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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie.

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1. Auflage 2016

© 2016 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© 2015 Connor Franta

Die englische Originalausgabe erschien 2015 bei Keywords Press unter dem Titel A Work In Progress.

This edition published by arrangement with the original publisher, Keywords Press/Atria Books, a division of Simon&Schuster, Inc., New York.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Übersetzung: Christian Gonsa

Redaktion: Silke Panten

Umschlaggestaltung: Verena Frensch, dem Original nachgebaut

Satz: Satzwerk Huber, Germering

Druck: Florjancic Tisk d.o.o., Slowenien

Printed in the EU

ISBN Print: 978-3-86883-857-2

ISBN E-Book (PDF): 978-3-95971-179-1

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-180-7

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

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Inhalt

IM RÜCKBLICK

»WAS TUN SIE EIGENTLICH?«

LERNT DIE FAMILIE KENNEN

DIE GUTE ALTE ZEIT

BRIEFE VON MEINEN ELTERN

ALS ICH … ALT WAR

GRADE DER FREUNDSCHAFT

DIE SHOW VERPASSEN

DIE HIGHSCHOOL IST SONDERBAR

EIN ÄNGSTLICHER JUNGE MIT SEINER PLASTIKKRONE

DIE INNERE STIMME

DER MÜHE WERT SEIN

KREATIVITÄT

DER STUHL

VOM LECKEN DER WUNDEN

FEHLERHAFT

LEERE ZAHLEN

ICH HABE MEIN HANDY VERGESSEN …

DAS PROBLEM MIT DEN ETIKETTEN

EIN MENSCH, FÜR DEN MAN DAS TELEFON IGNORIERT

LEBT JETZT UND MACHT EUCH SPÄTER SORGEN

DER LANGE WEG ZU MIR SELBST

ES WIRD BESSER. WIRKLICH.

WORIN ICH GLÜCK FINDEN KANN

DIE ENTSCHEIDUNG, DIE ALLES ÄNDERTE

DER GLAUBE AN SICH SELBST

ICH LERNE MICH SELBST BESSER KENNEN

DER MYTHOS DES »RUHMS«

DAS LEBEN WARTET NICHT

Danksagung

Übersetzungen

Im Rückblick

ICH BIN SECHS JAHRE ALT. Es ist ein kühler Herbsttag, der Morgentau liegt noch auf dem Gras, eine leichte Brise weht – und hinter mir steht eine wild brüllende Menschenmenge. Die Straße, auf der ich mich befinde, wird von einem Durcheinander von Sportlern verschiedenster Gestalt und Größe gefüllt, die auf die Ziellinie zurasen und, geben wir es zu, von den Zuschauern mehr oder weniger dazu genötigt werden (obwohl einige der 500 Läufer außer Atem sind und beinahe auf allen vieren kriechen, um der Wahrheit gerecht zu werden).

Dieser Septembertag wird in unserer Familie ebenso ungeduldig erwartet wie Weihnachten. Der Grund ist, dass meine Eltern, Cheryl und Peter, die stolzen Organisatoren des jährlichen Apfelfest-fünf-Kilometer-Panorama-Laufs/Gehens sind, der neben der Bezirksmesse, der Herbstparade und anderen Kleinstadtfestivitäten ein populärer Termin im Veranstaltungskalender von La Crescent, Minnesota, ist. Das »Panorama« findet sich im Namen, weil die Laufstrecke hügelig ist und von goldenen Blättern gesäumt wird; es ist ein »Apfelfest«, weil meine Heimatstadt den Ruf der Apfelhauptstadt des Bundesstaats hat. Jawohl, unsere Äpfel sind der Knaller, und wir tragen den prestigeträchtigen Namen mit großem Stolz.

Aber der springende Punkt in dieser Geschichte sind nicht die Äpfel. Der springende Punkt ist, dass mir all diese schwitzenden Menschen gleichgültig sind, die im Schnellschritt einem Ziel entgegenlaufen und damit vor ihren Freunden prahlen werden, während sie ihren dritten Donut essen. Ich schaffe mir lieber meine eigenen Ablenkungen und meinen eigenen Zeitvertreib, deswegen zieht mich auch die Videokamera an, die mein Vater auf der Ziellinie aufgebaut hat, um jede Sekunde des Wahnsinns aufzuzeichnen, der am Wettkampftag herrscht. Dads Interesse an der Aufzeichnung von allem, was in unserem Leben vorging, schien niemals zu erlahmen. »Heimfilme« nannte er sie. Jedes Ereignis – Geburtstage, Weihnachtsmorgen, Wettkämpfe und Schulaufführungen – wurde für die Nachwelt eingefangen, als wollte er nicht das Geringste verpassen. Erklärt das vielleicht, warum mich diese Zauberkiste mit dem blinkenden, roten Licht auf der Stirnseite wie ein Magnet anzieht? Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm, nicht wahr?

Normalerweise klebt die Kamera an seiner Hand, die Schnur ist um seine Fingerknöchel gewickelt. Manchmal aber, wie heute, montiert er dieses sperrige Stück Technologie auf einem Dreifuß und lässt es laufen, bis die Kassette zu Ende gelaufen ist. Wenn ich sage »sperrig«, dann meine ich wirklich SPERRIG. Das Ding sieht aus wie ein verdammter Toaster mit einem aufgeschraubten Teleskop. Aber sie ist ein großartiges Gerät auf dem letzten Stand der Technik mit Mini-Kassetten und Zwei-Pixel-Qualität als Draufgabe. Was für eine faszinierende Zeit, in der ich lebe!

Ich weiß, dass ich seine Aufnahmen nicht stören sollte, aber die Versuchung ist einfach zu groß. Ich lasse meinen Blick streifen: Eine Gruppe Läufer stürzt den Hang von Northridge hinunter – der höchste Hügel des Rennens und gleichzeitig die Schlussstrecke; nahe bei mir steht Mom mitten in der Menge, immer ein Lächeln aufgesetzt, das den Stress übertönt, den die Organisation einer derartigen Veranstaltung auslöst; Dad, der einfach keine zwei Sekunden still stehen kann, flitzt von einem Läufer zum nächsten, gratuliert herzlich, versprüht sarkastischen Humor und verteilt zwischendurch auch medizinischen Rat. (Er ist Arzt.) Gut so, die beiden Stützpfeiler der Gemeinde sind mehr als beschäftigt.

Ich stelle mich auf die Zehenspitzen, um zu erspähen, was aufgenommen wird, und ihr könnt euch sicher sein, dass es nichts war, was sich irgendjemand in naher Zukunft mit Begeisterung anschauen würde, obwohl es als potenzielle Schlafhilfe (für koma-tiefen Schlummer) verwendet hätte werden können. Als Kind, das Aufmerksamkeit erregen will, entscheide ich mich, den Dingen ein wenig Pfiff zu geben, indem ich für das künftige Publikum eine Show abziehe. Mit »Publikum« meine ich meine Familie. Und mit »Show« meine ich das Sprechen von Unsinn über einen langen Zeitraum hinweg in der Annahme, dass ich lustig bin.

Nichts hat sich seither geändert.

Ich trete vor die Kamera und beginne zu sprechen, den Text denke ich mir während des Sprechens aus. Ich spreche, als sei die Linse ein Mensch, weil ich weiß, dass sie sich tatsächlich in einen Menschen verwandeln wird – in eine erwartungsvolle Familie in meinem Wohnzimmer, die alle Menschen sehen will, die das Straßenrennen in Rekordzeit beendeten. Wenn das Bildmaterial auf den TV-Schirm übertragen wird – über drei verschiedenfarbige Kabel, die mit dem Rekorder verbunden sind –, werden sie stattdessen mich sehen, wie ich Faxen mache und einige wirklich geistreiche, sich endlos windende Stegreifkommentare zum Schlaf-Festival abgebe, das im Hintergrund abläuft.

Ich rede mir ein, dass ich die bei Weitem unterhaltsamere Option bin und dass mir alle dankbar sein werden für meine spontane Vorstellung. Aber das ist das Ärgerliche an der Kindheit – und eigentlich auch am restlichen Leben: Die Realität erfüllt nur selten die Erwartungen.

Ich kann nicht behaupten, dass meine Eltern von meinem ungeschnittenen Akt der Spontaneität über die Maßen begeistert waren. Ich bekam auch kein Lob für die Initiative, die ich gezeigt hatte.

Das wirft kein schmeichelhaftes Licht auf gute Lebensart in Minnesota, Mom und Dad!

Doch damals begann alles, meine lieben Freunde. Es begann im Alter von sechs Jahren; als ich in der Nähe der Ziellinie stand und die Geräte mir ausgeliefert waren. Als ich in eine Kamera sprach.

• • •

DA BIN ICH NUN, 16 JAHRE SPÄTER, und schreibe ein Buch als glückliche Folge des Sprechens in eine Kamera. Danke, Dad!

»Ein Buch schreiben« – ich spreche das laut aus, während ich die Wörter auf die Seite bringe. Mannomann, das hört sich schwierig an – und ein wenig beängstigend, vor allem, wenn man erst einige Sätze weit gekommen ist. Wie auch immer, es geht los.

Ich bin 22 Jahre alt, und die Tatsache, dass ich ein Buch schreibe, ist völlig verrückt für mich. Es ist verrückt, aber es passt zu meinem Lebensstil, wie er sich in letzter Zeit entwickelte.

Um es kurz zu machen: Ich bin ein Junge aus einer Kleinstadt im Mittleren Westen, der den Großteil seines Daseins über ein Durchschnittsleben führte. Bis zu jenem Tag im August 2010, als ich über eine kleine Website mit dem Namen YouTube stolperte und mein erstes Video postete, damals, als noch niemand zusah und noch niemand sich dafür interessierte. Von da an spielte das Leben ein wenig verrückt. Nein, wen will ich hier eigentlich verschaukeln? Es wurde völlig verrückt, und das sehr schnell.

Vier Jahre später nun, vom Kind zum Mann geworden und von einem Unsichtbaren zu etwas, das ich immer noch nicht definieren kann, habe ich Millionen Abonnenten, die aus irgendeinem Grund von dem, was mich interessiert und was ich tue, und letztlich auch von dem, was ich sage, gefesselt sind. In der einen Minute spreche ich zu mir selbst; in der nächsten spreche ich zu mehr als fünf Millionen Menschen ... und an jedem einzelnen Tag werden es Tausende mehr. *beim Gedanken daran wird er nervös und dreht innerlich durch*

Aus dem Nichts habe ich plötzlich ein Publikum, an das die Heimvideos meines Vaters nicht einmal ansatzweise heranreichen können – ein Publikum, das mehr als die Hälfte der Bevölkerung von Minnesota ausmacht und mehr als doppelt so groß ist wie die Einwohner North und South Dakotas zusammengezählt.

Wie ich sagte, das Leben spielt verrückt.

Ich bin das, was die eingesessenen Medien als »YouTuber« bezeichnen. Ich sehe mich, etwas allgemeiner, als Schöpfer von Inhalten durch Nutzung einer aufregenden neuen Plattform. Menschen wie ich beamen uns in die Heime der jüngeren Generation, wie es einst die TV-Stars der Fünfzigerjahre taten. Ich bin mir sicher, dass die ältere Generation damals, gewöhnt an die Intimität, das Format und die Vertrautheit des Radios, genauso verwirrt war, als sie Menschen auf einem verschwommenen Scharz-Weiß-Bildschirm sehen konnte – so wie die Erwachsenengeneration da draußen, die das YouTube-Phänomen mit Unglauben verfolgt.

Es steht für die Demokratie der neuen Medien, in denen Menschen wie ich ihre eigenen Kanäle – und ihr eigenes Publikum – über das Internet entwerfen, starten und unterhalten können. Seht sie als Mini-Fernsehshows, die in eure Hosentasche passen.

Was ich an der Gemeinde liebe, die ich aufgebaut habe, ist die Tatsache, dass ich mich mit jedem einzelnen Mitglied in Verbindung setzen kann, wann immer ich will, um mit ihm anschließend über Twitter, Instagram, Facebook oder Tumblr zu kommunizieren. Wir leben zusammen in einem einzigen großen Raum der sozialen Medien.

Das ist mein Kanal. Bitte nicht berühren!

Doch warum schreibt man einen Blog oder lädt einen Vlog hoch? Weil man eine Meinung teilen oder ausdrücken, weil man einen Gedanken formulieren oder provozieren will, oder weil man, wie ich im Jahr 2010, einfach gelangweilt ist und nichts Besseres zu tun hat.

Die ersten vier dieser Gründe aber haben mich motiviert, mich hinzusetzen – oder wie ein Verrückter in meiner Wohnung auf und ab zu gehen –, um dieses Buch zu schreiben: um auf diesen Seiten das zu vertiefen, was ich in meinen vielen Vlogs im Lauf der Jahre anschnitt; die Herausforderungen zu teilen, die ich in meinen 22 Jahren auf dieser Erde bestehen musste – einige universell, andere strikt persönlich –, in der Hoffnung, dass sie euch trösten können, euch in eine Richtung weisen können oder euch einfach dazu bringen, euch mit euren eigenen Herausforderungen weniger allein zu fühlen. Ich glaube, ich habe bisher ein sehr unkonventionelles Leben geführt, aber ihr selbst denkt über euch wahrscheinlich genauso. So vieles in unserem Leben bleibt unausgesprochen. Und obwohl ich mein Leben scheinbar im Internet lebe, gibt es vieles, was die Menschen nicht wissen. Ich meine, wie könnten sie?

Halten wir uns einige Augenblicke lang an die Mathematik, die von einigen geliebt, von mir aber gehasst wird. Die Einblicke in mein Leben blieben bisher auf fünf Minuten an jedem Montag beschränkt. Das sind fünf von 10080 Minuten pro Woche; das bedeutet aber, dass ich zwischen 2010 und 2014 bisher etwa 18 Stunden damit verbracht habe, mit meinen Zuschauern zu sprechen. Ich habe nur an der Oberfläche von dem gekratzt, was ich mit euch teilen will. Und auch das, was ich sagte, wurde in einem sorgfältig produzierten, polierten Video gepostet. Wenn ich einen Fehler mache, kann ich zurückspulen und nochmals von vorne beginnen – und ich kann das irrwitzig oft tun, bis ich zufrieden damit bin, wie meine Worte transportiert werden.

Das wirkliche Leben ist anders. Es läuft in einer Aufnahme ab, ungeschnitten, unvollständig und mit Fehlern behaftet, die wir wiederholen müssen, bis wir sie ausmerzen können – eine Wahrheit, die für Teenager wie für Erwachsene gilt.

Ein Computerbildschirm ahmt einen Fernsehbildschirm nach, indem er das Bild eines perfekten Lebens entstehen lässt – ich sollte besser sagen »die Illusion«. Ähnlich wie ein Selfie auf Instagram oder ein gut gearbeiteter Tweet projiziert der Computerbildschirm die Bilder, die ich zeigen will. Wir alle tun das. Mein Leben – der Ausschnitt, der über YouTube vermittelt wird – ist nicht perfekter als euer Leben. Ich bin nicht anders als ihr. Ich kämpfte mit Problemen, die gewaltig waren, wie etwa mit einer Depression und meiner Sexualität. Und ebenso kämpfte ich mit alltäglichen Problemen wie Freundschaft und dem Bild vom eigenen Körper. Manche nennen das Erwachsenwerden. Ich nenne es Leben, und nach meiner Erfahrung wird es im Lauf der Jahre nicht leichter. Aber dieser ewige Kampf ist schön, und ich bin glücklich, dass ich bisher durchhielt.

Auf den folgenden Seiten gehe ich über diese fünf Minuten pro Woche hinaus, die ich gewöhnlich in einem Video teile. Ich will euch einladen, mehr von mir kennenzulernen – so, wie man es mit einem Freund tut oder mit Menschen, von denen man weiß, dass sie einen verstehen werden. Ich hoffe, ich kann euch unterhalten, aufklären, inspirieren und/oder anregen. Ich hoffe, ich werde Lachen, Tränen und alles dazwischen provozieren. Ihr werdet einige witzige Geschichten aus meiner Vergangenheit, einige Ratschläge zu schwierigen Themen hören und viele der Fotografien sehen, die ich unterwegs machte.

Hier geht es darum, etwas Tieferes und Reicheres zu schreiben als 140 Zeichen. Es geht darum, dieses Buch zu schreiben. Es geht um uns.

»Was tun Sie eigentlich?«

DAS LEBEN ALS YOUTUBER ist nicht leicht erklärbar in einer Welt, die noch immer versucht zu begreifen, dass Schöpfer von Inhalten wie ich ihren Lebensunterhalt verdienen können – ja, tatsächlich – und dass YouTube nicht einfach eine Spielwiese für Jugendliche mit Kameras ist, die Karaoke spielen oder andere Kindereien aufführen, und auch kein Medium für Erwachsene, die Kurzfilme von süßen Babys und Katzen in der Hoffnung posten, dass sie zu Hits werden.

In einem Gespräch kann diese Prozedur des Erklärens, was ich tue, witzig, ein wenig schräg oder einfach schrecklich sein. Es läuft normalerweise etwa so ab:

STELLT EUCH FOLGENDE SZENE VOR: Ich bin auf einer Party in einem überfüllten Raum in Los Angeles (wie das heutzutage meist der Fall ist). Ich mische mich fröhlich unter das Volk und betreibe Netzwerken, bis ich mich einem gutgesinnten Fremden vorstelle, der keine Ahnung hat, wer ich bin.

FREMDER:

Was tun Sie eigentlich, Connor?

Das ist ohne den geringsten Zweifel die erste Frage, die in Los Angeles gestellt wird. Sie soll offenbaren, was dich an diesen verrückten Ort, der von Stars überflutet wird, gebracht hat, wie erfolgreich du möglicherweise bist und, manchmal auch, ob du es wert bist, dass man sich mit dir länger als zwei Minuten abgibt. Mein aufgesetztes Lächeln lässt nicht erkennen, dass eine Stimme in mir Alarm schlägt, weil ich weiß, worauf es unvermeidlich hinausläuft: auf das gefürchtete YouTube-Gespräch. Trotzdem mache ich einen heldenhaften Versuch, das Thema nicht aufs Tapet zu bringen.

ICH:

Verschiedenes. Ich bin Blogger und Video-Künstler.

Ich ändere die Beschreibung dessen, was ich tue, jedes Mal; es ist Teil meiner bisher fruchtlosen Suche nach einer Antwort, die keine weitere Neugierde hervorrufen wird, die Suche nach der Schublade, die auf alles anzuwenden ist, was ich tue.

FREMDER:

Tatsächlich? Worüber bloggen Sie?

ICH:

Ach, über Gott und die Welt.

Lifestyle.

FREMDER:

Interessant. Für welches Medium?

Es ist nicht mehr zu vermeiden. Nach meinen Erfahrungen mit dieser Art von Gesprächen ist das Hauptproblem für die Leute, meine ganz besondere Karriere zu begreifen.

ICH:

YouTube. Ich, ähm, bin ein YouTuber.

Die Verwirrung hinter dem ratlosen Stirnrunzeln auf diese Antwort ist fast mit den Händen zu greifen – der Gedankengang ist aller Voraussicht nach folgender: YouTube? Wie die Video-Website? Was tun Sie dort genau?

ICH:

Ich bin ein Vlogger, das heißt ein Blogger in Form eines Videos.

FREMDER:

Das heißt …, Sie sprechen im Grunde in eine Kamera … in Ihrer Freizeit?

ICH:

Nein. Das ist mein Lebensunterhalt.

FREMDER:

Das ist Ihr JOB?

ICH:

Ja, ich mache YouTube-Videos. Es handelt sich für gewöhnlich um fünf Minuten lange humorvolle Nummern oder einfach Kommentare über mein Leben allgemein.

FREMDER:

Tatsächlich?

ICH:

Ja.

Was die Person am liebsten sagen würde, meist aber nicht sagt, ist: »Sie verschaukeln mich, nicht wahr? Das kann doch kein Job sein.« Stattdessen verwandelt sich die Skepsis vielmehr in bohrende Neugierde.

FREMDER:

Und Sie verdienen Geld damit?

ICH:

Das kann man sagen.

Ich fühle mich immer unwohler.

FREMDER:

Nun, wie viel verdienen Sie denn?

Die Leute nehmen sich immer die Freiheit, mich danach zu fragen. Unverständnis geht normalerweise mit dem Über-Bord-Werfen der Etikette Hand in Hand; die Welt von YouTube ist derart ungewöhnlich, dass die meisten Menschen über 30 sie unter allen Umständen verstehen wollen, auch in Bezug auf das Einkommen.

ICH:

Ich habe ein sehr gutes Einkommen.

FREMDER:

Aber … wie?

ICH:

Werbeeinnahmen. Sponsoren. Es funktioniert auf dieselbe Art und Weise, wie TV-Gesellschaften ihr Geld verdienen.

FREMDER:

Kann ich das auch tun? Ich meine, Videos hochladen und Geld verdienen?

Die Würfel sind gefallen, und der Fremde spricht endlich aus, was bisher ungesagt im Raum stand: dass es leicht sein muss, dass es nicht viel Aufwand erfordern kann, ein YouTuber zu sein. Nicht wahr? Wie schwer kann das schon sein?!

ICH:

Na ja, jeder kann YouTube nutzen. Es wird in jeder einzelnen Minute Video-Material in der Länge von 300 Stunden auf die Seite hochgeladen. Aber es kostete mich vier Jahre Zeit, 400 Videos und viel harte Arbeit und Durchhaltevermögen, um an diesen Punkt zu kommen. Der Erfolg stellt sich nicht automatisch ein, sondern …

FREMDER:

Oh. (Enttäuschung zeichnet sich auf seinem Gesicht ab.) Okay, es war schön, mit Ihnen zu sprechen, Connor.

Der Fremde bricht das Gespräch für gewöhnlich vorzeitig ab. Ich bin mir sicher, dass er nach Hause geht und seinen Sohn oder seine Tochter im Teenageralter bittet, ihm im Schnellsiedeverfahren zu erklären, was es mit der »YouTube-Generation« auf sich hat.

Das ist es also für den Uneingeweihten, was ich bin und was ich tue.

Aber wie ich dazu gekommen bin, ist ein ganz andere Geschichte.

Lernt die Familie kennen

WENN MAN 2500 QUADRATMETER LAND in Minnesota sein Eigen nennen kann, dann stehen die Chancen hoch, dass man einen Apfelbaum entweder geerbt oder selbst angebaut hat. Ich will aber klarstellen, dass der Baum auf der folgenden Seite kein Apfelbaum ist. Es ist ein Stammbaum. Ich pflanzte ihn – Verzeihung: ich zeichnete ihn – für dieses Buch, eigentlich nur, um den alten Spruch zu illustrieren, dass der Apfel nicht weit vom Stamm fällt.