Monika Renz

Der Mystiker
aus Nazaret

Jesus neu begegnen
Jesuanische Spiritualität

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Impressum

© KREUZ VERLAG

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2013

Alle Rechte vorbehalten

www.kreuz-verlag.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © Monika Renz

ISBN (E-Book) 978-3-451-34589-0

ISBN (Buch) 978-3-451-61195

Inhalt

Einleitung

Jesu Geheimnis

Überblick

Mein Umgang mit der Bibel

1 Religion – tiefste menschliche Sehnsucht

1.1 Das Christentum in der Krise – eine Analyse

1.2 Wahrnehmen, was fehlt

1.3 Spiritualität als Erfahrungsdimension von Religion

1.4 Hintergründe spiritueller Sehnsucht: Bewusstseinsentwicklung, erster Teil

1.5 Zwischen zwei Welten – vier Nahtoderfahrungen

1.6 Deutungshorizont ›Gott‹ – eine Entscheidung

1.7 Jesuanische Spiritualität: eine Anthropologie des Empfangens

2 Historische Annäherung: Jesus, der Mystiker

2.1 Das Leben Jesu

2.2 Nach dem Tod das Mysterium

2.3 Worte Jesu

2.4 Wirken Jesu

2.5 Jesuanische Spiritualität: Jesus als Mystiker

3 Vaterbeziehung: Teilhabe am Vater

3.1 Johannesevangelium – Mystik des ›Bleibens‹

3.2 Gott wie ein Vater – Antwort gegen die Angst

3.3 Himmelreich: Gerechtigkeit, Lohn, Fülle

3.4 Selig – weil angeschlossen an Gott

3.5 Jesuanische Spiritualität: angenommen und bezogen

4 Bruch und ›Kategorienwechsel‹:
Jesus und die Sünde

4.1 Urangst und Sonderung als Begleiterscheinung von Subjektwerdung: Bewusstseinsentwicklung, zweiter Teil

4.2 Topographie des Unbewussten

4.3 Ein Mensch ohne Sonderung

4.4 Jesuanische Spiritualität: Exodus im Zeichen des Segens

5 Jesus und das Böse

5.1 Das Böse als Summe abgespaltener Energien

5.2 Dämonen verhindern Bewusstwerdung – Jesus steht für Bewusstwerdung

5.3 Das Böse ist abgeschnitten vom Fluss des Lebens

5.4 Jesus heilt Besessene

5.5 Jesuanische Spiritualität: Wachsamkeit, Persönlichkeitsstärke, Kreativität

6 Die Not der Gottferne:
In der Welt habt Ihr Angst

6.1 Jesus nahm den Menschen als Subjekt

6.2 Jesus sah den Menschen als ›herrenlos‹ und darum anfällig

6.3 ›Gott ist stärker‹ – Jesus selbst wird zur Antwort wider die Angst

6.4 Eine ›Urheilung‹ hinter den Heilungen

6.5 Heilung ereignet sich über Beziehung – ein anderes Sehen, Hören, Reden

6.6 Jesuanische Spiritualität: Glauben, Umkehr, Heimkehr – der therapeutische Jesus

7 ER kommt mir entgegen –
Jesus als Weg und Zielvorgabe

7.1 Gott ist unterwegs zu den Menschen

7.2 Im Anfang war Logos – und nicht Zufall oder Verloren-Sein

7.3 Die Finsternis hat das Licht nicht erfasst – eine im Ganzen angelegte Spannung

7.4 »Und das Wort ist Fleisch geworden« – Erlösung als Anbahnung

7.5 Der Mittler geht uns voraus

7.6 Finalität – Endzeitbilder – Zeugnisse Sterbender

7.7 Jesuanische Spiritualität: Hoffnung und Gnade

8 Jesu Verständnis von Liebe gründet
in der Vaterbeziehung

8.1 Eine Liebe, die freilässt – Religion und Freiheit

8.2 Das Liebesgebot, psychologisch gelesen

8.3 Personaler Gott – eine Liebe von Ich zu Du

8.4 Eine Liebe, die verbindlicher nicht sein könnte – Mahl und Fußwaschung

8.5 Passion: Liebe in äußerster Konsequenz

8.6 Das Lamm Gottes als Symbol der Hingabe

8.7 Das Geheimnis der Auferweckung Jesu

8.8 Der Mensch in neuer Identität

8.9 Neuer Friede, neue Liebesfähigkeit

8.10 Jesuanische Spiritualität: begreifen, was Liebe ist

9 Wie leben in religiöser Identität inmitten der säkularen Welt?

Literaturverzeichnis

Einleitung

Jesu Geheimnis

»Ich und der Vater sind eins« (Joh 10,30). So spricht Jesus im Johannesevangelium. Dieses geheimnisvolle Wort bewegt mich seit Jahren. Es scheint den zeitlichen Abstand zwischen uns und Jesus aufzulösen und die üblichen Fragen und Antworten über ihn in ein anderes Licht zu rücken. War Jesus Genie, Wundertäter, Menschenfreund oder aber Phantast und Versager? Ohne ein tieferes Verstehen des johanneischen Wortes fehlt uns gleichsam der Schlüssel, um Jesus zu begreifen. Was befähigte Jesus, sich jenseits des Neurotischen so zu verschenken, wie er es tat? Woher wusste er so treffend, um Richtig und Falsch? Woher nahm er das Sensorium, Menschen bis ins Innerste zu durchschauen, sogar so, dass er wusste, was sie heilte? Zweifellos: Jesu Botschaft war genial. Doch wie kam er zu ihr?

Die Art, wie Jesus lebte und sprach, wie er mit Menschen umging, heilte und sich wieder zurückzog, wie er Gebote achtete und sie doch nicht um ihrer selbst willen befolgte, wie er fühlen und verzeihen konnte, spricht von einer unvergleichbaren Souveränität. Von Jesus ging ein schier unglaubliches Wirken aus, eine Ausstrahlung von Vollmacht, die keiner irdischen Absicherung, keiner Bestätigung, keiner Rechtfertigung bedurfte. Jesus war eine radikal charismatische Persönlichkeit und trotzdem gerade kein Guru, kein von sich selbst eingenommener Querdenker, sondern zutiefst menschlich und liebend. Sein ganzes Leben stand im Dienst für andere, im Dienst an der Sache, seiner Botschaft und des Vaters. Die Theologie spricht von Pro-Existenz (Dasein für).

Aus sich selbst heraus wäre selbst Jesus all das wohl kaum gelungen. Vielmehr schien ihn ein Geheimnis zu umgeben, das ich als absolute Gottnähe bezeichnen möchte. Dieses Buch kreist um eine These, wonach Jesus ganz und gar an Gott, den er Vater nannte, ›angeschlossen‹ war: Er war innig mit dem Vater verbunden. Der englische Begriff to be connected besagt besser als der deutsche, worum es geht: um ein Verbunden-Sein, das mehr beinhaltet als eine Verbindung haben zu etwas; um ein Sein im Unterschied zur Existenzweise des Habens (Fromm 1979); um Beziehung als Wesensaussage im Unterschied zu einem mehr oder weniger autark entworfenen und auf sich selbst zurückgeworfenen Ich. Jesus ließ sein Angewiesen-Sein vom Vater ganz und gar zu, er war im Vater verankert. Wir würden vielleicht sagen: Er war ›geerdet‹, voll ›bei sich‹. Doch dieses Bei-sich-Sein ist nicht Selbstaussage, sondern Beziehungsaussage: Jesus war ganz auf den Vater bezogen. Weil er durch keinerlei Blockaden, Ängste und Narzissmen von der Energie Gottes abgeschnitten war, konnte Gott selbst ihm Kraftquelle sein. Aus solchem Verbunden-Sein heraus gelang Jesus immer neue Regeneration.

Jesus selbst sprach von einem eigentlichen Eins-Sein. »Ich und der Vater sind eins« (Joh 10,30) ist Grundaussage des Johannesevangeliums. Eins-Sein meint nicht symbiotische Undifferenziertheit oder narzisstische Vereinnahmung, sondern dialogisch mystische Wirklichkeit. Ich möchte den ganzen Jesus, den Heiler, den Liebenden und den Rebellen, aus seiner besonderen spirituellen Erfahrung heraus begreifen: Jesus war in hohem Ausmaß Mystiker. Sein Geführt-Sein, seine Reden, sein Wirken in Vollmacht werden hier als Ausdruck seiner intensiven Gotteserfahrung interpretiert.

Jesu Nähe zum Vater war trotz dieser Intimität und Intensität nicht ›inflationär‹, d.h. nicht so, dass man ihn als spirituell Überfluteten bezeichnen müsste. Jesus war eine außergewöhnlich starke Persönlichkeit, die nicht nur Versuchungen standhielt, sondern auch mit diesem Angeschlossen-Sein an Gott und der daraus resultierenden Nähe zum Numinosen umgehen konnte: etwas, das uns ›gewöhnlichen‹ Menschen immer nur annäherungsweise möglich ist.

Ausgehend von der grundlegenden Annahme von Jesu Angeschlossen-Sein, lassen sich weitere Aussagen zu seinem Wesen und Wirken nahtlos ableiten: Vom Vater her ist Jesu Höchstmaß an Hingabe und Liebe sowie seine Botschaft vom Himmelreich zu verstehen. Jesus war so sehr erfüllt und aus einer andern Quelle gespeist, dass es ihn geradezu drängte, sich zu verschenken. Biblische Begriffe wie Himmelreich, Seligkeit, Speise bringen das in Sprache. Liebesfähigkeit, wie Jesus sie meinte, entsteht nicht einfach, indem altruistische Nächstenliebe als moralisches Gebot eingefordert wird, wie 2000 Jahre Christentum in leider unzähligen Beispielen veranschaulichen. Jesu Liebeskraft ist vielmehr gegründet in einem inneren Erfüllt-Sein, ist Ausdruck von existenziellem Mit-Sein (Begriff vgl. Benedetti 1992).

In diesem Buch wird das Liebesgebot nicht einfach als ethische Ermahnung gelesen, sondern, wie einer meiner theologischen Gesprächspartner, R.Siebenrock aus Innsbruck, feststellte: »soteriologisch« (= rettend), konkret als Ausfluss von Jesu mystischer Gottnähe (vgl. Kap.8.2). In Anlehnung an den Evangelisten Markus (12,29–31) formuliere ich: Wenn immer der Mensch »mit ganzem Herzen und ganzer Seele, in all seinen Gedanken und seiner Kraft« ankommt im Vertrauen auf das Göttliche, in den Schöpfer und seine Schöpfung, wenn immer er sich als Gottes geliebten Sohn, geliebte Tochter und entsprechend angeschlossen erfährt, dann fließt es aus ihm heraus: er liebt sich selbst in seinem Wesentlichen und ebenso die Nächsten. Dann wird auch Hingabe, Verzeihung sich und andern gegenüber, und – in äußerster Konsequenz – sogar Feindesliebe denkbar. Begründet zu sein in einer größeren Liebe – nenne man diese Gott oder anderswie –, ist Quelle menschlicher Liebeskraft und Herzstück einer jesuanischen Spiritualität (vgl. Kap. 8).

Zahlreiche weitere Bibelaussagen erschließen sich neu aus Jesu mystischer Bezogenheit auf den Vater. Für mich persönlich war die Lektüre des Neuen Testamentes auf dem Hintergrund dieser Sichtweise eines der größten Aha-Erlebnisse in meinem Leben. Im Rückblick war mein Zweitstudium der Theologie, insbesondere der Entstehungsprozess des Buches »Erlösung aus Prägung« (2008) mit genau dieser These im Hinterkopf, eine meiner glücklichsten Zeiten. Hochmotiviert stand ich früh morgens auf, las, übersetzte, schrieb, bevor ich irgendwann bemerkte, dass die Glocken sechs Uhr schlugen. Mir blieb dann immer noch Zeit für die stille Arbeit in meiner theologischen Werkstatt, bis ich rechtzeitig ins Krankenhaus fuhr und meiner täglichen Arbeit nachging. Und was mich selbst erstaunte: Ich war erfüllt.

Jesu Angeschlossen-Sein an den Vater ist auch Basis für seinen Ruf zur Umkehr und für seine Heilungstätigkeit (vgl. Kap. 5, Kap. 6). Jesus erkannte, was dem Menschen fehlte. Er litt zutiefst an der Diskrepanz zwischen seinem eigenen Eins-Sein mit dem Vater und dem mangelnden Angeschlossen-Sein der Menschen, die nicht begriffen, wovon er redete. Jesus sah ihre Wankelmütigkeit, nahm wahr, wie karg, ja brüchig ihr seelischer Boden war. Er erkannte das Ausmaß menschlicher Erlösungsbedürftigkeit und wusste intuitiv, wie sich Rettung und Heilung ereigne.

Ich frage in diesem Buch bewusst nach dem Menschenbild Jesu. Dieses kann nicht nur sozialisationsbedingt verstanden werden (vom jüdischen Glauben her, in dem Jesus aufwuchs, über frühjüdische Dämonenvorstellungen oder das damalige Verständnis der jüdischen Weisung, über hellenistische Einflüsse und apokalyptische Ängste der damaligen Zeit). Vielmehr gab es über all das hinaus etwas, das ›originär Jesus‹ war. Dieses hat mit Jesus, dem Mystiker zu tun. Es erklärt, warum Jesus der Unverstandene blieb, ein Stück weit der Ferne, Fremde, Beneidete, dessen Gegenwart und Wirken man eigentlich nicht aushielt. Aber auch, warum Jesus seinerseits der tief Verstehende war: Jesus verstand kraft seiner Rückbindung. Er durchschaute die menschliche Seele in ihren individuellen Krankheiten, aber auch die Conditia Humana: das tiefe Abgespalten-Sein des Menschen von seinem Urgrund und in der Folge sein Dasein in Angst und Kompensation. Und Jesus lädt »dazu ein, dem Urgrund … als dem ›guten Vater‹ zu vertrauen und von daher selbst mehr Güte zu leben« (Kessler 2006, S.35).

Umkehr, neu gewagte Rückbindung, hat so verstanden zutiefst mit Mystik zu tun, mit dem Offen-Werden für jene Wirklichkeit, an die Jesus angeschlossen war. Der griechische Begriff Umkehr (μετνοια/metanoia) heißt Hinwendung, Hineinwendung. Jesu Heilungen gingen einher mit Heimführung und Vertrauensfindung. Umkehr und Heilung sind nicht ein einmaliges Ereignis, sondern seelische Prozesse, vergleichbar einer Reise. Erkenntnisse bilden darin zwar entscheidende Momente, machen aber nicht das Ganze des Weges aus. Damit die Früchte des Prozesses geerntet werden können, darf selbst das Leiden nicht ausgespart bleiben, wie schon der Begriff sagt (Leiden, ahd. lidan kommt etymologisch von Fahren, Reisen, Erfahren). Leiden ist ein Prozessbegriff und beschreibt einen höchst schöpferischen Vorgang. Man steht nachher an anderem Ort. Hinter zahlreichen biblischen Heilungen, die für unsere Ohren unrealistisch anmuten, steckt mehr. Wenn Jesus die Geheilten mit einem gewichtigen Wort entließ, so will dies als Zusammenfassung ganzer Prozesse gelesen werden und ist ohne Umkehr (das Weg-Ganze) nicht zu denken. Die Kürze dieser durch die Evangelisten geschilderten Geschichten ändert nichts an deren Prozesscharakter, sondern erlaubt den Rückschluss, dass Jesus wichtige Faktoren solcher Prozesse bereits in sich – also in seiner Person – vereinigte.

Jesus ist für mich Inbegriff von Bewusstwerdung (vgl. Kap. 5 und 7), von durchlebtem und durchlittenem Prozess. Er nimmt durch seine Bewusstwerdung jene, die ihm folgen, in diesen Prozess mit hinein, und er nimmt ihnen auch etwas ab. Das ist vergleichbar damit, dass Bewusstwerdungsprozesse schneller vor sich gehen, wo einer sie bereits durchlaufen hat. Am Schluss steht dann, ähnlich einer mathematischen Formel, die kurz gefasste Quintessenz eines jahrelangen Prozesses da.1 Es ist charakteristisch für Jesus, dass er die Dinge hinter den Dingen verstand. Man erkennt das daran, wie er mit Krankheiten umging oder deren Heilung ›auf den Punkt‹ brachte. Doch wer hat Jesu ›Formel‹ verstanden? Was genau hat er für uns getan und weshalb?

Im vorliegenden Buch wird die Einheit mit Gott als Kern von Jesu Geheimnis betrachtet. Sie ist aber ebenso Zentrum aller christlichen Spiritualität, dem auch wir uns annähern können. Augustinus spricht in seinen Bekenntnissen (3. Buch VI, 10-11) von einer zugleich äußersten und innersten Wirklichkeit: »… du warst innerlicher als mein Innerstes und überragtest meine höchste Höhe« (1950, S. 78). In der großen Bedeutung, die hier Jesu Beziehung zum Vater zugemessen wird, finde ich mich mit dem Grundanliegen des Jesuswerkes von J. Ratzinger (2007, 2011), Papst Benedikt XVI. Doch wird im Folgenden die Vaterbeziehung nicht dogmatisch und auch nicht gynäkologisch (Begriff vgl. Steindl-Rast 2010) verstanden. Sie ist vielmehr seelisch spirituelle Realität, ist ein Bezogen-Sein auf ein Innerstes (und zugleich Äußerstes). Jesu Rückbindung hätte größer nicht sein können, seine Einsamkeit war immer auch Zweisamkeit. Theologisch gesprochen geht es um die Frage: War Jesus Mensch oder Sohn Gottes? Was das Konzil von Chalcedon (451) mit seiner genialen These der doppelten Natur in der einen Person Christi (wahrer Mensch und wahrer Gott) hervorbrachte, wird hier als tiefe psychische, mystische Realität verstanden. Hinter dem Dogma mit seinem Lehrcharakter sollte sichtbar werden, dass es um ein letztes Geheimnis geht, das immer auch den Gesetzmäßigkeiten eines Tabus unterworfen ist.

Tabu, ein polynesischer Begriff, meint das unter schwerer Drohung Verbotene. In früheren Kulturen führte es zum psychogenen Tod, wenn ein Tabu gebrochen wurde; man starb aus Entsetzen und Angst, auch wenn von außen nichts Bedrohliches da war (vgl. Riedel 1994). Ein Tabu ist mit Schweigen umhüllt. In vielen Tabu-Märchen muss über das im verbotenen Gemach Geschaute und über den Tabubruch geschwiegen werden.

Übertragen auf Jesu Gottesbeziehung heißt das: wir haben es nicht nur mit etwas Großartigem, sondern – wie bei der Sonne, die wärmt aber auch versengt – ebenso mit einer aufs Äußerste überfordernden seelischen Wirklichkeit zu tun. Das Göttliche selbst und seine Wirkmächtigkeit bedeuten für den Menschen ein Zuviel. Darum, so lautet meine Annahme, war Jesu Heilungstätigkeit oft mit Schweigen umhüllt und darum gebot Jesus vielen Geheilten zu schweigen. Die Geheilten waren ähnlich den Mystikern Grenzgänger, die die Wirkmächtigkeit des Göttlichen erfahren hatten und dies zwar durch ihr neues Leben bezeugen, aber nicht in Worte fassen konnten oder durften. In Jesu Heilungen kamen offenbar tief verborgene seelische Wirklichkeiten zutage, für welche die Sprache und Bewusstheit (noch) fehlte. Entsprechend schwierig war der Umgang mit dem neuen Wissen in alter Umgebung. In der Folge wurde der Geheilte – ähnlich dem Mystiker – aufgrund seiner neuen Erkenntnis ein Stück weit mit-tabuisiert.

Ein Mit-Tabuisiert-Sein traf den Mystiker Jesus in besonderem Ausmaß. Wenn das Eins-Sein mit Gott, so wie er es lebte, als geradezu äußerstes Tabu betrachtet wird, so leuchtet der seltsam ambivalente Umgang der Menschheitsgeschichte mit der Person Jesu und ihrem Geheimnis ein. Schon die Jünger verstanden (ihn) zunächst nicht. Und wenige Jahrzehnte später rangen Paulus und die Evangelisten um Worte und Bilder (vgl. Kindheitsgeschichten, die Motive ›Jungfrauengeburt, vom Hl. Geist gezeugt‹). Jesu Einheit mit dem Vater faszinierte und löste zugleich äußerste Angst und Abwehr aus. Warum? Der Mensch hält die Numinosität Gottes und folglich auch Jesu ungebrochenes Eins-Sein mit Gott allein schon aufgrund seiner seelischen Konstitution nicht aus. Ein Tabu – im Unterschied zum Dogma – drängt aber trotz aller Gefährlichkeit nach ehrfurchtsvoller Bewusstwerdung. Das heißt, in der Sprache Jesu formuliert, dass wir zur Nachfolge gerufen sind. Nachfolge ist zwar schwierig; damals musste man Beruf, Besitz und Familie verlassen (vgl. Mk 1,16–18, Mt 8,18–22), was hier gedeutet wird als Loslassen der Beheimatung im Ich. Trotzdem steht dieser Weg auch uns offen. Auch uns ist ein immer größeres Angeschlossen-Sein an dasjenige, was Jesus ›Vater‹ nannte, möglich.

Im vorliegenden Buch geht es um den Mystiker aus Nazaret, um sein Geheimnis der Vaterbeziehung als Schlüssel für seine Botschaft, seine Heilungstätigkeit, seine Liebesfähigkeit und Hingabe. Das Buch versucht zum ersten, uns Jesus näher zu bringen, ihn in seinem vorerst Befremdlichen schlüssiger werden zu lassen. Zum zweiten frage ich: Von welcher Art muss Spiritualität sein, wenn sie – entgegen einem heutigen Trend zur Beliebigkeit – sich an Jesus selbst orientiert? Das Buch analysiert zu Beginn die gegenwärtige Krise des abendländischen Christentums, in der die Religion Gefahr läuft, vergessen zu werden, noch bevor ihre Riten und ihre Sprache in dem, was sie umkreisen, verstanden worden sind. Mit der abhandenkommenden Religion geht aber auch ein Kulturgut sowie ein Kontext der spirituellen Erfahrung verloren. Interessanterweise hat schon vor hundert Jahren (1912) der Theologe, Philosoph und Soziologe E.Troeltsch eine wachsende Verständnislosigkeit gegenüber vier Gehalten der christlichen Botschaft diagnostiziert, nämlich gegenüber dem Ethos der Liebe, dem Person-Verständnis (personal), gegenüber der Gemeinschaftlichkeit des Kults und der Konzentration der Spiritualität auf Jesus Christus (vgl. Joas 2012, S. 202). Heutige Menschen fragen ohne Umwege, ob es in der christlichen Religion selbst – also in der Verkündigung, im Inhalt – noch etwas gebe, das überzeuge. Dieses Buch versucht zu antworten und setzt hierzu bei Jesus an. Es setzt in die heutige spirituelle Orientierungsnot einen Akzent, ein Ja zu Jesus und entwickelt Leitgedanken einer jesuanischen Spiritualität nicht aufgrund von Spiritualitätsprogrammen, sondern ausgehend von der Betrachtung der Person Jesu.

Im bibeltheologischen, bisweilen historisch-kritischen Blick einerseits und im Aufspüren psychologischer Gesetzmäßigkeiten hinter dem Verhalten Jesu andererseits wird deutlich, dass Jesus in großer Bewusstheit lebte (vgl. seinen Umgang mit den Dämonen). Gemäß Johannes stand Jesus gar prototypisch für Bewusstwerdung (vgl. Prolog, Kap. 7.2–7.4). Damit legte Jesus eine Spur zur Bewusstwerdung in der menschlichen Seele und im Kollektiv. Die Spur ist noch heute tief unbewusst da und wartet darauf, erkannt, und »nachfolgend« abgeschritten zu werden. Das geschieht etwa wenn Menschen von einer Christusspur träumen, welche durch die Wüste führe. Oder wenn sie im Traum ein »durch Jesus angelegtes Bahngeleise« sehen, das in das tiefe Tal hinunter und auf der anderen Seite wieder hinauf führt. Jesus wurde also zum archetypischen Wirkfaktor.

Meine Erfahrung mit mittlerweile Hunderten von Kursteilnehmern und mit Mitgliedern einer Zürcher Pfarrei bestätigt mir immer neu, dass Jesus uns allein über den Verstand nicht vertraut wird. Es braucht ein Berührt-Sein. Berührt von Jesus, finden Menschen dann von selbst persönliche Antworten und stimmige nächste Schritte in ihrer spirituellen Suche. Diese Mündigkeit dürfte Jesus durchaus entsprochen haben. Er war selten derjenige, der genaue spirituelle Anweisungen gab. Er respektierte die menschliche Freiheit, sah den Menschen als Subjekt (vgl. Kap. 5.1), als Freund und nicht als Knecht. Doch ohne die Vergegenwärtigung von Jesu Worten, seiner Person, seiner Art zu leben und sich zu verhalten, kommt es auch nicht zum nötigen Berührt-Sein. Dieses Buch möchte zu solchen Prozessen anregen. Es ist also ein Jesusbuch und in allem auch ein Spiritualitätsbuch. Es richtet sich an Menschen, die existenziell nach der Bedeutung des Christentums fragen, nicht nur abstrakt, sondern mit Bezug auf ihr eigenes Leben.

Auch mit Blick auf den interreligiösen Dialog fokussiere ich bewusst auf Jesus und möchte insgesamt auf Bewusst- werdungsprozesse vieler Einzelner aus verschiedenen Kulturen und Religionen setzen. (Jede) Religion muss zuerst zu sich selber finden, dann wird die Verschiedenheit von Religionen auch zum Charisma, zur Gabe für alle, die, so hoffe ich, einen ebenso achtsamen wie reifen interreligiösen Dialog suchen (Renz 2008, S. 301). Mir scheint, wir Christen müssten uns nicht sorgen darum, ob Jesus im Wettrennen mit anderen Religionsstiftern standhalte oder andere da und dort vielleicht gar übertreffe. Es würde genügen, ihn und seine Botschaft – entgegen der menschlichen Angst und den Mechanismen von Macht – ›freizugeben‹ auf das hin, wie er sich im Einzelnen und in Glaubensgemeinschaften ereigne – sprich: ihn freigeben im Hinblick auf die innere Erfahrung mit der Dimension Gott hin.

Dieses Buch ist entstanden aufgrund von Begegnungen mit Hunderten von stillen Mystikern und Mystikerinnen unter uns: Schwerkranke, Menschen mit einer Nahtoderfahrung, Sterbende ebenso wie Menschen mitten im Leben, die schwere Lebenserfahrungen und Traumatisierungen innerlich überstiegen und soweit als möglich verarbeitet haben. Ferner aufgrund von Menschen, die sich Reifungsprozessen stellten und wegweisende Erfahrungen über Träume, Klangreisen2 oder tiefenpsychologische Bibelarbeit machten. Stets handelte es sich um Menschen, die das Geheimnis großer Gottnähe kennen, daraus leben und so auf ihre Weise zu ›Exegetinnen und Exegeten der Botschaft‹ wurden. Angesichts solcher Menschen und deren Grenzerfahrungen kommt die Psychologie allein an Grenzen. Konzepte von bewusst und unbewusst, Abwehrmechanismen und therapeutischer Beziehung reichen nicht aus. Was diese Menschen brauchen, ist das Zusammenbringen von Realität und Religion, letztere nicht primär als Lehrgebäude verstanden, sondern als äußerste Selbsterfahrung, die zugleich Gotteserfahrung ist. Religionszugehörigkeit ist dabei nicht entscheidend, wohl aber die Erfahrung einer anderen inneren Wirklichkeit bei gleichzeitiger eigener Hingabe. »Der Vater und ich sind ›fast‹ eins«, sagte mir einmal eine junge, krebskranke und bis zum Hals gelähmte Frau nach einer Gebetserfahrung. Menschen mit einer Nahtoderfahrung oder einer sonstigen tiefen mystischen Erfahrung berichten immer wieder, wie schwer verkraftbar ihre Mystik für die Umgebung sei. Sie sind wahrlich Bürger zweier Welten und können sich ein Leben ohne periodischen Kontakt mit ihrer großen Erfahrung oder diesem anderen Seinszustand nicht mehr vorstellen. »Wie ist ein Weiterleben für mich möglich?« Dieser Frage stelle ich mich andernorts (vgl. Renz 2009, S. 274). Es scheint heute nicht anders zu sein als zu Zeiten von Jesu Jünger und Jüngerinnen, die den Auferstandenen gesehen hatten und Zeugnis gaben: erst die (mystische) Erfahrung bewirkt, dass man versteht.

Überblick:

  1. Dieses Buch analysiert zunächst die gegenwärtige Krise des abendländischen Christentums. Je tiefer diese Krise begriffen wird, umso mehr eröffnen sich Perspektiven der heilmachenden Bewusstwerdung. Welches sind ›Landeplätze für das Religiöse‹, Anknüpfungspunkte dafür in der menschlichen Seele? Das Buch antwortet: die Sehnsucht nach Mystik sowie die Deutung der großen Erfahrungen eines Lebens.
  2. Im zweiten Schwerpunkt wird der historische Jesus umkreist. Was wissen wir gesichert über den Nazaräer und echte Jesusworte? Dass Jesus Mystiker war, wird als historische Aussage gewertet und überbrückt den historischen Abstand zu Jesus.
  3. Die Vaterbeziehung und die Tatsache, dass Jesus Gott als Vater sah, werden nicht als Gegenbild zu Mutter und zu einem mütterlichen Gottesverständnis, sondern als Antwort an die menschliche Angst begriffen. Himmelreich und Seligkeit sind für Jesus Schlüsselbegriffe. Aus der Vaterbeziehung, die letztlich auch Angebot für uns ist, leitet sich als Grundlage jesuanischer Spiritualität ab, dass der Mensch grundsätzlich angenommen und bezogen ist.
  4. Sünde, Sonderung und Urangst werden entwicklungspsychologisch hergeleitet. In der menschlichen Seele existiert ein Bruch im Unterschied zu Jesu ungebrochenem Bezogen-Sein auf den Vater. Für eine sich an Jesus orientierende Spiritualität heißt das: Weg-Gang. Der Mensch kann die Berufung zur Vereinzelung, zum Exodus annehmen.
  5. Jesus war geprägt vom damaligen Dämonenverständnis. Und doch lässt sich Jesu überlegener Umgang mit dem Bösen und dem Phänomen Besessenheit allein dadurch nicht erklären. Das Böse (Einzahl) wird hier psychologisch verstanden und als Summe des Abgespaltenen. Für eine jesuanische Spiritualität gilt: das Böse ist jenseits von Naivität und Diabolisierung ernst zu nehmen. Das gelingt, wenn es sein darf, bei großer Persönlichkeitsstärke und unter ständiger Absage ans Destruktive. Jeder gelingende Überstieg ist Kunst, Ausdruck von Kreativität.
  6. Was kann über Jesu Menschenbild ausgesagt werden? Jesus spricht dem Menschen seine Würde zu und erachtet ihn dennoch als heilungsbedürftig, etwa in seiner Gottferne und Angst. Hinter Jesu Heilungen wird eine Urheilung als Heimführung zum Vater herausgeschält. Heilungen ereigneten sich oft über Beziehung, Jesus heilte ›als Person‹. Stichworte für eine jesuanische Spiritualität lauten: Glaube als Vertrauensakt, Umkehr als Prozessbegriff, Beten als Persönlichkeitsakt. Hier geht es um eine therapeutische Spiritualität.
  7. ›Er/Es kommt mir entgegen‹. Jesus ist auch innerer Weg und Zielvorgabe. Die Erfahrung des deszendenten (der Welt entgegenkommenden) Gottes ist mehr als ›nur‹ seelischer Aufstieg über Erkenntnis, ist Gabe, Gnade. Der Johannesprolog, eine darin aufleuchtende erste und letzte Wirklichkeit sowie eine Spannung werden umkreist. Ebenso das Geheimnis von Weihnachten. Logos – Christus – hat mit Bewusstwerdung zu tun, Erlösung wird als Anbahnung in der menschlichen Seele begriffen. Finalität und Visionen Sterbender verweisen auf eine Dynamik, die mehr ist als Zufall. Für eine jesuanische Spiritualität gilt: Das Faktum Gnade und die Sinnhaftigkeit von Leben lösen Hoffnung aus. Christus (seine Spur) ist mystische Erfahrung auch heutiger Menschen.
  8. Welches ist Jesu besonderes Verständnis von Liebe und Hingabe? Sie ereignen sich in Freiheit, sind identitätsstiftend und münden in die Frage: Was heißt personal? Die Liebesqualität Agape wird im Unterschied zu Philia (φιλία, auch Zuneigung, Freundschaft) reflektiert. Mahl und Fußwaschung sind Ausdruck von Jesu Liebe. Seine Fähigkeit zu Treue und Konsequenz, ihrerseits Aspekt von Liebe, sind hier Schlüssel, um Passion zu verstehen. Die Symbolik des Lammes wird gedeutet. Die Dynamik hinter der Fähigkeit zu lieben, ist stärker als Spiralen von Macht und Gewalt. Das Geheimnis der Auferweckung Jesu ist Ausdruck davon. Die nachösterliche Identität und Friede sind Früchte. Spiritueller Leitgedanke: Haben wir wahrhaft begriffen, was Liebe ist?
  9. Der Umgang mit der eigenen (religiösen) Identität in einer säkularen Welt wird am Beispiel der Arbeit in einem öffentlichen Krankenhaus und im Gegenüber von Patienten verschiedenster Religionen und Geisteshaltungen gezeigt.

Mein Umgang mit der Bibel:

Die Bibel ist ein besonders vielschichtiges Buch. Ich betrachte sie sowohl

  1. als Sammlung heiliger Texte, als Offenbarung. Wichtiges wurde von den Verfassern in ihrerseits großem Angeschlossen-Sein an Gott – und also geistinspiriert – geschrieben.
  2. als Buch, das von Menschenhand verfasst wurde. Darum braucht es die historisch-kritische Exegese, die nach der Herkunft der Texte fragt. Gottesbilder sind auch Menschenbilder und Ausdruck einer Zeit.
  3. als Buch, das in seiner bildhaften Sprache dem Traumbewusstsein heutiger Menschen näher ist als deren Vernunft und Wachbewusstsein. Die Symbolsprache muss als damals gängig angenommen werden. Die tiefenpsychologische Deutung zahlreicher Motive und Symbole kommt der damaligen Denkweise oft näher als das Rationale. Nach P. Ricoeur (1987) braucht es eine »zweite Naivität« (S. 245).

Das eine vom anderen zu unterscheiden, darin liegt die Kunst der Deutung aller heiligen Texte. Im Offenbarungsmoment liegt dasjenige, worin wir Gott selbst zu erkennen glauben und worin ein Text uns eine Brücke zum Absoluten bildet. Der historische Blick legt das Menschliche und Allzu-Menschliche offen, so etwa das patriarchale Denken einer Zeitepoche, aber auch individuelle Neigungen eines Verfassers. Das Offenbarungsgemäße ist von unbedingter, das Menschliche von bedingter Aussagekraft.

Mein spezifischer Deutungsansatz ist durch den konsequenten Einbezug der Tiefenpsychologie und deren Symbolnähe charakterisiert, ähnlich dem frühen E. Drewermann und zugleich auch anders. Ich verstehe mich als Psychotherapeutin, die Gott/Ganzheit als letzten Bezugspunkt des Menschen erkennt und doch das Bedürfnis hat, auch rational zu verstehen, was ich glaube.

Dank: Die Entstehung dieses Buches hat mir einmal mehr gezeigt, wie schwierig es ist, das Erfahrungsorientierte – und eine erfahrungsorientierte Jesusdeutung – so ins Wort zu bringen, dass der andere hört und vielleicht versteht. Ich bin meinem Lektor Dr. Rudolf Walter, Prof. Dr. Max Kuechler (Fribourg), Prof. Dr. Roman Siebenrock (Innsbruck), Dr. Gotthard Fuchs, Prof. Dr. Martin Hasitschka (Innsbruck), Frau Dr. Miriam Schütt, der Spitalseelsorgerin Audrey Kaelin und meiner Mutter, der Psychologin Helen Renz außerordentlich dankbar, dass sie mir in diesem Überstieg durch ihre wegweisenden Fragen, Recherchen und Kritik immer wieder geholfen haben. Ich danke meiner Schwester Prof. Dr. Ursula Renz (Philosophie Klagenfurt) für die Kultur des genauen Nachfragens in unseren Gesprächen. Ich danke meinem Chef Prof. Dr. Thomas Cerny für seinen weiten Blick, der auch Forschung im Bereich der spirituellen Erfahrung wünscht. Ihm, seinem Stellvertreter Dr. Urs Hess, Prof. Dr. Beat Thürlimann, meinen beiden Kollegen Rolf Kirsch und Michael Péus, der Palliativstation, unseren Ärzten der Onkologie des Kantonsspitals St. Gallen, insbesondere Dr. Daniel Büche und Dr. Florian Strasser, danke ich für die exzellente Zusammenarbeit rund um die Projekte »Dying is a transition«. Ich danke Direktor Dr. Daniel Germann, für die Unterstützung meiner Arbeit und Forschung. Ich danke all jenen, die mir und meiner Sache in religiösen Kontexten und im Religionsdialog mehrfach halfen: Prof. Dr. Heinz Stefan Herzka (Zürich, seinerseits jüdischer Herkunft), Prof. Dr. Hans Kessler (Frankfurt/Bielefeld), Abt Martin Werlen, Pater Dr. Bruno Rieder, Therese Bleisch, Pfarrer Dr. Christoph Sigrist, Pater Dr. Christian Rutishauser, Meinrad Furrer (Fällanden), Pfarrer Heinz Angehrn, meinem Vater Dr. Stephan Renz und meinem im Humanitären engagierten Bruder Prof. Dr. Patrick Renz3. Ein spezieller Dank geht an die ganze Pfarrei Fällanden, die ich in ihrem Pfarreiprojekt ›Erlösung aus Prägung‹ coachen durfte. Ich danke den vielen Kursteilnehmern und den Bildungshäusern für ihr Vertrauen in meine Arbeit. Mein persönlichster Dank geht an meine Nächsten, an meine Familie, Freunde und besonders an meinen Mann Jürg, der – trotz teils anderer Geisteshaltung – immer neu feinsinnig wahrnimmt, dass mir die Beschäftigung mit dem Mystiker aus Nazaret gut tut. Er war es, der dem Buch diesen Titel gab.

1 Religion – tiefste menschliche Sehnsucht

1.1 Das Christentum in der Krise – eine Analyse

Der Name Jesus ist im Abendland blutleer geworden. Er vermag kaum mehr, Grundstein einer christlichen Kultur und Religion zu sein. Das Christentum steckt seit Jahrzehnten in einer Krise, die sich als immer noch tiefer und weitreichender entpuppt: von der Kirchenkrise zur Glaubenskrise zur spirituellen Krise. Vordergründig werden die leeren Kirchen, die fehlende Glaubwürdigkeit von Amtsinhabern und die mangelnde Dialogbereitschaft innerhalb kirchlicher Hierarchien beanstandet. Zudem beklagt man die abnehmende Bekenntniskraft: Darf ein Pfarrer noch Pfarrer sein oder ist er nur noch Sozialarbeiter? Soll eine politische Partei das ›C‹ für ›christlich‹ noch in ihrem Namen tragen? Kann Theologie, können Einzelne noch selbstbewusst das zentral Christliche umkreisen, ohne darin als fundamentalistisch abgestempelt zu werden? Die Kraft eines christlichen Lebens aus dem Glauben wird oft schon gar nicht mehr erprobt. Man versucht es nicht mehr mit Jesus. Unglaubwürdige Kirchen und Verfehlungen von Seelsorgern sind längst zur Ausrede und zum Argument gegen die christliche Religion geworden. Doch all dies erfasst die Tiefe der heutigen Krise nicht.