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Papa hat’s aber erlaubt

Für Michael und unsere Kinder

Jeannette und Jonas.

Eva Tillmetz

Für Inga und unsere Söhne

Andreas und Alexander.

Peter Themessl

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Eva Tillmetz, geb. 1963, berät als systemische Familientherapeutin und Kommunikationstrainerin Paare und Familien in eigener Praxis und hält Partnerschaftsseminare und Vorträge zu Fragen der Familiengestaltung und Erziehung. www.partnerschaftsberatung-regensburg.de

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Peter Themessl, geb. 1963, arbeitet als Journalist für Zeitungen und Hörfunk in Regensburg. Er leitet Fortbildungen in der Erwachsenenbildung und arbeitet als Betreuungsassistent mit alten Menschen.

Erste Hilfen Band 5

Eva Tillmetz, Peter Themessl

Papa hat’s aber erlaubt

Erziehungskrisen im Kindergartenalter meistern

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Elektronische Ausgabe 2014

Reprint der 2006 im Kösel-Verlag erschienenen Ausgabe

eISBN: 978-3-86321-164-6

Alle Rechte vorbehalten

Inhalt

Vorwort

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Ein unschlagbares Eltern-Team

Wie gemeinsame Erziehung Spaß macht

Was Kinder und Eltern wirklich brauchen

Von der Sehnsucht nach Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit

Allein erziehend trotz Partner?

Wenn die Erziehung an einem Elternteil hängen bleibt

»Du lässt mich ja nicht!«

Was Väter bremst und was sie lockt

Typisch!? – Vaterrollen

Positionen in der männlichen Erziehungswelt

Genauso typisch!? – Mutterrollen

Positionen in der weiblichen Erziehungswelt

Wie unsere Elternqualitäten wachsen

Erziehen mit Adler, Bär, Luchs und Maus

Kleine Familien – große Familien

Eltern-Teamwork in unterschiedlichen Familienkonstellationen

»Zwei gegen einen ist unfair!«

Eltern-Teamwork in der Einkindfamilie

»Die Kleine hast du aber lieber!«

Eltern-Teamwork in der Mehrkindfamilie

Wenn die Oma miterzieht …

Eltern-Teamwork in der Mehrgenerationenfamilie

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Krisenklassiker im Kindergartenalter

Endlich Feierabend – und das Chaos beginnt!

Von Tagesturbulenzen und geglückten Landungen

Wochenend und Sonnenschein

Erwartungen und Enttäuschungen in der Familienfreizeit

»Ich will nicht in den Kindergarten!«

Wie die Ablösung aus dem Elternhaus gelingt

»Trödel nicht so rum!«

Vom richtigen Umgang mit Zeitdruck und Zeitgefühl

»Ich bin aber noch nicht müde!«

Von Abendritualen und Nachtgespenstern

»Jetzt schau doch endlich her!«

Abwägen zwischen Selbst- und Kindfürsorge

Chaos im Kinderzimmer

Der Balanceakt zwischen Ordnung und Privatsphäre

Fernseher – Gameboy – Playstation

Vom Umgang mit den neuen Familienmitgliedern

Alle Jahre wieder …

Familienfeiern und ihre Tücken

Wenn Papa und Mama streiten

Wie Eltern ihre Konflikte angehen

»Wir schlagen nicht!«

Vom Umgang mit Wut und Hilflosigkeit

Zoff im Kinderzimmer

Geschwister schlagen und vertragen sich

Tante Knutsch und (Onkel) Doktor spielen

Von Körperkontakt und Körpergrenzen

Wenn Fördern fordert

Der weite Markt von musischer Früherziehung bis Karate Kids

Wie es weitergehen kann

Danksagung

Anhang

Anmerkungen

Weiterführende Literatur

Nützliche Internetadressen

Vorwort

Wenn Sie dieses Buch in Händen halten, haben Sie bereits mehrere Jahre gemeinsamer Kindererziehung hinter sich. Mehr oder weniger »gemeinsam«, denn erstens sieht der Alltag von beiden Eltern in der Regel völlig anders aus. Sie verbringen unterschiedlich viel Zeit mit Ihren Kindern und kennen daher verschiedene Seiten von ihnen. Zweitens erleben Sie regelmäßig, dass Sie beide unterschiedliche Einstellungen, Erziehungsziele und Reizschwellen haben. Logisch, dass Sie auch unterschiedlich reagieren. Die Kinder merken das und testen, bei wem sie mehr erreichen. Dann bringt der Dreikäsehoch den Satz: »Papa hat’s aber erlaubt ...!« Wenn Sie sich an dieser Stelle nicht gegenseitig ausspielen lassen wollen, brauchen Sie klare Absprachen. Sie tun sich leichter, wenn Sie sich als Team begreifen. Für dieses Eltern-Teamwork finden Sie vielfältige Anregungen in diesem Buch.

Seien Sie stolz auf sich – die Babyjahre haben Sie gemeistert! Ihr Kind kann selbstständig laufen und sagt deutlich, was es will. Die Nächte gehören wieder Ihnen. Jetzt erleben Sie Glück, aber auch Herausforderung in neuer Form: Sie lachen schallend über kluge Kindersprüche und freuen sich, wenn der Nachwuchs das Klettergerüst erklimmt. Ein anderes Mal raufen Sie sich die Haare über trotzige Kinder und deren endlose Warum-Frageschleifen.

Der Kindergarten schafft tagsüber neue Möglichkeiten: Freiräume für Sie als Paar, für berufliche Pläne und Freizeit sowie für die Kindererziehung. Damit Sie die neuen Freiheiten wirklich nutzen können, brauchen Sie neue tragfähige Vereinbarungen. Eltern-Teamwork erleichtert Ihnen die Erziehung und bringt Harmonie in den Familienalltag.

Eltern-Teamwork gibt auch Ihren Kindern den nötigen Halt, den sie für ihre Entwicklung brauchen. Kinder, die mit zwei aufmerksamen Eltern leben, wachsen zu starken Persönlichkeiten heran. Kinder brauchen eine Mutter und einen Vater mit ihren unterschiedlichen Einstellungen, Erziehungszielen und Reizschwellen. Ein Kind wird diese unterschiedlichen Elternqualitäten von Vater und Mutter nutzen und als Schatz wahrnehmen. Vorausgesetzt, beide Eltern gestehen sich diese Unterschiede zu. Ihre Kinder profitieren davon: Mit Rüstzeug von beiden werden sie selbst kraftvoll ins Leben starten.

Zu guter Letzt ist Eltern-Teamwork auch ein gutes Polster für Sie als Paar. Sie wünschen sich bestimmt lustvolle Stunden als Mann und Frau. Diese prickelnde Zeit geht im Familienalltag leicht unter. Erst recht, wenn Missverständnisse oder Vorwürfe die Atmosphäre vergiften. Wenn Sie sich dagegen als Eltern unterstützen und Ihr Projekt »Familie« gelingt, stärken diese Erfolgserlebnisse Ihre Partnerschaft.

In diesem Buch machen wir Sie mit Spielarten von Eltern-Teamwork vertraut. Sie finden darin Anregungen, wie Eltern ihre Verschiedenheit nutzen können. Im ersten Teil beleuchten wir Frauen- und Männerwelten, Erziehungshaltungen und das Familienleben in großen und kleinen Familien. Im zweiten Teil stellen wir typische Probleme der Kindergartenjahre vor und zeigen Lösungswege auf. Vielleicht entdecken Sie sich bei dem einen oder anderen Krisenklassiker schmunzelnd wieder ...

Eva Tillmetz und Peter Themessl

Ein unschlagbares
Eltern-Team

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Wie

gemeinsame

Erziehung Spaß macht

Was Kinder und Eltern
wirklich brauchen

Von der Sehnsucht nach Zeit,
Zuwendung und Zärtlichkeit

Jeder Tag mit Kindern ist ein kleines Abenteuer. Einmal gestaltet sich bereits das Anziehen und Zähneputzen als Hürdenlauf. Ein anderes Mal verläuft das Frühstück unverhofft leicht und lustig, weil der kleine Dreikäsehoch einen altklugen Spruch auf Lager hat. In der Beziehung mit Kindern gehen Eltern durch Berg und Tal, mal durch unsicheres Gelände und mal über beschauliche Höhenwege, wo sie gemeinsam in die Weite schauen. Eltern kennen die Landschaft, die vor ihnen liegt, noch nicht – genauso wenig die Kinder. Allerdings haben Eltern mehr Erfahrung beim Wandern und können dadurch die Herausforderungen, die auf sie gemeinsam zukommen, schneller einschätzen und vorausschauend den Weg planen.

In den letzten Jahrzehnten sind viele Erziehungs-Landkarten auf den Markt gekommen. Die früheren Karten markierten Wege in Richtung »Pflicht« und »Ordnung«, die Karten der 70er- und 80er-Jahre wiesen den Weg in Richtung »freie Persönlichkeitsentfaltung«, und Schautafeln zierten den Weg, an denen sich die Eltern über die »antiautoritäre Erziehung« informieren konnten. Im vergangenen Jahrzehnt stehen wieder vermehrt Wegweiser für eine »konsequente Erziehung«, für »Grenzen setzen« und »Leistungsoptimierung«.

Wir leben in einer paradoxen Welt. In dem Maße, wie die Kinder in unserer Gesellschaft weniger geworden sind, hat die Zahl an Erziehungswegweisern für Eltern zugenommen. Wohin in diesem Labyrinth mit tausend Wegen?

Damit Eltern sich nicht im Dschungel der Erziehungsfragen verirren, ist es hilfreich, sich zuallererst die Basis der Eltern-Kind-Beziehung genauer anzusehen. Dazu eine kleine Übung.

Stellen Sie sich vor, Sie sind ein kleines Mädchen oder ein kleiner Junge – etwa vier Jahre alt. Sie haben die besten Eltern, die Sie sich nur vorstellen können. Diese Eltern besitzen all die Eigenschaften, die Sie sich von einer liebevollen Mutter und einem liebevollen Vater wünschen. Sie stehen in einer vertrauten Umgebung und schauen in die Welt hinaus – vor Ihnen liegt das Abenteuer »Leben«. Wenn Sie jetzt gleich Ihre Augen schließen, suchen Sie mit Ihrem Herzen einen Platz, wo diese Eltern stehen. Stehen Sie vor, neben oder hinter Ihnen? Wie weit ist Ihre Mutter von Ihnen entfernt, wie weit ist Ihr Vater von Ihnen entfernt? Wie stehen die beiden zueinander? Denken Sie daran: Es handelt sich um ideale Eltern, die absolut so sind, wie Sie es sich in Ihren innersten Träumen wünschen.

Zur Veranschaulichung können Sie drei Playmobil- oder Holzfiguren nehmen. Stellen Sie die drei Figuren so zueinander, wie Sie sich und Ihre idealen Eltern gerne positionieren würden.

In der Familienberatung1 wie in Familienaufstellungsseminaren zeigen kleine wie groß gewordene Kinder, sprich heutige Erwachsene, dass sie sich zu beiden Eltern einen ähnlich weiten Abstand wünschen. Die tiefste Sehnsucht, die Kinder in ihrer Seele tragen, ist ein gleich guter Kontakt zu zwei wohlwollenden Elternteilen. Brauchen Kinder noch viel Schutz, stehen die Eltern eher vor den Kindern. Sie stehen als Vor-bilder, sie gehen für das Kind den Weg voraus und sichern den Weg ins Leben. Je selbstständiger die Kinder werden, desto mehr können die Eltern hinter den Kindern stehen und mit ansehen, wie die Kinder selbstständig ins Leben gehen – ein Bild, das Eltern mit größeren Kindern auf Wanderungen so erleben.

Manche »Kinder« stellen sich zunächst zwischen die Eltern, spüren aber bald, dass dieser Platz nur für kurze Zeit angenehm ist. Wahrscheinlich kennen Sie das selbst: Auf Spaziergängen war es früher eine Zeit lang wunderschön, zwischen Mutter und Vater an deren Hand zu gehen, doch sobald die beiden über Ihren Kopf hinweg sprachen, sich womöglich stritten, war diese unmittelbare Mittelposition unangenehm, spannungsreich bis unerträglich.

Zwei wohlwollende Eltern, die dem Kind ähnlich nah sind – wie soll das gehen in einer arbeitsteiligen Welt, in der die meisten Mütter ein Vielfaches an Zeit mit den Kindern verbringen im Vergleich zu den Vätern?

Eine interessante Erkenntnis liefert die Arbeit mit Familienaufstellungen2: Der seelische Abstand zu Mutter und Vater hängt weniger von der zeitlichen oder räumlichen Anwesenheit ab, als vielmehr von der seelischen Präsenz der Eltern. Erlebte jemand seine in Vollzeit berufstätigen Eltern in den anwesenden Stunden als feinfühlig und aufmerksam, stellt er den Vater beziehungsweise die Mutter nah und zugewandt. Umgekehrt können Eltern auch als abwesend und abgewandt erlebt werden, obwohl sie den ganzen Tag zu Hause waren. Die Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch die Mutter, das westdeutsche Familienideal, garantiert keine sichere Bindung. Umgekehrt schadet die Berufstätigkeit beider Eltern keinem Kind, wenn Eltern in den Familienzeiten für ihre Kinder da sind und in den Arbeitszeiten für verlässliche Betreuung sorgen. Egal, wie Ihre berufliche Situation aussieht, Sie haben immer die Möglichkeit, als Vater wie als Mutter eine gute Eltern-Kind-Beziehung aufzubauen!

Kinder wollen bei ihren Eltern aufwachsen und von ihnen ins Leben geleitet werden. Dabei sind verschiedene Entwicklungsstufen erkennbar, wie sie auch die Bindungsforschung in Langzeitstudien3 erforscht hat.

Ein kurzer Blick zurück in die ersten Lebensjahre: Im ersten Lebensjahr steht das Grundbedürfnis nach Nähe, Geborgenheit, Trost und Schutz an erster Stelle. Erfährt ein Kind in dieser ersten Lebensphase verlässliche Zuwendung vor allem durch die Mutter, kann es sein Urvertrauen aufbauen. Über die Beziehung zur Mutter entsteht sein Selbstwert, wenn es die Erfahrung macht: Ich schaue in die Augen meiner Mutter und erkenne mich selbst.

Unterstützt der Vater seine Frau und bietet er dem Kind ebenfalls Schutz und Geborgenheit, verstärkt dies die sichere Bindung. Im späteren Leben ermöglicht dieses Urvertrauen, an sich selbst zu glauben, wenn der Lebensweg durch schwieriges Gelände führt.

Nach dieser Selbst-Erfahrung kann ein Kind sich nach außen wenden und in die Welt hinausschauen. Im zweiten Lebensjahr kommt dies als zweites Grundbedürfnis hinzu: Das Kind möchte die Welt erobern, es entwickelt einen starken Entdeckerdrang und sucht Eltern, die seinen Wunsch, eigenständige Erfahrungen zu machen, unterstützen. Für diesen Entwicklungsschritt sucht sich das Kind vorrangig den Vater aus: Ich schaue zu meinem Vater und entdecke über ihn die Welt. Unterstützt die Mutter ihren Mann und gibt auch sie dem Kind Freiräume, wird es später mutig an neue Lebensprüfungen herangehen und sich auch an schwierige Pfade heranwagen.

Kinder mit sicherer Mutter- und Vaterbindung erweisen sich als sehr viel selbstständiger, wenn es darum geht, Konflikte zu lösen. Sie können sich länger konzentrieren und bleiben auch an kniffligen Aufgaben mit Eifer dran.

Das größte Geschenk, das Eltern daher ihrem Kind machen können, ist, dass es beide Elternteile mit all ihren Stärken und Schwächen kennen lernen darf.4 Wenn beide Eltern für ihr Kind da sind, sich im Kontakt auf Augenhöhe des Kindes begeben und feinfühlig auf das Kind eingehen, entwickelt es ein positives Bild vom eigenen und vom fremden Geschlecht.

Das zweitgrößte Geschenk, das Eltern ihren Kindern machen können, ist ein funktionierendes Eltern-Teamwork. Denn in der frühen Kindheit lernt das Kind nicht nur die Dinge in der Welt kennen, sondern es erforscht auch Beziehungen: Wie gehen Menschen miteinander um? Wie reden sie miteinander? Wie streiten sie und wie versöhnen sie sich? Das erste »Wir« schaut sich ein Kind gewöhnlich von seinen Eltern ab: Ich schaue zu Vater und Mutter und erlebe, wie Beziehungen funktionieren.

Die Folgen der Eltern-Kooperation spürt ein Kind am eigenen Leib: Sind sich die Eltern in wesentlichen Dingen einig, wächst ein Kind in entspannter Atmosphäre auf. Dabei können Eltern dem Kind durchaus ihre unterschiedlichen Talente und Vorlieben vermitteln. Wenn Vater und Mutter ihre unterschiedlichen Beziehungsangebote nebeneinander stehen lassen, bereichert diese Vielfalt das Kind und es spürt: »Papa und Mama meinen es gemeinsam mit mir gut. Sie haben denselben Weg für mich als Ziel vor Augen.«

Kämpfen die Eltern dagegen offen oder verdeckt um ihre Positionen, will beispielsweise einer das Kind in Richtung »Leistung«, der andere in Richtung »Kreativität« führen, fühlt sich das Kind hin- und hergerissen. Wenn die Eltern ihre unterschiedlichen Erziehungsziele gegenseitig abwerten, bedeutet das für ein Kind ungeheuren Stress, den es mit Rückzug, Nervosität oder Aggressivität beantwortet.

Es fällt einem Kind schwer, seinen Lebensweg weiterzugehen, wenn ein Elternteil stehen bleibt oder sich von ihm abwendet. Das Kind dreht sich innerlich immer wieder nach dem entfernten Elternteil um, was sich im Alltag zum Beispiel als Angst, Aggression oder in anderen Stresssymptomen äußert. Auch kann es zu Verhaltensauffälligkeiten wie Stottern oder Ticks kommen, da das Kind einen Großteil seiner psychischen Energie auf die Suche des fehlenden Elternteils verwendet.

Kinder brauchen beide Eltern. Die sichere Bindung zu beiden Eltern dient als Basis für den Sprung in die Welt außerhalb der Familie. Sicher gebundene Kinder kommen leicht mit Gleichaltrigen zurecht und suchen sich Freunde, mit denen sie auch Probleme selbstständig lösen können.

Kinder, die aktives Eltern-Teamwork erleben, haben doppelten Rückenwind für ihre Entwicklung.

Die drei magischen Z’s:
Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit

Auf vieles, was Kindern heute geboten wird, können sie lange Zeit verzichten. Weder eine Villa im Grünen noch Markenmode macht Kinder wirklich glücklich. Was Kinder von beiden Eltern sich ersehnen, sind im Wesentlichen drei Dinge: Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit. Die drei großen Z’s sind allerdings nicht als Einbahnstraße von den Eltern in Richtung Kinder zu sehen. Auch Eltern brauchen Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit – ein wenig von den Kindern, vielmehr aber voneinander.

Zeit ist heute ein kostbares Gut geworden. Zeit ist der Boden, auf dem die Eltern-Kind-Beziehung sich entwickelt. Kinder brauchen keine Rund-um-die-Uhr-Versorgung von den Eltern. Das haben Väter und Mütter zu keiner Zeit geleistet. Sie brauchen aber die Sicherheit, dass Eltern für den zeitlichen Rahmen sorgen: für gemeinsame und getrennte Zeiten. In der gemeinsamen Zeit wollen Kinder das Leben der Eltern kennen lernen. Sie wollen verstehen, wie die Eltern leben, was ihnen wichtig ist, und so an ihrem Leben teilnehmen. Sie mögen mit den Eltern essen, spielen und reden. Mehrere kurze Zeitspannen, in denen die Mutter oder der Vater wirklich ganz da ist, sind für Kinder die wertvollsten Zeiten des Tages. Hier wächst die Bindung.

Für die Stunden, in denen Kinder die Familie verlassen, brauchen sie die Gewissheit, dass die Eltern den Ort gutheißen, den sie aufsuchen, sei dies der Kindergarten, seien es die Großeltern oder Freunde. Nur so können sie die Zeit außer Haus entspannt genießen.

Besondere Zeiten sind die Übergänge zwischen dem Zuhause und »fremdem« Gebiet. Wenn Eltern beim Verabschieden und beim Wiederkommen die abgemachten Zeiten einhalten, fühlen Kinder sich sicher und geborgen.

In der gemeinsamen Zeit wachsen nicht nur die Kinder, sondern auch die Eltern. Hier wächst die eigene Erziehungskompetenz, mit jedem gemeinsam erlebten Tag wird der erzieherische Erfahrungsschatz reicher. Das Leben mit Kindern darf nicht nur aus Arbeit bestehen, sonst werden die Kinder als Last empfunden. Eltern brauchen Zeit, um ihre Kinder genießen zu können. In freien Zeiten, in denen Eltern mit ihren Kindern Raum und Zeit vergessen, entsteht eine Kraft, die in den Alltag hineinwirkt. Gemeinsam lachen, über Bäche hüpfen oder Sterne angucken – manchmal verzaubern nur wenige Minuten. Wir nennen diese Zeiten »Luchs-Zeiten«.

Gemeinsame Zeit brauchen auch wir als Eltern miteinander. Zunächst fürs Praktische, für Absprachen im Umgang mit unseren Kindern. Bleibt neben diesem Pflichtprogramm noch Zeit für den gemeinsamen Blick auf die Entwicklung der Kinder, erfahren wir voneinander, was uns wirklich bewegt – mal ist es Stolz, mal Angst, mal Mitleid, mal Liebe.

Wenn Familienprojekte wie Urlaub, Geburtstagsfeiern oder auch die Einschulung richtig gut laufen sollen, brauchen wir als Eltern Zeit, sie miteinander zu planen. Gehen wir die Zukunft gemeinsam an, erhöhen wir zumindest die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Wünsche in Erfüllung gehen.

Wer sich Zeit fürs Eltern-Teamwork nimmt, spart nicht nur Nerven, sondern auch Zeit.

Zuwendung: Wer sich Kindern zuwendet, zeigt sein Gesicht, geht auf Augenhöhe und signalisiert so: Ich habe Interesse an dir. Ein Kind, dem die Eltern liebevoll in die Augen schauen und sich ihm zuwenden, erfährt: Ich bin wertvoll. Wer sich zuwendet, kann aktiv zuhören und Fragen stellen: Was hast du erlebt? Was beschäftigt dich? Kinder wünschen sich emotional feinfühlige und verlässliche Ansprechpartner, die sich auf ihre Welt einlassen.

Zuwenden bedeutet zudem: schützen und Halt geben. Wenn Eltern am gesunden, glücklichen Leben der Kinder interessiert sind, überlegen sie Regeln und bestimmen sie Grenzen. Sie drücken damit aus: Du bist mir wichtig, deshalb verbiete ich dir die Dinge, die dich oder andere verletzen. Solche Zuwendung gibt dem Kind Orientierung und Halt.

Eltern, die sich ihren Kindern zuwenden, gewinnen viel für sich. »Drei Dinge sind uns aus dem Paradies geblieben: Sterne, Blumen und Kinderaugen.«5 Wenn wir in die Augen unserer Kinder schauen, erzählen diese viele Geschichten – Geschichten von Glück und Trauer, von Hoffnungen und Ängsten. Kinder erleben ihre Gefühle unmittelbar – wir können viel von ihnen lernen.

So, wie Kinder Zuwendung erfahren, ahmen sie dies später nach. Besonders in den Vorschuljahren schauen sich Kinder viel von ihren Eltern ab. Fragen diese ihr Kind, was es den Tag über erlebt hat, ahmt auch dies das Kind nach und zeigt Interesse am Leben der Eltern. »Was habt ihr, Mama und Papa, den Tag über erlebt?« Oder: »Kann ich was mithelfen, wenn dann mehr Zeit zum Spielen bleibt?«

Zuwendung ist auch ein wichtiger Teil des Eltern-Teamworks. Jeden Tag betreten Eltern Neuland. Sie hatten sich nicht als Eltern, sondern als Paar kennen gelernt. Jetzt sehen sie sich als Eltern an und können einander fragen: »Was beschäftigt dich als Vater, worauf hoffst du?« – »Welche Träume, welche Sorgen hast du als Mutter?«

So lieb uns die Kinder sind – es gibt auch ein Leben jenseits von ihnen. Wenn wir nicht nur als Eltern, sondern auch als Paar zusammenleben, sollten wir öfter einander fragen: »Was brauchst du sonst noch zum Leben – für dich allein – für dich als Mann beziehungsweise Frau? Was brauchst du von mir als Partner?«

Zärtlichkeit: Kinder wollen keine verbalen Liebeserklärungen hören, sondern Liebe spüren. Wenn sie Trost suchen, mögen sie in den Arm genommen werden. Wenn Vater oder Mutter ihr Kind nach einem Wutanfall in den Armen festhalten, findet es wieder zu seiner eigenen Mitte. Massieren vor dem ZuBett-Gehen lässt Kinder tiefer schlafen. Kuschelzeiten schaffen Nähe und Vertrautheit. Mit körperlicher Berührung sagen die Eltern: Ich hab dich lieb. Wichtig ist aber immer, dass das Kind selbst entscheiden darf, wann es körperliche Nähe mag und wann nicht.

Kinder, die Zärtlichkeit erleben, gehen auch von sich aus auf ihre Eltern zu und zeigen ihnen so ihre Liebe – die einen ganz zart, die anderen eher kumpelhaft. Kinder zeigen ihre Gefühle ganz unmittelbar und drücken sie körperlich aus – so, wie sie stampfen und boxen, so können sie auch auf die Eltern zulaufen und mit ganzem Herzen rufen: »Mama, ich hab dich lieb« oder »Papa, mein Papa!« Solche Momente sind unbezahlbar! Sie tun so gut und lassen manche Anstrengung vergessen.

Wenn wir uns als Eltern nach einem anstrengenden Tag am Partner anlehnen und aneinander geschmiegt entspannen können, fällt manche Last ab. Zärtlichkeit tut auch uns Eltern gut. Eltern, die sich als Paar zärtlich begegnen, haben es um vieles leichter, ihre Elternaufgabe zu meistern. Fällt die Zärtlichkeit weg, etwa bei getrennten Eltern, sind Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit für die Kinder mit mehr Mühen verbunden. Kleine aufmerksame Berührungen sind Blumen am Wegrand unseres Eltern-Abenteuers.

Basisnahrung: Dreimal täglich zehn Minuten aufmerksam miteinander reden und einmal täglich kuscheln

Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit sind doppelt wichtig. Sie sind sowohl die drei Säulen der Eltern-Kind-Beziehung als auch die tragenden Stützen für unser Eltern-Teamwork.

Als Mutter oder Vater brauche ich einen verlässlichen Partner, der mit mir meine Anstrengung, meine Sorgen und Fragen teilt. Jemand, der mich unterstützt, wenn ich erschöpft bin; mit dem ich mich unterhalten kann, wenn ich die Art, wie ich das Kind erziehe, hinterfrage. Zunächst kann dies am leichtesten der Mensch leisten, der den unmittelbaren, »natürlichen« Kontakt zu den Kindern hat und den die Kinder durch eine unmittelbare Bindung lieben: der Partner.

Doch was tun, wenn der nicht mitzieht? Dann hilft ein »Ersatzpartner« der Mutter beziehungsweise dem Vater weiter. Diese Unterstützung eines anderen Erwachsenen ist wichtig, sonst übernimmt früher oder später ein Kind diese Rolle – meist das Erstgeborene. »Ersatzpartner« kann eine Freundin oder ein Freund sein, bei der oder dem man sich fallen lassen kann, es können auch die eigenen Eltern oder Geschwister sein, die Orientierung bieten. Ob nun Freundin, Oma oder ein neuer Lebenspartner: Dieser »Ersatzpartner« im Eltern-Teamwork wird oft auch eine neue Bezugsperson für das Kind. Eines müssen Eltern dabei im Auge behalten: Ich kann zwar als Mutter oder Vater das Fehlen des zweiten Elternteils auszugleichen versuchen und für genügend Unterstützung sorgen, für das Kind bleibt aber eine Lücke. Die ursprüngliche Liebe zum leiblichen Elternteil können Ersatzpartner nie ersetzen.

Väter – zunehmend auch Mütter – sind berufsbedingt längere Zeiten außer Haus. Sind sie dann wirklich weg? Nicht zwangsläufig! Auch Eltern, die häufig auf Dienstreisen sind, können sich Zeit nehmen und Zuwendung und Zärtlichkeit zeigen. Regelmäßige Telefonate mit den Kindern können ein verbindendes Ritual werden. Oder der Verreiste bittet den Partner, dass er von ihm erzählen soll. Ist beispielsweise der Vater viel unterwegs, hilft es dem Kind, wenn die Mutter in wohlwollender Art über den Vater spricht und ihn so ins tägliche Leben miteinbezieht. Das funktioniert in der Regel vergleichsweise gut, so lange die Beziehung der Eltern klappt. Schwierig wird es, wenn sich die Mutter über ihren Partner geärgert hat und am liebsten vor dem Kind über ihn schimpfen würde. Eine Unterscheidung zwischen Paar- und Elternbeziehung mag dann hilfreich sein: Als Mann ist dieser Partner gerade »unerträglich«, aber nicht greifbar – dieses Hühnchen wird noch gerupft werden müssen. Doch als Vater wird er von ihrem Kind geliebt, egal, wie er sich der Mutter gegenüber verhält.

Kinder brauchen unser Eltern-Teamwork – in guten wie in schlechten Zeiten. Schenken wir ihnen Zeit, entsteht ein tragfähiger Boden für die Eltern-Kind-Beziehung. Unsere Zuwendung gibt ihnen die lebenswichtigen Nährstoffe für ihre Entwicklung. Erhalten sie Zärtlichkeit von beiden Eltern, gedeihen sie in einem günstigen Klima. Dann sind sie gut verwurzelt und wachsen zu gesunden Pflanzen heran.

Eltern-Teamwork

Schätze wahrnehmen und weitergeben

Tagtäglich wächst die Beziehung zu Ihren Kindern. Sie geben Ihren Kindern weitaus mehr mit, als Sie es sich gewöhnlich bewusst machen. Achten Sie einmal darauf, was Sie im Alltag Ihren Kindern mitgeben.

imageMarkieren Sie in Ihren Kalendern, wann sich jeder von Ihnen beiden in der kommenden Woche Zeit für Ihr Kind beziehungsweise jedes Ihrer Kinder nehmen will – Zeit für Zuwendung und Zärtlichkeit.

imageNotieren Sie – jeder für sich – eine Woche lang jeden Abend, was Sie mit Ihrem Kind erlebt haben: Was tut mir gut mit meinem Kind? Wann bin ich meinem Kind nahe, wann ist mein Kind mir nahe? (Frühstücken, Buch lesen, beten, backen, fernsehen, Rad reparieren, Wäsche aufhängen und dabei plaudern usw.)

imageTreffen Sie sich am Wochenende zu einem Gespräch und tauschen Sie sich aus: Was habe ich herausgefunden, was ich meinem Kind ins Leben mitgeben kann? Welche alltäglichen Fähigkeiten kann es sich bei mir abschauen? Was glauben Sie, kann sich Ihr Kind von Ihrem Partner abschauen? Worin ist er beziehungsweise sie Vorbild?

Allein erziehend
trotz Partner?

Wenn die Erziehung an
einem Elternteil hängen bleibt