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Inhaltsverzeichnis

Zu diesem Buch

Als die Bundesliga laufen lernte 1963 - 1968

Die Ängste des Franz Kremer

Kein Platz für den FC Bayern

Köln der Zeit voraus

Robert Schwan als »Volontär« in Köln

60 Prozent Eigengewächs

Max Merkel packte die Koffer

17 Spiele ohne Gegentor

Für den Titel noch nicht reif

Tod am Radio

FC Bayern gegen alle I 1968 - 2002

Der Abstieg des Meisters

Gewagte Vergleiche

Breitner ließ sich nichts gefallen

Beckenbauer mit 20 ein Weltstar

Einfluss auf die Personalpolitik

Rekorde für die Ewigkeit

Kein Jubel auf Münchens Straßen

Netzer sagte dem FC Bayern ab

Keine Freigabe für Gerd Müller

Schalke mit den meisten Zuschauern

Lattek nicht mehr tragbar

Mit Cramer auf Platz zehn

Weisweiler zum FC Barcelona

Zu Spielerverkäufen gezwungen

Sepp Maier kassierte 64 Tore

HSV-Spieler wählten Gutendorf ab

Keegan als »Mighty Mouse«

VfB–Zauber mit Hansi Müller

Toppmöllers folgenschwere Ohrfeige

Neudecker trat verärgert zurück

Uli Hoeneß Manager mit 27

Drama um HSV-Trainer Zebec

Spaß am Fußball durch Happel

»Mister Frankfurt« sagte goodbye

Benthaus als Meistermacher

Viel Geld für Rummenigge

Champion mit nur 22 Gegentoren

Heynckes versprach den Europapokal

Effenbergs dummer Spruch

17 Millionen Mark für Kohler

Rehhagel schockierte Bremen

Eine Ansammlung von Hochkarätern

Beim »FC Hollywood« überfordert

Dortmund zog das große Los

Spekulationen um Sammer

Das Wunder Kaiserslautern

Viermal Meister mit Hitzfeld

Mit zwei Tschechen zum Titel

Das 40. Jubiläumsjahr

»Dortmund bekam die Quittung«

Toppmöller zu euphorisch

»Zu groß für die Liga, zu klein für Europa«

FC Bayern gegen alle II 2003 - 2010

Werder mit Raute und »Kugelblitz« Ailton

Das Double ist nicht genug

Nörgelei, Kritik und Michael Ballack

Junge Schwaben überholen »Retro-Bayern«

Der große Griff ins Festgeldkonto

Wolfsburg mit Magath auf dem Hügel

»Feierbiest« Louis van Gaal

Zwei Dortmunder Jahre

Jugend statt Routine

Statt Absturz ein Rekord

Vizekusen liegt in München

Entscheidungen auf der Ziellinie

Erregt über Torpfostenurteil

Hoeneß überbringt Hiobsbotschaft

»Bayern eine einsame Größe«

Preisschießen der Gladbacher

Aus für Rehhagel nach dem 0:12

Kutzops folgenschwerer Fehlschuss

Dortmund verflucht Bayer

»Sie haben uns den Titel gestohlen!«

Ballacks verflixtes Eigentor

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Schalke »Meister der Herzen«

Overaths Tor der Freude

Ein Norweger rettet Frankfurt

Originale – wo sind sie geblieben

Berti war sein Lieblingsgegner

Dörfel: »Ich bin der Erfinder der Bananenflanken«

Platzverbot beim HSV

Die Ausflüge des »Radi« Radenkovic

Bank samt Trainer gestemmt

Mit der Schnupftabakdose unterwegs

Zum Schluss Krach mit Völler

Warme Abschiedsworte für Basler

Den »Blitzkneißer« hochgenommen

Flucht nach Amerika

Doppelpass mit Pelé

Gerd Müller nach Florida

Comeback beim Hamburger SV

1984 Derwalls Nachfolger

»Eine Millionen pro Monat«

Go West - der Exodus der ostdeutschen Spieler

Thom war der erste »Überläufer«

Hoeneß: »Das ist Menschenhandel«

25 Millionen für Heinrich!

Beckenbauers großer Irrtum

Wie die Einkommen explodierten

1400 Mark für Beckenbauer

»Hans Schäfer bekam mehr«

Mit »Jägermeister« begann es

Ausrüster zur Kasse gebeten

Uli Hoeneß hatte die Nase im Wind

Teure Italien-Rückkehrer

Aufschrei nach Bosman-Urteil

Grünes Licht für Ausländer

Kirch rettete die Schuldenklubs

Nur die Topgehälter explodierten

Arm & Reich

Bayer begann als »graue Maus«

Goldgrube Olympiastadion

»Aufrüstung zur Geldmaschine«

Finke und das »Modell Freiburg«

Cissé mit fast einem Jahresetat Gewinn verkauft

Kein »Klassenkampf« mehr auf dem Kiez

Die Psychotricks der Trainer

Streit als Erfolgsrezept

Hemmungsloser Daum

Mit nackten Füßen über Scherben

Toppmöller schleppte einen Adler an

Die Kunst der Motivation

Klopp als neuer Happel

Kuriositäten

Zwei Narben am Po …

Pfaffs unglückliche Premiere

Wirbel um ein »Phantom-Tor«

Die »verrückte Bogenlampe«

Drei Eigentore in einem Spiel

Emotionen

Stein war schon »vorbelastet«

Klinsmanns Tritt gegen Tonne

»Schwach wie Flasche leer«

Lizarazu ohrfeigte Matthäus

Die Hotellampen zerschossen

Toppmöller verteidigte Kahn

Fünf Mark für die S-Bahn

Helden für einen Tag

Vier Tore gegen Uwe Seeler & Co.

Bayern staunten über Hausmann

Niere und Milz entfernt

Applaus sogar von Sepp Maier

Fischer-Ersatz schoss Köln k. o.

Fünf Tore gegen Oliver Kahn

Der Bundesligaskandal

Mit Geldkoffer an der Raststätte

Manglitz bekam kalte Füße

»Allein gegen die Mafia«

Meineidprozess gegen Schalke-Profis

Amnestiewelle des DFB

… und andere Skandale

Hertha in die Regionalliga verbannt

0:7 weckte Verdacht …

Ein Buch kostete die Karriere

Geständiger Betrüger

Hölzenbein am Gefängnis vorbei

In der Not das Stadion verkauft

Mit Otto in den Untergang

Die Kokainaffäre des Christoph D.

Gerichtsverfahren eingestellt

Die Hoyzer-Affäre

Der Tod von Robert Enke

Depressionen und Versagensängste

Zum Tagesgeschäft übergegangen

Rangnick mit Erschöpfungssyndrom

Von »Radi« bis Ribéry

Von Perusic bis Ibisevic

Weisweiler auf »Dänenfang«

Bastrup und Lerby zweimal Meister

Tita der erste brasilianische Star

Dunga – ein Spieler nach Maß

Pflichtgefühl kontra Sonnenhunger

Marcelinho und der Familienclan

Ribèry Fußballer des Jahres

Torgefährliche Niederländer

Die ersten Stars aus dem Internat

Immer schön tiefstapeln

Persönlichkeiten, keine »Sauhunde«

Die Liga im Wandel der Medien

Inszenierte Spannung

»Bleiben Sie jetzt unbedingt dran«

Die »Chefchen«-Affäre

Vom Stadion zur Arena

Roastbeef wichtiger als das Spiel

WM 2006 sorgt für Bau-Boom

Zuschauer als Claqueure

Wohin geht die Reise?

»Ein Quantensprung«

Sparkurs auf Schalke und bei Bayer

Die profitabelste Liga Europas

Statistik

Alle Meistermannschaften seit 1964

Abschlusstabellen

Die Bundesliga nach 49 Spielzeiten

Die Spieler mit den meisten Bundesliga-Einsätzen

Die Zuschauerzahlen

Die Bundesliga-Torjäger

Die Bundesliga-Torschützenkönige

Die Fußballer des Jahres

Die höchsten Transfersummen

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Vorwort

Zu diesem Buch

50 Jahre Bundesliga – ein reizvoller Anlass, die spannende Geschichte der Liga noch einmal zu erzählen. Eine Geschichte, die alle Extreme kennt: großartige Spiele, spannende Entscheidungen und groteske Fehlentscheidungen, utopische Vorhaben, Schulden und Skandale.

Die Bundesliga ist als Abbild der Gesellschaft faszinierend und schockierend zugleich und auf alle Fälle nie langweilig und nach wie vor der Deutschen liebstes Kind: Erstmals kamen in der Saison 2011/12 durchschnittlich mehr als 45 000 Zuschauer pro Spiel in die modernen Arenen. Keine andere Liga der Welt zieht so viele Zuschauer an.

In diesem Buch können Sie lesen, »wie die Bundesliga laufen lernte«, den unaufhaltsamen Aufstieg des FC Bayern verfolgen und feststellen, dass Klubs wie der VfL Borussia Mönchengladbach, der Hamburger SV, der SV Werder Bremen und der BV Borussia Dortmund versuchten, den Münchnern den Weg zum Branchenprimus so schwer wie möglich zu machen.

Die Geschichte der Bundesliga wäre freilich unvollständig ohne den Bundesligaskandal, die Drogenaffäre des Trainers Daum, den Exodus der DDR-Spieler nach dem Mauerfall oder die »Völkerwanderung« nach dem Bosman-Urteil, das die Einkommen explodieren ließ.

All das und noch viel mehr lesen Sie in diesem Buch, das bereichert wird durch viele textbezogene Fotos, eine Fülle von Zitaten, Randgeschichten in großer Zahl und eine umfangreiche Statistik.

Die Autoren, im Sommer 2012

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image Als die Bundesliga laufen lernte 1963 – 1968

Jahrelang lag der Plan in seiner Schublade. Lebhaft unterstützt von Bundestrainer Sepp Herberger kämpfte Franz Kremer, der weitsichtige Präsident des 1. FC Köln, mit Verve und Geduld um eine eingleisige nationale Fußball-Liga. Die Installation war längst überfällig, wurde aber von Vereinsfunktionären und regionalen Verbandsoberen beharrlich blockiert.

Erst deftige Pleiten deutscher Klubs im Europapokal (1. FC Nürnberg 0:6 bei Benfica Lissabon, 1. FC Köln 1:8 beim FC Dundee), der Niedergang der Nationalmannschaft (bei der WM 1962 frustrierender Defensivfußball und das Aus im Viertelfinale) und nicht zuletzt der Wechsel etlicher Nationalspieler ins Ausland (Albert Brülls, Helmut Haller, Karl-Heinz Schnellinger, Horst Szymaniak, Erwin Waldner, Rolf Geiger, Jürgen Schütz, Klaus Stürmer) ließ die Zahl der »Betonköpfe« schrumpfen.

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Ein Mann der ersten Stunde: Uwe Seeler (Mitte) war 26, als die Bundesliga begann. In neun Jahren, zwischen 1963 und 1972, brachte er es beim Hamburger SV in 239 Spielen auf 137 Tore. Ein Achillessehnenriss im Februar 1965 in Frankfurt konnte die Karriere von »Uns Uwe« nur unterbrechen. Im September 1965 schoss er beim 2:1-Sieg in Schweden die Nationalmannschaft zur WM nach England.

Die Ängste des Franz Kremer

Dennoch quälten Kremer Ängste, als »sein Kind« am 28. Juli 1962 im Goldsaal der Dortmunder Westfalenhalle aus der Taufe gehoben werden sollte. Zum Glück waren sie unberechtigt: Mit 103 zu 26 Stimmen wird die notwendige Zweidrittelmehrheit für das »Staatstheater Bundesliga« (so ein Kommentator) klar übertroffen. Den Vollprofi einzuführen, dazu kann sich der DFB-Bundestag nicht durchringen. Der alte Amateurgedanke geistert durch das erste Bundesligastatut, das viele Mängel hat, und das zum Manipulieren und zu Schwarzgeldzahlungen geradezu einlädt (siehe auch: »… und andere Skandale«).

Kein Platz für den FC Bayern

Ärger gab es bei der Auswahl der 16 Gründungsklubs. Für Wilhelm Neudecker, den dynamischen Präsidenten des FC Bayern, war es ein Affront des DFB, den Traditionsklub von der Isar nicht zu berücksichtigen. Der TSV 1860 München, der 1. FC Nürnberg, Eintracht Frankfurt, der VfB Stuttgart und der Karlsruher SC erhielten die fünf Plätze für den Süden. In hölzernem Deutsch wurde dem FC Bayern vom DFB-Beirat mitgeteilt, dass es wenigstens im Jahr der Einführung der Bundesliga im allgemeinen Interesse des gesamten Fußballs nicht ratsam erscheint, zwei Vereinen am gleichen Ort eine Lizenz für die Bundesliga zu erteilen.

»In diesen Tagen wurde die Grundlage für einen gewissen Verfolgungs- und Verschwörungswahn des FC Bayern gelegt, der sich trotz des Aufstiegs des Klubs zum deutschen Rekordmeister bis heute gehalten hat,« schreibt Dietrich Schulze-Marmeling in seinem Buch »Die Bayern«.

Köln der Zeit voraus

Die Empörung in der Republik hielt sich freilich in Grenzen. Die Fußballfans waren auf den 24. August 1963 fixiert, den Tag des Startschusses in ein neues Fußballzeitalter. Timo Konietzka vom Deutschen Meister Borussia Dortmund erzielte in Bremen das erste Bundesligator in der 1. Minute und Uwe Seeler vom Hamburger SV im Jahr der Premiere die meisten Treffer (30). Doch den Titel holte, wie erwartet, der 1. FC Köln, der Anfang der sechziger Jahre der Zeit weit voraus war. Im Gegensatz zu den meisten anderen Klubs beschäftigten die Rheinländer ihre Spieler wie die Vollprofis in England und Spanien. Franz Kremer hatte für sie durchweg zusätzliche Ein nahmequellen erschlossen, die ihnen finanzielle Sorgen nahmen. Der Inhaber eines Geschenkartikel-Großhandels vermittelte seinen Fußballangestellten Tankstellen und Toto-Lotto-Läden, in denen sie hauptsächlich repräsentierten. Bei der Konkurrenz wurde wie bisher vorwiegend am Abend trainiert. So saß zum Beispiel Nationalspieler Alfred »Aki« Schmidt von Borussia Dortmund täglich ein paar Stunden im Büro des Stahlkonzerns Hoesch, um sich ein Zubrot zu verdienen.

Kein Foto vom ersten Bundesligator

Vom ersten Bundesligator gibt es keine Aufnahme. Der Grund: Alle Fotografen hatten sich hinter dem Tor von Borussia-Torhüter Hans Tilkowski niedergelassen und so den Treffer des Dortmunders Timo Konietzka in der 1. Minute verpasst. Das Spiel im Weserstadion gewann Werder Bremen mit 3:2.

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Dieter Seeler, hier bedrängt von Kölns Weltmeister Hans Schäfer, spielte von 1963 bis 1965 beim HSV neben seinem fünf Jahre jüngeren Bruder Uwe. Wenige Tage vor seinem 48. Geburtstag starb Dieter Seeler an Herzversagen.

Die Kölner spielten den perfektesten Fußball aller Mannschaften und besaßen 1963 mit Wolfgang Overath und Wolfgang Weber zwei 19-jährige Talente, die schon bald in Herbergers Notizbuch auftauchten.

Von Hans Schäfer, dem Weltmeister von 1954 gelenkt, inszenierten sie einen Offensivfußball, den ähnlich attraktiv nur noch die Dortmunder Borussia zelebrierte. Thielen, Schäfer, Christian Müller, Overath und Hornig stürmten für die Kölner, Wosab, Schmidt, Brungs, Konietzka und Emmerich für die Westfalen, die am Ende mit Platz vier vorliebnehmen mussten. Die Schlagzeilen gehörten dem Meidericher SV, der 1966 in MSV Duisburg umbenannt wurde, und seinem Trainer Rudi Gutendorf. Mit einer ausgeklügelten Defensiv taktik verteidigten die Duisburger bis zum Schluss Platz zwei, und Gutendorf erhielt den wenig schmeichelhaften Namen »Riegel-Rudi«.

Platzverweis für einen »Helden von Bern«

Helmut Rahn, der 1954 mit seinem Tor zum 3:2 über Ungarn die deutsche Nationalmannschaft in Bern zum Weltmeister machte, erlebte den Start der Bundesliga beim Meidericher SV. In 19 Spielen erzielte er acht Treffer. Mehr mediale Aufmerksamkeit fand der einzige Platzverweis in der Karriere des Esseners: Im Bundesligaspiel gegen Hertha BSC flog Rahn auf die alten Tage wegen Tätlichkeit gegen den Berliner Harald Beyer vom Platz. Bundesligaluft schnupperten noch zwei weitere »Helden von Bern«. Max Morlock brachte es in 21 Spielen für den 1. FC Nürnberg auf acht Tore, Hans Schäfer in 39 Spielen für den 1. FC Köln auf 20 Treffer.

Robert Schwan als »Volontär« in Köln

Der Auftritt der Kölner war so überzeugend gewesen, dass die Rhein länder auch in die zweite Bundesligasaison als heißer Favorit gingen und Besuch aus München bekamen. Bayern-Präsident Neudecker und Manager Robert Schwan hielten es für geboten, in Köln Anschauungsunterricht in modernem Management zu nehmen. Doch die Vision von einer Dauerherrschaft in der noch jungen Bundesliga und die Illusion, ein deutsches Real Madrid zu werden, sollte sich beim 1. FC Köln schnell in Luft auflösen.

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Die Kölner waren die Attraktion im Jahr der Bundes ligapremiere. Hier die Mannschaft, die 1964 Meister wurde (von links): Hans Schäfer, Fritz Ewert, Hansi Sturm, Leo Wilden, Helmut Benthaus, Wolfgang Weber, Karl-Heinz Thielen, Fritz Pott, Wolfgang Overath, Heinz Hornig und Toni Regh.

Schon im zweiten Jahr musste die Mannschaft, die bis auf die Westfalen Heinz Hornig und Helmut Benthaus durchweg aus Rheinländern bestand, Werder Bremen den Vortritt lassen. Trainer Willi »Fischken« Multhaup, später erfolglos in Köln tätig, hatte den Gladbacher »Eisenfuß« Horst-Dieter Höttges und den Schalker Stürmer Klaus Matischak an die Weser gelockt. Höttges bildete mit Sepp Piontek eine Verteidigung, deren Härte (und Klasse) die Gegenspieler schmerzvoll zu spüren bekamen. Unbegreiflich blieb, dass der FC Schalke 04 mit Nationalspielern wie Willi Schulz, Hans Nowak und dem jungen Reinhard »Stan« Libuda die Saison als Tabellenletzter (!) beendete. »Interne Ränkeschmiede und Intriganten sorgten für einen unerklärlichen Leistungsabfall,« notierte ein Kritiker. Der Abstieg blieb dem Traditionsklub aus dem »Pütt« dennoch erspart.

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19 Jahre jung, dribbelte Reinhard Libuda gleich im ersten Bundesligajahr in die Schlagzeilen. Nach zwei Jahren Spiel beim FC Schalke 04 trug der »Stan«, wie er in Erinnerung an Stan Matthews getauft wurde, drei Jahre das Trikot des BV Borussia Dortmund. 1968 kehrte er zu den »Königsblauen« zurück.

Nachdem Hertha BSC Berlin wegen statutenwidriger Finanzgebaren ausgeschlossen worden war (siehe auch: »… und andere Skandale«), erweiterte der DFB die Liga auf 18 Klubs.

60 Prozent Eigengewächs

Frischen Wind brachten 1965 zwei Aufsteiger in die Liga, die die siebziger Jahre dominieren sollten. Der FC Bayern mit Trainer Tschik Cajkovski und der VfL Borussia Mönchengladbach mit Trainer Hennes Weisweiler waren gleich ein Hit; sie mischten die Etablierten gehörig auf. Schon am zweiten Spieltag bezwang die Münchner Mannschaft, in der 60 Prozent der Akteure aus dem eigenen Nachwuchs kamen (Beckenbauer, Maier, Nafziger, Kosar, Kunstwadl, Kupferschmidt, Brenninger, Rigotti), die Frankfurter Eintracht mit ihrem Paradesturm Grabowski (damals noch Rechtsaußen), Lindner, Sztani, Huberts, Lotz mit 2:0. Auch den Münchner »Löwen« zog der Aufsteiger das Fell über die Ohren. 0:3 unterlag das Team um Torhüter Radenkovic, um die exzellenten Außenläufer Luttrop und Perusic und das renommierte Angriffsquartett Heiß, Konietzka, Brunnenmeier, Grosser und Rebele.

»In den ersten Jahren unter Weisweiler fuhren die Borussen am Vorabend eines Spiels noch geschlossen mit dem Bus ins Kino. Später dann blieb der Hennes im Hotel, drosch mit Freunden bei Pils und Fernet Branca einen zünftigen Skat, während die Spieler in Privatautos zum Kino fuhren. Den Abschluss bildete meist eine wilde Rallye zurück zum Hotel.«

Jupp Heynckes in seinem Lehrbuch: »Fußball aktiv – Training und Spiel«

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Trainer Max Merkel holte Timo Konietzka 1965 von der Dortmunder Borussia zum TSV 1860 München, wo der ehemalige Bergarbeiter in 47 Spielen 30 Treffer erzielte und wesentlichen Anteil am Gewinn der Meisterschaft 1966 hatte. In die Historie ging Konietzka als Schütze des ersten Bundesligatores ein.

Am Ende feierte München den TSV 1860 mit seinem Trainer Max Merkel als Meister und den FC Bayern als Bundesligadritten und Pokalsieger. In einer Umfrage nach dem sympathischsten Bundesligateam der Saison ging die Beckenbauer-Truppe vor Meister 1860 und Dortmund als Sieger hervor – ein bemerkenswerter Erfolg, denn immerhin waren die Westfalen als Europapokal sieger der Pokalsieger (2:1 in der Verlängerung gegen den FC Liverpool) aus Glasgow heimgekehrt.

Maximal 1200 Mark Monatslohn

Das erste Bundesligastatut erlaubte den Spielern keine großen Sprünge. Die monatlichen Grundbezüge (Gehalt plus Leistungsprämien) durften 1200 Mark im Regelfall nicht überschreiten. Eine Höherdotierung »besonders qualifizierter Spieler« bedurfte einer gutachterlichen Stellungnahme bzw. einer Genehmigung des DFB-Spielausschusses. Die Sonderprämien für Meistertitel und Pokalsieg durften maximal 2000 bzw. 1500 Mark betragen. Die Höchstgrenze für Ablösesummen war 50 000 Mark. Im Falle der Freigabeverweigerung des alten Vereins drohte eine Sperre von zwölf Monaten. Vereinswechsel waren nur nach Ablauf der Saison möglich.

Max Merkel packte die Koffer

Mit dem gleichen Titel wie Dortmund schmückte sich dann ein Jahr später die junge Bayern-Mannschaft. Im Finale von Nürnberg besiegte sie die Glasgow Rangers durch ein Tor von Franz »Bulle« Roth, der zwei Jahre zuvor noch für den C-Klassen-Verein TSV Bertelshofen gespielt hatte, mit 2:1. In der Meisterschaft aber reichte es 1967 nur für Platz sechs, der Tanz auf drei Hochzeiten (Bundesliga, DFB-Pokal, Europapokal) war eine zu große Belastung gewesen. Auch für den TSV 1860 lief nicht alles nach Wunsch. Max Merkel hatte mit Torhüter Wolfgang Fahrian von Hertha BSC seinem Intimfeind Petar Radenkovic einen Rivalen vor die Nase gesetzt und Libero Friedel Lutz von der Frankfurter Eintracht geholt, die Talfahrt seiner Mannschaft indes nicht verhindern können. Nach elf Spieltagen waren die »Löwen« Vorletzter und Merkel ratlos. Ehe es zum Eklat kam, packte der Wiener seine Koffer und heuerte beim 1. FC Nürnberg an. Mit Nachfolger Gunter Baumann robbte sich der TSV 1860 schließlich noch an Dortmund und Frankfurt vorbei auf Platz zwei hinter Eintracht Braunschweig.

17 Spiele ohne Gegentor

Die Niedersachsen als Meister hatte keiner auf der Rechnung. Die Mannschaft von Disziplinfanatiker Helmut Johannssen erinnerte in ihrer betont defensiven Spielweise an den berüchtigten Catenaccio von Inter Mailand. Freunde des schönen Fußballs nannten die Braunschweiger verächtlich »Spielverderber«.

Das Team stützte sich auf eine solide Abwehr mit Torhüter Horst Wolter, der in 17 Spielen ohne Gegentor blieb und insgesamt nur 27 Treffer hinnehmen musste, Libero Joachim Bäse, Vorstopper Peter Kaack, dem später bei einem Autounfall tödlich verunglückten Jürgen Moll und Stürmer Lothar Ulsaß.

In der Saison 1967/68 machte Max Merkel in Nürnberg schon vor dem Anpfiff auf sich aufmerksam: Der Österreicher hatte gleich elf Spieler ausgemustert (unter anderem Publikumsliebling Stefan Reisch und Tasso Wild). Und tatsächlich gelang es seiner Mannschaft, eine Mixtur aus Kondition, Zweikampfstärke und Spielfreude, die gesamte Konkurrenz zu distanzieren und Meister zu werden. »Die Athleten beißen und die Techniker spielen lassen«, so übersetzte Stürmerstar Georg Volkert, 1977 mit Felix Magath beim HSV Europapokalsieger der Pokalsieger, Merkels Erfolgsphilosophie.

Vertrag auf dem Bierdeckel

In den ersten Bundesligajahren wurden Verträge schon mal per Handschlag abgeschlossen. Üblich war dies in Mönchengladbach zwischen Trainer Hennes Weisweiler und Manager Helmut Grashoff. Es konnte aber auch vorkommen, dass als Dokument für eine Gehaltsvereinbarung ein Bierdeckel herhalten musste. So geschehen auf der Rückfahrt von einem Spiel der Münchner »Löwen« Mitte der 60er Jahre nach einem Vier-Augen-Gespräch zwischen Trainer Max Merkel und Klubpräsident Adalbert Wetzel.

Für den Titel noch nicht reif

Der FC Bayern und die Gladbacher Borussia mussten einsehen, dass sie für den Titel noch nicht reif waren. Weisweilers »Fohlen«-Elf wirbelte zwar über den Rasen, dass den Fußballfreunden das Herz aufging, doch die Abwehr der Westdeutschen war zeitweise so löcherig wie Schweizer Käse. Auch die Bayern-Abwehr hielt den Anforderungen nicht immer stand. So waren Beckenbauer & Co. beim 3:7 in Nürnberg den Flügelstürmern Zvedzan Cebinac und Volkert sowie Mittelstürmer Franz Brungs, der fünf Mal traf, hoffnungslos ausgeliefert. Nachher mussten sich die Münchner von Hans Fiederer, dem damaligen Chefredakteur des »Sportmagazin« sagen lassen: »Die Bayern kamen tempomäßig einfach nicht mit. Selbst ein Weltklassespieler wie Beckenbauer ging mit unter.«

Tod am Radio

Die Spieler des 1. FC Köln, die sich als Vierter 1968 noch vor dem FC Bayern platzieren konnten, schockte mitten in der Saison der Tod ihres Präsidenten. Die Mannschaft um Overath erhielt die Nachricht im November 1967 auf der Heimfahrt vom Bundesligaspiel in Frankfurt. Der »Boss«, wie Franz Kremer respektvoll genannt wurde, starb in Köln nach einem Herzanfall während der Radioübertragung des Spiels seiner Mannschaft.

image FC Bayern gegen alle I 1968 – 2002

Schon beim ersten Titelgewinn des FC Bayern im Jahre 1969 waren sich die meisten Kritiker einig: Diese junge Mannschaft mit dem Dreigestirn Franz Becken bauer, Gerd Müller (damals beide 23) und Sepp Maier (25) wird in der Bundesliga eine Hauptrolle spielen.

Die erste Bundesligameisterschaft des FC Bayern trug die Handschrift des jugoslawischen Trainers Branko Zebec, der 1968 seinen Landsmann Tschik Cajkovski abgelöst hatte. »Der Individualist Tschik Cajkovski hatte den Grundstein für unsere Erfolge gelegt. Aber nach fünf Jahren war seine Zeit abgelaufen. Es kam der kühle Mathematiker Branko Zebec, unter dem alles professioneller ablief, und der einen neuen Bayernstil prägte. Einen mit mehr Systematik und mehr Disziplin. Doch die gute Kameradschaft, die in den Jahren mit Tschik gewachsen war, bildete die wichtigste Voraussetzung für den Erfolg, an den vor Beginn der Saison keiner von uns gedacht hatte«, hielt Franz Beckenbauer in einer Biographie fest.

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Drei, die den FC Bayern groß machten: Gerd Müller, Sepp Maier und Franz Beckenbauer, der schon als junger Spieler bei der Verpflichtung von Trainern und Spielern ein Wörtchen mitreden durfte. Seinen 30. Geburtstag feierte der »Kaiser« mit 120 handverlesenen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur.

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Mit dieser Mannschaft begann 1969 die unendliche Titelgeschichte des FC Bayern. Von links: Franz Beckenbauer, Gerd Müller, Franz »Bulle« Roth, August »Gustl« Starek, Helmut Schmidt, Georg »Katsche« Schwarzenbeck, Rainer Ohlhauser, kniend: Peter Pumm, Sepp Maier, Trainer Branko Zebec, Werner Olk und Dieter Brenninger.

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Für Bundestrainer Helmut Schön war er der erste Popstar der Fußballszene, für die Fans der kreative Spielgestalter: Günter Netzer dirigierte den VfL Borussia Mönchengladbach 1970 und 1971 zu zwei Meisterschaften.

Der Abstieg des Meisters

Um sein Potenzial wurde Zebec 1969 in der ganzen Bundesliga beneidet. Neben Beckenbauer, Gerd Müller und Sepp Maier verhießen Spieler wie Georg »Katsche« Schwarzenbeck, der Jahre später als »Putzer des Kaisers« weltweiten Ruf erwarb, Franz »Bulle« Roth, Rainer Ohlhauser und Dieter Brenninger erstklassigen Fußball über den Tag hinaus.

Die Sensation der Saison war freilich weniger der Triumph der Bayern als vielmehr der Abstieg des Vorjahresmeisters und Top-Favoriten 1. FC Nürnberg, dem ein Jahr später mit dem TSV 1860 München ein weiterer Vorzeigeklub des deutschen Fußballs folgen sollte.

Das Unglück der Nürnberger wurde das Glück des VfL Borussia Mönchengladbach. Trainer Hennes Weisweiler, von dem Gedanken beseelt, seine »Fohlen«-Elf zum großen Gegenspieler des FC Bayern heranzuzüchten, bekam endlich die dringend benötigten Abwehrspieler der Güteklasse A. Einer, der Nürnberger Ludwig »Luggi« Müller, unterschrieb gleich nach dem 0:3 der Franken am Schlusstag der Saison beim 1. FC Köln auf einer Kühlerhaube den Vertrag beim neuen Klub (siehe auch: »Entscheidungen auf der Ziellinie«). Den zweiten – Klaus-Dieter Sieloff – angelte sich Weisweiler wie vorher schon Mittelfeldspieler Horst Köppel beim VfB Stuttgart. Am Ende hatten sich die Investitionen gelohnt Der VfL Borussia war Meister und empfahl sich als Herausforderer des FC Bayern.

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Von 1964 bis 1973 beim VfL Mönchengladbach nicht immer ein Herz und eine Seele, aber höchst effektiv: Trainer Hennes Weisweiler und sein Spielmacher Günter Netzer, der 1973 zu Real Madrid wechselte. Weisweiler ging zwei Jahre später zum FC Barcelona, ehe er ein Angebot des 1. FC Köln annahm.

Tasmania Berlin hält den Minusrekord

Schwarzgeldzahlungen kosteten Hertha BSC 1965 die Bundesliga-Zugehörigkeit (siehe auch: »... und andere Skandale«). Doch weil Westberlin aus politischen Gründen in der höchsten Spielklasse präsent sein sollte, durfte ein anderer Berliner Klub an Herthas Stelle rücken. Weder Staffelmeister Tennis Borussia, der in der Aufstiegsrunde gescheitert war, noch der Staffelzweite Spandauer SV waren interessiert. So bekam Tasmania 1900 die Lizenz, die mit einem völlig unzureichenden Spielerkader das Abenteuer Bundesliga wagte. Ganze acht Punkte gewann die Mannschaft um den Italienheimkehrer Horst Szymaniak. Und auch das Torverhältnis von 15:108 bedeutete Minusrekord in der nationalen Eliteklasse.

Schnell verloren die Berliner Fußballfans das Interesse an der Tasmania. Wurden im ersten Heimspiel gegen den Karlsruher SC 81 524 Zuschauer im Olympiastadion gezählt, wo es mit dem 2:0 einen von zwei Siegen zu bejubeln gab, so kamen zum Spiel gegen Borussia Mönchengladbach am 15. Januar 1966 gerade mal 827 Besucher.

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Uli Hoeneß begann beim FC Bayern als Vertragsamateur. Als solcher wurde er, 20 Jahre jung, 1972 mit den Münchnern deutscher Meister und mit der Nationalmannschaft Europameister. Außerdem spielte er in der Olympiaauswahl, die mit einem 2:3 gegen die DDR das Halbfinale verpasste.

Gewagte Vergleiche

Edelfedern regte das Duell zwischen den beiden Vereinen zu gewagten Vergleichen an. Der eher ergebnisorientierte Zweckfußball der Bayern, so fabulierten sie, entspreche in etwa dem Geist der politisch Konservativen, der rasante Angriffsfußball der Gladbacher reflektiere dagegen die gesellschaftliche Aufbruchstimmung im Lande. »Netzers Pässe gingen weit in den freien Raum; sie waren das fußballerische Pendant zur Apo und deren Ausläufern, bis hin zu Willy Brandts ›Mehr Demokratie wagen‹«, interpretierte zum Beispiel der Schriftsteller Helmut Böttiger das Spiel des Borussia-Dirigenten.

Vordergründig bot sich die Szene so dar: In den politisch bewegten Jahren zwischen 1965 und 1974 sympathisierten die meisten Bayern-Spieler im Freistaat mehr mit den regierenden Christsozialen als mit den »Sozis«. Franz-Joseph Strauß spielte sogar Trauzeuge bei der Hochzeit des Ulmer Metzgersohnes Uli Hoeneß. Paul Breitner, wie Hoeneß 1970 zum FC Bayern gekommen, passte weniger in das Raster. Mit Afro-Look und der Peking-Rundschau in der Hand mimte er den Revoluzzer. Und auch Rainer Zobel und »Charly« Mrosko konterkarierten als »bekennende 68er« das Bild einer CSU-nahen Fußballgemeinschaft. In Gladbach war auch Ferrarifahrer Netzer weit davon entfernt, sich mit der Politik und den Politikern der sozialliberalen Koalition zu identifizieren.

»Jetzt haben’s beim FC Bayern, wo der Mozart und der Beethoven in einer Band stehen, endlich auch einen passenden Bediener, der nur die Noten umzublättern braucht.«

Max Merkel über Udo Lattek, der als junger Trainer beim FC Bayern 1970 mit Beckenbauer und Gerd Müller Weltklassespieler vorfand

Breitner ließ sich nichts gefallen

Im Auftreten der beiden Kapitäne Beckenbauer und Netzer auf dem Rasen gab es kaum Unterschiede. Beide bestimmten Tempo und Spielgestaltung, beide dirigierten das Geschehen lautstark. Beckenbauer, von Natur aus eher Phlegmatiker, mutierte auf dem Platz schon mal zum Choleriker. »Er konnte wie eine Marktfrau auf dem Viktualienmarkt fluchen und gleichzeitig das Spiel seiner Mannschaft führen, das an die distinguierte Art des Papstes erinnerte«, schrieb »Spiegel«-Autor Hermann Schreiber. Lustvoll stritt sich Beckenbauer mit Paul Breitner. Anders als Uli Hoeneß, der dem Sprichwort huldigte »Reden ist Silber, Schweigen ist Gold«, ließ sich der Querdenker Breitner nichts gefallen. Auch Sepp Maier widersprach dem »Kaiser« gelegentlich, trug Wortgefechte im Gegensatz zu Breitner meist humorvoll aus.

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Paul Breitner, hier unter einem Mao-Bild mit der Peking-Rundschau in der Hand, legte als junger Spieler Wert darauf als »links« zu gelten. Dank seiner sportlichen Qualitäten konnte sich der Münchner in einem konservativen Umfeld die Rolle eines Revoluzzers leisten.

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Gladbacher Angriffsfußball lebte von den gestalterischen Fähigkeiten eines Günter Netzer und den Sturmläufen des Torjägers Jupp Heynckes, der es in 369 Bundesligaspielen (86 für Hannover 96) auf insgesamt 220 Treffer brachte. Nur Gerd Müller (365 Tore in 427 Spielen) und Klaus Fischer (268 in 535 Spielen) waren erfolgreicher.

Gegen Netzer wagte in Gladbach keiner zu opponieren. Der Sohn eines Samenhändlers genoss in der Mannschaft größten Respekt. Verteidiger Berti Vogts verhielt sich dem »Jünter« gegenüber beinahe subaltern. Konfliktbeladen war Netzers Verhältnis nur mit Weisweiler. Den Trainer störte, dass der Kapitän das Training als lästige Pflicht betrachtete. Zudem nervte Netzer mit der ständigen Mahnung, »wir müssen dazu kommen, dass wir unser Tempo verändern und ein Spiel auch mal langsam machen«. Weisweiler sah darin nur ein Alibi für Trainingsrückstände und fehlende Kondition und ignorierte solche Vorhaltungen so gut es ging.

Beckenbauer mit 20 ein Weltstar

An Franz Beckenbauer traute sich kein Trainer heran. Sein Status – mit 20 wurde er bei der WM in England schon ein Weltstar – machte ihn unangreifbar. Zudem stärkte ihm Manager Robert Schwan, der auch sein persönlicher Berater war, bei jeder Gelegenheit den Rücken.

Exklusiv wie ihr Spiel auf dem Rasen, bei dem sich beide auf treue Helfer verlassen konnten – Beckenbauer auf Schwarzenbeck, Netzer auf Wimmer –, gestalteten die beiden Fußballgenies auch ihr Privatleben. Netzer umgab sich gern mit Künstlern, mit Film- und Fernsehschaffenden und nannte den prominenten TV-Regisseur Michael Pfleghar seinen Freund. Beckenbauer fühlte sich mehr zum Establishment hingezogen. Der »Kaiser« besuchte die Bayreuther Festspiele und feierte zum Beispiel seinen 30. Geburtstag mit 120 handverlesenen Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur; die Mannschaftskollegen waren nicht eingeladen.

1971 veranstaltete das Wickert-Institut im Auftrage der »Sport-Illustrierten« in München eine Umfrage nach dem beliebtesten deutschen Sportler. Es gewann Franz Beckenbauer vor dem Springreiter H.G. Winkler und Uwe Seeler.

Einfluss auf die Personalpolitik

Beim FC Bayern durfte Beckenbauer recht früh die Personalpolitik mitbestimmen. In seinem Buch »Einer wie ich« erwähnt er, dass er bei der Verpflichtung von Udo Lattek seine Finger im Spiel hatte: »1970 brauchte der FC Bayern einen neuen Trainer, weil der alte, Branko Zebec, sich mit unserem Vorstand zerstritten hatte. Beim FC Bayern war ich inzwischen ein enger Berater des Vorstandes in den Fragen geworden, die für uns Spieler von unmittelbarer Bedeutung sind.

Es überraschte mich daher nicht, dass Robert Schwan ein Gespräch über das Trainerproblem mit mir führte. Max Merkel kam nicht in Betracht, weil er gerade in Spanien den FC Sevilla trainierte. Tschik Cajkovski wollte unser Vorstand nicht wieder einstellen. Es blieben Cramer und Lattek. Cramer war bei der FIFA und irgendwo in der Welt unterwegs. Blieb nur noch Lattek. Als Präsident Neudecker mich fragte, wen ich für einen geeigneten Trainer halte, schlug ich Lattek vor.«

Zum Erfolg war Lattek verdammt, denn laut Beckenbauer kam er zum FC Bayern als es aufwärts ging: »Branko Zebec hinterließ ihm eine körperlich hervorragend getrimmte Mannschaft. Gerd Müller und ich waren im besten Alter, und Sepp Maier hatte in der Nationalmannschaft Hans Tilkowski abgelöst.« 1971 sah es so aus, als könne der FC Bayern die Gladbacher wieder vom Thron stoßen. Erst am letzten Spieltage vergaben die Münchner diese Chance (siehe auch: »Entscheidungen auf der Ziellinie«).

»Ich bin der Hans Albers der Bundes liga. Der konnte saufen und arbeiten wie ich.«

Udo Lattek über sich

Rekorde für die Ewigkeit

Am Ziel war Lattek ein Jahr später. Die Saison 1971/72 wurde zum Triumphzug für die Bayern, bei denen Paul Breitner und Uli Hoeneß in zwei Jahren zu Stützen des Teams herangereift waren, der eine als stürmischer Außenverteidiger, der andere als pfeilschneller Flügelstürmer. 1972 stellten die Münchner auch zwei Bundesligarekorde für die Ewigkeit auf: Die Mannschaft erzielte 101, Gerd Müller 40 Tore. Dennoch war die Saison kein Spaziergang, Schalke erwies sich als fast ebenbürtiger Gegner und hielt die Spannung bis zum Saisonfinale aufrecht (siehe auch: »Entscheidungen auf der Ziellinie«).

Souverän verteidigte der FC Bayern den Titel 1973, hatte elf Punkte Vorsprung vor dem 1. FC Köln, konnte mit seinem »Kühlschrank-Fußball« die Republik allerdings nicht begeistern. Den »Malochern« im Ruhrgebiet missfiel besonders die elegante und lässige Spielweise von »Kaiser Franz«. Sie empfanden sie als arrogant. Mit den Anfeindungen in fremden Stadien konnten die Münchner indes gut leben. Pfiffe im eigenen Stadion und die Missachtung der Fans gingen ihnen aber ganz schön unter die Haut.

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Udo Lattek war 37, als er zum ersten Mal den Meisterteller küssen konnte. Der gebürtige Ostpreuße gewann in seiner Trainerkarriere acht Titel, sechs mit dem FC Bayern, zwei mit dem VfL Borussia Mönchengladbach.

Kein Jubel auf Münchens Straßen

»Als die Mannschaft des FC Bayern nach dem letzten Punktspiel gegen den 1. FC Köln mit dem Omnibus vom Olympiastadion ins Stadtzentrum fuhr, stand niemand an den Straßen, um dem Meister von 1973 zuzujubeln. Und als die Spieler ausstiegen, klemmte sich Sepp Maier auf dem kurzen Weg zum Rathaus die Meistertrophäe unter den Arm. Es sah so aus, als ob der Nationaltorwart eben einen Haushaltsgegenstand für seine Frau gekauft hatte«, heißt es im »Jahrbuch des Fußballs« aus dem Copress Verlag.

Mehr als am Minimalistenfußball der Münchner begeisterten sich die Fußballfreunde in Deutschland an den Darbietungen der Gladbacher, der Kölner und der Frankfurter. Von der Spielkultur her waren die Rheinländer und die Hessen wesensverwandt. Beide spielten intelligenten Angriffsfußball und beide verfügten über brillante Mittelfeldspieler – Overath, Flohe und Herbert Neumann hier, Grabowski und Bernd Nickel da. Eigentlich hätten Köln und Eintracht Frankfurt jedes Jahr um den Titel mitspielen müssen, doch fehlten den Teams die Robustheit und das Stehvermögen der Münchner und der Gladbacher. Nicht zufällig erhielten sie die Namen »Die Diva vom Rhein« und »Die Diva vom Main«.

88075 Zuschauer sind Bundesligarekord

In der Saison 1969/70, in der Hertha BSC hinter Gladbach und dem FC Bayern den dritten Platz belegte, erzielten die Berliner einen Zuschauerrekord, der bis heute Bestand hat: 88075 Besucher wurden beim Spiel im Olympiastadion gegen den 1. FC Köln am 26. September 1969 gezählt, das Hertha durch ein Tor von Wolfgang Gayer (er kam vom Wiener SK) mit 1:0 gewann. Nach Umbauten für die WM 1974 fasste die Arena dann nur noch 76 000 Zuschauer.

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»Kein anderer in der Bundesliga kann ihm das Wasser reichen«, schwärmte Udo Lattek in den 70er-Jahren von Jürgen Grabowski, der als Rechtsaußen begann und nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 1974 als Spielmacher der Frankfurter Eintracht ins Rampenlicht trat.

Eigendorf auf Befehl von Mielke ermordet?

Noch heute ist sein Tod ein Thema in der Bundesliga: Lutz Eigendorf, in den 70er-Jahren als größtes Talent des DDR-Fußballs gepriesen, nutzte ein Spiel seines Geldgebers Dynamo Berlin beim 1. FC Kaiserslautern zur Flucht. Nach einem Jahr Sperre gab Eigendorf in der Pfalz sein Debüt in der Bundesliga. Zwei Jahre später wechselte er zu Eintracht Braunschweig. In Niedersachsen heiratete der Spieler, der seine erste Frau in der DDR zurückgelassen hatte, ein zweites Mal. Vier Wochen nach der Hochzeit war er tot.

Lutz Eigendorf starb 34 Stunden nach einem Verkehrsunfall: Auf der Heimfahrt von seinem Stammlokal »Zum Cocktail« fuhr er am 5. März 1983 gegen einen Baum. Die Ärzte stellten drei Schädelbasisbrüche, Brustquetschungen und schwere innere Verletzungen fest. Eine Blut untersuchung ergab 2,3 Promille, obwohl der Spieler laut Aussage des Wirtes nur zwei kleine Bier getrunken hatte.

Schon damals kam der Verdacht auf, Eigendorf, wie alle Spieler im Offiziersrang und damit auch Geheimnisträger, könne Opfer eines politischen Attentats geworden sein. Nach der Wende gab es dann konkretere Hinweise, dass es möglicherweise ein Auftragsmord von Stasi-Chef Erich Mielke gewesen sei.

Informationen des Bundesnachrichtendienstes zufolge sei der Autogriff am Wagen von Eigendorf wahrscheinlich mit Kontaktgift präpariert gewesen, dessen Wirkung so beschrieben wurde: Nach der Berührung führt es zu schleichender Vergiftung. Das Gift gelangt über die Haut ins Blut und führt zu Atemlähmung. Das Problem: Das Gift sei nicht nachweisbar.

Netzer sagte dem FC Bayern ab

Die Spiele des 1. FC Köln gegen den VfL Borussia Mönchengladbach um die Macht am Rhein waren in den 60er- und 70er-Jahren fußballerische Delikatessen, geprägt von der Rivalität der Mittelfeldstrategen Overath und Netzer. In dem Wettstreit, den anderen zu übertreffen, ging nicht selten Heinz Flohe als lachender Dritter hervor, den Beckenbauer-Manager Schwan einmal als technisch besten deutschen Spieler nach Beckenbauer bezeichnete.

Netzer trat im Pokalfinale 1973 gegen den 1. FC Köln in Düsseldorf zum letzten Mal im Borussia-Trikot auf. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon bei Real unterschrieben, was Schwan nicht hinderte, um den Star zu werben. Schweren Herzens gab Bayern-Fan Netzer (»Ich sage schon seit Jahren, dass es Spaß machen muss, beim FC Bayern zu spielen«) dem Bayern-Manager einen Korb; er wollte nicht vertragsbrüchig werden.

Keine Freigabe für Gerd Müller

Netzer nicht bekommen zu haben und Gerd Müller zu verlieren, dieses Damoklesschwert schwebte im Sommer 1973 über den Häuptern von Bayern-Boss Neudecker und Manager Schwan. »Müller für drei Millionen nach Barcelona«, meldeten die Gazetten, doch der Deutsche Fußball-Bund (DFB) schob den Absichten des Bayern-Torjägers einen Riegel vor. In einer offiziellen Erklärung hieß es: »Der Spieler Gerd Müller hat sich am 21. Juli 1973 an seinen Verein mit der Bitte um Freigabe aus dem noch zwei Jahre laufenden Vertrag gewandt. Der FC Bayern hat der vorzeitigen Auflösung dieses Vertrages nicht entsprechen können, nachdem das Präsidium des DFB auf Anfrage hin erklärte, dass der Nationalspieler Gerd Müller für die bereits am 1. Juli begonnene Weltmeisterschaftssaison keine Freigabe erhalten würde.«

»Es gibt eine Menge Müllers, aber einen wie Gerd Müller gibt es nur alle 50 Jahre.«

Helmut Schön, 1964 bis 1978 Bundestrainer

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In der Nationalmannschaft Kollegen, in der Bundesliga gelegentlich Gegenspieler: Gerd Müller und Berti Vogts. Nur selten ließ sich der Bayern-Torjäger dabei von der Härte des Gladbacher Verteidigers beeindrucken, mit dem er 1974 Weltmeister wurde.

Bald waren Abwanderungspläne des Mittelstürmers und die Abstrafung des Publikums für den Meister 1973 in München kein Thema mehr. Der Mannschaft gelang es, Sympathien zurückzugewinnen und am Ende der Saison 1973/74 zum dritten Mal hintereinander Meister zu werden. Da die Münchner die Ernte schon am vorletzten Spieltage eingefahren hatten, war das 0:5 gegen den alten Widersacher VfL Borussia Mönchengladbach auf dem Bökelberg nur eine Randnotiz. Einige Bayern-Profis spielten mit Alkohol im Blut. Am Abend zuvor hatte das Beckenbauer-Team mit einem 4:0 gegen Atletico Madrid im Wiederholungsspiel den Europapokal der Landesmeister gewonnen und die ganze Nacht durchgefeiert.

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In den 70er-Jahren in der Bundesliga von den Torhütern gefürchtet: Klaus Toppmöller erzielte von 1972 bis 1980 für den 1. FC Kaiserslautern in 204 Spielen 108 Tore – eine beachtliche Quote. In der Saison 1975/76 wurde »Toppi« zum Bayern-Schreck: Fünfmal bezwang er Sepp Maier, zweimal beim 2:1 auf dem Betzenberg, dreimal beim 4:3 der Pfälzer in München.

Schalke mit den meisten Zuschauern