Danksagung

 


Zunächst einmal möchte ich mich dafür bedanken, dass sich so viele zahlreiche Leser schon für den Auftakt der Reihe gefunden haben, meine Erwartungen sind weit übertroffen worden und das schon nach kurzer Zeit. Es gibt inzwischen so viele Gestaltwandler-Geschichten, dass ich schon fürchtete, meine Bestien würden gänzlich untergehen. Dank Euch ist das aber nicht so und dafür gebührt jedem einzelnen Leser mein Dank.

Ohne das gute Zureden (oder die Bettelbriefe) meiner Betaleser, unbedingt mehr von den Bestien lesen zu dürfen, und die gute Vorarbeit, möglichst alle Fehler im Vorfeld schon zu finden und auszumerzen, hätte es diesen Teil nicht gegeben, dafür danke ich meinen treuen Betalesern Lena Carl, Sarah König, Coco Inderst und Mona Nagel und sowie Sabrina Železný, die obwohl sie diesmal nicht mitlesen konnte, mich dennoch tatkräftig zum Weiterschreiben angefeuert hat. Der guten Ordnung halber darf ich auch dieses Mal Maja Ilischs Tintenzirkel nicht vergessen, der mir während des NaNoWriMos 2014 sehr geholfen hat, die Geschichte um Daeon und Zeynda überhaupt zu schreiben.

Weiterer Dank gebührt Bianca Sigwart, die allem Unbill zum Trotz die Zeit gefunden hat, dem Manuskript den letzten Schliff zu geben, nachdem das Lektorat durch war. Danke, Liebes, auch wenn ich es dir mit recht und Recht nicht ganz einfach gemacht habe.

Danke auch an Charlotte Erpenbeck für das Vertrauen, das Du immer wieder in mich setzt – das bedeutet mir sehr viel, und nicht zu vergessen an Sylvia Ludwig von Cover für Dich, die der Reihe ein wunderschönes Gesicht gegeben hat.

Und mit jeder einzelnen Danksagung wird es schwerer, niemanden zu vergessen oder die passenden Worte für denjenigen zu finden, ohne dessen Unterstützung ich keinen einzigen Roman dieser Reihe je beendet hätte: meinen Mann Oliver. Einfach danke, weil Du, Du bist.

 

Cover

 

Schwarzstein und Königin

Erbe der Sieben Wüsten 2

 

Helen B. Kraft


Fantasy-Roman

 

 *  


Für alle, die verloren haben, was sie lieben und niemals vergessen    

 

*  

 

Machandel Verlag Charlotte Erpenbeck

Cover: Sylvia Ludwig, Ursprungsfoto margo black/www .shutterstock .com

Haselünne

2015

ISBN 978-3-95959-006-8


Prolog

 


Nicht Zufall oder Glück sind es, die unsere Bestien zueinander führen; es sind die beiden Seiten unserer Seelen, die sich endlich wieder finden, um sich zu vereinen.

Aus: Cruths Tagebuch, 282 n. Chr.

 

Zeynda starrte auf das Hinterteil, das vor ihr aufragte und definitiv nicht zu einem Kobold gehörte. Es war weder klein noch war es grün. Es gehörte zu einem Mann. Einem nackten Mann. Sie schluckte, versuchte überall hinzusehen, nur nicht auf diesen perfekt geformten Hintern. Es gelang ihr nicht.

Mit Mühe rief sie sich den Grund dafür in Erinnerung, weshalb sie die Bibliothek überhaupt erst betreten hatte: ein Buch. Ein Geschichtsbuch über die Gründe, weshalb die Bestien sich aus ihrer eigentlichen Heimat zurückgezogen hatten und in die Welt der Menschen gekommen waren. Es musste hier irgendwo stehen zwischen all den tausend anderen Büchern und Schriftrollen, die ihr Vater mitgebracht hatte, damit auch die hiesigen Bestien an dem Wissen ihrer Verwandten aus Scáthgard teilhaben konnten. Und damit sein einziges Kind zu einer klugen Frau heranwuchs, die eines Tages die Führung ihres Volkes übernehmen konnte.

„Gefällt dir, was du siehst?“

Erschrocken riss sie den Kopf hoch und starrte auf ein schiefes Grinsen. Erwischt. Der Mann, zu dem dieser äußerst knackige Hintern gehörte, hatte sich zu ihr umgedreht und präsentierte nun eine nicht minder aufregende Vorderseite.

Er schien viel Zeit im Freien zu verbringen, mit nacktem Oberkörper, denn seine ganze Haut schimmerte in warmem Bronzeton. Lediglich eine sternförmige Narbe zwischen den wohlkonturierten Brustmuskeln zerstörte das Bild eines vermeintlichen Gottes. Doch die sechs deutlich sichtbaren Muskelstränge, über denen eine dunkle Haarlinie nach unten verlief, stellten den ersten Eindruck sofort wieder her. Denn zwischen den starken Oberschenkeln war der Mann äußerst gut be…

„Na?“

Der neckende Tonfall des Fremden klang nicht wirklich empört darüber, dass sie der unteren Hälfte seines Körpers mehr Aufmerksamkeit schenkte als seinem Gesicht. Dabei war das nicht minder attraktiv. Ein kantiges Kinn mit Drei-Tage-Bart unter hohen Wangenknochen, strahlend grün-graue Augen und gerade Brauen. Sein dunkelblondes Haar trug er militärisch kurz, was ungewöhnlich war für einen Bestienmann. Die meisten zogen es vor, eine lange Mähne zur Schau zu stellen. Kurzum, dies war ein Mann, nach dem sich jede weibliche Bestie alle Finger lecken würde.

„Ich … äh … also …“ Verflucht nochmal, warum war ihr Mund so trocken?

„Hat es dir die Sprache verschlagen, meine Schöne?“ Er hob eine Braue. Das Grinsen vertiefte sich, was sein Gesicht zu einem wahren Kunstwerk werden ließ, mit Grübchen an genau den richtigen Stellen.

„W-wer bist du?“, presste Zeynda hervor und rieb nervös ihre feuchten Hände an ihrem Rock ab.

Er lachte. Ein heiseres Lachen, das eine Gänsehaut über Zeyndas Körper trieb. Gleichzeitig hob er die Hände, um ihr zu signalisieren, dass von ihm keine Gefahr drohte. Daran zweifelte Zeynda auch nicht. Er würde sie nicht angreifen. Nicht hier. Nicht in ihrem eigenen Haus. Nicht, wenn er den Zorn von Cruth, dem Bestienfürsten, fürchten musste. Allerdings war dieser Fremde nackt – in einer Bibliothek. Wer, im Namen der alten Götter, stand nackt in einer Bibliothek?

„Mein Name ist Daeon.“ Er machte vorsichtig einen Schritt auf sie zu.

Sie konnte seinen warmen Honigduft riechen. Ihre Nüstern blähten sich, während sie ihn einatmete, als wäre er ein kostbares Parfüm.

„Wie heißt du?“ Seine Stimme war eine einzige Liebkosung. Sie strich über Zeynda hinweg und weckte Sehnsüchte, die sie nie zuvor gekannt hatte.

Sie hob das Kinn und ließ dabei wie angelegentlich den Blick über seine Vorderseite schweifen. Heiße Röte schoss ihr in die Wangen. Verflucht, warum konnte sie nicht wie die anderen Mädchen ihres Alters einfach zugreifen? Einundzwanzig Jahre war für eine Bestie wirklich nicht mehr zu jung, auch wenn sie damit noch nicht als erwachsen galt. Also, warum musste ihr Verstand ihr jedes Mal dazwischenfunken und ihr sagen, dass ihr Vater das ganz und gar nicht gutheißen würde, wenn sie …?

Sie merkte, dass sie schon viel zu lange mit ihrer Antwort gezögert hatte.

„Z-Zeynda.“ Sie räusperte sich und versuchte es noch einmal. „Mein Name ist Zeynda. Ich bin Fürst Cruths Tochter.“

Er nickte, als würde das alles beantworten. Doch das tat es nicht. Zumindest nicht die Fragen, die Zeynda unter den Nägeln brannten. Allen voran die, warum er hier und nackt war - und sie mit diesem irritierenden Blick anstarrte, als sei sie ein besonders saftiges Stück Fleisch.

Was fiel diesem überheblichen Kerl ein? Dachte er, nur weil er den Größten besaß, den sie jemals zu Gesicht bekommen hatte, wäre er etwas Besonderes? Ihre Amme hatte Zeynda früh genug darüber aufgeklärt, dass die Größe allein nicht ausreichte, um eine weibliche Bestie zufrieden zu stellen. Eine Wüstenbestie wie Zeynda schon gar nicht. Vielleicht wurde es Zeit, diesem Kerl eine kleine Lektion zu erteilen.

Langsam trat Zeynda näher an Daeon heran. Dabei warf sie ihr langes, schwarzes Haar über ihre Schulter und spitzte die Lippen zu einem leichten Kussmund. Sofort beschleunigte sich seine Atmung, was sie als vollen Erfolg wertete. Als sie nur noch eine Handbreit vor ihm stand, blickte sie demonstrativ an seiner Vorderfront entlang nach unten. Wie gewünscht erwachte sein Unterleib zum Leben. Gleichzeitig stieg eine weitere Woge seines warmen Honigduftes in ihre Nase und ließ Zeynda das Wasser im Mund zusammenlaufen.

Um ihre Reaktion zu überspielen, hob sie einen Mundwinkel, dann schaute sie auf und sah gerade noch, wie sich sein Blick verdunkelte.

„Ahem. Verzeiht, dass ich Eure kleine Unterhaltung störe, Prinzessin, aber dieser Mann sollte sich bedecken.“

Zeynda drehte den Kopf, um zu sehen, wer da störte und sie von dem herrlichen Anblick ablenkte. Barrique. Natürlich. Jetzt tauchte der Kobold auf. Dabei hätte er von vornherein hier stehen und auf sie warten sollen. Nicht dieses Prachtexemplar von Mann.

„Barrique. Da bist du ja, ich habe nach dir gesucht.“ Ein hilfloser unbeholfener Versuch die Situation zu retten, und über die Peinlichkeit der Situation hinwegzutäuschen.

„Nun, ich bin nur kurz fort gewesen, um General Paleshs Sohn angemessene Kleidung zu holen. Er kam in Bestiengestalt hierher, und es sieht nicht danach aus, als habe er vorher großen Wert darauf gelegt, eine Rüstung anzulegen, die sich seiner veränderten Form anpasst.“

„Mir scheint“, mischte sich der Grund für diese Unterhaltung ein, „dass die Prinzessin nichts dagegen hatte, mich so zu sehen. Ihrem Kennerblick nach zu urteilen, meine ich.“

Diese Unverschämtheit ließ Zeynda nach Luft schnappen. Sie blickte ein letztes Mal auf den sich ihr entgegenstreckenden Beweis von Daeons Männlichkeit, dann drehte sie sich mit einem bedauernden Seufzen zu dem Kobold um, der sie aus schwarzen Augen nur stumm musterte. „Tja, es sieht ganz danach aus, als freue Daeon sich sehr darüber, dich zu sehen, Barrique. Dann bin ich hier ja überflüssig. Ich wünsche euch beiden noch … viel Spaß!“

Damit rauschte sie aus der Bibliothek und betete stumm zu den Göttern, dass es nicht wie eine Flucht wirkte. Denn nichts anderes war es. Sie benahm sich wie ein Feigling. Sie schämte sich dafür, Barrique mit hineingezogen zu haben, aber der kleine Kerl konnte bestimmt damit umgehen. Hoffte sie. Außerdem war er nicht nachtragend. Hoffte sie ebenfalls.

Draußen lief ihr Earron, ein Freund ihres Vaters und der amtierende General der selanischen Armee, über den Weg. Er hatte seinen Posten nicht ohne Grund inne. Als Clanführer der Sturmbestien besaß er einiges an Verantwortung, und wer ihn sah, wusste, dass er ein geborener Krieger sein musste. Die Sturmbestien waren ähnlich wie die Schwarzsteiner, zu denen ganz offensichtlich Daeon gehörte, hochgewachsen und muskulös. Earrons Schultern waren breit und wurden von dem ledernen Harnisch, den er trug, noch mehr betont. Seine lange, blonde Mähne flocht er stets zu Kriegszöpfen, die ihm über die Schläfen hingen, und die Narben auf seinen Wangen zeugten davon, dass er so lange kämpfte, bis sein Gegner tot war, ehe er sich darum kümmerte, Heilung zu erfahren.

Als Earron sie sah, stoppte er. Die Neugierde in seinem Blick verriet Zeynda, dass ihre Wangen vermutlich wie ein Sonnenuntergang leuchteten.

„Ist alles in Ordnung, Kleine?“

„Ja, alles bestens.“ Schon war sie an ihm vorbeigeeilt, da fiel ihr etwas ein. Sie machte auf dem Absatz kehrt, hängte sich bei Earron ein, blickte zu ihm auf und klimperte mit den Wimpern.

„Du, Onkel Earron? Ich habe da eine Bitte.“

Er lachte. „Wenn du so kommst, muss es etwas sehr Ernstes sein, sonst würdest du nicht mich, sondern deinen Vater so ansehen.“

Sie machte eine Schnute, von der sie genau wusste, dass sie sein Herz erweichen würde. Als die Fältchen um seine Augen ihr zeigten, dass er nachgeben würde, sagte sie im Brustton der Überzeugung: „Ich will, dass du eine echte Bestie aus mir machst. Ich will kämpfen lernen, um meine Haut zu verteidigen. Und wer wäre besser dafür geeignet, als der Mann, dem mein Vater von allen am meisten vertraut?“

Earron schluckte. „Darüber wird Cruth nicht sehr erfreut sein, Mädchen.“ Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen. „Aber verflucht seien die alten Gottheiten, wenn ich mir das entgehen lasse. Ich freue mich schon darauf, sein Gesicht zu sehen.“

Zeynda stimmte in sein Lachen mit ein, obwohl ihres ein wenig kläglicher ausfiel. Nicht, weil die Reaktion ihres Vaters ihr Sorgen bereitete, sondern weil sie sich plötzlich vor ihrer eigenen Kühnheit fürchtete. Sie glaubte fest daran, dass die Ausbildung unter Earron ihr Selbstbewusstsein steigern konnte, und es schadete ganz sicher nicht, kämpfen zu können. Aber der Grund, warum sie es tat, erschreckte sie. Sie wollte dies nur, weil ein Mann es geschafft hatte, ihr Herz zum Klopfen zu bringen.

 

*

 

Daeon starrte der jungen Frau hinterher, die fluchtartig die Bibliothek verließ. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen. Sie war wirklich eine Augenweide mit den dunklen Haaren und den eisblauen Augen. Das Kleid stand ihr allerdings nicht besonders, es erinnerte zu sehr an ein kleines Mädchen. Dabei war sie durchaus eine erwachsene Frau. Er hatte ihre Reaktion auf ihn bemerkt: ihr schneller werdender Atem, das Weiten ihrer Pupillen. Oh ja, wenn der Kobold nicht aufgetaucht wäre, hätte Daeon sie vermutlich zu einem Kuss überreden können. Vielleicht sogar zu etwas mehr.

Er nahm es ihr nicht übel, dass sie weggelaufen war. Sie war noch jung. Deutlich jünger als er.

Und sie hatte Humor. Zu behaupten, er hätte so auf den Kobold reagiert, obwohl sie wusste, dass sie dahinter steckte. Er schnaubte belustigt.

„Junge, so sehr es mir imponiert, dass du Kobolde magst, es wäre wirklich besser, wenn du dir das hier überziehen würdest.“ Barrique reichte Daeon einen Stapel Wäsche. „Nicht, dass du dich noch verkühlst.“

Daeon grinste. Er nahm die Sachen und schlüpfte hinein. Sie waren ihm ein bisschen zu groß, aber sie würden ausreichen, um dem Fürsten seine Aufwartung zu machen.

„An deiner Stelle würde ich mir das Grinsen verkneifen, wenn ich dem Fürsten begegne. Er trauert immer noch um seine Gefährtin, denkst du, da heißt er es gut, dass ein Schwarzsteiner sich für seine Tochter interessiert?“

„Komm schon, Barrique, du gönnst mir überhaupt keinen Spaß. Ich bin schließlich nicht nur hier, um meine Belobigung abzuholen.“

Ein letztes Mal überprüfte Daeon den Sitz der Lederrüstung, dann richtete er sich auf – und fand sich Aug in Aug mit dem Kobold. Der hatte sich auf einen der Tische teleportiert und sah aus, als wolle er höchstselbst dafür sorgen, dass Daeon seine Absichten Zeynda gegenüber aufgab. Der kleine Kerl hatte die Ärmchen vor der Brust verschränkt und das Kinn gesenkt. In seinen Kohlenaugen blitzte es.

„Du hast mir das Leben gerettet, Bestienmann, deshalb erwidere ich diesen Gefallen. Cruth wird dich in der Luft zerreißen, wenn du seine kleine Prinzessin anrührst.“

„Ist sie deshalb so spröde? Weil ihr Vater sie von den Männern in Sela fernhält?“ Daeon hob eine Braue, wenngleich er genau wusste, dass er damit keinerlei Eindruck auf den Kobold machte.

Der Kobold hatte sich im Laufe der Zeit zu Cruths persönlichem Berater und Freund hochgearbeitet. Er kannte also die Gefühle und Befindlichkeiten des Fürsten gut genug, um diese einschätzen zu können. Doch Daeon wäre nicht er selbst, wenn er nicht jedes Verbot als Herausforderung betrachten würde. Das war immer so gewesen und würde sich vermutlich auch in Zukunft nicht ändern.

Barrique stieß ein Seufzen aus. Es klang, als trüge er die Last der Welt auf seinen mickrigen Schultern, und schüttelte den Kopf. Die mit Flusen besetzten Ohren knickten leicht ein.

„Mir will einfach nicht begreiflich werden, weshalb du dein junges Leben für eine Nacht mit der Prinzessin riskieren magst. Du bist der künftige Anführer der Schwarzsteiner. Dein Clan war dem der Wüstenbestien stets treu ergeben. Es wäre wirklich eine Schande, wenn es zum Krieg käme, nur weil du deine kleine Bestie nicht im Zaum halten kannst.“ Jetzt schnalzte der Kobold auch noch mit der Zunge.

„Klein? Ich bitte dich, Barrique. Was Größe angeht, solltest du dich besser informieren.“

Barrique rümpfte die Nase und machte Anstalten, etwas darauf zu erwidern. Als er deutlich sichtbar den Kommentar, der ihm offenbar auf der Zunge lag, herunterschluckte, konnte Daeon nicht anders, als weiter zu grinsen. Seit er den kleinen Kerl aus dem Fluss gezogen hatte, schien der zu glauben, eine Art Ersatzvater für Daeon sein zu müssen. Was lächerlich genug war in Anbetracht von Daeons durchaus vorhandenem biologischem Vater. General Palesh erfreute sich bester Gesundheit und war äußerst stolz auf seinen ältesten Sohn. Sonst hätte er ihn nicht hergeschickt, um mit dem Fürsten zu sprechen. So stark die Loyalität der Schwarzsteiner gegenüber Fürst Cruth auch sein mochte, so wenig Vertrauen besaß sein Clan in andere Bestien. Selbst innerhalb der Schwarzstein-Gemeinschaft herrschte stets eine gewisse Rivalität. Nur Daeons Familie galt als Ausnahme dieser Regel. Sie hielten zusammen gegen den Rest der Welt.

„Wie wäre es, mein Kurzer, wenn du mich jetzt zum Fürsten bringst? Mein Vater hat mich schließlich nicht geschickt, damit ich meine Zeit mit dir verbringe.“

Ein Schnauben war die einzige Antwort, die Daeon erhielt. Der Kobold teleportierte sich umgehend zu der schweren Eichentür, die von der Bibliothek hinaus auf den Flur führte. Von seinem letzten Besuch hier wusste Daeon, dass es zum Audienzsaal über mehrere Treppen und weitere Gänge ging. Doch wie jedes Mal, wenn er hier war, interessierte er sich eher für das weibliche Dienstpersonal als für den Weg. Laut Barrique würde dies vermutlich irgendwann einmal damit enden, dass er gegen eine andere Bestie kämpfen musste, aber das störte ihn nicht. Schwarzsteiner waren die gefürchtetsten Bestien aller Clans. Ihnen allein oblag schon seit Jahrhunderten der Schutz des Fürstenhauses. Niemand würde einen Kampf gegen ihn gewinnen, es sei denn, er ließe es zu.

Die Narbe auf seiner Brust pulsierte unter dem Leder, und Daeon legte unwillkürlich seine Hand darauf. Sein Vater schien ihn wie zuvor Barrique ermahnen zu wollen, sein Temperament zu zügeln. Doch in seiner menschlichen Gestalt konnte Daeon nicht hören, was Palesh ihm mitteilen wollte. Und im Augenblick dachte er nicht im Mindesten daran, sich noch einmal zu verwandeln. Eine Maßregelung seitens des Kobolds genügte für heute.

Er folgte Barrique, der sich immer wieder einige Meter voraus teleportierte und dann wartete, bis Daeon aufgeschlossen hatte. Wenn er dann zurückblickte, lag eine Mischung aus Resignation, Missbilligung und Stolz auf seiner Miene. Eine Kombination, die Daeon Kopfzerbrechen bereitete. Fast schien ihm, als habe der Kobold noch etwas Bestimmtes mit ihm vor. Er hatte nur nicht die leiseste Idee, um was es sich handeln könnte. Sein Platz war unter den Schwarzsteinern, wo er eines Tages an seines Vaters Stelle das Fürstentum auf Scáthgard für Cruth verwalten würde.

Das Jucken der Narbe wurde heftiger. Irritiert blieb Daeon stehen. „Barrique!“

„Was ist denn jetzt schon wieder?“ Der Kobold wandte sich um und tappte mit dem Fuß auf. Das Geräusch hallte von den kahlen Wänden wider.

„Ich fürchte, die Audienz bei Cruth muss einen Moment länger warten. Mein Vater will mich sprechen.“ Das Gefühl der Dringlichkeit, das das Jucken mit sich brachte, wurde schlimmer. „Ich werde mich noch einmal verwandeln müssen.“

„Und wieder alles vollkotzen? Dann bitte, hier entlang. Ich bringe dich zum nächsten Abort, da kannst du dich dann austoben. Ich verstehe es ohnehin nicht, warum ihr Bestien euch nicht endlich einmal für eine Gestalt entscheiden könnt. Mal Mensch, mal Tier, das ist abartig! Sieh mich an! Ich bin ein Kobold und ich stehe dazu.“ Barrique zeterte weiter, während er Daeon zu dem besagten Raum lotste. Vor dessen Tür blieb er stehen und brummte: „Ich warte hier.“

Daeon nickte nur und schlüpfte hinein. Im Grunde war es egal, wo er sich verwandelte. Aber Cruth durfte er nur als Mensch gegenübertreten. Gerade weil die Schwarzsteiner vor langer Zeit nie ihre Gestalt gewechselt hatten, zeugte dies von Ehrerbietung und sein Vater würde ihm das Fell gerben, wenn er sich nicht daran hielt. Dummerweise benötigte er seine Bestienform, um mit seinesgleichen in Kontakt treten zu können.

Die Verwandlung erfolgte fließend. Ohren und Nase verschwanden als Erstes. Aus seiner Haut, die immer bleicher wurde, sprossen einzelne, rote Haarbüschel. Klauen und Reißzähne wuchsen, Säbel bildeten sich aus seinem Oberkiefer. Wie bei jeder anderen Bestie auch, spürte Daeon von der Verwandlung in seine natürliche Gestalt kaum etwas. Die Schmerzen würden erst dann kommen, wenn er wieder menschliche Gestalt annahm. Auf die Hörner am Kopf verzichtete Daeon. Nur das eine Horn, das mitten auf seiner Stirn prangte und wie bei allen seiner Art schwarz glänzte, war von Bedeutung.

Als die Verwandlung abgeschlossen war, erkannte er den Grund dafür, weshalb Barrique ihn hier hereingelockt hatte. Nicht, weil die Rückverwandlung in einen Menschen Übelkeit und Krämpfe mit sich brachte, sondern weil er sich hier kaum bewegen konnte. Es grenzte an Unmöglichkeit, den Raum zu verlassen, ohne das halbe Gemäuer abzureißen, denn jetzt war Daeon noch einmal einen halben Meter größer als seine ohnehin hochgewachsene Gestalt. Die breiten Schultern verhinderten, dass er die Tür durchqueren konnte, ohne im Rahmen stecken zu bleiben.

„Verfluchter Kobold“, knurrte er, meinte es aber nicht so. Er wusste, dass keine böse Absicht dahinter steckte. So sehr der Kurze auch auf die Nerven gehen konnte, er war im Grunde ein lieber Kerl.

Daeon schüttelte den Kopf und berührte mit einer krallenbewehrten Hand seine Stirn. Das Horn begann zu pulsieren und Wellen aus Energie flossen hindurch hinunter in seinen Schädel.

Daeon, na endlich!“

Vater.“ Es erübrigte sich, mehr zu sagen, jeder Schwarzsteiner erkannte sein Gegenüber instinktiv. „Was ist so dringend?“

Dein Tonfall könnte angemessener sein, Sohn, aber ich lasse es dir noch einmal durchgehen. Konntest du mit dem Fürsten sprechen?“

Bisher nicht. Als ich ankam, musste Barrique mir erst einmal passende Kleidung suchen und in der Zwischenzeit war ich … abgelenkt.“

Du solltest das nächste Mal gleich als Mensch reisen, Sohn. Du weißt doch, dass …“

Es geht als Bestie schneller, Vater. Ist das der einzige Grund, weshalb du mich störst? Wäre ich als Mensch gereist, wäre ich noch gar nicht hier angekommen. Also?“

Immer diese Ungeduld. Eines Tages wird dir das zum Verhängnis werden, Junge.“

Daeon seufzte. Er kannte diese Tirade bereits. Was sollte er denn tun? In seinen Adern floss das Blut reiner Schwarzsteiner, die dafür bekannt waren, erst zuzuschlagen und dann zu denken. Woher also sollte Geduld kommen, wenn sie ihm weder angeboren noch anerzogen war? Aber ebenso wenig wie eine Diskussion mit Barrique über dieses Thema fruchtete, brachte die mit seinem Vater etwas.

Vater, der Fürst wartet sicher bereits auf mich. In jedem Fall tut es Barrique. Also, was ist so dringend, dass du mich noch einmal stören musst?“

Die Ablenkung.“

Damit hatte Daeon nicht gerechnet. „Was meinst du?“

Deine Mutter hat mir berichtet, dass Prinzessin Zeynda bei Hofe ist. Stimmt das?“

Mag sein.“

Falls es stimmt, erwarte ich von dir, dass du dich von ihr fernhältst. Wir kennen deine Vorliebe für junge Frauen, aber Zeynda ist tabu.“

Woher, im Namen der alten Götter, wusste seine Mutter, dass er der kleinen Fürstentochter über den Weg gelaufen war? Manchmal glaubte Daeon, dass im Stammbaum seiner Mutter eine Hexe sein musste. Anders konnte er sich nicht erklären, weshalb sie stets genau wusste, wann er im Begriff war, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Und sei es nur, dass sich besagte Schwierigkeiten in Form von weichen Schenkeln und üppigen Brüsten äußerten.

Kein Problem, Vater. Sie ist ohnehin zu jung für mi-“ Verdammt. Jetzt wussten seine Eltern, dass er Zeynda bereits begegnet war.

Daeon!“

Ja, Vater.“ Er neigte den Kopf, so wie er es schon als kleiner Junge getan hatte, wenn er erwischt worden war. Da half es auch nichts, dass sich sein Vater momentan in einer anderen Welt befand.

Ich wiederhole mich nicht noch einmal. Finger weg von der Prinzessin. Wir haben uns schon genug Ärger eingehandelt dadurch, dass wir dem letzten Fürsten zu bedingungslos ergeben waren. Ich möchte nicht, dass Cruth uns die verlorene Ehre seiner Tochter vorwerfen kann.“

Als ob ich jemals etwas täte, das eine Frau nicht will, Va-“

Mein letztes Wort, Sohn! Andernfalls werde ich dich persönlich mit einer der Erstgeborenen der Flussbestien verheiraten. Es gibt da eine, die ein Auge auf dich geworfen hat. Ich nehme an, sie hatte schon das Vergnügen, dich zu erproben. Also? Haben wir uns verstanden?“

Daeon ballte die Fäuste und knirschte mit den Zähnen. Irgendwann in seiner bewegten Jugend hatte er tatsächlich bereits die intime Bekanntschaft einer Flussbestie gemacht. Er schlief gerne mit Frauen, und im Normalfall drehte einem eine weibliche Bestie auch keinen Strick daraus. Bestien liebten Sex. Er kam gleich hinter blutigen Kämpfen.

Wenn Daeon sich allerdings an das Flussbestienmädchen erinnerte, bekam er ein ganz ungutes Gefühl.

Dummerweise wog in ihrer Gesellschaft nun einmal der Wunsch einer weiblichen Bestie nach Partnerschaft schwerer als das Bestreben eines Männchens, sich nicht zu binden. Wenn sein Vater zudem eine Eheschließung beschloss, gab es rein gar nichts, was Daeon dagegen tun konnte. Gleichzeitig fühlte er diesen unbändigen Drang in seiner Brust, genau das Gegenteil dessen zu tun, was sein Vater befahl. Zeynda war ein hübscher kleiner Happen. Sie war bestimmt keine Jungfrau mehr, auch wenn sie schüchtern sein mochte. Aber für sie eine Ehe zu riskieren? Ging seine Arroganz so weit? Er schüttelte den Kopf.

Ich habe dich verstanden, Vater. Ich werde mich von der Prinzessin fernhalten. Gibt es sonst noch etwas, das ich vielleicht dem Fürsten ausrichten soll?“

Ja, er soll dir im Namen deiner Mutter eine Tracht Prügel verpassen!“

Die Verbindung brach ab und Daeon fragte sich benommen, ob diese kurze Unterhaltung wirklich rechtfertigte, dass er jetzt den Rest des Tages mit Magenkrämpfen herumrannte.

Seine Eltern zeigten bisweilen, dass die Vergangenheit Spuren hinterlassen hatte. Die einst mächtigen Schwarzsteiner fürchteten sich vor der Magie der Wüstenbestien schon seit jeher. Doch seit dem Fall Crothars, der Legende, gab es eigentlich keinen Grund mehr dafür. Sein Sohn Cruth war ein weit besserer Fürst als der Vater. Und er tötete seine Untergebenen nicht aus Rachsucht. Nicht einmal, wenn sie sich an seine geliebte Tochter heranmachten. Oder doch?

Ein weiterer, weit erschreckenderer Gedanke kam Daeon und er forschte in seinem Gedächtnis. Hatte Zeyndas Bestie womöglich auf ihn reagiert? Sie hatte geschnüffelt, aber nur kurz. Nein. Ganz offenbar hatte sie zwar der Mann angezogen, aber die Bestie schien kein Interesse an ihm zu haben. Er atmete erleichtert auf. Nicht auszudenken, wenn er der angedrohten Hochzeit mit einer Flussbestie entkam, um sich dann in den Fängen von Cruths Tochter wiederzufinden.

Spaß ja, Ehe nein. Und genau deshalb würde er sich an den Rat seines Vaters halten und einen großen Bogen um das Prinzesschen machen. So nötig hatte er es dann auch wieder nicht!

Mit einem Keuchen zwang Daeon seinen Leib zurück in die Menschengestalt. Schon spürte er, wie Galle in seiner Kehle aufstieg. Er schaffte es gerade so, sich über das Loch im Holzbrett zu beugen, als er sich schon übergeben musste. Da es das zweite Mal an diesem Tag geschah, war nicht mehr viel in seinem Magen. Schließlich würgte er nur noch trocken, blieb aber sicherheitshalber weiter in Reichweite der Öffnung. Der unangenehme Geruch, der aus dem Abort aufstieg, reizte seinen Magen allerdings aufs Neue.

Es klopfte.

„Bist du bald fertig, Junge? Ich hab nicht den ganzen Tag Zeit, weißt du?“ Trotz seiner Ungeduld schwang Mitgefühl in Barriques Tonfall mit.

Daeon biss die Zähne zusammen und richtete sich auf. Ein kurzer Blick an sich herab genügte, ihn davon zu überzeugen, dass er sich wenigstens dieses Mal nicht noch beschmutzt hatte. Die lederne Rüstung sah sauber aus. Außerdem hatte sie die Verwandlung gut überstanden. Ganz offenbar war sie für eine Bestie geschaffen worden, die sich häufig verwandelte.

Vielleicht, so dachte Daeon, sollte ich mir auch so etwas schneidern lassen. Dann bleibe ich wenigstens vor neugierigen Blicken kleiner Mädchen verschont.


 

1. Kapitel

 


Wir werden nie herausfinden, was der Grund für all den Hass ist. Wir können nur versuchen, ihn zu mildern, indem wir bereuen, was wir taten.

Aus: Cruths Tagebuch, Datum unbekannt.

 

50 Jahre später

 

Cruth saß an seinem Schreibtisch und starrte blicklos auf die Papiere vor sich: Handelsabkommen, Friedensverträge, Wegerechte und vieles mehr. Der ganze Kram widerte ihn an. Nicht nur, weil die Arbeit daran bedeutete, an seinen Schreibtisch gefesselt zu sein, nein, es führte ihm einmal mehr vor Augen, dass das Leben eines Fürsten alles andere als rosig war.

Er lehnte sich zurück und fuhr sich mit beiden Händen über die Augen. Dieser Tag bedrückte ihn auch ohne diese lästigen Pflichten schwer genug. Warum konnten die Bestien untereinander nicht einfach in Frieden leben? Warum mussten sie sich zanken wie kleine Kinder um ein Stück Honigbrot? Selbst hier in Sela, in der Welt der Menschen, wo sie vor einer Ewigkeit einen Außenposten errichtet hatten, kam es immer wieder zu Streitigkeiten unter den Clans. Ganz zu schweigen von den offenen Angriffen einiger bestimmter Clanführer, die nicht akzeptieren wollten, dass Cruth über ihnen allen stand.

Er seufzte schwer, lehnte den Kopf in den Nacken und dachte an die Vergangenheit. An die Tage, als er noch unbeschwert durch diese Welt geritten war und seine einzige Pflicht darin bestanden hatte, einmal im Jahr seinem Vater Bericht zu erstatten. Er hatte sich für die Menschenwelt entschieden, weil sein Vater in Scáthgard auf grausame Art und Weise herrschte und ihn nie als Sohn hatte anerkennen wollen. Und nach dem Tod seines Vaters hatte Cruth keinen Sinn darin gesehen, in der Bestienwelt zu bleiben, wenn seine Gefährtin lieber unter den Menschen lebte.

Das alles schien eine Ewigkeit her zu sein, dabei waren es noch nicht einmal achtzig Jahre. Ein Wimpernschlag im Leben einer Bestie.

Der Geruch von Wildblumen stieg Cruth in die Nase, und er spähte zwischen den Fingern hindurch, um zu sehen, woher er kam.

Wie immer war Barrique eingetreten, ohne um Erlaubnis zu fragen. Cruth tadelte ihn nicht dafür. Er kannte den Kobold inzwischen schon zu lange, um zu wissen, dass er ihn nicht ändern konnte. Sie beide verband eine Freundschaft, die beinahe so innig war wie jene, die er zu den Clanführern der Sturm- und Schlangenbestien, Earron und Osan, pflegte.

Der Kobold hielt einen Strauß violetter und gelber Blumen in der Hand, der fast so groß war wie er selbst. Beim Anblick des Gebindes verkrampfte sich Cruths Magen. Er schluckte und wollte sich instinktiv verkriechen. Aber das konnte er ebenso wenig, wie er Barrique für die Störung anschreien konnte.

„Ist es soweit?“, fragte Cruth mit einer rauen Stimme, die jemand anderem gehören musste. Er selbst klang nie so.

„Ja, mein Fürst. Heute jährt sich der Tag. Ich war so frei und habe ihre Lieblingsblumen besorgt.“

So war Barrique: aufmerksam und konsequent. Er würde nicht zulassen, dass Cruth den Todestag seiner Frau vergaß oder zumindest so tat, als ob. Sie beide hatten Nerey geliebt und waren gleichermaßen entsetzt gewesen, als sie starb. Zu früh. Zu jung.

Es war ein Ritual, das sie beide seit jenem schicksalhaften Tag pflegten: Barrique besorgte die Wüstenblumen, die nur auf den Geröllebenen in der Welt der Bestien wuchsen, und brachte sie Cruth. Dann unterhielten sie sich einen Moment, ehe sie gemeinsam zum Silbertempel gingen, um die Blumen niederzulegen und der Toten zu gedenken.

Die Menschen mochten sagen, dass es nach über siebzig Jahren keinen Grund mehr gab, am Grab eines geliebten Wesens zu trauern, doch Cruth sah das anders. Menschen kamen und gingen. Ihr Leben verstrich so schnell, dass er sie kaum wahrnahm. Doch wenn eine Bestie ging, dann bedeutete das etwas. Sie waren langlebige Kreaturen, die nur gewaltsam vor dem Ablauf ihrer Zeit zum Tode kommen konnten.

„Mein Fürst?“

„Schon gut, Barrique, ich komme.“

Schwerfällig stand er auf und ging um den Tisch herum. Dann nahm er Barrique den Strauß ab, sodass der Kobold erleichtert aufatmete.

Anders als sonst verzichtete Barrique darauf, sich zu teleportieren, als sie sich auf den Weg machten. Cruth hatte ihn einmal danach gefragt und der Grüne hatte geantwortet, dass dies seine Art der Respektbezeugung bedeutete.

Der Tempel lag unscheinbar im inneren Ring der Burgmauern, eingequetscht zwischen zwei Häusern. Cruth hatte ihn einst errichten lassen, um das darin befindliche Tor in die Welt der Bestien zu schützen. Zwei Sturmbestien, erkennbar an den rotschwarzen Litzen an ihren Rüstungen, bewachten den Eingang. Als sie Cruth und Barrique kommen sahen, richteten sie sich unwillkürlich ein wenig mehr auf.

Sobald sie den Tempel betraten, kam Ruhe über Cruth. Die Wände des Raumes waren mit hellen Ornamenten besetzt. Überall lagen Sitzkissen, die nur dem Zweck dienten, dass Betende und Trostsuchende sich hier wohlfühlten. Cruth atmete tief den Geruch der verbrannten Kräuter ein, die auf dem in der Mitte befindlichen Altar in einer Schale vor sich hin glommen. Kerzen standen daneben und spendeten diffuses Licht. Hinter dem Quader aus Stein hing ein dunkler Vorhang, der den Weg in die andere Welt verbarg.

Cruth hielt den Stoff auseinander, damit Barrique hineinschlüpfen konnte, dann betrat er hinter dem Kobold den kuppelförmigen Raum. Der Boden war bedeckt mit filigranen Silbergrashalmen, die nur widerwillig nachgaben, wenn sie darüber liefen. Eine Steinmauer in einigen Metern Entfernung begrenzte das Areal, von dem außer Barrique und Cruth niemand wusste, dass es dort einen geheimen Ausgang aus Sela gab.

Vor der Mauer befand sich das Portal. Es glich einem schwarzen Oval, dessen Ränder mit der Luft verschwammen und wie ein Regenbogen flimmerten.

Wortlos umrundeten sie das Gebilde und blieben abrupt stehen. Sie waren nicht allein.

Ein schlanker Mann mit langen dunklen Locken und hagerer Gestalt kauerte bereits vor Nereys Grab, das sich in Form einer kleinen Erhebung unter dem Gras abzeichnete. Bei ihrem Kommen drehte sich Osan halb herum. Seine Miene war schmerzverzerrt und spiegelte den Kummer, den auch Cruth empfand. Nur, dass dieser bislang nicht gewusst hatte, dass es seinem Freund ebenso ging.

„Was tut Ihr hier, Osan?“ Barrique fand als Erster die Sprache wieder.

„Trauern. Wie ihr auch. Aber es ist schon gut, ich gehe.“ Er stand auf, klopfte sich den Silberstaub von den Hosenbeinen und wollte an Cruth vorbeilaufen, der ihn mit der freien Hand festhielt.

Stumm sahen sie einander an und zum ersten Mal nach all den Jahren begriff Cruth, dass er nicht der Einzige war, der Nerey mehr als das eigene Leben geliebt hatte. Er kämpfte gegen den Kloß in seiner Kehle an, wollte etwas sagen, ohne zu wissen was. Er erlaubte schon Barrique, an seiner Trauer teilzuhaben. Konnte er da noch weiter gehen und auch Osan mit einbeziehen? Für einen flüchtigen Moment wallte Eifersucht in Cruth auf, dann sagte er sich, dass seine Gefährtin nur ihn geliebt hatte, sonst hätte sie ihn damals nicht zu ihrem Partner gewählt.

„Bleib ruhig, Schlange. Du störst nicht.“

Osan hob einen Mundwinkel und das vertraute schelmische Funkeln glomm in seinen Augen. „Nein, ich wollte nur den alten Göttern einen Wunsch für deine Gefährtin mit auf den Weg geben. Das ist dein Tag, ich hätte gar nicht mehr hier sein sollen, als du kamst. Ich muss die Zeit vergessen haben.“ Er drückte kurz Cruths Schultern und ging dann rasch davon.

Barrique räusperte sich. „Er hatte recht, er gehört nicht hierher.“

„Barrique“, tadelte Cruth sanft mit einer Nachsicht, die er im Laufe der Zeit gelernt hatte. „Er ist ein Freund.“

Ein Schnauben. „Ein Freund, der um die Hand Eurer Tochter angehalten hat. Mehrmals.“

Cruth seufzte. Er war hier, um zu trauern, nicht um Staatsgeschäfte zu besprechen. Aber der Kobold würde nicht locker lassen.

Wie um dies zu bestätigen, setzte Barrique hinzu: „Ihr müsst sie anerkennen. Ich habe die Briefe ebenfalls gelesen. Die Bestien sind unruhig, einige wollen Blut sehen. Außerdem habt Ihr bereits fünf Anträge abgelehnt.“

„Ich werde mich nicht in Zeyndas Beziehungen einmischen. Ich bin froh, dass sie endlich begonnen hat, sich für das andere Geschlecht zu interessieren und mich nicht mehr als Ausrede benutzt, sich von Männern fernzuhalten. Trotzdem werde ich sie nicht dazu zwingen zu heiraten, nur um eine Allianz mit einem Clan zu bilden. Mein Vater …“

„Ist tot“, konterte Barrique unbarmherzig. „Er starb durch Eure Hand, weil er ebenfalls glaubte, auf Dauer alleine regieren zu können!“

Wütend funkelte Cruth den Kobold an. „Das ist nicht dasselbe! Ich liebe Zeynda.“

„Dennoch erkennt Ihr sie nicht als Eure Tochter an, um nicht zu altern. Erinnert Euch, mein Fürst. Ihr habt stets Groll gegen Crothar empfunden, weil er sich weigerte, Euch Sohn zu nennen.“

Cruth straffte sich. „Wie ich schon sagte, das ist nicht dasselbe. Zeynda weiß, dass sie meine Tochter ist, und dass ich sie ebenso sehr liebe, wie ich Nerey liebte. Solange sie sich nicht gebunden hat, muss ich am Leben bleiben. Sie benötigt meinen Schutz.“

„Ihr meint jene Tochter, die sich vom Studium ihrer Bücher direkt dem waffenlosen Kampf zugewandt hat? Das Mädchen, das Kraft seiner Gedanken einen Baum entwurzeln kann und eine schärfere Zunge besitzt, als es Schwerter in diesem Haushalt gibt?“ Barrique schaffte es tatsächlich, eine Braue zu heben und damit Cruth zu imitieren, während er gleichzeitig die Ärmchen vor der Brust verschränkte. „Oder sprechen wir hier von einer anderen Tochter, die Ihr mir verschwiegen habt? Das Mädchen ist eine Kriegerin. Sie befehligt doch schon jetzt Eure Elitetruppen!“

Cruth knurrte. Seine Säbel schossen hervor. Kurz bevor er nach Barrique schnappte, hielt er sich zurück. Der Kobold sprach ja die Wahrheit. Zeynda war stark. Stärker als ihre Eltern. Das Blut ihres Großvaters musste in ihren Venen pulsieren. Trotzdem blieb sie sein kleines Mädchen. Er musste sie doch beschützen!

Vielleicht sah man ihm seine Gefühle an, denn Barrique wurde mit einem Mal weich. „Ich weiß doch, was Ihr empfindet, mein Fürst. Wir alle lieben Zeynda. Ihr sollt sie auch nicht zwingen, sich für einen Mann zu entscheiden, aber ein Schubs in die richtige Richtung könnte Wunder wirken. Kommt dazu noch Eure Anerkennung, könntet Ihr in Ruhe altern und Eure Gefährtin in einigen Jahren an einem besseren Ort wiedersehen.“

Die Weisheit in Barriques Worten drang zu Cruth durch, sodass er sich nicht länger dagegen verschließen konnte. Er würde sich die Sache durch den Kopf gehen lassen und eine Entscheidung fällen. Morgen. Nicht heute. Heute hatte er Wichtigeres zu tun.

„Vielleicht sollte ich dich zu meinem Kanzler ernennen, Barrique.“

Der Kobold wurde blass. „Mich mit anderen Bestien herumärgern, nur, damit Ihr das nicht tun müsst? Mögen mich die Altehrwürdigen davor bewahren. Mit Euch habe ich schon genug zu tun!“

Er wandte sich zum Grabhügel um und kniete sich vorsichtig davor nieder. Deutlicher konnte er nicht zeigen, dass er diese Unterhaltung beenden wollte. Es gab auch nichts mehr, was sie zu dem Thema zu besprechen hatten.

Ohne Kommentar ließ Cruth ihm sein Verhalten durchgehen und trat an ihm vorbei, um die Blumen niederzulegen. Seine Gedanken huschten zu Nerey und plötzlich wusste er, dass seine Gefährtin dem Kobold zustimmen würde. Gleichwohl kam ihm aber auch der Verdacht, dass sie die Vorstellung von Barrique als Kanzler genießen würde. Sie hatte die unbestechliche Ehrlichkeit des Grünen immer gemocht.

 

*

 

Sie nannten sich Krieger, dabei waren sie nur eine Ansammlung abgerissener Gestalten mit schlecht sitzender Kleidung, stumpfen Waffen und zu viel Alkohol. Nur wenige der Männer konnten sich Lederrüstungen leisten. Die meisten trugen ihre gewöhnlichen Bauerngewänder, die keinem noch so zaghaften Angriff standhalten würden. Sie hielten ihren Hass hoch wie ein Kriegsbanner, doch das war auch schon alles, was sie ausmachte. Keinem von ihnen war zuzutrauen, dass er ihre Gruppe tatsächlich in jene Schlacht führte, nach der sie sich benebelt von Met, Ale und anderen hochprozentigen Getränken so sehr sehnten.

Im Augenblick diskutierten sie darüber, was sie mit den Bestien tun würden, wenn sie sie erst einmal überrannt und niedergemetzelt hatten. Dass es dazu nie kommen würde, verdrängten sie erfolgreich. Ihnen war ganz offensichtlich nicht klar, dass ein einzelner Bestiengegner die Waffen mehrerer Menschen aufwog. Dass ein Schlag mit einer Klaue gleich drei oder vier Kehlen zerfetzen konnte, und dass die Reichweite eines Bestienarms deutlich größer war als die von einem Menschen.

Der Schatten beobachtete all dies von seinem Platz in der Menge aus. Er trank und aß mit diesen Rebellen, denen nicht bewusst zu sein schien, wie viel sie den Bestien verdankten. Ohne deren Einmischung bestünden ihre Werkzeuge ebenso wie ihre Waffen immer noch aus Stein und Holz. Zwar kamen die technischen Errungenschaften aus Scáthgard nur in kleinen Tropfen in die Welt der Menschen, aber nur, weil sonst zu befürchten stand, dass ein Übermaß an Wissen mehr schadete als nutzte. Fast unmerklich, aber stetig, stieg der Lebensstandard der Menschen.

Während der Schatten über all das nachsann, bemerkte er unter den Gröhlenden einen einzelnen blonden Mann, der ebenso ruhig dasaß wie er. Auf seinem Gesicht lag ein nachdenklicher Ausdruck, den der Schatten interessiert registrierte. Vielleicht hatte er sich ja darin getäuscht, dass es niemanden gab, der Führungskraft beweisen konnte.

Der Blonde nahm einen Schluck aus seinem Becher, nickte, wenn er angesprochen wurde und antwortete. Er lächelte nicht. Auch schien er kein Interesse daran zu haben, sich mit den anderen zu ereifern. Hin und wieder neigte er den Kopf, wenn einer der Anwesenden einen Vorschlag machte, der nicht ganz aus der Luft gegriffen schien.

Die Lippen des Schattens verzogen sich zu einem Lächeln. Endlich hatte er den einen unter Tausenden gefunden. Dieser Mann würde sein Werkzeug sein, die Hand, die dafür sorgte, dass sich die Zukunft so entwickelte, wie er es plante: ein Ende der Herrschaft von Cruth.

Der Schatten leerte seinen Becher, stand geschmeidig auf und schlängelte sich an den Betrunkenen vorbei. Niemand beachtete ihn. Das war sein Geheimnis, er passte sich perfekt an, um unerkannt zu bleiben. Weder seine Kleidung noch sein Äußeres ließen einen Rückschluss darauf zu, wer er war oder zu welcher Fraktion er gehörte. Das musste niemand wissen. Das Einzige, das zählte, war, dass sie alle dasselbe Ziel hatten.

Er erreichte den Tisch des Blonden, als dessen Gegenüber mit dem Kopf auf die Tischplatte schlug. Das Odeur von schalem Bier schlug dem Schatten entgegen, doch er bemühte sich, nicht das Gesicht zu verziehen. Je weniger Gefühlsregungen er zeigte, desto seltener erinnerte man sich an ihn. Kurzerhand schob er den Betrunkenen zur Seite und nahm dessen Platz ein.

Der Blonde sah ihn nur kurz an, dann wandte er den Blick ab und konzentrierte sich auf seinen Becher, was dem Schatten besonders gefiel. Dieser Mann war der geborene Beobachter. Jetzt blieb nur herauszufinden, ob er leicht zu lenken war.

Mit einer Geduld, die er im Innersten nicht empfand, verschränkte der Schatten die Finger auf der Tischplatte. Er sagte nichts. Er tat nichts. Er wartete nur. Irgendwann würde der Blonde ihn ansprechen.

Als es soweit war, fühlte sich der Schatten wie eine Bogensehne, die kurz vor dem Reißen stand.

„Was willst du?“, knurrte der Blonde und stellte seinen Becher vorsichtig auf den Tisch. Eine Hand glitt unter die Platte, wo er vermutlich nach einem Messer tastete.

„Nur den Abend in angenehmer Gesellschaft verbringen.“ Die Erwiderung des Schattens klang doppeldeutig. Er wollte herausfinden, wie schnell der Mann aus der Haut fuhr. Einen Heißsporn konnte er für sein Vorhaben nicht gebrauchen. Davon gab es in diesem Raum genug. Was er benötigte, war ein Anführer.

„Such dir für deine Neigungen einen anderen, Mann, bei mir bist du falsch.“

Der Schatten lächelte sein falsches Lächeln. „Ich glaube nicht, dass wir von derselben Sache sprechen, mein Freund. Ich suche nach einem Mann, der seinen eigenen Verstand gebrauchen kann und sich nicht sinnlos volllaufen lässt wie der Rest hier. Ich suche nach einem Mann, der bereit ist, Worten Taten folgen zu lassen. Kein Mann, der nur daran denkt, sich an einen warmen Leib zu schmiegen, wenn er weiß, dass seine Familie in Gefahr schwebt. Ich suche einen Macher, der bereit ist, all die Dinge zu tun, von denen diese Narren hier nur reden.“ Der Schatten senkte den Kopf und starrte den Blonden intensiv an. „Wenn dir diese Neigung nicht zusagt, dann bist du hier vermutlich falsch, oder?“

Der Blonde schluckte. Sein Adamsapfel bewegte sich hektisch auf und ab. Als er endlich die Sprache wiederfand, kämpften Zweifel und Neugierde in seinen Augen.

„Wer bist du?“

Der Schatten zeigte ihm die Handflächen, ohne die Hände groß zu bewegen, denn jede Regung würde sich ins Gedächtnis des Mannes graben wie ein Wurm in feuchten Boden. „Nur ein Freund, der zufälligerweise dieselben Interessen hat wie alle anderen hier.“

„Wir alle wollen die Bestien aus dieser Welt vertrieben wissen. Was ist an dir so anders, dass du meinst, mich ansprechen zu müssen?“

Der Schatten kicherte böse und hinterhältig, dass es einem Schauder über den Rücken trieb; ein beabsichtigter Vorgang, der nicht seine Wirkung verfehlte, wie er zufrieden feststellte. „Ich bin hier nicht der Besondere, sondern du.“

„Du kennst mich doch gar nicht.“

„Nun“, er zwinkerte, „dann wird es vielleicht Zeit, genau das zu ändern. Fangen wir mit etwas Leichtem an: Wie ist dein Name?“

„Jokas.“

Der Schatten nickte. „Ein guter Name. Der Name eines Anführers.“

Das gefiel Jokas, der Schatten sah es ihm an. „Und wen, wenn ich fragen darf, soll ich anführen?“

„Alle, die bereit sind, sich dir anzuschließen.“

 

 

 

2. Kapitel

 


Etwas zu verlieren, das man nie haben wollte, wiegt erst dann schwer, wenn man erkannt hat, wie viel es einem doch bedeutet hat.

Aus: Cruths Tagebuch, Datum unbekannt

 

Heißer Schmerz fraß sich wie glühendes Eisen durch sein Innerstes. Daeon hob den Kopf. Witterte. In der Luft hing der Gestank von Feuer, verkohlten Leichen und Blut. Die Schreie der anderen waren längst verstummt. Nur noch das leise Wimmern seiner Schwester und das immer wiederkehrende Keuchen seiner Mutter waren noch zu hören. Sein Herzschlag donnerte laut und dennoch konnten Mann und Bestie die Angreifer hören. Bald schon würden sie kommen, um auch die Letzten seiner Familie zu holen und umzubringen.

„D-du musst deine Schwestern beschützen“, brachte Sassa atemlos hervor.

Er sah sie an. Ihr schönes Gesicht war schmerzverzerrt. Ihre Klauen hatten das Bettzeug, auf dem sie lag, zerfetzt. An ihrem Kopf kauerte seine kleine Schwester Nemes, die Augen weit aufgerissen vor Angst, das struppige dunkelblonde Haar zerzaust. Aus ihrem Kiefer hingen dünne Säbelzähne, mit denen sie keinen großen Schaden anrichten konnte. Dazu war nur Daeon in der Lage, der die beiden in letzter Minute davon hatte abhalten können, das mit Gift versetzte Essen zu sich zu nehmen. Nachdem er mit angesehen hatte, wie sein Vater und seine Brüder, die in der großen Halle gegessen hatten, daran verreckt waren.

Es war purer Zufall, dass Daeon noch lebte. Er war als Bestie nachhause gekommen und hatte sich in Menschengestalt verwandelt, um an den Feierlichkeiten teilzunehmen. Als er bemerkte, dass seine Mutter fehlte, hatte er nach ihr gesehen. Sie fühlte sich zu unwohl, um mit den anderen zu feiern. Die Geburt stand kurz bevor, und der vorherrschende Trubel anlässlich dieses Ereignisses war zu viel für die werdende Mutter.

Die Übelkeit nach der Wandlung hatte Daeon davon abgehalten, ebenfalls etwas zu sich zu nehmen. Er hatte mit seinen Freunden und Brüdern am Tisch gesessen, gescherzt und gelacht. Als er endlich begriff, was vor sich ging, war es bereits zu spät. Freunde, Verwandte und Bekannte starben rings um ihn herum, ohne dass er etwas dagegen hätte tun können. Ihre Schreie gellten in seinen Ohren. Er roch noch immer das Erbrochene, als sie versuchten, das Gift loszuwerden.

Ohne nachzudenken, war er zurück in Sassas Gemächer gehastet und hatte sie daran gehindert zu essen oder zu trinken.

Seitdem war etwa eine Stunde vergangen. In der Zwischenzeit waren die Feinde aufgetaucht. Daeon, der nur kurz das Zimmer verlassen hatte, um nach dem Rechten zu sehen, hatte sie entdeckt, als sie wie eine Plage in die Haupthalle strömten. Sie brachten Feuer und Schwerter mit sich. Jedem Schwarzsteiner, der sich noch rührte, schlugen sie den Kopf ab. Die Leichen brachten sie nach draußen und zündeten sie an.