GERT BÖHM / JOHANNES PAUSCH

Kleine Schritte zum guten Leben

 

Impressum

© KREUZ VERLAG
in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2011
Alle Rechte vorbehalten
www.kreuz-verlag.de

Umschlaggestaltung: agentur IDee
Umschlagfoto: © corbis
Autorenfotos: © privat

ISBN (E-Book): 978 - 3 - 451 - 33938 - 7
ISBN (Buch): 978 - 3 - 451 - 61100 - 1

Inhaltsübersicht

Vorwort

1. Lebensrhythmus als Kraftquelle

Vom Geheimnis des Atems

Leben als Wellenbewegung

Hand aufs Herz – das Zentrum der Liebe

Genieße das Wochenende

Gute Gespräche

Die Rhythmen der Zeit

Der Baum ist wie ein Mensch

Die kreative Pause

Der gute Schlaf

Flagge zeigen

Allein und Gemeinsam

Die Gier erfüllter Wünsche

Gläubige leben länger

Im richtigen Schritt

Die Seele isst mit

Ruhe und Bewegung

2. Rituale geben Halt

Vom bewussten Tagesbeginn

Dem Tag ein gutes Ende geben

Die Geste der Umarmung

Von der Kunst, gastfreundlich zu sein

Die Kraft der Mahlzeit

Die Brücke zu unseren Toten

Wer teilt, wird reicher

Einschlaf-Rituale

Den Jahreskreis feiern

3. Berührungen mit Gott

Die Almwiese schwingt in C-Dur

Von heilsamen Klängen

Die Macht der Bilder

Wenn Wasser heilt

Meditation für Anfänger

Die Seele reist langsam

Kraft der Gedanken

Die Kostbarkeit der Stille

Wachstum beginnt im Dunkeln

4. Was Beziehungen schenken

Zeit für den Käfer

Der innere Tacho

Alleine leben

Reform des Herzens

Die Mutterwunde

Die Vaterwunde

Spiel und Leben

Nähe braucht Distanz

Abschließen – das Testament

5. Achtsamkeit und gutes Leben

Aufräumen tut gut

Verlust und Verzicht als Chance

Spielräume für die Seele

Mit Dankbarkeit zu echter Freude

Abgepackte Kalorien?

Stärke durch Demut

Träume verstehen

Der unsichtbare Affe

Die Lehre vom indischen Bergtal

Zwillingstugenden

Die Ohren der Seele

Loslassen

Murren zerstört das Leben

Das rechte Maß

Versuchungen begegnen

Mit den Grenzen leben

Vorwort

Die Idee zu diesem Buch geht auf eine Artikel-Serie in der bayerischen Regionalzeitung Frankenpost zurück. In der Rubrik „Denkanstöße“ wurde im Wochenrhythmus jeweils ein Beitrag zur Spiritualität im alltäglichen Leben veröffentlicht. Die Themen sollten den Menschen Mut machen und Wege aufzeigen, wie man mit kleinen Schritten das Leben gut gestalten kann.

 

Die ungewöhnlich vielen und sehr positiven Reaktionen der Leserinnen und Leser ließen darauf schließen, dass es ein hohes Bedürfnis nach spirituellen Anstößen gibt, die in kleinen „Happen“ angeboten werden.

 

Die in der Frankenpost veröffentlichten Beiträge wurzeln in einer jahrelangen Zusammenarbeit zwischen dem Benediktinermönch Dr. Johannes Pausch und dem Journalisten Gert Böhm. In dieser Autorengemeinschaft sind zahlreiche Bücher über die spirituellen Zusammenhänge von Leib und Seele entstanden: über die Bedeutung von Lebensrhythmen für die Gesundheit, Ausgewogenheit und innere Zufriedenheit der Menschen; über Stabilität verleihende Alltagsrituale; über „Schöpfungsbilder“, in denen der Mensch Gott erfahren kann; über die Chancen und Gefahren in Beziehungen sowie über Einübung von Achtsamkeit im Leben.

Für das vorliegende Buch wurden die Schönsten der „Denkanstöße“ ausgewählt. Sie wenden sich an Menschen, die in sich die Sehnsucht nach einem guten Leben spüren – und dafür Anregungen suchen, ohne überfordert zu werden. Die „spirituellen Mosaiksteine“ eignen sich als Minuten-Lektüre nach dem Aufstehen, bei einer Tasse Kaffee oder vor dem Einschlafen – man muss das Buch nicht von vorne bis hinten lesen, sondern kann nach Lust und Laune quer blättern. Auch wer wenig Zeit hat, hat Sehnsucht nach dem guten Leben. Dieses Büchlein möchte helfen, sich auf den Weg zu machen. In kleinen Schritten.

1.

Lebensrhythmus als Kraftquelle

Immer mehr Menschen spüren in sich die Sehnsucht, zu innerer Harmonie zurückzukehren: zu Angstfreiheit, Ruhe und Gelassenheit. So eine Veränderung geschieht nicht von selbst. Ein erster Schritt kann sein, den Rhythmus des Lebens bewusst zu beachten: die Ausgewogenheit von Wachsein und Schlafen, von Bewegung und Ruhe, von Spannung und Entspannung, von Arbeit und Pause, den Essrhythmus und den Rhythmus der Jahreszeiten. Wer nicht beliebig in den Tag hinein lebt, wird diese Rhythmen und ihre heilsame Wirkung auf sein Leben spüren.

Vom Geheimnis des Atems

Der Atem gehört zu den wichtigsten Rhythmen unseres Lebens. Mit jedem Atemzug nimmt der Mensch Sauerstoff auf, wandelt ihn im Körper in Lebensenergie um und gibt beim Ausatmen Kohlenstoff-Energie ab, die wiederum unsere Pflanzen für ihr eigenes Leben brauchen. Dieser ewige Kreislauf von Geben und Nehmen ist ein Rhythmus der Schöpfung. Mensch und Natur sind im Atemrhythmus direkt miteinander verbunden und aufeinander angewiesen. Daher ist der Atem ein Zeichen der Solidarität in der Schöpfung – eine wunderbare, universale Gemeinschaft, bei der jeder Einzelne nimmt und gibt.

 

Ob Grashalm im Garten oder brasilianischer Regenwald, ob Kopfsalat oder Mammutbaum: Jedes Blatt, jeder Baum erzeugt mit Hilfe der Sonne den Sauerstoff, ohne den Menschen und Tiere nicht leben können. Die Pflanzen verschenken ihn an die Lebewesen – und die geben ihn in der Verbindung mit Kohlenstoff wieder zurück an die Natur, die ohne dieses Geschenk ebenfalls nicht existieren kann.

 

Der Atemrhythmus ist ein großes solidarisches Gesetz, in dem alle Geschöpfe miteinander verbunden sind. Jeder trägt in diesem Kreislauf Verantwortung für den anderen – er schenkt und wird beschenkt. Dabei stehen Geben und Nehmen immer im ausgewogenen Verhältnis zueinander – keiner bereichert sich auf Kosten der anderen. Die Schlüsselblume kann nur wenig Lebensenergie an Tiere und Menschen abgeben, braucht aber selbst nicht viel Lebensenergie zurück. Die dampfenden, atmenden Regenwälder am Amazonas versorgen einen ganzen Kontinent mit Sauerstoff und müssen zum Dank dafür sorgsam gepflegt werden.

 

Diese kosmische Solidargemeinschaft gleicht einem gigantischen Netzwerk, in dem alle Teilnehmer untereinander wie mit silbernen Fäden verbunden sind. Das Mysterium des Atems ist ein Geschenk, das in der Schöpfung alle Lebewesen, alle Pflanzen, die ganze Erde miteinander verbindet und vereint.

 

In allen Kulturen und Religionen gilt der Atem auch als ein therapeutisches Mittel, um den Seelenzustand des Menschen zu verbessern. Durch die bewusste Regulierung des Atems ist es möglich, bestimmte Körperfunktionen und seelische Befindlichkeiten in eine ausgewogene Balance zu bringen. Und in der Meditation oder beim Gebet kann der ruhige, rhythmische Atem das Tor zu tiefen spirituellen Erfahrungen öffnen.

Leben als Wellenbewegung

Das Leben ist ein dynamischer Prozess, der sich im ständigen Werden und Vergehen entwickelt – nicht geradlinig, sondern in Wellenbewegungen: mal vom Mangel zum Überfluss, mal von der Enttäuschung zur Freude oder zwischen Wut und Gelassenheit. Viele Menschen zerbrechen an dem ständigen Auf und Ab, weil sie immer und sofort alles besitzen wollen. Sie begreifen nicht, dass ein Leben auch Zeiten braucht für eine Kurskorrektur, für Pausen, für eine Neuorientierung.

 

Wer das missachtet, wird Rückschläge erleiden – vom Herzinfarkt bis zur Scheidung, vom verlorenen Arbeitsplatz bis zur Depression. Das Leben lässt sich auf Dauer nicht betrügen und belügen. Irgendwann bricht jedes Kartenhaus in sich zusammen.

 

Mit der goldenen Regel vom rechten Maß bringt ein Mensch sein Leben wieder in den richtigen Rhythmus. Dann kann auch Verzicht zum Gewinn werden – die Fastenzeit ist dafür ein gutes Beispiel.

 

In fast allen Religionen und Weisheitslehren wird eine jährlich wiederkehrende Fastenzeit empfohlen, weil sie dem Menschen gut tut und zur inneren Umkehr führt. Sich im Leben zurückzunehmen führt zu einer Reduktion, die dem Menschen Freiraum für neue Energie schafft und sein Bewusstsein erweitert. Denn Völlerei und Übermaß – geistig, körperlich und seelisch – zerstören das Leben. Im Mangel kann sogar die höchste Form von Fülle entstehen, die sich in der Sehnsucht nach einem guten Leben ausdrückt.

 

In der Askese hört der Mensch wieder seine innere Stimme, die in der lärmenden Welt oft nicht wahrnehmbar ist, und ordnet sich in Demut in den großen Zusammenhang der Schöpfung ein.

Hand aufs Herz – das Zentrum der Liebe

Neben dem Atem ist der Herzschlag beim Menschen der wichtigste Rhythmus. Jeder weiß: Ist er gestört, kommt es zu Erkrankungen. Das Herz ist ein Muskel, der ein Leben lang ununterbrochen arbeitet. Er zieht sich zusammen und öffnet sich, immer und immer wieder, siebzig, achtzig, manchmal hundert Jahre lang – zigmillionen Schläge ohne Unterbrechung.

 

Eine Möglichkeit, die eigene Lebendigkeit zu spüren, besteht darin, den Herzschlag bewusst wahrzunehmen. Dabei hilft es vielleicht, ihn mit der Hand zu erspüren. Die häufige Redensart „Hand aufs Herz“ meint, dass der Mensch in sich zu seiner Wahrheit findet. Er berührt dabei nicht nur sein Herz, sondern in der Tiefe auch seine innere Grundhaltung.

 

Den Herzschlag kann man am besten wahrnehmen, wenn man in Ruhe ist. Andererseits ist es sinnvoll, das Herz jeden Tag einmal richtig auf Touren zu bringen – bei einem flotten Spaziergang, beim Joggen, Schwimmen oder auf dem Fahrrad. Das tut dem Herzen gut – man darf es nur nicht übertreiben, indem man ihm keine Ruhephase gönnt.

 

Diese notwendige Erholung für das Herz wird von vielen Menschen nicht oder zu wenig ernst genommen. Aber der Herzrhythmus wird gestört, wenn ein Mensch ständig ein zu hohes Tempo vorlegt – bei der Arbeit, in der Freizeit, beim Sport.

 

Kein Mensch verträgt ununterbrochen neue Eindrücke, jeder braucht auch Stille und Entspannung. Unser Herz kann viel verkraften, aber man muss immer wieder das rechte Maß finden: Joggen ist sicher gesund, doch Marathonläufe können dem Körper schaden. Gegen ein Glas Bier oder einen Schoppen Wein hat kein Arzt etwas einzuwenden, aber zu viel Alkohol und Zigaretten machen das Herz, den Körper und die Seele kaputt.

 

Das Herz ist auch das Organ, mit dem wir unsere Gefühle verbinden: Ein Mensch kann herzlich sein oder herzlos, herzerfrischend oder unbarmherzig – das Herz ist weit mehr als eine Saugpumpe, die das Blut durch den Körper treibt.

 

Mit Bezug auf das Herz benennen wir auch dauerhafte innere Haltungen: Herzlichkeit, Liebe und Barmherzigkeit. Es muss jedem Menschen bewusst sein, dass sein Herz immer fürs Leben schlägt – für sein eigenes und das der anderen. Aber auch Liebe und Barmherzigkeit brauchen einen guten Rhythmus, sonst ermüden sie oder kommen aus dem Gleichgewicht. Geben, Nehmen und dazwischen Phasen der Ruhe – beim Herzrhythmus ist das rechte Maß für den Körper und für die Seele besonders wichtig.

Genieße das Wochenende

Zu einem vernünftigen Lebensrhythmus gehört auch das Wochenende. Es wäre unklug, diese freie Zeit mit Terminen zu überhäufen oder sie zu verschlafen, weil dann den Tagen ein Rhythmus fehlt, der zur Freude am Leben beiträgt. Zwei Erholungstage am Wochenende, die man zweckfrei genießen kann – was für ein Geschenk!

 

Bereits den Eintritt ins arbeitsfreie Wochenende kann man bewusst vollziehen. Der eine holt sich am Samstag früh immer zur gleichen Zeit in derselben Bäckerei ein Stück Pflaumenkuchen, das er dann daheim mit einer Tasse Kaffee in Ruhe genießt. Andere gehen stets zur selben Stunde auf den Markt. Dort kaufen sie ein und begegnen immer denselben Leuten – hinter dem Gemüsestand und davor. Wieder andere treffen sich zu einem Plausch im Café oder beim Frühschoppen im Wirtshaus – all diese Rituale sind ein Teil vom Lebensrhythmus.

 

Am Wochenende darf der Mensch endlich nichts tun. Das ist gar nicht einfach. Eine der härtesten Übungen ist es, sich hinzusetzen, vielleicht auf eine Parkbank, auf den Balkon oder an den Waldrand, und eine Stunde lang nichts zu machen, sondern nur von innen nach außen zu schauen. Manche glauben, dass man so die Zeit vertrödelt. Doch es kann eine eigene, sehr bewusst getroffene Entscheidung sein, nichts zu tun. Man sitzt einfach da, ist hellwach und lässt Gedanken an sich herankommen. Aber man zwingt sie nicht herbei, sondern lässt sie auftauchen und vorüberziehen.

 

Viele Menschen schlagen in ihren Erholungsphasen die Zeit tot, indem sie von einem Privattermin zum anderen hasten, um bloß nichts zu versäumen – hier eine Party, dort eine Vernissage, abends das Fitnessstudio, danach die Disko. Doch wenn Körper und Seele regenerieren sollen, muss sich der Mensch „entschleunigen“: etwas bewusst ganz langsam tun, sich Zeit lassen, einen Gang zurückschalten – nur so nimmt der Mensch wahr, was um ihn herum und in ihm geschieht.