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1. Auflage 2014


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Umschlaggestaltung: Melanie Melzer

Umschlagabbildung: Melanie Melzer unter Verwendung von shutterstock

E-Book-Umsetzung: Georg Stadler, München



ISBN Print: 978-3-86883-403-1

ISBN E-Book (PDF): 978-3-86413-543-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86413-544-6


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Mein geheimes Tagebuch

12. Juni 1990

Yes! Ich habe die Bezirksmeisterschaften im Metzgern gewonnen!

Die Handwerkskammer Köln hat mir heute mitgeteilt, dass es sich dabei nicht um eine Bezirksmeisterschaft, sondern um die Gesellenprüfung handelt. Gewonnen ist gewonnen, habe ich der Handwerkskammer mitgeteilt und bei der Überreichung der Zeugnisse in der Berufsschule laut »Olé, olé, olé, olé, ich bin der Champion, olé« gesungen. Entweder das oder das Schwenken der Urkunde beim Hinausgehen – eins von beiden hat die Prüfer sichtlich irritiert.

Hatte heute Nacht die Idee, selbst eine Metzgermeisterschaft auszurichten. Finde das Konzept noch nicht ganz schlüssig, aber im Prinzip gut!

So, heute gehe ich zu diesem neuen Sender, VIVA. Vielleicht kann ich denen einen von meinen Jingles andrehen, die ich komponiert habe. Und wenn nicht, kann ich ja immer noch fragen, ob sie vielleicht Mettbrötchen für ihr Catering brauchen können. Da soll noch einer sagen, ich würde den elterlichen Metzgereibetrieb nicht unterstützen.

Die waren lustig bei VIVA. Ich glaube, die Jingles, die ich denen vorgespielt habe, sind gut angekommen. Aber als ich dann noch das mit den Mettbrötchen in trockene Tücher bringen wollte, hat sich der Programmchef fast weggeschmissen, keine Ahnung, wieso. Er hat sogar seine Kollegen aus dem anderen Büro geholt und mich das mit den Mettbrötchen noch mal fragen lassen. Die haben sich da auf die Oberschenkel gehauen vor Lachen – wenn man einmal den Eltern helfen will, echt. Dafür haben sie mir eine eigene Sendung angeboten: Vivasion soll die heißen. »Mach ich«, habe ich gesagt, aber nur, wenn sie die Jingles und die Mettbrötchen nehmen. »Nehmen wir«, haben sie gesagt. Ich weiß nicht, wieso es immer heißt, es wäre schwer reinzukommen beim Fernsehen.

Nächsten Monat geht es schon los mit Vivasion! Extra für meinen neuen Job im Fernsehen habe ich mir die Zähne richten lassen. In der oberen Reihe sind sie jetzt um 30 Prozent größer als bei allen anderen Menschen! Und weil es in der tschechischen Zahnklinik gar nicht teuer war, habe ich mir auch gleich noch ein paar zusätzliche Kronen einsetzen lassen! Ich hab jetzt zwar die regulären 32 Zähne, aber allein schon im Oberkiefer! Strike!

27. Dezember 1993

Das war ein toller erster Tag! Zuerst musste ich in die Maske, da hat mich eine freundliche Frau mit Puder abgetupft. Sie ist anscheinend eine ganz Lus­tige, danach hat sie nämlich versucht, mir die Zähne rauszunehmen! Sie hat so getan, als hätte ich ein Faschingsgebiss drin! Da war ein großer Spaß. Dann ist sie aber ganz rot geworden, keine Ahnung, was ihr da passiert ist. Verstehe einer die Frauen. Nach dem Schminken musste ich mir noch Klamotten raussuchen. Da gab es einen ganzen Raum voller Sachen in allen Farben und Größen, coole Anzüge und schicke Hemden, hippe Klamotten und geile Schuhe – das war aber leider die Garderobe der Chefs. Auf einem Haufen in der hinteren Ecke des Studios lagen ein paar Säcke mit Klamotten, die der Sender als Kleiderspende bekommen hatte. Der Chef vom Sender kannte da jemanden vom ZDF… Später erfuhren wir, dass es die ausgemusterten Sachen von Thomas Gottschalk waren, also die Sachen, die sogar dem zu wild waren. Die einzige Hose, die mir passte, war eine Jeans mit großen aufgenähten Lederflicken auf den Oberschenkeln. Die habe ich halt dann genommen …

Das Studio, wo ich die erste Vivasion-Sendung moderieren sollte, war auch noch nicht ganz fertig: Eigentlich standen da nur ein Tisch und ein Schreibtischstuhl in einem Eck, das fand ich dann doch ein bisschen lieblos. Auf meine Beschwerde hin hat der Programmchef dann aber was springen lassen, um die Deko zu optimieren. Er hat mir 10 Mark in die Hand gedrückt und gesagt, ich könnte ja beim Baumarkt gegenüber groß einkaufen gehen. Da gab es dann leider keine so große Auswahl für mein Budget, wie ich erhofft hatte. Showtreppen hatten sie gar keine, die Auswahl an Musikinstrumenten war geradezu lächerlich (eine Ukulele in der Krusch-Abteilung) und so etwas wie einen Bühnenvorhang hatten sie gar nicht. Saftladen. Ich habe dann ein paar Meter Kunstrasen genommen und Plastikblumen, die waren im Angebot. Ich musste dann noch mal zurück, einen Tacker kaufen. Die haben ja nichts in diesem jungen, hippen, Pipi-Sender. Anbringen musste ich den Kram natürlich auch selbst. »Wer soll es denn sonst machen?«, hat der Programmchef gefragt und sich das Wechselgeld geben lassen. Jetzt sieht mein Studio zwar nicht wie die Letterman Show aus, sondern eher wie ein explodierter Kleingärtnertraum, aber mach was. Ich lass das jetzt so.

Ich brauche unbedingt noch Stühle für die Gäste, die zu mir ins Studio kommen. Ich muss die ja interviewen und wenn die nicht sitzen, dann sieht es aus, als ob ich deren Hosenstall interviewe.

Der Programmchef sagt, das Wechselgeld reicht nicht mehr für Stühle, ich sollte welche von zu Hause mitbringen. Habe aber gestern ein paar Kinderstühle im Wartezimmer von meinem Hausarzt gefunden – die standen da in einer Ecke, zusammen mit alten Bilderbüchern und ein paar Bauklötzchen. Etwas klein, aber fürs Erste werden sie gehen …

Habe heute mein Outfit komplett gemacht: Oma Gertrud hat bei uns zu Hause ihre Hornbrille liegen lassen und was soll ich sagen – sie passt perfekt und verleiht mir einen gewissen intellektuellen Schliff, ich fühle mich jetzt ein bisschen wie in den Fußstapfen von Woody Allen …

Die nette Frau von der Maske hat mich gar nicht wiedererkannt – ich glaube eh, die ist nicht ganz koscher. Sie hat auch gefragt, ob man die Brille abnehmen kann! Was denkt die denn? Dass mir die ins Gesicht gewachsen ist?

Oh Mann, heute habe ich einen Wahnsinnstyp interviewt. Heller von Sinnen hieß der und ist, glaube ich, KFZ-Mechaniker. Der kam direkt von der Arbeit, noch im Blaumann. Vermute, er ist schwul. Der Blaumann war nämlich mit lauter bunten Herzen bedruckt. Der Chef fragte nach dem Interview, ob ich mich eigentlich auf meinen Gast vorbereitet hätte. Klar habe ich das! Ich habe extra ein zweites Glas Wasser auf meinen Schreibtisch gestellt, falls Heller Durst hat!

Memo an mich selbst: Neuen Kinderstuhl besorgen!

Gestern Abend beim Nachrichtenschauen ist mir aufgefallen, dass die Nachrichten viel lustiger sind, wenn man statt dem Wort »Arbeitslose« das Wort »Arbeits-Lose« hört! So etwas wie eine Niete, nur anders! Knaller, oder? Ich habe auch gleich mit einem Kamerateam eine Umfrage mit Passanten gemacht, was sie so von den Arbeits-Losen halten. Ob sie schon mal ein Arbeits-Los gekauft haben. Wo es doch heißt, dass die so teuer sind.

31. Dezember 1993

Ich habe für die heutige Silvester-Spezial-Sendung zum Jahresende einen Sänger und Alleinunterhalter eingeladen, der mit Künstlernamen »Silvester« heißt. Der Programmchef bezweifelt, dass dieser Wortwitz die Sendung trägt, aber ICH find’s total lustig! Und darauf kommt es schließlich an.

Irgendwie fehlt in meiner Studiodekoration noch ein Blickfänger im Hintergrund. So ein ausgestopfter Hirschkopf zum Beispiel, wie es sie in Jagdhütten gibt. Der Chef ist dagegen, die Zuschauer hätten Mitleid mit dem Hirsch, das gibt böse Leserbriefe, ich soll mir das aus dem Kopf schlagen. Denke nicht daran, die Idee einfach so aufzugeben.

Ich habe einen lebenden Hirsch vom Tierpark kommen lassen, der kann hinter der Kulisse stehen und seinen Kopf durch ein Loch in der Wand stecken. Geniale Idee, finde ich.

Ich darf den Hirsch nicht behalten, sagt der Chef. Wegen dem Tierschutz.

Memo an mich selbst: Ich muss unbedingt selbst Chef werden.

So, das werden wir doch sehen. Jetzt habe ich einen Zuschauer eingeladen, der hinter der Kulissenwand sitzt und den Kopf durch die Wand steckt. Zuschauerschutz gibt es nicht. Dem Chef ist es zwar wieder nicht recht, aber das ist mir egal, ich lass das jetzt so.

Heute habe ich den ganzen Tag auf meinem neuen Gameboy gespielt. Als ich ins Studio musste, war ich aber gerade in einer spielentscheidenden Phase und konnte leider nicht hochgucken. Da bin ich dann aus Versehen von hinten voll durch eine der Kulissenwände ins Studio gelatscht. Der Kameramann und der Aufnahmeleiter fanden meine »Idee«, wie sie es nannten, aber toll und jetzt soll ich immer durch die Kulisse ins Studio kommen. Oh Mann.

Um das Daddeln auf dem Gameboy nicht dauernd wegen Arbeit unterbrechen zu müssen, habe ich mir überlegt, ich könnte live in der Sendung gegen andere Spieler antreten! Vielleicht mit Musik-Acts dazwischen!

Finde die Idee immer noch grandios, der Programmchef ist aber dagegen. Es würde die Leute nicht interessieren, mir beim Daddeln zuzugucken. Auch meine Versicherung, das würde mir gar nichts ausmachen, konnte ihn nicht umstimmen.

Memo an mich selbst: Wenn der Moderator live gegen jemanden Antritt, das interessiert die Zuschauer bestimmt, eventuell eine Showidee daraus machen!

31. Mai 1994

Ich fasse es nicht, der Sender schickt mich echt zur WM! Nach Chicago! Wahnsinn. Ich soll in den Halbzeitpausen live berichten, vom Trainingslager, von der Stimmung vor Ort und die Stars interviewen!

17. Juni 1994

Wahnsinn, es ist Wahnsinn. Ich bin hier im Trainingslager der deutschen Fußballnationalmannschaft. Also manchmal. Zumindest immer so lange, bis mich jemand entdeckt. Für eine ordentliche Lizenz hatte der Sender nämlich kein Geld mehr. Bis jetzt habe ich mich schon als seriöser Journalist, als Ball-Sanitäter und als Frau von Karl-Heinz Rummenigge ausgegeben.

18. Juni 1994

Liebes Tagebuch, heute kam es endlich zu DEM Treffen. Seit ich ein kleiner Junge bin, wollte ich IHN einmal treffen, er ist die Stimme meiner Kindertage und der Klangteppich froher Stunden: Heribert Faßbender. Die ganze Zeit schon sperre ich Ohren und Augen auf, ob ich ihn wohl hier zu Gesicht bekomme, und heute um 12.15 war es endlich so weit: Ich ging in das Kantinenzelt auf der Suche nach Interviewpartnern und Gratishäppchen und da sah ich IHN! Er saß am Tisch, vor ihm eine Gulaschsuppe, und das war DER Moment, unser Moment. Ich fragte ihn alles, was mir auf der Seele lag, und schließlich sah er von seinem Teller auf, mir direkt in die Augen und sagte diesen einen Satz, an den ich mich immer erinnern werde: »Ich esse gerade.«

19. Juni 1994

Ich war heute wieder im Trainingslager – die haben noch nicht mal Sicherheitsleute dort. Völlig überraschend konnte ich ein Interview mit Lothar Matthäus ergattern – ich habe ihm einfach ein Date mit der Kameraassistentin versprochen. Wenn der weiter so hinter den Weibern her ist, nimmt das kein gutes Ende mit ihm – jedenfalls hat der mir gesteckt, dass Trainer Berti Vogts gegen mich stänkert. Pf, selber blöd. Bloß, weil ich einmal aus Versehen auf ihn draufgetreten bin. Vielleicht mache ich ein Lied über den. Als Refrain könnte ich »Börti Vogts« singen, so wie der Lothar Matthäus den ausgesprochen hat … mir fällt da auch schon eine tolle Zeile ein … Wer sieht hinten aus wie vorn, Böörti Vogts, Böörti Vogts! Ich werd ihm das mal gleich vorsingen.

20. Juni 1994

Sie haben ab jetzt doch Sicherheitsleute im Trainingslager.

21. Juni 1994

Habe mich als Chef der Sicherheitsfirma ausgegeben. Hat auch geklappt! Zwar nur zehn Minuten lang, aber immerhin! Die ersten zwei Strophen konnte ich vorsingen!

22. Juni 1994

Nachdem Berti Vogts das Lied über sich nicht hören wollte, haben das Kamerateam und ich es allen anderen vorgesungen. Den Kellnern und Fußballfans, Polizisten, Zimmermädchen und wer noch alles nicht weg konnte. Wir nennen uns jetzt Stefan Raab & die Bekloppten und müssen einen polizeilichen Sicherheitsabstand von 100 Metern zum Trainingslager der deutschen Fußballnationalmannschaft halten.

Daheim in Deutschland sind sie anscheinend genauso bekloppt wie wir: Wir kommen in die Hitparade! Jetzt hört Berti es doch noch, und zwar im Radio, HA!

1. September 1994

Wir haben so viele Platten verkauft, dass sie uns zur Hitparade einladen mussten! Und wir haben gewonnen! Hat es doch was gebracht, dass ich alle Telefone im Studio auf Wahlwiederholung gestellt habe und das Team dort den Abend verbringen musste. Bestimmt haben auch die Anrufe meiner Familie und der 800 gemieteten Telefonistinnen geholfen.

Außer uns war noch so ein zotteliger Typ da, der den ganzen Arm voller Freundschaftsbändchen hatte. Wolfgang hieß der, und eine etwas labile Blondine, die nannte sich Michelle. Die war wahnsinnig deprimiert, dass sie nicht gewonnen hat. »Dabei sein ist alles«, hat der Moderator sie getröstet. Was natürlich Quatsch ist. Gewinnen ist alles.