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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

 

Für Fragen und Anregungen:

christianaudigier@rivaverlag.de

 

1. Auflage 2010

© 2010 by riva Verlag, ein Imprint der FinanzBuch Verlag GmbH

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

 

Die französische Originalausgabe erschien 2009 bei Éditions Michel Lafon unter dem Titel Mon American Dream. Des Cités d’Avignon à la Cité des Anges. © 2009 by Éditions Michel Lafon.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

 

Übersetzung: Egbert Baqué

Redaktion: Caroline Kazianka

Umschlaggestaltung und Layout: Julia Jund

Umschlagabbildung: Jeff Carillo

Satz: Jürgen Echter, Landsberg am Lech

EPUB: Grafikstudio Foerster, Belgern

 

ISBN 978-3-86413-136-3

 

Weitere Informationen zum Thema finden Sie unter

www.rivaverlag.de

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Ich habe mir mein Leben erträumt.

Dieses Buch ist die Geschichte eines Traums.

Mit den Lesern will ich ihn teilen,

dabei aber niemanden verletzen.

Deshalb wurden,

damit der Respekt vor der Privatsphäre
gewahrt bleibt,

einige Namen geändert.

 

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Für meine Mutter.

Für Crystal.

Für Ira, Dylan, Rocco und Vito.

 

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»Nicht nie zu fallen, sondern nach dem Fall wiederaufzustehen, ist der wunderbarste Sieg eines Menschen.«

Nelson Mandela

Inhalt

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Vorwort von Johnny Hallyday

  1. Suspicious Minds
  2. Instant Karma!
  3. Ich habe immer davon geträumt, ein Rockstar zu sein
  4. Zuchthaus-Rock
  5. Der Tumultprinz
  6. Gesprengte Ketten
  7. Under My Thumb
  8. Like A Rolling Stone
  9. Im Hotel der gebrochenen Herzen
  10. Let`s Get Lost
  11. Born To Be Wild
  12. Sweet Dreams
  13. Working On A Dream
  14. We’ve Got Forever
  15. This is it

Bildteil

Danksagung

Bildnachweis

Vorwort
King of Fashion

von Johnny Hallyday

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Christian Audigier ist ein Träumer. Ein gigantischer Träumer.

Ein Visionär. Einer von jenen Typen, die andere zu den verrücktesten Sachen, den wagemutigsten Herausforderungen animieren. Christian und ich – wir sind uns begegnet und haben uns sofort respektiert. Wie ich ist er »in der Gosse geboren« – fast zumindest. Wie ich ist er vom Sternbild her Zwilling, und für mich ist er fast wie ein Zwillingsbruder. Wie mein Vater mich hat auch sein Vater ihn im Stich gelassen. Wie ich hat er von Amerika und dem Rock ’n’ Roll geträumt. Und wie ich ist er ein Überlebender. Und wir teilen die gleiche kompromisslos-leidenschaftliche Art zu leben, wie sie auch Keith Richards formuliert hat: »Das, woran andere krepieren würden, bringt mich nicht um. Trotz allem bin ich immer noch am Leben. Wahrscheinlich verfüge ich über eine Geisteshaltung und eine psychische Verfassung, die es mir erlauben, dem Leben die Stirn zu bieten. Ich bin ein zäher Knochen, ziemlich zäh.«

Eines Tages, Ende der 1980er-Jahre, schlug mir Renaud Page, mein Sekretär und Vertrauter, vor, Christian auf dem Anwesen, das er damals in Saint-Rémy-de-Provence besaß, zu besuchen. Ich wusste damals nicht, dass dieser junge und ausgesprochen vielversprechende Modedesigner einer meiner größten Fans war. Wie das Leben so spielt, haben wir uns dann immer wieder getroffen ... und ich habe ihm die Organisation all meiner Partys in meinem Haus La Lorada in Saint-Tropez anvertraut. Dann hat Christian Frankreich verlassen.

Amerika hat uns beide – und das tut es immer noch – wieder zusammengebracht.

2002: Ich schlendere über die Melrose Avenue in Los Angeles und werde wie magisch von der Von-Dutch-Boutique angezogen. Sie hat dieses Garagen-Ambiente der 1950er-Jahre. Genau das, was ich so liebe. Zu meiner Überraschung steht mein alter Kumpel Christian plötzlich vor mir. Er ist der »Chef« des Ladens. Jedenfalls ist er es, dem es gelungen ist, aus dieser Marke ein echtes Modephänomen zu machen, einen Lifestyle, indem er das von Kenneth Howard für Autos erfundene legendäre Konzept des Pinstripings auf Kleidung übertragen hat. Ob in den Straßen oder auf den Fotos der Klatschpresse – alle Welt trägt Kleidung mit seinem Markenzeichen. Auch Madonna und Britney Spears, um nur zwei prominente Beispiele zu nennen. Er ist der König des Guerillamarketings!

Eines Abends, während eines denkwürdigen Essens, hat mir Christian dann von seinem unglaublichen Leben erzählt: vom Abschied von Frankreich und der Auswanderung nach Bali, um seine Tochter wiederzufinden. Dort, im Paradies, hat er ein Hotel, ein Restaurant und zwei Boutiquen betrieben. Nachdem er von Landsleuten angeschwärzt worden war, wurde er zu Unrecht zu zehn Jahren Knast verurteilt. Aber mit viel Kraft ist es ihm gelungen, da wieder herauszukommen.

Ein echtes Rock ’n’ Roller-Leben!

Und dann wieder alles auf Anfang, in jeder Hinsicht. Das Gefängnis hat er überstanden, weil er an seinen Traum geglaubt hat – diesen Traum, den er schon immer hatte, nämlich Klamotten-König in den Vereinigten Staaten zu werden. The King of Fashion. Mit Von Dutch war es ihm schließlich gelungen, sein anspruchsvolles Ziel zu erreichen. Ich war wirklich stolz auf ihn.

Zwei Jahre später treffe ich ihn wieder auf der Melrose Avenue. Inzwischen war er der große Manitu einer anderen Kleidermarke geworden: Ed Hardy, die von dem Tattookünstler Don Ed Hardy inspiriert worden ist. Und wieder vermag dieser Typ mich mit seinen avantgardistischen Ideen zu verführen.

Von all den Fallen, aus denen sich mein Freund befreien, von den Schlägen, die er einstecken musste, um das zu erreichen, was er nun geschafft hat, werde ich nichts verraten. Das soll er Ihnen selbst erzählen. Aber eins ist sicher: Christian ist der lebende Beweis für die Maxime »Was dich nicht umbringt, macht dich stärker«. Und er hat sich auch mein Lebensmotto zu eigen gemacht: Existieren heißt insistieren!

Eine solche Lebenseinstellung bewundere ich, keine faulen Kompromisse und nie die eigenen Träume aufgeben. Wir stimmen in diesem Punkt so überein, dass Christian und ich irgendwann beschlossen haben, uns unter meinem bürgerlichen Namen zusammenzutun und das Modelabel Smet ins Leben zu rufen. Als der Vertrag dafür unterzeichnet war, hat mir einer unserer engsten Freunde etwas Unglaubliches anvertraut: »Du warst ein Leuchtfeuer in Christians Leben. Hätte es dich nicht gegeben, wäre sein Schicksal anders verlaufen. Als er ein kleiner Junge war, hingen Poster von dir in seinem Zimmer. Und als Heranwachsender identifizierte er sich total mit dir. Wenn du dich zum Beispiel von einem Mädchen getrennt hast, verließ er seine eigene Freundin, selbst wenn er fürchterlich verliebt in sie war. Als er in Bali im Gefängnis saß, hatte er neben einem Foto von Gisele Bündchen an der Wand seiner Zelle eine deiner Plattenhüllen angebracht, um sich Mut zu machen, durchzuhalten. Du warst schon immer die Inkarnation seines amerikanischen Traums.«

Ich bin wirklich glücklich, dass ich ihm ein wenig von meiner Energie einhauchen konnte.

Zu seinem 50. Geburtstag hatte ich das Vergnügen, bei einem Auftritt für ihn singen zu können, und das in illustrer Gesellschaft: Macy Gray, Fergie, Snoop Dogg, Britney Spears, Pamela Anderson, Mickey Rourke, Joe Pesci und ... Michael Jackson! Der King of Pop gab dem King of Fashion die Ehre! Hand in Hand ...

An jenem Abend hatte Christian es geschafft – ich war völlig baff.

Zu meinem eigenen Geburtstag, zwei Wochen später, ist es ihm gelungen, eine ganz außergewöhnliche Runde zu organisieren. Unter anderem waren Dennis Rodman, David Hasselhoff, Dave Stewart – der Komponist und geniale Gitarrist der Eurythmics – und die großartige Sharon Stone anwesend.

Heute, als Chef der Marken Ed Hardy, Smet, Christian Audigier, Paco Chicano, Crystal Rock – nach dem Vornamen seiner Tochter – und C/A, dirigiert Christian ein Modeimperium. Und er tut das auf seine Weise: Nach Rock-’n’-Roll-Manier. So, als würde er morgen sterben.

Ich bin stolz, sein Freund zu sein.

Dieser Typ ist echt ein Teufelskerl!

Johnny Hallyday

Los Angeles, März 2009

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1 SUSPICIOUS MINDS

»Sorgt dafür, dass der Traum euer Leben verschlingt und nicht das Leben euren Traum.«

Antoine de Saint-Exupéry

Suspicious Minds, Elvis Presley, Mark James, 1969

Bali ist ein Fest!

Ein Fest der Sinne, der Farben, der Düfte, der Klänge, der Traditionen, der Vermählung von Mutter Natur und Vater Ozean. Selbst der Tod bietet hier Anlass zu Freude, denn er existiert nicht. In der hinduistischen Religion macht sich die ewige Seele, befreit von ihrer leiblichen Hülle, auf zu einer großen Reise, um in anderer Reinkarnation wiederzukehren.

Ich habe mich bis über beide Ohren in die Insel der Götter verliebt. Vor drei Jahren bin ich hier gelandet, weil ich wieder das Sorgerecht für meine Tochter Crystal bekommen wollte, die mit ihrer Mutter Michèle von zu Hause weggegangen war. Obgleich ich also eigentlich in einer Notsituation steckte, hat mich diese mythische Station der alten Gewürzhandelsroute in ihren Bann geschlagen, denn sie hat etwas, das mich sehr an ... Haute Couture denken lässt, mit einem Hauch von Commedia dellArte.

Von allem gibt es hier zu viel: Die Sonnenuntergänge sind von einer farblichen Intensität, als seien sie von einem Maler retuschiert worden, und die Wellen, die unablässig an den beliebten Stränden von Padang Padang oder Uluwatu anbranden und auf denen Surfer mit athletischer Eleganz reiten, sind perfekt, schön und kraftvoll. Die vorherrschenden Farbtöne sind Rosa, Fuchsia-Purpur, Grün, Blau, Türkis. Die von maskentragenden oder stark geschminkten Gläubigen abgehaltenen Zeremonien sind von einer ungeheuren Intensität. Es ist eine Art irdisches tropisches Paradies, an das Galliano, Kenzo oder John Richmond Hand angelegt zu haben scheinen. Eine rauschhafte Szenerie inspirierter Schöpfergeister, überragt von majestätischen Vulkanen und terrassierten Reisfeldern, zerzaust von Passatwinden, die als Klangteppich den metallischen und synkopierten binären Rhythmus der Gamelan-Orchester1 mit sich tragen. Und dann ist da dieser betörende Duft der Räucherstäbchen, der sich mit den Gerüchen der Gewürze und dem der Gischt des Meeres vermengt. Kurz, ein einzigartiger Ort, dem man nicht unbeeindruckt wieder entkommt und den der Autor und Regisseur Marc Esposito in Toute la beauté du monde (Alle Schönheit dieser Erde) in seiner ganzen strahlenden Majestät filmisch einzufangen wusste. Die Insel der Verzauberungen ...

Bali ist ein Fest!

Zumindest versuche ich mir dies in diesem Augenblick einzureden ... Carolina, von der ich glaubte, sie sei die Frau meines Lebens, hat mich gerade verlassen, um zu ihrem Mann nach Brasilien zurückzukehren. Ich bin am Boden zerstört, todunglücklich, aber ich versuche, etwas dagegen zu tun. Auf meiner Klappermühle schlängele ich mich zwischen Dutzenden von Minibussen, Rädern, Motorrollern und Autos hindurch, die sich zwischen Seminyak, Legian und Kuta stauen, den drei Perlen der Badeorte an der Südküste Balis. Wir sind weit entfernt von den berühmten »vier Ks«, die reisende Hippies gerne ansteuern – Kath-
mandu in Nepal, Kabul in Afghanistan, Kuta Beach hier in Indonesien und Kailua auf Hawaii –, aber die Magie und Energie der Lebensweise sind hier lebendig. Hinter mir sitzt Sexy Lady, eine hübsche Italienerin, die ich vor einer Woche kennengelernt habe, und hält sich an meiner Hüfte fest ... Ich bin total flippig drauf: Am Stamm einer Palme habe ich meinen zehnten Joint des Tages ausgedrückt und dann den Stummel, den »Arsch der Alten« – das Beste –, in die Brusttasche meines Jeanshemdes gesteckt, einer Lee-Vintage-Reliquie der 1960er-Jahre, Souvenir eines anderen Lebens.

Nun rollt mal los, ihr kleinen Flitzer, Meister der Geschwindigkeit, düst ab zu einer Villa in der Nähe des »Double Six«, des kultigen Elektro-Pop-Schuppens am Strand von Legian. Heute Abend ist Spaghetti-Party angesagt, unter lauter Franzosen!

Juli 2000. Ein Samstagabend mitten in der Trockenzeit, der touristischen Hochsaison des Jahres. In Sachen illegaler Geschäfte, Straftaten, Stoff und Prostitution ist Kuta Beach das heimliche Zentrum der Insel. Sicher, kommt man in Tuban, am Flughafen Ngurah Rai, rund 15 Kilometer von Denpasar entfernt, an, sind die großen Schilder für niemanden zu übersehen:

DROGEN = TODESSTRAFE

Und natürlich bezweifelt keiner in diesem Land, in dem die Korruption Königin ist, dass die Dealer die wichtigsten Informanten der Bullen sind. Da ist ein machiavellistischer Geldkreislauf in Gang, eine monströse Kette, in der das Geld aus den Drogengeschäften und der Stoff selbst ungestraft und ad infinitum zirkulieren. Es ist dort bekanntermaßen der profitträchtigste Erwerbszweig. The Dealer is a Pusher2, wie Frank Zappa sang.

Wehe den Verlierern.

Wehe den Besiegten.

Wehe denen, die in die Falle gehen und keine Mittel haben, um sich auf einen Handel einzulassen.

Im Laufe von drei Jahren habe ich Hunderte von Geschichten gehört, eine grauenvoller als die andere, Geschichten, in deren Mittelpunkt allzu naive und leichtgläubige Touristen stehen, die sich rupfen lassen wie Hühnchen. Im besten Falle ... Denn viele von diesen Leuten versauern noch immer in den Gefängnissen von Denpasar, manchmal nur wegen ein paar Joints. Vorsichtig, wie ich bin, habe ich mich von heiklen Situationen stets Lichtjahre entfernt gehalten. Aber vor zwei Tagen haben es zwei Franzosen mit ihren Vergehen zu weit getrieben und dann auch noch wie wild gewordene Rumpelstilzchen tölpelhaft Spuren gelegt. Zuerst haben sie sich ihren Leih-Roller klauen lassen, dann haben sie Utensilien zum Koksen und Reste von Koks in ihrer Villa zurückgelassen. Schließlich, als Sahnehäubchen, haben sich die beiden Arschlöcher auch noch einen Stricher kommen lassen und ihm dann sein Honorar verweigert. Deshalb ist der Lude dann losgezogen, um sich beim banjan, dem Ortsvorsteher, zu beschweren, und hat ihm eine eigene Version dieser grandiosen Affäre verklickert und dabei schön ausführlich vom Koks erzählt ... Kurz – die Dinge nahmen ihren Lauf: Sämtliche Bullen der Südküste waren auf Alarmstufe eins und scharf darauf, die beiden Typen auf frischer Tat zu schnappen.

Die Party ist in vollem Gang. Ich flirte mit Sexy Lady ...

Knapp eine Stunde bevor wir die Villa betreten haben, haben wir noch zwei Ecstasy-Pillen geschluckt. Auf balinesische Art. Knutschend. Die Zungen berühren sich, die kleinen Glückspillen wechseln von einem Mund in den anderen ...

Ich schwebe. Ich tanze. Ich schließe die Augen.

Ich mache sie wieder auf ...

Das ist nicht mehr meine Italienerin, die sich da mit vorgereckten Brüsten, fordernden Lenden und erhobenen Armen lockend vor mir windet ... ich sehe Carolina. Du hast mich einfach stehen lassen und mir das Herz zerrissen, Carolina. Ich war so naiv zu glauben, alle Finessen der Liebe bereits zu kennen, aber du warst eine sexuelle Offenbarung. Du hast mich angemacht. Es war die völlige Verschmelzung zweier Wesen, eine subtile Alchimie der Pheromone.

Warum haben mich ausgerechnet jene Frauen, die ich am meisten liebte, am brutalsten fallen lassen?

14 Franzosen sind im gleichen Zustand wie wir, schweben auf einer herzförmigen rosa Wolke. Es sind allesamt Leute, die mit Mode zu tun haben oder in Paris im Showbusiness arbeiten. La Vérité si je mens3 auf Bali!

Von ihnen allen kenne ich nur einen. Aus Gründen der Diskretion werde ich ihn nur Mister Good Guy nennen. Er ist cool, lebenslustig und besucht mich regelmäßig hier im Paradies. Er hat ein intelligentes und originelles Konzept entwickelt, und seine Modemarke verkauft sich gut.

14 Franzosen der Generation Benetton: Alle Hautfarben, alle Rassen und die unterschiedlichsten Religionen sind vertreten. Das unterscheidet sich nicht von meinem gewohnten Universum: Ich bin in Avignon geboren, in einer der ersten Arbeitervorstädte, mehr als 30 Jahre habe ich als Modedesigner gearbeitet, mein Metier bei Juden gelernt, und meine Freunde sind mehrheitlich Zigeuner, Araber, Schwarze oder Asiaten. Ich bin ein Wandervogel, einer aus dem Süden, in allen südlichen Gefilden und unter allen Sonnen zu Hause. Ein Weltbürger.

Plötzlich herrschen zwischen zwei Titeln der Stones ein paar Sekunden Stille.

Das Flügelschlagen von Vögeln, die aus Bäumen auffliegen, ist zu hören, Hundegeheul, das Knacken zerbrechender Äste. Nicht umsonst werde ich »Vif« genannt, und als solcher4 vermag ich Alarmsignale vor allen anderen zu erspüren und wahrzunehmen.

Blitzartige Erkenntnis: Jemand hat uns verpfiffen!

Ich brülle: »Die Bullen!« Sofort schmeißen all die Typen illegales Zeugs aus ihren Taschen. Innerhalb von zwei Sekunden ist der Boden von bunten Pillen und unterschiedlichsten Tütchen bedeckt: LSD, Ecstasy, halluzinogene Pilze, Marihuana, Koks ... Die komplette psychedelische Underground-Apotheke des Dr. Feelgood.

Während ich noch verblüfft auf den Boden gucke, springen mir zwei schwarz gekleidete Ranger eines Zivilbullen, der gerade über die Umgrenzungsmauer gestiegen ist, an die Kehle. Für den Rest meines Lebens werde ich dieses Bild vor Augen haben, eine Szene wie ein stark symbolisch aufgeladenes Stillleben: hier die aggressiv auftretenden Kampfstiefel, da die Drogen.

Ordnung und Chaos. Gut und Böse.

Diese Sequenz habe ich in Zeitlupe abgespeichert, voll herangezoomt. Die schweren, polternden Sohlen ... Die aufstiebenden Erdbrocken ... Die Pillen, die unter der Wucht des Aufpralls in die Höhe hüpfen. Vor allem wird mir klar, dass mein Leben, was auch immer ich jetzt mache, gerade eine völlig neue Wendung nimmt. Ich war im falschen Moment mit den falschen Leuten am falschen Ort. Ich habe Zick statt Zack gemacht.

Als ich den Kopf hebe, erkenne ich erst, wie tief wir alle wirklich in der Scheiße stecken. Das sind keine Bullen, die uns da umzingelt und dann angegriffen haben, das ist eine balinesische Eliteeinheit! Ein SWAT-Team5 von zwölf Soldaten in Tarnuniform, bis zu den Zähnen mit Kalaschnikows und Revolvern bewaffnet.

Und mit einem Mal wird Bali zu einem Albtraum ...

Was nun folgt, erlebe ich im Zeitraffer. Die geblafften Befehle, die Gesten mit den Maschinenpistolen, mit denen wir in eine Ecke des Zimmers gescheucht werden, die Konfiszierung der Pässe, die Leibesvisitationen, dann die Durchsuchung der über den Rückenlehnen der Stühle hängenden Kleidung ...

Verdammt, mein Jeanshemd! Bingo – natürlich haben sie den Stummel meines Joints sofort gefunden.

Ich bin der Einzige, der ein wenig Balinesisch kann, aber selbst ohne diese rudimentären Kenntnisse hätte ich die nun folgende Frage verstanden: »Wem gehört diese Jacke?«

Niemand antwortet.

»Wem gehört diese Jacke?«

Sieben Finger zeigen auf mich.

Suspicious Minds. Siebenfacher Verrat. Ein Hoch auf die Solidarität!

Ein Typ, der der Chef zu sein scheint, tritt auf mich zu und hält mir seine Automatik an die Schläfe. Mit einer ausladenden Geste hält er mir die Droge vor die Nase.

»Gehört das dir?«

»Nein.«

Er drückt die Mündung der Waffe etwas fester an meine Haut ...

»Deins?«

»Nein!«

Bleierne Stille.

Schon oft habe ich mich aus hoffnungslosen Situationen befreit, indem ich bluffte und dabei lässig Rauchwolken ausstieß. Also habe ich mir auch diesmal gesagt: »Okay, sie haben uns gekascht, daher haben wir nichts mehr zu verlieren. Du hast dich doch schon immer auf der roten Linie bewegt, du bist ein Experte im Balancieren in schwierigen Lebenssituationen. Du kennst die örtlichen Spielregeln. Auch wenn sich deine neuen Kumpels nicht gerade durch Fairplay und Mut auszeichnen, du allein bist in der Lage, alle aus dieser Scheiße herauszuhauen. Mach einen Doppelsalto rückwärts mit Abschlusshaltung auf dem kleinen Finger und dann einen schönen Diener.« Und dann tschüss allesamt.

Ich schaue dem Kerl in die Augen und reibe meinen Daumen gegen den Zeigefinger.

»Berapa harga?« (Was kostet das?)

Ohne zu zögern und ohne die anderen Soldaten zu befragen, öffnet er die Hand.

»Lima!«

5000 US-Dollar! Selbst wenn wir uns zusammentäten, würde es nicht mal für ein Zehntel dieser Summe reichen.

»Ich habe 5000 Dollar in bar bei mir zu Hause, in meinem Safe«, flüstert mir Sexy Lady ins Ohr.

Ich ertappe mich dabei, wie ich trotz des Ernstes der Lage das Ganze mit einer Szene aus einem Kriminal-Roadmovie à la True Romance oder Pulp Fiction vergleiche. Oder auch mit einem verrückten Erlebnis, das man in Hunter S. Thompsons Roman Angst und Schrecken in Las Vegas nachlesen kann, die Szene, in der der Journalist Gonzo und sein zwielichtiger Anwalt völlig zugedröhnt in Sin City landen und in eine Jahresversammlung faschistoider Bullen geraten.

Nun halte ich meinerseits meine Hand weit offen hin.

»Lima, ya!«

Ich signalisiere ihm, dass meine Freundin und ich das Geld holen müssen. Der Typ zeigt auf zwei seiner Leute, schnipst mit den Fingern, zwinkert ihnen zu und weist in Richtung Tür. Da haben sie einen guten Fang gemacht. Sie sind losgezogen, um sich zwei gesuchte Kerle zu schnappen, und dabei auf eine Goldgrube gestoßen: 16 hübsche Täubchen, wohlgenährt, drall und stinkreich.

Bevor ich diese Stätte mit Sexy Lady verlasse – beide werden wir von SWAT-Leuten eskortiert –, lasse ich meine verschreckten Leidensgenossen noch wissen:

»Wir gehen Kohle holen und kommen zurück. Ich bringe euch hier raus. Falls noch mehr Mäuse erforderlich sind – ich hab Wertsachen, kein Problem, ihr könnt mir das später zurückerstatten. Dreht jetzt vor allem nicht durch. Wir müssen zusammenhalten, solidarisch sein. Das ist die einzige Möglichkeit.«

Wir werden rücksichtslos durch die Hecktür in einen Jeep geschubst. Der Soldat auf dem Beifahrersitz dreht sich zu uns um und hält uns seine Waffe unter die Nase. Die Anspannung ist noch immer greifbar. Blaulicht. Mit Vollgas nach Kuta Beach. Ich ergreife die Hand von Sexy Lady und drücke sie mehrfach, um das Mädchen aufzumuntern. Die Arme: Sie hatte von einem Abenteuer wie in der Love Story geträumt und stattdessen biete ich ihr ein Live-Remake von Eine Nacht in der Hölle ... Zehn Minuten später kommen wir vor dem Eingang ihres Domizils an.

»Di Luar!« (Raus!)

Wir steigen aus. An der Schwelle zur Tür verliert mein Mädel, als sie den Schlüssel ins Schloss steckt, die Nerven und gesteht mir zwischen zwei Schluchzern ganz leise:

»Christian, in meinem Safe ist Geld, aber da sind auch ... Ecstasy-Pillen drin. Was soll ich machen?«

Verdammt! Wenn Sexy Lady ihren Safe öffnet, werden die beiden mit Kampfanzügen Bekleideten die Scheine abgreifen und uns dann wegen der Pillen lebenslänglich einbuchten.

Ich überlege blitzschnell.

»Irre dich in der Zahlenkombination, sag, du hättest vor Angst deine Geheimzahl vergessen. Öffne bloß nicht diesen blöden Safe!«

Jetzt ist das Spiel aus, heute Abend werde ich wohl nicht mehr nach Hause kommen.

Absolute Priorität hat für mich nun, den Freunden Bescheid zu geben, die sich um meine Tochter kümmern. Mein ganz persönlicher Kampf. Mein Schatz. Sie, für die ich zu guter Letzt das Sorgerecht bekam, steht an allererster Stelle. Crystal verbringt das Wochenende bei den Eltern ihrer besten Freundin. Ab Montag beginnt für sie wieder das richtige Leben, wie immer und wie es auch sein muss, mit seinen Ritualen, der Schule, der Sunrise School ... Ich muss unbedingt ein Telefon finden. Sofort.

Wir treten in die Wohnung ein. Nun geht alles ganz schnell.

»Wo ist der Safe?«

»Im Schlafzimmer.«

Einer der Soldaten begleitet meine unter Schock stehende Freundin. Der andere bewacht mich im großen, auf eine Terrasse führenden Wohnsalon. Auf einem niedrigen Tisch liegt neben ein paar Büchern ein Telefon. Schreie aus dem Zimmer ... Gebrüllte Befehle ... Die Stimme von Sexy Lady überschlägt sich, klingt fast schon hysterisch. Tränen ... Mein Zerberus geht nachsehen, was sich da abspielt.

Sofort stürze ich zum Telefon und beginne fieberhaft die Nummer von Mr. und Mrs. Smith zu wählen, meinen Nachbarn. Nette Leute, ein befreundetes Paar, dem ich blind vertraue. Ihre beiden kleinen Söhne sind Spielkameraden von Crystal.

Hinter mir lärmen Schritte. Ich drehe mich um. Dann bekomme ich einen Gewehrkolben in die Fresse! Die Augenbrauenwölbung platzt auf. Blut spritzt heraus. In unserem Film wechselt der Regisseur; jetzt sind wir nicht mehr in einer Tarantino-Welt, sondern erleben die echte Gewalt aus 12 Uhr nachts – Midnight Express. Die Kerle sind wütend, dass sie den Safe nicht öffnen können, und schubsen uns schreiend zurück in den Jeep.

Mit quietschenden Reifen fahren sie los. Sehr üble Stimmung. Ich merke, dass Sexy Lady am Rand eines Nervenzusammenbruchs ist. Aber ich sage nichts, tue nichts. Sonst erleben wir noch unser blaues Wunder.

Wir sind wieder bei der Villa. Niemand da. Alle sind weg: Das SWAT-Team, die Franzosen. Rauschen in einem Funkgerät. Ich kann gerade noch aufschnappen: »Polizeihauptquartier Denpasar ...« Diesmal ist die Sache wirklich ziemlich ernst. Die Karotten sind fast gar, und sie müssen wohl oder übel gegessen werden. Mitsamt Haut, Wurzeln und Erde. Und dem gesamten Mist, der dazuserviert wird.

Heute Abend ist Bali ein Albtraum.

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Gleich nach unserer Ankunft im Polizeihauptquartier wird Sexy Lady in die Frauenabteilung überführt. Ich werde sie nie wiedersehen.

Ich werde in eine dreckige, nach Scheiße stinkende Zelle gesperrt. Ganz hinten steht eine unbeschreiblich dreckige Kloschüssel. Einige Minuten später kommen zwei Kerle zu mir, die keine offizielle Uniform tragen: Drillich-Hosen, Kampfstiefel und grüne T-Shirts. Ich muss versuchen, alles zu erklären.

»Ich habe nicht ...«

Ein gezielter Schlag auf die Leber. Ich sinke in die Knie. Sie zerren mich zur Kloschüssel. Mein Kopf wird an den Haaren nach hinten gerissen, die Kinnbacken geweitet. Zwei Finger dringen tief in meine Kehle ein, stechende Schmerzen an Leber und Kehlkopf ... Ich kotze mit Blut vermischte Galle. Die Typen wollen herausfinden, ob ich ein »Maultier« bin und Plastiksäckchen mit Drogenportionen verschluckt habe.

Vom Verdächtigen bin ich plötzlich zum Schuldigen geworden.

Hände machen sich an meinem Gürtel zu schaffen, meine Jeans werden heruntergezogen, dann die Unterhose ... Ich höre, wie sich jemand Gummihandschuhe anzieht ... Dann hab ich einen Finger im Arsch. Sie vergewissern sich, dass ich nicht noch eine Drogenreserve in meinem Rektum verborgen habe.

Die halten mich wirklich für den Ober-Dealer. Suspicious Minds!

Die beiden Kerle bedeuten mir, ich solle mich schleunigst wieder anziehen. Dann schubsen sie mich über die Gänge in eine Ausnüchterungszelle. Zwei in den Wänden einzementierte Bänke, eine Kloschüssel ohne Deckel. Es riecht nach Pisse, Schweiß und Kotze. Die Hitze ist mörderisch. Alle auf der tollen Spaghetti-Party eingeladenen Franzosen sind da, kauern beieinander, verängstigt und resigniert. Keiner von ihnen schaut mir in die Augen. Außer Mister Good Guy.

Allerdings fehlt einer. Ich habe ihn Mister Denunziant getauft. Er war der Erste, der mich den Bullen gegenüber als Eigentümer des Jeanshemdes verraten hat. Eine Schwächlingsvisage. Die Parodie eines Verräters, wie man ihn in B-Movies im Kino sieht, eine dieser unfreiwillig komischen Figuren, die sich hinter einer Mauer verstecken, mit einem Umhang über den Schultern und einem Dolch in der Hand, den sie einem dann in den Rücken stoßen. So wie Judas unter den Aposteln. Wer den Fehlenden entdeckt, kennt den Schuldigen.

Ein, zwei Stunden später habe ich Mister Denunziant noch einmal gesehen, wie er in Begleitung eines uniformierten Wachmanns an den Wänden entlangstrich. Das war das letzte Mal, dass ich diesem schäbigen Individuum begegnet bin.

Ich muss unbedingt mit dem Chef der Polizeidienststelle sprechen.

Doch er empfängt mich erst am nächsten Tag gegen Mittag. Sein Büro ist klimatisiert. Blitzblank. Der uniformierte Offizier sitzt mit steifem Oberkörper hinter einem riesigen Beamtenschreibtisch. Vor ihm liegt eine Akte, geschlossen. Ich fange an zu erklären, ich erzähle ihm die ganze Geschichte ...

Noch immer wortlos öffnet er den Ordner und reicht mir zwei Blätter. Ich weiß nicht, ob Mister Denunziant am Gymnasium ein guter Schüler war, auf jeden Fall hat er einen glänzenden Artikel verfasst. Nach seinen Aussagen bin ich der Alleinverantwortliche der Affäre. Angeblich habe ich die Party organisiert. Außerdem soll ich den Stoff rangeschleppt und verkauft haben. Jetzt haben sie mich nicht nur verpetzt, sondern mich auch noch in den Abgrund gestoßen. Der Feigling hat sein Werk sogar unterschrieben. Genau wie zwölf andere Franzosen auch. Verdammte Denunzianten!

Mister Good Guy und Sexy Lady sind die Einzigen, die mich nicht verraten haben.

Ich bitte darum, telefonieren zu dürfen, damit die Betreuung meiner Tochter gewährleistet werden kann. Doch unbeeindruckt weist der Polizeichef auf den unteren Teil der zweiten Seite. Es fehlt eine Unterschrift. Meine. Innerhalb weniger Sekunden treffe ich meine Entscheidung. Mit einer solchen Aussage bin ich auf jeden Fall erledigt. Aber ich muss so schnell wie möglich hier rauskommen und in ein Gefängnis überstellt werden. Denn ich weiß, dass auf Bali die Zeit, die man in Untersuchungshaft verbringt, nicht auf die vom Gericht verhängte Strafe angerechnet wird.

Also unterschreibe ich. Ich bekenne mich schuldig.

Der Polizeichef greift zum Telefon und reicht mir die Tastatur. Ich wähle die Nummer von Mr. Smith ...

Ich muss meine Tochter in Sicherheit bringen!

»Les portes du pénitencier, bientôt vont se refermer ...«6

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