Für Chris, der dafür sorgt, dass mein Glas nicht nur halb voll, sondern bis oben hin voll ist – und mir hilft, es auch so zu sehen


Vorwort

Als Anwältin liegt mir der Schutz der Unschuldigen (und manchmal bedeutet das den Schutz meiner selbst und meines Verlegers) am Herzen. Daher habe ich einige Namen, identifizierbare Persönlichkeitszüge und Orte geändert. Einige Charaktere in diesem Buch basieren auf mehreren Personen, und einige Szenen beruhen auf verschiedenen Situationen, die ich um der Geschichte und meiner geistigen Gesundheit willen kombiniert habe. Gespräche und Ereignisse habe ich so genau wiedergegeben, wie es mein Erinnerungsvermögen erlaubte – doch bitte vergessen Sie nicht, dass mein Gehirn Chemo hinter sich hat.



Teil 1


1 Gepäck

Ich hätte ihn nicht bitten sollen, mich vom Flughafen abzuholen. War ich denn schon so einsam und verzweifelt? Ich nahm mein Handgepäck aus dem Gepäckfach. Jetzt war es zu spät. Er würde da sein, bei der Gepäckausgabe, und warten. Oder eben nicht.

Jetzt durchfuhr mich ein Schreck. Es war schon peinlich genug, dass ich ihm von einem Internetcafé in Irland gemailt und zugegeben hatte, ihn zu vermissen, und ihn dann noch darum gebeten hatte, mich abzuholen. Doch was, wenn er nicht da war? Was, wenn mich niemand begrüßen würde? Das Taxi nach Hause wäre nicht halb so teuer wie all die Therapiestunden, die ich bräuchte, um dieses Trauma zu verarbeiten. Ich bewegte mich durch den engen Gang des Flugzeuges, weitergeschoben von der Ungeduld der anderen Passagiere, die, so dachte ich, alle jemanden hatten, der voller Vorfreude und mit Schildern und Blumen in der Hand in der Ankunftshalle auf sie wartete, bereit, sie mit einer stürmischen Umarmung zu begrüßen. Kein Wunder, dass sie es eilig hatten.

»Sie haben wirklich einen tollen Schal«, sagte die Stewardess lächelnd. Selbst nach einem zwölfstündigen Flug sah sie noch frisch aus.

Ich blickte an meinem langen, fließend fallenden, bunten, handgestrickten Schal hinunter. »Oh, danke. Den habe ich im Laden meines Cousins in Athboy bei Dublin gekauft.« Wenn ich die Stewardess in ein langes Gespräch verwickeln könnte, müsste ich vielleicht nie aus dem Flugzeug aussteigen. Vielleicht würde sie mich nach Hause bringen können, sollte das Unausweichliche eintreten.

»Bei McElhinney’s?«, fragte sie mit demselben breiten irischen Akzent wie meine Cousins.

»Genau. Witzig, dass Sie ihn kennen«, sagte ich, während die Menge weiter­drängte und mich an ihr vorbeischob.

»Ein schönes Geschäft. So wundervolle Sachen! Und Sie sehen umwerfend aus.« Ihr Lächeln wirkte aufrichtig. »Auf Wiedersehen.«

Doch das Kompliment tröstete mich nicht. Dass ich umwerfend aussah, war kein gutes Zeichen. Vor langer Zeit hatte meine Freundin Stacey mir erzählt, sie könne meine Lebenskrisen immer daran erkennen, dass ich dann so unerschütterlich gut aussähe. Wenn ich perfekt gekleidet und frisiert war und mich der Welt gut präsentierte, wusste sie, dass ich meinen Panzer trug und gewissermaßen gegen meine eigenen Windmühlen kämpfte. Wenn ich umwerfend aussah, war gerade ein Bereich meines Lebens über den Haufen geworfen worden.

Ich war auf dem Heimflug von einer Reise mit meinem Bruder und einer Cousine nach Irland, offiziell um ihren vierzigsten Geburtstag zu feiern, doch eigentlich, um meinem Zuhause zu entfliehen, das nach meiner zweiten Scheidung und dem Tod meiner beiden alten Hunde – alles im letzten halben Jahr – recht einsam geworden war. Gemäß Staceys Theorie musste ich also in der Tat fantastisch aussehen.

Die Reise war allerdings wundervoll gewesen, und sie hatte ihren Zweck recht gut erfüllt, mich aus meinem Kopfkarussell zu befreien und in Richtung Neuanfang zu bewegen. Und meine Laune wäre so viel besser gewesen, hätte ich nicht dummerweise einen Mann, mit dem ich erst einige Monate zusammen war, gebeten, mich vom Flughafen abzuholen. Herrgott noch mal, ich sollte mit überhaupt keinem Mann zusammen sein, schließlich hatte ich mir geschworen, die Finger von Verabredungen, ja von Männern überhaupt zu lassen. Mein ganzes Leben hatte ich nun sorgfältig geplant, und Beziehungen gehörten der Vergangenheit an. Keine Bindungen mehr. Niemals.

Als ich zur Rolltreppe kam, entdeckte ich sofort Chris dort unten stehen. Selbst aus dieser Entfernung fielen seine hellen, blauen Augen auf – Wahnsinn, seine Wimpern waren so lang, dass ich sie von hier aus erkennen konnte. Er war groß und hatte dickes, grau meliertes Haar. Auch dadurch fiel er auf. Und er trug sein hellblau kariertes Hemd. Mein Lieblingshemd. Er sah so verdammt gut aus.

Unwillkürlich musste ich lächeln. Ich hatte ihn tatsächlich vermisst. Und ich hatte ihm so viele Geschichten zu erzählen, von denen ich wusste, dass wir darüber lachen würden … direkt nach einem gemeinsamen heißen Bad, einer Flasche Wein und … na ja, die Geschichten würden wohl noch etwas warten müssen. Genauso wie offenbar mein sorgfältig geplanter Lebensentwurf. Ich trat von der Rolltreppe und fiel ihm in die Arme.

***

»Nach all diesen kalten Tagen, an denen ich durch Irland gelatscht bin, tut das verdammt gut«, sagte ich und ließ mich tiefer in die Badewanne hineingleiten, sowohl weil das heiße Wasser so guttat als auch um meinen alternden Körper mit Schaum zu bedecken. Mein Haus hatte die größte Badewanne, die ich je gesehen hatte.

Die Tiefe der Wanne kam meinem Schamgefühl entgegen – der Schaum reichte bis zu meinem Schlüsselbein –, aber das war nicht alles. Die Wanne war ungefähr einen Meter achtzig lang und einen Meter zwanzig breit. Sie nahm zwei Drittel des Badezimmers ein und Chris und ich passten trotz unserer Größe leicht einander gegenüber hinein. An beiden Seiten war sogar noch genügend Platz für einen Champagnerkühler und Kerzen.

»Mir tut es auch gut, auch ohne Reisen. Bist du müde?«, fragte Chris und schenkte mir Champagner nach.

»Ein bisschen. Aber ich konnte im Flugzeug recht gut schlafen. Und es wäre sicher besser für meinen Jetlag, wenn ich noch ein paar Stunden wach bliebe.«

»Dabei kann ich dir helfen«, sagte Chris und beugte sich vor, um mich zu küssen. Ich erwiderte den Kuss. »Das glaube ich gerne.«

Chris hob die Augenbrauen und warf mir einen vielsagenden Blick zu. Er lehnte sich zurück. »Erzähl mal von deiner Reise.«

Es gefiel mir, dass er meine Geschichten mochte, hatte ich doch einige davon aus Irland mit nach Hause gebracht. Ich hatte dort die Familie meines Großvaters besucht und erzählte besonders von einem Familienmitglied, das mich immer wieder zum Lachen gebracht hatte – Seamus, ein Cousin zweiten Grades. Ich wusste, dass er auch Chris zum Lachen bringen würde.

An unserem zweiten Abend in Irland traf sich ein Teil der Familie zum Dinner in einem Pub. Meine Cousine Colleen, mit der ich unterwegs war, hatte gesagt, dass ihr irischer Freund ebenfalls kommen würde. Mein Bruder hatte einige Male mit Colleen über diesen irischen Freund gesprochen und zog allmählich seine Existenz in Zweifel. Er kam nie, wenn er kommen sollte. Zahlreiche Verwandte und Freunde tauchten an diesem Abend auf, aber der mysteriöse irische Freund war nicht dabei. Wir mussten zwei Stunden warten, bis ein Tisch frei wurde, der groß genug für vierzehn Leute war. Beziehungsweise dreizehn, denn viele Telefonate und Drinks später war Colleens Freund immer noch nicht erschienen.

Als wir um elf Uhr abends endlich an unserem Tisch Platz nahmen, zog Colleen sich zurück, um noch einmal zu telefonieren.

Mein Bruder Jay fragte Claire, eine andere Cousine: »Also, ihr habt den Typen auch noch nie getroffen, stimmt’s?«

»Nein, nie. Sie verschwendet ihre Zeit.«

»Glaubst du, dass es ihn tatsächlich gibt?«

»Falls es ihn gibt, ist er ein verdammter Arsch.« Das kam von Seamus, Claires Bruder. Er war von Anfang an einer meiner Lieblinge, schon alleine, weil er mit so einem herrlich irischen Akzent fluchte, was er, wie viele meiner irischen Verwandten, ausgiebig und oft tat. Seamus war für mich der typische Ire: schlank, mit heller Haut, roten Haaren und einer Vorliebe für Alkohol und freche Kommentare.

Als Colleen zu unserem Tisch zurückkam, fuhr Seamus sie an.

»Was soll denn das, Cousine, der Bastard kommt doch sowieso nicht. Lass es doch einfach.«

»Ich mach mir aber Sorgen. Vielleicht hat er Probleme bei der Arbeit. Oder er findet nicht her.«

»Ach komm, er ist Klempner. Was sollen das für Probleme sein, dass er nicht mal anrufen kann? Es ist der einzige Pub hier, der Inn Moderation heißt. Wenn er wollte, würde er uns garantiert finden.«

Das konnte ich nur unterstreichen.

Colleen sah es anders. »Ich glaube nun mal, dass er nicht herfindet. Er ist hier nicht aufgewachsen, es ist schon spät und er ist wahrscheinlich müde, meinst du nicht? Ich weiß, dass er gerne hier wäre. Das hat er gestern Abend gesagt. Ich will ihm nur eine Wegbeschreibung durchgeben, falls er sie braucht.«

Seamus gestikulierte wild, »Cousine! Wenn ein Mann eine Frau verdammt noch mal finden will, wird er sie verdammt noch mal auch finden!«

Ich ahmte, so gut ich konnte, den breiten irischen Akzent meines Cousins nach. Meine Bemühungen wurden belohnt, denn Chris brach in schallendes Gelächter aus. »Seamus ist genial.«

»Ja, finde ich auch«, stimmte ich zu.

»Das werde ich mir merken. ›Wenn ein Mann eine Frau verdammt noch mal finden will, wird er sie verdammt noch mal auch finden.‹«

»Und findest du nicht auch, dass es so viel besser mit dem Akzent klingt? Jay und ich sagen dauernd ›verdammt‹. Wir schicken es jedem verdammten Wort voraus.«

»Absolut. Es ist zum Schießen. Aber was er sagt, stimmt ja.« Chris sah mich an. »Ich habe dich schließlich auch gefunden.«

Sobald er das gesagt hatte, entwickelte ich urplötzlich ein enormes Interesse an dem Boden meines Champagnerglases und blickte tief hinein. Ich leerte es hastig, um den Boden noch besser betrachten zu können.

Das hier war doch nur ein Liebesabenteuer. Es ging um wunderbaren Sex und gemeinsamen Spaß. Ich war nicht die, nach der er suchte. Wie könnte ich das sein? Er war neunundzwanzig, ich war einundvierzig. Er lebte westlich von Los Angeles, ich wohnte fast hundert Kilometer östlich in einer viel weniger schicken Gegend. Er war jung, Single und gut aussehend. Ich … nun ja, ich war nicht jung und leckte noch die Wunden meiner zweiten Scheidung. Meiner zweiten Scheidung. Mich suchte niemand.

Er nahm meinen rechten Fuß und massierte sanft die Fußsohle.

Als er langsam mit seinem Finger eine zarte Linie mein Bein hinaufzog, entspannte ich mich. Na also, es geht nur um Sex. Danach sucht er. Das ist schon viel besser! Keine Beziehung. Uff. Sex ist prima, aber mit dem ganzen Rest, damit habe ich meine Schwierigkeiten.

In Mathe war ich schon immer gut, und so hatte ich schnell den gemeinsamen Nenner meiner beiden Scheidungen herausgefunden: mich. Wenn man bedenkt, dass in meiner Kindheit keine Ehe um mich herum glücklich war oder bis in mein Erwachsenenalter hielt, hätte mich das nicht überraschen sollen. Doch das tat es. Ich beherrschte viele Dinge gut, doch die Ehe gehörte, wie sich herausstellte, nicht dazu. Vor sechs Monaten also, als ich meinen zweiten Mann verlassen und mich in diesem Stadthaus eingemietet hatte, schwor ich mir, ein ganz neues Leben zu beginnen.

Frei nach dem von Steve Martin gespielten Helden in Reichtum ist keine Schande brauchte ich nur B, K und H. Mehr nicht.

B für Bücher – überall an meine Wohnzimmerwände und in einem der leeren Zimmer stellte ich wahllos zusammengewürfelte, vollgestopfte Bücherregale auf, und die restlichen Bücher verteilte ich auf Stapel überall im Haus; es gab ja nun niemanden mehr, der mir Schlampigkeit vorwerfen konnte.

K für Kaffee – literweise, und niemand da, der meckert, dass der Kaffeesatz mal wieder die weißen Fugen verschmutzt.

Und H für Hunde – ich hatte meine zwei Beagles Richelieu und Roxy. Meinem Kanzleipartner, von dem ich die Wohnung mietete, hatte ich gesagt, er brauche sich keine Mühe damit zu machen, den hässlichen grünen Teppich auszutauschen, da meine Hunde alt seien und mit dem Teppich vielleicht nicht so pfleglich umgehen würden. Eigentlich meinte ich aber, dass ich alt war und wenig Sorgfalt walten lassen würde und kein bisschen Lust hatte, das zu ändern. (Es ist meiner Meinung nach eine der besten Eigenschaften von Hunden, dass es ihnen nichts ausmacht, für etwas die Schuld zugeschoben zu bekommen, mit dem sie nichts zu tun haben.)

Dann erinnerte mich ein Schulfreund daran, dass ich ohne Getränke für Erwachsene wohl eher nicht überleben könnte. Das ist ja schließlich auch die Aufgabe von Schulfreunden, oder?

Ich fügte also noch A für Alkohol hinzu, womit ich Wein meinte. Na gut, Martinis auch. Gut, auch Margaritas.

A, B, H und K. Ich hatte mein Alphabet in einen Umzugswagen gepackt und das Eheleben hinter mir gelassen.

Mein so gut gemeinter Neuanfang wurde jedoch hundsgemein vom Schicksal torpediert.

Sieben Wochen genoss ich mit meinen beiden Hunden mein neues Heim – Zeit genug, um eine Routine von Gassigehen und Futterzeiten zu finden, um auszufechten, wer welchen Teil des Bettes und des Sofas in Beschlag nehmen dufte, also gerade mal Zeit genug, um uns zu dritt gemütlich einzurichten. Denn Ende April hatte mein dreizehnjähriger Beagle Richelieu eine Reihe von Anfällen, und schließlich musste ich ihn unter Tränen und Flüchen, aber mit dem Wissen, dass es für ihn das Beste war, gehen lassen.

Im August trat dann bei Roxy die vom Tierarzt prophezeite Herzinsuffizienz ein, und ich verlor auch sie. Ich kam von der Arbeit nach Hause und fand sie tot, mitten in meinem Wohnzimmer, vor den Bücherregalen. Meine Freundin Stacey fuhr mich zur Tierarztpraxis, während ich Roxys Körper hielt und vor Trauer und Tränen zitterte. Auf der Rückfahrt kauerte ich mich schluchzend in den Beifahrersitz.

Als ich nach Hause kam, begrüßte mich nur mehr der potthässliche grüne Teppich. Fünf Monate hatte ich nun das Alphabetleben geführt und schon fehlte mir ein Buchstabe. Ich hatte allein sein wollen, aber doch nicht so allein. Ich wollte niemals ohne meine Hunde sein. Hunde waren die einzige konstante Beziehung in meinem Leben, und nun waren auch sie fort.

Einige Wochen lang erdrückte mich die Stille. Ich dachte darüber nach, einen neuen Hund zu kaufen, aber ich hatte den großen, kosmischen Fluch gelernt, den alle Hundebesitzer irgendwann lernen müssen – man mag die bedingungslose Liebe, Hingabe und fast perfekte Freundschaft eines Hundes besitzen, doch nur zwölf bis fünfzehn Jahre lang, wenn man Glück hatte.

Und so war ich erst mal nach Irland abgehauen.

Doch jetzt war ich zurück, ohne Hund, saß nackt in einem dampfenden Schaumbad und schlürfte Champagner mit einem gut aussehenden jungen Mann. War ich noch bei Sinnen?

»Hey«, Chris stupste mein Bein unter Wasser, »bist du noch wach?«

»Ja«, ich stellte mein Champagnerglas ab und verzog das Gesicht zu einem Lächeln. »Ich kann dir die restlichen Irlandgeschichten morgen früh erzählen. Wir haben jetzt etwas Besseres zu tun.«

»Das gefällt mir«, sagte Chris, kam näher und schloss mich in seine Arme. Ich blies die Kerzen aus, bevor ich aus dem Wasser stieg.

***

Bis Chris endlich aufwachte, hatte ich schon meine dritte Tasse Kaffee intus und war bereit zu erzählen. Über Irland. Ich entzückte ihn mit Geschichten von Fahrten über Land, von Burgen, Singen im Pub und meinem Cousin, der uns in einen privaten Klub in Limerick einschleuste, ohne uns zu sagen, dass er selbst gar kein Mitglied war, von grünen Klippen und atemberaubender Landschaft, den engen Straßen und Kreisverkehren, von den schönen Gesichtern der Iren und dass ich beinahe dreißig Zentimeter größer war als die meisten meiner irischen Verwandten. Chris lauschte, lachte und stellte Fragen.

»Wir konnten die Gräber unserer Urgroßeltern sehen. Das war toll, auch wenn wir dafür in den Gottesdienst mussten.«

»Na ja, ich hatte nicht erwartet, dass man zehn Tage in Irland verbringen kann, ohne ein einziges Mal in die Messe zu gehen.« Chris und ich waren beide katholisch erzogen worden, hatten beide katholische Schulen besucht und waren irischer Abstammung, auch wenn bei Chris noch deutsche Vorfahren dabei waren. Katholische Erziehung stellte eine Verbundenheit her, besonders wenn man die katholische Schule überlebt hatte. »Und, hast du von Klosterschwestern Schläge auf die Finger bekommen? Oder schlug nur der sprichwörtliche Blitz ein?«

»Zu meiner Verblüffung weder noch. Und der Beichte bin ich aus dem Weg gegangen, schließlich hatten wir nur zehn Tage.«

»Ist Scheidung dort inzwischen legal? Vielleicht bist du in diesem Land ja noch verheiratet.«

Wir saßen aufrecht im Bett, und während ich wenigstens ein Nachthemd anhatte, war Chris splitternackt. »Das würde aus mir eine Sünderin völlig anderer Art machen.«

»Eine sexy Sünderin. Gefällt mir.« Wir lachten beide, bis er meinte: »Wahrscheinlich war es einfach falsch, ein erzkatholisches Land als Reiseziel auszuwählen, um über deine Scheidung hinwegzukommen. Waren deine Scheidungen dort denn Gesprächsthema? Wie hast du sie erklärt?«

»Gar nicht. Ich habe das Thema geflissentlich vermieden.« Ich versuchte ungezwungener zu klingen, als ich mich fühlte. Tatsächlich hatte ich die ganze Zeit in Irland das Gefühl, ein purpurrotes »S« zu tragen, besonders, wenn man bedenkt, dass ich nicht einer einzigen geschiedenen Person begegnet war. »Sie denken wahrscheinlich, dass ich eine alte Jungfer bin. Wenn jemand nach Kindern oder Ehepartnern fragte, sprachen Jay und ich über seine Frau und seine Kinder.«

»Raffiniert. Also hat nie jemand nach deinem Ehemann gefragt? Und du musstest nie erklären, warum du keine Kinder hast?«

»Na ja, Seamus kam mir am Ende ein wenig auf die Schliche. An unserem letzten Vormittag waren wir in Claires Küche und verabschiedeten uns von allen. Seamus umarmte mich zum Abschied und flüsterte: ›Ich verstehe noch immer nicht, warum noch kein Kerl seine Beine um dich geschlungen hat und dich haben wollte.‹«

»Cousin Seamus wieder mal! Er ist wirklich ein Knaller.«

»Ja, er hat mich oft zum Lachen gebracht.«

»Und? Hast du erklärt, dass sich schon mehrere Männer daran versucht haben, ihre Beine um dich zu schlingen, aber dass es nie wirklich geklappt hat?«

Tja, wie hätte ich das wohl erklären sollen? Ich hatte mir das ja selbst erst vor Kurzem auseinanderklamüsert. In Hunderten von Therapiestunden. Meinen ersten Mann habe ich ausgewählt, ohne eine Ahnung zu haben, wie eine gesunde Beziehung aussehen könnte. Ich wusste nur, dass eine traditionelle Ehe (Mutter ist zu Hause, Vater hat mehrere Jobs, Kinder machen Randale) bei niemandem, den ich kannte, funktionierte und auch völlig freudlos auf mich wirkte. Das war nichts für mich. Daher entschied ich mich für einen Exoten. Er war gebürtiger Kroate, sprach drei Sprachen, war intelligent (wir lernten uns beim Jurastudium kennen), gut aussehend (Willem Dafoe unter Einfluss von Steroiden … halt, dazu später mehr) und unendlich charmant. Dennoch, war ich überrascht, dass er auch ein narzisstischer, Drogen konsumierender, verschwenderischer Frauenheld war, der glaubte, ich würde zu Hause bleiben und seine blonden, blauäugigen Babys zur Welt bringen, während er … na ja, siehe oben.

Vollkommen logisch war der nächste Gatte meiner Wahl ein ultrakonservatives Muttersöhnchen aus dem Mittleren Westen, das so sicher war, wie … nun, so sicher, wie man mit einer nicht diagnostizierten (und unbehandelten) Zwangsstörung eben ist. Ja, ich begriff schon, dass ich meine eigene Version von Goldlöckchen durch hatte (»Der ist viel zu heiß, der ist viel zu kalt, das ist viel zu hart, das ist viel zu weich …«). Doch das hieß nicht, dass ich erwartete, dass es auch andere verstanden.

Chris kannte meine Goldlöckchen-Geschichte. Ich hatte sie ihm erzählt, noch bevor wir zusammen ausgingen. Damals, bevor wir die Grenze überschritten hatten von Freunden, die sich in einem Schriftstellerklub trafen, zu Freunden, die gemeinsam in einer Wanne badeten. Damals, als ich noch dachte, dass er nur eine Frau mittleren Alters mit ein paar Cocktails vor den Klubtreffen über ihre Scheidung hinwegtrösten wollte. Damals, bevor ich bemerkte, dass wir uns schon Stunden vor den Treffen sahen.

»Nein«, sagte ich. »Ich weiß nicht, ob ich meine Goldlöckchen-Geschichte in einen irisch-katholischen Kontext bringen kann. Ich hab’s einfach gelassen. Ich möchte gerne, dass sie gut von mir denken.«

»Sicher denken sie gut von dir. Und wenn sie wüssten, dass du Fehler gemacht hast und für deine Fehler geradestehst, wäre das nicht anders.«

Er war wirklich ein netter Kerl. »Meinst du?«

»Na ja, wenn es anders wäre, wären sie verdammte Idioten.«

Und er ist witzig. Unglaublich witzig.

***

Am Montag musste ich schließlich aufstehen. Nicht mehr nur, um zu essen und auf die Toilette zu gehen, nein, ich musste zur Arbeit. Chris machte sich schon um sechs Uhr morgens auf die einstündige Rückfahrt in seine Realität. Er hatte meiner Regelung zugestimmt, uns nur jedes zweite Wochenende zu treffen (somit hatten wir eine ›Nichtbeziehung‹, klar?). Das bedeutete, dass wir uns erst in zwei Wochen wiedersehen würden. Zeit, wieder auf Anwalt umzuschalten.

»Ich habe Ihre Post in drei Stapel geordnet – Klientensachen, dringende Sachen und langweilige Sachen«, erklärte meine Assistentin Michelle. Sie folgte mir in mein Büro.

»Kann ich mir bitte erst einen Kaffee holen? Und dann werde ich wohl mit dem langweiligen Stapel anfangen.«

»Natürlich.« Dann senkte sie ihre Stimme. »Es gab übrigens eine Unterredung der Partner während Ihrer Abwesenheit. Ich glaube, es lief nicht so gut. Mit Gerald spricht anscheinend keiner mehr. Oder er spricht mit niemandem, ich bin mir da nicht sicher. Aber die anderen drei besuchen sich ständig gegenseitig in ihren Büros, und zwar bei geschlossener Tür.«

Tschüss, Urlaub. Tschüss, faules, sexy Wochenende. Hallo, Büropolitik und Klientenorientierung. »Danke. Das kann ich im Moment überhaupt nicht gebrauchen.« Ich stellte meine Handtasche hin, schaltete meinen Computer an und holte mir schnell einen Kaffee.

Ich schaffte es, mit zwei Partnern eine halbwegs sachliche Diskussion darüber zu führen, was Gerald wieder einmal so in Rage gebracht hatte. Gerald war ein fürchterlich jämmerlicher Mann, der alles Menschenmögliche daransetzte, so viele lächerliche Details wie nur möglich so zu problematisieren, wie er es brauchte, um sein erbärmliches Ego etwas aufzupolieren. Dieses Mal ging es um die mangelnde Transparenz der Eiswürfel, die die Eiswürfelvorrichtung unseres Kühlschranks produzierte. Er wollte ein neueres Modell, und zwar sofort. Meine geistig gesünderen Partner hatten es allerdings abgelehnt, dreitausend Dollar für hübsche Eiswürfel auszugeben.

Bereits am Donnerstag war ich völlig von meiner Arbeit vereinnahmt, und Irland war zu einer glücklichen Erinnerung verblasst. Mein Gebiet war die Nachlassplanung. Ich hatte also mit Tod und Steuern zu tun (und witzelte daher häufig, dass mein Job »todsicher« war). Einer meiner Klienten, der kürzlich die Diagnose Knochenkrebs erhalten hatte, musste sein Treuhandverhältnis möglichst schnell anpassen. Ich würde ihn entweder in der nächsten Woche im Krankenhaus oder am Wochenende in meinem Büro treffen müssen. Es gab eine Menge zu tun.

»Möchten Sie mit Destiny von der Tiervermittlung sprechen?«, fragte meine Sekretärin über die Telefonanlage.

»›When Destiny calls‹ … Dem Schicksal kann ich schließlich keine Abfuhr erteilen.« Wenn ich nur geahnt hätte, dass dieser Witz auf meine Kosten gehen würde.

Schon seit mehr als fünfzehn Jahren war ich immer wieder im Vorstand der Mary-S.-Roberts-Tiervermittlung, und man wusste dort Bescheid über den Verlust meiner Hunde. Von dort hatte ich Roxy übernommen, als sie acht Jahre alt und gerade ein Herzgeräusch bei ihr diagnostiziert worden war. Die Mitarbeiter hatten mir nach ihrem Tod eine Beileidskarte geschickt.

»Hallo, gut aus dem Urlaub zurückgekommen? Wir haben extra einige Tage gewartet, aber ich wollte Sie jetzt doch darüber informieren, dass wir einen Beagle hereinbekommen haben. Ich habe ihn vom Moreno-Valley-Tierheim übernommen, er sollte schon eingeschläfert werden. Sind Sie bereit für einen neuen Hund?«

Meine irrationale Liebe für Beagles war wohlbekannt. Roxy war schon der fünfte Beagle, den ich adoptiert hatte, und für viele andere hatte ich ein Zuhause gefunden, indem ich ganz allgemein die Werbetrommel für Beagles rührte. Sie waren für jeden perfekt – klein und süß genug für Frauen, kurzhaarig, kompakt und sportlich genug für Männer; und für Kinder waren ihre unerschöpfliche Energie und ihr offener und verspielter Charakter gerade richtig. Ich liebte die Rasse, und wie jede verliebte Frau übersah ich geflissentlich all die weniger charmanten Eigenschaften.

War ich aber bereit für einen neuen Hund?

Nein, eigentlich nicht. Irland hatte meinem gebrochenen Herzen sicher gutgetan, doch geheilt war es nicht. Ich hatte schon daran gedacht, mein Alphabetleben auf Dauer zu reduzieren und mich auf A, B und K zu beschränken. Und überhaupt … vielleicht war ein Beagle gar nicht für jeden perfekt: Ein junger Beagle war kein Hund für ein Haus in der Stadt. Ein Beagle ist kein Hund für eine alleinstehende Frau mit langen Arbeitstagen. Ein Beagle ist kein Einzelhund. Ein Beagle ist ein Meutehund. Ein Beagle war ein Hund für mein altes Leben, nicht für dieses neue Leben, das ich mir gerade erst aufbaute. Ein Beagle wäre keine gute Idee.

Aber dennoch, ich liebte Beagles einfach.

Meine Schwärmerei für Beagles geht zurück auf den Sommer vor meinem letzten Jahr am College. Ich hatte eigentlich vorgehabt, an dem Programm Semester-auf dem-Meer teilzunehmen, doch mein Vater wollte mich bei einem Familientreffen dabeihaben. Da mein Vater sowohl für mein Studium als auch für meine Reisen der Zahlmeister war, verbrachte ich meine Sommerferien also auf dem Land in Georgia. Anfangs war ich ob dieser Ungerechtigkeit so übellaunig und bockig, wie es nur ein Teenager sein kann. Doch einer meiner Onkel züchtete Beagles für die Jagd, und so verbrachte ich schließlich einen Großteil meines Aufenthalts spielend zwischen vielen kleinen Beagle-Welpen. Es gibt nichts Niedlicheres als Beagle-Welpen, und so hatte ich Istanbul, Athen und Barcelona schon bald zugunsten von dreifarbigen, bellenden Fellknäueln mit Kugelbäuchlein in Gray, Georgia, vergessen. Mein Onkel hätte mir gerne einen der Welpen mit nach Hause gegeben, aber ich musste erst das College beenden. Danach noch das Jurastudium. Meinen ersten Beagle-Welpen bekam ich zwei Wochen nach Ende des Studiums. Das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

In vielerlei Hinsicht war ich vielleicht hartherzig geworden, doch für Hunde hatte ich nach wie vor eine Schwäche. Und diesen Beagle hatten sie gerettet, weil sie mich im Hinterkopf hatten. Ich sollte zumindest aus Höflichkeit mal vorbeischauen. Obendrein sagte ich mir, dass dieser Hund bestimmt noch gar nicht bereit für eine Adoption sei und dass ich ihn mir daher beruhigt ansehen könnte.

Nun ja …

Destiny führte mich zu dem Zwinger, in dem der Beagle den letzten Tag seiner vorgeschriebenen dreitägigen Quarantäne verbrachte. Lange bevor ich vor seinem Zwinger stand, hörte ich den Beagle schon heulen. Das Geläut von Beagles ist markerschütternd einzigartig. Darum nennen die Franzosen sie bégueules (»weit aufgesperrte Mäuler«), doch für mich ist es ein Ruf der Heimat. Dieses spezielle Heulen jedoch war kein gewöhnliches Beagle-Geläut.

Der Hund begrüßte mich mit wildem, andauerndem, rauem Heulen. Als Destiny den Zwinger öffnete und den Hund an die Leine nahm, rannte er auf mich zu, sprang an mir hoch, streckte mir seine Schnauze entgegen und heeeeeuuuuuulte mir geradewegs ins Gesicht. Ich lachte, bückte mich hinunter, um ihn zu streicheln, und erinnerte mich wieder daran, wie fröhlich und wunderbar Beagles doch sind. Er schmiegte sich an mich und drehte sich so, dass ich ihm den Rücken kraulen konnte. Nun, da er menschlichen Kontakt erhalten hatte, beruhigte er sich, wenn auch nur für einen Augenblick. Ich streichelte seinen weichen, runden Kopf und bemerkte einiges Ungewöhnliche an ihm. Zuallererst seine Färbung – er hatte den schwarzen Sattel, der typisch für seine Rasse war, aber dort, wo die meisten Beagles beige oder braun waren, war dieser Hund rot. Und wo man weiße Stellen erwartet, war er gesprenkelt weiß und wirkte so grau und scheckig. Seine Krallen waren schwarz und sahen aus, als hätte ein pubertierender Gothic-Fan sie lackiert. Die Augen waren so schwarz umrandet, dass jedes Mitglied einer Emo-Band vor Neid erblassen würde. Und dann war da wieder dieses Heulen. Er klang, als hätte er Whiskey aus den Zitzen seiner Mutter genuckelt und von Geburt an Kette geraucht.

Als ich ihn streichelte, zitterte er unter meiner Hand. Er blieb ganz nahe bei mir, drückte sich an mein Bein, meine Hand und jedes erreichbare Körperteil. Doch am meisten drückte er sich in mein Herz. Ich bemerkte eine andere einzigartige Eigenschaft. Sein linkes Ohr drehte sich nach hinten, stülpte dabei das Innere nach außen und blieb dann so. Ich drehte es wieder nach unten und machte einen ordentlichen Beagle mit Hängeohren aus ihm, aber schluss­endlich stülpte sich das Ohr wieder nach hinten. Er schaute zu mir herauf mit einem langen, schlaffen Ohr nach vorne und einem nach hinten und mit großen, schwarz umrandeten, bettelnden, braunen Augen.

Er war süß. Er mochte mich. Und in diesem Augenblick war uns beiden klar, dass er mit mir nach Hause kommen würde. Ich musste nur darauf vertrauen, dass »er ist süß und er kommt mit mir nach Hause« mit Hunden besser funktionierte als bisher mit Männern.

Der Hund musste noch die vorgeschriebenen drei Tage abwarten, und ich musste wieder zur Arbeit, was mir genügend Zeit hätte geben sollen, die Entscheidung noch einmal zu überdenken. So hätte es zumindest sein sollen.

»Am Samstag kann ich ihn doch abholen, oder?«, sagte ich zu Destiny.

»Ja, Samstagvormittag.«

»Gut, bis dahin kann ich Futter und eine Hundebox für ihn besorgen.« Ich tätschelte seinen gewölbten Kopf. »Ich komme wieder, mein Junge. Ich komm dich morgen holen.«

»Ich wusste, dass er genau richtig für Sie ist.« Destiny nahm ihn an die Leine und brachte ihn zurück in den Zwinger.

Sofort begann er zu bellen. Aaaaauuuuuu!! Aaaaaaaaauuuuu!!! Aaaaaauuuuuuuu!!! Das geht so nicht! Nimm mich jetzt mit! Jeeeeetzt SOFORT!!!

Ich hörte sein Heulen noch beim Wegfahren, vermisste ihn schon jetzt und hatte ein schlechtes Gewissen, ihn zurückzulassen. Nicht ein einziges Mal kam mir der Gedanke, wie es wäre, dieses Geheule aus meinem Stadthaus zu hören. Verliebte Frauen übersehen viele Nachteile.

Jeder Beagle, mit dem ich je mein Leben geteilt hatte, besaß sein eigenes Farbschema. Mein erster Beagle, den ich nach dem Jurastudium adoptiert hatte, war Ras (kurz für Rasumow, mit Dank an Joseph Conrad), und sie trug ihr Leben lang ein gelbes Halsband und eine gelbe Leine. Blau war reserviert für Rabu (kurz für Rabuschow – eine unbeabsichtigte Abwandlung des Namens Rubaschow – Verzeihung, Herr Arthur Koestler, aber was wäre »Rub« denn für ein Kosename gewesen?); für Richelieu gab es natürlich Rot (wie für einen Kardinal) und Rosa für mein Roxy-Mädchen (richtig, für ihren Namen war nicht ich verantwortlich; ich übernahm sie, als sie schon acht Jahre alt war). Am Samstagvormittag kaufte ich dem neuen Beagle eine Leine und ein Halsband in Dunkelgrün, außerdem eine Hundebox mit einem gemütlichen Kissen, dessen Bezug auf der einen Seite aus weicher Baumwolle bestand und auf der anderen Seite aus dunkelgrünem wasserfesten Material.

Auf dem Weg zur Tiervermittlung überlegte ich mir einen Namen für den neuen Beagle. Ich fand, dass ich das »R« hinter mir lassen sollte. Ich hatte Dunkelgrün gewählt, weil dieser Beagle so rot war und ich, frisch zurück aus Irland, rotes Haar mit »irisch« assoziierte. Vielleicht sollte ich ihm einen irischen Namen geben, der zu dem grünen Farbschema passen würde. Ein irischer Name wäre vielleicht genau richtig. Ich dachte an den Cousin, der mich so oft zum Lachen gebracht hatte. Seamus wäre doch ein guter Name für den Hund. Vielleicht würde er uns sogar etwas irisches Glück bringen. Aber ein Name muss zum Hund selbst passen. Mal abwarten, dachte ich, als ich vor der Tiervermittlung parkte. Mal abwarten.

Destiny brachte den lauten, springenden, überglücklichen Beagle zum »Begrüßungsraum«, damit ich ihn kennenlernen konnte. Das dauerte nicht lang. Er hörte sofort auf zu heulen, sobald ich ihn streichelte. Er konzentrierte sich nun darauf, meine Handtasche und mich zu beschnuppern – in dieser Reihenfolge. Er musste etwas gefunden haben, das er mochte, denn er sprang zu mir auf die Bank, schmiegte sich an mich und sah zu mir auf. Er gehörte mir und ich ihm. Diese Entscheidung war gar nicht meine.

Ich legte ihm das neue, grüne Halsband an, und er heulte und sprang und brachte mich auf unserer Fahrt nach Hause viele Male zum Lachen. So bellte er jedes Mal, wenn das Auto anhielt – Vergiss mich ja nicht! Ich bin hier hinten! Genau hier! Lass mich bloß nicht hier! Ich bin hier!!! – In diesem Moment war ich mir ganz sicher. Mein roter, Whiskey-heiserer, lustiger kleiner Beagle war ganz offensichtlich ein Seamus. (Wenn ein Hund eine Frau verdammt noch mal finden will, dann wird er sie verdammt noch mal auch finden.)

Daheim folgte Seamus mir ins Haus, rannte herum und erkundete jeden Zentimeter meiner Wohnung. Überall, wo er noch Witterung von Richelieu und Roxy aufnahm, ließ er sich nieder. Bis zur Erschöpfung schnupperte und heulte er und sprang zwischendurch immer wieder auf meinen Schoß. Schließlich legte er sich zu mir auf die Couch und kuschelte sich an mich, während ich ihm den Kopf tätschelte und seinen Bauch kraulte. Er entspannte sich. Sein Fell war herrlich weich, besonders an seinen langen Ohren. In dem Moment fiel mir die Narbe in seinem rechten Ohr auf. Sie erstreckte sich fünf Zentimeter lang über das ganze Ohr und war chirurgisch präzise gerade. Wo auch immer er sein Leben begonnen hatte, man hatte genug für ihn übrig­gehabt, um ihm einen Mikrochip einsetzen, ihn kastrieren und die Verletzung in seinem Ohr nähen zu lassen.

Destiny hatte mir erzählt, er sei von Hundefängern aufgegriffen worden, als er in einer Stadt nicht weit von hier umhergestreunt war. Niemand hatte nach ihm gesucht, und als man die Telefonnummer auf dem Mikrochip anrief, meldete sich keiner. Als seine Zeit auf dem Gelände der Hundefänger abgelaufen war, sah sie ihn, beschloss, ihm eine zweite Chance zu geben, und brachte ihn und drei andere Hunde zur Tiervermittlung, wo sie bleiben würden, bis man ein neues Zuhause für sie gefunden hätte. Zwei Tage später rief sie mich an.

Als wir so zusammen auf der Couch saßen, streichelte und kraulte ich den Hund und fand gleich mehrere Stellen, an denen er gerne gekrault werden wollte – am Bauch, hinter den Ohren und oben am rundlichen Kopf. Er war süß und flauschig. Und diese schwarz umrandeten Augen in der Farbe von geschmolzener Schokolade brachten mein Herz zum Schmelzen. Er war jung, sicher nicht älter als zwei, wir würden viele schöne Jahre zusammen haben. Kein Schmerz mehr, kein gebrochenes Herz. Zumindest sehr, sehr lange nicht.

Ich streichelte ihn weiter sanft und langsam. Mein Haus würde nicht mehr einsam sein. Mein Alphabetleben war gerettet. Und es war ein wirklich süßer Hund. Einige Minuten später legte Seamus seine Vorderpfote auf mein rechtes Bein, schaute zu mir hoch und lehnte sich ganz zu mir hin. Er hatte von mir Besitz ergriffen.