Weitere Bücher von

Vera F. Birkenbihl bei mvg:

StoryPower
ISBN 978-3-86415-052-4

Humor — An Ihrem Lachen soll man Sie erkennen
ISBN 978-3-636-07100-2

Stroh im Kopf?
ISBN 978-3-86882-445-2

Stichwort Schule: Trotz Schule lernen
ISBN 978-3-86882-474-2

Sprachenlernen leichtgemacht!
ISBN 978-3-86882-211-3

Kommunikationstraining
ISBN 978-3-86882-446-9

Psycho-Logisch richtig verhandeln
ISBN 978-3-86882-512-1

Fragetechnik schnell trainiert
ISBN 978-3-86882-473-5

Mehr Informationen zu diesen und anderen Produkten und zu Vera F. Birkenbihls Sprachmaterialien finden Sie unter

www.vera-birkenbihl.comwww.mvg-verlag.de

Titel

www.mvg-verlag.de

Beachten Sie auch unsere anderen Verlage unter

www.m-vg.de

Widmung

Dieses Buch ist meinem Vater,

Michael Birkenbihl

gewidmet.

Erstens, weil er schon früh in meiner

Kindheit mein Augenmerk auf die Körpersprache lenkte.

Zweitens, weil mindestens 20% des vorliegenden Textes

auf Informationen beruhen, die ich zuerst von ihm erhalten habe.

Und drittens, weil er mich trotz meines

»ein-nehmenden Wesens« immer wieder in sein Wohnzimmer ließ,

selbst wenn gerade neuerschienene Bücher

herumlagen (auch zu diesem Thema),

so daß ich diese manchmal sogar noch vor ihm

lesen durfte!

Vorwort

Angenommen, man würde Sie auffordern, die Farben in dem Raum zu beschreiben, in dem Sie sich gerade aufhalten: Dann würden Sie zahlreiche Worte verwenden, um diese Beschreibung der Farbtöne durchzuführen. Ich könnte Ihnen z. B. meine Wandfarben als gelb, rostrot und braun schildern, den Teppich als orange, die Bücherregale als weiß, die beiden Telefone als grün und rot, usw. Wäre ich ein Künstler, so stünden mir noch weitaus nuanciertere Beschreibungen zur Verfügung. Ich würde einzelne Farben vielleicht mit »gebranntes Siena« oder »ocker« u. ä. beschreiben. Wäre ich hingegen ein Maidu, also ein Angehöriger eines Indianerstammes in Nordcalifornien, dann stünden mir nur zwei echte Farbbeschreibungen zur Verfügung, nämlich das Wort LAK für »rot« und das Wort TIT für alle grün-blauen Farbtöne. Zusätzlich könnte ich noch ein Konstrukt verwenden, um gelb-orange-braune Töne zu beschreiben, indem ich nämlich das Wort LAK (rot) mit dem Wort TU (Urin) verbinde und diese Farbtöne als TULAK beschreibe. Das Wort »Beschreibung« ist absichtlich mehrmals verwendet worden, um den Bezug zu CASTANEDAs Worten (14) aufzuzeigen, um den es mir ging:

»Jeder, der mit einem Kind in Kontakt kommt …, erklärt die Welt unaufhörlich, bis zu jenem Augenblick, da das Kind die Welt so wahrnehmen kann, wie sie ihm erklärt wurde … Von (nun) an ist das Kind ein Mitglied. Es kennt die Beschreibung der Welt und es erreicht … die volle Mitgliedschaft, wenn es in der Lage ist, all seine Wahrnehmungen so zu deuten, daß sie mit diesen Beschreibungen übereinstimmen und sie dadurch bestätigen« (S. 8).

Der Maidu wird die Welt also anders wahrnehmen als ein Mensch, dessen Sprache mehrere Beschreibungen für Farbtöne kennt. Ein Künstler wiederum wird die Welt farblich und/oder, was ihre Formen angeht, nuancierter wahrnehmen als jemand, dem hierfür buchstäblich die Worte fehlen. Ein Maidu, der Englisch lernt, wird hingegen lernen, daß es mehr als drei Farbtöne gibt. Er wird seine Wahrnehmungen verbessern und verfeinern können, so daß er lernt, auch Dinge zu sehen, die bis jetzt nicht Teil seiner Beschreibung der Welt ausgemacht hatten, allein indem er die notwendigen Worte hierzu lernt!

Das Schlüsselwort lautet »bis jetzt«. Genau so, wie der Maidu zu seiner Verblüffung feststellt, wie farbenprächtig die Welt doch sein kann, so werden Sie selbst u. U. bald feststellen, wie viele Signale Ihrer Mitmenschen Ihnen bis jetzt entgangen waren! Denn: Die bewußte Auseinandersetzung mit den körpersprachlichen Signalen kann Ihre alte Beschreibung der Welt ebenso bereichern, wie das Erlernen der Farbworte die alte Beschreibung der Welt des Maidu verändern muß. Deshalb kann dieser Text sich nicht darauf beschränken, nur Interpretierungs-Hilfen anzubieten. Sondern er wird auch klare Anweisungen beinhalten müssen, die dieses neue Sehen und Hören erst ermöglichen! Erst muß man ein nichtsprachliches Signal wahrgenommen haben, ehe man lernen kann, es zu verstehen1.

Wundern Sie sich daher nicht allzusehr, falls Sie feststellen, daß sich Ihre Beschreibung der Welt in dem Maße mitverändern kann, in dem Sie aktiv mit-gehen. Dieser Text stellt eine Alternativ-Beschreibung der Welt dar, insofern als er Ihre Aufmerksamkeit vom gesprochenen Wort zu den nichtsprachlichen Signalen hinlenken kann! Auf jene Signale also, die man bis jetzt oft nur vage, unbewußt wahrgenommen hat, die man meist nicht beschreiben (= verbalisieren) kann, weil hierfür eben oft die Worte fehlten.

Deshalb gliedert sich dieses Buch wie folgt: In der Einleitung versucht es, die Alternativ-Schwerpunkte aufzuzeigen, um die es uns gehen soll. Teil I führt in das gezielte Wahrnehmen und Beschreiben dieser Signale ein und endet mit einer kurzen Diskussion bezüglich der Kriterien, anhand derer man solche Signale beurteilen kann. In Teil II geht es um die körpersprachlichen Signale selbst, wobei das letzte Kapitel nur aus Fallbeispielen besteht, aus denen der Gesamtzusammenhang der in Kap. 4—8 besprochenen Details ersichtlich wird. Dieses Kapitel kann auch vorab gelesen werden!

Im Anhang finden Sie sowohl eine kurze Einführung in den Bereich der Körpermusik (Anhang A) als auch eine Diskussion bezüglich des Pygmalion-Effektes, der im Vorwort erwähnt wurde (Anhang B.), als auch eine Zusammenfassung aller im Text erarbeiteten Regeln und »Gesetze« (Anhang C).

Achtung: Die Seiten 239 ff. (Anhang D) enthalten ein Poster zur Körpersprache, welches Sie ausschneiden und aufziehen können! Es bietet Ihnen einige Schlüssel-Informationen des Textes an, auf die man später immer wieder mal einen Blick werfen kann.

Übrigens geht es uns in diesem Buch nicht nur um die Signale der anderen, die wir besser verstehen wollen, sondern auch um die eigenen, die einem mehr Informationen über sich selbst geben, falls man sie zu beachten lernt!

Viel Entdecker-Freude wünsche ich Ihnen!

München, im Sommer 1979 Vera F. Birkenbihl

Vorwort zur 5. Auflage

Zahlreiche Leserbriefe bestätigen die Strategie dieses Buches, insbesondere von Teil I. Auch wird immer wieder erwähnt, daß die vielen Übungen (mehr als 50) als sehr hilfreich empfunden werden, denn zunächst einmal muß man körperliche Signale wahrnehmen lernen, ehe man über deren „Bedeutung“ nachdenkt.

Da man viele dieser Übungen auch beim Fernsehen durchführen kann, schlage ich vor: Wenn Ihnen eine Sendung gefällt, sehen Sie „normal“ fern. Ist eine Sendung jedoch langweilig, dann „schalten Sie geistig um“, d. h. dann achten Sie nur noch auf die Körpersprache. Auf diese Weise profitieren Sie immer, und Sie entwickeln Ihr Gefühl für die Signale des Körpers stetig weiter.

Sommer 1988 Vera F. Birkenbihl

Einleitung

Die Frage, welcher eine Aspekt die Entwicklung des Menschen zum homo sapiens wohl am meisten begünstigt habe, wird heute von der Wissenschaft ziemlich einmütig beantwortet: »Die Kommunikationsfähigkeit«. Allerdings müssen wir die Signale unterscheiden, deren Gebrauch den Menschen vom Tier abhebt: Wenn z. B. ein einziger Warnruf eine Gruppe von Lebewesen veranlassen kann, die Flucht zu ergreifen, so kann dieser Kommunikationsprozeß sowohl vom Menschen als auch vom Tier erlebt werden. Anders sieht es aus, wenn die Wort-Sequenz: »Bitte folgen Sie mir in den Salon!« eine Gruppe von Menschen veranlaßt, dem Sprecher zu »folgen« und zwar in beiden Bedeutungen des Wortes. Der Warnruf der Tiere wäre ein analoges Signal, der oben genannte Satz bestünde hingegen aus mehreren digitalen. Diese Unterteilung WATZLAWICKs (88) besagt, daß es grundsätzlich zwei Signal-Arten gibt: Analog-Signale sind direkt, bildhaft oder stellen eine Analogie dar, während digitale Signale symbolhaft, abstrakt, oft »kompliziert« und wahrscheinlich spezifisch menschlich sind.

Ein Kind wird das Wort »Wauwau« für »Hund« viel schneller mit dem Tier in Verbindung bringen können, da das »Wauwau« eine Analogie zum Bellen des Hundes darstellt, als digitale Signale, die erst mühselig erlernt werden müssen, ehe man sie begreifen und anwenden kann. Je »bellender« Sie das »Wauwau« aussprechen, desto analoger wird Ihr Signale. »Hund« hingegen ist eine Digital-Information, die mit dem Tier, das sie beschreiben soll, genausowenig gemein hat, wie die Worte »dog«, »chien«, »cane« oder » Imagelang1«.

Wer schon einmal im Ausland und der dortigen Landessprache nicht mächtig war, weiß, wie direkt und problemlos die analoge Kommunikation verlaufen kann. Angenommen Sie wollen fünf Schachteln Zigaretten. Ihre gewünschte Marke haben Sie entdeckt, so daß Sie deuten können. Also beschreibt Ihre Körpersprache dem Händler, was Sie wollen. Auch die Anzahl können Sie analog darstellen, indem Sie nämlich die fünf Finger Ihrer Hand hochhalten. Ob der Verkäufer dieses Analog-Signal in »fünf«, »five«, »cinq« oder » Imagelang2 « umsetzt, d.h.welches Digital-Signal er denkerisch verwendet, ist gleichgültig. Ihre Darstellung von fünf war fünf-artig, deshalb hat er sie begriffen. Hierzu zitiert WATZLAWICK (88) einen brillanten Satz von BATESON und JACKSON:

»Die Zahl fünf (hat) nichts besonders Fünfartiges an sich und das Wort

»Tisch« nichts besonders Tischähnliches.« (S. 62)

So daß wir festhalten können: Der Mensch kann sowohl digital als auch analog kommunizieren, wiewohl digitale Signale erst gelernt werden müssen, ehe man sie verstehen bzw. anwenden kann. Auch darf man nicht meinen, die eine oder andere Kommunikationsweise sei »besser«, denn: eine jede ist limitiert! Viele Dinge können Sie nur digital ausdrücken, andere nur analog. Gerade die Tatsache, daß der Mensch sich beider Kommunikationsarten bedienen kann, macht ihn nach Meinung der Wissenschaft zum homo sapiens!

Nun kann der Mensch sich nicht nur beider Signalarten bedienen, wenn er etwas ausdrücken will, er kann den Schwerpunkt seiner Wahrnehmung ebenfalls steuern: Er kann überwiegend auf die digitalen Signale achten (d.h. auf das gesprochene Wort), er kann aber auch lernen, den Analog-Signalen (z. B. der Körpersprache) seine Aufmerksamkeit zuzuwenden! Wir können diese Möglichkeit unterschiedlicher Wahrnehmungen auch anders ausdrücken, indem wir ein zweites Denkmodell WATZLAWICKs (88) heranziehen: Wir können sagen, daß jede Kommunikation auf zwei Ebenen gleichzeitig stattfindet, der digitalen und der analogen. Erstere nennt WATZLAWICK die Inhalts-, letztere die Beziehungsebene (Abb. 1).

Imagefig1

Abb.1

Die Inhaltsebene beinhaltet, wie das Wort schon andeutet, diejenigen Informationen, die wir als Inhalt einer Kommunikation betrachten, solange wir hauptsächlich auf die Worte achten. Z. B. die Worte: »Laß den Uhu immer offen herumliegen, dann wirst du deine helle Freude haben, wenn du ihn später wieder benützen willst!* Sie ahnen schon, worauf wir hinauswollen: Wir sind nicht in der Lage »nur« Inhalt zu senden, bzw. »nur« Analog-Signale zu registrieren. Sie haben sofort gemerkt, daß der Sprecher die Worte wahrscheinlich »nicht so« meint, genaugenommen meint er sogar das Gegenteil. Wäre der Mensch eine Maschine, ein Roboter, ein Computer – dann wäre er in der Lage auf der Inhaltsebene allein zu senden bzw. zu empfangen. Allerdings konzentrieren wir uns normalerweise zu sehr auf die Digital-Signale, so daß wir Analoge erst wahrnehmen, wenn sie »uns aufhorchen« ließen. Tatsache ist jedoch, daß die analogen Signale der Beziehungsebene immer mit den gesprochenen Worten einhergehen und daß sie immer zusätzliche Informationen darüber liefern, wie der Sprecher etwas »gemeint« hat. Deshalb heißt diese Ebene nämlich auch Beziehungsebene: Durch die analogen Signale definieren wir nämlich unsere Beziehung zum anderen. Wir können also festhalten:

Signale der Inhaltsebene liefern Informationen, während die Signale der Beziehungsebene Informationen über die Informationen liefern!

Erst diese Signale zeigen uns, daß ein Satz ernst, ein anderer witzig, ein dritter verärgert »gemeint« war. Woraus wir ersehen, daß die Beziehung positiv oder negativ sein kann. Solange sie positiv ist, nehmen wir ihre Signale meist nicht bewußt wahr, wird sie jedoch negativ, dann wird sie wichtig! Dann »hören« wir sozusagen »nur noch den Ärger«, nicht aber mehr den Inhalt der Worte. Wir sprechen dann vom psychologischen Nebel (FESTINGER) (31), der, wie sein realer Bruder, Bild und Ton schluckt, so daß die Informationen der Inhaltsebene von ihm »verschluckt« werden. Hat also ein Geprächspartner Angst, fühlt er sich angegriffen oder verletzt, wird er wütend – dann wird die analytische Denkfähigkeit in dem Maß eingeschränkt, in dem seine Gefühle Besitz von ihm ergreifen1.

Imagefig2

Abb. 2

Als Regel können wir festhalten:

Signale der Inhaltsebene können um so besser verstan den werden, je positiver die Beziehung der Gesprächspartner verläuft!

Je positiver die Beziehung zwischen Vater und Sohn z. B. ist, desto »positiver« wird der Junge auf die ironische Bemerkung bezüglich des Klebstoffs reagieren. Ist die Beziehung jedoch gespannt, so wird der Junge die Nachricht des Vaters u. U. nicht hören oder doch vielleicht ablehnen, selbst wenn er sie noch wahrgenommen hat.

Der Volksmund beschreibt diese Prozesse sehr genau, wenn er sagt: »Der Ton macht die Musik!« Nun ist es jedoch nicht nur der Ton, der »die Musik macht«. Auch die Mimik, die Haltung und die Gestik beinhalten eine Vielzahl an analogen Signalen, die dem anderen Informationen auf der Beziehungsebene vermitteln. Oft ersehen wir nur aus den nichtsprachlichen Signalen, daß der Sprecher das Gegenteil von dem sagt, was er meint, wie in obigem Beispiel. Es kann aber auch sein, daß der Sprecher sich »verrät«, d. h. daß er einen gewissen Eindruck vermitteln wollte, ihm dies aber nicht gelingt, weil seine analogen Signale seine Worte Lügen strafen. Berühmtes Beispiel hierfür lieferte Richard NIXON, als die Studenten zur Zeit der Anti-Vietnamkriegs-Moratorien eine Aussprache mit ihm erzwangen. Zunächst hatte NIXON die Bitte um eine Art von Pressekonferenz mit Universitätsvertretern abgelehnt. Dann unterstützten die Studenten ihre Forderungen durch Hunderte von Telegrammen, die täglich im Weißen Haus eingingen. (Einziger Text: Stop the war!) Spirew AGNEW betonte in einem Fernsehinterview, der Präsident werde sich nicht erpressen lassen. Darauf eskalierte die Anzahl der Telegramme täglich, so daß diese bald ein gewaltiges administratives Problem darstellten. Endlich gab Washington klein bei und die Konferenz kam zustande.

Wer die Worte, die NIXON zur Begrüßung sprachen der Zeitung las, mochte sie vielleicht glauben! Wer jedoch anwesend war bzw. die Szene im Fernsehen beobachtete, glaubte sie nicht! Denn, auf der Inhaltsebene hatte der Präsident gesendet: »Natürlich such ich den Dialog mit euch jungen Leuten«, während er gleichzeitig derartig deutliche abwehrende Handbewegungen machte (als wollte er die Studenten von sich wegschieben!!), daß auch ein im Interpretieren Ungeübter die analogen Signale der Beziehungsebene empfangen mußte!

Was heißt nun ein »Ungeübter« in unserem Kontext?

Wer sich mit der sog. Körpersprache auseinandersetzt, stößt auf ein interessantes Phänomen: Jeder spricht sie (unbewußt), kaum einer kann sie bewußt »verstehen« (d. h. interpretieren!).

Damit meine ich: Wir können keine Signale der Inhaltsebene senden, ohne gleichzeitig Analog-Signale der Beziehungsebene »mitzuschicken«: Niemand kann ohne Tonfall etwas sagen. Ohne Mimik, ohne ein Minimum an Gestik kommt keiner aus. Jeder zögert mal. Immer befinden wir uns in einer gewissen Haltung, die interpretiert werden könnte, usw.

Trotzdem kann kaum jemand diese nichtsprachlichen Signale bewußt verstehen. Denn, unsere Beschreibung der Welt (s. Einleitung) hat unsere Aufmerksamkeit schon früh auf das gesprochene Wort gelenkt. Deshalb haben die meisten von uns nie eine Möglichkeit gehabt zu lernen, die Signale der Beziehungsebene im selben Maße wahrzunehmen. Also entgehen uns normalerweise viele Signale, die uns »mehr« sagen könnten. Daher reagieren wir meist unbewußt, intuitiv, gefühlsmäßig auf die wenigen Analog-Signale anderer, die wir wahrnehmen? Wer seine Aufmerksamkeit jedoch bewußt auf jene Signale lenken lernen kann, hat zwei Vorteile: Erstens kann er bereits anfängliche Verschlechterungen der Beziehungsebene erkennen und sie »abfangen«, indem er sich taktisch darauf einstellt. Wenn das Gegenüber erst einmal zu schreien begonnen hat, weiß auch der Ungeübte, daß der andere »sauer« ist. Der Geübte hat jedoch schon die ersten Mißmuts-Signale empfangen und verstanden. Darum kann er sich auf sie einstellen, denn er kennt die Gefahr, des psychologischen Nebels. Also arbeitet er an einer Auflösung des noch leichten »Nebels«, ehe er weitere Signale der Inhaltsebene senden wird. Daß diese Fähigkeit im Berufs- wie Privatleben Vorteile hat, liegt wohl auf der Hand! Zweitens kann der Geübte seine bewußt registrierten Beobachtungen auch überprüfen. Er kann also eine Erfolgskontrolle einsetzen, denn er weiß, daß analoge Signale nicht immer eindeutig sind. Wie WATZLAWICK (88) ebenfalls aufzeigt, können z. B. die Signale »Tränen«, »Lächeln« oder eine »geballte Faust« nicht eindeutig mit »Schmerz«, »Freude« oder »kämpferischer Aggression« übersetzt werden. Denn man kann auch Tränen der Freude vergießen, man kann auch überheblich oder verlegen lächeln, und die geballte Faust kann ebenso auf die Bemühung um Selbstdisziplin schließen lassen, die den Kampf eben vermeiden will! Ähnlich verhält es sich mit dem Schweigen. Man kann schweigen, weil man nachdenkt, weil man eine Aussage ablehnt, weil man hofft, der andere möge sprechen, weil man seine nächsten Worte unterstreichen will oder aus Unsicherheit heraus. Wie leicht kann man analoge Signale des Körpers mißverstehen! So verwundert es vielleicht nicht, daß so viele gehemmte, schüchterne Menschen für arrogant gehalten werden. Der Geübte kann sich vergewissern, ob er die Signale des Körpers richtig verstanden hat! Ohne Erfolgskontrolle werden wir große Fehler begehen, wenn wir z. B. ein Signal »negativ« interpretieren, nur weil wir selbst derzeit negativ gestimmt sind!

Selbst wenn wir einzelne Signale hundertprozentig »richtig« interpretiert haben, kann es ohne Erfolgskontrolle zu unerhörten (und völlig unnötigen!) strategischen Fehlern kommen, wie folgendes Beispiel verdeutlicht: Ein Berater hatte seit Wochen mit einer Firma verhandelt. Es ging um eine Neuinvestition im Wert von 200 000 Mark. In dem Augenblick, da der Berater das Wort »Preis« erwähnt, kann er deutlich mehrere analoge Signale der Abwehr beobachten: Zum einen unterbricht der Gesprächspartner den Augenkontakt, zum zweiten lehnt er sich abrupt in seinem Stuhl zurück, und zum dritten dreht er seinen Drehsessel auch noch seitlich weg vom Berater.

Ich habe diese Situation als Beobachter miterlebt. Der Berater war ungeübt, d. h. er »verstand« die drei Signale als den Preis ablehnende. Da er sich auf seine Intuition verließ und daher ohne Erfolgskontrolle arbeitete, reagierte er sofort mit der Bemerkung, über den Preis könne man selbstverständlich noch verhandeln. Sogleich fühlte er sich in seiner Taktik bestärkt, denn der andere drehte seinen Sessel zurück, lehnte sich wieder interessiert vor, sah den Berater wieder an und fragte: »Wieviel lassen Sie nach?«

Später erklärte der Berater mir: »Wissen Sie, das Gefühl für die Körpersprache, das hat man oder man hat es nicht! Das kann man nicht lernen. Der Mann hatte negative Signale ausgesendet, ich habe sie bemerkt und bin darauf eingegangen. Daher habe ich den Vertrag ja auch bekommen!«

Aber vier Prozent hatte er nachgelassen! Diese vier Prozent hätte er jedoch nicht nachlassen müssen, wie eine Erfolgskontrolle meinerseits ergab: Ich hatte nämlich die Möglichkeit, mit diesem Gesprächspartner des Beraters drei Wochen später selbst zu sprechen. Da erfuhr ich von ihm: »Wissen Sie, ich hätte von mir aus nie versucht, den Preis herunterzuhandeln. Ich bin Techniker und ich hatte bereits das O.K. der Firma, falls ich technisch von der Anlage überzeugt wäre!«

Aber dann hat er doch vier Prozent »herausgeschlagen«. Warum? »Wissen Sie, wenn der von sich aus anbietet, im Preis herunterzugehen, wäre ich doch dumm, wenn ich nicht darauf einginge!«

Richtig. Warum aber hatte der Berater von sich aus dieses großzügige und unnötige Angebot gemacht? Weil er meinte, seine intuitive Interpretation der Körpersprache sei perfekt!

Als ich den Techniker noch fragte, ob er sich zufällig erinnerte, was er in dem Augenblick empfunden hatte, als das Wort »Preis« gefallen war -was meinen Sie sagte er? Er lachte: »Wie komisch, daß Sie mich das fragen, aber ich weiß noch genau, daß ich mich geärgert hatte!«

»Über den Preis doch wohl nicht?«

»Nein, nein! Als der Mann das Wort »Preis« aussprach, fiel mir plötzlich siedendheiß ein, daß ich vergessen hatte, einem Herrn Dr. Preise gewisse Unterlagen zuzusenden, die ich ihm versprochen hatte! Ich hatte ein schlechtes Gewissen, daher war mein erster Impuls gewesen, zum Telefon zu greifen, um das Versenden des Materials anzuordnen!«

Nun passiert es im Seminar häufig, daß ein Teilnehmer zum Ausdruck bringt, wie unfair es doch seiner Meinung nach sei, das Verhalten des Beraters im Nachhinein und unter Zuhilfenahme von Hintergrund-Informationen zu analysieren, die ich durch mein nachträgliches Gespräch mit dem anderen Gesprächspartner gewonnen hätte. Leider übersieht der so Argumentierende jedoch das Wichtigste: Gerade solche Hintergrund-Informationen kann sich der Geübte auch verschaffen, und zwar rechtzeitig, also ehe er den nächsten Schritt seiner Strategie plant, wenn er sich nicht allein auf seine unbewußte intuitive Interpretation körpersprachlicher Signale verläßt!

Wenn wir wissen, daß digitale und analoge Informationen gemeinsam gesendet und interpretiert werden müssen, dann fällt uns auf, daß der Techniker sich schweigend abgewandt hat! Also hatten wir zu diesem Zeitpunkt keine Digital-Information! Wir hatten jedoch schon darauf verwiesen, daß analoge Signale allein in der Regel nicht eindeutig zu interpretieren seien!

Meist haben wir jedoch Signale beider Ebenen gleichzeitig, werden aber erst »hellwach«, wenn die digitalen und analogen Signale nicht dieselbe Nachricht senden, wie im Fallbeispiel von NIXON. So daß wir festhalten können:

Signale der Inhalts- und der Beziehungsebene sind entweder kongruent oder inkongruent1.

Solange die nichtsprachlichen Signale der Beziehungsebene nun Kongruenz zu den gesprochenen Worten aufweisen, nehmen wir sie entweder nicht besonders intensiv wahr, oder aber wir empfinden sie als »die-Worte-unterstreichend bzw. hervorhebend, unterstützend«. Wenn uns z. B. ein Redner sehr angenehm beeindruckt, dann basiert unser positiver Eindruck nie auf den Signalen der Inhaltsebene allein (wie brillant diese auch sein mögen!), sondern auf der Tatsache, daß seine nichtsprachlichen Signale äußerst kongruent zum Wort sind. Sonst könnte er uns nämlich nicht überzeugen. So daß wir die nächste Regel ableiten können:

Kongruenz überzeugt.

Inkongruenz (oder eine Diskrepanz zwischen den Signalen der beiden Ebenen) bewirkt natürlich genau das Gegenteil. Inkongruenz hat keine Überzeugungskraft! Sie erzeugt im anderen vage unbehagliche Gefühle des »Das-glaube-ich-nicht«, nur mit dem Unterschied, daß der Geübte genau, weiß, welche Signale diese Gefühle ausgelöst haben. Daher kann er ihnen durch eine Kontrolle nachgehen, wenn er dies wünscht. Dies vergrößert nicht nur seine Fähigkeit andere zu verstehen, es verhindert auch Mißverständnisse, die u. U. beiden Parteien viele Nachteile bringen können.

So kann ein unsicherer Mensch aufgrund seiner Unsicherheit inkongruente Signale aussenden. Vielleicht sagt er (auf der Inhaltebene), wie sehr er sich freue, uns kennenzulernen (bzw. wiederzusehen), während er auf der Beziehungsebene (körpersprachlich) keinerlei Freudesignale aussendet. Typisches Beispiel: Sie sitzen bei Freunden, deren Nachbar kommt herein und wird Ihnen vorgestellt. Wenn dieser Nachbar ein Mensch ist, dem Kontakte zu Fremden schwerfallen, dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit inkongruenter Signale der oben beschriebenen Art. Hieraus können wir ableiten:

Unsicherheit führt häufig zu Inkongruenz, die jedoch leicht falsch interpretiert werden kann.

Deswegen kann es uns nicht verwundern, warum man, wie oben schon einmal erwähnt, scheue, schüchterne, gehemmte Menschen so oft als »arrogant« empfindet. Gerade dieses Beispiel zeigt, wie sehr die ungeschulte, intuitive, gefühlsmäßige Interpretation körpersprachlicher Signale irren kann. Leider löst jedoch dieser Irrtum beim Ungeübten häufig den sog. PYGMALION-Effekt (ROSENTHAL, 72) aus, der dazu führt, daß wir die Person, gleich Pygmalion, nach unserem Bilde von ihr verändern! Unser Eindruck, der andere sei »arrogant«, löst nun feindselige Signale unsererseits aus, die im anderen gerade jene Unsicherheit verstärken, welche ursprünglich seine »arroganten« Signale ausgelöst hatten. Dadurch verstärkt sich aber unser »negativer« Eindruck, was wiederum unsere negativen Signale der Beziehungsebene verstärkt, usw., usw. Somit schöpfen wir den anderen, gleich Pygmalion, zu einer arroganten Person um, wobei wir am Ende dieses Prozesses auch noch das Gefühl haben, es »gleich gewußt zu haben, was für ein arroganter Kerl das doch ist?« Ähnliches geschieht z. B., wenn ein Lehrer, ein Ausbilder (oder ein Elternteil) ein Kind beobachtet, das schlecht sieht oder hört, und die Signale des Kindes (das sich »krampfhaft« zu verstehen bemüht), falsch interpretiert! Wie leicht glaubt man dann, das Kind sei »zu dumm«. Dann behandelt man es, als sei es wirklich zu dumm, woraufhin es Minderwertigkeitsgefühle und Ängste entwickeln wird, die zu den sog. Denkblockaden (= psychologischen Nebel) führen, so daß das Kind bald auf alle einen »dummen« Eindruck machen kann. Womit die selbsterfüllende Prophezeiung sich wieder einmal bewahrheitet hätte! Was wiederum eine Bestätigung der ursprünglichen Fehlinterpretation darzustellen scheint! Ähnliches erleben auch viele Ausländer (Kinder wie Erwachsene), deren Sprachfähigkeiten noch begrenzt sind, was unsere digitalen Signale angeht. Auch sie werden gerne vorschnell als »dumm«, »ungebildet«, »unintelligent«, oder gar »primitiv« eingestuft, was dann zu diesbezüglichen Signalen führt, die wir ihnen auf der Beziehungsebene senden: Wir sprechen in einem Tonfall, den man für Kleinkinder und Halbidioten reserviert, wir verfallen in eine primitive Art von »Babysprache« (Du Kiste dahin stellen!) und wir deuten durch zahlreiche andere Signale des Körpers an, wie wenig wir von ihnen halten. Natürlich sind wir uns dabei nicht bewußt, daß diese unsere Signale des Körpers sie erst »so« machen, wie wir sie haben wollten, nur, daß wir dies ja eigentlich nie »gewollt« haben!

Übrigens wird der Pygmalion-Effekt zu ca. 95% durch körpersprachliche Signale ausgelöst1!

Sicher leuchtet es jetzt ein, warum ich die in jedem Seminar auftauchende Frage: »Wie richtig ist der erste Eindruck, den man von einer Person hat?« beantworte, indem ich zu größter Vorsicht rate. Wenn dieser erste Eindruck (vgl. auch Kap. 1.1) ein »positiver« war, ist es ungefährlicher davon auszugehen, er sei korrekt. Sollte er jedoch »negativ« sein, dann ist die Auswirkung des Pygmalion-Effekts besonders gefährlich. Vielleicht ver-urteilen wir einen schüchternen Menschen, weil er »überheblich« wirkt? Vielleicht haben wir neutrale Signale falsch interpretiert, weil wir gerade verärgert waren? Vielleicht hatte diese Person gerade einen »schlechten Tag« oder auch nur eine schlechte Viertelstunde, als wir sie kennenlernten? Möchten wir denn, daß man denjenigen Eindruck, den man von uns erhält, während wir müde, verletzt, verärgert, gereizt sind, für den richtigen hält?!

Noch eine Frage, die in jedem Vortrag oder Seminar zum Thema »Körpersprache« auftaucht, soll, weil sie so wichtig ist, unserer Diskussion vorangestellt werden. Sie lautet: Inwieweit ist das Wissen aus dem Gebiet der Kinesik wissenschaftlich fundiert bzw. wirklich bewiesen?

Aus dieser Frage spricht ein gewisses Bedürfnis nach Sicherheit. Man möchte gern, daß das, was man weiß oder gerade lernt auch »wirklich wahr« ist. Und man meint oft, das Etikett »wissenschaftlich bewiesen«, könne eine Art von Garantie vermitteln.

Die sog. »wissenschaftliche Methode«, die DESCARTES entwickelte, ist jedoch eine induktive Methode, d. h.: Wenn ein Wissenschaftler z. B. zehn- oder hundertmal festgestellt hat, daß Wasser bei 100 Grad C kocht, erarbeitet er ein hypothetisches Gesetz (»Wasser beginnt bei 100 Grad C zu kochen«), welches dann auf seine Richtigkeit hin geprüft wird, indem man weiter experimentiert. Hat man diese Hypothese weitere zigmal unter wissenschaftlichen Bedingungen bewiesen, dann gilt das Gesetz als richtig, als erwiesen. Auf diese Weise sind unsere Naturgesetze entstanden (wiewohl viele Leute meinen, sie seien direkt von Gott bekanntgemacht worden …).

Nun wissen wir aber, spätestens seit HUME sein berühmtes Indukations-Problem formulierte, daß wir uns zu Unrecht in Sicherheit wiegen, weil oben angeführte Schlußfolgerungen und Gesetze nicht unbedingt richtig sein müssen bzw., daß nichts jemals wirklich hundertprozentig bewiesen werden kann!

Dies bedeutet, daß selbst Milliarden von Sonnenaufgängen in der Vergangenheit nicht mit absoluter Sicherheit auf einen Sonnenaufgang morgen schließen lassen. Ebenso galt das Gesetz, daß Wasser bei 100 Grad C zu kochen beginnt auch nur solange, bis dies einmal nicht geschah! Dann begann man sich zu fragen, warum es nicht passierte, und so fand man heraus, daß unser Gesetz nur in einer bestimmten Höhe über dem Meeresspiegel gilt, weil auch der Luftdruck und andere Faktoren berücksichtigt werden müssen. All diese Faktoren müßte man jedoch in das Gesetz »einbauen« … Sie sehen schon: je einfacher ein Satz, eine Regel oder ein Gesetz »klingt«, desto größer ist die Gefahr, daß es Ausnahmen geben wird, weil irgendein Faktor in der Formulierung unberücksichtigt geblieben ist!

Natürlich gilt dies auch für den Satz: »Jeden Morgen wird die Sonne aufgehen«. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie auch morgen aufgehen wird derartig groß, daß wir in der täglichen Praxis davon ausgehen, es sei erwiesen, aber wirklich bewiesen, wirklich sicher kann dieses Wissen nie sein…

HUMEs Gedankengang hat viele Wissenschaftler zwei Jahrhunderte lang verstört, verunsichert oder verärgert; allerdings fand niemand einen Gegen-Beweis! Bis dann KARL POPPER (58) eine brillante Hilfestellung gab, indem er den Spieß umdrehte: Versucht nicht, eine Erfahrung der Vergangenheit als absolute Sicherheit in die Zukunft zu übertragen, da dies nicht geht! Geht lieber von folgendem Vorschlag aus: Eine These gilt solange als bewiesen, wie sie nicht falsifiziert worden ist!

Das heißt, der Grundsatz »Wasser fängt bei 100 Grad C zu kochen an« galt solange als sicher (als wissenschaftlich fundiert), bis dies einmal nicht passierte! Dann erst begann man sich zu fragen, warum es nicht geschah. Erst diese Fragestellung ermöglichte weitere Forschungen, und deren Ergebnisse wiederum trugen dazu bei, daß man mehr lernte. POPPER sagt, daß nur der Weg über die Falsifizierung »anerkannter« Thesen, gefolgt von weiterer Forschungsarbeit zu einem Wachstum des Wissens führen kann!

In diesem Licht möchte ich meine Bücher, insbesondere das vorliegende, beurteilt wissen. POPPER verweist nämlich auch darauf, daß zu viele Wissenschaftler, Autoren und »Normalmenschen« im allgemeinen zu viel Gewicht darauf legen würden »Recht zu haben«, statt daß sie eine Falsifizierung ihrer Aussagen als Denkanstoß bzw. als Anlaß zu weiterem Forschen aufnehmen würden.

Natürlich bemühe ich mich darum, diejenigen Informationen zum Thema Körpersprache anzubieten, die ich für »sicher« halte, deren Wahrscheinlichkeit »richtig« zu sein, meines Erachtens, hoch liegt. Trotzdem können gewisse Schlüsse, die ich gezogen habe, auch falsch sein. Schließlich schrieb EINSTEIN einmal in einem Brief an POPPER, daß wissenschaftliche Theorien letztlich nie logisch gefolgert, sondern nur erfunden werden könnten, und daß jeder Wissenschaftler oder Autor immer bis zu einem gewissen Grade schafft, indem er Tatsachen und Beobachtungen in einer ihm eigenen Weise interpretiert und darlegt! Abgesehen davon müssen Denkmodelle nicht unbedingt »richtig« sein, um praktischen und/oder materiellen Nutzen zu gewährleisten. So mancher ist schon nach »Indien« gesegelt, um in »Amerika« anzukommen! So hat z. B. die NEWTONsche Physik nicht nur das vorhergehende Weltbild revolutioniert (und falsifiziert), sondern auch unerhörte Entwicklungen angeregt, ehe EINSTEINs Falsifizierung und Verbesserung des NEWTONschen Weltbildes uns wieder ein Stück weiterbrachte. Wie Bertrand RUSSELL beobachtet (74):

»NEWTON glaubte an … einen absoluten Raum und eine absolute Zeit. Diese Überzeugungen … wurden von anderen Physikern, die nach ihm kamen, übernommen.

EINSTEIN erfand eine neue Betrachtungsweise, die frei von NEWTONS Annahmen war.« (S. 16)

Vielleicht sind unsere heutigen Ansätze auf dem Gebiet der Kinesik letztlich auch »NEWTONsche« Denkansätze? Vielleicht kommt morgen oder übermorgen ein »EINSTEIN DER KINESIK«, der unser Wissen anders angehen und der daher zu differenzierten oder völlig neuen Ansätzen kommen wird? Es zeichnen sich am Horizont der interdisziplinären Forschung Entwicklungen ab, die einen »EINSTEIN DER KINESIK« fast erahnen lassen! Trotzdem aber können wir mit unserem heutigen Wissen in der täglichen Praxis arbeiten (wie auch Kap. 10 zeigt). NEWTONs Physik hat 200 Jahre überdauert und hat zu zahlreichen praktischen Vorteilen geführt, ehe sie falsifiziert und verbessert wurde. Die Kinesik ist erst einige Jahrzehnte alt, aber sie hat bereits bewiesen, wie nützlich sie für den sein kann, der ihre Vorteile zu nutzen weiß, indem er sie in seiner täglichen Praxis anwendet!

Ich wünsche mir, daß Sie einen derartigen Nutzen aus den Informationen dieses Buches ziehen werden. Denn genau das ist seine Zielsetzung!

Teil I:

Die Wahrnehmung
körpersprachlicher Signale

Kapitel 1

Grundlagen gezielter Wahrnehmung

1.1 Der Ein-druck

Es ist eine interessante Tatsache, daß der Mensch schnell aufeinanderfolgende Reize nicht als eine Folge von Stimuli sondern als ein Gesamtbild wahrnimmt. Dies können Sie testen, indem Sie im Dunkeln mit einer brennenden Zigarette experimentieren: Wenn Sie einen Kreis »zeichnen«, indem Sie die Zigarette langsam bewegen, dann sehen Sie die kreisförmige Bewegung. Führen Sie dieselbe Bewegung jedoch blitzschnell aus, dann nehmen Sie nur noch die Gestalt (den Kreis selbst) wahr. Am leichtesten fällt diese Beobachtung, wenn Sie bei dem Versuch in einen Spiegel sehen.

Dieses Phänomen erklärt sich durch die Tatsache, daß das Gehirn ständig bemüht ist, Erkennbares zu suchen, Ordnung in (scheinbare) Unordnung zu bringen, Unvollständiges zu vervollständigen, etc. Allerdings geschieht dies so schnell, daß wir uns dieser Prozesse nicht bewußt werden. Deswegen haben Sie bei dem Experiment die Gesamtfigur »Kreis« wahrgenommen.

Ebenso ergeht es uns, wenn wir eine Person kennenlernen oder wiedertreffen. Wiewohl sich auch hier blitzschnell eine Fülle von Informations-Einheiten1 aneinanderreihen, erleben wir bewußt nur das Gesamtbild. Wir sprechen davon, daß die Person einen Eindruck hervorruft, nota bene: einen Ein-Druck, wiewohl dieser »eine« Eindruck tatsächlich aus zahllosen aneinandergereihten Teil-Ein-Drücken besteht.

So registrieren wir beim Anblick einer Person z. B. Körperbau, Haltung, Mimik, Gestik nacheinander, empfinden diesen Prozeß jedoch als »gleichzeitig«, weil er so schnell abläuft. Sollte die Person in dem Augenblick gerade sprechen, so würden wir auch den Tonfall, die Sprachmelodie, den Sprachrhythmus, die Lautstärke, etwaige mundartliche Färbungen und vieles mehr in unser Gesamtbild, unseren »einen« Eindruck mithineinnehmen. Ein guter Beobachter vermag noch wesentlich mehr beim »ersten« Blick zu registrieren, z. B. einen Fleck auf der Bekleidung, eine besonders klare Aussprache, daß die Person eine Rasur nötig hätte oder nervös mit dem Feuerzeug spielt und vieles mehr.

Da dieser Gesamteindruck sich nicht aus einem einzigen, sondern aus vielen verschiedenen Teil-Informationen zusammensetzt, erhebt sich die Frage, welcher (Teil-)Eindruck nun »wirklich« der erste war. Manche Autoren gehen davon aus, der aller-erste Eindruck müsse vom Körperbau ausgehen, während andere an diese Stelle die Haltung einer Person setzen. Wieder andere glauben, die Mimik (insbesondere die Augen) wirkten am schnellsten auf einen Beobachter. M. E. ist diese Fragestellung jedoch müßig, eben weil die Aufeinanderfolge so schnell vor sich geht, daß wir sie nicht klar beschreiben können. Das heißt, die Reihenfolge dieser Teil-Eindrücke ist (zumindest noch) nicht exakt feststellbar. Ob Sie nun den Körperbau einer Person eine Nanosekunde vor der Haltung registrierten, oder umgekehrt, halte ich daher für eine akademische Frage.

1.2 Körperbau und Haltung

Eine andere Frage könnte allerdings für die tägliche Praxis wichtig sein, nämlich: Trägt die Wirkung, die der Körperbau einer Person hat, mehr zum Gesamteindruck bei, als die Haltung, oder umgekehrt? Auch hier ist die Diskussion in Fachkreisen noch rege im Gange. Ich persönlich neige zu der Auffassung, daß diejenigen Informationen höheren praktischen Wert besitzen, die sich schneller verändern (bzw. die wir noch am ehesten selbst beeinflussen können). Da dies offensichtlich auf die Haltung zutrifft, werden wir diesen Gedankengang der Körperbau-These vorziehen. Außerdem gilt zu bedenken, daß das »Wissen« um den Körperbau eine Art von Pygmalion-Effekt (s. Einleitung) auf sich selbst bezogen, auslösen kann. So kannte ich z. B. in Amerika einen Mann, den wir Billy S. nennen wollen. Er war ein Anhänger von KRETSCHMERs Theorie über den Zusammenhang von Körperbau und Charakter (51).

Laut dieser Theorie meinte Billy S. nun, daß er fröhlich und gesellig zu sein hatte, da er ein ausgeprägter Pykniker war. In Wirklichkeit aber litt er unter dieser Beschreibung1, die er als Forderung betrachtete. Er hat sie akzeptiert, weil sie seiner Meinung nach »wissenschaftlich« (d. h. für ihn ausschlaggebend) war. Das heißt, Billy litt nicht, weil er ein Pykniker war, sondern weil die KRETSCHMERsche Definition im Widerspruch zu seinem Wesen stand. Da er jedoch glaubte, ein Wissenschaftler wisse mehr über seinen »Typ«, als er selbst je wissen könnte, lebte er in einem ständigen Konflikt, weil es ihm so schwerfiel, das »geforderte« Verhalten auch zu leben.

Es muß darauf verwiesen werden, daß KRETSCHMERs »Definitionen« natürlich keinerlei Forderungen beinhalten. Das Problem entstand erst, weil Billy S. diese Beschreibung als Forderung auffaßte. Damit bewahrheitete sich aber auch derjenige Teil von KRETSCHMERs Typenlehre, der da aussagt, daß Pykniker auch zu Traurigkeit und Stimmungsschwankungen neigten. Inwieweit diese zweite Aussage einen Aspekt eines jeden Pyknikers darstellt oder inwieweit Billy S. ihn auf wies, weil er der ersten Aussage Glauben schenkte, läßt sich schwerlich feststellen.

Jedenfalls ist Billy S. ein gutes Beispiel für das Dilemma eines Menschen, der »sich mit seiner Definition verwechselt«, wie WATTS es nennt (87). Ob diese »Definition« nun durch Forderungen der Erziehung (sei soundso!) oder durch Erwartungen, die wir selbst an uns richten, zustande kommt, das Resultat ist das gleiche: Eine innere Zerrissenheit, mangelnde Harmonie, vage oder stark ausgeprägte Gefühle der Unlust, des Versagens, der Unzufriedenheit, kurz: Konflikte.

1.3 Selbsterkenntnis

Als Billy S. den Kursus belegte, in dem er mit der KRETSCHMERschen Typenlehre konfrontiert wurde, war er übrigens nicht auf der Suche nach mehr Selbsterkenntnis, sondern er suchte mehr Wissen über andere. Dies zeigt, daß man sich Themen der angewandten Menschenkenntnis nicht zuwenden kann, ohne gleichzeitig mehr über sich und seine eigenen Signale zu erfahren. Deswegen halte ich es für besonders wichtig, noch einmal ausdrücklich zu betonen, daß unsere Informationen keine »absoluten Wahrheiten«, bzw. daß selbst Informationen, die Sie selbst für richtig halten, keine Forderungen darstellen. Ein Mensch hat nicht fröhlich zu sein, nur weil er dick ist und weil wir glauben, ein Gesetz entdeckt zu haben, welches Dicksein mit Fröhlichkeit korreliert!

Trotzdem gehen wir davon aus, daß unsere Informationen (vorläufig) »richtig« sind. Aber, wie HUMEs berühmtes Induktionsproblem so wunderbar aufzeigt: Wir können nie davon ausgehen, daß irgend etwas jemals wirklich sicher »bewiesen« werden kann. Was für den Sonnenaufgang gilt, gilt natürlich auch für körpersprachliche Signale (s. Einleitung).

1.4 Gesetze der Körpersprache

Nehmen wir einmal an, Sie hätten durch Erfahrungen bzw. theoretische Abhandlungen gelernt: »Zusammengepreßte Lippen bedeuten, daß die Person (im Augenblick) nichts aus der Umwelt herein- bzw. nichts in die Umwelt hinauslassen möchte.«

Tausende von Beobachtungen in der Vergangenheit, in denen ein verpreßter Mund vielleicht wirklich ein Sich-Abschließen-gegen-die-Umwelt bedeutete, beweisen jedoch nichts über die Person, deren verpreßter Mund Ihnen morgen oder übermorgen auffallen wird!

Die Wichtigkeit dieses Gedankengangs kann nicht klar genug herausgestellt werden (s. Einleitung). Denn die nach HUME unzulässige Schlußfolgerung eben dieser Art führte z. B. dazu, daß ARISTOTELES davon ausging, die klügsten Menschen hätten die kleinsten Köpfe, während vor ca. 200 Jahren GALL das Gegenteil behauptete. Hierzu sagt ZEDDIES (94):

»Aus der GALLschen Zeit stammt… die irrige, noch heute gehörte Meinung …, daß der ›Geist‹, d.h. hier soviel wie Intelligenz, sich in der hohen Stirn auspräge. Das Genie muß sich durch eine besonders hohe Stirn von den ungeistigen Menschen unterscheiden, die ›hohe Stirn‹ gilt danach geradezu als untrügliches Zeichen ›hohen Geistes‹ … Der Arzt H. KRUKENBERG hat einmal darauf hingewiesen, wie die Lehre von GALL und die Auffassung seiner Zeit von der Bedeutung des sich in der … (Schädel)form ausprägenden ›Geistigen‹ sogar die Künstler beeinflußt hat. Während GOETHE, wie man auf Silhouetten und besonders auf dem 1777/78 erschienenen Bild noch deutlich feststellen kann, eine zurückliegende, fliehende Stirn hatte, haben ganz besonders wohlwollende Portraitisten GOETHE in seinen letzten Lebensjahren mit einer so mächtigen Stirn begabt, daß sein Kopf geradezu als der ›Typus eines Wasserkopfes‹ gelten könnte.« (S. 17/18)

Nun erhebt sich vielleicht die Frage danach, wie sinnvoll Theorien zur angewandten Menschenkenntnis (hier: zur Körpersprache) angesichts der vorangegangenen Diskussion denn nun »wirklich« seien. Antwort: Zwar ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein verpreßter Mund auch morgen dieselbe Information des Sich-Abschließens beinhaltet sehr hoch, aber ganz »sicher« kann man nie sein. Deswegen ist äußerste Vorsicht geboten, wenn es darum geht, gewisse Regelmäßigkeiten der körpersprachlichen Ausdrucksformen zu »Gesetzen« machen zu wollen. Wie MAGEE in seiner wunderbaren Einführung zu POPPERS Denken (58) feststellt, ist das Wort »Gesetz« zweideutig (und zwar in fast allen Sprachen, mit denen ich mich bisher beschäftigt habe!). Während ein Gesetz im juristischen Sinne sehr wohl eine Forderung beinhaltet, ist dies bei Gesetzen, wie Wissenschaftler sie aufstellen, eindeutig nicht der Fall. Diese Tatsache, sagt MAGEE, wird oft übersehen und führt dann zu falschen Vorstellungen, Erwartungen oder Fehlschlüssen. Denn, ein (Natur-)Gesetz (oder eine »Regel«) kann nicht »verletzt« werden, weil sie keine Forderung sondern einen Beschreibungs-Versuch darstellt. Im Gegensatz zu einem Gesetz im juristischen Sinne, das sowohl eine konkrete Forderung beinhaltet als auch übertreten werden kann!

1.5 Irrtum immer möglich!

Für unsere tägliche Praxis bedeutet dies: Wenn man nun meint, das »Gesetz« oder die »Regel« hinter dem verpreßten Mund erkannt oder akzeptiert zu haben, darf man trotzdem nicht davon ausgehen, daß jeder verpreßte Mund immer unserem Gesetz entsprechen muß! Deswegen ist es so wichtig, mit Kontrollfragen zu arbeiten. Nur so kann man von Fall zu Fall überprüfen, ob der eigene Eindruck auch hier »stimmt«.