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Diese erweiterte Erzählfassung beruht auf dem amerikanischen Theaterstück Defending the Caveman von Rob Becker, das von Kristian Bader ins Deutsche übertragen wurde

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Originalausgabe
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Redaktion: Antje Steinhäuser
Umschlaggestaltung: Pamela Günther
Illustrationen: Halldór Andri Bjarnason, © Dominik Schloemp & Theater Mogul
Layout: Sabine Krohberger
Satz: satz & repro Grieb, München
eBook-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86413-129-5

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Einleitung

Waren Sie schon mal verliebt?

Sie wissen schon, Liebe, dieser wunderbare Zustand zwischen Hoffnungslosigkeit, Schmerzen und einer Debilität, der man sich nicht bewusst ist und die einen den ganzen Tag über merkwürdige Dinge tun lässt.

Tom zum Beispiel, er ist mächtig verliebt. In Heike. Er betet den Boden an, auf dem sie geht. Er würde für Heike alles tun. Der schönste Moment seines Tages ist, wenn er das erste Mal in Heikes graugrüne Augen schaut. Tom liebt es auch, wenn Heike beim Zähneputzen zu singen beginnt. Es hört sich an, als würde jemand versuchen, Lady Gaga zu erwürgen, während diese ein Liedchen trällert. Aber Tom findet das schön. Tom liebt Heike so sehr… und er sagt ihr das auch. Jeden Tag. Gleich beim Aufwachen sagt er es. Allerdings in seiner ihm eigenen Sprache, der Männersprache. Das klingt dann ungefähr so:

»Mooan.«

In Toms Sprache heißt das: »Ich liebe dich, Heike. Du bist die Frau, neben der ich jeden Morgen meines Lebens aufwachen möchte.« Was für ein wunderbares Kompliment. Doch Heike versteht es nicht. Wie auch? Heike ist eine Frau. Sie hat ihre eigene Sprache, die Frauensprache. Und Heike versteht nur:

»Mooan.«

Deshalb kommt es manchmal vor, dass Heike sich nicht von Tom geliebt fühlt. Manchmal streiten die beiden deswegen sogar. So wie heute. Es ist etwas lauter geworden als sonst, und Heike hat Tom vor die Tür gesetzt. Sie liebt ihn, sie setzt sich mit ihm auseinander und sie möchte, dass er genau das auch tut. Deswegen hat sie es getan. Aber da gibt es ein echtes Problem: Denn da steht Tom nun, ein ganz normaler Mann, der seine Frau liebt – der sie aber nicht immer versteht.

Doch Tom wäre kein Mann, wenn er nicht versuchen würde, dieses Problem zu lösen:

Tom denkt nach.

Da draußen vor der Tür.

Heike hat gesagt, ich sei ein Scheißkerl. Ich!? Ein Scheißkerl? Sie sagt, ich sei faul und unsensibel. Einer, der immer nur das eine wolle. Und dann hat sie es getan. Sie hat es wirklich getan. Ich kann es noch immer nicht fassen: Heike hat gesagt, ich bräuchte einen Denkzettel. Ich solle mal in Ruhe nachdenken, hat sie gesagt. Über mein Macho-Verhalten.

Ich!? Nachdenken? Über mein Macho-Verhalten?

Ich find das gar nicht lustig. Ich will auch nicht immer nur das eine. Jetzt zum Beispiel will ich einfach nur wieder rein! In unsere Wohnung! Hier draußen ist es saukalt. Warum kann ich nicht drinnen auf dem Sofa über mein Macho-Verhalten nachdenken? Ich bin mir sicher, dass ich auf dem Sofa viel schneller und besser nachdenken kann als in dieser Saukälte. Mannomann, ist das kalt! Ich hab nicht mal Streichhölzer oder ein Feuerzeug. Sonst könnt ich mir einfach hier draußen ein Feuer machen.

Mmmh, was ist eigentlich, wenn Heike recht hat? Wenn ich wirklich ein Macho bin? So einer, der sich einen Dreck um seine Freundin schert, Hauptsache, er bekommt, was er will? Manchmal, da mache ich schon so Sachen, über die sich Heike furchtbar aufregt. Und wenn Heike mir dann erklärt, warum sie sauer ist, dann verstehe ich das auch und ich finde, sie hat sogar allen Grund dazu, auf mich sauer zu sein. Aber trotzdem habe ich das nicht so gemeint, als ich es gemacht habe. Ich will nicht, dass Heike sauer wird. Ich liebe sie doch. Vielleicht sollte ich sie anrufen und ihr das sagen? Gute Idee!… Keine gute Idee! Sie wird bestimmt denken, dass ich das nur sage, damit sie mich wieder reinlässt.

Immer wenn Heike sauer ist, sagt sie mir, ich sei grob und rücksichtslos wie ein Neandertaler. Da hätte sich bei uns Männern die letzten 10000 Jahre sowieso nichts geändert. Da sei immer noch dieses Schlag-ihr-auf-den-Kopf-und-schleif-sie-in-die-Höhle-Denken. Dabei hab ich das nie gemacht. Einen Schlag auf den Kopf! Einen Klaps auf den Hintern hat die Heike vielleicht mal von mir gekriegt. Heike hat nämlich einen schönen Hintern. Der ist genauso gut wie Fernsehen. Den kann ich stundenlang angucken, ohne dabei an etwas zu denken.

Von wegen grober und rücksichtsloser Neandertaler. Heike hat doch überhaupt keine Ahnung von Neandertalern. Der Neandertaler war ein Beschützer, der hat die Frauen verehrt und geachtet. Ich weiß das. Ich habe mich zufällig damit beschäftigt! Es gibt sogar Beweise. Da sind diese merkwürdigen Skulpturen, auf die Wissenschaftler in den letzten zwanzig Jahren immer wieder gestoßen sind. Steinskulpturen in Menschengestalt, aber vorne immer mit so großen Knubbeln dran.

Das sind Frauen! Und sie sind schwanger.

Was das für eine Plackerei gewesen sein muss, diese Skulpturen aus dem Stein zu hauen. Mit Werkzeug aus Knochen. Nee, der Neandertaler, der war nicht grob und rücksichtslos. Der Neandertaler hat die Frau verehrt und bewundert. Die Frau war ein Kultobjekt. Weil sie Leben schenken konnte. Leben … Der Inbegriff der Weiblichkeit. Das kannst du dir als Mann ja gar nicht vorstellen, wie in deinem Körper ein anderes Leben heranwächst. Ich will’s mir eigentlich auch gar nicht vorstellen, wenn ich daran denke, wie groß die Köpfe von den Babys sind und wie groß… Was müssen das für Schmerzen sein. Nee, so ’ne Geburt, das ist kein Zuckerschlecken. Das ist ein Wunder! Ich finde, Frauen haben deswegen immer so etwas Zauberhaftes. Etwas, das sie besonders macht.

Und wir Männer?

Würde man heute einen Neandertaler mit Speer und Steinschleuder bewaffnet in der Fußgängerzone treffen, würde man entweder gleich die Polizei rufen oder ihm aus Mitleid zehn Cent in seine Fellmütze werfen. Nee, heutzutage zieht kein Mann mehr mit einem Speer los, heutzutage gehst du mit einer Aktentasche aus dem Haus. Vielleicht ist das ja der Grund, warum so viele Männer nicht mehr sicher sind, was es überhaupt heißt, ein Mann zu sein: zu wenig Speere, zu viele Aktentaschen.

Ich mag den Neandertaler. Ich glaub, das war ein Guter, ein echter Künstler. Der hat ja nicht nur diese Frauenskulpturen mit Schwangerschaftsbäuchen gemacht, der hat ja sogar gemalt. Und wie! Wo war noch mal diese Höhle, wo sie all diese Bilder gefunden haben? Ich glaub, irgendwo in Frankreich … und der Ort hieß irgendwas mit L… Lago… Lasko… genau… in der Höhle von Lascaux. Wunderschöne Bilder sind das. Da sind Mammuts an der Wand, die sind so realistisch gezeichnet. Wer so malen konnte, der war nicht grob und rücksichtslos. Wenn man sich die Bilder genau anschaut, dann erfährt man

malerei

eine ganze Menge über die Neandertaler. Mein Lieblingsbild ist das von dem Jäger und dem Bison. Eine klassische Szene! Ich werde dieses Bild niemals vergessen: Ein Mann liegt da mit einem langen Speer zwischen seinen Beinen. Neben ihm steht ein riesiger Bison. Der Bison hat ebenfalls einen langen Speer zwischen den Beinen. Forscher aus aller Welt haben lange und ausführlich über die Bedeutung dieser Malerei debattiert. Einige glauben, der Neandertaler träumt von der Jagd, und hat deshalb eine gigantische Erektion von den Ausmaßen eines Jagdspeeres. Andere Forscher glauben, der Neandertaler träumt von einer Frau, und das gibt ihm eine Erektion von der Stärke eines Bisons. Wieder andere glauben dass der Neandertaler einfach nur daliegt mit ’ner Riesenlatte und dem Bison ist stinklangweilig!

Ich glaube, ich weiß, was das Gemälde in Wirklichkeit bedeutet. Für mich ist diese Szene der Inbegriff der Männlichkeit! Was der Maler damit sagen wollte: Wir Männer sind mit einem Speer zwischen den Beinen geboren. Die Jagd ist unsere von der Natur gegebene Bestimmung. Wir können gar nicht anders. Wir Männer sind Jäger! Das ist eine alte Wahrheit, die wir in den letzten Jahrhunderten immer mehr aus den Augen verloren haben. Wegen der Zivilisation. Aber der Jäger steckt in uns Männern drin, ob wir das wollen oder nicht. Das ist nicht weg. Das wird nur unterdrückt.

Manchmal spüre ich das noch. So wie letzten Monat bei der Sommerparty von meinem Freund Jürgen. Wir Männer saßen rum, tranken ein bisschen und manchmal sagte einer so was wie: »Coole Party«, oder: »Ich geh noch’n Bier holen. Braucht wer noch eins?« Ein Riesenfest. Einige hatten auch ihre Kinder dabei. Und plötzlich kam so ein Junge angerannt und fragte seinen Papa, ob er ihm einen Papierflieger bauen könnte. Hat der dann auch gemacht. Der flog aber nicht sehr weit. Da stand Jürgen auf und sagte: »Wart mal. Ich bau einen gescheiten Flieger.« Das Ende der Geschichte war, dass zehn Minuten später 15 Männer im Garten standen und ihre selbst gebastelten Papierflieger warfen, um herauszufinden, welcher am weitesten fliegt. Da war auf einmal Stimmung in der Bude. Da wurde gefalzt und gefaltet, da wurden Auftriebslöcher ins Papier gerissen und über Flügelspannweiten und die richtige Wurftechnik debattiert. Und jeder von uns war scharf auf die Beute: Jeder von uns wollte Erster sein, jeder wollte den Papierflieger bauen, der es am weitesten schafft. Ich glaub, die Neandertaler sind damals auch ab und an vor die Höhle gegangen, um herauszufinden, wer von ihnen den Speer am weitesten wirft. Mein Flieger war ganz gut. Ich bin Dritter geworden. Immerhin. Die Frauen auf der Party haben milde über uns gelächelt und was über »Große Jungs mit kleinen Spielzeugen« getuschelt.

Ob Heike weiß, dass ich ein Jäger bin?

Ich meine das mit dem Jäger eher spielerisch. Ich will ja niemanden töten. Schon gar keine Mammuts. Die sind ziemlich groß. Die Neandertaler waren überhaupt nicht groß. Eins sechzig im Durchschnitt. Wie die das damals überhaut geschafft haben, diese Riesenviecher zu erlegen!? Mit diesen kleinen Speeren gegen diese großen Mammuts? Ist vielleicht derselbe Trick wie bei den Frauen mit den großen Babyköpfen und den kleinen … ich darf gar nicht dran denken. Was müssen das für Schmerzen sein!? Apropos Jäger und Beute. Auf dieser Party sagte Jürgen einen Satz, den ich ziemlich interessant fand und der mich seitdem nicht mehr loslässt. Er sagte:

»Die Frau ist die einzige Beute, die ihrem Jäger auflauert.«

Ich hab noch nicht ganz begriffen, was das eigentlich bedeutet. Aber immer, wenn ich über diesen Satz nachdenke, habe ich das Gefühl, dass mehr dahintersteckt: ein Geheimnis. Das Geheimnis, warum wir Männer nicht mehr so richtig durchblicken. Warum wir so oft Angst haben, das Falsche zu tun. Und deshalb lieber gar nichts mehr machen. Das Geheimnis, warum manche von uns beim Onanieren mittlerweile einen Orgasmus vortäuschen. Das Geheimnis, wieso in vielen Ehen die Männer glücklich verheiratet sind, die Frauen aber nicht. Das Geheimnis, warum aus den Jägern Gejagte wurden.

Das sind aber auch schwierige Zeiten für einen Mann. Der Neandertaler hatte es besser. Damals war Spaß noch Spaß. Nach der erfolgreichen Jagd wurden Feuer entzündet, auf denen das erbeutete Fleisch gebraten werden konnte. Und je erfolgreicher die Jäger bei der Jagd gewesen waren, umso größer waren auch die Feuer, die entzündet wurden. Es war eine schwere Arbeit, solch ein großes Feuer zu machen. Das Feuer war wertvoll. Fleißig rieben die Männer zwei kleine Äste aneinander, bis ein Funken einen Haufen Reisig entzündete, mit dem man die Holzscheite entflammen konnte! Feuer machen war eine Kunst! Und heute? Gibt es Grillanzünder. Und Feuerzeuge. Die sind idiotensicher. Können sogar Frauen mit umgehen. Nur Jörg sengt sich beim Grillen immer wieder die Stirnhaare weg. Er ist und bleibt einfach ein unverbesserlicher Optimist. Vor allem, wenn es darum geht, zu entscheiden, wie viel Brennspiritus man auf die Kohlen kippen sollte, damit sie schön schnell durchglühen. Jörg hat so eine ganz neue Grilltechnik entwickelt. Er isst sein Steak nicht medium oder gut durchgebraten, nein, er isst es jetzt am liebsten explodiert.

So ein Feuer ist schon was Feines. Das versetzt einen auch immer in so eine komische Stimmung. Ich meine, kaum seh ich ein Feuer, bin ich total entspannt. Feuer hat so was … Friedliches. Ich weiß noch, wie wir vor drei Jahren im Urlaub auf diesem Zeltplatz in Spanien hängen geblieben sind. Jeden Abend gab es am Strand ein Lagerfeuer. Natürlich gab es auch jemanden mit einer Gitarre. Lieder wurden gesunden. Ab und an zogen wir los, um Holz zum Nachfeuern zu sammeln. Es war jeden Abend dasselbe. Lagerfeuer, Lieder, mit Heike kuscheln. Eigentlich hatten wir eine Rundreise geplant. Aber wir sind einfach nicht weitergefahren. Wir konnten da nicht weg. In der Zeit haben wir uns auch kaum gestritten. Vielleicht, wenn Heike und ich einen Kamin hätten, dann stünde ich jetzt nicht hier draußen in der Kälte. Wir würden drinnen vor dem Feuer sitzen. Alles wär gut. Leider haben wir keinen Kamin…

»Scheißkerl« hat Heike zu mir gesagt. Und alles nur, weil ich vergessen habe, die Waschmaschine auszuräumen. Wieso passiert mir das immer wieder? Bevor Heike zum Yoga losgegangen ist, hat sie mir noch gesagt, dass ich bitte die Waschmaschine ausräumen soll. Hab ich natürlich gesagt: »Ja gern, Schatz«. Nee, hab ich nicht gesagt. Ich hab »Jaja« gesagt und dann weiter Zeitung gelesen. Aber ich wollte die Waschmaschine ausräumen. Ganz bestimmt. Ich wollte sie ausräumen, weil ich weiß, dass Heike das wichtig ist. Wenn nämlich die Wäsche nach dem Waschen zu lange in der Maschine bleibt, fängt sie wieder an zu riechen. Deshalb muss sie schnell raus. Ich weiß das. Das hab ich gelernt. Leider ist mir das mit dem Wäscheausräumen erst wieder in dem Moment eingefallen, in dem ich Heikes Schlüssel im Türschloss hörte und sie wieder vom Sporteln zurück war. Mist.

»Scheißkerl« hat sie gesagt. Vielleicht bin ich wirklich einer? Vielleicht stimmt das ja, dass alle Männer irgendwann zu Scheißkerlen werden? Wir kriegen das ja oft genug gesagt. Männer sind Scheißkerle. Manchmal wünsche ich mir, ich wäre für immer ein Junge geblieben. Ein Mann sein ist so kompliziert. Warum müssen wir Jungs überhaupt Männer werden? Ein Löwe wird doch auch als Löwe geboren. Und er bleibt ein Löwe. Sein Leben lang. Ich fand es klasse, ein Junge zu sein. Als Junge war für mich die Welt noch in Ordnung. Ich meine, wenn du als Junge ein Mädchen geküsst hast, dann fanden das alle deine Freunde schwul. Verrückt, oder? Oder wenn ich von meinen Eltern etwas wollte, ich brauchte bloß anfangen zu weinen und zu schreien, als würde die Welt untergehen. Lange. Und laut. Bis meine Mutter nachgab und mir die drei Smarties gab, die ich haben wollte. Im Supermarkt an der Kasse hat das klasse funktioniert. Warum habe ich mit dem Gequengel eigentlich aufgehört? Und wann? Als Junge hab ich bekommen, was ich wollte! Na gut, heute kann ich in den Supermarkt gehen und mir ohne Szene so viele Smarties kaufen, wie ich will. Aber es gibt eben auch Dinge, die man nicht kaufen kann. Ob Heike mich wieder reinlassen würde, wenn ich mich hier auf den Boden werfe und brülle wie am Spieß? Oder noch besser, ich verletzte mich. Mit viel Blut. Dann will Heike mich pflegen!

Bin ich froh, dass niemand meine Gedanken lesen kann. Die Leute würden doch denken, dass ich verrückt bin. Aber ich bin nicht verrückt. Ich will nur wieder rein. Sich selbst verletzen. Mit viel Blut. Da bin ich doch viel zu feige dazu. Ich schaff so was gar nicht. Wahrscheinlich würde ich es nicht einmal mehr schaffen, so zu quengeln wie damals als Junge. Das waren noch Zeiten. Meine ganze Welt bestand aus Alf gucken, am C64 daddeln, Musik mit ’nem Walkman hören. Und du brauchtest ein BMX-Rad, um in der Bande mit Jürgen und all den anderen dabei zu sein. Mein BMX-Rad war knallrot und so unbequem wie eine Acht-Stunden-Fahrt im Intercity Großraumwagen in Sitznähe eines Kegelvereins. Aber ich war cool. Vor allem, wenn ich eines meiner wahnsinnig lässigen Frottee-Schweißbänder trug. Und du brauchtest ein Schweißband, denn damals gab es noch keine verregneten Sommer. Der Tag war heiß. Ich war heiß.

Und die Mädchen kicherten ehrfürchtig, wenn ich mit meinem BMX-Rad an ihnen vorbeiradelte, kurz bremste und mir mit meinem Schweißband die Stirn trocken wischte. Weil ich doch so heiß war. Oder die Spiele, die wir damals hatten: »Einer gegen alle« oder »Völkerball«. Total bekloppt, egal wie die Regeln eigentlich waren: Es kam immer so weit, dass einer allein mit dem Ball versuchen musste, durch das Spielfeld der anderen zu kommen, und es endete natürlich ruck, zuck mit einer Wahnsinnskeilerei. Das war vielleicht nicht besonders anspruchsvoll, aber es hat uns Jungs Spaß gemacht. Und am Ende des Spiels wusste man immer, wer gewonnen hatte.

Mädchenspiele waren da irgendwie anders. Es war nicht so, dass ich mich nicht für Mädchen und ihre Spiele interessiert hätte. Ich habe einfach die Spiele nicht verstanden.

Mädchen hatten Spiele wie:

Mutter, Vater, Kind!

Gähn.

Gummitwist!

Schnarch.

Oder Seilspringen!

Hilfe!