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Architektur
in Wels

1900 — 2015

Stefan Groh, Lorenz Potocnik

Inhalt

Vorwort

1900 – 1909

1910 – 1919

1920 – 1929

1930 – 1939

1940 – 1949

1950 – 1959

1960 – 1969

1970 – 1979

1980 – 1989

1990 – 1999

2000 – 2009

2010 – 2015

Biografien

Straßen

Architekten

Literatur

Poster

Impressum

Hermann Muthesius: „Haus Ploberger“ – Vorbild, Solitär und Statement

Daniel Resch

Mein Wels

Dietmar Steiner

Welser West Side Story – „Brennpunkt“ Noitzmühle

Thomas Rammerstorfer und Philipp Müller

Identitätskrise! Muss Wels wirklich auf die Couch des Psychiaters?

Friedrich M. Müller

Die Stadt in der Stadt

Gerald Polzer

bRRRRRRR – Leben wie ein Pferd in Wels

Norbert Trawöger

Über Größe und Kleinheit in Wels. Leben in Zeiten der permanenten Städtebewertung

Georg Wolfmayr

Kulturzentrum mitten in Wels

Günter Mayer

Wels, ein Schmuckstück im Zwischenreich

Dominika Meindl

Wels 1900 – 2015 in 113 Gebäuden

Stefan Groh und Lorenz Potocnik

Begonnen haben wir vor fast drei Jahren, praktisch bei null. Diesen Welser Architekturführer zu machen war anfangs nur eine Idee, die aber sehr bald immer konkreter wurde; gerade die vielen kleinen und unerwarteten architektonischen Überraschungen auf unseren ersten Erkundungsgängen durch die Stadt haben uns begeistert und gereizt.

Die Suche ist schnell zu einer kompletten Bestandsaufnahme angewachsen, der wir uns auf verschiedenen Ebenen angenähert haben. Zuerst haben wir die Stadt in fünf große Felder geteilt, eigentlich gevierteilt mit der Altstadt in der Mitte – Bahngleise und große Straßen gaben die Grenzen vor. In diesen fünf Teilen sind wir dann – ob Sie es glauben oder nicht – in rund 40 Tagen jede Straße abgefahren und -gegangen. Nachdem eine grobe Auswahl getroffen war, haben wir uns in vorhandene Literatur vertieft, Stadtführer, Architekturmonografien oder etwa 115 Jahre der „Welser Zeitung“ (ab 1989: „Rundschau“) in der Nationalbibliothek gelesen – auch, um die Bauten aus der jeweiligen Zeit und dem lokalen Zeitgeist heraus besser verstehen zu können. Die dritte Ebene waren viele Gespräche – mit Architektinnen und Architekten, Historikerinnen und Historikern oder Bewohnerinnen und Bewohnern der Stadt.

Dem Zufall haben wir die Suche und die vorliegende Auswahl also nicht überlassen, anders ging das in Wels aber auch kaum, zu wenig wurde im 20. Jahrhundert, aber vor allem in den letzten 50 Jahren dokumentiert und publiziert. In der Hektik der Wirtschafts- und Handelsstadt Wels ist eine ganze Epoche nach dem Krieg und bis in die 1990er-Jahre (vor der Zeit der Webseiten und digitalen Datenbanken) architekturhistorisch nahezu untergegangen.

Ab nun – und genau das war das Ziel – können sich alle interessierten Einheimischen und Besucher von auswärts jederzeit und schnell einen Überblick über die Architektur von Wels verschaffen.

Von Anfang an wollten wir mit diesem Architekturführer ein Buch für interessierte Laien und keines von Architekten für Architekten schaffen und damit auch einen neuen Blick auf die gewohnte Umgebung herausfordern. Neben den Texten wird das durch den fotografischen Anspruch unterstrichen: Jedes Bauwerk ist mit einem aktuellen Foto dargestellt, die alle vom Künstler Gregor Graf stammen. Seine ausgezeichneten Fotografien machen den Architekturführer auch zum Bilderbuch.

Ausgewählt haben wir 113 Bauwerke von 1900 bis 2015. Ursprünglich geplant waren 100, doch diese Stadt überrascht und hat viel mehr zu bieten, als man auf die Schnelle meinen könnte: herrschaftliche Villen, rauen Beton-Brutalismus, spannende Holzbauten, wild gestapelte 1970er-Jahre-Großstrukturen und ganz kleine, unbekannte Perlen. Dabei sind wir auch nicht davor zurückgeschreckt, ein auf den ersten Blick hässliches Bauwerk mit ins Buch aufzunehmen, wenn es eine stadtweite Relevanz hat, eine gewagte Mischung der Nutzungen oder einfach typisch für seine Bauzeit ist. Insgesamt umfasst die Auswahl Wichtiges, Besonderes, Herausragendes und Beispielhaftes, aber eben auch Alltägliches. Zugegeben, gelegentlich waren wir auch – das aber ganz bewusst – sehr subjektiv, haben unserer Leidenschaft für die 1960er und 70er freien Lauf gelassen. Läge es in unserer Macht, würden wir einige dieser Bauten schnellstmöglich unter Denkmalschutz stellen! Dabei war unser Ziel immer, Bewusstsein und Verständnis für 116 Jahre Welser Architektur zu vermitteln und jede Epoche aus der jeweiligen Zeit heraus zu lesen.

Einen solchen Architekturführer zu machen ist Liebhaberei. Der nötige Aufwand lässt sich kaum schätzen, wirklich bezahlen schon gar nicht. Ohne Unterstützung öffentlicher Fördergeber wäre dieses Projekt nicht realisierbar gewesen. Zusätzlich zu den Geldern von der Stadt Wels, dem Land Oberösterreich und dem Bund wurde das Buch wesentlich von privaten Unterstützerinnen und Unterstützern in Form eines Crowdfundings möglich gemacht. Ohne dieses Vertrauen in unsere Arbeit wäre das Buch in dieser Form nicht zustande gekommen.

Danksagung

Ein Architekturführer ist ein Kraftakt. Ohne die Unterstützung vieler Menschen wäre es nicht gegangen. Wir bedanken uns daher bei diesen für die Gespräche, für Hinweise, Zuspruch und das Vertrauen, das uns geschenkt wurde:

Gerhard Asböck, Rudi Bittmann, Clementine Brall, Rupert Doblhammer, Knut Drugowitsch, Helmut Ehrengruber, Maximilian Eigner, Helga Etzlsdorfer, Erwin Franz, Wolfgang Frohring, Andrä Fuchs, Gregor Graf, Gaetano Greco und Theresa Meyer, Karl Grünwald, Dieter Hackl, Edi Hauser, Hans-Peter Heinzl, Tommy Heyding, Brigitte Hoefler, Erwin Hofbauer, Egbert Holz, Johann Huprich, Julia Juriga-Lamut, Günter Kalliauer, Erhard Kargel, Hans und Johannes Karl, Georg Kirchweger, Andreas Kleboth, Klezi Werner Klement, Sabire Kolonja-Jagersberger, Birgit Kornmüller, Anita Krenmair, Herbert Leindecker, Monika Liebmann, Maximilian Luger, Christian Makowetz, Paul und Clemens Malina-Altzinger, Fritz Gerhard Mayr, Andreas Motz, Friedrich M. Müller, Ingeborg Müller-Just, Alfred Neugebauer, Markus Nöttling, Karl Odorizzi, Karl Pany, Markus Pichler, Laura Pirgie, Andreas Plank, Heinz Plöderl, Josef Resch, Hans Roth, Sophie Schick, Robert Schneider, Wolfgang Schön, Doris Schulz, Johann Soukup, Simon Spendlingwimmer, Florian Spielbüchler, Niels Stalberg, Dietmar Steiner, Bernhard Stögmüller, Klaus Sturmbauer, Norbert Trawöger, Martin Urmann, Anita Wurm, Anja Zachhuber, Clemens Zimmerberger, Thomas Zinterl, Gerhardt Zwettler.

Alte Hutfabrik

unbekannt 1874 / 1900 / 2007

→ 8E / 1 —— Carl-Blum-Straße 3

Schon sehr lange werden hier keine Hüte mehr hergestellt, trägt diese doch kaum noch jemand. In der Blütezeit jedoch, nach 1900 und vor dem Ersten Weltkrieg waren hier 260 Menschen beschäftigt. Die Samt-Hüte, sogar aus Hasenhaar, wurden über Filialen in New York, Berlin, London, Amsterdam und Paris weltweit verkauft! Nach 1918 fielen die Hauptabsatzmärkte der Monarchie sowie Frankreich und England weg. Spätestens ab 1927 war der Niedergang nicht mehr zu stoppen. 1935 – nach 100 Jahren Firmengeschichte – wurde der Betrieb aufgelöst. Erbin Roberta Blum vermachte das 12 000 m² große Gelände inklusive der „Blum-Villa“ 1967 der Kirche. 2004 von der St. Severin Stiftung übernommen, entwickelt diese das Areal seit 2007 für Firmen verschiedenster Branchen und hochwertige Büro- und Geschäftsflächen. —— Die Backsteinbauten erinnern an englische Industriebauten, eine formale Ähnlichkeit zum gleichzeitig (1901) entstandenen Kraftwerksgebäude Traunleiten ist evident. Kontinuierlich zwischen 1874 und 1924 vergrößert, besteht die Fabrik aus diversen Einzelgebäuden, die sich harmonisch zu einem Ganzen fügen. Das Areal ist sehr gut erhalten, sogar Fenster sind zum Großteil noch unverändert. Die unterschiedlichen Bauteile in reizvoller, fast dörflicher Anordnung bilden ein seltenes und atmosphärisch wertvolles Ensemble. Die prächtigen, sehr hellen ehemaligen Werksräume sind prädestiniert für junge, kreative Betriebe.

Traunbrücke

Brückenbau-Anstalt Ignaz Gridl 1901

→ 7F / 2 —— Traungasse

Ein ganz ähnliches Ingenieursbauwerk – die Eisenbahnbrücke in Linz – wurde 2016 abgerissen. Zig Hochwasser, zwei Weltkriege und die Explosion des individuellen, motorisierten Verkehrs haben beide überstanden. Der Abbruch in Linz war die Folge von jahrzehntelangem Salzen gepaart mit unterlassener Pflege und mangelhafter Planung. In Wels erfuhr die Traunbrücke stattdessen bereits 1998 eine gründliche Restaurierung und Ergänzung mit Radwegen, heute ist ihr Zustand gut. Nur ein halbes Jahr nach der Linzer Brücke, nämlich am 21. Mai 1901, eröffnet, stellt sie bis heute eine funktionstüchtige Verbindung nach Thalheim dar. —— Entwickelt und gebaut wurde die Brücke von Ignaz Gridls „k.u.k. Hof-Eisenconstructions-Werkstätte“. Mit der revolutionären Verwendung von Stahl wurde das 1862 in Wien gegründete Unternehmen zu einem der leistungsfähigsten der Monarchie. Bis zu 600 Mitarbeiter realisierten so bekannte Stahlkonstruktionen wie das Palmenhaus von Schönbrunn, die Eisenbahnbrücke in Krems sowie den Dachstuhl der Wiener Oper. —— Auslöser für den Bau der Brücke waren zwei aufeinanderfolgende verheerende Hochwasser Ende des 19. Jahrhunderts. Bis dahin hatte eine alte Holzbrücke aus dem 13. Jahrhundert ihren Dienst geleistet. Eine inzwischen in Betrieb genommene Drahtseilfähre transportierte täglich 220 Fuhrwerke und 1700 Personen, was die Bedeutung des damaligen Neubaus klarmacht.

Wohn- und Gasthaus Alkoholfreie Gaststätte

Hubert Gessner, Franz Gessner 1908

→ 7E / 3 —— Maximilianstraße 4

Gerade in der sozialistischen Gesellschaftstheorie wurde ein direkter Zusammenhang zwischen den unmenschlichen proletarischen Lebensbedingungen infolge der Industrialisierung und dem massiven Alkoholkonsum hergestellt. Andere Historiker widersprechen dieser Kausalität und orten die Ursache schon vor der Industrialisierung, als billiger Alkohol in der ländlichen Bevölkerung verbreitet war und mit der Verstädterung in die Agglomerationen geschwemmt wurde. Unabhängig davon stellte Elendstrinken – der Alkoholismus als Massenphänomen der unteren Bevölkerungsschichten – zu dieser Zeit ein weit verbreitetes Problem dar. —— Ausgehend von Irland entstanden europaweit Abstinenzbewegungen, die in den sozialdemokratischen Parteien ihren Niederschlag fanden, etwa auch in Österreich mit dem 1905 im Arbeiterheim Wien-Favoriten (ebenfalls Hubert Gessner) gegründeten Arbeiter-Abstinentenbund. Kurz darauf wurde in Wels ebenfalls von Hubert Gessner, dem „roten Architekten schlechthin“, mit seinem Bruder Franz die „Alkoholfreie Gaststätte“ mit angefügtem Wohnhaus gebaut. Ein ganz bewusst einfaches und der Umgebung angepasstes Haus, gegliedert durch zwei runde Erker im oberen Wohnteil sowie durch die Rundbögen der unterschiedlichen Öffnungen im Erdgeschoß. Auch in diesem Beispiel liegt Gessners Verdienst in der Entwicklung architektonischer Lösungen für spezifische Bauten der „Arbeiterklasse“.

Herz-Jesu-Kirche

Matthäus Schlager 1911

→ 7D / 4 —— Flotzingerplatz 22

„Wels hat eine Zukunft“ – mit diesen Worten argumentierten Bischof Doppelbauer und Stadtpfarrer Flotzinger den Bau einer dritten Pfarrkirche im Norden der Stadt. Man hatte die Ausdehnungsmöglichkeit in diese Richtung erkannt. —— Mit dem ab 1902 errichteten Krankenhaus und dem „Dom auf der Heide“ bildeten von nun an zwei Großbauten auf der grünen Wiese die weithin sichtbaren Zeichen der Stadterweiterung der „Neustadt“. Beide Bauten wurden nach Plänen von Matthäus Schlager (ab 1909 Dombaumeister in Linz) errichtet und zeugen in Größe und Gestaltung vom Zukunftsglauben der damaligen Stadtplanung. —— Lange Zeit das höchste Bauwerk der Stadt, wurde die Pfarre durch die Nähe zum Flughafen im Zweiten Weltkrieg angewiesen, die für die Flugzeuge teils hinderliche, 70 Meter hohe Doppelturmanlage rückzubauen, was jedoch verworfen wurde. Dennoch führte die Lage zu massiven Beschädigungen durch Bombardierungen. —— Bereits bei der Finanzierung des Baus der neoromanischen Kirche war der 1900 gegründete Kirchenbauverein gänzlich auf Spenden angewiesen und auch die kürzlich erfolgte denkmalgerechte Generalsanierung wurde zu einem großen Teil über ein analoges „Crowdfunding“ finanziert. Mittlerweile ist die Neustadt dicht verbaut, das Krankenhaus mehrfach überformt ein kleiner Stadtteil für sich – die Kirche bildet gerade jetzt und an diesem Standort ein selbstbewusstes und kräftiges bauliches Zentrum.

Gasthof Umbau

Mauriz Balzarek 1911

→ 7F / 5 —— Stadtplatz 69

Die Geschichte des Hauses lässt sich im Stadtarchiv lückenlos bis ins Jahr 1509 zurückverfolgen, als ein erster Verkauf dokumentiert wurde. In direkter Nachbarschaft zum ehemaligen Minoritenkloster wurde es im 16. und 17. Jahrhundert meist von Händlerfamilien bewohnt. Seit 1661 und bis heute ist es – mit kurzer Unterbrechung während US-amerikanischer Besatzungszeit – im Besitz von Gastronomen. —— Das Eckhaus wurde durch Mauriz Balzarek umgebaut und mit einer neuen und damals modernen Jugendstilfassade zum repräsentativen Kopfbau ausgebildet. Ein schlanker hoher Giebel, quergestellt zum Ensemble des Stadtplatzes, sowie ein Runderker Richtung Stadtplatz machen die neue Bedeutung des Baus offensichtlich. Die Seite zum Minoritenplatz, zuvor lediglich eine Feuermauer mit nur wenigen Öffnungen, erhielt eine vollwertige, symmetrische Fassade mit Doppelgiebel. Damit schuf er zum gegenüberliegenden Rathaus eine ebenbürtige bauliche Antwort, was den Raum zwischen den beiden Bauten zum Platz werden ließ. Zur selben Zeit begann Balzarek auch mit dem formal ähnlichen Bau der Landesvilla in Bad Hall (1914), die heute als bedeutendster Jugendstilbau Oberösterreichs gilt. —— Mit dieser Geschichte, der Situierung und seiner architektonischen Präsenz hat der Gasthof die optimalen Voraussetzungen zum besten Haus am Platz, was leider heute noch nicht der Fall ist.

Volksschule

Mauriz Balzarek 1912

→ 7D / 6 —— Grillparzerstraße 2

Leitbauten sollen als stadtprägende Gebäude auf ihre Umgebung ausstrahlen und wie Pioniere ein Gerüst und einen Taktmacher für die weitere Entwicklung bilden. Auch die Doppelvolksschule von Mauriz Balzarek war ein solcher Leitbau des Welser Stadterweiterungsgebiets „Neustadt“, als er 1912 nahezu auf grüner Wiese errichtet wurde. Hier transportierte der repräsentative Prachtbau eine Vorstellung von der Zukunft dieses Stadtteils. —— Der Otto-Wagner-Schüler hat gemäß seiner Jugendstil-Überzeugung den Bau gesamtkünstlerisch bis ins Detail durchgestaltet. So etwa auch die Grundstücksmauer, die analog zum Sockelbereich in Magerbeton mit großer Gesteinskörnung ausgeführt wurde und an der Kreuzung zur Grieskirchner Straße eine Richtung Stadt gewendete Sitzgelegenheit anbietet. —— Die Kappung des ursprünglich steilen Satteldachs und Schleifung der zwei prägenden und reich geschmückten Giebelfronten im Zuge der Aufstockung durch das Stadtbauamt 1973 hat den Entwurf in seiner Gesamtheit massiv geschwächt – ein Eingriff, der bereits zeitgenössisch scharf kritisiert wurde. Auch die Rekonstruktion wurde Anfang der 1990er öffentlich diskutiert. Dennoch erkennt man noch heute deutlich die Qualität und den Gestaltungsreichtum des Baus, etwa an den verspielten floralen Jugendstil-Details an den Eingangsportalen (ursprünglich zwei separate für „Knaben“ und „Mädchen“) bei gleichzeitiger architektonischer Robustheit.

Geschäfts- und Wohnhaus

Mauriz Balzarek 1912

→ 7F / 7 —— Stadtplatz 9, 10

Im Auftrag des Textilunternehmens Neuditschka sollte hier ein sehr großes, bis in die Traungasse reichendes, mondänes Geschäftshaus entstehen. So weit kam es aber nicht. Wohl wegen des Ersten Weltkriegs wurde das Projekt nur teilweise realisiert, was dem Haus auch dank seiner symmetrischen Gestaltung überraschenderweise nicht anzusehen ist. Durch die geschickte Vermischung von Jugend- mit Heimatstilelementen, Ornamenten, geschwungenem Dachgiebel und Erker gelang Balzarek ein sehr guter Bezug zum vielfältigen Ensemble des Stadtplatzes. —— Mit dem Wirtschaftswunder und Konsumboom der 1960er und 70er wurde Mode nach Maß durch erschwingliche Konfektionskleidung ersetzt. Das führte zu einem massiven Umbruch in der Textilbranche und schließlich zum Niedergang der Firma und dem Verkauf des Hauses. Es folgten in kurzen Abständen ein Warenhaus, eine Bank, ein Sporthändler, eine Bäckerei, ein Atelier und ein Computergeschäft. Zuletzt war es die Stadt, die überlegte an dieser Stelle eine Tourismus-Information mit Servicecenter (Schließfächer, Wickeltisch, öffentliche Toiletten) einzurichten, was jedoch verworfen wurde. Aktuell ist das Haus wieder zu mieten. Als Leerstand in Top-Lage steht es für zahlreiche nicht genutzte Geschäftslokale in der Welser Innenstadt und symptomatisch für den schwierigen Wettbewerb der Innenstädte mit den Einkaufszentren am Stadtrand.

Villa Muthesius (Haus Ploberger)

Hermann Muthesius 1918

→ 7F / 8 —— Pollheimerstraße 4

Praktisch auf einer Insel zwischen zwei Bachläufen des Mühlbachs liegt das Haus Ploberger. Obwohl in Entstehungsgeschichte und Repräsentationswert eher Industriellenvilla, wurde sie ganz bewusst laut Baubewilligung als „Wohnhaus im Landhausstile“ errichtet. —— Der Eingang des ornamentlosen Baus lag ursprünglich im Schnittpunkt des L-förmigen Baukörpers und direkt schräg gegenüber dem Einfahrtstor der erst 1981 vollständig abgerissenen Lederfabrik des Bauherrn Wilhelm Ploberger. Dieser konnte als Architekt Hermann Muthesius gewinnen, der hier das englische „Country House“ in den deutschsprachigen Kulturraum übersetzte. Von besonderer Bedeutung waren im Entwurf auch die Innenraumgestaltung bis hin zum Mobiliar sowie die Einbeziehung des Gartens, welcher über eine große geschwungene Terrasse erschlossen wird. Muthesius nutzte dieses Haus auch als Prototyp für verschiedene Aspekte seiner Entwurfslehre, etwa in seinem Standardwerk „Wie baue ich mein Haus?“. —— Nach Verkauf des Anwesens wurde von Leo Keller 1928 eine Garage angebaut. Als Nutzer folgten zwei amerikanische Stadtkommandanten, eine Möbelfirma, eine Film-Gesellschaft und ein Arzt, damit einhergehend mehrere Umbauten, darunter auch die Umfärbung der Fassade in das heutige satte Rot. 1997 folgte der Verkauf an die Welser Industriellenfamilie Just und der Umbau zum „Lebensspuren.Museum“. Heute ist das Haus ein Veranstaltungszentrum.

Hermann Muthesius: „Haus Ploberger“– Vorbild, Solitär und Statement

Daniel Resch

Als der Lederindustrielle Wilhelm Anton Ploberger 1916 in der Pollheimerstraße in Wels gegenüber seiner Lederfabrik und unmittelbar neben der historistischen Familienvilla ein neues Heim für sich und seine Familie vom berühmten deutschen Architekten und Theoretiker Hermann Muthesius errichten lässt, ist ihm und der nachfolgenden Geschichte noch nicht klar, was für ein Meisterwerk er damit „importiert“.1

Das Haus, über einem L-förmigen Grundriss mit einem zweigeschoßigen Baukörper errichtet, besitzt kaum Ornamente und die Außenwirkung wird größtenteils durch weißen Rauputz erzielt. Akzente erfolgen durch Reihenfenster, Fensterläden und Balkone sowie Erker. Dominant ist das hohe, zweiteilige, rote Dach über den beiden Bautrakten.

Nüchtern und beinahe langweilig klingt diese knappe Beschreibung und doch ist sie mehr als zutreffend. Trotzdem haben alle, die je darin gelebt haben, aber auch Außenstehende schnell gemerkt, welch subtile Qualität darin steckt. Durch seine Lage in unmittelbarer Nähe des Stadtzentrums und neben der Villenkolonie der Volksgartenstraße in eine prominente Lage gerückt, ist die Frage nach der Idee für das Haus essenziell. Wilhelm Anton Ploberger (1870 – 1960) und seine erste Frau Marie (1882 – ?) entstammen beide bürgerlichen, sehr vermögenden Unternehmerfamilien,2 deren Ziel der Aufstieg in die Aristokratie war. Darüber hinaus kommt es um 1900 zusätzlich zu einer Änderung der Lebensweise. Dies äußerst sich für Mara Reissberger und Peter Haiko in der „ … Repräsentationssphäre [, die sich in der] Wohnung als einer zweiten Haut …“ manifestiert, in einer „ … Verlagerung vom (groß-) bürgerlichen städtischen Wohnhaus […] zum Einfamilienhaus …“.3 Es wurde nun weniger gezeigt, wie man wohnte, als wie man lebte.

Kolorierte Postkarte aus den 1920er-Jahren, betitelt mit: „Lederwerke ‚Adler’., A.– G., Wels, OB.-Österr. Betrieb: Ploberger.“, Links unten befindet sich die einzige farbige Darstellung des Hauses Ploberger.

Wilhelm Plobergers Lebensführung kann hier als Paradebeispiel dienen. Er und seine Frau dürften eine umfangreiche Ausbildung und ausgeprägte Kunsterziehung genossen haben. Durch das immense Vermögen und die günstige ökonomische Situation des Unternehmens schaffte er sich eine umfangreiche Bibliothek an mit einschlägigen literarischen Werken, Lexika und zahlreichen Kunst- und Architekturbänden. Auch eine kleine, eher traditionelle Kunstsammlung dürfte er angelegt haben. Bezeichnend ist seine außerordentliche Reiselust, die ihn mehrmals auch nach Deutschland führt. Hier sieht er auf einer Kunstausstellung ein Haus von Muthesius, von dem er über die Maßen beeindruckt ist.4

Neben der Entscheidung für Muthesius als Architekt war wohl hintergründig auch das Bedürfnis ausschlaggebend, sich als gebildeten, kulturell versierten und mit den neuesten Tendenzen der Kunst vertrauten Mann von Welt zu präsentieren. Darüber hinaus muss die Wahl von Muthesius, der ab 1896 sieben Jahre lang als deutscher Kulturattaché in England die dortige Reformbewegung und den neuesten englischen Hausbau studierte und anschließend Geheimrat im preußischen Handelsministerium war, auch in einer historisch und religiös bedingten Affinität Wilhelm Plobergers zum Deutschen Kaiserreich gesucht werden: Die Familie, die sich als Nachkommen des aus dem 17. Jahrhundert stammenden Bauernführers Stefan Fadinger betrachtete,5 war traditionell protestantisch, was in einer gewissen Verehrung zum protestantisch geprägten deutschen Kaiserhaus in Berlin mündete.

Die angesprochene geänderte Lebensweise kommt europaweit in der Reformbaukunst zur Geltung und keinem Bereich hat sie sich so gewidmet wie der Wohnhausarchitektur. Nicht das Ornament, sondern der Ausdruck sollte die Bedeutung eines Bauwerks mit Sachlichkeit, Form und Funktion definieren.6 Mit dem Landhaus wurde das Leben im Grünen, im Kreise der Familie, zum Leitbild. So trägt für Arnold Karplus das „ … Landhause zur Veredelung der Kultur bei, [indem man] den Wohnkult [pflegt], seine Wohnung so schön als möglich [schmückt], […] und mehr in diesem als außerhalb desselben [lebt].“ 7 Für Muthesius wurde es überhaupt zur evolutionären Basis für eine Erneuerung der Kultur und das Haus Ploberger, so muss man heute sagen, bildet in gewisser Weise Höhe- und Angelpunkt dieses Strebens. Bisher kaum bekannt, verwendet Muthesius das Haus Ploberger in seinem mehrfach aufgelegten Buch „Wie baue ich mein Haus?“ 8 von 1917 mehrmals als Idealtyp mit idealem Grundriss, Lage und Ausrichtung auf dem Grundstück sowie einer perfekten Wohnraumkonzeption. Es wird die Grundlage für eine Vielzahl seiner späteren Bauten bis zu seinem letzten Objekt – dem Haus Schindler in Innsbruck von 1927.

Sieht man sich vergleichbare Häuser in Wels bis 1916 an, zeigt sich, dass das Haus Ploberger ein Solitär ist – sowohl stilistisch und formal, aber auch in seiner Ausführung. So gibt es zwar vereinzelte Beispiele, wo ausländische Architekten „importiert“ werden, wie das Haus des deutschen Textilfabrikanten Reinert der Stuttgarter Architekten Theodor Dolmetsch und Felix Schuster von 1914 belegt,9Rote VillaS. 25Ehem. Verwaltungsgebäude AdlerS. 22VolksschuleS. 13S. 12S. 14