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Ilona Bürgel

Psychische Ressourcen im Job

Darauf kann ich wirklich setzen

Impressum

© KREUZ VERLAG

in der Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2015

Alle Rechte vorbehalten

www.kreuz-verlag.de

 

Umschlaggestaltung: Vogelsang Design

Umschlagmotiv: © 1st Gallery – Fotolia.com

Autorinnenfoto: © Lars Neumann

 

E-Book-Konvertierung: epublius GmbH, Berlin

 

ISBN (Buch) 978-3-451-61339-5

ISBN (E-Book) 978-3-451-80316-1

Inhalt

Einleitung: Psychische Ressourcen – Ihr Erfolgskapital der Zukunft

1. Warum es sich lohnt, heute schon an morgen zu denken

Was uns erwartet

Können wir uns wirklich ändern?

Ist das Leben beeinflussbar?

Warum immer ich?

2. Hindernisse auf dem Weg ins Arbeitsglück – Äußere Bedingungen

Nicht immer ist die Welt, wie sie uns gefällt

Ihre Arbeitsbedingungen auf dem Prüfstand

Belastungen im Alltag

3. Der selbstgemachte Stress – Innere Einstellungen, die blockieren

Wie aus Arbeit Stress wird

Wenn das Gehirn macht, was es will

Gutes Leben – und trotzdem zu viel Stress?

4. Psychische Ressourcen – unsere ungehobenen Schätze

Positive Psychologie – Der positive Blick auf die Welt

Die Praxis des positiven Lebens

Eine kurze Geschichte der psychischen Ressourcen

Psychische Ressourcen im Fokus der Wissenschaft

5. Die besten psychischen Ressourcen im Überblick

Hoffnung

Optimismus

Selbstwirksamkeit

Resilienz

Sinn

Dankbarkeit

Genussfähigkeit

6. Das bewusste Leben und Arbeiten mit Ihren psychischen Ressourcen

Treffen Sie eine Entscheidung

Erkennen Sie Ihre psychischen Ressourcen

Ihre ganz persönlichen psychischen Ressourcen

Nutzen Sie Ihre psychischen Ressourcen

Pflegen Sie Ihre psychischen Ressourcen

Erweitern Sie Ihre psychischen Ressourcen

7. Praxistipps für Ihre psychischen Ressourcen

Ein Leben im Optimum

So wie wir heute essen, werden wir morgen sein

Was dem Geist guttut

8. Ihr Ressourcenpass

Schlusswort: Schöne Aussichten

Literaturverzeichnis

Einleitung: Psychische Ressourcen – Ihr Erfolgskapital der Zukunft

Ich freute mich auf mein erstes Interview mit der FAZ. Ziel meiner Arbeit ist es, körperliches und geistiges Wohlbefinden aus verschiedenen Blickrichtungen zu beleuchten. So beschäftigt mich auch das Thema Burnout, für das ich angefragt wurde. Ein heißes Eisen, bei dem man zwischen Sättigung und Sorge hin und her schwankt. Ich hatte die Daten meiner aktuellen Recherchen geliefert, Telefon- und Veröffentlichungstermin waren vereinbart. Meistens mache ich mir Notizen zu den wichtigsten Aspekten eines Themas, bevor ein Interview stattfindet. So habe ich immer passende Informationen zu bieten. Dementsprechend fühlte ich mich gut vorbereitet – bis zur ersten Frage: »Frau Bürgel, hatten Sie schon einmal Burnout«? Ich war überrascht. Keine Frage zu Theorie, Wissenschaft oder Hintergrund, sondern eine sehr persönliche.

»Erfreulicherweise nicht. Doch ich weiß, was es heißt, überarbeitet zu sein«, antwortete ich nach einer kurzen Irritation. Wie ich das denn hinbekäme bei meinem arbeitsreichen und reiseintensiven Leben? Schon sind wir mittendrin in einem Austausch über meine eigenen Erfahrungen und Lebensprinzipien.

Ja, wie mache ich das? Diese Frage höre ich immer öfter, wenn ich Vorträge halte. Woher nehme ich persönlich meine Gelassenheit und Energie? Ich beantworte diese Frage gern und werde es auch in diesem Buch tun. Weil Authentizität zählt. Es ist ein Unterschied, ob jemand ein Thema nur erforscht oder ob er es erforscht und selbst auch lebt. Ob jemand hinter dem steht, was er sagt. Genau das möchte ich. Denn meiner Meinung nach dürfen Menschen, die andere beraten wollen, mit besonders hohen Erwartungen konfrontiert werden. Warum sollten sie sonst das Recht haben, zu beraten? Empfehlungen auszusprechen und Tipps zu geben hat ja immer auch etwas mit »besser wissen« zu tun. »Besser machen« ist meine Devise. Mein erklärtes Ziel ist es vorzuleben, dass das, was ich lehre, auch funktioniert. In einem richtigen Alltag, nicht nur in der Theorie.

Fragen Sie sich gerade, ob ich es möglicherweise leichter habe als Sie, weil ich ein besonders angenehmes Arbeitsthema habe? Es ist für mich genauso leicht oder schwer wie für Sie. Wir alle treffen täglich hunderte von Entscheidungen, die oft leider nicht von Selbstfürsorge und Selbstrespekt geprägt sind, sondern von »Sollen«, Pflichten, Sorgen und negativen Emotionen.

Ich habe deshalb bei meiner Arbeit neben der Sichtung der Studien aus Psychologie und Gehirnforschung immer ein Auge auf die Praxis. Ich suche nach Konzepten, die das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Nur dann lohnt es sich, danach zu leben. So bin ich auf die Positive Psychologie gestoßen. Die Wissenschaft, die erforscht, was Wohlbefinden, Leistungsfähigkeit und Gesundheit ausmachen. Auf ihren Spuren entdeckte ich das Konzept des Psychologischen Kapitals. Es entsprang der Idee, die Positive Psychologie in der Wirtschaft zu etablieren. Der Faktor Mensch rückte in den Mittelpunkt des unternehmerischen Erfolgs.

Wenn sich England mit dem Wirtschaftsfaktor Glück befasst, Japan die Mitarbeiter mittags schlafen lässt, Unternehmen wie Google Spielecken im Haus einrichten und sich Angela Merkel seit 2013 mit dem Bruttoinlandsglück-Index befasst, dann nicht deshalb, weil es sonst nichts zu tun gäbe. Sie alle tun es, weil die Effekte überzeugen und händeringend nach neuen Lösungen für die Zukunft der Arbeit und Gesellschaft gesucht wird.

 

! Wir müssen für ein neues Morgen vorbereitet sein, auch wenn wir lieber alles beim Alten ließen.

 

Die Zukunft wartet mit neuen Anforderungen auf uns Menschen. Gefragt sind Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Selbstorganisation und ständige Weiterentwicklung. In immer kürzerer Zeit sollen wir immer mehr leisten, sollen engagiert, leistungs- und lernfähig bis ins immer höhere Alter in Beruf und Privatleben sein. Doch wie soll das gehen? Wir haben schon viele Jahre über unsere Kräfte gelebt. Mit Sorge betrachten viele Menschen ihre Zukunft. Wie können wir dieser neuen Welt weiter gerecht werden, wie unseren Lebensstandard halten?

Es geht nicht mehr um Wellness wie in den 80ern und 90ern, nicht mehr um Illusionen wie um den Jahrtausendwechsel, sondern um Existenzielles. Wer gut für sich selbst sorgt und seine psychischen Ressourcen versteht, kann von der neuen Welt enorm profitieren. Das eigene Wohlbefinden kristallisiert sich dabei immer wieder als Mediator zwischen Anforderungen und individuellen Potentialen heraus. Menschen arbeiten genauso gut oder schlecht, wie sie sich fühlen.

Leistungsfähige, engagierte Mitarbeiter sind der Mittelpunkt jedes Unternehmens. Sie werden immer kostbarer im »Schneller, höher, weiter« unserer Arbeitswelt. Die Dynamik der Märkte und der Welt nimmt zu und mit ihr der Druck, dem die Menschen im Unternehmen und zu Hause ausgesetzt sind. Globalisierung, Flexibilisierung, demografischer Wandel.

Was treibt uns wirklich an, mehr zu leisten und uns einzubringen? Geld? Ansehen? Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass persönliches Wohlbefinden unsere Leistungsfähigkeit mehr fördert als die pure Freude an der Aufgabe. Experten haben festgestellt: Ein Mitarbeiter, dem es gut geht, erledigt seine Arbeit besser als einer, dem es schlecht geht. Selbst dann, wenn ihm die entsprechende Aufgabe keinen Spaß bereitet.

Positive Emotionen helfen uns dabei, unsere psychischen Ressourcen vollständig auszuschöpfen. Dies führt zu mehr Wohlbefinden, und mehr Wohlbefinden zu einer nachhaltigen Aufwärtsspirale von Selbstmotivation und Spitzenleistung.

Können Sie sich mit dieser Sichtweise schon anfreunden? Erfolge wurden in Deutschland bislang doch eher über die klassischen Tugenden wie Disziplin und Anstrengung erzielt. Damit haben wir viel erreicht. Doch wir kommen allein damit nicht mehr weiter. Wie gelingt es, Wohlbefinden dauerhaft und möglichst unabhängig von anderen Menschen und den Umständen zu erreichen? Der bewusste Einsatz unserer psychischen Ressourcen ist der Schlüssel dazu.

 

! Psychische Ressourcen wurden bislang unterschätzt.

 

Der Ressourcenbegriff ist uns aus dem täglichen Umgang vertraut. Meistens verwenden wir ihn im Sinne der französischen Herkunft als »Mittel« oder der lateinischen als »Quelle«. Erst in den 50er- bis 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts begann die Wirtschaftswissenschaft, sich mit dem »Humankapital« als Produktivitätsfaktor zu beschäftigen. Der Fokus lag dabei auf dem Wissen und der Ausbildung der Menschen. Interessanterweise wurde lange übersehen, dass Wissen kopier- und replizierbar ist. So ist der Wettbewerbsvorteil erfahrener Mitarbeiter und Experten im Haus zwar ein kostbares Gut, sein Gewicht wird von Haltungen und Stärken der Menschen im Unternehmen aber noch übertroffen. Das Engagement, die Begeisterung, die Kreativität von Mitarbeitern machen sich täglich positiv oder negativ bemerkbar und sind unvergleichlich in der Wirkung.

Zahlreiche Untersuchungen haben inzwischen nachgewiesen, dass Einsatz und Ausbau der psychischen Ressourcen Gesundheit, Arbeitszufriedenheit, Engagement, Einzelleistung und Teamleistung verbessern. Voraussetzung dafür ist, dass wir unsere Ressourcen kennen, nutzen, pflegen und entwickeln. Wir stärken uns und andere, sind Vorbild und Modell. So wird es uns auch gelingen, das negative Stimmungsruder bei der Arbeit herumzureißen.

Zurück zu meinem Interview: Als ich nach meinen Erfahrungen mit dem Thema Burnout gefragt wurde, konnte ich schildern, dass mein Leben in Balance auf feste Rituale wie Yoga oder Meditation baut. Auf regelmäßiges Essen und klare Tagesstrukturen, an die ich mich – zum Beispiel bei den Schlafenszeiten – diszipliniert halte. Ich habe es gelernt, mich nur noch drei Minuten zu ärgern und mir selbst Freude zu bereiten. Ich konnte also viel Positives berichten. Das ist nicht selbstverständlich. Nur zu oft lesen und hören wir schlechte Beispiele, Katastrophen und Schwierigkeiten.

Ich nehme eine Tendenz sowohl in den Medien als auch in unserer persönlichen Kommunikation war, Negativem größeren Raum zu geben und es sogar zu erwarten. Dies führt so weit, dass in Umfragen zu Stress und Arbeit allein die Stellung der Fragen so suggestiv ist, dass eher negativ als positiv geantwortet wird. Immer wieder, immer öfter, bis wir irgendwann glauben, dies sei die Realität.

Ein Beispiel: Zum Thema Stress veröffentlichte die Techniker Krankenkasse 2013 eine imposante Studie. Die meisten Fragen sind Belastungsfragen, auch wenn es vereinzelt den Versuch gibt, auch einmal etwas Positives zu fragen, ob die Arbeit Spaß mache zum Beispiel. Im DGB-Index der Gewerkschaften 2012 kommen sogar nur negative Fragen vor, zum Beispiel: »Wie oft ist es in den letzten vier Wochen vorgekommen, dass Sie sich nach der Arbeit leer und ausgebrannt gefühlt haben?« Wenn 44 Prozent der Befragten antworten: »Sehr häufig oder häufig«, ist das immer noch eine Minderheit. Doch in der medialen Berichterstattung heißt es dann, dass die deutschen Beschäftigten leer und ausgebrannt sind.

Ein anderes Beispiel: Im Gesundheitsreport 2013 der DAK wurde endlich einmal genauer hingeschaut, wie das Thema Erreichbarkeit in der Realität gehandhabt wird. Ergebnis war, dass nur 20 Prozent der Beschäftigten häufiger als einmal pro Woche geschäftliche E-Mails in der Freizeit lesen, fast 70 Prozent nie oder fast nie. Fast 80 Prozent bejahten die Aussage »Mein Arbeitgeber akzeptiert es, wenn ich außerhalb der Arbeitszeit nicht erreichbar bin«. Doch worüber klagen wir im Alltag immer wieder? Den Druck, der aus der permanenten Erreichbarkeit entsteht. Was für ein Widerspruch!

Wie oft wurden Sie hingegen schon gefragt, wo Ihre Potentiale oder Ressourcen liegen? Haben Sie sich das schon einmal selbst gefragt? Ganz ungewohnt ist es für uns, sich darauf zu besinnen, dass wir alles in uns haben. Dass wir schon richtig und potent sind, so wie wir sind.

Eine erste umfassende Studie, die sich neben Belastungsfaktoren bei der Arbeit auch mit Ressourcen befasste, fand ich bei der Unfallkasse Nordrhein-Westfalen, die sich mit Erziehern in Kindergärten und der Jugendhilfe befasste. Im Hinblick auf die Ressourcen wurden von den Teilnehmern vor allem Weiterbildung, die gute Stimmung, Lachen mit anderen und der Austausch im Team genannt, die Bestätigung durch die Kinder und der emotionale Austausch, ein hoher Gestaltungs- und Handlungsspielraum sowie selbstbestimmtes Arbeiten.

Fällt Ihnen etwas auf? Soziale Unterstützung und Handlungsspielraum sind tatsächlich Ressourcen für gesundes und befriedigendes Arbeiten. Doch sie sind externe Faktoren, die man nicht unbedingt beeinflussen kann. Selten liegt der Fokus bei uns, bauen wir auf das, was wir immer und überall selbst steuern können.

Lassen Sie uns gemeinsam neue Wege gehen. Weil unsere Zukunft präventives Handeln im Heute erfordert. Sie finden hier das Beste aus der Positiven Psychologie, dem positiven Kapital und den Stärken- und Ressourcenkonzepten, ausgewählt nach den Kriterien wissenschaftlich erwiesene Wirksamkeit, Praktikabilität und Freude bei der Anwendung im persönlichen Berufsalltag. Sie halten einen genussvollen, vielleicht unerwarteten Denkansatz in den Händen, der den Fokus auf die unkomplizierte Nutzung Ihrer schon vorhandenen psychischen Ressourcen legt. Durch das Buch begleiten Sie Reflektionsfragen, die zu Ihrem konkreten Ressourcenpass führen.

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwende ich nur die männliche Form der Substantive, spreche aber natürlich Männer wie Frauen an. Sie können sich einzelne Kapitel herauspicken oder der Reihe nach lesen. Dieses Praxisbuch möchte Ihnen Lust auf die eigenen Chancen und Möglichkeiten bei der Arbeit im Heute und Morgen machen. Damit Sie sich auf Ihre Zukunft freuen können.

1. Warum es sich lohnt, heute schon an morgen zu denken

Werfen wir doch einmal einen Blick in die Zukunft, um uns auf deren Anforderungen heute schon einzustellen. Natürlich werden wir erst wissen, wie sie ist, wenn wir sie erleben. Doch je mehr wir sie uns vorstellen können, umso besser fühlen wir uns vorbereitet. Und je besser wir vorbereitet sind, umso sicherer fühlen wir uns. Welche Erwartungen haben Sie denn an die Zukunft? An die der Menschheit, unseres Landes, Ihre eigene?

Viele Menschen haben Sorgen oder Ängste, wenn sie an die Zukunft denken. Wird das Geld reichen? Wird uns jemand unseren Arbeitsplatz streitig machen? Die ersten gesundheitlichen Warnschüsse lassen erahnen, dass unsere Träume darüber, was wir alles unternehmen wollen, wenn wir erst mal alt sind, doch nicht so einfach umzusetzen sein könnten.

Da unser Gehirn sich von allein eher auf Probleme und Katastrophen als auf Angenehmes fokussiert, möchte ich mit Ihnen ganz bewusst einen optimistisch-realistischen Blick in die Zukunft werfen. Der Vorteil ist, dass wir uns dann so verhalten, dass es zu unseren Chancen passt und wir die Zukunft erleben, die wir uns wünschen.