I. Einleitung

von Heinz Bechert

1. Der Buddhismus – „eine Weltreligion und ihre Grundlagen“

Der Buddhismus ist auf der Grundlage der indischen Kulturtradition entstanden, und er ist zu der Weltreligion indischen Ursprungs geworden. Diese seine indischen Wurzeln bedingen auch, daß bestimmte Grundkonzeptionen der vorbuddhistischen indischen Religiosität und Philosophie beibehalten bzw. übernommen worden sind. Der zunächst naheliegende Vergleich mit dem gegenseitigen Verhältnis von Judentum und Christentum ist teilweise irreführend; denn während die Christen die Überlieferungen der israelitischen Tradition sozusagen integriert und nur ergänzt und zum Teil umgedeutet haben, erklärte der Buddha die vedischen Sakraltexte und die herkömmlichen Rituale und Vorschriften der vedischen Tradition für irrelevant im Sinne seiner Lehrverkündung, da sie nicht zu dem Ziel führen, dem diese Lehrverkündung alleine gelten sollte. Dieses Ziel ist die endgültige Erlösung vom Leiden, das Ende der Kette der Wiederverkörperungen. Dabei wird eine schon in älteren Upanisad-Texten nachweisbare und zur Zeit des Buddha bereits als Gemeingut der Mehrzahl der großen religiösen Traditionen der Inder anzusehende Anschauung vorausgesetzt. Dies ist die Vorstellung, daß die Lebewesen nach ihrem Tode in dieser leidvollen Welt der Erscheinungen wiedergeboren werden, wobei sie auch die Folgen ihrer Taten (karman) aus ihren früheren Existenzen in ihr nächstes Leben übernehmen müssen. Das Dasein aber ist in seinen sämtlichen Erscheinungsformen leidvoll (duḥkha), vergänglich (anitya) und „ohne Selbst“ (anātman). Dieser zuletzt genannte Begriff hat sowohl in der buddhistischen Tradition selbst wie auch in der wissenschaftlichen Interpretation der Lehre des Buddha ganz unterschiedliche Auslegungen erfahren. Außer Zweifel steht jedoch, daß es sich dabei um ein Charakteristikum des Buddhismus handelt, das ihn von anderen Traditionen unterscheidet.

Das Weltgeschehen wird nicht vom Willen einer höchsten und allmächtigen Gottheit bestimmt, wie es nach dem Glauben der monotheistischen Religionen der Fall ist; in diesem Sinne kann man von einer „atheistischen Religion“ sprechen, obwohl die buddhistische Tradition durchaus sogenannte Götter (deva), also höhere Wesen, kennt, die dann aber, wie alle anderen Wesen, dem Gesetz von Tod und Wiedergeburt unterworfen sind. Was immer in der Welt geschieht, verläuft nach allgemeinen, unabänderlichen Gesetzmäßigkeiten. Die indische Bezeichnung für dieses Weltgesetz wird auch zur Bezeichnung der vom Buddha erkannten ewigen Wahrheit verwendet: dharma. Dieses Wort tritt in den indischen Traditionen in vielen verschiedenen Bedeutungen auf und wird dem Leser sowohl in den Darstellungen der Lehren des Buddhismus wie auch im Kontext des Hinduismus und der indischen Rechts- und Sozialgeschichte immer wieder begegnen. Die buddhistische Lehre – ebenfalls mit dem Wort dharma bezeichnet – dient nicht philosophischer Erkenntnis um ihrer selbst willen, sondern einzig und allein dem Weg zur Erlösung, den der Buddha aus eigener Kraft erkannt hat. Aus Mitleid (karuṇā) mit den leidenden Lebewesen hat er sein Wissen um den Erlösungsweg, seine Weisheit (prajñā) in der Welt verkündet und, um den Fortbestand dieses Wissens und der darauf beruhenden religiösen Praxis (pratipatti) unter den Menschen solange wie möglich zu sichern, einen Mönchs- und Nonnenorden (saṅgha) gegründet. Dieser ist dem vom Buddha erlassenen Gesetz (dharma) des richtigen Verhaltens (vinaya) verpflichtet, der im Vinayapiṭaka, dem Rechtsbuch des Sangha, festgehalten ist. Die Existenz dieses Sangha und die Weitergabe der Lehre des Buddha ist, wie alles Existierende, zeitlich begrenzt, und so wird der Buddha der nächsten Weltperiode, Maitreya, den Weg zur Erlösung wieder neu entdecken und erneut verkünden, und so weiter.

Es besteht kein Zweifel daran, daß der Buddhismus als Erlösungslehre ursprünglich philosophischer Spekulation ebenso abgeneigt war wie Kulthandlungen; das formal genau festgelegte Zeremoniell der Beichtfeiern, der Ordinationszeremonien usw. stellt Rechtsakte dar, keine Sakramente. Im Laufe der historischen Entwicklung hat sich beides erheblich geändert. Auf der Grundlage der buddhistischen Tradition entstanden eine große Vielfalt ganz unterschiedlicher religiöser Praktiken und Kulte, aber auch eine Anzahl von verschiedenen philosophischen Lehren und Lehrgebäuden. Dabei hat die im vorliegenden Band (Bronkhorst, S. 26 ff. und 76 ff.) ausführlich erörterte sog. Dharma-Theorie sowohl in der Geschichte des Buddhismus selbst wie für die moderne Buddhismus-Interpretation eine herausragende Rolle gespielt. Ihre Relevanz für die älteste Gestalt der buddhistischen Lehre ist unter den Buddhologen umstritten geblieben.

Im Unterschied zu Judentum, Christentum und Islam besitzen die Buddhisten keinen von allen Traditionslinien gemeinsam akzeptierten Kanon heiliger Schriften, sondern man begegnet unterschiedlichen Sammlungen früher buddhistischer Sakraltexte, die wenigstens teilweise auf eine gemeinsame Grundlage zurückgehen. Die ursprünglich mündliche Überlieferung wurde von Anfang an in unterschiedlicher sprachlicher Form tradiert; der Buddha hatte seinen Schülern den Gebrauch ihrer eigenen Sprache, d. h. ihrer jeweiligen Muttersprache, für die Weitergabe seiner Lehre gestattet.1 Erst später fanden Kodifikationen statt, aus deren Vergleich sich eine älteste Schicht gemeinsamer Überlieferung erschließen läßt. Es überrascht daher auch nicht, daß die von verschiedenen Gelehrten unternommenen Versuche einer auf dieser vergleichenden Methode beruhenden Rekonstruktion der ältesten Form der buddhistischen Lehre zu recht unterschiedlichen Ergebnissen, also zu teilweise weit voneinander verschiedenen Rekonstruktionen eines „Urbuddhismus“ geführt haben.

Träger der buddhistischen Überlieferung war der buddhistische Sangha (Orden), die aus der alten indischen Tradition von Wanderasketen hervorgegangene Gemeinschaft von Mönchen und Nonnen. Ein besonderes Merkmal dieser Gemeinde besteht darin, daß ihr Leben und ihre Ordnung von Anfang an genau geregelt waren. Diese Ordnungen sind im Vinayapitaka festgelegt, einem Rechtstext, der uns von verschiedenen Traditionslinien der frühen buddhistischen Überlieferung in etwas voneinander abweichenden Versionen überliefert wird. Auch diese Abweichungen beruhen auf der Entscheidung des Buddha, keine Kodifikation seiner Lehre in Form eines Corpus heiliger Texte nach dem Vorbild des Veda zu erlauben, sondern ihre freie Überlieferung in den gesprochenen Sprachen vorzusehen. Alle diese Vorschriften erscheinen in den uns überlieferten Vinaya-Texten als Anordnungen des Buddha. Tatsāchlich geht nur der älteste gemeinsame Grundbestand dieser Texte auf die Zeit des Buddha und der buddhistischen Urgemeinde zurück. Zu diesem Grundbestand gehören insbesondere die grundlegenden Regeln für das Verhalten der Mönche und für das Leben im Sangha.2

Die in diesen Texten enthaltenen Regeln sind eingebettet in Berichte über den Anlaß ihrer Verkündung durch den Buddha. Der erste Teil der Textsammlung enthält die im Beichtformular (prātimokṣa) enthaltenen Regeln jeweils mit Bericht über den Anlaß ihrer Anordnung und mit Erläuterungen für ihre Anwendung. Der zweite Teil des Vinayapitaka enthält die Vorschriften für die Rechtshandlungen des Sangha, die jeweils unter Verwendung eines vorgeschriebenen Wortlautes, also eines Rechtsformulars (karmavācanā), vorgenommen werden müssen. Dazu kommt in mehreren Textversionen ein ergänzender jüngerer Textteil.

Das im Vinayapiṭaka formulierte Ordensrecht ist naturgemäß Verbandsrecht nur der buddhistischen Ordensgemeinschaft; es wurde erdacht und weiterentwickelt, um die Rechtsverhältnisse ihrer Mitglieder einheitlich zu regeln. Als Vorbild haben Verfahrensregeln gedient, die in den altindischen Adelsrepubliken üblich waren; bekanntlich stammte der Buddha aus einem solchen Staatswesen.

Auf diese Grundstrukturen des Sangha hat bereits Hermann Oldenberg in seinem im Jahre 1881 in erster Auflage erschienenen Buddhismus-Buch sehr deutlich hingewiesen; er schrieb dort3:

„Als ein rechtlich geordnetes erscheint jenes Leben [der Mönche und Nonnen] von Anfang an. Ein Rechtsakt mußte vollzogen werden, um das neu hinzutretende Mitglied der Gemeinschaft aufzunehmen. Das Gemeinderecht zeichnete seinem Tun und Lassen die Bahnen vor. Als Disziplinarhof wachte die Gemeinde selbst, unter der Einhaltung eines geordneten Rechtsverfahrens, über der Befolgung der geistlichen Ordnungen.“

Der Sangha bestand aus einer Vielzahl einzelner Mönchs- (bzw. Nonnen-) Gemeinden, die ihre Angelegenheiten gemäß den vom Buddha erlassenen Rechtsregeln selbständig ordnen sollten. Alle Einzelgemeinden regelten ihre Angelegenheiten durch Beschlüsse in Versammlungen, in denen alle Mönche eines bestimmten Bezirkes vollständig versammelt sein mußten. Andernfalls waren die Beschlüsse ungültig. Für die meisten Beschlüsse war Einstimmigkeit erforderlich. Außerdem war festgelegt, welche Mindestzahl von Mönchen jeweils zusammenkommen mußte, um eine bestimmte Handlung rechtsgültig vollziehen zu können.

Sinn und Zweck der Gründung dieser Ordensgemeinschaft und der für sie erlassenen Regeln war es, in dieser Welt Voraussetzungen für ein erfolgreiches Streben nach Erlösung zu schaffen, dabei sicherzustellen, daß die Mönchsgemeinde der Unterstützung durch die Laienanhängerschaft würdig ist, sowie dafür zu sorgen, daß das Wissen um den Erlösungsweg weitergegeben wird. Die Mönche und Nonnen konnten den Orden jederzeit wieder verlassen, ohne dadurch in Konflikt mit dieser Gemeinschaft zu geraten, wenn sie glaubten, die Regeln nicht einhalten zu können. Sie brauchten ihren Willen dazu lediglich vor Zeugen zu erklären und die Robe abzulegen. Wenn sie allerdings während ihrer Zugehörigkeit zum Sangha die Grundpflichten des geistlichen Lebens verletzten, so verloren sie allein schon durch dieses Verhalten unwiderruflich ihre Zugehörigkeit zum Orden. Diese als pārājika bezeichneten Vergehen werden daher auch am Anfang des Vinayapiṭaka dargelegt.

Im buddhistischen Gemeinderecht wurden bereits einige Prinzipien angewandt, die als Kennzeichen einer hoch entwickelten Rechtskultur gelten dürfen4. So ist der Ersttäter straffrei, nach dem Rechtsgrundsatz nulla poena sine lege; es wird zwischen vorsätzlicher und fahrlässiger Handlung unterschieden, der Fall der Unzurechnungsfähigkeit des Täters sowie die Wertung des Versuchs werden geregelt usw. Hellmuth Hecker hat in einem 1977 veröffentlichten Aufsatz eine Würdigung der Rechtsgrundsätze des buddhistischen Ordensrechtes unter diesen Gesichtspunkten veröffentlicht.5

Der Buddha hat keinen Nachfolger als Oberhaupt der von ihm gegründeten Ordensgemeinschaft eingesetzt; allein die von ihm verkündete Lehre und das von ihm erlassene Gesetz sollten nun als seine Stellvertretung dienen.6

Die Frage, ob der Religionsstifter, der Buddha Siddhārtha Gautama, eine historische Persönlichkeit gewesen ist oder ob wir es nicht vielmehr mit einer mythischen Gestalt zu tun haben, wurde schon von Hermann Oldenberg mit der Publikation seines schon genannten grundlegenden Werkes „Buddha: Sein Leben, Seine Lehre, Seine Gemeinde“ (Berlin 1881) endgültig zugunsten der zuerst genannten Ansicht entschieden. Die Frage nach der Lebenszeit des historischen Buddha dagegen ist bis heute umstritten geblieben. Die Buddhisten selbst überliefern ganz unterschiedliche Datierungen des Todesjahres des Buddha, die – umgerechnet in die christliche Zeitrechnung – zwischen 2420 v. Chr. und 290 v. Chr. schwanken. Dies ist angesichts des Umstands, daß wir in anderer Hinsicht über die Person und die Lebensumstände des historischen Buddha aus den frühen Texten recht gut unterrichtet sind, auf den ersten Blick überraschend. Es stimmt aber mit unserem Informationsstand hinsichtlich der älteren indischen Chronologie überein und ist kein isoliertes Phänomen; der Mangel an verläßlichen Datierungen ist für die gesamte frühe Geschichte Indiens charakteristisch. Dies gilt auch für Perioden, die durch zeitgenössische literarische Dokumente und sogar durch Inschriften gut bezeugt sind. Da sich die von der Mehrheit der „westlichen“ und auch von vielen indischen Gelehrten vertretene Datierung des Todesjahres des Buddha in die Zeit zwischen etwa 486 und 477 v. Chr. als nicht beweisbar erwies und da führende japanische Gelehrte viel spätere Datierungen (zwischen 390 und 368 v. Chr.) errechnet hatten, wurde die Frage in jüngster Zeit ausgiebig diskutiert. Ein von allen Gelehrten akzeptierter Konsens ist nicht erreicht worden, doch kann bei Abwägung aller vorgetragenen Argumente davon ausgegangen werden, daß der Zeitpunkt des Todes des Buddha später anzusetzen ist, als früher angenommen wurde, nämlich in den Zeitraum zwischen etwa 420 v. Chr. und 350 v. Chr. Zu diesem durch die Auswertung literarischer Zeugnisse gewonnenen Ergebnis passen auch die Ergebnisse, die durch kulturgeschichtliche, insbesondere auch durch archäologische Untersuchungen erzielt werden konnten. Versuche, das Todesjahr des Buddha innerhalb dieses Zeitrahmens noch genauer zeitlich festzulegen, können jedoch nicht überzeugen.7

Die zeitliche Einordnung des Buddha und der frühen buddhistischen Gemeinde durch die Historiker beruht auf der Datierung des indischen Großkönigs Aśoka; diese ist bekanntlich durch die Feststellung des Synchronismus einer Angabe in einer Inschrift des Königs mit Informationen aus griechischen Quellen möglich geworden. Mit Aśoka tritt der Buddhismus in die aus von der buddhistischen Tradition selbst unabhängigen Quellen dokumentierte Geschichte ein. Außerdem beginnen mit seinen Inschriften auch die uns erhaltenen schriftlichen Zeugnisse indischer Geschichte, wenn man einmal von der viel älteren, nicht entzifferten Schrift der untergegangenen Indus-Kultur absieht. Man datiert Aśokas Regierungszeit von 268 bis 233 v. Chr. Nachdem dieser Herrscher zunächst in einem siegreichen Expansionskrieg Kalinga erobert hatte, bekehrte er sich zum Buddhismus und legte seine an buddhistischen Idealen geprägten Regierungsgrundsätze in seinen berühmten Felsinschriften nieder. Seine Edikte sind in unterschiedlichen, an die Sprache der Bewohner der jeweiligen Gegend angepaßten Sprachen oder Dialekten abgefaßt. Man wird wohl annehmen dürfen, daß diese Vielsprachigkeit mit der schon erwähnten Anordnung des Buddha zum Gebrauch der jeweiligen Muttersprache für die Überlieferung seiner Lehre zusammenhängt.

Für das Verständnis der weiteren Entwicklung des Buddhismus ist eines von Aśokas sog. Kleineren Säulenedikten besonders wichtig, das uns in drei Versionen erhalten ist. Die Inschrift berichtet von einer Reform des buddhistischen Sangha, und diese Reform wird auch in den späteren historischen Quellen der Theravāda-Tradition erwähnt. Der Gebrauch von Termini des buddhistischen Ordensrechts in der Inschrift läßt erkennen, daß die Maßnahmen des Königs in Übereinstimmung mit den Regeln des buddhistischen geistlichen Rechts durchgeführt wurden.8 Mit dieser Reform ist der König zum Begründer der Tradition der sog. Sāsana-Reformen geworden, also der Reformen der Institutionen der buddhistischen Religionsgemeinschaft (śāsana, eigentlich „Lehre“, „Anweisung“) mit Unterstützung bzw. unter dem Patronat des Staates. Aus Aśokas Inschriften erhalten wir auch ein sicheres und datierbares Zeugnis dafür, daß der Buddhismus damals in Indien schon große Bedeutung erlangt hatte und daß seine Institutionen, d. h. der buddhistische Orden, bereits in einer Gestalt existierten, wie wir sie aus den älteren Rezensionen der kanonischen Schriften kennen. Für die spätere, in den Bänden 2 und 3 des vorliegenden Werkes darzustellende Geschichte des Buddhismus hat das Vorbild Aśokas für die Beziehungen des Sangha zu Staat und Gesellschaft größte Bedeutung gehabt, nämlich als Vorbild eines staatlichen Patronats oder wenigstens staatlicher Förderung des Sangha. Es hat aber in der Geschichte des Buddhismus in verschiedenen Ländern auch wiederholt Zeiten der Unterdrückung und der Verfolgung der Buddhisten durch die Staatsgewalt gegeben.9

Für die Buddhismusforschung war die Frage nach der Entstehung und Geschichte der sog. buddhistischen Sekten oder Schulen, insbesondere in ihrem Zusammenhang mit den verschiedenen Rezensionen der Überlieferung der frühen Texte, stets ein Gegenstand größter Bedeutung. Es war die frühzeitige Herausbildung solcher Gruppierungen, die einer einheitlichen Festlegung der kanonischen Schriften in einer für alle Buddhisten verbindlichen Textgestalt im Wege stand. Die Bildung dieser Schulen begann nämlich, bevor die Texte ihre endgültige Gestalt erhalten hatten. Wir müssen hier zwischen den sog. Vinaya-Schulen (meist als nikāya bezeichnet) und den dogmatischen oder philosophischen Schulen (vāda) unterscheiden; auf Einzelheiten soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden.10 Bei der Festlegung der heiligen Texte der buddhistischen Tradition haben Ordensversammlungen eine Rolle gespielt, die als saṅgīti oder saṅgāyanā bezeichnet werden; dies bedeutet „gemeinsame Rezitation“. Durch die Übersetzung dieses Wortes als „Konzil“ sind in der Literatur manche Mißverständnisse entstanden.11

Einige Jahrhunderte nach ihrer Begründung durch den Buddha hat die buddhistische Tradition durch die Verbreitung ganz neuer Erlösungslehren eine grundlegende Umgestaltung erfahren, die nicht mehr nur auf Einzelheiten der Lehrinterpretation beschränkt war, sondern Grundfragen betraf. Diese neuen, unter der Bezeichnung Mahāyāna bekannt gewordenen Lehren haben in der Abhandlung über die buddhistische Lehre im vorliegenden Band ausführliche Berücksichtigung gefunden. Sie wurden bekanntlich nur von einem Teil der Buddhisten akzeptiert; die Anhänger der alten Lehren – nun Śrāvakayāna oder auch abwertend Hīnayāna genannt – lehnten derartige Neuerungen als Verfälschung des Buddha-Wortes ab. Diese konservative Form des Buddhismus setzte sich schließlich in den Ländern des sog. Südlichen Buddhismus durch; ihre Selbstbezeichnung ist Theravāda. Dies war zunächst die Bezeichnung für eine bestimmte, besonders konservative Richtung unter den zahlreichen sog. Schulrichtungen (nikāya bzw. vāda) des frühen Buddhismus in der Pāli-Sprache, einer mittelindoarischen Sprachform, die zur Sakralsprache dieser Tradition des Buddhismus geworden ist; die entsprechende Bezeichnung in Sanskrit ist Sthaviravāda. In den übrigen Verbreitungsgebieten des Buddhismus setzten sich im Laufe der Jahrhunderte die Lehren des Mahāyāna durch. Ihre Lehrtexte mit ihren von der alten Tradition teilweise stark abweichenden Anschauungen vor allem hinsichtlich des Erlösungsweges wurden von den Anhängern dieser neuen Lehren nun den überlieferten Texten der älteren Traditionen hinzugefügt, in ähnlicher Weise wie die Christen den Sakraltexten der jüdischen Tradition ihr „Neues Testament“ beifügten. Übrigens behielt das buddhistische Ordensrecht der alten Überlieferung für diejenigen neueren Formen des Buddhismus, die die Tradition des klösterlichen Lebens weiterführten, seine Gültigkeit. Dabei war die Schulrichtung maßgeblich, aus der die jeweiligen Mönchs- und Nonnenorden hervorgegangen waren.

In der späteren Entwicklung begegnen wir neben den meist weiterbestehenden konservativeren Traditionen mehreren noch viel radikaler umgestalteten Religionsformen. Andererseits haben immer wieder Reformbewegungen eine Wiederherstellung älterer Formen religiöser Praxis angestrebt. Manche dieser Erneuerungsbewegungen haben zur Bildung neuer Religionsformen mit neuen Zielsetzungen geführt, ohne daß dies von ihren Anhängern als Neuerung betrachtet wurde. Dies gilt z. B. für die sog. neobuddhistische Bewegung in Indien.

An dieser Stelle ist die Frage anzusprechen, ob und inwieweit der Buddhismus als „synkretistisch“ anzusehen ist. Auch diese viel diskutierte Frage ist für die einzelnen Entwicklungsphasen und Formen des Buddhismus unterschiedlich zu beantworten. So kann kein Zweifel bestehen, daß der traditionelle Buddhismus Nepals ebenso starke synkretistische Züge aufweist wie die volkstümlichen Formen des heutigen chinesischen Buddhismus. In der religiösen Tradition von Java und Bali ist es sogar zu einer fast vollständigen Verschmelzung hinduistischer und buddhistischer Traditionen gekommen.12 Für die ursprüngliche Lehre sowie die ältere Überlieferung und für die konservativeren Traditionsformen ist die Frage, ob diese synkretistisch seien, dagegen ganz eindeutig negativ zu beantworten. Da der Buddhismus, jedenfalls in seiner ursprünglichen und in seinen konservativen Erscheinungsformen, wie schon gesagt, ausschließlich auf das aus dem Existenzkreislauf herausführende außerweltliche oder „überweltliche“ (lokottara) Ziel der Erlösung vom Leiden hin orientiert ist, ist es vom buddhistischen Standpunkt aus irrelevant, wenn man sich für innerweltliche (laukika) Anliegen an höhere Wesen endlicher Macht und Lebensdauer wendet, die im Notfall vielleicht bei irdischen Problemen helfen können. Deshalb können die Götterkulte buddhistischer Laien nicht als Argument für den synkretistischen Charakter des Buddhismus herangezogen werden. In diesem Sinne konnte Richard Gombrich von einem gelehrten Mönch in Sri Lanka die Auskunft erhalten, „Götter“ (deva) hätten nichts mit Religion (dharma oder śāsana, also Religion im buddhistischen Sinne) zu tun.13

Am Rande sei hier noch angemerkt, daß nicht nur der Buddhismus Elemente anderer Traditionen in sich aufgenommen hat, sondern daß auch manchmal die Entdeckung einer Ähnlichkeit oder Übereinstimmung von Lehren anderen Ursprungs mit buddhistischen Lehren zu einer Annäherung an den Buddhismus sozusagen von außen geführt hat. Dies gilt z. B. für die Philosophie von Arthur Schopenhauer, der selbst „größte Übereinstimmung“ seiner eigenen Philosophie mit dem Buddhismus aufgrund der von ihm dort wiedergefundenen Charakteristika „Idealismus, Atheismus und Pessimismus“ sowie einiger anderer gemeinsamer Lehren feststellte. Schopenhauer betonte dabei, daß seine Philosophie nicht unter dem Einfluß des Buddhismus gestanden habe, sondern selbständig entwickelt worden sei. Seine Lehren haben übrigens größte Bedeutung für die Anfangsphasen der Verbreitung des Buddhismus in Europa gehabt.

Der Buddhismus gehört zu den sog. Weltreligionen, ganz unabhängig davon, ob man eine engere oder weitere Abgrenzung dieses Begriffes anwendet. Er ist, bei Anwendung einer engeren Definition, die älteste Weltreligion, da die Zugehörigkeit des Judentums sowie des Hinduismus zu den Weltreligionen wegen des traditionellen Selbstverständnisses der israelitischen und der vedisch-hinduistischen Tradition trotz ihrer heute weltweiten Verbreitung problematisch bleibt. Nach der damit gegebenen engeren Definition der Weltreligionen ist der Buddhismus die einzige in Südasien entstandene Weltreligion. Aus seinem Ursprungsland ist der Buddhismus in der sog. mittelalterlichen Periode von Hinduismus und Islam weitgehend verdrängt worden und hat dort erst wieder in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts größere Verbreitung erlangt; in dieser Hinsicht lassen sich gewisse Parallelen zum Christentum beobachten, dessen heiligste Stätten zwar in seinem Ursprungsland Palästina liegen, dessen tatsächliche religiöse Zentren aber in ganz anderen Teilen der Welt zu finden sind. So ist auch bei Buddhisten in allen Teilen der Welt die Erinnerung an und die Verehrung für die heiligen Stätten des Buddhismus in Indien und hier vor allem für Bodh Gaya, den Ort der Erleuchtung des Buddha, immer lebendig geblieben.

2. Die Darstellung des Buddhismus in den bisher erschienenen Bänden der „Religionen der Menschheit“

Der Plan der Serie „Die Religionen der Menschheit“ sieht von Band 3 bis Band 23 eine geographische Einteilung, ab Band 24 aber eine von der geographischen Verbreitung der Religionen unabhängige Darstellung der Weltreligionen vor; auf den Buddhismus (Band 24) folgen in den Bänden 25–34 Islam, Judentum und Christentum. Dabei kam es zu einer doppelten Berücksichtigung des Buddhismus, da er auch in den nach geographischen Gesichtspunkten konzipierten Bänden entsprechend den jeweils in den betreffenden Ländern historisch oder auch aktuell verbreiteten Formen in unterschiedlicher Ausführlichkeit dargestellt worden ist. An erster Stelle ist in diesem Zusammenhang Band 13 „Die Religionen Indiens III: Buddhismus, Jinismus, Primitiwölker“ zu nennen. Hier hat mit dem 1993 verstorbenen französischen Gelehrten André Bareau einer der bedeutendsten Buddhismusforscher seiner Zeit auf 213 Seiten eine sehr gute Darstellung des Buddhismus und seiner Geschichte auf dem indischen Subkontinent vorgelegt. Diese Abhandlung ist auch heute, mehr als drei Jahrzehnte nach ihrem Erscheinen (1964), keineswegs im Ganzen überholt oder veraltet, sondern bleibt eine wertvolle und lesenswerte Informationsquelle. Das gleiche gilt für einen weiteren Band der Reihe, nämlich Band 20 (erschienen 1970), „Die Religionen Tibets und der Mongolei“. Giuseppe Tucci hat das Hauptgewicht seiner Darstellung auf den tibetischen Buddhismus (den früher meist so genannten Lamaismus) gelegt; Walther Heissig hat zwar den Lamaismus in der Mongolei ebenfalls berücksichtigt, die einheimischen Kulte, also die „mongolische Volksreligion“, aber ausführlicher behandelt. Diese Schwerpunktsetzung lag nahe, weil die bei den Mongolen verbreiteten Formen des Buddhismus tibetischen Ursprungs sind und ihre Lehren, ihre Erscheinungsformen und ihre religiöse Praxis daher in demselben Band von Tucci bereits ausführlich besprochen worden sind.

In dem Band über die Religionen Südostasiens (Band 23, 1975) hat der Buddhismus nur partiell Berücksichtigung gefunden, nämlich einerseits durch einen kurzen Überblick über die Geschichte des Buddhismus in Vietnam (von Gernot Prunner, S. 300–311) und andererseits für die Religionen Kambodschas, Birmas, Laos und Thailands jeweils in etwas ausführlicheren Darstellungen, wobei die Besprechung religionspolitischer und gesellschaftlicher Entwicklungen in den Vordergrund gerückt wurde (von Manuel Sarkisyanz). Der Theravāda-Buddhismus in Sri Lanka (Ceylon) ist in dem geographisch angelegten Teil der Serie gar nicht berücksichtigt worden, wenn man von gelegentlichen Bemerkungen dazu in anderen Zusammenhängen absieht.

Werner Eichhorn behandelt den Buddhismus in seinen „Religionen Chinas“ (Band 21; erschienen 1973) zwar innerhalb der einzelnen Abschnitte des Buches, das nach den Perioden der chinesischen Geschichte gegliedert ist, doch wird man unterschiedlicher Auffassung darüber sein können, ob Eichhorn damit der Bedeutung des Buddhismus in China wirklich gerecht geworden ist. Eichhorn hat sich fast ausschließlich zu Fragen der organisatorischen Entwicklung, des Verhältnisses von Staat und buddhistischen Religionsgemeinschaften und zu verwandten Problemen geäußert, die geistesgeschichtliche Entwicklung, also die Geschichte der buddhistischen Religion in China als Geschichte von Ideen, Lehranschauungen und religiöser Praxis aber nur sehr wenig berücksichtigt.

Für den Buddhismus in Korea gilt das gleiche wie für den schon erwähnten Abschnitt über den Buddhismus in Vietnam. Frits Vos hat sich in seiner Abhandlung „Die Religionen Koreas“ (Band 22, 1) zum Ziel gesetzt, „das typisch Koreanische besonders hervorzuheben“ und daher den einheimischen Religionen „mehr Aufmerksamkeit gewidmet“ als dem Buddhismus und dem Konfuzianismus (S. 7). Er geht dabei davon aus, daß der Leser sich aus anderen Quellen „mit der chinesischen und japanischen Religionsgeschichte vertraut gemacht hat“. Dementsprechend finden wir in diesem Band nur einen kurzen Abriß der Geschichte des koreanischen Buddhismus (S. 133–153). Der Band über die Religionen Japans (Band 22, 2) ist noch nicht erschienen. Eine eingehende Darstellung des ostasiatischen Buddhismus ist daher für die Serie „Religionen der Menschheit“ bisher noch ein Desiderat geblieben.

Der Buddhismus in Indonesien und seine geschichtliche Entwicklung wurden von Piet Zoetmulder in dem Band „Die Religionen Indonesiens“ (Band 5, 1; erschienen 1965) besprochen. Die dort verbreiteten Religionsformen waren von Anfang an durch synkretistische Tendenzen gekennzeichnet. Sie haben sich im Laufe der Jahrhunderte zu dem hinduistisch-buddhistischen Synkretismus entwickelt, der heute noch auf den Inseln Bali und Lombok weiterlebt. Eine neue Darstellung dieser Religionsformen von Jan Ensink findet man im vorliegenden Band.

In einem weiteren bereits erschienenen Band der Serie, nämlich „Die Religionen des Hindukusch“ (Band 4, 1) sucht man vergeblich nach der Berücksichtigung der Formen des Buddhismus, die in diesem geographischen Raum einmal verbreitet waren; es ist dort ausschließlich von autochthonen religiösen Traditionen die Rede. Ein zunächst noch geplanter Band (4, 2) über die Religionen des Himalaya ist nicht erschienen und es ist auch nicht klar, wie diese „Religionen des Himalaya“ gegenüber den schon in den erwähnten Bänden besprochenen Religionen Tibets und den zur indischen Kultur gehörigen Traditionen des Hinduismus und des Buddhismus in Nepal sinnvoll abgegrenzt werden sollen, so daß dieser Band eigentlich gar nicht in das vorgegebene Einteilungssystem paßt und möglicherweise entbehrlich ist.

3. Die Gesamtkonzeption der Buddhismus-Bände in der Serie „Religionen der Menschheit“

Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß es sinnvoll war, am Plan einer zusammenfassenden Darstellung des Buddhismus festzuhalten, auch als die ursprünglich dafür vorgesehenen Bearbeiter (Johannes Nobel und Käthe Neumann) nicht mehr zur Verfügung standen. In diesem Sinne hat sich der damalige Herausgeber, C. M. Schröder, im Jahre 1979 an den Verfasser dieser Einleitung gewandt, um einen sinnvollen und dem heutigen Stand der Wissenschaft entsprechenden Plan für die Darstellung des Buddhismus in der Serie zu erhalten. Mein damaliger Vorschlag, die Darstellung nach bestimmten Kriterien auf drei Bände zu verteilen, ist Grundlage der über ein Jahrzehnt später wiederaufgenommenen Arbeiten geblieben und vom jetzigen Herausgeber der Serie, Peter Antes, übernommen worden. Die dreibändige Darstellung sollte keine Wiederholung oder Neubearbeitung der in den bereits erschienenen Bänden enthaltenen Darstellungen sein, sondern eine neue Gesamtdarstellung, die in erster Linie den inneren Zusammenhang der einzelnen Formen des Buddhismus berücksichtigt.

Ich habe die für die Gliederung des Inhalts zugrunde gelegten Prinzipien bereits mehrmals in anderen Zusammenhängen dargelegt und angewandt. Dies gilt insbesondere für eine zusammen mit Richard Gombrich herausgegebene Darstellung des Buddhismus, an der elf Buddhismusforscher mitgewirkt haben.14 Die dort gewählte Gliederung ist: (1) der ursprüngliche Buddhismus, (2) die Tradition des indischen Buddhismus, (3) der Theravāda-Buddhismus, (4) der ostasiatische Buddhismus, (5) der tibetische Buddhismus und (6) der Buddhismus in der modernen Welt.

Den für die Mitarbeit an den drei Bänden über den Buddhismus in den „Religionen der Menschheit“ gewonnenen Autoren wurde größte Freiheit in Gestaltung und Auswahl der zu besprechenden Informationen gegeben, so daß sie auch selbst für den Inhalt allein verantwortlich sind; dies entspricht den editorischen Prinzipien für die früher erschienenen Bände und ist auch am Beispiel mehrerer der genannten früher erschienenen Bände (etwa Band 23 über die Religionen Südostasiens) sehr deutlich sichtbar.

Die erforderlichen Hinweise auf die Gesamtkonzeption der Buddhismus-Bände vorzustellen und zu begründen ist die vom Verfasser dieser Einleitung übernommene Aufgabe. Die Autoren von Band 1 haben sich im Hinblick auf die Abgrenzung ihres Themas nicht immer an die Planung gehalten. Ich werde daher hier auch darzulegen haben, wieweit sich die Verfasser der Beiträge zu den folgenden zwei Bänden dieser Gesamtdarstellung des Buddhismus im Hinblick auf die zu behandelnden Bereiche der Buddhismusforschung auf bestimmte Vorgaben im ersten Band einzustellen haben, d. h. wo sie hier nicht behandelte, aber für das Verständnis der Gesamtentwicklung wichtige Aspekte des Buddhismus indischer Prägung in ihren Darstellungen noch berücksichtigen müssen, damit keine Lücken in der Gesamtdarstellung entstehen.

Nach der Gesamtkonzeption sollen im ersten Band der indische Buddhismus und seine Verzweigungen, im zweiten Band der Theravāda-Buddhismus und der tibetische Buddhismus sowie im dritten Band der ostasiatische Buddhismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen und Verbreitungsgebieten (China, Japan, Korea, Vietnam und neuzeitliche Ausbreitungsgebiete vor allem in Nordamerika) dargestellt werden. Im dritten Band soll ferner die Ausbreitung des Buddhismus in der sog. westlichen Welt besprochen werden; dazu kommt noch die zum Teil eng damit zusammenhängende Rezeptions- und Forschungsgeschichte. Schließlich soll dem Leser dort auch eine Bibliographie mit weiterführender und für den Gesamtzusammenhang relevanter Literatur geboten werden; eine bloße Zusammenstellung der von den einzelnen Autoren in ihren Beiträgen manchmal mehr oder weniger zufällig zitierten Sekundärliteratur wäre wenig hilfreich.

Der grundlegende und wesentlichste Teil des ersten Bandes muß selbstverständlich der Frage nach der aus dem vorhandenen Überlieferungsmaterial zu rekonstruierenden ursprünglichen Lehre des Buddha sowie der Frage nach der Person des historischen Buddha gewidmet sein. Damit sind die indischen Grundlagen aller Formen des Buddhismus vorzustellen. Darüber hinaus sollen im ersten Band die weitere Entwicklung des Buddhismus in Indien (unter Ausschluß der modernen Zeit, also des 19. und 20. Jahrhunderts) sowie diejenigen Formen des Buddhismus berücksichtigt werden, die vor oder unabhängig von der Herausbildung der drei genannten großen Traditionen (Theravāda, tibetischer und ostasiatischer Buddhismus) oder auch im weiteren Verlauf nach deren Verselbständigung (z. B. in Nepal) unmittelbar aus indischem Traditionsmaterial schöpften.

Mit der Verpflanzung des Buddhismus auf die Insel Sri Lanka gewinnt die dort eingeführte Tradition des Theravāda ein Eigenleben, das die Insel zum Mittelpunkt einer der bedeutendsten Religionstraditionen Asiens und zum Ausgangspunkt von Missionen nach Südostasien werden ließ. Die Theravāda-Buddhisten überliefern ihre kanonischen Texte, wie schon erwähnt, in einer Sprache indischer Herkunft, nämlich im sog. Pāli (eigentlich „Text“), so daß man auch vom „Pāli-Buddhismus“ spricht und den von ihnen überlieferten buddhistischen Kanon als Pāli-Kanon bezeichnet. Die Herausbildung dieser Form des Buddhismus und seine Geschichte werden im ersten Abschnitt des zweiten Bandes darzustellen sein. Dabei ist mit der Geschichte des Buddhismus in Sri Lanka zu beginnen, das als historisches und geistiges Zentrum des Theravāda anzusehen ist. Anschließend ist die Weiterentwicklung des Buddhismus in den vom Theravāda geprägten Ländern Birma, Thailand, Kambodscha und Laos zu berücksichtigen. Dabei darf die Tatsache nicht außer Acht bleiben, daß der Theravāda zunächst eine in Indien selbst entstandene Form des Buddhismus war und sich dort auch noch an einzelnen Stellen bis ins Mittelalter erhalten hat.

Für die Geschichte des Theravāda haben die schon angesprochenen Fragen der Reform des Ordens und des Verhältnisses von buddhistischer Ordensgemeinschaft und staatlicher Ordnung bzw. Staatsgewalt herausragende Bedeutung erlangt. Die Reformmaßnahmen Aśokas bzw. ihre Darstellung und Interpretation in den Texten haben als Vorbild für die Reformen des Sangha in der späteren Geschichte des Theravāda gedient, wogegen jüngere indische Quellen über das Verhältnis von Sangha und Staat auf dem indischen Festland wenig Zuverlässiges aussagen. Vom Theravāda sind auch die wichtigsten modernen buddhistischen Erneuerungsbewegungen und die erfolgreichsten Initiativen für die Gründung einer buddhistischen Ökumene ausgegangen. Die 1950 in Colombo gegründete „World Fellowship of Buddhists“ kann durchaus mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen verglichen werden.15

Der ebenfalls im zweiten Band zu besprechende tibetische Buddhismus beruht auf Traditionen des indischen Buddhismus. Dabei kommt den im vorliegenden ersten Band nicht berücksichtigten Lehren und Praktiken des sog. indischen Spätbuddhismus, also des Vajrayäna oder Tantrayāna, besondere Bedeutung zu; diese in der erwähnten Darstellung von André Bareau kurz (S. 173–197) nach dem damaligen Stand der Forschung skizzierten Formen des indischen Buddhismus sollten nach dem jetzigen Stand der Wissenschaft in diesem Kontext neu dargestellt werden. Hinsichtlich des tibetischen Buddhismus selbst ist daran zu erinnern, daß dieser in der Darstellung von Tucci in Band 20 schon eingehend besprochen worden ist; es gibt aber viele Gründe, die eine neue Darstellung nach dem jetzigen Stand der Forschung wünschenswert erscheinen lassen.

Wie die Theravāda-Tradition, so lassen sich auch der tibetische und der ostasiatische Buddhismus durch Sprache (Tibetisch bzw. Chinesisch) und Inhalt ihrer heiligen Schriften definieren. Diese Textsammlungen bestehen zum größten Teil (bei den Tibetern fast ausschließlich) aus Übersetzungen von Originaltexten indischer Herkunft, und die meisten dieser Übersetzungen sind Ergebnis systematischer Übersetzertätigkeit unter Anwendung durchaus wissenschaftlicher Methoden.16

4. Zum vorliegenden Band

Der vorliegende erste Band beginnt mit der buddhistischen Lehre. Daß diese Darstellung an die erste Stelle gesetzt wurde, hat gute Gründe; denn – wie die vorausgehenden einleitenden Bemerkungen gezeigt haben – es geht, ganz anders als z. B. beim Christentum, hier primär um die Lehre, die den Erlösungsweg zeigt, nicht so sehr um die Person des Buddha, der – wenigstens in den älteren Formen des Buddhismus – nicht Erlöser, sondern als Verkünder der Lehre nur ein „Wegweiser“ sein kann. In der indischen Tradition jener Zeit existierte eine auf einen Welterlöser hin orientierte Heilserwartung, wie Rudolf Otto Franke in seiner Interpretation des Dīghanikāya gezeigt hat.17 Diese Heilserwartung galt dem Tathāgata, dem „So-Gegangenen“ oder „So-dahin-gelangten“, der den Weg zur Erlösung finden würde, und der Buddha ist eben dieser Vollendete. Aber nur wer den vom Tathāgata gewiesenen Weg selbst geht, kann das Ziel erreichen. So ist der Weg das Eigentliche, trotz der traditionellen Anordnung der drei Juwelen (triratna) in der Reihenfolge Buddha, Lehre (dharma) und Orden (sarigha), mit dem Buddha an erster Stelle.

Der Verfasser des ersten Beitrags, Johannes Bronkhorst, stellt die älteren buddhistischen Lehren vor, soweit sie in Indien entstanden sind. Dementsprechend ist nicht nur die Lehre des historischen Buddha und die Problematik ihrer Überlieferung und ihrer „Ordnung“ durch die Redaktoren, sondern auch der Mahāyāna-Buddhismus indischer Prägung in seine Darstellung einbezogen. Diese erhebt jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit; nicht alle Formen des indischen Mahāyāna sind besprochen worden.

Bronkhorst hat, wie schon erwähnt, den indischen Spätbuddhismus, also Vajrayāna oder Tantrayāna (auch Mantrayāna genannt) in seine Darstellung im vorliegenden Band nicht einbezogen (S. 183). Da diese Formen des Buddhismus jedoch religionsgeschichtlich von größter Bedeutung sind und da sie insbesondere im tibetischen und teilweise auch im ostasiatischen Buddhismus weiterleben, muß dieser Teil der Geschichte des indischen Buddhismus im zweiten Band des vorliegenden Werkes Berücksichtigung finden.

Bronkhorst hat andererseits die von den meisten anderen Fachgelehrten weitgehend vernachlässigten Zusammenhänge und gegenseitigen Beeinflussungen in seine Darstellung einbezogen, die zwischen der Entwicklung des buddhistischen Denkens in der sog. klassischen Periode und gleichzeitigen nicht-buddhistischen religiösen und philosophischen Strömungen Indiens bestanden haben (S. 187 ff.). Er hat ferner die neuerdings auch in anderen Kontexten aufgeworfene Frage nach möglichem Einfluß der griechischen Philosophie auf die ältere buddhistische Philosophie diskutiert (S. 124 ff.).

Der zweite Abschnitt des Bandes ist von Hans Joachim Klimkeit verfaßt und den „Heilsgestalten des Buddhismus“ gewidmet. Hier steht natürlich an erster Stelle der historische Buddha als geschichtliche und als legendäre Gestalt Diese wird im Kontext der Frage nach den uns zur Verfügung stehenden Überlieferungen sowie ihrer Geschichte untersucht. Die Abhandlung berücksichtigt auch alle wichtigen Gestalten der buddhistischen Mythologie, von den mythischen Vorläufern des historischen Buddha und dem Buddha der Zukunft, Maitreya, über die „kosmischen Buddhas“ und Bodhisattvas des indischen Mahāyāna bis hin zu den als Mahāsiddha bezeichneten Heilsgestalten des Vajrayāna, aber auch die „Heiligen“ (arhat) der alten Lehrtradition.

Den Beitrag über die „buddhistische Gemeinde“ hat Petra Kieffer-Pülz verfaßt Auf die zentrale Bedeutung genau festgelegter Rechtsregeln und Rechtsprinzipien für die buddhistische Ordensgemeinschaft und einige ihrer Charakteristika wurde schon im ersten Teil dieser Einleitung (oben S. 3–6) hingewiesen. Der vorliegende Beitrag enthält genauere Angaben über die Entstehung und Verbreitung der Schulrichtungen (sog. Sekten, nikāya oder vāda), die Lebensverhältnisse im Sangha, über wichtige Rechtsregeln und die in den kanonischen Texten vorgeschriebenen Zeremonien, wobei neben Informationen aus Texten solche aus Inschriften berücksichtigt wurden, zum Teil in enger Anlehnung an die Studien von Gregory Schopen. Da die Darstellung nicht im eigentlichen Sinne des Wortes historisch ist, wird für den Leser in erster Linie die Vielfalt der in Frage stehenden Erscheinungsformen klösterlichen Lebens sichtbar, ihre historische Einordnung muß wohl zukünftigen Studien vorbehalten bleiben. So räumt die Verfasserin auch ein (S. 285 f.), daß es derzeit nicht möglich sei, „eine Geschichte der buddhistischen Gemeinde zu schreiben, da sie sich aus zahlreichen Schulen mit weiteren Untergruppierungen zusammensetzt“ und da die relevanten Quellen noch nicht ausgewertet seien. Für die ältere Zeit sind weiterhin die entsprechenden Abschnitte in dem grundlegenden Werk über den älteren indischen Buddhismus von Étienne Lamotte die beste Informationsquelle.18 Leider fehlt für die sog. mittelalterliche Periode immer noch eine entsprechende Gesamtdarstellung. So bietet auch die neueste Monographie zu diesem Thema, die nach ihrem Titel einen solchen Gesamtüberblick erwarten läßt19, nur Informationen über die Geschichte des Sangha in Indien in der frühen Periode sowie Informationen über die spätere Geschichte des Sangha in Sri Lanka, kaum aber Angaben darüber, wie sich der Sangha in Indien nach dem Zeitpunkt der Ausbreitung des Buddhismus nach Sri Lanka historisch weiterentwickelt hat. Manche im vorliegenden Band nicht besprochenen Fragen werden im Zusammenhang der Geschichte des Theravāda im zweiten Band zu erörtern sein, vieles bleibt Aufgabe zukünftiger Forschung.

Den drei Hauptteilen des Bandes folgt ein Kapitel über den traditionellen Buddhismus in Nepal von Siegfried Lienhard. Er wird vom Verfasser des Beitrags als eine „Weiterführung der buddhistischen Lehre und Religionsausübung in Indien“ beschrieben, die nach dem Untergang des Buddhismus in Indien sehr eigenständige Ausprägungen erfahren hat.

Die abschließenden vier Abschnitte des Buches sind der Ausbreitung und Weiterentwicklung des Buddhismus indischer Prägung in den sog. Randgebieten indischer Kultur gewidmet. Dazu gehört das Gebiet des heutigen Afghanistan und des sog. Chinesisch-Turkistan (Xinjiang); in diesen Gebieten ist der Buddhismus später vom Islam verdrängt worden. Zahlreiche archäologische Funde sowie Handschriftenfunde bieten uns jedoch reiche und zuverlässige Informationen über die untergegangenen Traditionen des Buddhismus in diesem zentralasiatischen Raum. Ihre Darstellung im vorliegenden Band hat Jens-Uwe Hartmann beigesteuert.

Die älteren Perioden der Verbreitung des Buddhismus auf dem südostasiatischen Festland sind Gegenstand des Beitrags von Ian Mabbett. In diesen Gebieten, in denen sich mit Ausnahme von Vietnam und Malaysia später der Theravāda-Buddhismus durchsetzte, hatten sich zunächst verschiedene Formen des indischen Buddhismus verbreitet. Jedoch begegnen wir im Bereich des heutigen Burma (Myanmar) schon sehr früh Dokumenten in Pāli, die dem Theravāda zuzuordnen sind.20

Eine Geschichte des Buddhismus indischer Prägung im indonesischen Archipel (unter gelegentlicher Berücksichtigung der malaiischen Halbinsel) von Jan Ensink beschließt den Band und läßt noch einmal die außerordentliche Vielfalt der Traditionen erkennen, die sich aus der indischbuddhistischen Tradition entwickelt haben. Die Geschichte des Buddhismus in diesem Raum beginnt mit der Bekehrung der königlichen Familie von Java im frühen 5. Jahrhundert. Für die spätere Entwicklung ist die Verschmelzung von Śivaismus und Buddhismus zu einer in ihrer Art einzigartigen synkretistischen Tradition charakteristisch. Während der größte Teil des Archipels später islamisiert wurde, hat sich diese Religionsform auf der Insel Bali (und auf Lombok) bis heute erhalten.21

An dieser Stelle sei noch einmal angemerkt, daß die Darstellung des frühen Buddhismus von André Bareau in Band 13 nun nicht etwa im Ganzen als überholt zu betrachten ist, sondern auch heute noch als wertvoller und in vieler Hinsicht grundlegender Beitrag zur Buddhismusforschung anzusehen ist. Die im vorliegenden Band enthaltenen Darstellungen präsentieren die Thematik jedoch ausführlicher und in neuer Gestalt. In den einzelnen Beiträgen wird von recht unterschiedlichen methodischen Voraussetzungen ausgegangen. Außerdem haben die einzelnen Verfasser durchaus unterschiedliche Abgrenzungen für die von ihnen besprochene Materie gewählt, wie in dieser Einleitung für die wesentlichen Aspekte schon angemerkt worden ist. Die Eigenständigkeit der Beiträge kommt auch darin zum Ausdruck, daß die beteiligten Autoren in wissenschaftlichen Streitfragen nicht immer den gleichen Standpunkt vertreten. Auch sind einige Themen unabhängig voneinander in mehr als einem Beitrag angesprochen worden.22

Die Frage, warum die nicht berücksichtigten Aspekte der indisch-buddhistischen Tradition, die in den folgenden Bänden zu besprechen sein werden, nicht schon durch eine systematische Ergänzung dieses Bandes einbezogen wurden, beantwortet sich in dem Sinne, daß damit nicht nur der gesetzte Rahmen für den Umfang des Bandes gesprengt, sondern auch das Erscheinen des Buches in unvertretbarer Weise verzögert worden wäre. Außerdem hätte es Veränderungen im Text notwendig gemacht, die dem für diese Bände geltenden Prinzip der Verantwortung der einzelnen Autoren für ihre Beiträge widersprechen würden.

Wegen der Unterschiedlichkeit der Beiträge war es auch vorzuziehen, die Abkürzungsverzeichnisse gesondert jeweils bei den Beiträgen zu belassen. Ihre Zusammenstellung würde keine in sich geschlossene und alle wirklich wichtigen Beiträge zum indischen Buddhismus umfassende Bibliographie ergeben, weil die einzelnen Autoren, wie gesagt, unterschiedliche inhaltliche und zeitliche Abgrenzungen sowie abweichende Auswahlkriterien zugrunde gelegt haben. Dem Wunsch des Lesers dieser Bände, eine zusammenfassende Bibliographie der für die Buddhismusforschung wirklich relevanten Literatur zu erhalten, kann mithin am besten durch die vorgesehene Bibliographie am Ende des dritten Bandes entsprochen werden.