DIE AUTOREN

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Mark Rippetoe ist (was offensichtlich sein sollte) der Autor von Starting Strength: Einführung in das Langhanteltraining, Practical Programming for Strength Training, Strong Enough?, Mean Ol’ Mr. Gravity sowie einer Reihe von Artikeln, die in Fachmagazinen, Sportzeitschriften und im Internet erschienen sind. Seit 1978 arbeitet er in der Fitnessbranche, seit 1984 ist er Inhaber des Wichita Falls Athletic Club. 1983 schloss er sein Studium der Geologie mit Nebenfach Anthropologie an der Midwestern State University mit einem Bachelor of Science ab. Als einer der Ersten legte er 1985 bei der National Strength and Conditioning Association die Prüfung zum Certified Strength and Conditioning Specialist (CSCS) ab – und war 2009 auch der Erste, der dieses Zertifikat offiziell wieder zurückgab. Rip war zehn Jahre lang als Kraftdreikämpfer aktiv, nahm an Wettkämpfen teil und hat in der Folgezeit nicht nur viele Gewichtheber und Athleten betreut, sondern auch Tausenden von Freizeitsportlern dabei geholfen, ihre Kraft und ihre Leistung zu verbessern. In zahlreichen Seminaren im ganzen Land unterrichtet er andere Trainer in seiner Methode des Langhanteltrainings.

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Jason Kelly ist Illustrator und Personal Trainer in New York City. 2007 schloss er sein Grafik-Studium am Savannah College of Art and Design mit einem Bachelor of Fine Arts ab. Als Kraftsportler kann er auf über 15 Jahre Trainingserfahrung zurückblicken.

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Stef Bradford, PhD, ist Geschäftsführerin der Aasgaard Company sowie Community Organizer bei www.startingstrength.com. Ihr Studium der Pharmakologie an der Duke University schloss sie 2004 mit der Promotion ab. Sie widmet sich schon fast ihr ganzes Leben dem Krafttraining und bestritt viele Jahre lang Wettkämpfe im Gewichtheben. Auch sie gibt landesweit Kurse zum Thema Langhanteltraining.

BILDNACHWEISE

Fotos

Alle Fotos von Thomas Campitelli (außer anders angegeben).

Fotos von Torin Halsey: Abbildungen 2-16, 2-17, 2-20, 2-21, 2-24, 2-34, 2-40, 2-57, 2-58, 2-60, 3-15, 4-6, 4-45, 4-48, 4-49, 4-50, 4-51, 5-4, 5-5, 5-6, 5-10, 5-21, 5-22, 5-27, 5-28, 5-29, 5-32, 6-17, 6-39, 6-42, 6-44, 6-45, 6-46, 7-3, 7-13, 7-14, 7-21, 7-25, 7-36, 7-37, 7-38, 7-39, 7-40, 7-41, 7-42, 7-48, 7-49, 7-50, 7-51, 7-53, 7-59, 8-6, 8-7, 8-8, 8-11, 8-12, 8-13, 8-14, 8-15.

Fotos in Abbildung 7-43, 7-45, 7-57, 7-58, 7-61 und 7-62 von Lon Kilgore.

Fotos in Abbildung 4-1, 4-39 und 5-1 mit freundlicher Genehmigung von Mike Lambert und Powerlifting USA Magazine.

Fotos in Abbildung 2-56 und 7-31 von Stef Bradford.

Fotos in Abbildung 3-1, 3-2 und 6-1 mit freundlicher Genehmigung von Bill Starr.

Foto in Abbildung 7-23 von Bruce Klemens.

Foto in Abbildung 4-47 von Treva Slagle.

Foto in Abbildung 6-37 von Tom Goegebuer.

Gezeigte Personen

Ryan Huseman, Andrea Wells, Justin Brimhall, Carrie Klumpar, Stef Bradford, Josh Wells, DeLisa Moore, Damon Wells, Matt Wanat, Ronnie Hamilton, Roland Conde, Paul Ton, Joel Willis, Tara Krieger, Miguel Alemar und The Orangutan.

Illustrationen

Alle Zeichnungen von Jason Kelly (außer anders angegeben).

Abbildung 6-5, 8-1 und 8-5 aus Practical Programming for Strength Training, 2. Auflage, The Aasgaard Company, 2009.

Abbildung 2-19 von Lon Kilgore und Stef Bradford.

Abbildung 6-3 von Stef Bradford.

Illustrationen und Beweis in Abbildung 4-25 von Matt Lorig.

EMG- und Kraftdiagramm für Abbildung 8-3 mit freundlicher Genehmigung von Jacqueline Limberg und Alexander Ng, Marquette University.

Bauplan für das Power-Rack in Abbildung 8-10 von Terry Young.

KRAFT

Warum und wie

Körperliche Kraft ist das Wichtigste im Leben – ob uns diese Aussage nun gefällt oder nicht. Zwar wurde im Lauf der Menschheitsgeschichte die reine Körperkraft für die Bewältigung des Alltags immer unwichtiger, aber sie spielt trotzdem noch eine entscheidende Rolle in unserem Leben. Mehr als unser gesamtes Hab und Gut entscheidet sie auch heute noch darüber, wie hoch unsere Lebensqualität und -erwartung ist. Während in früheren Zeiten die körperliche Kraft dafür verantwortlich war, wie viel Essen auf den Tisch kam oder ob man es warm und trocken hatte, sorgt sie heute lediglich dafür, dass wir uns gut in der Umwelt zurechtfinden, die wir mit unseren fortgeschrittenen Kulturtechniken geschaffen haben. Aber letztendlich sind wir immer noch Tiere – unsere physische Existenz entscheidet nach wie vor darüber, wie wir uns fühlen und wie erfolgreich wir sind. Kein Zweifel, wer Körperkraft hat und sich etwas zutraut, wird sich immer besser fühlen als derjenige, dem diese Kraft fehlt. Mir ist bewusst, dass diese Behauptung bei vielen Zeitgenossen auf Kritik stößt, die den Geist über den Körper stellen. Es wäre sicher interessant zu beobachten, wie sich ein entsprechender Kraftzuwachs auf ihre Meinung auswirken würde.

Ebenso wie sich unsere Kultur verändert hat, hat sich auch unser Verhältnis zu körperlicher Aktivität verändert. Unsere frühere physische Stärke rührte daher, dass wir uns in einer rauen Welt behaupten mussten. Nur wer stark genug war, blieb am Leben. Wir mussten uns anpassen, weil wir keine andere Wahl hatten. Auf diese Weise formte sich die Physiologie des Menschen und der mit ihm verwandten Primaten. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Da sich durch das Konzept der arbeitsteiligen Gesellschaft die meisten von uns nicht mehr selbst um die Nahrungsbeschaffung kümmern müssen, ist körperliche Aktivität optional geworden. Wir sind also nicht mehr darauf angewiesen, als Jäger und Sammler durchs Land zu streifen, aber Jahrmillionen der Anpassung an unwirtliche Lebensbedingungen werden sich nicht einfach so in Luft auflösen, nur weil jemand den Schreibtisch erfunden hat. Und die arbeitsteilige Lebensweise ist evolutionsbiologisch schlichtweg noch zu neu, als dass sich unsere genetische Grundausstattung daran hätte gewöhnen können.

Ob es Ihnen gefällt oder nicht, wir besitzen nach wie vor das Potenzial für starke Muskeln, Knochen, Sehnen und Nerven, und diese evolutionär hart erarbeiteten Strukturen müssen wir hegen und pflegen. Ihre Entwicklung hat viel zu lange gedauert, um sie jetzt zu vernachlässigen. Vielmehr noch: Wenn wir das tun, schaden wir uns selbst. Sie sind die Bausteine unserer Physis, und unsere Lebensqualität hängt stark von unserer bewussten, gezielten Anstrengung ab, ihnen die Reize zu bieten, die sie benötigen, um in dem optimalen Zustand zu bleiben, für den sie gedacht sind. Sport kann diese Reize liefern.

Unabhängig von jedem Gedanken an Rekorde und Medaillen bietet eine regelmäßige sportliche Betätigung alle Reize, die den menschlichen Körper in den Zustand zurückversetzen, für den er eigentlich geschaffen wurde. Es ist für den Homo sapiens physisch gesehen nicht normal, sich nicht zu verausgaben. Deshalb ist es auch der falsche Ansatz, erst dann sportlich aktiv zu werden, wenn wir ein Problem beheben wollen – wir müssen uns auf jeden Fall bewegen, um Probleme schon im Vorfeld zu vermeiden. Wir müssen uns bewegen, um die Bedingungen zu simulieren, unter denen sich unsere Physiologie in grauer Vorzeit entwickelt hat. Sportliche Betätigung ist also ein Ersatz für den steinzeitlichen Alltag – das, was man tun muss, um auch im 21. Jahrhundert Körper und Geist zu einer normalen Funktion zu verhelfen. Aber was heißt schon normal? Für jeden, der etwas auf sich hält, reicht das nicht aus.

Die Entscheidung eines Athleten, systematisches Krafttraining zu betreiben, kann entweder durch den Wunsch motiviert sein, einen Teamsport auszuüben, der eine gewisse körperliche Robustheit voraussetzt, oder aber durch andere, persönlichere Gründe. Viele haben das Gefühl, nicht stark genug zu sein bzw. stärker sein zu können, ohne dass sie eine Mannschaftssportart betreiben. An diese Menschen richtet sich dieses Buch.

Warum Langhanteln?

Training zur Kraftsteigerung ist so alt wie die Zivilisation selbst. Die antike Legende über den griechischen Athleten Milon zeigt, wie alt das Interesse an körperlicher Entwicklung und an den dafür verantwortlichen Prozessen ist. Es heißt, Milon habe täglich ein Kalb gestemmt und als das Kalb größer wurde, wuchs auch Milons Kraft. Dass sich Kraft progressiv entwickelt, war also schon vor Tausenden von Jahren bekannt, aber erst vor (auf die Menschheitsgeschichte bezogen) vergleichsweise kurzer Zeit fand der technische Fortschritt eine Antwort auf die Frage, wie sich ein progressives Widerstandstraining am besten umsetzen lässt.

Zu den ersten Geräten, die zu diesem Zweck entwickelt wurden, zählte die Langhantel, ein langer Metallstab, an dessen beiden Enden sich ein Gewicht befand. Die ersten Langhanteln waren mit Kugeln versehen, die man nach Bedarf mit Sand oder Kies füllen konnte. David Willoughbys hervorragendes Buch The Super Athletes (A. S. Barnes and Co., 1970) beschreibt die Geschichte des Gewichthebens sowie die Ausrüstung, die diesen Sport erst möglich machte. Willoughby konnte aber nicht ahnen, dass sich Mitte der 1970er die Ereignisse überschlagen würden. Ein gewisser Arthur Jones erfand ein Gerät, das das Krafttraining revolutionierte. Leider sind nicht alle Revolutionen uneingeschränkt produktiv. Seine Nautilus-Maschinen nutzten das »Prinzip des variablen Widerstands«, demzufolge sich die Kraftkurve während der Bewegung gegen einen Widerstand verändert – dass also ein Muskel, abhängig vom momentanen Winkel des Gelenks, unterschiedlich viel Kraft entwickeln kann. Für jedes Körperteil gab es nun eine eigens entwickelte Maschine, und die Kette, die mit dem Gewichtsblock verbunden war, wurde mit einer Umlenkrolle ausgestattet, die während der Bewegung den Widerstand veränderte, gegen den das Gelenk arbeiten musste. Die Maschinen waren darauf ausgelegt, in einer bestimmten Reihenfolge benutzt zu werden, eine nach der anderen, ohne Pause zwischen den Sätzen, da jeweils ein anderes Körperteil trainiert wurde. Der (unter wirtschaftlichen Überlegungen durchaus gerechtfertigte) Grundgedanke war, dass man ein umfassendes Ganzkörpertraining erhalten konnte, sofern genügend Maschinen vorhanden waren, die einen Zirkel ergaben – und alle ein anderes Körperteil trainierten. Diese Trainingsgeräte waren extrem hochwertig verarbeitet und optisch ansprechend gestaltet, und bald besaßen die meisten Studios den obligatorischen, sehr teuren Nautilus-Zirkel mit zwölf Stationen.

Kraftmaschinen waren allerdings keineswegs etwas Neues. An den meisten Highschools gab es schon damals eine Gladiator Multi-Station von Universal, und jeder, der mit Gewichten trainierte, kannte Übungen wie das Beinstrecken und Latziehen. Der Unterschied lag im Marketing der neuen Geräte. Nautilus hob den Ganzkörpereffekt des kompletten Zirkels hervor, der zuvor nie für wichtig erachtet worden war. Uns wurden Vorher-nachher-Bilder vorgesetzt, unter anderem von Casey Viator, der angeblich nur mithilfe von Nautilus-Geräten eine stattliche Physis erzielt hatte. Was aber nicht erwähnt wurde, war, dass der gute Herr Viator ein erfahrener Bodybuilder war, der lediglich seine alte Muskelmasse wiederaufbaute, die er sich zuvor mit altbewährten Methoden antrainiert hatte.

Jones ging sogar so weit zu behaupten, dass man die Kraft, die man sich mit Nautilus-Maschinen aneignete, auf komplexe Bewegungsmuster übertragen konnte, wie sie beispielsweise im olympischen Gewichtheben vorkamen, ohne die entsprechenden Übungen mit schweren Hanteln ausführen zu müssen – eine Behauptung, die allen gängigen Trainingstheorien und praktischen Erfahrungen widerspricht. Aber Nautilus war bereits so erfolgreich und hatte einen so großen Namen, dass niemand widersprach. Seither gelten die Maschinen dieses Herstellers als internationaler Standard in kommerziellen Fitnessstudios.

Der Hauptgrund für diesen Siegeszug war, dass die Fitnessstudios (die damals noch »Gesundheitsclubs« hießen) mit Nautilus-Maschinen der Öffentlichkeit etwas bieten konnten, das es in dieser Form zuvor nicht gegeben hatte. Wenn vor der Erfindung von Nautilus ein Clubmitglied ein hartes Training absolvieren wollte, das sich mit der Universal-Ausrüstung nicht umsetzen ließ, dann musste er den Umgang mit Langhanteln erlernen. Das musste ihm aber jemand beibringen. Und zu diesem Zweck musste jemand den Club-Angestellten beibringen, wie man es ihm beibringt. Eine solche professionelle Fortbildung war und ist zeitaufwendig und nicht überall verfügbar. Und sie kostet entsprechend. Mit der Nautilus-Ausrüstung allerdings konnte jedermann schnell lernen, den kompletten Zirkel zu nutzen, der vordergründig ein Ganzkörper-Workout bot, ohne dass Mitarbeiter lange und umständlich geschult werden mussten. Außerdem konnte man den Zirkel in 30 Minuten durchlaufen, das heißt, man wurde schneller fertig – wodurch der Kundendurchlauf zunahm und die Einnahmen stiegen. Nautilus-Maschinen sind also dafür verantwortlich, dass Fitnessstudios heute so sind, wie sie sind.

Der Haken an der Sache war, dass das Training an Kraftmaschinen natürlich nicht wie beworben funktionierte. Es war praktisch unmöglich, mit einem solchen Zirkel Muskelmasse aufzubauen. Diejenigen, die das versuchten, plagten sich monatelang ab, ohne nennenswerte Fortschritte zu erzielen. Doch sobald sie zum Langhanteltraining wechselten, geschah etwas Seltsames: sie legten sofort an Masse zu – in einer Woche oft mehr als in der ganzen Zeit, in der sie sich an den zwölf Stationen abgemüht hatten.

Isolationsübungen an Maschinen funktionieren aus demselben Grund so schlecht, aus dem das Training mit Langhanteln so gut funktioniert. Der menschliche Körper ist ein ganzheitliches System – so arbeitet er nun mal, und so möchte er auch trainiert werden. Er möchte nicht, dass man seine einzelnen Bestandteile unabhängig voneinander bewegt und trainiert, weil die Kraft, die man mit einem solchen Training erwirbt, im Alltag nicht auf dieselbe Weise angewendet wird. Man muss sich die Kraft so aneignen, wie man sie später auch zu nutzen gedenkt – in natürlichen Bewegungsmustern. Das Nervensystem kontrolliert die Muskeln, und die Beziehung zwischen diesen beiden Körpersystemen wird als »neuromuskulär« bezeichnet. Neuromuskuläre Spezifität ist eine unumstößliche Realität und Fitnessprogramme müssen diesem Prinzip genauso Rechnung tragen wie dem Gesetz der Schwerkraft.

Langhanteln und die Grundübungen, die wir mit ihnen machen, sind allen anderen Trainingsgeräten, die jemals entwickelt wurden, weit überlegen. Richtig ausgeführt sind Langhantelübungen, die man über den kompletten Bewegungsumfang absolviert, der essenzielle funktionelle Ausdruck der menschlichen Skelett- und Muskelanatomie unter Belastung. Die Ausführung jeder Übung wird bestimmt und limitiert durch die individuellen Bewegungsmuster eines jeden Trainierenden, die ihrerseits durch viele Faktoren wie die Länge der Gliedmaßen, Muskelform, Kraftniveau, Flexibilität und neuromuskuläre Effizienz definiert werden. Dabei ist das harmonische Zusammenspiel aller beteiligten Muskeln für jeden Menschen charakteristisch, denn sie alle leisten einen anatomisch vorgegebenen Beitrag, der sich aber von Person zu Person unterscheidet. Muskeln bewegen Knochen mittels der Gelenke und übertragen so eine bestimmte Kraft auf die Last, die es zu heben gilt. Die Art und Weise, wie diese Kraftübertragung erfolgt, hängt vom Design des Systems ab. Nutzt man das System gemäß seines vorgesehenen Designs, funktioniert es optimal, und genau diese Zielsetzung sollte ein gutes Training verfolgen. Langhanteln ermöglichen es, ein Gewicht genau so zu bewegen, wie der Körper es natürlicherweise soll, weil jeder Aspekt der Bewegung durch den Körper selbst bestimmt wird.

Kraftmaschinen hingegen zwingen den Körper dazu, das Gewicht so zu bewegen, wie es das Gerät vorgibt. Dadurch werden die individuellen anatomischen Bedingungen des Sportlers jedoch nicht vollständig berücksichtigt. Es ist zum Beispiel völlig ausgeschlossen, dass ein Mensch ein Bewegungsmuster ausführt, bei dem er seinen Quadrizeps unabhängig von seiner ischiocruralen Muskulatur anspannt – es sei denn, er sitzt an einer Maschine, die eigens zu diesem Zweck entwickelt wurde. Eine solche Bewegung ist nicht natürlich. Die Muskeln der Oberschenkelvorder- und -rückseite wirken immer im Verbund, und zwar gleichzeitig, um das Knie von beiden Seiten her zu stabilisieren. Warum sollte man sie getrennt bewegen, wenn sie doch immer zusammenarbeiten? Weil jemand eine Maschine erfunden hat, mit der das möglich ist?

Selbst Geräte, bei denen man mehrere Gelenke gleichzeitig bewegen kann, sind suboptimal, weil das Bewegungsmuster durch die technischen Abmessungen vorgegeben ist und nicht durch die individuelle Biomechanik des Menschen, der es benutzt. Langhanteln hingegen gestatten während der Bewegung die kleinen Anpassungen, die den individuellen anthropometrischen Werten jedes einzelnen Trainierenden Rechnung tragen.

Langhanteln zwingen den Sportler außerdem dazu, verschiedenste kleine Anpassungen vorzunehmen, die notwendig sind, um während der Übungsausführung die Kontrolle über die Hantel zu behalten. Diesen Aspekt darf man nicht unterschätzen: Die Kontrolle über die Hantel sowie die Balance und Koordination, die sie dem Trainierenden abverlangt, sind ausschließlich dieser Trainingsweise zu eigen und können mit Kraftmaschinen nicht simuliert werden. Denn um die Kontrolle über die frei bewegliche Last zu behalten, muss über den gesamten Bewegungsablauf hinweg eine erhebliche Anzahl unterstützender Muskeln zusätzlich aktiviert werden – was bei einer Kraftmaschine nicht der Fall ist.

Es gibt noch andere Vorteile. Alle Übungen, die in diesem Buch beschrieben werden, stellen eine Belastung für unser Skelett dar. Die Knochen spielen für uns eine wichtige Rolle, weil sie es schließlich sind, die das Gewicht der Hantel tragen. Knochen sind lebendes Gewebe, das auf Belastung reagiert, so wie Muskeln, Bändern, Sehnen, Haut, Nerven und Gehirnzellen. Sie passen sich wie jedes andere Gewebe an und werden dichter und fester, wenn sie einem schwereren Gewicht ausgesetzt werden. Dieser Aspekt des Langhanteltrainings ist vor allem für ältere Semester und Frauen wichtig, deren Knochendichte eine zentrale Rolle für die Erhaltung der Gesundheit spielt.

Überdies sind Langhanteln sehr kostengünstig. Für den Preis eines Zirkels aus Kraftstationen können problemlos fünf oder sechs hochfunktionelle Krafträume – in denen sich Hunderte von Übungen ausführen lassen – eingerichtet werden, ganz gleich von welchem Hersteller. Und selbst wenn der Preis keine Rolle spielt, zweckmäßig sollte die Ausstattung auf jeden Fall sein. Für ein kommerzielles Fitnessstudio ist die Anzahl der Kunden, die dort gleichzeitig trainieren können, eventuell ein wichtiges Kriterium dafür, welche Art von Ausrüstung angeschafft wird. Es liegt auf der Hand, dass an einem Maschinenzirkel maximal zwölf Personen gleichzeitig trainieren können, während es in fünf oder sechs Krafträumen mit einer gut sortierten Auswahl an Hanteln erheblich mehr sind.

Der einzige Haken am Langhanteltraining ist, dass die überwältigende Mehrheit der Menschen, die es versuchen möchten, nicht weiß, wie es korrekt ausgeführt wird. Das ist ein ernstes Problem, sodass es durchaus berechtigt ist, jemandem das Langhanteltraining auszureden, wenn er davon keine oder wenig Ahnung hat. Dieses Buch ist mein bescheidener Versuch, in diesem Bereich Abhilfe zu schaffen. Diese Methode der Vermittlung von Langhantelübungen wurde im Laufe der letzten 30 Jahre in der Fitnessbranche entwickelt – das heißt innerhalb eines kleinen Kreises aus Hartgesottenen, für die nur Ergebnisse, Ehrlichkeit und die ehernen Grundsätze der Biologie zählen. Ich hoffe, sie funktioniert für Sie ebenso gut wie für mich.

Vom Bill-Starr-Denkmal im Wichita Falls Athletic Club, Wichita Falls, Texas.

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DER SQUAT

Die Kniebeuge (Squat) war lange Zeit die wichtigste und zugleich am meisten missverstandene Übung im Trainingsrepertoire. Über den vollständigen Bewegungsumfang ausgeführt, ist diese Übung nützlicher als jede andere Bewegung, die man im Kraftraum machen kann, und damit unsere stärkste Waffe im Aufbau von Maximalkraft, Schnellkraft und Muskelmasse.

Der Squat ist praktisch die einzige Übung im gesamten Repertoire menschlicher Bewegungen mit Zusatzlast, die ein direktes Training des sogenannten Hip Drive erlaubt; ein komplexes Bewegungsmuster, bei dem die hintere Kette aktiv rekrutiert wird. Der Begriff hintere Kette bezieht sich auf die Muskeln, die eine Hüftextension bewirken – das Strecken des Hüftgelenks aus der flektierten (gebeugten) Position heraus, also aus der unteren Position der Kniebeuge. Diese Muskelgruppen, die auch als Hüftextensoren bezeichnet werden, sind die ischiocrurale Muskulatur, die Gesäßmuskeln und Adduktoren (an der Oberschenkelinnenseite). Weil diese wichtigen Muskeln am Springen, Ziehen, Drücken und anderen Bewegungen mitwirken, an denen der Unterkörper beteiligt ist, wollen wir, dass sie möglichst stark sind. Das erreicht man am besten durch Squats, denn wenn man diese richtig ausführt, muss man den Hip Drive nutzen, den man sich am besten als eine Art Hochschieben des Kreuzbeins vorstellt, also der Rückenpartie direkt über dem Gesäß. Immer wenn Sie diese Bewegung absolvieren, um sich aus der unteren Endposition einer Kniebeuge heraus in einen aufrechten Stand zu katapultieren, trainieren Sie die Muskeln der hinteren Kette.

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Abbildung 2-1. Der Squat aus drei Perspektiven: Mitte: So stark beugen sich Hüften und Knie bei der tiefen Kniebeuge. Das obere Ende der Kniescheibe (A) und das Hüftgelenk, das durch die Hosenfalten angedeutet wird (B). Wenn man beide Punkte miteinander verbindet, erkennt man, dass die Hüften tiefer als die Knie sind.

Alle Varianten des Squat neigen dazu, Muskelkater im Quadrizeps zu verursachen – und zwar häufiger als in jedem anderen an der Übung beteiligten Muskel. Dieser Muskelkater entsteht, weil der Quadrizeps die einzige Muskelgruppe ist, die das Knie streckt, während sich die Hüftextensoren aus drei Muskelgruppen zusammensetzen (ischiocruraler Muskulatur, Gesäß und Adduktoren). Sie umfassen also mehr potenzielle Muskelmasse, auf die sich die Arbeit gleichmäßig verteilt – sofern sie richtig trainiert werden. Unter Berücksichtigung dieser anatomischen Ausgangslage sollten wir darauf achten, die Kniebeugen so zu machen, dass alle Muskeln, die an der Bewegung beteiligt sein können, auch maximal genutzt und somit gekräftigt werden. Wir brauchen also eine Technik, die die Muskeln auf der Körperrückseite einbezieht und sie dazu bringt, ihr Potenzial für die Entwicklung von Maximal- und Schnellkraft auszuschöpfen. Der Low-Bar Back Squat ist diese Technik.

Richtig ausgeführt ist der Squat die einzige Übung im Kraftraum, mit der man die Rekrutierung der gesamten hinteren Kette so trainiert, dass sie progressiv steigerbar ist. Deswegen ist die Kniebeuge nicht nur die beste Langhantelübung, die es gibt, sondern die beste Kraftübung überhaupt. Sie trainiert die hintere Muskelkette effektiver als jede andere Bewegung, weil nur beim Squat der Bewegungsumfang so groß ist, dass alle Muskeln der Kette gleichzeitig im Einsatz sind, und keine andere Bewegung trainiert diesen langen Bewegungsumfang auf dieselbe Weise, nämlich indem der konzentrischen oder verkürzenden Kontraktion eine exzentrische oder verlängernde Kontraktion vorausgeht, die einen Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus oder Dehnreflex erzeugt.

Der Dehnungs-Verkürzungs-Zyklus der Kniebeuge ist aus drei Gründen wichtig:

1. Der Dehnreflex speichert in den viskoelastischen Komponenten der Muskeln und Faszien Energie, die in der unteren Endposition für die Aufwärtsbewegung genutzt wird.

2. Die Dehnung teilt dem neuromuskulären System mit, dass gleich eine Kontraktion folgt. Dieses Signal bewirkt, dass mehr kontraktile Einheiten effizienter feuern, wodurch man mehr Kraft erzeugen kann als ohne Dehnreflex.

3. Weil diese Dehnung unter Last in der Absenkphase der Kniebeuge stattfindet (die alle Muskeln der hinteren Kette über den gesamten Bewegungsumfang nutzt), rekrutiert die anschließende Kontraktion wesentlich mehr motorische Einheiten als jede andere Übung.

Das herkömmliche Kreuzheben (Deadlift) zum Beispiel aktiviert die Hamstrings und das Gesäß, beansprucht die Adduktoren aber in wesentlich geringerem Ausmaß und beginnt mit einer konzentrischen Kontraktion, bei der die Hüften sich wesentlich weiter oben befinden als bei der tiefen Kniebeuge. Kein Federn, ein kürzerer Bewegungsumfang, aber trotzdem sehr anstrengend – aufgrund der vergleichsweise ineffizienten Ausgangsposition mit der auf dem Boden liegenden Hantel sogar anstrengender als der Squat – und dennoch ist der Deadlift für die allgemeine Kraftentwicklung nicht ganz so effektiv. Plyometrische Sprünge können tief genug sein und den erforderlichen Dehnreflex nutzen, der durch das Absinken entsteht, aber sie lassen sich nicht schrittweise steigern wie eine Langhantelübung; sie können für Anfänger eine hohe Belastung für die Füße und Knie darstellen, der Körper muss aber insgesamt weniger arbeiten, als wenn das gesamte Skelett das Gewicht einer Langhantel auf den Schultern trägt. Der Squat nutzt hingegen alle Muskeln der hinteren Kette, den vollen Bewegungsumfang von Hüften und Knien, hat den Dehnungs-Verkürzungs-Reflex in der Bewegung und kann von jedem ausgeführt werden, der sich auf einen Stuhl setzen kann, weil wir mit sehr leichten Hanteln anfangen, deren Gewicht wir in kleinen Schritten erhöhen können.

Der Begriff »hintere Kette« bezieht sich – wie der Name schon sagt – auf die anatomische Position der entsprechenden Muskeln. Er deutet auch auf die Art der Probleme hin, die die meisten Trainierenden haben, die versuchen, ihre Effizienz bei der Kniebeuge mit Langhantel zu verbessern. Wir Menschen sind Zweibeiner mit Greifhänden und einem gegenüberliegenden Daumen – eine Konfiguration, die unsere Wahrnehmung ebenso wie unsere Körperhaltung maßgeblich beeinflusst hat. Wir sind es gewohnt, Dinge mit unseren Hände zu tun und diese dabei im Blick zu haben, und daher sind uns auch vor allem die Dinge präsent, die man sichtbar mit den Händen berühren kann. Die Rückseite von Kopf, Rumpf und Beinen steht eher selten im Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit, außer wir spüren dort Schmerzen, und selbst mit einem Spiegel kann man diese Partien kaum sehen. Die Körperbereiche, die man im Spiegel jedoch vergleichsweise gut sehen kann – Arme, Brust, Bauch, Quadrizeps und Waden (sofern Sie Shorts tragen) – trainieren die meisten von uns daher grundsätzlich lieber. Übungen für diese Körperbereiche lassen sich relativ leicht erlernen und umsetzen, weil wir dabei unsere Hände gut benutzen können, und als überaus »handfixierte« Lebewesen gefällt uns das eben.

Schwerer sind die Teile zu trainieren, die man nicht sehen kann. Von allen Muskeln trägt die hintere Kette am meisten zur Bewegung des Körpers bei, darüber hinaus ist sie auch die Quelle der Schnellkraft. Die richtige Nutzung der hinteren Kette ist daher am schwersten erlernbar. Das wäre leichter, wenn man keine Hände hätte: Wie würde man einen Tisch in die Höhe stemmen, wenn man ihn nicht greifen könnte? Man würde sich wahlweise unter ihn kauern und den oberen Rücken dafür benutzen oder in die Hocke gehen und die Hüften gegen die Unterseite der Tischplatte stemmen, oder man würde sich auf den Rücken legen und die Platte mit den Füßen wegdrücken, weil es ohne Hände gar nicht anders ginge. Aber weil man Hände hat, zieht man diese Möglichkeiten überhaupt nicht in Betracht. Die meisten Menschen ignorieren ihre hintere Kette – und so wird ihr korrekter Einsatz zu einer völlig neuen Erfahrung.

Sie werden feststellen, dass die hintere Kette sowie die Zugbewegung bei der Kniebeuge die größten Probleme darstellen, die größte Menge an Feedback durch Trainer und Trainingspartner erfordern. Dementsprechend wird dies auch der erste Aspekt der Technik sein, der nachlässt, wenn man von außen keine Rückmeldung erhält. Für Coaches ist die hintere Kette jener Teil der Muskulatur, der am schwersten zu verstehen, zu erklären und zu beeinflussen ist. Vom Standpunkt der sportlichen Leistungsfähigkeit aus betrachtet ist sie jedoch der wichtigste Aspekt der menschlichen Bewegung. Das Verständnis ihrer Wirkungs- und Funktionsweise macht nicht nur den Unterschied zwischen einem effektiven Coach und einem mehr oder weniger unbeteiligten Beobachter aus, sondern kann auch darüber entscheiden, ob sich ein Athlet effizient zu bewegen weiß oder sich kaum rühren kann.

Es wurde schon viel über die »Core«-Kraft geredet und sehr viel Geld damit gemacht, neue Methoden des Core-Trainings an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Bei einer korrekten Kniebeuge herrscht ein harmonisches Zusammenspiel aller Kräfte, die um die Knie und Hüften wirken, und die beteiligten Muskeln arbeiten genau so, wie sie es von Natur aus, das heißt biomechanisch optimal, tun sollten, nämlich über ihren vollen Bewegungsumfang hinweg. Die Haltemuskeln des unteren Rückens, der obere Rücken, die Bauchmuskeln und seitlichen Rumpfmuskeln, die Zwischenrippenmuskeln und selbst die Schultern und Arme werden isometrisch genutzt. Ihre statische Kontraktion stützt den Rumpf und überträgt kinetische Energie von den hauptsächlich an der Krafterzeugung beteiligten Muskelgruppen auf die Hantel. Die Rumpfmuskeln funktionieren als Getriebe, während die Hüften und Beine die Rolle des Motors übernehmen.

Bedenken Sie, dass der »Core« des Körpers im Zentrum der Kniebeuge steht, dass die Muskeln kleiner werden, je weiter sie vom Mittelpunkt entfernt sind und dass der Squat sie genau in dieser Reihenfolge trainiert (Abbildung 2-2). Die Balance entsteht durch die Interaktion der Haltemuskeln mit den Hüften und Beinen, sie beginnt unten an den Füßen und setzt sich bis zur Hantel fort. Das Gleichgewicht wird mithilfe einer regen Aktivität des Zentralnervensystems durch die bewusste, mentale Steuerung des Athleten kontrolliert. Eine Kniebeuge mit einer schweren Hantel führt überdies zu hormonellen Reaktionen, die sich auf den ganzen Körper auswirken. Der Squat stellt also nicht nur eine Übung für den Core dar, sondern ist eine viel umfassendere körperliche und geistige Erfahrung.

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Abbildung 2-2. Die Hüften bilden den Ursprung der Kraftentwicklung für den ganzen Körper und mit zunehmender Entfernung zu den Hüften nimmt die Fähigkeit ab, explosive Kraft zu erzeugen. Je weiter ein Körperteil von der Körpermitte entfernt ist, umso größer ist die Winkelgeschwindigkeit, mit der sich ein Körperteil bewegen kann, sodass man durch Beschleunigung Kraft anwenden kann. Aus einem Konzept von David Webster, Versionen davon wurden von Tommy Kono und Bill Starr benutzt. Dieses Konzept hat in letzter Zeit unter Begriffen wie »Core-Kraft«, »Core-Stabilität« und »funktionelles Training« an Popularität gewonnen. Dem Autor scheint es offensichtlich, dass ein Athlet mit einem Squat von 226 kg einen stabileren »Core« hat als ein Sportler, der nur 90 kg schafft.

Der Squat wird oft missverstanden, weil viele Muskeln daran beteiligt sind – mehr als den meisten klar ist –, und die überwältigende Mehrheit derjenigen, die diese Übung nicht verstehen, haben sie selbst nie richtig gemacht. Das heißt, dass sie nicht wirklich wissen, was es mit dieser Bewegung auf sich hat und wie alle Muskeln dafür koordiniert zusammenarbeiten. Denn um etwas wirklich verstehen zu können, muss man es selbst erlebt haben. Je mehr Menschen wissen, wie richtige Kniebeugen gehen, umso mehr wird es geben, die sie verstehen, und dann werden sich Wissen und Kraft explosionsartig verbreiten. Dieser Fortschritt beginnt hier und jetzt, mit Ihnen.

Menschliche Bewegung unter Last

Ein grundlegendes Verständnis der menschlichen Bewegung unter Last – die Art und Weise, wie das Skelettsystem die Kraft der Muskelkontraktion in Bewegung umsetzt, während der Körper mit seiner Umgebung interagiert – ist entscheidend, um das Langhanteltraining als solches zu verstehen. Einige einfache Lektionen, die man durch das Beobachten der Kniebeuge lernen kann, lassen sich auch auf alle anderen Langhantelübungen übertragen. Die allererste Beobachtung ist, dass bei einer beladenen Langhantel die Kraft, die der Trainierende zu überwinden hat, die Schwerkraft ist. Und Schwerkraft wirkt – immer, überall, jedes Mal – senkrecht zur Erdoberfläche. Schwerkraft wird durch Masse erzeugt. In diesem konkreten Fall beschäftigen wir uns mit der Masse der Erde, die praktischerweise die Form einer riesigen Kugel angenommen hat – so unwesentliche Dinge wie Gebirge und Täler können wir hier getrost vernachlässigen –, und zwar ebenfalls unter dem Einfluss ihrer eigenen Schwerkraft. Aufgrund der Größe der Erde gilt für unsere Definition die Annahme, dass die Erdoberfläche horizontal ist; schließlich fällt ein Stein, den man auf einem Hügel stehend in den Abgrund wirft, in die Richtung, die wir als unten definieren. Bisher gab es noch keine Ausnahme von dieser Regel, und diese Regel hat daher den Status eines physikalischen Gesetzes angenommen: Es gibt bis heute keinen dokumentierten Fall eines Objekts, das jemals nicht vertikal nach unten gefallen wäre. Die Schwerkraft, die auf die Hantel wirkt, wirkt immer senkrecht nach unten. Am effizientesten trotzt man dieser Kraft, indem man ihr ebenfalls senkrecht entgegenwirkt. Eine gerade Linie ist somit nicht nur der kürzeste Abstand zwischen zwei Punkten, sondern eine gerade, vertikale Linie ist auch hinsichtlich der Schwerkraft der effizienteste Weg, eine Langhantel zu bewegen.

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Abbildung 2-3. Die Schwerkraft wirkt vertikal, und nur vertikal. Jede Arbeit, die gegen die Schwerkraft verrichtet wird, erfolgt in die entgegengesetzte Richtung, das heißt gerade nach oben. Jede horizontale Komponente, die eine Langhantelbewegung aufweist, ist Arbeit, die nicht gegen die Schwerkraft geleistet wird.

Die Arbeit, die man mit einer beladenen Langhantel verrichtet, muss unter diesen Prämissen betrachtet werden. Arbeit wird definiert als Kraft (der Einfluss, der eine Veränderung der Bewegung oder Form bewirkt) mal Weg, den die Langhantel zurücklegt. Da Arbeit mechanisch übertragene Energie ist, kann sie auch in der Einheit Joule (bzw. Foot-Pound im angelsächsischen Sprachraum) ausgedrückt werden. Weil die Schwerkraft aber nur in eine Richtung wirkt, nämlich gerade nach unten, besteht die Arbeit, die gegen die Schwerkraft verrichtet wird, nur aus dem Weg, den die Hantel vertikal (nach oben) zurücklegt. Jede andere Bewegung, die man an der Hantel ausübt – also horizontale Abweichungen, entweder vor oder hinter dem Körper –, kann nicht als Arbeit gegen die Schwerkraft gelten, obwohl für die Erzeugung dieser anderen Bewegungen ebenfalls Kraft aufgewendet wird. Das Rollen einer Langhantel im Raum stellt nur dann eine Arbeit gegen die Schwerkraft dar, wenn sich dabei ihre Höhe verändert, weil die Schwerkraft die Masse der Hantel nur in eine Richtung beeinflusst: nach unten.

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Abbildung 2-4. Der Massenschwerpunkt des Hantel/Sportler-Systems verlagert sich nach oben in Richtung Hantel. Mit zunehmender Hantelmasse nähert sich der Massenschwerpunkt des Systems der Position der Hantel.

Wenn eine Langhantel nun von einem menschlichen Körper getragen wird, müssen bei jeder Analyse der Sportler und die Langhantel als ein gemeinsames System betrachtet werden. Der Massenschwerpunkt (MS) des menschlichen Körpers in der »normalen anatomischen Position«, das heißt aufrecht stehend, befindet sich zentral zwischen beiden Hüften, etwa auf der Höhe des Kreuzbeins. Geht man in die tiefe Kniebeuge, verändert sich die Geometrie des ganzen Systems, sodass sich der MS nun in der Luft befindet, irgendwo zwischen Oberschenkeln und Rumpf. Der MS der beladenen Hantel befindet sich in der Mitte der Langhantel auf dem Rücken. Das Sportler/Hantel-System hat einen MS, der irgendwo zwischen diesen beiden Punkten liegt. Mit steigendem Hantelgewicht wandert der MS des Systems in Richtung Hantel, bis sich – bei sehr schweren Gewichten – der MS des gesamten Systems der Hantel immer weiter annähert. Aus praktischen Gründen nehmen wir an, dass die Langhantel a) mit schweren Scheiben bestückt ist und b) das Objekt ist, das wir im Gleichgewicht halten müssen, während wir sie über den gesamten Bewegungsumfang der Übung heben bzw. senken.

In Abbildung 2-5 stellt der unterbrochene Strich eine gedachte vertikale Linie zwischen der Langhantel auf dem Rücken und der Mitte des Fußes auf dem Boden dar. Es sollte intuitiv klar sein, dass das Sportler/Hantel-System im Gleichgewicht ist, wenn es sich direkt über der Fußmitte befindet, wobei es die sogenannte Mittelfuß-Position ist – direkt über dem Fußgewölbe, derjenige Punkt, der am weitesten entfernt vom vorderen und hinteren Fußende (also Zehenspitzen und Ferse) ist – mit deren Hilfe wir unsere Balance halten. Anders ausgedrückt: Der Mittelfuß befindet sich genau in der Mitte zwischen beiden Enden der Schuhsohle. Er ist daher die stabilste Position, über der man ein Gewicht balancieren kann, und wird daher vom Körper von Natur aus bevorzugt, ob mit oder ohne Zusatzgewicht. Je schwerer das Gewicht auf der Hantel, desto präziser richtet sich die Hantel über dem Mittelfuß aus. Mit anderen Worten: Bei leichten Gewichten, das heißt wenn die Gesamtmasse hauptsächlich aus dem Körper des Sportlers besteht, ist die Langhantel direkt über den Zehen vielleicht in einer stabilen Position, doch mit zunehmendem Gewicht tariert sie sich mehr über dem Mittelfuß aus.

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Abbildung 2-5. Die Winkel, die beim Squat eingehalten werden müssen. Der Hüftwinkel bildet sich aus Rumpf und Femur. Der Kniewinkel bildet sich aus Femur und Tibia. Der Rückenwinkel bildet sich aus Rücken und Boden. Die Langhantel befindet sich direkt über dem Mittelfuß und ist daher optimal austariert.

Für den Körper hat Stabilität oberste Priorität. Das Fußgelenk zum Beispiel – der eigentliche Drehpunkt – liegt genau zwischen dem Mittelfuß und der Achillessehne, die den M. gastrocnemius (zweiköpfiger Wadenmuskel) mit dem Fersenbein verbindet. Der Wadenmuskel übt auf die Ferse hinter dem Fußgelenk Spannung aus, um die Hebelwirkung zwischen dem Fußgelenk und dem Mittelfuß auszugleichen (Abbildung 2-6). Der Körper wählt den Mittelfuß als Gleichgewichtspunkt, indem er die Schienbeine steiler stellt und die Waden arbeiten lässt, um diese stabilere Position aufrechtzuerhalten. Der Wadenmuskel wie auch die Muskeln der Oberschenkelvorder- und -rückseite verlaufen außerdem über die Kniegelenke und stabilisieren die Position der Knie im Verhältnis zu den Fußgelenken, während die Hüften in ein Geflecht aus Muskeln, Sehnen und Bändern eingebettet sind, die es dem aufrechten Körper gestatten, unter Last in die Kniebeuge zu gehen und über dem Mittelfuß eine Gleichgewichtsposition zu halten.

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Abbildung 2-6. Der Mittelfuß ist der Gleichgewichtspunkt, den der Körper bevorzugt verwendet. Der Drehpunkt am unteren Ende des Beins – das Fußgelenk – ist nicht das letzte Glied der kinetischen Kette, weil die Stabilität erst im Zusammenspiel von Unterschenkel, Wadenmuskel und Fuß entsteht. Dieses System sorgt für die Einhaltung des korrekten Tibia-Winkels und überträgt die Kraft auf die Fußsohle. Wenn man das System so betrachtet, haben alle unsere Überlegungen, die das Gleichgewicht betreffen, ihren Ursprung im Mittelfuß, dem stabilsten Kontaktpunkt zum Boden.

Betrachten Sie nur den Kraftsportler ohne Last: Wenn man einen aufrechten Stand einnimmt, die Hände in die Hüften stemmt und sich auch nur leicht nach vorne neigt, spürt man, wie sich das Gewicht auf die Fußballen verlagert und sich die Waden anspannen, um die Körpermasse wieder etwas nach hinten zu ziehen, damit man nicht nach vorne fällt. Lehnt man sich nach hinten, spürt man die Gewichtsverlagerung auf die Fersen – und wenn man sich noch weiter zurücklehnt, streckt man automatisch die Arme nach vorne, um den Masseschwerpunkt zu verlagern, damit man nicht nach hinten kippt. (Der menschliche Körper hat sich entwickelt, um sich vorwärts zu bewegen, und vorwärtsgerichtete Gleichgewichtsprobleme werden von unserer Anatomie leichter ausgeglichen.) Eine Gleichgewichtsposition zeichnet sich dadurch aus, dass der größte Kraftaufwand nötig ist, um die Position aufzugeben, bzw. dadurch, dass nur ein minimaler Kraftaufwand nötig ist, um die Position zu halten. Im Stand ist diese Position dort, wo der MS ist, nämlich über dem Mittelfuß, und wenn man in die Kniebeuge geht und sich wieder aufrichtet, ist der MS so lange im Gleichgewicht, wie er sich in einer vertikalen Linie direkt über diesen Punkt bewegt. Da die meisten Langhantelübungen (außer dem Bankdrücken) im Stehen auf den Füßen stattfinden, spielt dieser Mittelfuß-Gleichgewichtspunkt für eine gute Technik eine zentrale Rolle.

Nehmen wir an, die in Abbildung 2-5 dargestellte Hantel wiegt 140 kg. Befände sich die Langhantel vor diesem Gleichgewichtspunkt, würde sie immer noch 140 kg wiegen, aber die Anstrengung, die man aufbringen muss, um mit ihr den vorgesehenen Bewegungsumfang zu bewältigen, wäre ungleich größer. Die exzentrische und konzentrische Arbeit, die an den 140 kg verrichtet wird, wäre aufgrund der ungünstigen Hebelposition, die durch die Abweichung der Hantelstange von ihrer Idealposition zustande kommt, um einiges größer. Und die isometrische Belastung, die die Stabilisierung der Last in einer ungünstigen Hebelposition darstellt, trägt erheblich zu der Anstrengung bei. Wenn man die 140 kg schwere Hantel über den gesamten Bewegungsumfang (engl. range of motion, kurz ROM) direkt über dem Mittelfuß hält, ist das die effizienteste Methode, wie die Arbeit während der Langhantelübung verrichtet werden sollte. Befindet sich die Hantel hingegen nicht über dem Gleichgewichtspunkt, ist es ungleich schwerer, das Gewicht zu stemmen, weil man aufgrund der Hebelwirkung mehr Kraft aufwenden muss.

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Abbildung 2-7. Wenn die Hantel nicht in der korrekten Position ist, verliert man das Gleichgewicht und muss zusätzliche Arbeit verrichten.

Die Abweichung vom optimalen Hebel muss nicht einmal groß sein, um zum Scheitern einer Wiederholung zu führen. Stellen Sie sich vor, Sie versuchen eine Kniebeuge zu machen und die Langhantel auf Ihrem Rücken befindet sich 30 cm vor dem Mittelfuß. Das ist bereits eine sehr ungünstige Position, selbst wenn das Gewicht nur 30 Prozent Ihres 1-RM (1er-Wiederholungsmaximum = das Gewicht, das nur einmal bewegt werden kann; engl.: one repetition maximum) beträgt; und je schwerer das Gewicht, umso niedriger wird die Abweichungstoleranz. Am oberen Ende dieser Skala, also bei einem 1-RM, darf dann überhaupt keine Abweichung mehr vorliegen. Dieses Konzept gilt für jede Langhantelübung, bei der die Last im Gleichgewicht gehalten werden muss. Im Langhanteltraining kann eine »gute Technik« also als die Fähigkeit des Sportlers definiert werden, die Stange exakt über dem Gleichgewichtspunkt zu halten. Die Fähigkeit, dieses optimale Verhältnis zwischen Stange und Boden zu wahren, ist eines der vielen Dinge, die man im Umgang mit Langhanteln lernt und die mit anderen Trainingsweisen nicht erlernt werden können. Da das Gleichgewicht bei den meisten körperlichen Aktivitäten eine wichtige Rolle spielt, sollte das für Sie ein Grund mehr sein, Ihr Training auf Langhantelübungen aufzubauen.

Abbildung 2-5 zeigt auch die Winkel, die wir nutzen, um die Bewegung des Körpers während der Kniebeuge unter Last zu analysieren. Der Hüftwinkel ist der Winkel, der durch Femur (Oberschenkelknochen) und Rumpf gebildet wird. Obwohl die Wirbelsäule korrekterweise gekrümmt ist, wenn man die Hantel auf dem Rücken hält, wird sie während der Kniebeuge »starr« gehalten, wir können also das Konzept der »Rumpfebene« benutzen, um das mechanische Verhalten dieses Körperteils unter der Stange zu beschreiben. Der Kniewinkel ergibt sich aus Femur und Tibia und veranschaulicht das Verhältnis zwischen Ober- und Unterschenkel. Der Rückenwinkel bildet sich aus der Rumpfebene und dem Boden, von dem wir annehmen, dass er horizontal ist (das heißt eben, senkrecht zur Schwerkraft).

Diese Winkel beschreiben die Verhältnisse ihrer einzelnen Segmente zueinander unter der Last der Langhantel. Beim Rückenwinkel sagt man, dass er entweder vertikaler oder horizontaler ist, während die Knie- und Hüftwinkel als offener oder geschlossener bezeichnet werden. Die Kontrolle dieser Winkel hängt von den Muskeln ab, die diejenigen Knochen verbinden, welche die Winkelschenkel bilden. Wir wissen, dass das Sportler/Hantel-System im Gleichgewicht sein wird, sofern sich die Stange direkt über dem Mittelfuß befindet, und je schwerer die Hantel ist, umso genauer muss diese Position eingehalten werden. Selbst wenn das Gewicht so leicht ist, dass ein gewisses Ungleichgewicht toleriert werden kann, wird der Sportler mehr Energie aufwenden müssen, als wenn die Stange im Gleichgewicht wäre.

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Abbildung 2-8. Squat-Varianten, die man oft im Kraftraum sieht. Links der Low Bar Squat, den wir empfehlen und der in diesem Buch als »der Squat« bezeichnet wird. Rechts der Front Squat, der von olympischen Gewichthebern nach dem Umsetzen der Hantel genutzt und als Hilfsübung verwendet wird.

Befindet sich die Stange vorne auf den Schultern, wie bei einem Front Squat, erfordert diese Hantelposition einen sehr senkrechten Rückenwinkel, wenn die Stange, wie in Abbildung 2-8 dargestellt, über dem Mittelfuß bleiben soll. Achten Sie auf den Kniewinkel, der für diese Position erforderlich ist: Er ist ziemlich geschlossen. Der Hüftwinkel hingegen ist wesentlich offener als bei einem horizontaleren Rückenwinkel. In dieser Position ist die ischiocrurale Muskulatur verkürzt, weil ihr Ursprung und Ansatz an Becken und Knie in der unteren Endposition der Kniebeuge so eng zusammenliegen, wie es nur möglich ist. Hier arbeitet die ischiocrurale Muskulatur isometrisch, um den Rumpf in der nahezu vertikalen Position zu halten, die für den Front Squat erforderlich ist – eine Position, die wesentlich leichter zu bewahren ist als ein horizontalerer Rückenwinkel, weil die Hebelwirkung der Hüften geringer ist (mehr dazu später). Aber wenn die ischiocrurale Muskulatur verkürzt ist, kann sie sich nicht sonderlich kontrahieren, um viel zur Hüftextension beizutragen. Die ischiocrurale Muskulatur ist in der unteren Endposition des Front Squat gewissermaßen schon kontrahiert und kann sich nicht weiter kontrahieren. So sind die Gesäßmuskeln und Adduktoren bei der Hüftextension auf sich selbst angewiesen, und deshalb bekommen Sie Muskelkater im Gesäß, wenn Sie Front Squats mit schweren Gewichten machen: Das Gesäß muss die ganze Arbeit, bei der normalerweise die ischiocrurale Muskulatur mithilft, alleine verrichten.

Die Folge ist, dass der Front Squat die ischiocrurale Muskulatur nicht sonderlich belastet, was bei Kniebeugen aber unser erklärtes Ziel ist. Der Front Squat ist für das Training der hinteren Kette also eine schlechte Wahl. Um die ischiocrurale Muskulatur optimal zu rekrutieren und sie maximal an der Hüftextension zu beteiligen, müssen wir zu einer Variante der Kniebeuge greifen, bei der der Hüftwinkel geschlossener und der Kniewinkel offener ist. In der unteren Endposition dieser Kniebeuge ist die ischiocrurale Muskulatur isometrisch kontrahiert, das heißt, die Muskeln werden durch die Sehnen am Becken proximal in die Länge gezogen, auch wenn sie wegen der Knieflexion distal verkürzt sind. Sobald sich die Knie und Hüften in der Aufwärtsbewegung strecken, muss die ischiocrurale Muskulatur hart arbeiten, um die Spannung auf das Becken aufrechtzuerhalten und um der Hebelwirkung des steileren Rückenwinkels gegenzusteuern. Der Rückenwinkel bestimmt weitgehend den Hüftwinkel, und der Rückenwinkel ermöglicht es der ischiocruralen Muskulatur, mehr Kraft beizusteuern, um die Kniebeuge zu bewältigen. Wenn wir diesen horizontaleren Rückenwinkel verwenden, muss die Hantel so auf dem Rücken platziert sein, dass sie sich über dem Mittelfuß befindet. Je tiefer sie auf dem Rücken liegt, umso horizontaler kann der Rückenwinkel sein. Die Stange sollte daher in der tiefsten sicheren Position sein, die sie auf dem Rücken einnehmen kann, direkt unter der Schultergräte (Spina scapulae) – der Knochenleiste auf dem Schulterblatt, die Sie spüren, wenn Sie das gegenüberliegende Schulterblatt berühren. Liegt die Hantelstange tiefer, rutscht sie mit jeder Wiederholung weiter nach unten.