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FUSSBALL - IQ

Dinge, die clevere Spieler tun

Spielsituationen lösen

DAN BLANK

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Vollständige E-Book-Ausgabe der im Copress Verlag

erschienenen Printausgabe (ISBN 978-3-7679-0923-6).

Erstmals erschienen 2015 unter dem Titel

„Soccer IQ. Things That Smart Players Do“

Text und Illustrationen © 2012 by Dan Blank

© 2015 der deutschen Ausgabe:

Copress Verlag in der

Stiebner Verlag GmbH

www.copress.de

Übersetzung aus dem Englischen: Werner Roller

Redaktion: Julia Niehaus, Berlin

Layout (Printausgabe): Dirk Brauns, Berlin

Covergestaltung: Pierre Sick

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Buch darf nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung des Copyright-Inhabers vollständig bzw. teilweise vervielfältigt, in einem Datenerfassungssystem gespeichert oder mit elektronischen bzw. mechanischen Hilfsmitteln, Fotokopierern oder Aufzeichnungsgeräten bzw. anderweitig weiterverbreitet werden.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

ISBN 978-3-7679-2032-3

Für Izzy

Inhalt

Vorwort

Einleitung

1.Der Heilige Gral

2.An Ort und Stelle spielen

3.Der unmögliche Pass

4.Zuspielwinkel und Einfühlungsvermögen

5.Ballannahme mit dem richtigen Fuß

6.Zuspiel auf den richtigen Fuß

7.Lupfer bei schmalem Zuspielwinkel

8.Die Drei-Schritte-Regel

9.Besser als quer

10. Drei Fragen

11. Der Zeitzünder-Pass

12. Initiative zeigen

13. Das nicht zu gewinnende Laufduell

14. Zwei Läufe

15. Braucht mich der Mitspieler?

16. Die Schnittstellen

17. Der Ball in den Rücken der Abwehr

18. Das flache Ende

19. Keine halbherzigen Befreiungsschläge

20. Das dümmste Foul der Welt

21. Ballkontrolle

22. Mit der Pike

23. Die funktionslose Mauer

24. Einwürfe

25. Den Ball abschirmen

26. Der letzte Mann setzt sich niemals einem Tackling aus. Niemals!

27. An der ersten Angriffswelle vorbeikommen

28. Den Ball schnell wieder ins Spiel bringen

29. Kopfbälle selbst einschätzen

30. In den Augen des Gegners lesen

31. Die einleitende Körpertäuschung

32. Das (un)gefährliche Spiel

33. Aufpassen nach dem Elfmeter

34. Mit Verstand verteidigen

35. Mein Ball, dein Ball, ihr Ball

36. Nach innen ziehen

37. Das Radargerät einstellen

38. Elfmeter herausholen

39. Den Ball im Spiel halten

40. Einwürfe sind nicht so toll, wie du denkst

41. Die Jagd nach Abprallern

42. Ködertaktik

43. Falsche Zuordnung bei Abschlägen, Abstößen und Eckbällen

44. Hin- und Herpassen unterbinden

45. Gegen einen mörderischen Wind spielen

46. Mit Rückenwind spielen

47. Regenspiele

48. Das Rote-Karten-Phänomen

49. Eindrucksvoll jubeln

50. Das Spiel mit der Zeit, wenn man führt

51. Das Spiel mit der Zeit für Torhüter

52. Das Spiel gegen die Zeit, wenn man im Rückstand ist

53. Tore schießen

Schlusswort

Über den Autor

Vorwort

Zu Beginn des Jahres 2009 war ich Cheftrainer an der University of Mississippi (Ole Miss) und hatte meinen Chefassistenten verloren. Viele ausgezeichnete Kandidaten interessierten sich für diesen Posten. Dan gehörte bereits als Freiwilliger zu meinem Mitarbeiterstab, und ich überlegte, ob ich nicht ihn zum Chefassistenten befördern sollte. Zur gleichen Zeit wurde der Cheftrainerposten bei Arkansas, einer anderen Mannschaft in der Southeastern Conference (SEC), frei. Ich sprach mit unseren Mannschaftskapitänen über eine Beförderung unseres Freiwilligen zum Chefassistenten. Sie kannten Dan wenig und waren skeptisch, doch im Verlauf dieser Diskussion hatte ich ein Aha-Erlebnis. Ich sagte zu den Kapitänen: »Eins kann ich euch sagen: Ich will ganz bestimmt nicht, dass er den Job in Arkansas übernimmt!« So wurde Dan mein Chefassistent an der University of Mississippi.

Die Saison 2009 war eine der erfreulichsten, denkwürdigsten und erfolgreichsten in meiner 15-jährigen Zeit als Trainer dort, und Dan leistete einen großen Beitrag zu unserem Erfolg. Er war, neben vielen anderen Verpflichtungen, für unsere Abwehr zuständig. Ich gab ihm völlige Handlungsfreiheit bei der Gestaltung unserer Abwehrarbeit. Er konnte tun, was immer er für richtig hielt. Um ihm das Leben ein bisschen schwerer zu machen, nahm ich eine für das All-American-Auswahlteam nominierte Innenverteidigerin aus der Abwehrreihe heraus und machte sie zur zentralen Mittelfeldspielerin.

In diese Saison gingen wir mit einer Abwehrreihe, die von zwei Spielerinnen aus dem ersten, einer aus dem zweiten und einer aus dem letzten Studienjahr gebildet wurde. Unsere Torfrau war eine »Walk-on«, eine Spielerin, die nicht von den Trainern verpflichtet worden war, sondern aus eigener Initiative und ohne Sport-Stipendium zum Team kam, und mit einer Größe von 1,65 Meter die kleinste Torhüterin der Liga. In dieser Saison ließ das Team von Ole Miss die wenigsten Gegentore in der gesamten Liga zu.

Im April 2010 wechselte ich auf den Cheftrainerposten an der University of Georgia. Ich nahm Dan mit und übertrug ihm erneut die Verantwortung für die Abwehrreihe. Eine der Spielerinnen, die wir von den Vorgängern übernahmen, war Laura Eddy. Sie war als Innenverteidigerin des Georgia-Teams zur besten Erstsemester-Spielerin des Jahres in der SEC gewählt worden. Und wie schon zuvor in Mississippi machte ich unsere beste Innenverteidigerin zur Mittelfeldspielerin, was im Abwehrzentrum eine klaffende Lücke hinterließ. Und was soll ich sagen? In dieser Saison hatte Georgia die beste Gegentor-Bilanz in der SEC! Ich glaube nicht, dass das ein Zufall war. In der Geschichte der Liga war es noch nicht vorgekommen, dass ein Trainer in zwei aufeinanderfolgenden Jahren und an zwei verschiedenen Universitäten die beste Gegentor-Bilanz vorzuweisen gehabt hatte – bis Dan auf den Plan trat. Ich glaube, dass Georgia die beste Verteidigung in der Liga hatte, weil für diese Mannschaft die am besten trainierten und betreuten Abwehrspielerinnen aufliefen. Kein Zweifel: Mein Assistent versteht sein Handwerk!

Dieses Buch ist inhaltlich wie auch mit seiner einfachen, verständlichen Sprache gleichermaßen fantastisch. Beim Lesen kam mir immer wieder dieser eine Gedanke: Warum ist so etwas nicht schon früher geschrieben worden? Warum hat bisher niemand diese wertvollen Informationen zu Papier gebracht?

Wie viele Spieler gelangen bis in Hochschulmannschaften, ohne auch nur im Ansatz über die Cleverness eines Straßenkickers zu verfügen. Genau das vermittelt dieses Buch: Straßenkicker-Cleverness. Ein guter Fußballer ist auch ein Denker, nicht bloß ein Sportler, nicht bloß ein Talent. Das Allerbeste daran: Alle diese wertvollen Strategien sind in kurzen Kapiteln dargestellt, sodass man sie gut verarbeiten und vom Fleck weg umsetzen kann und sofort ein besserer Spieler wird. Die Lektüre, die Sie sich vorgenommen haben, ist vielleicht das nützlichste Fußballbuch, das je geschrieben wurde. Machen Sie etwas daraus!

Steve Holeman, Cheftrainer, University of Georgia (UGA), Soccer

Einleitung

Wussten Sie schon, dass die Präsidentschaftswahl 1960 zwischen John F. Kennedy und Richard Nixon ganz entscheidend von ein paar Schweißperlen beeinflusst wurde? Diese beiden Kandidaten trugen das erste vor einer Präsidentenwahl landesweit gesendete Fernsehduell aus. Der Einsatz hätte nicht höher sein können. Millionen von Amerikanern saßen vor den Fernsehgeräten, um sich ein Urteil darüber zu bilden, wer sich nach ihrem Eindruck besser für das höchste Amt im Staat eignete. Der Sieger in dieser Debatte würde höchstwahrscheinlich die Wahl gewinnen.

Kennedys Berater wussten, dass Nixon leicht ins Schwitzen geriet, und es gelang ihnen, den Temperaturregler im Fernsehstudio einige Stunden vor Debattenbeginn höher einzustellen. Das Studio war unangenehm warm und stickig, als die Kandidaten auftraten. Die Studio-Hitze sorgte bei Nixon für Schweißausbrüche. Während Kennedy das Erscheinungsbild eines gelassenen, ruhigen und kompetenten politischen Führers bot, war Nixon schweißgebadet, er wirkte unruhig, nervös und alles andere als präsidial. Das bekannteste, im Gedächtnis der Nation haftende Bild aus dieser Debatte zeigt Nixon, der sich mit dem Taschentuch den Schweiß aus dem Gesicht wischt.

Kennedy war der strahlende Sieger bei diesem Auftritt, und dieser Erfolg wirkte sich auch in den Wahlkabinen aus. Kennedy wurde der 35. Präsident der Vereinigten Staaten und der mächtigste Mann der Welt. Und das gelang ihm, weil jemand schlau genug war, den Thermostat hochzudrehen.

Wenn dieses Buch etwas bewirken soll, müssen Sie daran glauben, dass Kleinigkeiten wirklich wichtig sind und dass auch eine einzige über Sieg oder Niederlage entscheiden kann.

Dieses Buch befasst sich nicht mit fußballspezifischer Technik. Ich gehe einfach davon aus, dass Sie, da Ihr Interesse für den Kauf dieses Buches ausreichte, bereits über eine ordentliche Technik am Ball verfügen (vielleicht sind Sie wie ich Trainer). Dieses Buch beschäftigt sich mit Entscheidungen, die im Verlauf eines Spiels getroffen werden – Augenblicksentscheidungen, die ein Trainer bei einem Spieler, bei einer Spielerin sieht und dabei denkt: Ja, dieser Junge, dieses Mädchen ist clever.

Die einzelnen Kapitel bauen nicht aufeinander auf. Alle Gedanken sind wichtig, und jeder von ihnen kann den entscheidenden kleinen Beitrag zum Sieg Ihres Teams liefern. Ich trainiere seit mehr als 20 Jahren Hochschulmannschaften und staune darüber, wie viele Spieler es bis auf dieses Niveau schaffen, ohne diese grundlegenden Gedanken verinnerlicht zu haben. Sie sind einfach. Sie bieten auf den ersten Blick nichts anderes als gesunden Menschenverstand. Aber glauben Sie mir, an einem Spieler, der diese Gedanken versteht und sie im Spielverlauf umsetzt, ist nichts Gewöhnliches mehr.

Ich nenne dieses Buch eine Sammlung von Fußball-Nuggets. Der Wert jedes einzelnen Nuggets kann groß genug sein, um ein Spiel oder sogar einen Meistertitel zu gewinnen – wie noch zu lesen ist. Aber gedanklich sind sie sehr einfach. Die meisten von ihnen reichen als Grundlage für ein ganzes Training oder auch nur für einen Trainingsabschnitt gar nicht aus. Sie sind einfach zu klein. In ihrer Mehrzahl sind es Ideen, die Trainer ihren Spielern nur weitergeben können, in der Hoffnung, dass die sich darin erinnern, wenn die Zeit dafür gekommen ist.

Ich begann die Niederschrift dieser Fußball-Nuggets mit der Vorstellung, dass ich sie eines Tages meiner Mannschaft vorstellen würde, jeweils eines pro Tag, eine ganze Saison lang und unter der Bezeichnung Tagestipp. Nach einem Jahrzehnt, in dem es bei der reinen Absicht blieb, beschloss ich, dass es wohl einfacher wäre, daraus ein gut lesbares Buch zu machen. Hier ist es.

1. KAPITEL

Der Heilige Gral

Fangen wir am Anfang an. Mit dem Spieltempo. Das Spieltempo ist der Heilige Gral des Fußballs. Das zu wissen, ist eine Grundvoraussetzung für cleveres Spielverhalten. Frag mich nicht, warum. Schnell ist besser als langsam. So ist das eben. Und deine Aufgabe ist es, alles zu tun, was du kannst, nur noch schneller.

Wenn du diese Einstellung, dass schnell grundsätzlich besser ist als langsam, verinnerlichen kannst, ist das bereits die halbe Miete. Wenn du dann noch deine Mannschaft davon überzeugen kannst, werdet ihr viele Spiele gewinnen.

Den Ball mit einer Berührung von A nach B zu bringen, ist besser, als dafür zwei Ballkontakte zu brauchen – vorausgesetzt alle anderen Faktoren sind gleich. Warum? Weil es mit einem Ballkontakt schneller geht als mit zweien, und schnell ist besser als langsam. Sicher, es gibt Ausnahmen. Aber du spielst viel zu oft so, als wäre die Ausnahme die Regel.

Mein guter Rat:

Wenn du den Ball mit einem Kontakt an den Mitspieler bringen kannst, versuch es nicht mit zweien.

Wenn du den Pass mit zwei Ballkontakten spielen kannst, versuch es nicht mit dreien.

Je mehr Ballkontakte du für deine Aufgabe brauchst, desto langsamer wird das Spiel. Die Aufgabe eines intelligenten Spielers besteht darin, mit möglichst wenigen Ballberührungen größtmögliche Wirkung zu erzielen. Versetz dich zurück in dein letztes Spiel und überlege: Wie hättest du das, was dir in diesem Spiel gut gelungen ist, auch mit weniger Ballkontakten erreichen können? Dafür müsstest du schneller denken. Du müsstest Entscheidungen treffen, bevor der Ball bei dir ist. Du müsstest deine Ballbehandlung weiter verbessern. Kurz gesagt: Du müsstest das tun, was ein besserer Spieler täte.

Zu viele Spieler verstehen den Wert des schnellen Passspiels nicht. Anstatt einen schnellen und einfachen Pass zu spielen, der zu einem hohen Spieltempo führt, wird der einfache Pass ihre letzte Möglichkeit – nachdem sie alle anderen Optionen überlegt und ausgereizt haben. Viel zu oft glauben sie, jetzt, wo sie den Ball am Fuß haben, unmittelbar Einfluss auf den Spielstand nehmen zu müssen. Jedes Mal, wenn der Ball bei ihnen landet, versuchen sie den tödlichen Pass zu spielen. Sie suchen nach der einen siegbringenden Aktion. Und weil sich nicht immer gleich eine Lösung anbietet, sehen sie sich in ihren Spielmöglichkeiten eingeengt, während der Spielfluss der Mannschaft immer mehr ins Stocken gerät.

Der Feind heißt langsames Spiel. Eine langsame Spielweise ermöglicht es dem Gegner, sich zu organisieren. Langsames Spiel führt zu Ballverlusten. Mit langsamem Spiel verliert man Spiele.

Nicht jeder Pass, den man spielt, muss der entscheidende Pass sein. Du musst nicht mit jeder Ballberührung das Spiel gewinnen. Manchmal genügt es voll und ganz, den Ball zu einem Mitspieler zu bringen. Und den Ball schnell zu spielen ist besser, als ihn langsam weiterzuleiten.

Schau dir ein Spiel des FC Barcelona an. Kein Barça-Spieler wird jemals den Vorwurf zu hören bekommen, er versuche, mit jeder Ballberührung das Spiel zu gewinnen – nicht einmal der herausragende Torjäger Lionel Messi. Barcelonas Spieler gehen so geduldig vor, wenn sie den Ball haben, dass ihnen manchmal gar nicht mehr bewusst zu sein scheint, dass es auf dem Spielfeld auch noch Tore gibt. Das sieht mitunter so aus, als sei das Passen für sie ein Selbstzweck. Die Art, in der sie andere Teams mit ihrem ausgefeilten Ballbesitz-Fußball in Grund und Boden spielen, ist auch schon als »Tod durch 1000 Pässe« bezeichnet worden. Aber trotz aller Geduld im Großen und Ganzen lassen sie den Ball mit einem Minimum an Berührungen sehr schnell durch die eigenen Reihen laufen. Die Pass-Maschine mag zwar insgesamt als langsam oder abwägend empfunden werden, aber die einzelnen Teile bewegen sich dennoch mit höchstem Tempo. Geduld und Tempo sind hier in verblüffender Harmonie vereint. Die Barça-Spieler haben dieses Konzept verinnerlicht. Jeder einzelne Spieler versteht die Bedeutung des schnellen Passspiels; und jeder Spieler weiß, dass der Mitspieler, an den er den Ball weiterleitet, vielleicht die Lösung parat hat, die ihm selbst in diesem Augenblick, mit dem Ball am Fuß, nicht einfällt. Bei Barcelona macht das Spieltempo die Spielkultur aus.

Mach dir folgende Tempo-Reihenfolge beim Fußball klar:

Am langsamsten: Ein Spieler dribbelt mit dem Ball am Fuß und macht dabei Seitwärtsbewegungen und Finten.

Langsam: Ein Spieler läuft mit dem Ball in höchstem Tempo geradeaus.

Schneller: Ein Spieler läuft ohne Ball.

Am schnellsten: Ein Ball in Bewegung.

Nichts auf dem Fußballplatz ist schneller als ein Ball, der in Bewegung ist. Der schnellste Spieler auf dem Platz kann keine zehn Meter so schnell zurücklegen wie ein gespielter Ball. Das gilt auch für dich. Und jetzt musst du dich entscheiden zwischen einem überflüssigen Führen des Balles, das allenfalls dem eigenen Ego schmeichelt und sonst rein gar nichts bringt, … und dem Gewinnen. Wenn du den Ball 20 Meter weiter bringen willst, geht das mit einem Pass sehr viel schneller als mit einem Dribbling. Und schnell ist besser als langsam.

Ich möchte an dieser Stelle noch eine wertvolle kleine Weisheit einflechten: Wer ein schnelles Spiel aufziehen will, muss das wirklich wollen. Diese Entscheidung muss man vor Spielbeginn treffen. Man muss sich bewusst für eine schnelle Spielweise entscheiden. Man muss sich bewusst für möglichst wenige Ballberührungen entscheiden. Ein schnelles Spiel entwickelt sich nicht durch Zufall. Wenn man es nicht wirklich will, wird nichts daraus.

Das Spieltempo ist mehr als eine Gewohnheit, es ist eine Lebenseinstellung. Zugriff darauf hat man erst, wenn man die Vorstellung, dass das Spieltempo das Allerwichtigste ist, vollkommen verinnerlicht hat. Schnell ist besser als langsam. Mit Spieltempo gewinnt man Spiele. Kluge Spieler bevorzugen das schnelle Spiel.

Hinweis für Trainer: Es ist erstaunlich, wie gut unser Team spielt, wenn wir bei einer Übungsform im Training verlangen, jeweils mit nur einem Ballkontakt auszukommen. Es ist ein wunderbarer Anblick, wenn unsere Spieler den Ball in einem Höllentempo laufen lassen. Die Herausforderung für den Trainer besteht darin, die Spieler dazu zu bringen, dieses Tempo auf ein Spiel zu übertragen, bei dem es keine Vorgaben solcher Art gibt. Sind zwischen Training und Spiel erhebliche Unterschiede zu erkennen, haben die Spieler die grundsätzliche Bedeutung des schnellen Spiels noch nicht verinnerlicht. Sie müssen Ihre Spieler dazu bringen, dass sie schnell spielen wollen.

Im 8. Kapitel werde ich eines meiner bevorzugten Ballbesitz-Spiele vorstellen, das Spiel »31«. Es ist eine hervorragende Übung, die den Spielern hilft, zu entscheiden, wann sie den Ball direkt weiterleiten können und wann sie ihn halten sollten.

2. KAPITEL

An Ort und Stelle spielen

»An Ort und Stelle spielen« bedeutet, den Ball sicher anzunehmen und dann von dort, wo man gerade ist, weiterzuspielen oder zu schießen. Klingt ziemlich einfach, nicht wahr?

Stellen wir uns vor, ein Spieler nimmt den Ball in der Spielfeldmitte an, mit Blick zum gegnerischen Tor. Der nächste Gegenspieler ist zehn Meter weit weg, unmittelbar vor dem Spieler am Ball. In diesem Augenblick hat dieser Spieler ein Zehn-Meter-Polster, das ihm ermöglicht, den Kopf hochzunehmen und eine Anspielstation zu finden. Das Sinnvollste wäre jetzt, den eng am Fuß liegenden Ball an Ort und Stelle zu spielen und so den Abwehrspieler zu zwingen, die ganze Entfernung Zentimeter für Zentimeter zu überwinden, wenn er den Ball erobern will.

Stattdessen nimmt der Angreifer den Ball mit der ersten Berührung drei Meter weit mit. Der Gegner verringert den Abstand seinerseits und kommt vier Meter näher. Jetzt sind von dem Zehn-Meter-Abstand noch ganze drei Meter übrig, und innerhalb von Sekundenbruchteilen sind die auch weg. Als Nächstes folgt ein Tackling und man kann zusehen, wie der Ball unkontrolliert zu einem Spieler des gegnerischen Teams rollt.

Es verblüfft mich, wie viele Fußballer und Fußballerinnen spielen, als wären sie Runningbacks in einem Football-Team. Sie nehmen einen Pass an, laufen mit Ball nach vorn und suchen den direkten Zweikampf. Ich werde nie verstehen, wieso ein Spieler freiwillig den Abstand aufgibt, der ihn von einem Verteidiger trennt. Dieses Polster verschafft dir Zeit. Es verschafft dir Zeit für eine gute Entscheidung und Zeit für ein Spielen des Balles unter möglichst wenig Druck. Warum sollte man darauf verzichten?

Mit dem längeren Ballführen in Richtung des Gegners nimmt man dem die halbe Arbeit ab! Es ist nicht deine Aufgabe, ihm den Ball näherzubringen. Er muss näher rücken, um dich unter Druck zu setzen. Spiel nicht für den Gegner! Mach nicht ihm das Leben leichter, indem du dich selbst in Schwierigkeiten bringst!

Wenn du den Ball geschickt angenommen und spielbereit am Fuß hast, ist es an dir, ihn jetzt sofort nach vorn zu spielen. Denn das stellt den Verteidiger vor ein Problem. Er muss überlegen, wie er den Pass nach vorn verhindern kann, anstatt zum Tackling anzusetzen. Der Angriff auf den ballführenden Spieler fällt aus, der Gegenspieler muss sich auf Seitwärtsbewegungen einstellen, wenn er den Pass abfangen will. Mit dem einleitenden Bewegungsablauf für ein Zuspiel hält man den Gegner letztlich an seinen Platz fest und erhält sich so das Polster.

Noch erstaunlicher ist, wie oft ein Spieler bereit ist, dieses Polster herzugeben, noch bevor er den Ball unter Kontrolle hat. In jeder Begegnung fallen mir Spieler auf, die mit dem Ball laufen, ohne ihn zu kontrollieren. Er verspringt ihnen vom Knie, vom Schienbein, vom Oberschenkel, vom Bauch. Was hofft man denn zu erreichen, wenn man den Ball nicht einmal sicher am Fuß liegen hat? Hol um Himmels willen erst einmal kurz Luft und sorg dafür, dass du den Ball am Fuß hast! Das Wichtigste zuerst, nicht wahr? Glaub mir, du bist besser beraten, wenn du auf die Bremse trittst und erst einmal den Ball kontrollierst, bevor du dich auf den 50-Meter-Sprint zum Ruhm begibst.

Wenn ich einer Mannschaft »An Ort und Stelle spielen« erklären will, setze ich sie dazu vor eine Aufzeichnung von einem Spiel der englischen Premier League, aber auch jede andere Profiliga käme infrage.

Immer gibt es kluge Spieler, die verstehen, wie wertvoll es ist, wenn man sich nicht selbst unter Druck setzt. Im Profifußball erhalten die Spieler vor allem im Abwehrbereich und im Mittelfeld regelmäßig Zuspiele, die sie so annehmen, dass der Ball sofort spielbereit am Fuß liegt. Ihre nächste Ballberührung ist meist ein Pass zu einem Mitspieler, wobei der Gegner gar nicht erst dazu kommt, Druck auszuüben.

Schau dir einmal eine Halbzeit eines Premier-League-Spiels an und zähle mit, wie oft beide Mannschaften den Ball an Ort und Stelle spielen. (Auch das direkte Weiterleiten des Balles mit nur einem Kontakt fällt in diese Kategorie.) Sieh dir dann eines eurer Spiele an und zähle auch hier mit. Es gibt schon einen Grund dafür, warum deine Mannschaft den Ball so oft verliert. Es gibt auch einen Grund dafür, warum man selten eine Jugendmannschaft sieht, die drei aufeinanderfolgende Pässe zustande bringt. Es liegt daran, dass die Spieler dieses ganz einfache Konzept noch nicht verstanden haben. Man kann nicht erwarten, im Ballbesitz zu bleiben, wenn man sich durch unbedachtes Losrennen ständig selbst in Schwierigkeiten bringt.

Lerne, an Ort und Stelle zu spielen. Dadurch wirst du sehr viel mehr Pässe an die Mitspieler bringen, und deine Mannschaft wird sehr viel häufiger im Ballbesitz sein.

Hinweis für Trainer: