978-3-86883-203-7_Cover.jpg

Ulf Lüdeke

Terence Hill

Die exklusive Biografie

riva_Logo_schwarz.eps

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.


Für Fragen und Anregungen

info@rivaverlag.de

4. Auflage 2020

© 2012 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Türkenstraße 89

80799 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: wortvollendet, Marion Appelt, Wiesbaden

Umschlaggestaltung: Pamela Günther, München

Umschlagabbildung: ullstein bild – Tobis

(Porträt aus dem Film Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle, 1972)

Satz: Buch-Werkstatt GmbH, Bad Aibling

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

Printed in Germany

ISBN Print 978-3-86883-203-7

ISBN E-Book (PDF) 978-3-86413-142-4

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-86413-175-2

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

beachten sie auch unsere anderen Verlage unter

www.m-vg.de

Prolog

Es gibt nicht viele Schauspieler, deren filmisches Werk nicht nur den Kinos weltweit jahrzehntelang rappelvolle Säle bescherte, sondern trotz zahlreicher Wiederholungen auch noch Dekaden nach der Erstausstrahlung TV-Einschaltquoten erzielt, von denen die meisten modernen Produktionen nur träumen können. Ganz besonders gilt dies für Streifen aus den 70er-Jahren – eine ziemlich schräge Zeit der Kinogeschichte, in der viel passierte. Doch trotz Vintage-Wahn samt Breitcord-Renaissance, poppigen Hemden und Kraut-Koteletten locken heute nur wenige Filme von damals die Zuschauer hinterm Ofen vor. Der Schauspieler Terence Hill zählt zweifellos zu diesem kleinen Kreis der Erlauchten jener Jahre, in denen er sich als Solist und gemeinsam mit seinem Filmpartner und Freund Bud Spencer einen Ehrenplatz unter den erfolgreichsten Darstellern erspielt hat.

Die Filme des Genres, für das er sich damals als gefeierter Star entschied, waren fast immer leichte Kost, mit der dieser Don Quichotte der Leinwand Jung und Alt zum Lachen brachte. Terence Hill war der Kopf des erfolgreichsten Duos der modernen Kinogeschichte. Ein verspielter agiler Schalk, der mit akrobatischen Einlagen den bulligen, schwerfälligen und einsilbigen Sancho Pansa an seiner Seite so fies foppte – und ihn doch nie im Stich ließ, wenn es drauf ankam. Noch immer hängen Jungs und Männer an seinen Lippen und schlagen sich ob seiner Tollkühnheiten begeistert auf die Schenkel. Und noch immer bekommen Mädchen und Frauen weiche Knie bei den von koketten Grübchen umspielten Blicken des Blondschopfs mit den strahlend blauen Augen.

Wer dieses Bild im Kopf hat, hätte sich gewundert bei der Szene, die sich in Rom am 7. Mai 2010 zu Beginn der Verleihung des David di Donatello abspielte – des wichtigsten italienischen Filmpreises, mit dem Terence Hill und Bud Spencer an jenem Tag für ihr Lebenswerk ausgezeichnet wurden.1 Es schien, als hätten die beiden im bis auf den letzten Platz besetzten Festsaal ihre Rollen getauscht. Denn während der in den Filmen bis auf wenige Ausnahmen meist mit stoischer Ruhe auftretende Spencer sich lässig feiern ließ und wie ein Boxchampion die Arme hob, als der tosende Beifall das Auditorium Conciliazione zum Wanken brachte, verharrte Terence Hill unbeweglich neben ihm. So still, dass der 81-jährige Bud seinem zehn Jahre jüngeren Partner, den er seit annähernd einem halben Jahrhundert kennt, zunächst wie in ihren gemeinsamen Film mit seiner mächtigen linken Pranke beherzt die Wange tätscheln und ihn an sich ziehen wollte. Nach einem Blick zur Seite aber merkte er, dass diese Geste in dem Moment vielleicht doch nicht so angemessen gewesen wäre. Stattdessen verharrte seine Hand im allerletzten Augenblick und sank sanft auf Hills Schulter.

Es war bewegend zu sehen, wie sehr der mitreißende, stürmische Empfang der sich von den Plätzen erhebenden Crème de la Crème des italienischen Films Terence Hill rührte. Man konnte dem 72-Jährigen deutlich ansehen, wie nahe ihm das ging. Hinzu kam, dass ihm kurz nach einem Treffen mit dem italienischen Staatspräsidenten Georgio Napolitano unmittelbar vor der Preisverleihung in einem Bekleidungsgeschäft das Portemonnaie gestohlen worden war: Während der Zeremonie gesteht der sichtbar um Fassung ringende Hill dem Publikum, dass es ihm nicht um das entwendete Geld gehe, sondern um wichtige persönliche Dinge, die sich in der Börse befunden hatten.

Das Bild, das man an jenem Abend von Terence Hill gewann, scheint so gar nicht zu jenem zu passen, das man mit ihm als dreisten Nobody oder vorlauten Trinity und darüber hinaus während seiner gesamten Kinokarriere verbindet. Es ist ein Bild, das selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Schauspieler privat selten ihren Rollen entsprechen, wie ein Faustschlag von Bud Spencer wirkte: das eines Mannes, der tief von Bescheidenheit und Demut durchdrungen ist.

Anders als die deutschen Zuschauer haben sich die italienischen inzwischen daran gewöhnt, dass Terence Hill das Rampenlicht abseits von Filmsets lieber ausschaltet und anderen den Vortritt lässt. Mario Girotti, wie Hill mit bürgerlichem Namen heißt, ist in Italien geboren und lebt nach mehr als drei Jahrzehnten in Amerika seit gut zehn Jahren wieder überwiegend in Umbrien, woher sein Vater stammte und wo er schon als Kind mehrere Jahre verbracht hat. Zurückgekehrt sei er gern, wie er immer wieder überzeugt betont, weil es auch eine Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln sei. Doch vielleicht wäre es nie dazu gekommen, wenn er nicht zufällig durch die Schauspielerei über einen längeren Zeitraum dort gebunden gewesen wäre. Irgendwann blieb ihm wohl keine Wahl mehr. Und anstatt mit fast Mitte 70 langsam etwas kürzer zu treten, die Zeit anders zu füllen und seinen Ruhm auszukosten, wie er das hundertmal verdient hätte, verschlingt er immer noch Drehbücher, so wie er einst als Trinity Bohnen mit Speck in sich reinstopfte.

Seit dem Jahr 2000 steht Hill als Don Matteo in der nahe Perugia gelegenen mittelalterlichen Kleinstadt Gubbio vor der Kamera. 168 Folgen der gleichnamigen Serie hat er bislang gedreht – jede einzelne eine gute Stunde lang. Er gibt darin einen Priester, der wie Heinz Rühmanns Pater Brown als Hirte auch den schwarzen Schafen außerhalb der Gemeinde auf die Hufe schaut. Don Matteo klärt kriminelle Schweinereien stets vor den ortsansässigen Carabinieri auf. Mit Hill avancierte die Figur zum Hauptprotagonisten der erfolgreichsten Fernsehserie Italiens, die regelmäßig Zuschauerquoten erzielt, die sonst nur Spielen der Champions League vorbehalten sind.

Einen fast entgegengesetzten Verlauf nahm die Karriere von Carlo Pedersoli alias Bud Spencer, der in seiner Autobiografie sehr freimütig intime Einblicke in sein Leben gewährt. Vor seiner Schauspiellaufbahn ein gefeierter Schwimmstar und im Umgang mit Medien und Öffentlichkeit schon bestens vertraut, macht er keinen Hehl daraus, dass er sich nie für einen professionellen »echten Schauspieler« mit der dafür erforderlichen Portion Disziplin gehalten habe, wie Terence Hill sie besäße. Ganz im Gegenteil: Bud betont sogar, dass er schon zu aktiven Zeiten im Duett mit seinem Partner weit mehr die mit der Schauspielerei verbundenen Annehmlichkeiten in vollen Zügen genossen habe als die Tätigkeit selbst. So habe sein Erfolg ihm beispielsweise ermöglicht, Jet- und Hubschrauberpilot zu werden. Ein Lebemann also, wie er im Buche steht.

Die hoch konzentrierte Mischung aus großer Popularität und extremer Reserviertheit sowie der schwindelerregend dicht gefüllte Terminkalender von Terence Hill machen es nicht leicht, ein genaues Bild von ihm zu zeichnen – er, der die Öffentlichkeit über sich so gern im Unklaren lässt. Einer, den fast jeder schon mal in wenigstens zwei oder drei Filmen gesehen hat. Einer, von dem man leicht und gerne annimmt, er sei wie die von ihm dargestellten Figuren, weil er unheimlich sympathisch ist. Von dem nur seine treuesten Fans wissen, dass trotz seiner Popularität auch deswegen so auffallend wenig Persönliches über ihn bekannt ist, weil Terence Hill nach eigenem Bekunden schon von Kindesbeinen an ein ziemlich schüchterner Mensch gewesen ist und zurückgezogen lebt. Einer, der nicht nur keine Aufmerksamkeit um seine Person erregen möchte, sondern privat mit seiner Familie sogar die Ruhe und Abgeschiedenheit in stiller Natur sucht – und sei es nur, weil er sich dort einfach am wohlsten fühlt.

Doch die Spuren, die Mario Girotti sprich Terence Hill in sechs Jahrzehnten beruflich erfolgreich und ohne privat in Erscheinung zu treten, hinterlassen hat, fügen sich längst zu einem Bild zusammen, das mehr als neugierig macht. Was nicht zuletzt auch daran liegt, dass der Sohn einer deutschen Mutter mehrere Jahre in Deutschland gelebt und gearbeitet hat – zunächst als kleiner Junge ausgerechnet in den letzten beiden Jahren des 2. Weltkriegs nahe Dresden und später als junger Erwachsener in den 60er-Jahren, als er vor seinem großen Durchbruch mit Bud Spencer unter anderem durch mehrere Karl-May-Filme bekannt wurde und erste Tuchfühlung mit dem Westerngenre aufnahm, das ihn später berühmt machen sollte. Eine wichtige Karriere-Etappe, die ein Jahrzehnt später zu einem Meilensteinen der Kinogeschichte führte: Mein Name ist Nobody, jene legendäre deutsch-italienische Koproduktion, die die Handschrift von Sergio Leone trägt und von Horst Wendlandt, dem langjährigen König der deutschen Filmbranche, mitproduziert wurde.

Das Leben von Terence Hill ist eine Achterbahnfahrt mit unglaublichen Höhe- und Tiefpunkten – und einem Abgrund, der für diesen sanften und ruhigen Mann, der im Film lange nur den Frechdachs und Spaßvogel gegeben hat, bodenlos schien. Mit seiner Familie hat er das größte Glück, aber auch den größten Schmerz erfahren. Sein Leben ist voll von Überraschungen, reich an atemberaubenden Wendepunkten und von hoher Religiosität, die dem deutschen Publikum bislang im Großen und Ganzen verborgen geblieben ist.

Vieles aus seinem Leben in Italien ist in Deutschland nicht bekannt. Umgekehrt gilt das Gleiche, ganz zu schweigen von all den Jahren, die er mit seiner Familie in den USA verbracht hat. Diese Biografie versteht sich als eine Spurensuche. Erstmals soll das facettenreiche Leben von Terence Hill als Ganzes erzählt werden. Sie ist ein Versuch, diesen sympathischen und außergewöhnlichen Menschen seinem riesigen Publikum, das ihm seit mehr als vier Jahrzehnten in unerschütterlicher und – ähnlich wie bei Bud Spencer – wohl einmaliger Treue ergeben ist, näherzubringen.

Cagliari, Januar 2012

ullstein_high_00135230_2.eps

14733.png

Beginn einer Odyssee (1939 1945)

Schon in Deutschland waren die Mädchen nach den blauen Augen des kleinen Steppkes verrückt. Seine Stupsnase reichte nicht mal bis ans Ende der Weizenähren heran, die auf den umliegenden dichten und weitflächigen Feldern, wie es sie heute in nur wenigen anderen Regionen gibt, reiften. Mario war ein eher ruhiger Junge, erinnern sich die Kinder von einst. In seiner Familie hingegen war er berüchtigt als Frechdachs, er war aufmüpfig und ungehorsam. Wie er so als Vierjähriger seinem großen Bruder hinterhertollte, sah man ihm die Sportskanone schon an, die später aus ihm werden wollte. Der vier Jahre ältere Odoardo nahm seinen jüngeren Bruder auch oft mit ins Kino, wo sie sich zusammen Zeichentrickfilme ansahen. Mario turnte mit Vorliebe akrobatisch am schweren Eisentor vor der Einfahrt des elterlichen Wohnhauses herum, das quietschend auf und zu ging, stundenlang. Er wieselte durch goldene Felder, glitt durchs Schwimmbecken wie ein Fisch und ritt mutig auf einer riesigen Hausschildkröte quer durch Opa Pauls Garten, in dem einem süße Waldfrüchte regelrecht in den Mund wuchsen. Das junge Leben des Mario Girotti sieht über weite Strecken aus nach einer schönen, unbeschwerten Kindheit, wie sie sich jeder für sein Kind wünscht.

Klein-Mario und seiner Familie blieb das Glück in jenen Jahren treu, auch wenn die Begleitumstände alles andere als günstig waren. Mehr noch: Sie glichen eher einer Katastrophe. Und zwar so sehr, dass sie seinen gesamten Lebensweg bis zum heutigen Tag tief prägten.

Die Geschichte des Jungen, der Ende der 60er-Jahre unter dem Künstlernamen Terence Hill als sympathischer Sunnyboy und wendiger Witzbold Kinogeschichte schreiben wird, begann jedoch rund 1000 Eisenbahnkilometer weiter südlich vom Ort seiner ersten Kindheitserinnerungen – in Venedig. Dort wurde Mario Girotti am 29. März 1939 als mittlerer von drei Söhnen geboren.

In seiner Brust schlägt ein italienisch-deutsches Herz: Vater Girolamo Girotti kam im Jahr 1900 in einem kleinen Apennindorf im südlichen Umbrien zur Welt, Mutter Hildegard Thieme 1908 im südlichen Sachsen. Die Art und Weise, wie diese beiden zueinanderfanden, würde jeden Film schmücken. »Unsere Eltern sind sich zufällig Anfang der Dreißigerjahre während einer Zugfahrt in der Schweiz begegnet«, erzählt Odoardo Girotti, Jahrgang 1935. »Mutter war damals unterwegs, um eine Stelle als Au-Pair anzutreten, und Vater saß im selben Abteil. Sie haben sich kennengelernt, als ein Landsmann von ihm anfing, Mutter zu belästigen, und er dafür sorgte, dass der andere sie in Ruhe ließ.« Die beiden heirateten 1933, Hildegard zog zu Girolamo nach Venedig, wo der studierte Chemiker in der Pharmaziebranche arbeitete.

Sechs Jahre später sah alles ganz anders aus. Die Zeiten waren schwierig geworden, die politische und soziale Lage war in ganz Europa angespannt. Mario Girotti wurde in den Vorabend des Zweiten Weltkriegs hineingeboren, in den das Königreich Italien im Juni 1940 als Verbündeter des Deutschen Reichs zog. Zunächst blieb die Apenninhalbinsel von den Kriegsgräueln weitgehend verschont. Doch dies änderte sich, als britisch-amerikanische Truppenverbände im Juli 1943 auf Sizilien landeten und in Italien eine zweite Kriegsfront eröffneten, die kurz zuvor von den Alliierten in Casablanca beschlossen worden war. Sie sollte die deutschen Einheiten nach Norden zurückdrängen und schwächen – als strategische Vorbereitung für die große Invasion, die für 1944 in Frankreich geplant war.2

Die Familie Girotti war mittlerweile nach Rom gezogen, wo 1943 Piero geboren wurde. Nun überschlugen sich die Ereignisse. Noch im Juli desselben Jahres flogen die Alliierten erste Luftangriffe auf die Hauptstadt und versetzten die stolze Nation in eine Art Schockzustand. Ende des Monats wurde Diktator Benito Mussolini als Ministerpräsident abgesetzt und verhaftet. Die neue italienische Militärregierung unter Pietro Badoglio schloss am 3. September mit den Alliierten einen Waffenstillstand, woraufhin die Wehrmacht ganz Nord- und Mittelitalien samt Rom besetzte. Hitler ließ Mussolini, der in einem Hotel in den Abruzzen gefangen gehalten wurde, kurz darauf befreien und setzte ihn als Statthalter der »Sozialrepublik Italien« ein, die dieser während einer Rundfunkansprache in München proklamierte. Anschließend stellte er unter dem Druck des »Führers« in der kleinen, am Gardasee gelegenen Stadt Salò eine Gegenregierung auf, die die deutsche Besatzungsmacht stärken sollte. Am 13. Oktober 1943 erklärte die italienische Militärregierung Deutschland den Krieg. Zur selben Zeit formierten sich in der nördlichen Landeshälfte Partisanenverbände, die zum Kampf gegen Mussolinis »Schwarzhemden« rüsteten.

Lange Zeit von den Gefahren des Krieges weit entfernt, beschlossen die Girottis in dieser plötzlich so heikel gewordenen Lage, nach Deutschland zu ziehen. Ihr Ziel war Hildegards Geburtsstadt Lommatzsch, ein kleiner Ort, der 30 Kilometer nordwestlich von Dresden auf halber Strecke zwischen Riesa und Meißen liegt. Dort lebten noch immer die Eltern von Hildegard.

Himbeeren pflücken mit Opa Paul

Die Welt, die den vierjährigen Mario, seinen vier Jahre älteren Bruder Odoardo und den noch nicht mal ein Jahr alten Piero mit ihrer Mutter 1943 in der sächsischen Provinz empfing, schien trotz des Abgrunds, auf den sich die Menschheit geradewegs zubewegte, im Großen und Ganzen noch in Ordnung zu sein – zumindest aus kindlicher Sicht. Die Ostfront wurde zwar langsam, aber sicher in Richtung Westen von der Roten Armee zurückgedrängt, befand sich allerdings noch etwa 1000 Kilometer weit entfernt. Auch aus der nur 50 Kilometer südlich gelegenen Tschechei, die Hitler kurz vor Kriegsbeginn annektiert hatte, drohte keine Gefahr. Und Dresden galt unter den deutschen Großstädten zu jener Zeit als verhältnismäßig sicher, da alle wichtigen Industrieanlagen und Verkehrsknotenpunkte nicht kriegsrelevant waren und man somit nicht von ihrer Bombardierung ausging.3 Von daher bot sich das kleine Lommatzsch als Zufluchtsstätte für die Familie Girotti an, zumal Hildegard unbedingt ihre Eltern wiedersehen wollte.

Die Zeit im Heimatort seiner Mutter war für Mario aufregend, denn für ihn gab es dort unendlich viel zu entdecken. Die Kleinstadt, in der 1943 rund 5000 Menschen lebten, ist seit Jahrhunderten Mittelpunkt der Lommatzscher Pflege, auch Kornkammer Sachsens genannt. Der Name geht zurück auf den fruchtbaren Boden, denn Löss bedeckt die sanften Hügel, die auch heute zu den besten Äckern Deutschlands zählen und seit mehr als Tausend Jahren bewirtschaftet werden. Die umliegenden Felder der nur 6 Kilometer westlich von der Elbe entfernten Gemeinde zogen sich in leichten Wellen scheinbar endlos bis zum Horizont – ganz gleich, in welche Himmelsrichtung Mario blickte. Im Frühjahr verwandeln Korn und Raps die Hügel in ein gelb-grünes Meer, darüber schweben die hellen Blüten der Obstbäume wie Zuckerwatte. »Ich habe gewusst, dass es hier schön ist. Aber ich habe nicht mehr gewusst, dass es so schön ist«, zeigte sich Terence Hill viele Jahre später überwältigt, als sich ihm auf einer Reise in seine Vergangenheit das Naturschauspiel erneut bot.4

Der Familie des Jungen ging es in der Kleinstadt besser als vielen anderen, was vor allem dem Geschick des Großvaters seiner Mutter zu verdanken war, Carl Menzel. Marios Urgroßvater hatte den Namen Lommatzsch schon lange vor seinem berühmten Urenkel in die Welt hinausgetragen – und zwar mit Glas, dem sogenannten Lommatzscher Glas, hergestellt in der 1897 von ihm gegründeten Glashütte Carlswerk, die neben Fenster- und Spiegelglas auch das erste Dünnglas für Fotoplatten und medizinische Zwecke in Europa produzierte. Die Geschäfte liefen gut, sodass 1911 fast 200 Angestellte im Werk beschäftigt waren, was Carl Menzel zum mit Abstand größten Arbeitgeber in Lommatzsch machte, wo sich bislang alles nur um Bauern und ihre Landwirtschaft gedreht hatte. Ein Jahr zuvor, im Jahr 1910, erwies ihm sogar Sachsens König Friedrich August mit einem Besuch die Referenz, wobei er seine unternehmerischen Erfolge überaus lobte. Zum Andenken an den Tag spendete Carl Menzel 10 000 Mark, die nicht versicherten Werksarbeitern zugutekommen sollten, und ersuchte Seine Majestät untertänigst, dafür eine Stiftung einrichten zu dürfen, die den Namen seiner Durchlaucht tragen sollte, was diese ihm auch allergnädigst gestattete.5

Carl Menzel ging zwar wenig zimperlich mit Arbeitern um, die sich gewerkschaftlich engagieren wollten. Doch war das Carlswerk weit über die Grenzen von Lommatzsch hinaus für das gute Betriebsklima bekannt. Die Löhne zählten in der Glasindustrie zu den höchsten überhaupt. Die Arbeitsräume mit den Brennöfen galten als Vorbild für die gesamte Branche, da sie geräumig, hell und gut ventiliert waren. Der Fabrikchef gründete sogar eine eigene Betriebskrankenkasse. Darüber hinaus ließ Menzel in der Ortsmitte entlang der Döbelner Straße mehrere Dutzend Arbeiterwohnungen errichten, die der Lommatz’scher Volksmund noch heute schlicht Glashäuser nennt. Für damals herrschende Verhältnisse waren sie komfortabel: Es gab fließendes Wasser, auf der Rückseite der Häuser hatte man hübsche kleine Gärten angelegt. Und in genau solch eine Wohnung der Döbelner Straße 40 zog Mario Girotti mit Eltern und Brüdern ein.

Schnell hatte sich der Junge im Herzen der sächsischen Provinz eingelebt. Er wuchs auf wie die anderen Kinder auch. Mit der Sprache hatte Mario keinerlei Probleme, da seine Mutter bislang ohnehin fast nur Deutsch mit ihm gesprochen hatte. Zudem hatte er das Glück, mit seinen Großeltern unter einem Dach zu leben, was wohl der Traum vieler Kinder ist. Die Zeit mit Paul und Emma Thieme, Letztere eines von zehn Kindern Carl Menzels, prägte ihn sehr.

Das Haus lag nur ein paar Schritte entfernt von Marktplatz und Rathaus. Wenn Mario auf die Straße trat, konnte er die imposante Wenzelskirche mit den drei spätgotischen Türmen – dem alles überragenden, kilometerweit sichtbaren Wahrzeichen der Stadt – fast anfassen. Mit seinen kleinen Füßen stand er direkt auf dem geheimnisvollsten Kuriosum von Lommatzsch: einem verwirrenden Netz aus finsteren Kellergewölben und Gängen, die ab dem 14. Jahrhundert entstanden, als der Stadt das Braurecht verliehen wurde. Man hatte sie in dem kompakten, aber leicht abbaubaren Lehmboden oft ohne Stützbalken gegraben, nur um Bier besser lagern zu können. Die Gewölbe, die zum Teil über mehrere Geschosse bis zu acht Meter tief in konservierendes Dunkel hinunterführen, befinden sich unter jedem zentrumsnahen Gebäude. Sie sind häufig durch Gänge miteinander verbunden und erstrecken sich über eine Gesamtlänge von mehr als zwei Kilometern. Ein Paradies für abenteuerlustige Kinder und wie gemacht für Gruselgeschichten.

Die meiste Zeit verbrachten die Girotti-Brüder jedoch mit ihrer Mutter und den Großeltern. Im Garten hinter dem Haus probierte Mario zum ersten Mal Himbeeren, die er mit Opa Paul pflückte und fortan zu seinem Lieblingsobst erklärte. Das Kindermädchen unternahm mit ihm und Odoardo oft ausgedehnte Spaziergänge durch den Ort, und auch diese Ausflüge waren etwas ganz Besonderes. Ruth Teilig, die jüngere Schwester des Kindermädchens, hat diese Momente nie vergessen. Ihr taten die beiden Jungs nämlich immer ein bisschen leid, weil Oma Emma sehr großen Wert auf deren gesunde Ernährung legte – aus Ruths Sicht allerdings etwas zu eintönig, denn es gab für sie Möhrensaft bis zum Abwinken. Jedes Mal musste vor den Spaziergängen eine große Schüssel Mohrrüben geputzt und zu Saft gepresst werden, den die Kinder komplett trinken mussten.6

Doch Ruth und ihre Schwester brachten ein bisschen Abwechslung in den Speiseplan, denn ihre Eltern betrieben die Gaststätte Gute Quelle. Dorthin »entführten« sie die beiden Girotti-Brüder häufig heimlich. Daran, wie Odoardo und Mario gierig eine Fettbemme (Sächsisch für Schmalzbrot) nach der anderen verdrückten – die von ihrer Mutter stets rechtzeitig vorbereitet worden waren – und mit Karamellbier hinterherspülten, konnten sich die Mädchen gar nicht sattsehen. Gelegentlich durften die beiden Älteren auch Freunde zum Essen mit nach Hause bringen. Diese Einladungen waren ebenfalls heiß begehrt, denn leckere Makkaroni wurden in diesen mageren Zeiten meist nur bei den Girottis serviert.7

Ein schwarzer Augenblick

Papa Girolamo, den im Ort alle nur Momo nannten, verbrachte jedes Wochenende mit seiner Familie in Lommatzsch. Werktags war er jedoch in Dresden, wo er bei dem traditionsreichen Drogerie- und Farbwarenhersteller Gehe & Co. arbeitete. Gelegentlich besuchte ihn seine Frau mit den Kindern im »Florenz des Nordens«. Girolamo hatte sich im Dresdner Nobelstadtteil Weißer Hirsch, der für seine Villen und Sanatorien bekannt ist, ein Zimmer gemietet.

Die Zeit, die der Vater mit seinen Söhnen verbringen konnte, war deshalb natürlich stark begrenzt. Damit Mario aber wenigstens ein bisschen Italienisch lernen konnte, ließ Girolamo sich für ihn etwas Besonderes einfallen. Als gläubiger Katholik (»nicht im kirchlichen Sinne«, erläutert Odoardo, »er hatte eine sehr eigene, freie Beziehung zum Glauben«) trug er das Buch Fioretti di San Francesco bei sich – zu Deutsch Die Blümlein des heiligen Franziskus. Da er wusste, wie wichtig das ständige Wiederholen von Wörtern beim Erwerb einer Sprache ist, las er Mario gebetsmühlenartig die 53 Kurzgeschichten immer wieder aufs Neue vor. Die Erzählungen handeln von Legenden, die sich um Franz von Assisi und seinen Orden ranken, der wie Girolamo aus Umbrien stammt. Sie wurden im 14. Jahrhundert von einem unbekannten Autor verfasst, erfreuten sich noch im 20. Jahrhundert großer Beliebtheit bei der Andacht in der Kirche – und wurden zu Marios erster Italienischlektüre.

Doch zu Beginn des Spätwinters 1945 endete jäh die bisher verhältnismäßig unbeschwerte Zeit der Familie Girotti und Hunderttausender anderer Menschen in Sachsen, das bislang vom Kriegstreiben weitgehend verschont geblieben war. Denn am Abend des 13. Februar wurde Dresden bombardiert. Sogar die Einwohner des rund 30 Kilometer entfernten Lommatzsch wurden Zeuge dieses militärisch sinnlosen Überfalls der Alliierten, der als schwerster Luftangriff auf eine Stadt im Zweiten Weltkrieg in die Geschichte eingegangen ist. Der rote Himmel und das fürchterliche dumpfe Grollen, das die Kleinstadt von Südosten her um kurz nach 22 Uhr in eine gespenstische, apokalyptische Stimmung tauchte, war der Anfang der zwei Tage dauernden vollständigen Zerstörung Dresdens.

In der Döbelner Straße 40 rückte man zusammen. Seit Anfang Februar 1945 wohnten bei den Girottis auch vier Cousins und Cousinen des inzwischen fast sechsjährigen Mario, die ihren Vater im Krieg verloren hatten und mit der Mutter aus Bunzlau in Niederschlesien vor den heranrückenden Russen geflüchtet waren. Einer von ihnen war Henning von Birckhahn, der sich gut an die Bombardierung erinnert: »Ich war damals 13 Jahre alt und saß während der Luftangriffe mit Odoardo auf dem Dach des Hauses. Wir haben die Flugzeuge gezählt, die über unsere Köpfe hinweg nach Dresden geflogen sind, um dort ihre Bomben abzuwerfen.«

Das Inferno von Dresden, wo im Februar 1945 mehr als eine halbe Million Menschen lebte, ist beispiellos, da es die Stadt und ihre Einwohner völlig unvorbereitet traf. Die Heeresleitung hatte mit einem Angriff nicht gerechnet, weswegen in Dresden auch keine Luftabwehr vorhanden war. 773 britische Bomber sind es nach offiziellen Angaben gewesen, die in der Nacht zum 14. Februar mit einer infernalischen Menge an Sprengbomben zunächst vor allem Dächer und Fenster der Häuser zerstörten. Die 650 000 Brandbomben, die sie danach abwarfen, konnten somit ihre Wirkung voll entfalten. Am Tag darauf begannen 311 amerikanische Bomber mit der Flächenbombardierung, und auch am 15. Februar flogen sie noch vereinzelte Angriffe. 25 000 Menschen verloren ihr Leben, 80 000 Wohnungen wurden in Schutt und Asche gelegt.8

Lommatzsch war von den Luftangriffen nicht direkt betroffen. Doch auch die Menschen dort gerieten in Panik. Bei den Girottis stieg die Sorge schon während der ersten Angriffswelle. »Ich erinnere mich noch, dass Schnee in Lommatzsch lag. Der Himmel war vollkommen in Rot getaucht, die Fenster wackelten, und aus Dresden drang ein unheimliches Grollen zu uns hinüber. Als der Angriff begann, war unser Vater dort, denn er hatte Nachtschicht«, berichtet Odoardo Girotti. Ins Unerträgliche jedoch stieg die Angst um den Vater erst in den Tagen danach. »Die Kommunikation zwischen Dresden und Lommatzsch war unterbrochen. Eine Woche nach den Angriffen machte sich deshalb ein Onkel per Rad auf den Weg nach Dresden, um herauszufinden, was aus Vater geworden war. Und was sieht er, als er die Tür seines Zimmers im Weißen Hirschen öffnet? Meinen Vater, der eingeseift vor dem Spiegel steht und sich gerade rasiert. ›Was zum Teufel machst du hier? In Lommatzsch glauben alle, du wärst tot!‹, hat er ihn angeraunzt. Dann haben sie sich ein zweites Rad besorgt und sind beide nach Lommatzsch zurückgeradelt.« Später erfuhr die Familie dann, dass Girolamo nur deswegen nicht zurückgekommen war, weil er wie Tausende andere beim Bergen von Verletzten und Toten geholfen hatte. Das Stadtviertel Weißer Hirsch war von den Luftangriffen verschont geblieben. In den Sanatorien waren sofort Lazarette eingerichtet und andere Gebäude als Auffanglager für Flüchtlinge umfunktioniert worden.

Aus Angst vor der nun bedrohlich näher rückenden Ostfront und auch aus Furcht vor möglichen Vergeltungsaktionen der Roten Armee kehrten nun viele Lommatzscher ihrer Stadt den Rücken, darunter auch die Girottis mit den Cousins und Cousinen um Henning von Birckhahn. »Paul Thieme, der Großvater von Mario, kannte einen Bauern in Ostrau, einem kleinen Dorf etwa 12 Kilometer westlich von Lommatzsch, dort sind wir die letzten Kriegsmonate untergekommen, alle zusammen etwas mehr als 20 Personen.« Man musste natürlich improvisieren, erinnert sich von Birckhahn, der heute im niedersächsischen Bad Harzburg lebt: »Wir haben in einer großen Stube geschlafen. Wenn die 20 Strohmatratzen auf dem Boden lagen, dann war der Raum komplett bedeckt mit ihnen. Tagsüber waren sie alle gegen die Wand gelehnt.«

Ganz besonders eingeprägt hat sich ihm eine Szene mit Girolamo. »Er war ja Wissenschaftler, ein sehr rational denkender Mensch. Ich werde nie vergessen, wie er eines Tages, als wir alle wilde Bewegungen machten, weil wir furchtbar froren, bewegungslos dastand und plötzlich zu uns sagte, dass es falsch sei, sich so zu bewegen, weil genau diese Bewegungen die warme Luft zwischen der Haut und der Kleidung nach außen pressen würden und wir deswegen mehr frören.« Außerordentlich erfolgreich, erzählt von Birckhahn weiter, sei Marios Vater bei den regelmäßigen Wanderungen durch die umliegenden Dörfer gewesen. In einem kleinen Trupp sei man umhergezogen, um jene um Lebensmittel zu bitten, die mehr hatten als man selbst. »Girolamo hatte eine ganz besondere, sehr bescheidene Art, und mit der hat er unglaublichen Erfolg gehabt. Er kam immer mit dick gefüllten Taschen zurück.«

Ende April erreichten die Russen Ostrau, und auf dem Hof spielten sich teilweise dramatische Szenen ab. Der Schrecken sitzt Henning von Birckhahn heute noch in den Knochen. »Viele Bauernhöfe in der Gegend hatten damals eine eigene Schnapsbrennerei, genau wie der Bauernhof, auf dem wir waren. Sie befand sich im Souterrain. Und dort haben wir uns alle versteckt. Odoardo und ich haben hinausgespäht. Wir sahen die Soldaten über die Felder laufen, und wir sahen auch die Panzer. Die Kanone von einem war auf den Hof gerichtet – dort stand ein gefüllter Jauchewagen, den man vielleicht für einen feindlichen Panzer hielt. Die Russen gaben einen Schuss ab. Das hat ganz schön gespritzt …«

Wenig später, so von Birckhahn, seien dann zunächst die russischen Offiziere auf den Hof gekommen. »Die waren sehr freundlich, erkundigten sich, ob jemand krank sei und ob die Kinder genug Milch hätten. Sie sprachen exzellentes Deutsch und forderten uns auf, alle Waffen abzugeben, denn später würde streng danach kontrolliert, sie selber hätten jetzt keine Zeit dazu. Danach kamen dann die ›Etappenschweine. Einer von ihnen hat sich dann Marios Mutter geschnappt und wollte sie vergewaltigen. Odoardo ist mit zwei anderen Jungs auf ihn los, sie haben geschrien und auf ihn eingeschlagen. Schließlich hat er von ihr dann doch noch abgelassen – und dafür die Bauersfrau vergewaltigt. Es war einfach furchtbar.«

Die Entscheidung, Lommatzsch zu verlassen, war dennoch richtig gewesen, denn am Ende hielt der Krieg auch in den Geburtsort von Marios Mutter Einzug, der zwischen Roter Armee und Wehrmacht hart umkämpft war. Nur neun Tage vor Kriegsende trieben Angehörige der Waffen-SS unter dem Vorwand der Plünderung am 29. April 1945 36 ausländische Zwangsarbeiter zusammen und erschossen die komplette Gruppe. Unter den Opfern befand sich auch ein 16-jähriger Junge, der vorher aus Ostpreußen geflüchtet war.

Während Henning von Birckhahn mit seinen Geschwistern noch ein ganzes Jahr in Ostrau blieb und bei der Arbeit auf den Feldern half, zog Marios Familie nach dem Kriegsende wieder nach Lommatzsch zu den Eltern von Mutter Hildegard zurück. »Ich sehe meine Cousins und ihre Eltern noch vor mir, wie sie mit einem Handwagen, an dem Girolamo die italienische Trikolore befestigt hatte, sich zu Fuß auf den Weg gemacht haben.«

Im September 1945 machte sich seine Familie überwiegend per Zug dann wieder auf den Rückweg nach Italien, berichtet Odoardo Girotti. Das Letzte, woran sich Mario aus den zwei Jahren seiner Kindheit in Deutschland noch erinnert und was er mit nach Italien nimmt, ist die Rast in einem Flüchtlingslager im oberbayerischen Mittenwald.9 Die Amerikaner hatten es in hochalpiner Kulisse zwischen Wetterstein und Karwendelgebirge kurz vor dem Grenzübergang zu Österreich in den drei Gebirgsjägerkasernen eingerichtet, die es noch heute in dem Ort gibt. »Wir sind dort zwei bis drei Tage geblieben. Die Amerikaner haben uns alle desinfiziert und von oben bis unten mit Pulver überschüttet.« Dann zogen die Girottis über den Brenner mit dem Ziel Venedig – einer ersehnten besseren Zukunft entgegen.