Gerhard Engelsberger

Aus Überzeugung evangelisch

Gerhard Engelsberger

Aus Überzeugung evangelisch

Vom kreativen Spiel mit der
„Freiheit des Glaubens“

Verlag der Evangelischen Gesellschaft GmbH

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Umschlag, Gesamtgestaltung und Satz: Uli Gleis, Tübingen

Titelmotiv unter Verwendung eines Fotos von Fotolia

eBook-Herstellung und Auslieferung:

readbox publishing, Dortmund

www.readbox.net

ISBN 978–3–7918-8030-3

… zu verkündigen das Evangelium den Armen,

zu predigen den Gefangenen die Befreiung,

den Blinden, dass sie sehen sollen,

den Zerschlagenen,

dass sie frei und ledig sein werden.

Lukas 4,18

„Das Amt, das Evangelium zu predigen, ist das höchste unter allen;

denn es ist das rechte apostolische Amt, das den Grund legt

für alle anderen Ämter, die sich auf dieses Amt aufbauen müssen.

Nämlich das Amt der Lehrer, der Propheten, der Regierer und

derer, die die Gabe gesund zu machen haben.“

Martin Luther 1

Es ist evangelisches Verständnis,

dass in der Vergebung die Kraft zur Heiligung enthalten ist,

dass nämlich geheiligt wird, weil vergeben wird.

Beim Katholizismus ist es …. umgekehrt:

weil geheiligt wird, wird auch vergeben.

Die Bedeutung der Reformation kann

nur von dem verstanden werden,

der diesen feinen Unterschied empfindet.

Kazoh Kitamori 2

Doch wird es wohl hier, wie gewöhnlich,

wenn wir uns an der Bibel ärgern,

so sein, dass das Ärgernis

gerade das Evangelische ist.

Wilhelm Vischer 3

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Freiheit

Ein „protestantisches“ Buch

Kurze sprachliche Klärungen

Was heißt „katholisch“?

Was heißt „evangelisch“?

Was heißt „protestantisch“

Was heißt „orthodox“

Was heißt „ökumenisch“?

Ich bin getauft

Die persönliche Seite

Die sachliche Seite

„Bischof“ und andere schwierige Herausforderungen

Aurelius Ambrosius

„Allgemeines Priestertum“

Die Bibel und was daraus geworden ist

Wer bestimmt?

Zwei Sakramente

Sieben Sakramente

Wofür stehst du? Für wen gehst du?

Aufbrüche, Standpunkte, Bekenntnisse, Schuld

Bildung und Verantwortung

Wer steht für dich auf ?

Evangelisch „gegen“ – geht das?

Provokation

Weiter „evangelischer“ Raum

Warum Jesus? Evangelische Erklärungen

Evangelischer Trost

Ich habe verstanden

Wenn einer gelernt hat, dann hat er verstanden – und kann irren

Hat einer verstanden, wird er sein Wissen teilen

Hat einer nicht verstanden, darf er hoffen

Wohin gehörst du?

Wenn die Zweifel kommen …

Was bleibt? Rechtfertigung und Stille

Am Ende „eins“ – ein Schlusskapitel gegen die Angst

Die Reformatoren und wesentliche Schriften

Anmerkungen

Vorwort

Bernd Friedrich, bis 2011 Geschäftsführer des Evangelischen Gemeindeblattes, hat mich schon vor längerer Zeit einmal gefragt, was eigentlich evangelisch sei. Andere hatten in ihm diese Frage angestoßen, über die er selbst rätselte. Ich möchte es ihm und anderen mit meinen Worten erklären. Daraus ist dieses kleine Buch entstanden.

Evangelisch hat nach meiner Überzeugung viel mit Freiheit, mit Weite, mit Versöhnung und Verantwortung zu tun. Diesen Zusammenhang wieder neu ins Bewusstsein zu rücken, ist mir in den gegenwärtigen konfessionellen Grabenkämpfen und im spürbaren Kompetenzverlust der Kirche insgesamt wichtig.

Das so entstandene Buch soll meinem Freund Bernd Friedrich gewidmet sein, der in seinem Drängen danach nicht nachgelassen hat und als Mensch für mich ein Geschenk bleibt. Er ist einer der letzten Vertreter einer Zunft, die in unserer Zeit zu verschwinden scheint: Bis ins Frühjahr 2011 war er ein großartiger evangelischer Verleger. Ein Verleger ist ein Mensch, der die Bücher seiner Autorinnen und Autoren liebt. Ein Dealer ist ein Mensch, der verkauft, weil er verdienen will – oder muss. Dealer sind arme Menschen. Ohne Verleger sind Autoren arme Menschen.

Ich bin glücklich, Bernd Friedrich begegnet zu sein, wie ich auch glücklich bin, dass ich seit vielen Jahren „spielend“ an der Freiheit und am Glauben teilhaben durfte.

Wenn ich all denen, die Bücher verkaufen, vermarkten, in die Regale stellen, einen Rat geben darf, dann den: Bücher sind Lebewesen. Kein Autor schreibt tote Bücher. Versucht, Bücher zu lieben! Mindestens einige haben eure Liebe verdient.

Dielheim, im Herbst 2011

Gerhard Engelsberger

Freiheit

Jahrhundertelang hatten sich Philosophen und Theologen gestritten, ob der Mensch einen freien Willen habe oder ob vielleicht doch alles von Gott vorherbestimmt sei und wie der Mensch in seinem bescheidenen Maß verantwortlich leben und der ständigen Angst vor dem (ewigen) Tod begegnen könnte.

Die Reformation hat dann die Freiheitsgedanken aller vorausgegangenen Jahrhunderte aufgegriffen, abgewogen und neu formuliert. Martin Luther machte sie zum Thema einer der wichtigsten Reformationsschriften, die er im Jahr 1521 verfasste: „Von der Freiheit eines Christenmenschen“. Die beiden zentralen Sätze dieser Schrift werden immer wieder zitiert: „Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan.“ Und: „Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“

Um diesen schwierigen Gedanken einigermaßen zu verstehen, ist es nicht nur wichtig, „alte“ Texte und Informationen über deren „Sitz im Leben“ zu lesen, sie also nicht nur aus ihrem Kontext (soziale, wirtschaftliche, geistige Umgebung), in dem sie entstanden sind, heraus verstehen zu lernen, sondern auch neue Zugänge zu suchen. Alte Texte erschließen sich den Menschen der jeweiligen Gegenwart dadurch, dass man sie weiterschreibt, neu und mit ähnlichem Herzblut.

Wie ich es seit Jahren in meinen „Bibelworten fortgeschrieben“, die im selben Verlag erscheinen wie das vorliegende Buch, mit kurzen Texten aus der Bibel versuche, so wird – ob man will oder nicht – jeder „Text“ allein schon durch die Erzählerin, den Erzähler, die Stimme, die Situation und den Ort „fortgeschrieben“. Nicht anders ist es mit Gedanken, Geschichten und Bekenntnissen.

Menschen haben sich aufgerichtet, sich von Tieren unterschieden. Menschen haben begonnen, nicht nur Hände und Füße zu gebrauchen und Laute zu sagen. Sie haben auch begonnen, Fragen zu stellen.

Menschen haben gefragt, wer Befehle gibt und woher Anweisungen kommen.

Menschen haben verschiedene Deutungen vom Kommen und Gehen des Menschen gehört und sie lernten, die Interessen der Deuter zu unterscheiden.

Menschen haben sich gewehrt gegen unbegründete Bevormundung. Menschen haben im Namen der Freiheit sich selbst und Ihresgleichen befreit.

Menschen haben verstanden, dass Gott nicht nur Macht verleiht, sondern auch all die Möglichkeiten und Fertigkeiten, all die Sprachen und Künste, über die wir staunen.

Menschen haben verstanden, dass Gott Freiheit und Liebe ist. Und wenn er es nicht war, begriffen sie, dass ein missbrauchter Gott dann wohl nur ein Instrument derer ist, denen die Freiheit der Vielen Angst macht.

Menschen haben Lieder der Freiheit gesungen, haben Gebete der Freiheit gebetet und die Angst verloren.

Menschen haben staunend gehört, dass Gott selbst über den größten Angstmacher, den Tod, herrscht.

Menschen haben der Nachricht vertraut, das habe mit einem jungen Mann mit dem Namen Jesus oder Jeschua aus dem Gebirgsnest Nazaret im nördlichen Israel zu tun.

Und Menschen waren unterwegs, um Zeichen der Freiheit zu pflanzen: an Bahnlinien, auf Friedhöfen, über Gräben, Schlachtfeldern, Kirchen, vor Baracken und Villen.

Menschen haben sich „emanzipiert“. Sie haben sich (das ist die wörtliche Übersetzung des Lateinischen „emanicipium“, „aus dem Eigentumsrecht“) − „aus der Hand (eines Mächtigen) befreit“.

Menschen bringt die Angst bis heute um.

Menschen bringt die Angst bis heute auf.

Menschen bringt das Unrecht bis heute auf.

Menschen richten sich bis heute an diesem Mann aus Nazaret auf.

Ich weiß, es ist ein schmales Evangelium.

Die Musik darüber ist größer.

Die Kirchen darüber sind mächtiger.

Die Bücher darüber sind kaum zu zählen.

Doch das schmale Evangelium Jesu Christi, von dem ich als meinem Freiheitswort erzähle, hat nicht wenige Menschen zur Freiheit befreit.

Angefangen hat das schon in frühester Geschichte: Als Paulus den wenigen Christen seiner Zeit in Galatien einen Brief schrieb, formulierte er aufrührerische Worte, denn die Zeichen Roms standen damals anders. Er schreibt: „Zur Freiheit hat uns Christus befreit! So steht nun fest und lasst euch nicht wieder das Joch der Knechtschaft auflegen!“ (Galater 5,1).

Manche Ausleger der Schrift machen daraus peinlich brave Worte. Aber solche Aussagen waren zur Zeit des Paulus tödlich. Selten lassen sich Mächtige den Brei verderben und die Macht nehmen. Paulus wurde in Ketten nach Rom gebracht und starb dort. Der Legende nach teilte Petrus dieses Schicksal. Als Nero für seine gigantischwahnsinnigen Ideen Opfer suchte, starben Juden wie Christen. Aber Christen wie Juden standen auf und reklamierten ein Recht auf religiöse Freiheit und Schutz vor Willkür der Mächtigen. Und so ist es bis heute.

Als in der Zeit eines kulturell gar nicht so „finsteren“ Mittelalters Bauern, Handlanger, Söldner, Verarmte und Ausgesonderte sich erhoben, um die mindesten Menschenrechte einzufordern; als nicht wenige Laute und Widerspenstige, Überzeugte und Waghalsige ihr Leben im Namen Gottes auf Scheiterhaufen, in Haft oder an der Wand verloren, andere schwer geschunden wurden ob ihrer Freiheitsliebe, da traute sich ein „Mönchlein“ des Augustinerordens Widerspruch einzulegen: Martin Luther.

Intellektuelle – und Martin Luther war im Prinzip ein Intellektueller – legen in der Regel wortreich und gebildet Widerspruch ein. Luther schrieb 95 Thesen, ließ seine Einwände gegen Ablass, Papstmacht und knechtenden Glauben breit verteilen. Heute würde man sich sämtlicher E-Mail-Adressen und gar der sozialen Netzwerke bedienen. Luther hatte weniger Adressaten, wandte sich also an die „Wortreichen“ oder die „Fürsten“ seiner Zeit – und wartete ab, ob der Zunder brennen würde.

Und der Zunder brannte. Gab es doch viele, die sich nach Freiheit des Dienstes, des Wortes, der Kirche und ihrer Familie sehnten. Darunter mögen auch solche gewesen sein, denen die eine oder andere lateinische Fußnote zuwider war, also die eine oder andere Auslegung der Heiligen Schrift − war doch „heilig“ der Inbegriff des Unantastbaren, Unveränderlichen, Ewig-Gültigen − oder der eine oder andere freche Spruch des Wittenberger Mönchleins. Es war jedenfalls eine sehr bunte „Anhängerschaft“, die sich seit 1517 auf Martin Luther berief, seit er also am 31. Oktober historisch nicht nachweisbar seine 95 Thesen an die Eingangstür der Wittenberger Schlosskirche schlug oder – weniger spektakulär – diese Thesen an ein erlesenes Publikum schicken ließ. Heute dreht man großartige Filme, schreibt Bücher und hält Reden über diese Zeit. Und doch: Sie ist uns allen fremd. Also frage ich: Gibt es heute ähnliche Bewegungen? Ähnliche Verheimatungen, Verhärtungen, Begeisterungen und Spielarten des Glaubens? Könnte heute ein Konzil, ein Papstwort, ein evangelischer Widerruf oder eine utopistische Vision Ähnliches bewirken wie damals die Reformation?

Es käme wohl auf die Bedingungen an, wie damals auch. Ich glaube nicht, dass Menschen heute anders sehnen als damals, anders lieben, anders leiden, anders rechnen, anders denken. Natürlich gibt es da zeitbedingte Nuancen. Aber was brauchen die Menschen? Was speist ihre Sehnsucht und lässt ihre Suche an ein Ende kommen? Menschen wollen einen verlässlichen Hinweis auf eine Welt über den eigenen und fremden Tod hinaus. Menschen wollen einen verlässlichen Halt gegen die Angst, die das Leben mit sich bringt, erst recht gegen das Streiten, das Haben und Verlieren, das Sterben und den Tod. Menschen wollen eine gültige Zusage, dass ihnen die erkannten und bereuten Fehler wirklich vergeben werden. Menschen wollen – darf ich das so simpel schreiben? –, dass sie „liebgehabt“ und „als Geliebte bleiben“ werden.

Religion hat als wichtigste Aufgabe, den Menschen die Angst zu nehmen. Der Gegensatz zur „Sünde“ ist nicht das moralisch richtige Verhalten. Der Gegensatz zur Sünde ist der Glaube. Angst lähmt. Der Glaube macht frei, frei zur Umkehr. Er verschafft mir die nötige Ruhe und Distanz zu dem, was droht. Was es so schwer macht, Gott zu vertrauen und seine Liebe anzunehmen, ist die Angst.

Wer in diese meist doch unfreie, in zwei Dritteln geschundene Welt tritt mit einem „evangelischen“ Anspruch, der tritt nicht nur für die Freiheit an, sondern auch, um Menschen die Angst zu nehmen. Und nichts Wichtigeres gibt es. Nichts, was dem schmalen Evangelium mehr entspräche.

Evangelisch sein – das ist ein Kämpfen, Beten, Argumentieren, Abstimmen, Singen gegen die Angst.

Evangelisch sein – das ist ein Pochen auf „mein Recht“, verbürgt von dem jungen Mann aus Nazaret, mit seinem Leben, mit seinem Tod – und mit seiner Auferstehung gegen alles, was den Tod mit sich und nach sich zieht. Das kann die pure Lust am Leben sein, der Tanz in den Farben des Frühlings, die Verliebtheit in Rembrandts Sonnenblumengelb, in Bachs ordnende, alle musikalischen Weiten durchtanzende und doch „klar“ ankommende musikalische Kunst, in gregorianische Gesänge, in ein Aquarell aus eigener Hand, in eines der großartig-kargen Gedichte von Reiner Kunze oder in das kindlich-stolze Ja einer Elfjährigen bei ihrer Taufe. Keine Grenze. Evangelisch sein, das ist die stolze Offenheit des Verletzlichen ebenso wie das leidende Elend eines Verletzen. Nicht kraftstrotzend überheblich, sondern ehrlich gefährdet.

Evangelisch sein ist eine innere Haltung, die die Menschheitsgeschichte durchzieht und prägt – lange vor der Geburt des Mannes aus Nazaret und lange nach unserem eigenen Tod.

Ich bin evangelisch – das heißt:

Ich bin frei.

Ich bin ein Mensch.

Ich bin es wert, geliebt zu werden.

Ich mache Fehler.

Ich bin da.

Ich war da.

Und es gibt einige,

die meinen, das ist und das war gut so.

Und zu denen gehört – wenn du genau hinschaust − dieser Hungerleider und Armenprediger, den sie damals aus Nazaret davongejagt haben. Jesus haben ihn die Römer genannt. Jeschua die Eltern. Christus die Anhänger. Er ist weite Wege gegangen und hat nicht vergessen, dass er auch für mich unterwegs war.

Was wäre, wenn sein Leben und Reden, sein Heilen und Sterben, wenn sein Evangelium, das von Generation zu Generation heute in unsere Hand gegeben ist, auch jenseits unserer nächsten Galaxie und gar weit jenseits all unserer Teleskope, die eine Winzigkeit weiter „draußen“ sind als wir, auch noch etwas gälte?

Die Reformatoren kannten das Himmelsgewölbe mit seinen unzählbaren Sternen und machten sich auch ihre Gedanken dazu. Doch dann lenkten sie den Blick zurück auf die wenigen Quadratkilometer Leben, in denen sich unser Alltag, unsere Liebe, unsere Irrungen und unsere Größe ereignen. Hier auf diesem wunderbaren und – das wussten sie noch nicht – blauen Planeten sollten Menschen dem Mann aus Nazaret nachfolgen, sollten sie niemanden „Vater“, gar „Heiliger Vater“ nennen als den, den der Nazarener selbst „Vater“ nannte, sollten sie keinen anderen Herren dienen als dem einen im Himmel, auch wenn sie sich aus Unkenntnis unter „Himmel“ noch anderes vorstellten.

Vielleicht waren die Reformatoren und sind die Protestanten etwas skeptischer als andere Konfessionen und Religionen, was den Glanz, die Liebe und die guten Einfälle der Menschen angeht. Aber erweist sich diese Skepsis heute nicht als berechtigt, nach all den Scheußlichkeiten des zwanzigsten Jahrhunderts, die Menschen Menschen angetan haben und die sie der Schöpfung noch antun? Und wenn ja, was dann?

Die Ameise kennt ihre Formel, der Vogel sein Nest, der Hirsch sein Revier. Allein der Mensch wähnt sich ohne Grenzen − und fühlt sich gleichzeitig verloren, umherirrend wie ein Heimatloser zwischen Andromedanebel und irgendeiner nahegelegenen Galaxie, die er bei Nacht mit bloßem Auge kaum erkennt.

Gut, dass da einer für dich und für mich unterwegs war und ist. Und dass das gilt, auch jenseits der Sonnen, die unseren Tag ausleuchten, und jenseits der Worte, die uns aufrichten.

Ein „protestantisches“ Buch

Die Mutter bat ihren kleinen Sohn, sich hinzusetzen, aber er wollte unbedingt stehen. Verärgert packte sie ihn schließlich und setzte ihn auf einen Stuhl. Einen Augenblick war es still. Dann sagte der Kleine trotzig: „Außen sitze ich, aber innen stehe ich noch!“

Diese kleine Episode – sie ist mir von einer SWR-Hörerin vor Jahren so geschildert worden – erzählt vielleicht mehr von „protestantischer Haltung“ und „evangelischer Freiheit“ als so manches Lehrbuch. Von ähnlicher Haltung zeugt die folgende Begebenheit: Kinder hatten – das muss lange her sein, ist aber dennoch eine gute Geschichte – immer wieder im Herbst Äpfel aus dem Pfarrgarten geklaut. Bis der findige Amtskollege ein Schild an den Baum nagelte, auf dem stand: „Gott sieht alles!“ Am nächsten Tag stand darunter: „Aber er verrät uns nicht!“

Warum bin ich „aus Überzeugung evangelisch“? Das hängt eng mit den beiden Episoden zusammen, ob sie nun tatsächlich so geschehen sind oder nicht.

Damit kein Irrtum aufkommt: Ich bin überzeugter Ökumeniker. Gelegentlich klage ich katholischen Freunden, darunter Priestern und Mönchen, mein Leid über die evangelische Kirche, suche, wo immer es „Spielraum“ gibt, Brücken über Gräben. Ich befürchte aber, unzählige Gremien sind mit Bergen an Material und (kirchen-)politischen Interessen unterwegs, um das zarte Pflänzchen der „einen Kirche Jesu“ zu zerreden. Mir geht es eher wie einem Kollegen, der mir kürzlich schrieb: „Was mich am meisten nervt, ist die Verdrängung der Theologie durch strategisches Denken, wohinter ich dann allzu oft die nackte Angst um den Erhalt des status quo wittere …“

Oft leiden wir an einer typisch deutschen Gelehrtenkrankheit, die insbesondere die Theologinnen und Theologen überfällt: Sie wollen recht haben. Dieses schleichende Gift soll sogar – auch er ist ein Mensch wie du und ich – gelegentlich den Bischof von Rom heimsuchen.

Jesus war kein „Rechthaber“. Er sagt von sich selbst: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele“ (Markus 10,45 u. ö.).