Helmut Fischer

Der Auferstehungsglaube

Herkunft, Ausdrucksformen, Lebenswirklichkeit

Für Ursula,

meine Frau und lebenslange, kritische Gesprächspartnerin

Inhaltsverzeichnis

Hinführung

1 Das Weltverständnis als Hintergrund

1.1 Das Weltverständnis der Antike

1.1.1 Antike Weltmodelle

1.1.2 Alttestamentliche Weltmodelle

1.2 Das alttestamentliche Gottesverständnis

1.3 Auferstehungsvorstellungen

1.3.1 Auferstehung im alttestamentlich jüdischen Umfeld

1.3.2 Ansätze der Auferstehungshoffnung in der israelitisch-jüdischen Religion

1.3.3 Die politische Lage bis zum 2. Jahrhundert v. Chr.

1.4 Die apokalyptische Stimmung

1.4.1 Krisen als Auslöser

1.4.2 Die apokalyptische Weltsicht

1.4.3 Das Endgericht

1.4.4 Die Auferstehung der Toten

1.4.5 Religionsgeschichtliche Wurzeln

1.4.6 Die Gestalt eines Menschensohnes

1.5 Die jüdische Auferstehungserwartung zur Zeit Jesu

1.6 Zusammenfassung

2 Auferstehung der Toten in neutestamentlicher Zeit

2.1 Der Aufenthaltsort der Toten

2.2 Die Auferstehung der Toten als Denkhintergrund

2.3 Auferstehung der Toten, Endgericht und die Rolle Jesu

3 Die Zeugnisse von der Auferweckung Jesu

3.1 Die ältesten Formulierungen

3.1.1 Das eingliedrige Bekenntnis

3.1.2 Unterschiedliche Sprachformen

3.2 Erweiterung der eingliedrigen Formel

3.2.1 Erweiterung durch »Christus«

3.2.2 Erweiterung durch den Hinweis auf Jesu Tod und Bestattung

3.2.3 Der Hinweis auf den dritten Tag der Auferweckung

4 Der Auferstandene wurde gesehen (gr. ōphte)

4.1 Die sprachliche Fassung des »Sehens«

4.2 Die Zeugen des »Sehens«

4.2.1 Petrus

4.2.2 Die Zwölf

4.2.3 Die fünfhundert

4.2.4 Jakobus und alle Apostel

4.2.5 Die Selbstzeugnisse des Paulus

4.2.6 Die Berichte zur Bekehrung des Saulus in der Apostelgeschichte

5 Das leere Grab und die Jesus-Erscheinungen in den Evangelien

5.1 Die Geschichte vom leeren Grab nach Mk 16, 1–8

5.2 Die Umgestaltungen des Markus-Textes vom leeren Grab

5.2.1 Die Umformung durch Matthäus

5.2.2 Die Umformung und Erweiterung durch Lukas

5.2.3 Zwischenauswertung

5.2.4 Johannes – ein anderes Evangelien-Konzept

5.2.5 Die Neugestaltung der Ostergeschichten durch Johannes

5.2.6 Joh 21 – ein Nachtrag

6 Auswertung der Texte des Paulus und der Evangelien

6.1 Historische Aspekte

6.1.1 Tod und Bestattung Jesu

6.1.2 Das leere Grab

6.1.3 Die Erscheinungen in der überlieferten Formel von 1Kor 15,5-8

6.1.4 Das Selbstzeugnis des Paulus

6.1.5 Die Erscheinung vor den Fünfhundert

6.1.6 Die Erscheinungen am leeren Grab

6.2 Theologische Beobachtungen

6.2.1 Glaube gründet nicht in Wahrheitsbeweisen

6.2.2 Die Auferstehung Jesu selbst ist nirgendwo Thema

6.2.3 Was die Begegnung mit Jesus bewirkt

7 Die zwei Weisen, von der Auferstehung Jesu zu sprechen

7.1 Die Auferstehung der Person als Denkmodell

7.2 Die christozentrische Rede von der Auferstehung Jesu

7.2.1 Der kausale Schluss vom Bewirkten auf einen Bewirker

7.2.2 Die christozentrische Deutung in der Apostelgeschichte

7.2.3 Die Ausgestaltung der christozentrischen Interpretation im 1. Petrusbrief

7.2.4 Die Auferstehung Jesu in der alten Kirche

7.3 Die wirkungsbezogene Rede von der Auferstehung Jesu

7.3.1 Die österlichen Erscheinungen Jesu als das Offenbarwerden seines Geistes

7.3.2 Wie ist Jesus nach seinem Tod lebendig?

7.4 Andere Ausdrucksformen

7.5 Auswertung

7.5.1 Anschauungsformen sind historisch bedingt

7.5.2 Überzeugung kann keine Tatsachen erschaffen

7.5.3 Die Sprache des Glaubens muss flexibel sein

8 Die Auferstehung der Toten

8.1 Biblische Texte und frühe Kirche

8.2 Umbildungen des Auferstehungsverständnisses

8.2.1 Die Apologeten leiten die Hellenisierung ein

8.2.2 Der Einfluss der griechischen Gottesspekulation

8.2.3 Der Einfluss des griechischen Menschenverständnisses

8.2.4 Das gegenwärtige Auferstehungsverständnis

8.2.5 Das lautlose Ende der spekulativen Traditionslinie

8.3 Erkenntnisse der historischen Wissenschaften

8.3.1 Die Unterscheidung von Gehalt und Ausdrucksform des Glaubens

8.3.2 Der Glaube an die unsterbliche Seele hat sich aufgelös

9 Erwägungen zu einem heute angemessenen Reden von Auferstehung

9.1 Die Ausgangslage

9.1.1 Zum gegenwärtigen Weltbewusstsein

9.1.2 Die Aufgabe

9.2 Die Suche nach einer heute verständlichen Ausdrucksform

9.2.1 Ausdrucksformen kommen und gehen

9.2.2 Die zwei Ebenen der Ostertexte

9.2.3 Die neue Schöpfung bei Paulus

9.2.4 Das Ewige im Jetzt bei Johannes

9.3 Impulse für das Auferstehungsverständnis auf der Bewusstseinshöhe der Zeit

9.3.1 Konsequenzen aus der Durchsicht der Auferstehungstexte

9.3.2 Schritte hin zu einer zeitgemäßen Sprache

9.3.3 Auferstehen als unsere Lebenswirklichkeit

9.4 Aufgaben und Aussichten für eine neue Sprache

9.4.1 Woher kann ein neuer Glaube kommen?

9.4.2 Wie kann man heute von Auferstehung reden?

9.4.3 Eine Drohung erweist sich als Einladung

10 Die Höllenfahrt Jesu

10.1 Frühe Hinweise

10.1.1 Das Alte Testament

10.1.2 Das Neue Testament

10.1.3 Die Ostkirche

10.1.4 Die Westkirche

10.2. Die Darstellung der Höllenfahrt Christi

10.2.1 Die Entwicklung in der Ostkirche

10.2.2 Die Entwicklung in der Westkirche

10.2.3 Auswertung

10.3 Die Botschaft der Höllenfahrt Jesu

10.3.1 Mehr als eine Belehrung über Jesus?

10.3.2 Hölle und Tod als Metaphern

10.3.3 Der Abstieg in die Hölle als Metapher

10.3.4 Befreiung und Freiwerden als Metaphern

Synoptische Darstellung der angeführten Bibelstellen

Zitierte Literatur

|13| Hinführung

Wo immer vom christlichen Glauben die Rede ist, da wird von allen Seiten darauf hingewiesen, dass die Auferstehung Jesu und die Auferstehung der Toten der Kern der christlichen Botschaft sei. In kirchlichen Kreisen war das Erstaunen groß, als sich 1967 in einer Emnid-Umfrage herausstellte, dass nur 30 Prozent der Protestanten mit der kirchlichen Lehre übereinstimmten, wonach Jesu drei Tage nach seinem Tod mit seinen Jüngern gegessen, getrunken und gesprochen habe und dann leiblich zu Gott zurückgekehrt sei. 40 Prozent nehmen nach dieser Umfrage die Auferstehungstexte nicht wörtlich und für 29 Prozent ist ein Weiterleben Jesu nicht vorstellbar (Harenberg 88). In einer VELK-Umfrage von 1972 erklärten 44 Prozent der Protestanten, die Kirche rede nicht in der Sprache unserer Zeit (Schmidtchen 186). Nach einer Befragung in ausgewählten west- und ostdeutschen Gebieten von 1992 bekannten sich gerade noch 11 Prozent der Befragten zu einer »Auferstehung der Toten durch Gott«. Einen Glauben an die Unsterblichkeit der Seele, der keinerlei Gottesglauben voraussetzt, bekundeten 19 Prozent (Jörns 185f).

Jener überwältigenden Mehrheit der Zeitgenossen, die sich zwar nicht von den traditionellen kirchlichen Auferstehungsvorstellungen, wohl aber vom christlichen Glauben verabschiedet haben, wird wie eine Drohung das Pauluswort entgegengehalten: »Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist euer Glauben nichtig« (1Kor 15,17). Drohungen taugen freilich nicht als Argumente, und sie können diese auch nicht ersetzen.

Für philosophisch Gebildete, die Auferstehungsvorstellungen gegenüber skeptisch sind, wird neuerdings sogar der Philosoph Jürgen Habermas als Kronzeuge einer unverzichtbaren Auferstehungshoffnung aufgerufen, und zwar mit einem |14| Satz aus seiner 2001 gehaltenen Rede anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels: »Die verlorene Hoffnung auf Resurrektion hinterlässt eine spürbare Leere« (Habermas 24f). Habermas hat aus der festgestellten Leere freilich nirgendwo abgeleitet, dass die traditionelle Auferstehungshoffnung als psychisch oder sozial notwendig wieder gefordert und proklamiert werden müsste. Der Philosoph bezeichnet sich selbst als »religiös unmusikalisch«. Er hat aber erkannt, dass unter dem traditionellen Stichwort »Auferstehung« ein Sinnbereich unseres Menschseins zur Sprache kommt, den auch der säkulare Zeitgenosse nicht ausblenden sollte.

Alle kirchlichen Auferstehungsaussagen oder -lehren berufen sich auf die biblischen Texte zu diesem Thema. Deshalb liegt es nahe, sich diese Urkunden des christlichen Auferstehungsglaubens genauer anzusehen. Das darf freilich nicht nach den Maßstäben der in Jahrhunderten entwickelten konfessionellen Auferstehungsmodelle erfolgen, weil das lediglich in jenen »allerliebsten Zirkelschluss« (Mauthner) hineinführt, der das Geltende mit seinen eigenen Vorgaben bestätigt. Wir haben heute die Möglichkeit, die biblischen Texte mit interkonfessionell anerkannten historisch-kritischen Methoden in ihrem Sinn so zu erschließen, dass wír die traditionellen Deutungen daran messen können. Das soll hier in einer Sprache und in Denkschritten geschehen, die auch für Nichtfachleute nachvollziehbar sind. Die Lektüre setzt beim Leser keinerlei Frömmigkeit und keinerlei Glauben für oder gegen etwas voraus, sondern nur die Bereitschaft zum Mitdenken.

Damit die einzelnen Kapitel auch in sich verständlich bleiben, wurden notwendige Wiederholungen in Kauf genommen. Hervorhebungen innerhalb der Zitate wurden vom Verfasser eingetragen.

Frau Bärbel Behrens danke ich für die Schreibarbeiten, die sie trotz großer gesundheitlicher Probleme auch für dieses |15| Buch übernommen hat. Gleicher Dank gilt Frau Dietlind Wienen für das hilfreiche Korrekturlesen meiner letzten Bücher.

|17| 1 Das Weltverständnis als Hintergrund

Der Gedanke der Auferstehung wurde in der antiken Welt formuliert, von der uns ein »garstiger Graben« (Lessing) von 3000 bis 2000 Jahren trennt. Was immer Menschen sprachlich zum Ausdruck bringen, das tun sie in den Denkformen, Bildern und Metaphern ihrer jeweiligen Sprache, Kultur und Zeit. Was mit einer Aussage gemeint ist, ist nur innerhalb jenes sprachlich-geistigen Gesamtgefüges zu erkennen, aus dem sie hervorgegangen ist.

Die neutestamentlichen Texte sind in der Alten Welt in einer Phase des religiösen Umbruchs und des Austausches entstanden, in der unterschiedliche philosophische und religiöse Sinnangebote, Weltdeutungen und Kulte miteinander konkurrierten und sich untereinander in immer neuen Kombinationen vermischten. Die Verfasser der biblischen Schriften waren in ihren religiösen Vorstellungen durch die eigene kulturelle Herkunft oder Biografie geprägt und sie schrieben für Menschen, denen sie in deren religiösen Denkweisen die Botschaft Jesu verständlich zu machen suchten. Das erklärt nicht nur die Vielzahl der unterschiedlichen theologischen Konzepte; es veranschaulicht auch, dass es für das Verständnis einzelner Aussagen unerlässlich ist, den kulturell-religiösen Hintergrund sowohl des Verfassers wie auch seiner Adressaten zu beachten. Dazu kommt noch die jeweilige politische und gesellschaftliche Situation, aus der und in die hinein die Texte geschrieben wurden.

Was die Aussagen zur Auferstehung Jesu und der Toten betrifft, so wird der jeweilige Hintergrund in dem Maße zu berücksichtigen sein, wie es für deren angemessenes Verständnis erforderlich ist. Die für unseren Zusammenhang notwendigen Vorgaben des geistig-kulturellen Hintergrunds sollen |18| im Kapitel 1 zur Sprache kommen und können dann bei den einzelnen Texten differenziert und vertieft werden.

1.1 Das Weltverständnis der Antike

Da die Begriffe »Weltbild« und »Weltanschauung« ideologisch belastet und strittig sind, wähle ich den Begriff »Weltverständnis« und meine damit die Art und Weise, in der sich eine Kultur oder Religion die erfahrbare Welt vorstellt und diese deutet. In der Antike wurden die jeweiligen religiösen Weltverständnisse als »die Wirklichkeit« hingenommen. Die Fähigkeit, ein Weltverständnis als das Konstrukt des Denkens zu erkennen und zu reflektieren, hat die europäische Geisteskultur erst im 20. Jahrhundert hervorgebracht. Das muss hier nicht näher entfaltet werden (vgl. Blumenberg, Dux, Gantke). Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass die Menschen der alten Kulturen anders gedacht und Realität anders verstanden haben, als wir das heute tun. Die Vorstellungen und die logischen Verknüpfungen in den alten Kulturen müssen in dem Sinn verstanden werden, den sie in ihrer Welt zum Ausdruck bringen wollten.

1.1.1 Antike Weltmodelle

Die Religion Israels ist eng mit den Religionen und der Kulturgeschichte Vorderasiens, besonders Mesopotamiens, verbunden. In den alten Mythen (Göttergeschichten) dieses Raumes teilten sich Götter und Menschen noch denselben Lebensraum, nämlich die mit unseren Sinnen erfahrbare Welt, die an den Rändern von den Meeren und oben vom »Himmelsgewölbe« begrenzt war. Die klassischen Götter der Griechen wohnten auf dem Olymp, d. h. 2985 Meter über dem Meer, aber innerhalb unserer irdischen Lebenswelt. Daneben oder im Laufe der Entwicklung gab es auch Götter, die jenseits der menschlichen Lebenswelt wohnten und von dort aus |19| wirkten, so z. B. der babylonische Sonnengott Schamasch, der griechische Helios und die Gottheiten der Unterwelt, wie der babylonische Nergal oder der griechische Hades. Je nach Entwicklungsstufe erschien das Weltmodell als einstöckig, zweistöckig oder dreistöckig.

1.1.2 Alttestamentliche Weltmodelle

Das Alte Testament ist eine Sammlung von Schriften aus einem Zeitraum von etwa eintausend Jahren. Die älteste Schicht, die man wegen des darin enthaltenen Gottesnamens »Jahwe«, die »jahwistische Schicht« nennt, kann man textlich im 9. Jahrhundert v. Chr. verankert sehen. Einzelne Texte darin sind noch um Jahrhunderte älter und weisen in die Zeit der vorstaatlichen Stämmegeschichte. Der jüngste Text, das Buch Daniel, wurde innerhalb der Regierungszeit des Seleukidenkönigs Antiochus IV. Epiphanes (17–164 v. Chr.) verfasst. In dieser tausendjährigen Geschichte haben sich das Weltmodell Israels und auch die Gottesvorstellung beachtlich verändert.

In der Schöpfungsgeschichte der älteren jahwistischen Schicht (Gen 2,4b–3ff) ist nur die bäuerliche Lebenswelt im Blick: der Garten des Menschen mit seinen Bäumen und Sträuchern und dem Ackerboden, die Tiere (ohne die Fische) und die Lebensgefährtin des Mannes. Gott wandelt wie die Menschen in diesem Garten. Von den Gestirnen ist hier nicht die Rede. Dieses Einstock-Weltmodell hat Israel bald erweitert.

Nach der jüngeren Schöpfungsgeschichte (Gen 1), die religionsgeschichtlich in die Mitte des 1. Jahrtausends vor Christus weist, wird als erste räumliche Schöpfung ein Himmelsgewölbe errichtet, das die Wasser über dem Gewölbe von den Wassern der menschlichen Lebenswelt trennt. So entsteht ein Zweistock-Weltmodell. Die Erde wird als Scheibe vorgestellt, die auf Säulen ruht und vom Meer umgeben ist. Von einer Unterwelt ist hier nicht die Rede.

|20| Wie in Babylonien so entwickelte sich auch in Israel schließlich ein Dreistock-Weltmodell. Unter dem Urmeer sah man das Totenreich, (hebr.: die scheōl). Dieses Totenreich, das die Griechen als Hades kannten, besetzte man in den unterschiedlichen Religionen mit je eigenen Vorstellungen. Für die Scheōl im israelitischen Weltmodell war der Gedanke zentral, dass die hier in Finsternis und Gottesferne existierenden Toten vom Kult und vom Geschichtshandeln Gottes ausgeschlossen waren. Die Toten können Gott nicht mehr preisen. Sie sind von ihm getrennt. Das dreistöckige Weltmodell wird im Alten Testament nirgendwo explizit dargestellt, es ist nur aus jenen unterschiedlichen Äußerungen zu rekonstruieren, die sich auf den Himmel, auf die irdische Lebenswelt und auf die Scheōl beziehen.

1.2 Das alttestamentliche Gottesverständnis

Von der Vorstellung, dass Mose den Monotheismus gestiftet und den Stämmen Israels gebracht habe, mussten wir uns schon vor Generationen verabschieden. Den gegenwärtigen Stand der Forschung fasst der Alttestamentler O. Keel in dem Satz zusammen: »Der historische Mose, soweit er überhaupt fassbar ist, war Polytheist« (Keel 11). In der Geschichte von der Gottesbegegnung im brennenden Dornbusch fragt Mose nach dem Namen Gottes. Diese Frage hat nur im polytheistischen Denken einen Sinn, in dem ein Name der Unterscheidung von anderen Göttern dient. Jahwe galt zwar als der einzige Gott Israels und auch als Israels Staatsgott. Er war aber bis in die Zeit der großen Propheten nur ein Gott unter vielen anderen Göttern und eben noch nicht der einzige Gott und Herr aller Völker. Das erste Gebot (Ex 20,2f): »Ich bin der Herr, dein Gott … du sollst keine anderen Götter haben neben mir«, bestätigt noch deutlich die Existenz der anderen Götter als Gefahr für Israels Jahweglauben. In den ersten Jahrhunderten |21| seiner Existenz war Israels Glaube noch kein Monotheismus, sondern lediglich ein »Mono-Jahwismus« (Holsten 1107), der freilich zunehmend exklusive und unduldsame Züge annahm, die bereits in die Richtung eines alle anderen Götter ausschließenden Monotheismus wiesen.

Mit dem Ausbau des Weltmodells vom einstöckigen zum dreistöckigen ist auch der Machtbereich Gottes gewachsen. In einem zweistöckigen Weltmodell hatte Gott mit dem Bereich des Todes und der Unterwelt nichts zu tun, weil er als ein Gott der Lebenden und nicht der Toten galt. Im Psalm 88,5f klagt der Beter: »Ich zähle zu denen, die zur Grube hinabsteigen … ausgestoßen unter die Toten, derer du nicht mehr gedenkst«. Danach ist die Scheōl ein Bereich, in dem Gott nicht gegenwärtig ist.

Erst in einem voll entwickelten Drei-Stockwerke-Kosmos, der als von Gott geschaffen gedacht wird, reicht Gottes Macht auch in den Bereich der Unterwelt. Mit diesem räumlichen Modell wird zum Ausdruck gebracht, dass Gottes Präsenz von oben nach unten abnimmt. Erst »in der Spätzeit bricht sich die Hoffnung Bahn, dass JHWH (Jahwe) auch der Herr der Unterwelt ist« (Oeming 578). Das kommt in einem persönlichen Psalm so zur Sprache: »Stiege ich hinauf zum Himmel, du bist dort, und schlüge ich mein Lager auf im Totenreich, sieh, du bist da« (Ps 139,8).

1.3 Auferstehungsvorstellungen

1.3.1 Auferstehung im alttestamentlich jüdischen Umfeld

Im sumerisch- babylonischen, phönizischen, syrischen und phrygischen Kulturraum wurden auferstehende Götter verehrt: Tammuz, Adonis, Attis. Diese Vegetationsgottheiten repräsentierten das Absterben und Wiedererstehen der Natur. Daraus wurden zunächst noch keine Schlüsse für das Wiedererstehen verstorbener Menschen hergeleitet. In der von Zoroaster |22| (Zarathustra) um 600 v. Chr. gestifteten Religion des Parsismus begegnet uns erstmalig ein eindeutiger Glaube an eine allgemeine Auferstehung der Toten zum Weltgericht. Die in der Zeit des Hellenismus (seit 300 v. Chr.) sich entwickelnden Mysterienkulte versprachen den Menschen eine Teilhabe am Auferstehen der Kultgottheit.

1.3.2 Ansätze der Auferstehungshoffnung in der israelitisch-jüdischen Religion

Für die Zeit vor dem Exil gibt es keine Aussagen zu einem Glauben an die persönliche Auferstehung der Toten. Das im Exil entstandene Buch Ezechiel (zwischen 593–573 v. Chr.) enthält die Vision von der Wiederbelebung der Totengebeine. Diese Vision (Ez 37,12) ist ein tröstendes Bild für das Wiedererstehen des Volkes auf dem Boden Israels. »Seht, ich öffne eure Gräber, und ich lasse euch, mein Volk, aus euren Gräbern steigen und bringe euch auf Israels Boden.«

1.3.3 Die politische Lage bis zum 2. Jahrhundert v. Chr.