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GEO
Die Welt mit anderen Augen sehen
Gruner + Jahr AG & Co KG, Druck- und Verlagshaus,
Am Baumwall 11, 20459 Hamburg
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Fanatismus

Wie gefährlich ist Religion?

Krieg im Namen Gottes statt Nächstenliebe, Mitgefühl, Versöhnung … Seit es Religionen gibt, fühlen sich fanatische Anhänger zu den schlimmsten Verbrechen gegen »Ungläubige« berechtigt, ja verpflichtet. Sind Glaube und Gewalt untrennbar verbunden? Was muss geschehen, damit die Friedensbotschaft der Religionen Gehör findet?

Plus: Sanftmut statt Schwert - vier Friedensstifter im Porträt

von Hanne Tügel

Als er seinen Schwur für die Milizeinheit leistete, lag auf dem Tisch ein Gewehr und daneben die Heilige Schrift. Alistair Little war 14; Bomben und Zünder bauen konnte er längst. Den Vater seines besten Freundes hatte die IRA umgebracht; Teile von Lurgan, dem Ort in Nordirland, in dem er lebte, waren mehrfach zerstört worden. Der Junge glaubte, er hätte ein Recht zu morden. Und er tat es. Denn Gott, da war er sich sicher, war auf seiner Seite und hasste alle Katholiken.

Sie hatte die Universität abgeschlossen und eine Zukunft als Juristin vor sich. Stattdessen legte sich Hanadi Jaradat aus Jenin in Palästina einen Sprengstoffgürtel um und riss im Strandrestaurant Maxim in Haifa 20 Menschen mit in den Tod. Israelische Soldaten hatten vier Monate zuvor vor ihren Augen den Bruder und den Cousin getötet. Die 28-jährige Muslimin beschwor in ihrem Bekennervideo die „Kraft Allahs“. Sie hatte beschlossen, „Märtyrerin zu werden und ihren Körper in ein Schrapnell zu verwandeln“.

Frommer Fanatismus kennt keine Zweifel. „Alles, was ich tat, tat ich aus religiöser Bindung … Ich tat es für Gott, das Land und das Volk!“ – so begründete der ultraorthodoxe Jude Jigal Amir das Attentat an Israels Ministerpräsidenten, dem Friedensnobelpreisträger Jizchak Rabin. Japans Kriegführung befinde sich im Einklang mit „dem allumfassenden Mitgefühl des Buddhismus“, befanden führende japanische Zen-Buddhisten 1937, als der Angriffskrieg gegen China begann. Dessen Motto „dreimal alles“ – alles plündern, alles niederbrennen, alles töten – kostete 15 Millionen Chinesen das Leben.

Im Namen „universeller Harmonie“ kämpfen Hindu-Fundamentalisten – vor allem gegen Muslime. Ein Höhepunkt der Eskalation im Lande Gandhis war 1992 die Besetzung und Zerstörung der über 450 Jahre alten Babri-Moschee in Ayodyha, die angeblich auf dem Geburtsplatz des Hindu-Gottes Rama erbaut worden war. Landesweiter Aufruhr und Kämpfe zwischen den Gruppen forderten im Anschluss mehr als 1000 Tote.

Schalom, salam, pax, peace, paix, pace, Frieden heißt die Botschaft der Weltreligionen – doch zum Blutzoll der Menschheitsgeschichte haben Grausamkeiten aus religiösen Motiven wesentlich beigetragen, und sie tun es bis heute. Sind es die Glaubenslehren selbst, denen Gewalt als ewiger Schatten innewohnt? Sind es ihre Institutionen, sind es einzelne fehlgeleitete Gläubige? Haben gewalttätige Konflikte andere, weltliche Ursachen, die nur religiös „aufgeladen“ oder „übertüncht“ werden? Sind manche Glaubensgemeinschaften anfälliger als andere, was Hass und Rachsucht anbetrifft?