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Über den Autor

Mike Corsa, Jg. 1956, ist Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej) und Vorsitzender des Bundesjugendkuratoriums in der 17. Legislaturperiode. Er ist unter anderem auch Mitglied im Deutschen Jugendinstitut und arbeitet dort im Kuratorium mit.

E-Mail: co@aej-online.de

Impressum

Aus: Enzyklopädie Erziehungswissenschaft Online; ISSN 2191-8325

Fachgebiet/Unterüberschrift:

Jugend und Jugendarbeit, Arbeitsfelder der Jugendarbeit

hrsg. von Thomas Rauschenbach und Stefan Borrmann

© Beltz Juventa ∙ Weinheim und Basel

2013, DOI 10.3262/ EEO13130303

ISBN 978-3-7799-4270-2

www.beltz.de

Inhalt

Abstract

Schlüsselwörter

1. Das Wesen kirchlicher Kinder- und Jugendarbeit

2. Organisation

3. Reichweite – ein Blick auf die Nutzer(innen)

4. Historische Entwicklung

Ostdeutschland

Westdeutschland

5. Merkmale kirchlicher Kinder- und Jugendarbeit

5.1 Gruppe und Gemeinschaft unter Gleichaltrigen

5.2 Die Basis – der christliche Glauben

5.3 Kirchliche Kinder- und Jugendarbeit im Horizont von Bildung

5.4 Gesellschaftliches Engagement und Beteiligung

5.5 Orte und Räume von jungen Menschen

5.6 Ehrenamtliche Mitarbeiter(innen) und berufliche Fachkräfte

6. Eigenständige Bedeutung und Potenziale kirchlicher Kinder- und Jugendarbeit

6.1 Christliche Sozialisation

6.2 Bildung

6.3 Entwicklung von Verantwortung

6.4 Gemeinschaftsbildung

6.5 Gesellschaftliche Integration

6.6 Systematischer Dialog zwischen Jugend und Erwachsenen

7. Herausforderungen der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit

7.1 Relevanz von kirchlicher Kinder- und Jugendarbeit aufzeigen

7.2 Profil: christlich in seiner jeweiligen konfessionellen Ausprägung

7.3 Schule – ein zentraler Lebensort junger Menschen

7.4 Überwindung der Zielgruppenbeschränkung – Heterogenität als Herausforderung

7.5 Beteiligung ausbauen

7.6 Berufliche Fachkräfte und eine angemessene Fachlichkeit

Literatur

Abstract

Abstract: Kirchliche Kinder- und Jugendarbeit ist eine organisatorisch eigenständige und räumlich weitverzweigte Gelegenheitsstruktur für vielfältige selbstbestimmte Formen des Engagements von Kindern und Jugendlichen. Sie trägt einen wesentlichen Teil der Kinder- und Jugendarbeit in Deutschland. In historischer Betrachtung wird ihre Bedeutung für die Entwicklung der Kinder- und Jugendarbeit aufgezeigt. Der Beitrag arbeitet dann auf der Basis ausgewählter Merkmale – Gruppenbezogenheit, christlicher Glaube als Basis, außerschulische Bildung, Entwicklung des gesellschaftlichen Engagements und Mitarbeitende – ihre heutige Bedeutung und ihre Potentiale heraus. Ein Ausblick geben gesellschaftliche und fachliche Herausforderungen, denen sich die kirchliche wie die gesamte Kinder- und Jugendarbeit stellen muss.

Schlüsselwörter

Schlüsselwörter: christlicher Glaube. Jugendverband, Subjektorientierung, Engagement, Beteiligung, Gruppe, Fachkräfte, Ganztagsschule, SGB VIII, Geschichte

1. Das Wesen kirchlicher Kinder- und Jugendarbeit

Kirchliche Kinder- und Jugendarbeit ist ein wenig gebräuchlicher Begriff. In der Praxis wird von evangelischer oder katholischer Kinder- und Jugendarbeit gesprochen und von konfessioneller Kinder- und Jugendarbeit, wenn die vielfältigen Formen jugendverbandlicher Art kategorisiert werden sollen (DBJR 1994, DJI 2009).

Kirchliche Kinder- und Jugendarbeit richtet sich an Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene – unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem sozialen Status. Sie basiert auf freiwilliger Teilnahme und der Bereitschaft junger Menschen, sich zu engagieren. Junge Menschen sind hier nicht als Objekte irgendwelcher Organisationsinteressen und pädagogischer Bevormundung zu verstehen. Ihre Sichtweisen haben eine wesentliche Rolle bei der „Produktion“ kirchlicher Kinder- und Jugendarbeit. Das unterscheidet kirchliche Kinder- und Jugendarbeit, wie viele Formen der Kinder- und Jugendarbeit, von anderen pädagogischen Settings in jugendlichen Lebenswelten wie zum Beispiel Schule und Sport. Sie verfügt – auch deshalb – über eine große Vielfalt von Inhalten, Methoden und Formen.

Kirchliche Kinder- und Jugendarbeit verortet sich zwischen Familie, Schule und Ausbildung/Studium als eigenständiger und eigensinniger Gestaltungsrahmen junger Menschen. Ordnungspolitisch ist sie als spezifischer Ort von Sozialisation, Bildung und Erziehung ein Bestandteil des Leistungsangebots der Kinder- und Jugendhilfe und damit der staatlichen Förderung von Kindern und Jugendlichen. Seit Inkrafttreten des SGB VIII hat die Kinder- und Jugendarbeit mit § 11 einen eigenständigen Rechtsstatus, der sie in den Katalog der Pflichtaufgaben aufnimmt. Kirchlich ist Kinder- und Jugendarbeit eine gesamtkirchliche Aufgabe und Teil des Dienstes an der jungen Generation. Als Arbeitsbereich und als selbstorganisierter Verband der verfassten Kirchen ist sie eine Form kirchlichen Lebens und hat Anteil an den kirchlichen Mitteln.

Kirchliche Kinder- und Jugendarbeit steht in einer produktiven Spannung zwischen unterschiedlichen Interessen: Staat und Gesellschaft haben ein Interesse, Kinder und Jugendliche zu mündigen, selbstbestimmten und konstruktiven Mitgliedern dieser Gesellschaft mit gelingenden Biografien heranzubilden. Sie sollen sich in die Gesellschaft integrieren und positive Veränderungspotenziale entfalten. Kinder und Jugendliche bilden das Zukunftspotenzial einer Gesellschaft, sind zugleich aber als Teil der gegenwärtigen Gesellschaft Subjekte, deren Grundbedürfnisse und Interessen zu respektieren sind und deren materielles, physisches und psychisches Wohl im Sinne öffentlicher Fürsorge und der eigenständigen Rechte zu garantieren ist.

Kirchen verbinden mit Kinder- und Jugendarbeit das Interesse, junge Menschen an den Glauben heranzuführen und Glaubensinhalte sowie christliche Traditionen an die nachwachsende Generation weiterzugeben. Es geht ihnen auch darum, den Nachwuchs mit der Perspektive einer „jugendsensiblen“ Kirche zu sichern (EKD 2010, S. 17). Jugendliche haben und verfolgen ihre eigenen Interessen. Gelingende kirchliche Kinder- und Jugendarbeit orientiert sich an den subjektiven Bedarfslagen und Interessen junger Menschen, an ihren Lebenswelten sowie an ihrer Eigensinnigkeit und Widerständigkeit als Potenzial für ihr eigenes Leben wie für die Gesellschaft.

Das Kinder- und Jugendhilferecht weist jungen Menschen bei der Definition von Kinder- und Jugendarbeit eine sehr prominente Rolle zu: Alle Maßnahmen sind freiwillig, knüpfen an die Interessen der jungen Menschen an und sollen „von ihnen mitbestimmt und mitgestaltet werden“ (§ 11, Abs. 1 SGB VIII). Die „selbsttätige Selbstbestimmung von jungen Menschen“ (Wiesner u. a. 2006, S. 206) bei der Produktion von Kinder- und Jugendarbeit pointiert der Gesetzgeber für einen spezifischen Trägerbereich: „In Jugendverbänden und Jugendgruppen wird Jugendarbeit von jungen Menschen selbst organisiert, gemeinschaftlich gestaltet und mit verantwortet“ (§ 12, Abs. 2 SGB VIII). Der Gesetzestext nimmt damit Bezug auf das entscheidende Merkmal von Kinder- und Jugendarbeit: wo sie sich entfaltet, ist Kinder- und Jugendarbeit ein Ort der jungen Menschen. Insofern versteht sich kirchliche Kinder- und Jugendarbeit als ein „jugenddominierter Raum“.

Kirchliche Kinder- und Jugendarbeit nimmt die Interessen von Kindern und Jugendlichen wahr und vermittelt diese Interessen in die Kirche, Politik und Gesellschaft hinein. Zugleich vertritt sie die Integrationsinteressen von Gesellschaft und Kirche gegenüber jungen Menschen und vermittelt Werte und Einstellungen an junge Menschen. Immerwährende Herausforderung ist es dabei, die unterschiedlichen Interessenlagen nicht als Konflikt zu betonen, sondern in eine produktive Balance zu bringen.

2. Organisation

Die überwiegende Mehrheit der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit ist innerhalb der Kirchen in eigenständigen Strukturen organisiert. Eigenständig kann bedeuten: