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1. Auflage 2015

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Redaktion: Antje Steinhäuser

Umschlaggestaltung: Kristin Hoffmann

Umschlagabbildung: Mauritius Images/dieKleinert

Satz: Alexandra Noll, München; EDV-Fotosatz Huber/Verlagsservice G. Pfeifer, Germering

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

ISBN Print 978-3-86883-626-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86413-779-2

ISBN E-Book (Epub und mobi) 978-3-86413-780-8

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Inhalt

Einleitung

Die Abstammung

Von Anfang an …

Ein neues Leben in München

Von BR und ZDF

Der Wechsel zu den Privaten

Die Michael-Born-Affäre

Hertha BSC, eine Herzensangelegenheit

Die Familie wird größer …

SKL und der Abschied vom ZDF

WWM – Wer wird Millionär?

Jauch macht die Schanze

i&u TV

Gesicht und Stimme der best brand

Hochzeit

Jauch wird (nicht) Christiansen

Von Denkmalpflegern und Bauverwaltung

6! Setzen … der Lehrer und Papa

Die Weisheit der Vielen & 5 gegen Jauch

Jauch und die ARD

Der Weinberg

Das Ende von Jauchs stern TV & der Werbung

Die Sendung Günther Jauch

Die Regenbogenpresse

Jauch und Gottschalk gegen alle

WWM feiert Geburtstag

Und was kommt dann?

Anhang

Quellen

Einleitung

Niemand vereint so viele unsexy Attribute auf knapp zwei Metern und hat gleichzeitig derart Schlag bei den Frauen wie Günther Jauch. Wie er das macht, hat sich wohl auch Thomas Gottschalk gefragt, der es nicht fassen konnte, dass der große Schlaksige einst bei der Wahl der schönsten Fernsehmänner des Landes vor ihm landete. Mit diesem Kinn! (Nicht zu vergessen mit diesen Zähnen, möchte man hinzufügen.) Was ist es also, was diesen Mann so anziehend macht? Was betört ebenso die Damenwelt, wie es die Männer amüsiert? Und wie schafft er es, gleichzeitig so glaubwürdig, so kompetent und seriös zu wirken, dass er nicht nur der beliebteste Moderator und der beliebteste Deutsche ist, sondern ihn 49 Prozent aller Bundesbürger für einen denkbaren Kanzler oder Bundespräsidenten halten?

Ein wenig widersprüchlich ist es schon: dass es sich dabei um einen Mann handelt, der die Eleganz eines hoch aufgeschossenen Konfirmanden hat, der noch nicht weiß wohin mit seinen viel zu langen Gliedmaßen. Auch Albatrosse, die lange Strecken flügelschlagend über das Wasser laufen müssen, um abzuheben, kommen einem in den Sinn – vermutlich verhält es sich aber mit Günther Jauch wie mit einigen anderen ungeschickt wirkenden Tieren, und im Wasser bewegt er sich anmutig und elegant.

Was dem Mann mit diesem Kinn nun den gewissen Reiz verleiht, hat mit seiner Physiognomie wenig zu tun. Es ist vielmehr eine Kombination verschiedener Zutaten, die diesen Sex-Appeal der Unscheinbaren ausmachen:

Da ist zum einen die Machtposition in seiner Parade-Sendung Wer wird Millionär?, in der sich Kandidaten schwitzend auf dem Drehstuhl winden und darum bitten, dass ihnen dieser nette und gleichzeitig distanzierte Brillenträger doch bitte, bitte helfen möge. Dies alleine ist unter soziologischen Gesichtspunkten schon eine Stellung, in der man zu ihm aufsehen kann. In Kombination mit der Unberechenbarkeit, ob der »netteste aller Sadisten«1 den Kandidaten nun helfend auf den richtigen Weg bugsiert oder ihn mit treuherzigen Fragen von ebenjenem abbringt, wird daraus die ideale Voraussetzung für ein ausgewachsenes Stockholm-Syndrom – bei Kandidat und Zuschauer.

Gleichzeitig empfinden wir ihn als »einen von uns«, einen Normalo, keinen abgehobenen Showstar. Gerade dass er nicht dem gängigen Schönheitsideal entspricht, bringt ihn uns näher, und der eine oder andere Makel (diese Zähne!), der nicht korrigiert wird, verbrüdert sich mit unserer Cellulitis, unserem Bierbauch oder unserem Haarausfall. Das Wort Sympathie kommt von griechisch »sym/syn = mit« und »pathos = Leiden, Gefühl«, und so ist uns eben derjenige besonders sympathisch, mit dem wir mitfühlen. Der hat komische Zähne? »Das kenn ich, bei mir ist die Nase schief!«, so ähnlich muss man sich das vorstellen. Wäre dieser reizende Mann mit einem perfekten Aussehen gesegnet, würden wir uns eher freuen, ihn in einem Fernsehformat zu sehen, in dem er ordentlich, wenn auch bildlich, auf die Nase bekommt. Nein, ein Showstar ist er nicht. Niemand, der einen Brustbeutel trägt, ist ein Showstar. Jauch ist diesem antiquierten Relikt aus der Schulzeit jedoch treu geblieben. Weil ihm als Kind gern mal seine Monatskarte abhandenkam, bekam er den Brustbeutel von seinen Eltern. Praktisch sind die Dinger ja, keine Frage. Dass er ihn inzwischen nicht mehr um den Hals trägt, sondern in die Hose steckt, ist lediglich dem Umstand geschuldet, dass er ein Bild zu sehen bekam, das ihn während eines Interviews zeigt: Da verlieh ihm der volle Brustbeutel unter dem Hemd einen veritablen Ranzen.

Auf Anfrage eines Journalisten vom Hamburger Abendblatt präsentiert er auch, was sich in dem Lederbeutel heute so befindet: Führerschein, Organspendeausweis, ein abgelaufener ZDF-Hausausweis, Taxi-Quittungen, eine Kreditkarte und Bargeld.

Wie einen Teddybären liebe er jeden Brustbeutel ab, sagte Jauch einmal2, und es gibt kaum ein Objekt, das ihn so gut charakterisiert. Jauch, der Mensch gewordene Brustbeutel.

Es ist dieser Hang zum Normalen, der ihn uns ähnlicher erscheinen lässt, als er ist. Er hat keinen Künstlernamen, trägt kein Glitzer, und Urlaub macht er auch nicht auf den Malediven, sondern in Südtirol. Denn Übersee ist ihm zu umständlich. Wir lieben so was.

Zusätzlich hat Günther Jauch diese Gabe des Gefallen-Könnens. Die haben viele Menschen in den unterschiedlichsten Berufen: Die Kellnerin mit den besten Trinkgeldern und die beliebteste Krankenschwester der Station haben diese Gabe auch. Sie ist vor allem nicht gespielt, Jauch muss nicht den sympathischen Moderator spielen, wenn er vor die Zuschauer tritt. Er ist so. Deswegen macht Jauch sein Warm-up selbst, setzt sich während Werbepausen auch mal mit ins Publikum und erscheint stets gut gelaunt auf der After-Show-Party. Ist kein Ding für ihn. Zusammen mit seiner Pose der Treuherzigkeit ergibt das fast eine Einladung, ihn zu unterschätzen. Wären da nicht auch die anderen Seiten:

Wenn wir Jauch näher betrachten, wird klar: Jauch ist gar nicht wie wir. Er ist wie wir, nur in besser.

Was ihn auch für uns einnimmt, ist die leicht angewiderte Haltung gegenüber seinem Arbeitgeber, dem Fernsehen. Er, der selbst sehr selten fernsieht, will nicht in das allgemeine Klagelied einstimmen, das heutige Fernsehen wäre der Untergang des Abendlandes. Schließlich ist es ja der Entscheidung jedes Einzelnen überlassen, was er sich ansieht, und demokratischer geht es fast nicht. Auch wenn die seichten Formate an prominenter Stelle platziert sind und mehr beworben werden: Qualitätsfernsehen gibt es trotzdem, man muss es nur finden.5

Und doch ist ihm anzumerken, dass er dem Medium nicht über den Weg traut.

Wenn er einen Millionärs-Kandidaten fragt, woher dieser eine Lösung wisse, und die Antwort lautet: »Aus dem Fernsehen!«, bekommt Jauch diesen leicht süffisanten Zug um den Mund: »Ach, na dann, dann muss es ja stimmen.« Man könnte ihm in diesem Moment einen leichten Bildungselitarismus unterstellen – wäre da nicht diese endlose Liste an Sympathiepunkten.

Wir fassen kurz zusammen:

Damit ist es auch kein Wunder, dass Jauch als Sexsymbol, Traummann und Schwiegersohn-Wunschbesetzung durchgeht. Dabei ist ein Punkt noch nicht mal angesprochen: Der Mann ist mit geschätzten 40 Millionen auch noch vermögend. Allerdings ist er das auf seine seriöse, stille Art und Weise – deswegen ist er auch vermögend und nicht stinkreich. Jauch – die Antipode der Geissens. Der eine neigt zur Luxusjacht mit goldenen Wasserhähnen, der andere spendet eine Million für die Sanierung der Neptungrotte im Schlosspark Sanssouci. Jeder nach seiner Façon.

Der Umgang mit Geld nimmt oft eigenartige Formen an, wenn derjenige mit dem vielen Geld daran nicht gewöhnt ist, insofern ist Jauch da etwas im Vorteil: Er stammt aus einem alten Hamburger Kaufmannsgeschlecht. Da war das Highlight in den Ferien nicht der Ausflug nach Disneyland, sondern der Besuch auf dem Weingut des Großonkels.


1 Spiegel Reporter Nr. 12, 01.12.2000, S. 18, »Millionen für alle«.

2 Hamburger Abendblatt Nr. 157, 09.07.2001, Günther Hörbst: »Beim Quotenkönig zu Hause«.

3 Spiegel Online, Jahreschronik, 19.12.2001, Peter Stolle.

4 Spiegel Online, Jahreschronik, 19.12.2001, Peter Stolle.

5 Hamburger Abendblatt Nr. 157, 09.07.2001, S. 3, Günter Hörbst: »Beim Quotenkönig zu Hause«.

Die Abstammung

Obwohl (an einem Freitag den 13.) in Münster geboren, in Berlin-Lichterfelde aufgewachsen und mit Potsdam verheiratet, ist die Familie Jauch eigentlich Hamburger Ursprungs: Dort ist Günther Jauch auch im Hamburgischen Geschlechterbuch gelistet, einem 17-teiligen genealogischen Werk, das die Familienlinien der Hamburger Oberschicht enthält.

Günther Jauch erscheint dort als Mitglied des Berliner Unterzweigs und Ururenkel von Johann Christian Jauch jun. (1802-1880). Dessen Vater, Johann Christian Rauch senior, besaß einen Holzgroßhandel, den er mit seinen Söhnen führte. Als zwischen dem 5. und dem 8. Mai 1842 ein großer Brand weite Teile der Altstadt Hamburgs zerstörte, war das Feuer so groß, dass es noch in 50 Kilometern Entfernung zu sehen war Mit dem Wiederaufbau machten die Jauchs ein Vermögen und erwarben das Hamburger Großbürgerrecht, was damals viele Vorteile versprach:

Im Gegensatz zu heute waren Großbürger nicht nur wohlhabend, sondern hatten eine Reihe von Rechten, die den normalen Kaufleuten und Industriellen nicht vergönnt waren, vom gemeinen Volk ganz zu schweigen. So durften Großbürger zum Beispiel umfangreichen Großhandel betreiben und Bankkonten unterhalten. Großbürger konnten in politische Ämter gewählt werden und hatten das freie Jagdrecht der jeweiligen Hansestadt. Um Großbürger zu werden, musste man ein Bürgergeld zahlen, dafür war der Titel des Großbürgers dann vererbbar – die Familie war zu Großbürgern aufgestiegen. Da sich nur wenige dieses Bürgergeld leisten konnten, war der Einfluss dieser wenigen dementsprechend groß. In Hamburg handelt es sich dabei etwa um die Familien: Anckelmann (ausgestorben), Amsinck, Berenberg, de Chapeaurouge, Dittmers, Gaedechens, Godeffroy, Goßler, Hudtwalker, Jenisch, Laeisz, Lütkens, Merck, Mönckeberg, Moller vom Baum, Münchmeyer, Mutzenbecher, O’Swald, von Ohlendorff, Parish, Schramm, Schröder, Seyler, Sieveking, Sloman, Stammann, Stürken und: Jauch.

Johann Christian Jauch junior erwarb 1846 im Rahmen einer Versteigerung das Gut Wellingsbüttel, ein ehemaliges Rittergut mit einem prächtigen Herrenhaus, in dem schon die Erzbischöfe Bremens sowie König Friedrich VI. von Dänemark und Norwegen gelebt hatten. Anfang des 19. Jahrhunderts war es außerdem Sitz des Herzogs Friedrich Karl Ludwig von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Beck, welcher der Ahnherr nahezu sämtlicher europäischer Königshäuser des 20. Jahrhunderts war. Die Jauchs vergrößerten das Anwesen, bis die Ausdehnung des Guts von 110 Hektar auf 250 Hektar angewachsen war, und um das Jagdgebiet noch etwas zu vergrößern, pachteten sie kurzerhand das Naturschutzgebiet Duvenstedter Brook von 785 Hektar dazu und setzten dort Fasane aus. Zusammen mit dem angelegten Hirschgarten wurde dies zu einem beliebten Ausflugsziel der Hamburger und zum Schauplatz großer Jagden und gesellschaftlicher Ereignisse für die Oberschicht. (Nicht, dass das Stadthaus der Jauchs am Stadtteich in Hamburg weniger Zulauf erfahren hätte – dort hatten die Jauchs einen Bärenzwinger bauen lassen …)

Wellingsbüttel erlebte zu dieser Zeit seine Blüte und wurde zum Mittelpunkt hanseatischer Lebensart. Gleichzeitig war Johann Christian Jauch junior aber auch für seine Mildtätigkeit bekannt, er baute das Armenhaus in Wellingsbüttel, und die Stadtvilla wurde später zum »Heim für ältere Männer«. Er und seine Frau Margaretha hatten sechs Kinder, darunter Carl Robert Jauch, den Urgroßvater von Günther Jauch, der später das Gut Krummbeck bei Oldesloe erwarb. Eines von dessen Kindern, drei an der Zahl, war der Großvater von Günther Jauch, Johannes Franz Friedrich, der noch auf Gut Wellingsbüttel geboren wurde und dort seine Kindheit und auf Krummbeck seine Jugend verbrachte. Später verkaufte Carl Robert Wellingsbüttel (1888) und auch Gut Krummbeck (1895), um sich fortan in Hamburg als Privatier seinen ehrenamtlichen Tätigkeiten zu widmen.6 Sein Sohn Johannes Franz Friedrich Jauch, genannt Hans Jauch, war ein begeisterter Jagdreiter und besuchte das Königlich-Preußische Militärinstitut in Hannover, die seinerzeit beste Militärreitschule. Während dem Ersten Weltkrieg wurden ihm das Eiserne Kreuz, I. und II. Klasse, das Hanseatenkreuz und das Ritterkreuz mit Schwertern des Königlichen Hausordens von Hohenzollern verliehen, und er wurde Freikorpsführer und Major. Hans Jauch war katholisch und sehr religiös und einer der wenigen Freikorpsführer, die sich nach Ende des Ersten Weltkriegs zur Zeit der Weimarer Republik keinem Wehrverband oder der NSDAP anschlossen. Er besaß eine Zementfabrik und war Mitglied in einem Reitverein, trat aus diesem jedoch aus, als die Reiter dem berittenen Zweig der SA angeschlossen wurden. Auch wurde die Familie von Nationalsozialisten angeprangert, weil sie trotz Verbots in jüdischen Geschäften kaufte.

Als Kommandeur im Zweiten Weltkrieg wurde er im Mai 1942 von der Front in das Kriegsgefangenenlager VI F in Bocholt abkommandiert, also nach Hause geholt. Eine gängige Praxis, wenn die Söhne im Dienst der Armee vermisst oder gestorben waren. Von Hans Jauchs vier Söhnen, alles Artillerie-Offiziere, waren zwei bereits gefallen, einer vermisst, und einer wurde mehrmals schwer verletzt.

Im Stammlager in Bocholt war Hans Jauch ein Kommandant, der sich für ein menschenwürdiges Dasein der Kriegsgefangenen einsetzte. 1944 beendete er als Oberst seinen Dienst, im gleichen Jahr, in dem Heinz Bello, ein enger Freund seines Sohnes, als katholischer Märtyrer in Berlin hingerichtet wurde, weil er im Juli 1943 während eines Luftschutzdienstes gesagt hatte: »Die Laternenpfähle Münsters reichen nicht aus, die Nazis und die Kommissköpfe daran aufzuhängen« – und denunziert wurde.

Im sogenannten Krupp-Prozess, einem der Nachfolgeprozesse der Nürnberger Prozesse, war Hans Jauch Zeuge der Verteidigung, da die Kriegsgefangenen des Lagers VI F als Zwangsarbeiter bei Krupp arbeiteten, was Jauch kritisierte. Nach dem Zweiten Weltkrieg engagierte sich Hans Jauch als Vorsitzender im Offiziersverein, als Vorsitzender im neuen Reitverein, im Kirchenvorstand und im Kirchbauverein.

Verheiratet war Hans Jauch mit Elsa von Othegraven aus dem Geschlecht der Othegraven, einem ursprünglich edelfreien Geschlecht aus dem deutsch-belgisch-niederländischen Grenzgebiet, deren Vorfahren bis ins Jahr 1375 zurückverfolgt werden können. Zu den Othegravens gehört Karl Thomas von Othegraven (1769–1844), ein preußischer Generalleutnant und Ritter des Pour le Mérite mit Eichenlaub (neben dem Orden vom Schwarzen Adler der bedeutendste Orden, der in Preußen vergeben wurde). Karl Thomas von Othegraven hat es vor lauter Kriegsehren sogar zu einem eigenen Heldengedicht geschafft:

Othegraven, der Kühne

Dort Brandenburger, dort prahlt der Feind!

Geschlossen in mächtiger Säule;

Auf denn, ihr Burschen, wer’s redlich meint,

Der mache die Kolbe zur Keule,

Und brecht in die Reihen mit Sturmesmacht,

Denn heut’ ist die große Franzosenschlacht!

Der Führer spricht es, der Othegrav,

Und zittern vernahmen’s die Franken;

Die Brennen stürmen so treu und brav,

Zu brechen die feindlichen Schranken;

Doch ohne zu weichen die Welschen steh’n. –

Hier muß eine Sempacher That gescheh’n

Das Rächerschwert in getreuer Hand

Ruft Othegraven, der Kühne:

»Heut gilt’s für König und Vaterland!

Auf, Brüder, zur blutigen Sühne!

Es folge ein Jeder, der’s ehrlich meint!«

Er ruft es und stürzet sich in den Feind.

Und mit ihm Meja, der tapf’re Held,

Und mit ihm Meja, der tapf’re Held,

Aus edlem schlesischen Blute,

Und ob durchstochen er niederfällt,

Doch kämpft er mit eisernem Muthe

Und als sie gebrochen die blutige Bahn,

Da ward die preußische Schlacht gethan.

Denn dicht umschlossen, im Ring’ gepreßt,

Verzagen die Welschen am Leben,

Die Preußen feiern der Rache Fest,

Quartier wird Keinem gegeben,

Und freudig versühnet der deutsche Muth

Den zürnenden Himmel mit welschen Blut’.

Da rauschet stolzer zur Oder hin

Die Katzbach mit blutigen Wellen,

Und neu erfrischet sich der Wiesen Grün

An jenen heiligen Stellen,

Wo Vaterlands-Retter im Männerstreit’

Von fremden Verderbern das Land befreit.7

Zuvor erwähnte schon Theodor Fontane die Schlacht, die ausschlaggebend für den Sieg über Napoleon in der Schlacht an der Katzbach war, der Pathos eines Heldengedichts aber widerstrebte ihm, sodass er Othegraven kurzerhand in seinem ersten Roman Vor dem Sturm in einen Konrektor verwandelte und ihn von einem französischen Erschießungskommando zu Tode kommen ließ.

Es folgten weitere hochdekorierte Herren von Othegraven, Militärs, eine Äbtissin, ein Komponist und wie in jeder Familie einer, bei dem es nicht so läuft: Hugo Eugen Friedrich Maria von Othegraven, ein Maler und Afrikaforscher, der dadurch berühmt wurde, dass sein in der Wohnung lebender Leopard das Portierskind fraß. Ein Spross dieser Familie war Elsa von Othegraven, ihrerseits verheiratet mit dem großen Hans Jauch.

Sie hatten insgesamt sechs Kinder.

Der jüngste der vier Söhne, nämlich der im Zweiten Weltkrieg mehrmals schwer verletzte Ernst-Alfred, ist der Vater von Günther Jauch.

1920 in Wesel geboren, macht Ernst-Alfred 1939 das Abitur am Staatlichen Humanistischen Gymnasium in Wesel. Dort freundet er sich mit seinem Klassenkameraden Heinz Bello an. Beide kommen aus einem religiös geprägten Umfeld, und beide sind aktiv in einem Verband der katholischen Jugendbewegung, dem Bund Neudeutschland.8 Jauch wie auch Bello wurden, wie damals üblich, zum Reichsarbeitsdienst und zum Wehrdienst eingezogen. Trotz schwerer Verletzungen konnte Ernst-Alfred Jauch 1943 anfangen, Germanistik, Geschichte und Philosophie zu studieren. Nur ein Jahr später, im Juni 1944, wurde Heinz Bello auf dem Schießstand Berlin-Tegel durch ein Hinrichtungskommando der Wehrmacht erschossen.

1949 besteht Ernst-Alfred Jauch das Staatsexamen in Philologie und promoviert 1951, mit 31 Jahren, zum Dr. phil. Im Anschluss beginnt er, sich als Journalist zu etablieren, heiratet, und 1956 kommt sein erstes Kind zur Welt. Es ist ein Sohn, und er nennt ihn nach seinem Bruder, der nur ein Jahr jünger war als er und der im Jahr 1942 mit nur 23 Jahren im Zweiten Weltkrieg gefallen war: Günther.

Im gleichen Jahr bekommt Ernst-Alfred Jauch eine Stelle als Ressortleiter Politik bei den Westfälischen Nachrichten in Münster, und drei Jahre später zieht die Familie nach Berlin, wo der Vater ab 1962 als Berliner Korrespondent für die KNA, die Katholische Nachrichten-Agentur, arbeitet, wiederum drei Jahre später ist er Leiter des Landesbüros Berlin und soll dies für die nächsten 20 Jahre bleiben.

Die Katholische Nachrichten-Agentur ist die größte und leistungsfähigste katholische Nachrichtenagentur in Europa, von der laut eigener Aussage mehr als 60 Prozent der Tagespresse, die gesamte Bistums- und Kirchenpresse, zahlreiche Magazine, Rundfunk- und TV-Anbieter sowie Internet-Redaktionen täglich Material beziehen. Die Agentur berichtet über kirchenpolitische Vorgänge im In- und Ausland, ethische, sozialpolitische und kulturelle Fragen. Mehrheitsgesellschafter ist der Verband der Diözesen Deutschlands.

Ernst-Alfred Jauch geht in seiner Tätigkeit für die KNA auf. Unter seiner Leitung erscheint ein täglicher Dienst in Berlin, er legt ein Archiv über Kirche und Staat in der DDR an und 1968, während andere kiffen und die freie Liebe propagieren, organisiert Ernst-Alfred den Weltkongress der Weltunion der Katholischen Presse UCIP (heute: ICOM) in Berlin. Er kennt sich aus mit der Kirche im Osten und wird zu einem der bekanntesten katholischen Journalisten – nicht nur in Deutschland: Aufgrund seines Engagements in der Zusammenarbeit mit kirchlichen Organisationen in Polen bekommt er für seine Bemühungen um die Aussöhnung mit Polen 1971 das Bundesverdienstkreuz verliehen und 1985 die silberne Hedwigsmedaille, die höchste Auszeichnung des Erzbistums Berlin.

Eine der Fragen, die man sich an dieser Stelle stellen könnte, ist: Was tut das alles zur Sache? Was nützt das Ausbreiten eines Stammbaums bis ins 17. Jahrhundert? Es geht um zwei Dinge. Zum einen wird einem recht eindrücklich die Fallhöhe bewusst, wenn man sich den Hintergrund eines Günther Jauch ansieht und den von, um beim Beispiel zu bleiben, einem illustren Paar wie den Geissens, die noch vermögender und ebenfalls prominent sind. Allein dieser Hintergrund macht es unvorstellbar, dass Günther Jauch beim Betreten eines Hotels auf Sylt seine Frau in die Seite haut und dröhnt: »Boah, is dat schick hier. Kumma, die Türklinke!« So wie Carmen Geissen ihrerzeit. Man kann sich noch nicht einmal vorstellen, dass Günther Jauch irgendjemanden kennt, der Carmen heißt. Zum anderen erklärt es die Haltung des Moderators gegenüber dem Fernsehen, diesem niederen Medium, mit dem er zwar sein Geld verdient und das er benutzt, das aber nie diese Macht über ihn hat wie über andere Prominente.

Und noch etwas wird klar: Günther Jauch ist nicht das bejubelte VIP-Mitglied der Familie. Während die große Mehrheit der Väter trunken vor Stolz mit einem Sohn, der als einer der beliebtesten Deutschen überhaupt gilt, prahlen würde, lässt ein Ausspruch von Ernst-Alfred Jauch dessen Ansicht über den Beruf seines Sohnes erahnen: Er verstehe zwar nicht, was Günther macht, aber es werde wohl gut bezahlt. Kein Mensch wisse, warum.

Etwas derart Unnützes wie Unterhaltung hat wohl kein Spross der Familie je gemacht. Sogar der Vorfahre mit dem Leoparden war wenigstens Forscher. Für den jungen Günther Jauch mag das Abwenden von den väterlichen Vorstellungen noch Teil der Revolution und Spaßfaktor in einem gewesen sein, mit zunehmendem Alter macht ihm, wie vielen, die Nutzlosigkeit seiner Arbeit zu schaffen. »Ich bin«, sagte er einmal im Interview mit dem Spiegel, »der Jürgen Möllemann meiner Familie. Ich mache viel Wind und bewege nichts.«9

So stolz Günther Jauch zumindest selbst auf sich sein könnte, er ist im Netz seiner eigenen hohen Ansprüche gefangen. Zum Ausgleich und konform seiner Überzeugung schafft er sich daher als Wohltäter andere, sinnvolle Wirkstätten.

Die unterschwellige Geringschätzung seiner Arbeit, die immer wieder aus Anspielungen herauszuhören ist, wenn er sich etwa selbst als »Clown« bezeichnet10, hat auch zur Folge, dass Günther Jauch nie Angst vor der Instanz Fernsehen hatte. Während 90 Prozent der Bevölkerung vor einer Kamera das Stottern anfangen und einen hochroten Kopf bekommen, verschafft ihm seine latente Verachtung eine lässige Art – sofern man bei Günther Jauch von lässig sprechen kann. Sagen wir gelassen. Und zwar von Anfang an.


6 Wellingsbüttel ist heute ein Villenvorort von Hamburg.

7 Verfasst von Friedrich Wilhelm von Chappuis (1793–1869), einem preußischen Generalmajor und Dichter, der unter Othegraven diente.

8 Die Vereinigung überdauerte den Zweiten Weltkriegs knapp und begann nach 1945, wieder aktiv zu werden, heute ist der Bund Neudeutschland gemeinsam mit dem ehemaligen Heliand-Mädchenkreis der Jugendverband KSJ, die Katholische Studierende Jugend.

9 Spiegel Online Jahreschronik, 19.12.2001, Peter Stolle: »April: Ein Mann für jede Fernsehzeit«.

10 Der Tagesspiegel Nr. 19678, S. 14, »Altgriechisch im Grünen«.