheinen. Selbstverständlich sind gebisslose Zäume in der Westernreiterei weit verbreitet, aber auch in anderen Bereichen des Reitsports ist das gebisslose Reiten nicht so neu, wie Sie vielleicht denken.

Seit der Renaissance werden Pferde, die zu Kriegszwecken oder für die Reitkunst ausgebildet werden, gebisslos gearbeitet. Der Kappzaum wurde ab der ersten Trainingseinheit eingesetzt und dann nur so lange, bis die Ausbildung des Pferdes vom Boden aus abgeschlossen war. Im nächsten Schritt machte man das Pferd mit einem passiven, jedoch erfahrenen Reiter auf dem Rücken vertraut. Erst nachdem es seine Balance wiedergefunden hatte und in der Lage war, sich mit seinem passiven Reiter zu versammeln, wurden die Zügelhilfen am Gebiss hinzugenommen. Die Zügel hingen jedoch durch, um die Balance des Pferdes nicht zu stören, und die Zügelhilfen wurden sparsam eingesetzt. Schenkel- und Sitzhilfen waren wichtiger.

Generell glaube ich, dass es viel einfacher wäre, das Pferd mit einem weichen, sanft wirkenden, gebisslosen Zaum auszustatten. So muss es keine Angst mehr vor dem Gebiss haben und der Reiter muss nicht länger seine ganze Aufmerksamkeit auf seine Hände richten, aus Sorge, dem Pferd wehzutun. Damit will ich nicht sagen, dass man beim gebisslosen Reiten nicht auf seine Hände achten sollte, es bedeutet nur, dass man dabei nicht so schnell Schmerzen verursachen kann.

Das Gebiss als Notbremse

Sie mögen sich nun fragen, warum Gebisse überhaupt verwendet werden. Nun ja, Gebisse wurden erfunden, um Kontrolle und Gehorsam sicherzustellen. Da Pferde viel stärker sind als Menschen, können wir uns nicht allein auf unsere Kraft verlassen. Nicht umsonst haben viele Gebisse eine Hebelwirkung.

Indem wir uns die Hebelwirkung zunutze machen, bedienen wir uns eines physikalischen Gesetzes, das es uns erlaubt, Dinge anzuheben, die wir allein aus eigener Kraft nicht anheben könnten. Die Wirkung der ersten Gebisse war so stark, dass das Pferd mit ziemlicher Sicherheit stoppte, wenn man daran zog. Einfach gesagt: Seile oder Lederriemen, die an einem im Pferdemaul liegenden harten Gegenstand befestigt waren, boten die beste Möglichkeit zur Nutzbarmachung des Pferdes im Alltag. Diesbezüglich darf man nicht vergessen, dass Menschen in der Vergangenheit in vieler Hinsicht von der Nutzung von Pferden abhingen. Denken Sie nur an die Rolle, die das Pferd als Transportmittel spielte, oder an seine Bedeutung in der Landwirtschaft. Heutzutage ist ein Pferd allerdings viel mehr: Es ist ein Haustier, ein Freund der Familie, mit dem man auf vielfältige Weise kommunizieren kann. Ich rate Ihnen daher, Ihre eigene Ausbildung und die Ihres Pferdes darauf auszurichten, dass das Zusammenspiel ohne eine monströse Notbremse funktioniert.

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Mit festgezurrtem Sperrriemen kann das Pferd dem Druck im Maul gar nicht mehr entkommen.

(Foto: Stéphanie Kniest)

Meine Erfahrung zeigt also, dass es viel mehr Spaß macht, logischer und vor allem sicherer ist, an der Kommunikation mit dem Pferd zu arbeiten und Vertrauen aufzubauen, als lediglich zu versuchen, das Pferd mithilfe eines Gebisses zu kontrollieren.

Nur im Notfall nutzen

Die damals gängigen Gebisse lassen sich am besten mit der Notbremse eines Zuges vergleichen. Der Name sagt es schon: Der Einsatz sollte nur im Notfall erfolgen. Würde man die Notbremse jedes Mal zum Anhalten des Zuges betätigen, wäre das gefährlich für alle Beteiligten. Ich möchte in diesem Zusammenhang ganz besonders auf den erheblichen Schaden, den der Zug dadurch nehmen würde, hinweisen. Da ein Zug aber recht teuer in der Anschaffung ist und auch ständige Reparaturen des Zuges ins Geld gehen würden, sollte man die normalen Bremsen des Zuges zum Drosseln der Geschwindigkeit nutzen. Genauso verhält es sich auch beim Pferd. Das Gebiss sollte die Notlösung sein, falls das Bremsen mit allen anderen Mitteln nicht klappt. Daher wurde in dem Training des Pferdes großen Wert auf eine sorgfältige gebisslose Ausbildung gelegt. Erst viel später im Trainingsverlauf wurde das Gebiss (mit durchhängenden Zügeln) hinzugenommen.

DIE GEEIGNETE ZÄUMUNG …

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(Foto: Ralph Scheffer)

Heute gibt es fast so viele verschiedene Arten von gebisslosen Zäumen, wie es Gebissarten gibt. Woher aber wissen Sie, welcher Zaum wofür geeignet ist?

Dieses Kapitel gibt Ihnen einen Überblick über die am häufigsten verwendeten gebisslosen Zäume. Mit den hier zusammengestellten Informationen sollten Sie sich entscheiden können, welchen Zaum Sie ausprobieren möchten, sowie Hilfe bei der korrekten Anpassung für Ihr Pferd erhalten. Letztlich müssen Sie jedoch mithilfe Ihres Pferdes selbst herausfinden, welcher gebisslose Zaum für Sie beide perfekt ist. Wenn Ihr Pferd mit dem Zaum ruhig und zufrieden wirkt und gut auf Ihre Hilfen reagiert, ist es der richtige.

Gedanken vorab: Ziele und Ambitionen

Vor dem Kauf eines Zaums sollten Sie sich zunächst überlegen, was Sie damit jetzt oder in Zukunft mit Ihrem Pferd tun möchten. Wenn Sie mich fragen, sollte sich selbstverständlich jeder einzelne Reiter zumindest mit der grundlegenden Gymnastizierung seines Pferdes beschäftigen, um es einerseits gesund und fit zu halten und es andererseits zu einem willigen und sicheren Reitpartner auszubilden.

Die gymnastische Grundausbildung, auf der ursprünglich die Kriegsreiterei aufbaute, bietet eine hervorragende Basis für alle heutigen Disziplinen. Daher werden im Folgenden die besten Zäume für die gymnastische Grundausbildung und anschließend diejenigen für die verschiedenen Disziplinen der Reiterei vorgestellt.

Sie sollten auch im Hinterkopf behalten, dass so manche Ausbilder früherer Zeiten häufig dazu geraten haben, bei Problemen in der Ausbildung - etwa wenn das Pferd unruhig war oder schlecht auf die Hilfen reagierte - zur gebisslosen Zäumung zurückzukehren, um das Problem zu lösen. Erst danach sollte wieder ein Gebiss verwendet werden.

… für die Arbeit an der Hand

Die gymnastische Grundausbildung an der Hand ist unabdingbar, wenn Sie Ihr Pferd auf das Reiten vorbereiten wollen. Diese geniale Idee hatte nicht nur ich. Die Vorgehensweise ist seit Jahrtausenden bekannt und wurde auch von den klassischen Reitmeistern verfolgt – mit gutem Grund, wie ich hinzufügen möchte. Dank ihr ist das spätere Einreiten für das Pferd weniger belastend, und außerdem ermöglicht sie es, vom Boden aus gefahrlos eine vielschichtige und sichere Kommunikation zu etablieren.

KAPPZAUM MIT WEICHEM NASENTEIL