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Flammengarde

Sarah König

Novelle

Fire2

Machandel Verlag

Charlotte Erpenbeck

Coverquellen: Karl Umbriaco / Merydolla /

Olena Zascochenko / www.shutterstock.com

Illustrationen: Iacov Filimonov /www.shutterstock.com

Haselünne 2016, überarbeitet 2019

ISBN 978-3-95959-016-7

Über die Autorin


Sarah König, geboren 1985, lebt mit Freund und Nachwuchs im Kreis Steinfurt, in der größten Stadt an der Ems. Von fantastischen Geschichten ihrer Kindheit und Jugend inspiriert, schreibt sie Kurzgeschichten und Romane im Genre Fantasy.


Ihr Debüt gab die Autorin im Sommer 2013 mit dem Kinder- und Jugendbuch »Ferdinand von Schnatter der Viertelnachzweite«, ebenfalls veröffentlicht im Machandel Verlag.


Weitere Veröffentlichungen der Autorin:

Kurzgeschichte „Jake“, erschienen in der Anthologie „Sterblich … den Engeln über die Schulter geschaut“ (ISBN 978-3-941455-28-3) des Hierreth Verlags (Dezember 2010).

Erotische Kurzgeschichte „Jahrestag“ in der Anthologie „Schmetterlinge streicheln zärtlich I“ (ISBN 978-3-943427-00-4, Oktober 2011) des WoMan-Verlag, veröffentlicht unter dem Pseudonym Pia Sommer

„Rodricks Feuer“ - eine fantastische Kurzgeschichte erschien in der Ausgabe 37 der Elfenschrift (ISSN 1613-3293).

„Ferdinand von Schnatter der Viertelnachzweite“, Fantasy All-Ager, auch für jüngere Kinder als Vorlesebuch geeignet, erschienen 2013 im Machandel Verlag.


Homepages der Autorin:

http://sarahkoenig.blogspot.de

https://facebook.de/autorinsarahkoenig


Fire1

www.machandel-verlag.de

Der Machandel Verlag bietet Ihnen ungewöhnliche Fantasy aus verschiedenen Teil-Genres: Romantik-Fantasy, humorvolle Fantasy, klassische Fantasy, Urban Fantasy, Dark Fantasy. Unsere besondere Spezialität sind Kurz-Romane für Jugendliche und Erwachsene. In der Abteilung >Lesesaal< auf unserer Webseite finden Sie Leseproben und Gratis-Kurzgeschichten als pdf-Downloads.

Danksagung


Nach vielen Worten nur ein kurzer Abschluss, mit dem ich anerkennen möchte, dass mir auf dem Weg vom ersten Buchstaben bis zum fertigen Satz zur Seite gestanden wurde. Allen voran von meinen Freundinnen Bianca und Tanja. Von Maja und den Mitgliedern des Autorenforums »Tintenzirkel«, Charlotte Erpenbeck als meiner Verlegerin und von meiner Familie.


Es ist gut zu wissen, dass ich nie allein auf dem steinig-schönen Weg von der Idee zum fertigen Roman bin.


Besonders möchte ich noch meinen Liebsten erwähnen, der mich so wundervoll unterstützt und mich fortwährend im richtigen Moment inspiriert.


Danke.


Schwelende Hoffnung


Rahel hob die Hand zu einem letzten Gruß. Ihr Vater befand sich an Bord des Schiffes, das soeben mit geschwelltem Segel aus dem Hafen Rogdans navigierte. Seine Überfahrt zurück zum Kontinent, in das Reich ihres Onkels, konnte nicht mit einem der kleinen Boote der Wassergänger bewältigt werden. Es war eine Überfahrt ohne Wiederkehr und entsprechend brachte ihr Vater einiges Gepäck mit auf die Reise.

Rahel schluchzte leise.

Ihr Vater hatte die Reise noch herauszögern wollen. Doch sie war weit vor Denaz‘ Tod geplant gewesen und Rahel wusste, dass ihr Vater an die Seite seines schwerkranken Bruders gehörte, um dessen Regierungsangelegenheiten zu übernehmen. Ihr Vetter sah sich, laut der Korrespondenz die seine Mutter mit äußerster Dringlichkeit an ihren Schwager gerichtet hatte, nicht in der Lage, seinen Vater zu vertreten.

Rahel hatte aus den Antworten ihres Vaters herausgelesen, dass er gewillt war, dort so lange zu bleiben, wie nötig. Rahel ging nicht davon aus, ihren Vater wiederzusehen. Wenn überhaupt, dann würde sie ihn vermutlich erst wieder hier in Rogdan begrüßen, wenn Rul, ihr Sohn, älter war. Sofern sich der Zustand ihres Onkels zum Besseren kehrte oder ihr Vetter seine wie auch immer gearteten Hemmnisse überwinden und die Regierung übernehmen konnte.

Es würde eine Zeit sein, da der Schmerz um Denaz‘ Tod sie nicht mehr so lähmte.

So traurig wie sie die Abreise ihres Vaters stimmte, so erleichtert war sie gleichzeitig, gestand sie sich stumm ein. Rahel seufzte, wischte sich energisch die Wangen trocken und drehte sich auf dem Absatz um.

Nach der bedeutendsten Veränderung in ihrem Leben, dem Tod ihres Mannes, des Vaters ihres Sohnes, war die Trennung von ihrem eigenen Vater ein beinahe angenehmes Übel. Rahel hatte sich immer als starke und selbstbestimmte Frau empfunden. Vor allem, seit ihr Vater ihr zugestanden hatte, abseits von höfischen Gepflogenheiten zu leben. Als er ihr erlaubte, eine Flamme der Garde zu sein. Zu heiraten, wen sie liebte.

Doch nachdem Denaz nicht mehr war, hatte ihr Vater sie wieder mehr und mehr eingeengt. Stets hatte er dabei ihr Bestes im Sinn gehabt, und Rahel war ihm für seine bedingungslose Unterstützung sehr dankbar. Doch hatte sie immer stärker das Gefühl verspürt, kaum noch frei atmen zu können, und bemerkt, wie man auch ihrem Sohn die Luft nahm. Jegliche Freiheit, sich zu entwickeln. Rul würde seinen eigenen Weg gehen und Rahel würde nicht aufhören, ihm von seinem großartigen Vater zu berichten. Von allen seinen heldenhaften Taten, ihrer Rettung aus Steinmauls Gefangenschaft zum Beispiel. Aber natürlich auch von Denaz‘ Ängsten. Von seinem Starrsinn. Doch vor allem seiner Liebe.


Rahel ging gemächlich den Hafenweg entlang, der sie geradewegs zum Marktplatz führte.

Nun war sie die Herrscherin Rogdans.

Rogdan hatte nach dem zweiten großen Angriff Steinmauls und seiner Armee aus Felslingen keine größeren Kämpfe gegen die Wesen aus der Steinwüste mehr erleben müssen. Ohne ihren König, der sie manipuliert hatten, so sehr, dass er ihre Zügel wie Marionettenfäden in seinen großen Händen hielt, waren die Felslinge wieder zu dem planlosen Haufen Gestein geworden, das sie zuvor gewesen waren. Ihren wenigen Ausfälle gegen die Stadt machte die Flammengarde den Garaus, weit bevor sie irgendeinen Schaden anrichten konnten. Rogdan lebte in einer Art Frieden.

Ein Frieden, der Rahel das Liebste gekostet hatte.

Der Marktplatz kam in Sicht und Rahel hörte bereits die ersten Händler, die ihre Waren anpriesen, als sie noch dutzende Schritte entfernt war. Diesen Platz hatten die Händler gegründet, als die ersten Güter des Kontinents überführt und der rege Tausch von Waren beliebter und umfangreicher wurde.

Rahel überlegte, sich mitten in das Getümmel zu stürzen, um sich etwas abzulenken. Doch ihr schweres Herz machte ihre Beine beim bloßen Gedanken an die vielen Menschen träge, die ihr erneut ihr Bedauern bekunden und sie nunmehr auch nach dem Weggang ihres Vaters fragen würden. Das konnte und wollte sie heute nicht durchstehen müssen. Sie entschied, den Markt unweit zu umgehen, nur die Geräusche und das Treiben einzufangen und mitzunehmen in die neue Art ihres Alleinseins. Tatsächlich blieb sie in Sichtweite, erkannte Gewürzfrauen, Händler für Tonwaren, Obst und Gemüse und eine Tuchfrau, die ihre Waren an ihrem Rock und einem Gestell um ihre Schultern drapiert hatte. Immer wenn sie sich einem möglichen Käufer zuwandte, wogte eine Welle aus Farben um sie herum, die vom Sonnenlicht beleuchtet wurde.

Kurz war Rahel versucht, sich doch auf den Markt zu bewegen, um eines der satt rot leuchtenden Tücher zu erstehen, da entdeckte sie jemanden, der ihre Beine mit einem Mal zu Stein werden ließ. Rahel konnte nur starren.

Atmen.

Rahels Gedanken setzten einen Augenblick lang aus. Seit Wochen war sie Nahana aus dem Weg gegangen und ausgerechnet jetzt sah sie die junge Flamme wieder. Einen Arm bei ihrer Ziehmutter untergehakt, schlenderte sie an Lavjas Seite über den Markt. Als sie bei der Händlerin mit den schönen Tüchern innehielten und Nahana ihre Hand nach einem der roten ausstreckte, die Rahel gerade eben noch bestaunt hatte, kam wieder Leben in Rahels Körper. Ihr Atem beschleunigte sich, während ihre Beine sich endlich wieder bewegten und sie vom Markt fortbrachten.

Sie hat es nicht gewusst, es ist nicht ihre Schuld.

Rahel wiederholte diese Worte in ihrem Kopf. Immer und immer wieder. Mit jedem Schritt stob eines der Worte in ihr empor, und doch schaffte es dieses Mantra nicht, sie zu beruhigen. Hatte es noch nie geschafft. Immer wieder hatte sie in ihrem Zimmer in eines ihrer Kissen beißen müssen, vor lauter Wut, die sie nicht herausschreien durfte.

Plötzlich ruckte Rahels Kopf herum. Wenn sie sich ein wenig weiter nach Süden wandte, würde sie sehr bald an die Grenze zur Wüste gelangen. Dort konnte sie schreien … Wieso war ihr das bisher nie in den Sinn gekommen?

Sie beschleunigte ihre Schritte. Ihr Mantra verstummte, anstelle der Wörter fluteten nun Bilder ihren Geist.

Bilder von Denaz. Es stach sie mitten ins Herz, und immer, wenn sie blinzelte, sah sie Denaz in einem anderen Moment seines Lebens vor sich. Wie er lachte. Seine Klingenstäbe schwang. Rul das erste Mal auf dem Arm hielt. Nur kurz. Denn zu diesem Zeitpunkt ging es ihm schon schlechter.

Wie Denaz, zu einem früheren Zeitpunkt, auf dem Boden lag und seine Retterin Nahana über ihm kniete.

Rahel entfuhr ein trockenes Schluchzen. Retterin.

Versengt hatte sie ihn. Mit Haut und Haar. Langsam.

Rahel fühlte seinen letzten Kuss auf ihrer Wange nachhallen, als hätten seine Lippen sie erst wenige Augenblicke zuvor berührt. Ein gehässiger Diener des Schicksals hatte ihn ihr genommen, obwohl nach seiner Heilung durch Nahana im Kampf gegen Steinmaul vor einigen Jahren alles in bester Ordnung schien.

Nichts war in Ordnung gewesen. Doch wie hätten sie es vorhersehen sollen?

Hätten sie doch damals nur schon gewusst, dass Nahanas Feuer jeden, den es berührte, trotzdem verzehrte. Wie es nun einmal die Natur eines Feuers war. Nur viel langsamer, als Rahels Flamme oder die Feuer der Flammengarde es taten. Gemächlich. Nicht so gewaltig, punktuell und rasch.

Denaz war von innen heraus verglüht. Rahel trieb die Vorstellung des Gefühls des Verbrennens einen Schauer über den Rücken. Das war etwas, was sie überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Zu verbrennen schien ihr so absurd, dass sie nie die Möglichkeit in Betracht gezogen hätte, dass Denaz Beschwerden darauf zurückzuführen sein könnten.

Und die Heiler waren ebenfalls ratlos gewesen.

Rahel schritt noch schneller aus, erreichte endlich die Grenze zur Wüste. Still war es hier. Niemand zu sehen.


Die Königin von Rogdan fiel auf die Knie und schrie ihren Schmerz aus vollem Hals hinaus in die Stille. Sie schrie so lange, dass ihr Hals begann zu kratzen und ihre Augen zu tränen begannen.

Ihr Mann war tot. Weil sie alle geglaubt hatten, dass Feuer etwas zu tun vermochte, dass nicht in der Natur des Feuers lag. Weil sie alle blind gewesen waren für das, was das Feuer ausmachte. Dass es sich labt am Leben. Dass es verzehrt. Auffrisst. Bis es dann selbst stirbt, weil es alles Leben verschlungen hat.


Erst nach einer gefühlten Ewigkeit, als die Flut von Bildern aus Denaz‘ Leben in Rahels Kopf zur Neige ging, erhob sich die Königin.

Rahel würde Nahanas Nähe niemals ertragen können. Und auch wenn der Tod Denaz‘ für das Mädchen schon schwer genug war, musste es nun zusätzlich mit der Tatsache leben, dass Rahel ihr wohl niemals verzeihen würde.

Aber Rahel musste den Tod ihres Mannes überleben. Für ihr Volk. Für ihren Sohn.

Er war ihr Leben. Denaz‘ Vermächtnis. Rogdans Hoffnung.


Prolog


Die Alarmglocke dröhnte. Steinmaul Steinfresser brauchte keine zwei Herzschläge, um alles stehen- und liegenzulassen und die Prinzessin aufzusuchen. Schnell, aber bedachtsam eilte er durch die Gänge des Palasts, in denen nun Türen geöffnet wurden und Menschen in Richtung Schutzraum liefen.

An der Schlafzimmertür der Prinzessin hielt Steinmaul sich nicht lange damit auf, höflich anzuklopfen, sondern riss die Tür mit Schwung auf. Prinzessin Rahel erwartete ihn schon. Sie sah ihm strahlend entgegen und streckte die dünnen Ärmchen nach ihm aus.

„Na, Kleines, hast du mich schon erwartet?“, fragte er sanft und hob das Kind auf seine steinernen Arme.

Rahel schmiegte sich an ihn und antwortete: „Ja! Sobald der Alarm ertönt, holst du mich und wir gehen in den Bunker.“

Steinmaul nickte. So war es immer gewesen. „Damit du in Sicherheit bist, kleine Prinzessin“, sagte er, legte ihr fürsorglich eine Hand auf den Rücken und verließ das Zimmer.

Auf dem Flur befanden sich nur noch einige Nachzügler, denen Rahel zurief: „Geht in die Schutzräume! Hört ihr denn den Alarm nicht?“

Steinmaul spürte ein Lächeln auf seinem Gesicht. Sie klang bereits wie eine zukünftige Herrscherin.

Die Menschen lächelten angesichts des eifrigen kleinen Mädchens und beeilten sich, mit dem Steinriesen Schritt zu halten. Die Anordnung des Königs war unmissverständlich: Beim Alarm mussten alle, die nicht kämpfen konnten, die Schutzräume aufsuchen. Falls doch einer der Felslinge aus der Wüste durchbrach und die Garde in der Stadt kämpfen musste, waren die Schutzräume die einzige Überlebensoption.

Auch wenn solch ein Kampf noch nie zu schweren Verlusten Rogdans geführt hatte, unterschätzten die Verteidiger ihre Gegner nicht.

An jedem Fenster, an dem der Riese die Prinzessin vorbei trug, versuchte Rahel, einen Blick nach draußen zu erhaschen, die Flammen Rogdans zu sehen, die Seite an Seite mit den Kriegern kämpfen würden. Als sie tatsächlich eine Frau entdeckte, die bereits halb in Flammen stand, quietschte sie vergnügt auf und deutete mit dem Finger auf die Frau. „Sieh Steinmaul, da! Da ist eine!“

Steinmaul lenkte sanft ihren Arm nach unten und hielt sie enger an sich gedrückt.

„Man zeigt nicht auf andere, Rahel. Das gehört sich nicht. Schon gar nicht für eine Prinzessin!“ Er lächelte trotz des Tadels, auch wenn ihm eigentlich nicht nach Lächeln zumute war. Die Vorstellung, dass die Prinzessin in wenigen Jahren möglicherweise eine Flamme Rogdans würde, behagte ihm nicht.

Noch immer wandte sich ihr Kopf jedem Fenster zu und ihre Begeisterung stieg, als sie weitere Mädchen und Frauen der Garde erblickte. Steinmaul spürte einen unbestimmten Druck auf seiner Brust. „Reicht es dir nicht, eine Prinzessin zu sein?“, fragte er unvermittelt und erntete einen bösen Blick, der ihn wohl in seine Schranken weisen sollte, jedoch eher niedlich als belehrend wirkte. Trotzdem tat er so, als fühlte er sich zurechtgewiesen und neigte leicht den Kopf, als Rahel sich wehrte: „Aber die Mädchen und Frauen der Garde sind wundervoll!“ Ihre Augen glänzten. „Sie sind stark und können kämpfen. Ich will auch unbedingt eine Flamme sein, Steinmaul!“ Sie verrenkte sich fast ihren kurzen Hals, um auch noch aus dem letzten Fenster des Gangs sehen zu können.

Steinmaul betrat die Treppe nach unten und seufzte lautlos.

„Glaubst du, ich werde eine Flamme?“, fragte Rahel leise und schmiegte sich vertrauensvoll an ihren felsigen Beschützer, während er die Stufen nahm.

Steinmaul antwortete nicht sofort. Er verließ den Palast durch den tief in der Erde liegenden Gang, der zum Schutzraum führte.

„Du kannst alles werden und schaffen, was du möchtest, aber ob du eine Flamme Rogdans wirst, das kann niemand entscheiden“, antwortete er auf ihre Frage. Sie erreichten den Schutzraum. Als er die schwere Tür aufstieß, richteten sich alle Augen auf ihn und die Prinzessin.

Er ignorierte die Blicke und ging mit Rahel auf dem Arm zu einem der aufgestellten Betten, um die Prinzessin abzusetzen. Sie sah freundlich in die Runde, und die Menschen lächelten sie an, doch niemand sprach mit ihr oder kam auf sie zu. Dabei waren etliche Kinder hier.

Steinmaul schnaubte. Als könnten sie nicht einfach normal mit dem Mädchen umgehen.

Einen kurzen Augenblick noch sah Rahel erwartungsvoll und ebenfalls lächelnd zu den übrigen Menschen, die hier Schutz gesucht hatten, doch als keiner auch nur einen Schritt auf sie zu machte, erlosch die Fröhlichkeit, und sie kletterte vom Bett auf Steinmauls Schoß. Dünne Arme und kleine Hände schoben sich über den festen Stein seiner Schultern, dann klammerte sich Rahel so fest an ihn, wie sie konnte.

Beruhigend strich er ihr über den Rücken.

Ein Knall zerriss die Stille. Irgendwo über ihnen, vor den Toren des Palasts, waren die Felslinge auf die erste Feuersalve getroffen.

Steinmaul sah einige Kinder zusammenzucken und sich ängstlich an ihre Mütter kauern. Er erkannte die gleiche Angst in den Augen der Eltern, die offenbar nur schwer selbst Ruhe bewahren konnten.

Als erneutes Donnern ertönte, fing das erste Kleinkind an zu weinen.

Noch immer streichelte Steinmaul der Prinzessin über den Rücken. Sie hatte nicht einmal gezuckt, als der Kampflärm ertönte. Jetzt, als sie sich von ihm löste und ihn ansah, sah er ein breites Lächeln auf ihrem Gesicht. Sein Blick flog durch den Schutzraum, blieb kurz an einigen furchtverzerrten Gesichtern hängen. Er räusperte sich vernehmlich, rückte Rahel auf seinen Schoß, so dass sie sich mit dem Rücken an ihn lehnte, und dann sprach er so laut mit ihr, dass einige der Anwesenden neugierig aufsahen.

„Prinzessin, erzähl mir von der Feuergarde“, bat er.

Er bemerkte das winzige Lächeln einer Frau aus den Augenwinkeln.

Rahel blinzelte. „Flammengarde“, verbesserte sie ihn.

Steinmaul lächelte entschuldigend.

Das Mädchen legte begeistert los: „Die Flammengarde ist die stärkste Waffe Rogdans im Kampf gegen unsere Feinde. In uns brennt ein Feuer, ab dem Augenblick, in dem wir geboren werden. Das hat mir Papa erzählt.“

Steinmaul nickte. Viele der jüngeren Kinder starrten jetzt gebannt auf die Prinzessin, während sie weiter erzählte: „In einigen Mädchen brennt diese Flamme so stark, dass sie selbst Feuer sind! Und dann werden sie ausgebildet. Müssen mit den Kriegern kämpfen und uns beschützen.“

„Und, glaubst du, dass sie das können?“, fragte er sanft, während er Rahel eine Strähne aus der Stirn strich. Heftiges Nicken antwortete ihm.

Ein Knall, gefolgt von einem dumpfen, fernen Grollen drang durch die Wände des Schutzraums, und viele schlugen sich die Hände über die Ohren.

Steinmaul jedoch hatte nur Augen für Rahel, die überhaupt nicht ängstlich erschien und gebannt auf die Geräusche lauerte, die noch folgen könnten.

Plötzlich sah sie ihn an. „Hast du auch Angst?“, fragte sie leise.

Steinmaul schüttelte den Kopf.

„Ich auch nicht“, wisperte sie vergnügt und schlug sich eine Hand vor den Mund, um ihr Kichern zu unterdrücken.

Eine Weile blieb es still. Rahel wurde immer unruhiger. Plötzlich lehnte sie sich vor und flüsterte: „Lass uns gucken gehen! Bitte!“ Sie hatte ihre Hände vor der Brust gefaltet und sah ihn flehend an. „Bitte, Steinmaul, ich muss sie sehen!“

Irgendwie hatte er das untrügliche Gefühl, dass das von Anfang an ihr Plan gewesen war, und er wusste nur zu gut, dass er seiner Prinzessin nicht viel entgegen zu setzen hatte. Dennoch versuchte er es.

„Das geht nicht. Hier sind wir in Sicherheit.“

„Aber mit dir als meinem Beschützer bin ich doch überall sicher, Steinmaul.“ Jetzt lächelte Rahel dieses zuckersüße Lächeln, welches er auch immer dann sah, wenn ihr Vater kurz darauf nicht in der Lage war, ihr einen Wunsch abzuschlagen. Eigentlich hatte sie ja Recht. Er würde sie beschützen, mit seinem Leben. Außerdem würden die Felslinge vermutlich nicht einmal in die Nähe des Palasts kommen.

„Nein“, sagte er dennoch. Er hatte seine Befehle.

„Och, bitte! Bitte“, flehte sie nun eindringlicher, und legte ihre kleinen Hände an seine steinernen Wangen.

Er spürte seine harte Haltung bröckeln.

„Bitte, lieber Steinmaul. Ich muss sie sehen!“ Ihre Finger an seinen Wangen übertrugen ihre Nervosität auf ihn. Ihr Hibbeln drang in seinen Geist, und er wusste, er hatte verloren. Zu gern wollte er selbst den Angriff mitverfolgen, nur einmal sehen, mit welcher Gegenmacht Rogdan zu kämpfen hatte und nicht im Bunker Kindermädchen spielen. Wenn er Rahel einfach mitnahm, konnte er trotzdem für ihre Sicherheit garantieren.

Steinmaul warf einen kurzen Blick in die Runde, doch die Erwachsenen und Kinder waren wieder völlig mit sich selbst beschäftigt. Er hob Rahel behutsam hoch und presste sie an seine Brust, während er langsam aufstand und zur Tür ging.

Er drehte sich nicht um, doch er konnte die Blicke aller im Rücken spüren, als er mit seiner kostbaren Fracht im Arm den Schutzraum verließ.

Rahel quietschte. Schnell legte Steinmaul ihr einen Finger über die Lippen. „Ruhig! Wir suchen uns ein Fenster und passen auf, dass uns niemand sieht“, sagte er.

Sie nickte, und er nahm seinen Finger zurück. Sofort schlangen sich Rahels Arme um seinen Hals und sie drängte sich an ihn.

Er spürte ihr aufgeregtes Beben, als sie ihm beinahe tonlos ins Ohr flüsterte: „Du bist der Größte, Steinmaul! Danke! Wenn ich einmal groß bin, dann heirate ich dich!“

Der Riese lächelte und legte der Prinzessin sanft eine Hand auf den Rücken. „Natürlich“, sagte er.

Er erreichte ein Fenster, von dem aus sie einen guten Blick auf die Ebene vor der Stadtmauer haben würden. Da waren sie: die Flammen Rogdans, die Krieger und ihre gefürchteten Gegner, die Felslinge.

Alles um die Garde vibrierte, und Rahel atmete scharf ein, als sie dieses Schauspiel von Luft und Hitze wahrnahm. „Schau, da“, sagte sie leise und deutete mit dem Finger auf die Stelle vor ihnen, bevor sie sich besann und die Hand wieder herunter nahm. „Entschuldigung“, murmelte sie.

Steinmaul beugte sich vor. Vier Gardistinnen, vier Krieger, und ihnen gegenüber machte er acht Felslinge aus. Vor den lauernden Feinden türmten sich zur Unkenntlichkeit verschmolzene Felsklumpen auf, die möglicherweise früher einmal Felslinge gewesen waren. Noch ehe Steinmaul überdenken konnte, dass Rahel diesen Kampf vielleicht doch besser nicht sah, griffen die Felslinge erneut an. Vier von ihnen preschten vor.

„Keine Koordination des Angriffs“, erkannte Steinmaul, als die angreifende Gruppe sich trennte und jeder Gegner scheinbar tat, was er wollte, ganz gleich, wie ineffektiv dies sein mochte. Während einer versuchte, die Krieger zu umgehen und die Flammen direkt zu erreiche, rannten die anderen direkt in die Klingenstäbe der Krieger, die nur wenige Herzschläge brauchten, um die aus einzelnen Felsen bestehenden Feinde auseinander zu hebeln und unschädlich zu machen.

Plötzlich fing einer der Krieger Feuer – eine der Flammengarde hatte seine Kraft nicht unter Kontrolle gehabt und statt des angreifenden Felslings den daneben stehenden Mann in Flammen gesetzt.

Sofort warf sich der Krieger auf den Boden, wälzte sich herum. Diese Lücke in der Verteidigungslinie der Männer nutzte der angreifende Felsling und hielt direkt auf das Mädchen zu, das noch immer stumpf auf den Krieger starrte. Als der Felsling zum Hieb ausholte, schien sich das Feuer wie ein Schild vor dem Mädchen aufzubauen, um sie vor dem Schlag zu schützen.

Rahel sah fasziniert zu. Keine Spur von Angst oder Unverständnis. Als wäre dies nicht das erste Mal, dass sie die Garde in Aktion sah und als wäre dieser Kampf geeignet, von einer Fünfjährigen angesehen zu werden. Aber auch Steinmaul konnte den Blick kaum zwei Herzschläge vom Geschehen nehmen, vermochte nur für Augenblicke an Rahel zu denken. Er kam nicht oft dazu, den Kämpfen zuzusehen.

Die Felslinge waren in ihrer Anzahl immer überlegen gewesen. Soweit sich Steinmaul zurückerinnern konnte, griffen sie stets zu Dutzenden an, doch bisher vermochte das Feuer ihre Überzahl immer wett zu machen. Sie schienen keinerlei Strategie zu besitzen, warfen sich einfach gegen die Stadt, das Feuer und die Krieger und verzeichneten dabei Verluste, von denen jeder Mensch gedacht hätte, dass sie sie irgendwann doch zur Vernunft bringen mussten.

Aber nein. Seit Jahren griffen die Felslinge immer wieder an. Stur. Engagiert. Steinmaul kam nicht umhin, ihnen für ihre Verbissenheit Respekt zu zollen. Auch, wenn bis zum heutigen Tag niemand wusste, warum die Felslinge überhaupt angriffen. Ob es ihnen einfach nur missfiel, dass König Funem sich mit seinem Königreich hier niedergelassen hatte, unweit der Grenze zur Felswüste? Reine Mutmaßung.

Der Krieger, der sich am Boden umher gerollt hatte, um das zündelnde Feuer zu ersticken, kam in diesem Augenblick wieder auf die Beine. Zornesrot drehte er sich um, und Steinmaul erkannte den Hauptmann der Männer.

Der Felsling, der gegen den feurigen Schild der Flammen nichts ausrichten konnte und langsam zurückwich, wurde mit einem wütenden Schrei auf die Klingenstäbe gespießt und fiel wenige Augenblicke später in seine Einzelteile zerlegt zu Boden.

Der Krieger drehte sich wieder um, schien seinen Männern etwas zuzurufen. Dann hob der Hauptmann seinen rechten Arm, in dem er noch immer den Stab hielt und deutete auf die zurückgebliebenen Felslinge. Doch noch bevor er und seine Männer sich in Bewegung setzen konnten, flohen die Felslinge.

„Unsere Krieger!“, flüsterte die Prinzessin voller Stolz, und Steinmaul vermochte bloß zu nicken.



Kapitel 1


Sechs Jahre später


Die Nacht war kalt. Nebel fluteten die Ebene um Rogdan und mischten sich mit dem Holzrauch der Herdfeuer. Rogdan hatte sich auf den Winter vorbereitet. Die Ernten waren eingefahren und das Holz reichlich aufgestapelt.

In der Stadt rührte sich nichts. Kein Mann durchstreift die nächtlichen Gassen, keiner der sonst allgegenwärtigen Gassenhunde wagte sich aus seinem warmen Schlafplatz. Langsam zog die Nacht vorbei, wanderte der Mond über das Himmelszelt und erleuchtete die Stadt unter sich. Sein Licht brach sich im feinen Nebel und tauchte die Umgebung in ein mildes Licht.

Laub wehte im sanften Wind und schlug, zart wie Federn, gegen das eisenbeschlagene Tor des Palasts.

Der Wachposten auf dem zweiten Wachturm zog fröstelnd die Schultern hoch. War das schon kalt heute! Sein Blick wanderte verlangend in Richtung der immer warmen Küche. Aber deren Fenster war noch dunkel. Die Küchenmagd schlief vermutlich wohlig, in dem Bewusstsein, dass ihr Schlaf gut bewacht wurde. In wenigen Stunden jedoch würde sie eine der Ersten sein, die auf den Beinen waren, ihr Tagwerk begannen. Dann würde es auch Futter für die Tiere im Stall nahe der Küche geben.

Hoch oben in den Wohngemächern der königlichen Familie saß König Funem, die Augen geschlossen und leise schnarchend, in dem großen Ohrensessel, der im Zimmer seiner Tochter Rahel stand. Seine Linke hielt auch im Schlaf noch die viel kleinere Hand des Mädchens. Rahel lag nassgeschwitzt und leichenblass in ihrem Bett.

Ihr Vater hatte ihr die Decke bis zu den Ohren hochgezogen und unter den Schultern festgesteckt. In den vergangenen Nächten hatte sie sich immer wieder freigestrampelt. Ihr Fieber liebte es, sich an den nun beständig kühler werdenden Temperaturen der Nacht zu nähren. Die Heilkundigen hatten empfohlen, Rahel so warm wie möglich zu halten, damit sie das Fieber ausschwitzen konnte. Lange hielt ihr kleiner Körper diese Tortur sonst sicher nicht mehr aus.

Vor drei Tagen war sie krank geworden.

Schon am Morgen war es Rahel schwergefallen, aufzustehen. Ihre Beine hatten gezittert, und als sie versucht hatte zu gehen, gaben sie nach wenigen Schritten nach.

Am Abend war dann das Fieber gekommen. Schnell und unbarmherzig hatte es Besitz von dem Kind ergriffen. Egal, was versucht wurde, um das Fieber zu senken – von Wadenwickeln bis zu einem Eisbad – nichts erleichterte den Zustand der Prinzessin. Und Rahel ging es immer schlechter.

Funem hatte sich seit letzter Nacht nicht mehr von ihrem Bett entfernt. Er war viel zu besorgt um sein kleines Mädchen, das mit dem Tod rang. Alle Symptome deuteten darauf hin, dass Rahels Körper sich auf das Erwecken der Flamme vorbereitete, aber die Heftigkeit ihrer Reaktion überraschte alle.

Der Heilkundige, der lautlos das Zimmer der Prinzessin betrat, schritt näher und blieb am Fußende des Bettes stehen, aber so leise er auch war, Funem schreckte doch aus seinem Schlaf hoch.

„Herr, ihr wisst, was mit eurer Tochter geschieht?“

Funem wandte den Blick nicht von Rahel ab. Natürlich wusste er was geschah. Die Erweckung der Flamme – ein Ereignis, welche die Mädchen von Rogdan durchlebten, wenn ihre Lebensflamme erwählt worden war, stärker zu brennen als die der anderen. „Ja“, sagte er und fuhr sich müde mit der Hand über die brennenden Augen. „Natürlich kenne ich die Symptome. Aber noch zu keiner Zeit gab es Berichte über eine solche kraftraubende Zeit vor der Verwandlung.“

„Nun, Herr“, begann der Heiler zu dozieren, Funems Worte ignorierend. „Wird ein Mädchen ausgewählt, eine Flamme zu sein, wird sie in Zukunft als lebendige Fackel leben.

Ein jeder Mensch birgt in sich einen Lebensfunken. Wächst der Mensch, wächst das Feuer in ihm. Ist es erst ein winziger Funken in einem Neugeborenen, kann es viele Jahre später eine starke, glühend heiße Flamme sein, die den jungen Menschen von innen heraus leuchten lässt, ihn mutig macht, ihm überhaupt das Leben ermöglicht.

Einige Lebensflammen wachsen mehr als andere. Werden stärker, brennen heißer. So heiß, dass die meist noch jungen Körper nicht mit dem Feuer umgehen können. Das ist das Fieber.“

Funem nickte müde.

„Das Feuer versucht mit aller Macht, den Menschen an seine Kraft zu gewöhnen. Manchmal dauert es nicht lange, manchmal jedoch ist es ein Kampf um Geist und Körper. Eure Tochter ist stark, Herr.“

„Ich dankte euch“, sagte Funem mit schwerem Seufzen. Der Heilkundige nickte und verabschiedete sich wieder. Der König wusste, dass die Heilkundigen hier nicht wirklich helfen konnten, dass auch sie nur warten konnten. Darauf, ob der Tod über die Schwelle dieses Zimmers trat und seine Tochter fortnahm, oder ob wahrlich die Kraft in ihr erwachte, die aus ihr eine wandelnde Flamme machte.

Plötzlich zuckte Rahels schmale Hand unkontrolliert in der seinen. Besorgt beugte Funem sich über seine Tochter. Seine Augen weiteten sich, als er das Beben wahrnahm, ein Rütteln, das ihren Körper vom Scheitel bis zum kleinen Zeh durchlief, ohne das Kind zu wecken.

Rahels Augen flogen hinter ihren geschlossenen Lidern hin und her, heftig stieß sie ihren Atem aus, nur um gleich darauf wie eine Ertrinkende nach Luft zu schnappen. Ihre Gliedmaßen zuckten immer heftiger, und ihre Hand rutschte aus Funems Griff.

„Rahel“, flüsterte der König leise und wich ein paar Schritte zurück. Er wusste ihr nicht zu helfen und war, trotz allem was er sich an schlimmen Dingen ausgemalt hatte, die ihr widerfahren konnten, entsetzt über ihren Zustand. Nur in einem war er sich sicher: So sah sterben nicht aus.

Mittlerweile bewegte sich unter den heftigen Bewegungen Rahels sogar das schwere Holzbett. Das junge Mädchen bäumte sich wieder und wieder auf, kaum dass ihre Schulter für ein oder zwei Herzschläge mal das Laken berührten. Ständige Bewegungen, die immer mehr an Kraft gewannen.

Einen Wimpernschlag lang glaubte Funem sogar, Rahel schweben zu sehen. Dann brach Hitze im Raum aus, so massiv, dass der Schweiß auf Funems Stirn mit einem leisen, platzenden Geräusch verdunstete.

Mittlerweile flirrte die Luft förmlich. Funem war, als könne er um Rahel eine Art Schimmer ausmachen. Dann verschwammen ihre Umrisse.

„Rahel!“ Der König schrie auf, versuchte, wieder näher an seine Tochter heranzukommen. Die Hitze versengte ihm die Augenbrauen, und er stockte, um dann, vor Schmerz kapitulierend, wimmernd zurückzuweichen. „Nein! Rahel!“

Die Tür wurde aufgerissen, und Xaan, der Hauptmann der Wache, stürmte hinein, gefolgt von seinem Sohn Denaz. Als die Hitzewelle ihn traf, erbleichte der Junge und wich augenblicklich zurück, während Xaan sich vorwagte, sich den König unterhakte und ihn mit sich zurückzog, weg von Rahel.

„Nein, meine Tochter!“, japste der König hustend.

„Bitte, Herr“, keuchte Xaan, während er sich bemühte, Funem festzuhalten und ihn daran zu hindern, erneut zu seiner Tochter zu laufen. „Ihr habt euch bereits verbrannt, Herr!“ Xaan hustete. „Zum Ausgang, Denaz!“, rief er seinem Sohn zu. Der Junge sprang zurück zur Tür, hielt dort aber inne, als er ein Wimmern hörte. Er drehte unwillkürlich den Kopf und schaute zurück zu Rahels Bett. Der Anblick des Mädchens bannte den Blick des Jungen, der sich nur widerstrebend Schritt für Schritt von der Hitze zurücktreiben ließ.

Funem versuchte erneut, sich aus dem Griff seines Hauptmanns zu lösen. Er musste bei Rahel bleiben! Doch Xaan ließ ihn nicht los und zog ihn bis zur Tür.

„Aber-“, protestierte der König. Ein markerschütternder Schrei unterbrach ihn.

Funems Blick flog zu Rahel, Xaans Griff lockerte sich. Das Glimmen hatte sich eng um Rahel zusammengezogen. Ihre Augen waren weit geöffnet, ihr Mund zu dem mittlerweile verklungenen Schrei verzogen. Später würde Funem sagen, dass ihm dieser Anblick fast das Herz gebrochen hatte. So schrecklich wie in diesem Moment hatte er sich noch nie gefühlt.

Nur Augenblicke waren seit dem Schrei vergangen.

Eine Glutwelle zog von Rahels Füßen über ihre Beine, spülte über ihren Bauch und umschloss ihren Kopf, während sie sich auf ihre Arme ausbreitete und schließlich in ihren Händen endete. Sie wurde stärker, Rahels Umrisse verschwammen, die Hitze im Raum wurde unerträglich. Keuchend wichen Funem und Xaan zurück, bis sie bei Denaz in der Tür standen und alle wie gebannt auf Prinzessin Rahel sahen.

Dann kamen die Flammen.

Zaghaft leckten sie aus ihren Fingerkuppen hervor, fraßen sich regelrecht aus ihnen heraus und gingen langsam auf die Hände über. Keinen Herzschlag später waren auch Rahels Arme von Flammen überzogen. Sie griffen auf Kopf, Rücken und Brust über, streute auf die Beine und umschloss Rahels Füße. Es sah aus, als ob sie bei lebendigem Leibe verbrannte.

Funem streckte flehentlich die Arme aus. „Rahel“, flüsterte er heiser, doch erneut näher zu treten, wagte er nicht.

Als hätte seine Tochter ihn gehört, richtete sie sich auf und entspannte sich. Während Rahel aufstand, zerfiel unter ihr das Bett zu Glut und Asche. Sie machte einen Schritt auf ihren Vater zu.

Funem spürte die gefährliche Hitze, die auf seiner bereits verbrannten Gesichtshaut und auf den Händen schmerzte. Er konnte nichts sagen, kein Ton kam über seine trockenen Lippen, und trotzdem brachte er es nicht über das Herz, vor seinem Kind zurückzuweichen.

Dann ließ die Hitze plötzlich nach.