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Inhalt

Zu diesem Buch

Taktik-Lehrstunde beim Perfektionisten

Grundordnung: Sinn und Unsinn der Systemdebatte

Das große Ganze

Spieleröffnung und Spielgestaltung

Passqualität

Taktische Flexibilität

Eigeninitiative und taktisches Verständnis der Spieler

Trockenübungen

Das kleine Ganze

Leverkusen widerlegt die Lehre

Richtiges Timing beim Zweikampf

Zuordnung bei Standards

Vier-Felder-Spiel

Das Risiko des kompakten Stehens

Druck für Jugendtrainer führt zu Mangel an Außenverteidigern

Der Ärger über die »falsche Neun«

Der geplante Fehlpass

Sieben zu eins – das historische Spiel

Themen gibt’s noch reichlich

Torwart: Auf der Linie – oder ganz weit vorne

Der Verbesserer englischer Schule

Der Lehrgang in Wales

»High up« in London

Kampfzone Fünfmeterraum

Abwehr: Die Spielverderber – oder die hohe Kunst des Verteidigens

Immer mit der Ruhe

»Kleine Situazione«, die Spiele entscheiden

Die Aufwertung des Innenverteidigers

Komplexes Spiel

Der Polster Toni

Schmutzige Taktik

Wo sind sie nur geblieben, die starken Linksfüße?

Ballbesitz-Fußball und die Grenzen der Statistik

Psychologie: Von der Antizipation zur schnellen Lösung

Interview mit dem Sportpsychologen Werner Mickler

Probleme werden zu Herausforderungen

Trainer auf dem »heißen Stuhl«

Lernprozesse in Brasilien

Mittelfeld: Strategien in der Zentrale

Im Hier und Jetzt

Die Doppelsechs: Einer geht, einer bleibt

Weite Wege vors spanische Tor

Im Entengang zur WM 2006

Geübt: das Volley-Tor zur Meisterschaft

Im Labor – was der Fußball vom Hockey lernen kann und was nicht

Interview mit Hockey-Bundestrainer Markus Weise: »Es hat klick gemacht«

Geschwafel durch den »Bullshit-Filter«

Im olympischen Halbfinale mit ungewohntem Fünfer-Aufbau

Coaching-Schleife läuft im Zick-Zack

Mehr Demokratie wagen im Hochleistungs-Team

Die verhinderte Revolution mit Bernhard Peters

Das Vorbild Costa Rica – die Entwicklung eines Matchplans

Ganz ohne Fußball geht es nicht

Gleichgewicht der Trainingsinhalte

Außenverteidiger ist nicht gleich Außenverteidiger

Wie die Bayern zu knacken sind – vielleicht

Stürmer mit Sonderauftrag

Von Pressing und Gegenpressing

Wie im Fluss

Die Natur des Spiels: Dem Zufall Tür und Tor geöffnet

Interview mit dem Sportwissenschaftler Martin Lames

Fußball als komplexes dynamisches System

Worin sich der Fußball von anderen Sportarten unterscheidet

Wider der Oberflächlichkeit

Von der Bedeutung des Schwerpunkts

Angriff: Phantasie und Flexibilität im Kopf

Elf gegen Null

Laufwege üben, freie Entscheidungen treffen

Realismus statt Powerfußball

Danksagung

Zu diesem Buch

Jürgen Klopp war der Türöffner. Seine anschaulichen Analysen im Fernsehstudio während der Fußball-Weltmeisterschaft 2006, dem deutschen »Sommermärchen«, eröffneten den Zuschauern einen völlig neuen Blick auf das Spiel: hintergründig und auch für den Taktik-Laien verständlich. Plötzlich wurden zuvor verborgene Zusammenhänge deutlich, weil Klopp nicht beschrieb, sondern erklärte, was auf dem Spielfeld passierte – unterstützt durch Analysetools, mit deren Hilfe die Spieler auf dem Studio-Bildschirm hin- und hergeschoben wurden.

Heute ist diese Form der medialen Spielaufbereitung gang und gäbe, die Zeit der klassischen »1:0-Berichterstattung« längst passé. Mit der Spieltaganalyse auf Sport1 hat sich eine wöchentliche taktische Aufbereitung der Bundesliga-Spiele fest in der deutschen Fernsehlandschaft etabliert. Im Land der »80 Millionen Bundestrainer« möchte der Fußballfan nicht nur die Torschützen wissen, er will das Spiel verstehen. Warum hat der Trainer auf eine statt auf zwei Spitzen gesetzt? Wieso wurde das Spiel der Mannschaft nach einer Stunde plötzlich komplett umgestellt? Was meint der Trainer, wenn er von »abkippenden Stürmern«, »dynamischer Dreierkette«, »Schnittstellen« und »flacher Vier« spricht? Und hätte er nicht ohnehin eine ganz andere Taktik wählen müssen? Das vorliegende Buch will auf Fragen dieser Art Antworten geben, ohne dabei ein komplexes Lehrbuch zu sein. Es richtet sich an jeden Fußballinteressierten, den die Strategien von Trainern interessieren und der ein Spiel besser »lesen« können möchte. »Fußball-Taktik – Die Anatomie des modernen Spiels« muss nicht stur in vorgegebener Reihenfolge von vorne nach hinten gelesen werden. Je nach Interessenschwerpunkt des Lesers ist jedes Kapitel für sich verständlich.

Das moderne Spiel, für dieses Buch definiert mit Beginn der Jahrtausendwende, ist nicht nur immer athletischer geworden, sondern auch raffinierter, analytischer und ausgeglichener. Die Trainer überbieten sich gegenseitig in ihrem eigenen Wettkampf: dem Austüfteln des besten Matchplans. Ähnlich wie nach der für Deutschland deprimierenden Europameisterschaft 2000 das Nachwuchskonzept grundlegend reformiert wurde, ist auch die Ausbildung der Trainer auf ein neues Level angehoben worden. Anreize aus anderen Ligen wurden dankbar aufgenommen, sei es durch Hospitieren der Trainer, internationale Spieler von höchstem Format oder durch Videostudium. Da zudem internationale Coaches die Bundesliga bereichern, ist sie heute ein Sammelsurium von anerkannten Könnern ihres Fachs wie Pep Guardiola, Lucien Favre, Thomas Tuchel oder eben Jürgen Klopp. Jeder von ihnen hat dem deutschen Fußball während der letzten Jahre neue Impulse verliehen.

Auf den folgenden Seiten geht es nicht um einen historischen Abriss der Entwicklung von Fußballtaktik; diese Arbeit haben andere Werke bereits in hervorragender Form geleistet. Vielmehr wird ein Blick geworfen auf den taktischen Status quo, der sich im stetigen Wandel befindet. Herausgekommen ist ein Gesprächsbuch, das seine Entstehung der Mitwirkung vieler bekannter Experten verdankt. So hat Frank Wormuth, Leiter der Fußball-Lehrer-Ausbildung beim DFB, den Autoren mit leidenschaftlichem Vortrag an der Taktiktafel ein erweitertes Verständnis von Fußball vermittelt. Thomas Helmer gewährte Einblick in Trockenübungen à la Giovanni Trapattoni ohne Ball und Gegner, bei denen die Bayern zunächst selbst nicht wussten, wie ihnen geschah.

Der frühere Nationaltorwart Jens Lehmann berichtete von intensiven Erfahrungen sowohl aus seiner Profizeit in England als auch von seiner Trainerausbildung in Wales. Hockey-Bundestrainer Markus Weise, dem das Kunststück gelang, zwei Olympische Goldmedaillen mit dem Herren- sowie eine mit dem Damenteam zu gewinnen, lieferte einen wertvollen Ausblick über den Tellerrand des Fußballs hinaus. Arno Michels verriet anschaulich und detailliert, wie er zu seiner Mainzer Co-Trainerzeit zusammen mit Thomas Tuchel die übermächtigen Bayern zu »knacken« versuchte. Um nur einige der Gesprächspartner zu nennen. Zum Teil wurden sie bewusst mit denselben Fragen konfrontiert, da sich aus ihren unterschiedlichen Antworten interessante Erkenntnisse gewinnen ließen – und die somit verdeutlichten: Die eine Wahrheit im Fußball gibt es nicht.

Sicher entscheiden neben der Taktik und dem gewählten Spielsystem zu gleichen Teilen auch Tagesform, Zweikampfstärke, Kondition oder Mentalität über Sieg und Niederlage. Doch gerade zwischen zwei ähnlich starken Teams kann die richtige Taktik den fehlenden Baustein zum Erfolg liefern. Wie wichtig ein ausgeklügelter Plan und seine konsequente Umsetzung sein können, zeigte der schon jetzt legendäre 7:1-Erfolg des DFB-Teams im WM-Halbfinale 2014 gegen Brasilien, als sich taktische Entschlossenheit gegen überschwängliches Pathos überraschend deutlich durchsetzte.

Wie also funktioniert das »moderne Spiel«, wie »ticken« seine Trainer und Spieler? Der Leser ist eingeladen zu einer spannenden Entdeckungsreise ins moderne Fußballtaktik-Land, ermöglicht durch offene und zuweilen auch überraschende Einblicke ihrer Protagonisten.

Die Autoren im Frühjahr 2015

Taktik-Lehrstunde beim Perfektionisten

Nun sitzen wir hier in seinem Büro, lauschen gebannt den Worten unseres heutigen Privatdozenten und saugen alle Neuigkeiten wie wissbegierige Schüler in uns auf. Vor uns die Taktiktafel, auf der Frank Wormuth die Magnetpunkte in Windeseile hin- und herschiebt. Fragezeichen im Gesicht erkennt er bereits im Ansatz. »Können Sie mir noch folgen?« »Nun, vielleicht könnten Sie uns das mit der gependelten Viererkette noch einmal kurz erklären …«

Herbst 2014, Sportschule Hennef, Hennes-Weisweiler-Akademie. Hier werden die angehenden Fußball-Lehrer ausgebildet, Frank Wormuth ist der Ausbildungsleiter. Wormuth spricht so temperamentvoll, so plakativ und mit wirbelnden Armen, als stünde er gerade am Spielfeldrand. Das Fenster ist weit geöffnet, auch wenn es draußen kühl ist. Seine Dynamik braucht reichlich frische Luft. Keine Frage, dieser Mann hat Freude an seinem Beruf. Würde er sich auch sonst die Doppelbelastung als Trainer der U20-Nationalmannschaft noch antun? Wobei, »Belastung« ist das falsche Wort. »Herausforderung« würde Wormuth sagen. Von Vorträgen außerhalb der Trainerausbildung und Medienauftritten als Taktikexperte mal ganz abgesehen. Schon nach wenigen Minuten wissen wir, dass wir hier richtig sind. Dieser Mann kann uns den modernen Fußball näher bringen und in die Grundlagen der Taktik einführen. Er erzählt uns, was ihn an Bayer Leverkusen unter Trainer Roger Schmidt so fasziniert und wie es bei der Weltmeisterschaft 2014 zwischen Brasilien und Deutschland zu diesem historischen Spiel kommen konnte. Nur auf zwei Themen sollte man ihn besser nicht ansprechen. Doch dazu später.

Grundordnung: Sinn und Unsinn der Systemdebatte

Seit der Europameisterschaft 2008 in der Schweiz und Österreich analysiert der Deutsche Fußball-Bund jedes Großturnier und die dabei gewählten Spielsysteme auf sehr detaillierte Weise. Erstaunlich war der Wandel seit der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika bis zur letzten WM 2014 in Brasilien: Die Vielfalt der Grundordnungen ist beinahe explodiert. »2010 wurde fast ausschließlich das 4-2-3-1 praktiziert, von nahezu allen Teams«, erinnert sich Wormuth. »Ganz anders war es vier Jahre später: Das 4-2-3-1 war zwar immer noch eine Art Standard, doch in Brasilien haben wir eine große Bandbreite der Systeme gesehen – ob Dreierkette, Viererkette oder die Raute, es war alles wieder vorhanden. Wobei es die Raute lediglich ein einziges Mal gab. Auch die zwischenzeitlich fast ausgestorbene Dreierkette, die defensiv zur Fünferkette wird, war wieder zu beobachten. Taktische Flexibilität war die Maxime dieser WM.«

Gerade setzen wir an zu einer ausführlichen Frage, die zeigen soll, dass wir nicht gänzlich ahnungslos sind in taktischen Fragen, schwadronieren von Grundordnungen und Spielsystemen, als sich Wormuths eben noch heller Gesichtsausdruck leicht verdunkelt. Uns gegenüber sitzt ein Perfektionist, wie jeder Spielzug muss auch jedes Wort stimmen. Und wir haben uns soeben als begriffliche Laien verraten. »Meine Herren, an der Hennes-Weisweiler-Akademie behandeln wir die Begriffe Grundordnung und Spielsystem nicht synonym. Die Positionen ohne Bewegungen, also die starre Anfangsformation sowohl in der Offensive nach Ballgewinn als auch in der Defensive nach Ballverlust, das sind Grundordnungen. Doch dabei bleibt es ja nicht, die Spieler bewegen sich – so ist zumindest zu hoffen …« Ein Lächeln in Wormuths Gesicht sorgt wieder für entspannte Gesichtszüge. »Und sobald sich die Spieler bewegen, …« – Wormuth zeichnet Pfeile an die Tafel, die Laufrichtungen symbolisieren – »… verlassen sie die starre Ordnung und befolgen ein Spielsystem. Teams mit gleichen Grundordnungen können unterschiedliche Systeme spielen, weil sie die einzelnen Spielpositionen unterschiedlich interpretieren.« Erst das Spielsystem macht die Grundordnung also lebendig, indem es den Spielern konkrete Aufgaben zuordnet? Ein zufriedenes Nicken. Für den Moment sind wir aus dem Schneider.

Die ständige Zahlenspielerei und öffentliche Systemdiskussion hält der Chefausbilder allerdings für übertrieben. Seinen Auszubildenden veranschaulichte er einst, weshalb: »Während einer Video-Analyse habe ich sie mal gebeten, die Augen zu schließen. Dann habe ich die Aufnahme gestoppt und gesagt: ›Jetzt öffnet die Augen wieder und schaut, was dort für ein System gespielt wird.‹ Ihre Antwort: 4-2-3-1. Keine zehn Sekunden später habe ich wieder gestoppt. Jetzt war die Antwort: 4-1-4-1. Das wechselt ständig hin und her. Allein diese beiden Systeme vermischen sich während eines Spiels binnen Sekunden.«

Nicht alle Übergänge sind so fließend, zwischen Dreier- und Vierkette lassen sich klare Unterschiede ausmachen. Die Dreierkette ergibt immer dann Sinn, wenn, was inzwischen nicht mehr so häufig vorkommt, der Gegner mit zwei Spitzen agiert (vor zwanzig Jahren noch war dies die bevorzugte Angriffsformation). Nützlich bei der Dreierkette ist, dass sich Überzahl nicht nur defensiv schaffen lässt, sondern auch bei der Spieleröffnung. Eine Sonderform ist die dynamische Dreierkette. Sie meint das »Fallenlassen« des Sechsers, des zentraldefensiven Mittelfeldspielers, zwischen die beiden Innenverteidiger einer Viererkette – und zwar optimal in der Form, dass die beiden Innenverteidiger auf einer Höhe mit den beiden Angreifern agieren und mit dem Sechser somit ein Dreieck bilden. Ein Pass vom Sechser auf einen der beiden Innenverteidiger würde dann die erste Abwehrreihe* sofort überspielen. Die beiden Außenverteidiger sollten an den Linien hoch stehen und für potentielle Überzahl im Mittelfeld sorgen.

Die Dreierkette verändert auch etwas in der Ausrichtung nach vorne und zieht bei einem 3-5-2 ein System mit zwei Spitzen nach sich. Wenn auch seltener praktiziert, wird es mit drei Angreifern zu einem 3-4-3, wobei hier die Abgrenzung bereits wieder schwammiger wird. Denn das 3-4-3 wird zur »gependelten Viererkette«, wenn sich einer der Mittelfeldspieler nach hinten fallen lässt. »Verstehen Sie jetzt, warum ich sage, dass man sich nicht zu sehr auf eine bestimmte Ordnung oder auf ein bestimmtes System versteifen sollte?« Wir nicken. Fließende Übergänge eben.

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Abb. 1: Dynamische Dreierkette: Der defensive Mittelfeldspieler lässt sich zwischen die beiden Innenverteidiger fallen.

Bevor der falsche Eindruck entsteht, jegliche Systemdiskussion sei beliebig, folgt schnell etwas Handfestes, Eindeutiges. Das Rautenspiel im 4-4-2. Vier Mann im Mittelfeld, je einer auf den Seiten, einer hinter den Spitzen und einer vor der Abwehr (im Gegensatz zum 4-4-2 als »flacher Vier«, in dem der offensive Mittelfeldspieler neben den anderen defensiven als zweiter Sechser zurückgezogen wird). Die Mannschaft, die die Raute bei der WM 2010 einmalig praktizierte, gegen Deutschland, war Argentinien unter Diego Armando Maradona. Herausragend war damals Ángel Di Maria als Linksaußen, der sich auch nicht zu schade war, in der Defensive mitzuarbeiten. Doch warum gingen die Südamerikaner im Viertelfinale mit 0:4 gegen das DFB-Team unter? Als sie chancenlos waren und bei Weitem noch nicht der ebenbürtige Gegner wie im WM-Finale vier Jahre später. »Die Deutschen haben damals hervorragend gekontert, was ihnen auch dadurch ermöglicht wurde, dass die Argentinier so breit standen, weshalb es fast schon keine Raute mehr war«, erinnert sich Wormuth. »Von der Grundformation war es eine Raute, in der allerdings die Abstände zwischen den Spielern zu groß waren und somit den schnellen Deutschen zu viele Löcher zum Durchstoßen bot.«

Unter Trainer Thomas Schaaf setzte der SV Werder Bremen jahrelang erfolgreich auf die Raute. Zwar war Werder immer mehr für Offensivspektakel denn für Abwehrkunst bekannt, doch die Mittelfeldspieler standen meist eng zusammen, sodass dem Gegner ein Durchkommen zumindest durch die Mitte erschwert wurde. Die Taktik ging so weit, dass Werder den Gegner nach innen lockte, weil eben dort die Überzahl vorhanden und eine Balleroberung sehr wahrscheinlich war. Notwendigerweise erlahmte auf diese Weise das Bremer Spiel über die Außenbahnen, denn das Eine bedingt das Andere.

Maßgeblich bei der Suche nach dem richtigen System sind zwei Punkte: Raum und Überzahl. Die Gedanken des Trainers gehen in Richtungen wie: Wo ist der freie Raum zu finden, den ich besetzen muss, offensiv wie defensiv, und den ich bespielen kann? Wie gelingt es mir, Überzahl zu schaffen? Spielt mein Team im 3-5-2, verfüge ich auf der Außenbahn jeweils über einen Spieler, der Gegner im 4-4-2 besitzt dort zwei Spieler. Wenn ich defensiv gut verschiebe, entsteht kein Problem. Falls doch, muss mir klar sein, dass der Gegner auf den Außenpositionen Überzahl besitzt. Wormuth: »Sie können aufhören, nach dem einen, dem idealen System zu suchen. Jedes von ihnen kann in einem bestimmten Spiel, in einer bestimmten Situation, Sinn ergeben. Ich muss mir allerdings über die jeweiligen Vorund Nachteile im Klaren sein, auch unter Berücksichtigung des gegnerischen Spielsystems.«

Hat sich der Trainer für ein System entschieden, so zieht dies weitere Überlegungen nach sich. Wird mit zwei Spitzen ohne Zehner agiert, also im 4-4-2 mit Linie statt Raute, dann befindet sich im Rücken der Stürmer immer ein Loch, in das der gegnerische Sechser hereinkommen, den Ball annehmen und sich drehen kann. Um das zu verhindern, hilft der Einsatz von abkippenden Stürmern. »Abkippend« deshalb, weil sie sich bei gegnerischem Ballbesitz ins Mittelfeld zurückfallen lassen und so die systembedingte Lücke schließen. Der Nachteil: Abkippende Stürmer haben mit fortschreitender Spieldauer nicht mehr ausreichend Kraft, um sich auch noch wirkungsvoll nach vorne zu entfalten. »Deshalb muss man sich entscheiden, worauf der Fokus liegt«, rät Wormuth. »Ganz eng zu stehen, darin könnte ein Ansatz liegen. Aber die Abstände und Lücken werden umso größer, wenn die Mannschaft im Laufe des Spiels konditionell abbaut und die notwendigen Laufwege nicht mehr macht. Dann muss ich als Trainer erkennen: ›Wir bekommen im Mittelfeld keinen Zugriff mehr, der Gegner kann den Ball unbedrängt annehmen.‹ Spätestens dann muss es bei mir klingeln: ›Achtung, der Gegner spielt mit einer Sechs und wir ohne Zehn, diese Position könnte irgendwann für ihn Vorteile haben.‹ Allerdings passiert das recht selten, weil die konditionellen Voraussetzungen der Profimannschaften durchweg klasse sind. Aber wenn es doch so ist, muss mir klar sein, dass dort die Ursache des Problems liegt.«

Wichtiger noch als die defensive Grundordnung ist das ballorientierte Verschieben, durch das die Mannschaft eine kompakte Einheit bildet, die defensiv die Räume für den Gegner verdichtet. Dem ballorientierten Verschieben ist die gewählte Grundordnung gänzlich egal, müssen sich doch ohnehin alle Feldspieler daran beteiligen – so zumindest verlangt es der Trainer Frank Wormuth von seiner U20. Zum Verschieben erfahren wir noch reichlich beim »Großen Ganzen«.

Das große Ganze

Spieleröffnung und Spielgestaltung

Die Spielgestaltungszentrale wandert nach hinten. In den 1970er und 1980er Jahren, zu Zeiten eines Diego Maradona, Michel Platini, Wolfgang Overath oder Johan Cruyff, war es der geniale, oft charismatische Zehner, ein Einzelkünstler, der den Ball verteilte, der seinem Team Esprit verlieh. Eine Quelle schier unbegrenzten Einfallsreichtums. Doch der klassische Zehner gehört zu einer aussterbenden Spezies. Böse Jäger in Form von Innenverteidigern, Sechsern und anderen Defensivstrategen haben den Spielertypus zunehmend unter Druck gesetzt, ihm durch teils mehrfache Manndeckung die Lust am Spielen genommen, bis er entnervt als zweite Spitze eingesetzt wurde und seiner Stärken beraubt war.

Somit übernahmen die zwei oder der eine Sechser selbst die Aufgabe des Zehners (welch Ironie – oder ein bewusster Putsch zur eigenen Machtübernahme?) und gestalten seither das Spiel, so wie Bastian Schweinsteiger oder Xabi Alonso beim FC Bayern. Bei Borussia Dortmund wird sogar bereits Innenverteidiger Mats Hummels eine gestalterische Aufgabe zuteil – wobei Wormuth die Entwicklung noch längst nicht als abgeschlossen ansieht: »Hummels spielt die Eröffnung derzeit noch von hinten heraus. Ich sehe es noch einen Schritt weiter, dass sich der Innenverteidiger den Ball nimmt, ins Mittelfeld reingeht und dann dort kombiniert, während ein Sechser in die Innenverteidigung zurückgeht. So entsteht ein Wechselspiel, bei dem immer wieder ein Verteidiger von hinten vorrückt und ein zentral-defensiver Mittelfeldspieler sich zur Absicherung fallen lässt.« Geht die Entwicklung so weiter, werden die zentralen Abwehrspieler in naher Zukunft die ersten Spielgestalter sein.

Bei der Spieleröffnung wird oft von »unzähligen Möglichkeiten« gesprochen, in der medialen Berichterstattung, aber auch von dem einen oder anderen Coach. »Nur die Trainer, die hier in der Ausbildung sind, dürfen das nicht mehr sagen«, sagt Wormuth. Denn in der Spieleröffnung eines Innenverteidigers bestehen laut Wormuth vierzehn Möglichkeiten, mehr gebe es Stand heute nicht. Diesen Möglichkeiten werden Namen zugeteilt wie zum Beispiel: »Zwei Drittel«, »Bayern«, »Schweini-Position«, »Schneck« oder »Diametrale Doppelsechs«. »Das ist schon eine ganze Menge. Das können schon mal zu viele Möglichkeiten sein, sodass der Spieler den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Er braucht auf jeden Fall Kollegen, die mitarbeiten, sich freilaufen und anbieten.«

Ideen zur Spieleröffnung sammelte der Fußball-Lehrer vor allem während der EURO 2012 in Polen und der Ukraine, »wo ich es grandios fand, wie die Außenbahnspieler dort plötzlich nach innen gegangen sind«. Wormuth wollte sich jedoch nicht nur begeistern lassen, sondern die Ideen auch festhalten, planen und bei der U20 umsetzen. Er ermittelte, wie viele Möglichkeiten zur Spieleröffnung bestehen und kam auf ebenjene vierzehn. Seine DFB-Junioren schauten zunächst sparsam, als Wormuth begann, Übungen zur Spieleröffnung mit ins Training einfließen zu lassen: »Spielen wir denn jetzt Schach?« Wormuth nickte und lächelte zufrieden, als seine Spieler bemerkten, wie sie plötzlich mit einfachen Passfolgen von hinten heraus durch das Mittelfeld nach vorne kamen.

Passqualität

Ein wesentlicher Punkt im Angriffsverhalten ist die Passqualität, ebenso wie »Spielen und Gehen« oder »Freilaufen und Anbieten«. Elemente, die schon in der frühen Jugend vermittelt werden. Im Land des Weltmeisters nach Schwächen zu suchen, mag seltsam klingen. Doch eine selbstzufriedene Einstellung sorgte schon nach dem Europameistertitel 1996 für einen mächtigen sportlichen Abschwung. So verwundert es nicht, wenn Perfektionist Wormuth bei Passqualität und Ballkontrolle noch Steigerungspotenzial sieht. Nach dem Motto: Was nützt ein schneller, scharf gespielter Pass, wenn dem Annehmenden der Ball verspringt?

Kurz vor unserem Gespräch hatten die angehenden Fußball-Lehrer gerade den neunten Spieltag der ersten Bundesliga analysiert und etwa 200 Video-Schnitte gemacht. Über 50 von ihnen enthielten eindeutige »unforced errors«, wie sie im Tennis genannt werden, also unerzwungene Fehler, Fehler ohne Druck. Bei größerer Auslegung konnten noch 50 weitere hinzugezählt werden. »Wir entdeckten Pässe, die in den Rücken gespielt wurden, obwohl die Passwege völlig frei waren, bei denen noch nicht einmal die Bodenverhältnisse schuld waren. Ballkontrollfehler, die trotz Ballsicherheit der Bundesligaspieler zu unnötigen Ballverlusten führten, und eigene gute Torgelegenheiten im Keim erstickten. Das sollte eigentlich nicht passieren. Natürlich sind wir alle Menschen und es passiert, doch unsere Aufgabe als Trainer ist es, auf diese Fehler hinzuweisen. Immer wieder das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass ein einziger Fehlpass bereits zum Gegentor führen kann oder eine Chance vernichtet.«

Oder ein anderer klassischer Fall: Eine Mannschaft fährt einen Konter, der Stürmer läuft frei auf den Torwart zu, plötzlich kommt noch ein Verteidiger angesprintet, der Stürmer braucht nur noch nach rechts zu seinem Teamkollegen herüber zu spielen, er spielt zwar, doch er spielt zu weit, bis zur Eckfahne. Die Chance ist vertan. Und wie viele Chancen werden bereits im Ansatz, durch einen Pass im Mittelfeld, der nicht ankommt, zunichte gemacht. Oder durch eine Ballannahme, die nach hinten und nicht nach vorne mitgenommen wird. »Das bemerkt vielleicht kaum jemand von draußen, aber wir Trainer sehen es. Wenn der Spieler den Ball nach vorne mitnimmt, ›dreh auf‹ als Signalwort, dann wäre er vielleicht schon in einer glänzenden Situation gewesen, um eine Torchance zu kreieren. Doch da er den Ball nach hinten mitnimmt, ist die Gelegenheit dahin. Und an solchen Spielszenen arbeiten wir, Tag und Nacht. Die beste Taktik hilft nicht, wenn Passqualität und Ballkontrolle nicht stimmen. Sauberes Passen und die entsprechende Ballkontrolle sind ganz wesentliche Grundlagen im Fußball«, betont Wormuth. Die Anforderung: Ein guter Pass kommt präzise und schnell, lässt dem Gegner somit wenig Zeit zum Reagieren.

Auch bei den DFB-Junioren der U20 setzt Wormuth auf eine offensive Ballmitnahme seiner Spieler. »Doch bei Widerständen wie unter Stress oder Druck fallen sie oft in alte Muster zurück, die sie in früherer Jugend gelernt haben. Da wir auch die Trainer der Nachwuchsleistungszentren ausbilden, bin ich aber zuversichtlich, dass wir neue Automatismen entwickeln werden.«

Die Passqualität auf höchstem Niveau ist inzwischen so groß geworden, dass es bereits auffällt, wenn ein Spieler mal nur 80 Prozent seines Leistungsvermögens abruft. Die Bayern unter Pep Guardiola sind Meister der Ballzirkulation. Wie sie mit der Kugel umgehen, sie auf engstem Raum behaupten, ständig in Bewegung sind, um sich zum Anspiel anzubieten, das setzt Maßstäbe. »Es ist ja nicht nur das Ball annehmen und mitnehmen, sondern auch die Kombination aus: Wo steht mein Mitspieler, wie läuft er sich frei und wie verhält sich der Gegenspieler? Oft fragt man sich als Zuschauer, was mit der Abwehr los ist, weil der Angreifer so frei steht. Aber der hat sich gerade mit einem kurzen Antritt geschickt freigelaufen. Deshalb rede ich gerne vom elementaren Angriffsverhalten und zu dem gehört die Bewegung unbedingt dazu – denn es heißt ja nicht ›spielen und stehen‹.«

Je mehr Fußballer zusammenkommen, die ein hohes technisches Niveau haben, desto besser wird auch die Mannschaft insgesamt. Das ist keine überraschende Erkenntnis, ist aber ein Aspekt für die Dominanz der spanischen Nationalmannschaft sowie von Bayern München während der vergangenen Jahre. Die iberischen Ballvirtuosen haben ihre enormen Fertigkeiten durch ständig wiederholte Übungen auf sehr kleinem Feld erlangt: »Fünf gegen Zwei« oder »Fünf gegen Drei«, bei denen der Ball ständig in Bewegung ist. Diese »rondos«, bei denen derjenige in die Mitte muss, der den Ball verliert, werden in Spanien schon seit der frühesten Jugend gespielt – permanent auf engstem Raum, immer nur mit einem oder zwei Kontakten. Eine intensive Schulung technischer Fertigkeiten, die sich mit der Zeit auszahlt.

Wormuth berichtet von einem Gespräch mit seinem U17-Trainerkollegen Christian Wück: »Er erzählte von einem Spiel gegen Spaniens Junioren und meinte, es sei ein Klassenunterschied gewesen. Seine Mannschaft habe zwar mit bekannter deutscher Mentalität gespielt, mit Einsatz und Wille, aber bei den Spaniern sei jede Position auch technisch hervorragend besetzt gewesen. ›Sensationell‹ sei das gewesen, sagte Wück, ›wie die Fußball spielen konnten – und zwar alle auf gleichem Niveau.‹ Aber bei uns kommt das jetzt auch immer mehr, denn die Technik wird in der Ausbildung immer wichtiger.«

Noch dominiert in der deutschen Ausbildung die niederländische Schule, die auf Passformen unter sowohl taktischen als auch nichttaktischen Gesichtspunkten abstellt, vorzugsweise zur Spieleröffnung. »Doch stelle ich bei diesen Passübungen nur einen Gegner hinzu, gibt es schon Schwierigkeiten. Und das ist eine Frage der Ballfertigkeit«, gibt Wormuth zu bedenken. Manch ein Trainer fühlt sich ob dieser Anregungen auf den Schlips getreten, doch Wormuth geht es nicht darum, zu kritisieren, sondern zu analysieren und optimieren: »Natürlich jammern wir auf hohem Niveau. Wir reden hier von den letzten zehn Prozent. Doch gut zu sein, heißt ja nicht, dass wir aufhören müssen, uns weiter zu verbessern.«

Das Erfolgsrezept der Spanier, direktes Spielen auf kleinem Feld, setzte der DFB bereits nach dem deutschen Debakel bei der EM 2000 um – noch lange bevor Xavi, Iniesta und Co. die Fußballwelt mit ihrem Ballzauber berauschten. Seit damals wurden verschiedene Maßnahmen zur Förderung des Fußballnachwuchses ergriffen. Eine davon war, deutschlandweit 1.019 Minispielfelder zu errichten, kleine und wetterunabhängig bespielbare Kunstrasenplätze. Um die Freude am Fußball zu wecken, aber auch, um auf kleinem Feld an der Technik zu feilen. Kinder und Jugendliche, die regelmäßig auf diesen Plätzen spielen, entwickeln ihr Können am Ball.

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Die Kunst liegt im Detail

Nicht nur die Bayern können mit der Kugel umgehen, viele ihrer Bundesligakonkurrenten ebenfalls. Zu selten aber gelingt es, die Passqualität in ähnlicher Form und konstant auf den Platz zu bringen – obwohl die Spieler im Training erstaunliche Ballkünste offenbaren. Wormuths Ansatz: »Dann muss ich am Selbstvertrauen arbeiten und zum Spieler sagen: ›Mach’ dir keine Gedanken, du darfst auch im Spiel Fehler machen, denn die gehören dazu.‹ Vielleicht liegt es auch an der Passqualität, dass die Pässe nicht so scharf sind wie die der Bayern. Oder die Bayern spielen den Mitspieler auf dem Fuß an, der vom Gegner entfernt ist. Allein das reicht bereits aus, um mehr Zeit zu haben. Und bei einer anderen Mannschaft wird der Ball einfach bloß hingespielt. Oder vielleicht werden die Bayern auch nicht so unter Druck gesetzt, weil der Respekt sehr hoch ist.«

Wie wichtig die Passgenauigkeit ist, beweist auch eine Anekdote, von der Wormuth berichtet: »Ich habe einen Bekannten, der mit Xavi vom FC Barcelona mal aus Spaß an der Freude Fußball gespielt hat. Vier gegen Vier. Das Erste, was Xavi ihn fragte, war: Welches ist dein starkes Bein? Mit welchem Fuß kannst du besser spielen?‹ Er antwortete: ›Ich bin Linksfuß.‹ Daraufhin hat er ihn nur auf dem linken Fuß angespielt, die ganze Spieldauer über immer nur auf dem linken Fuß. Diese Präzision zu besitzen, ist eine sehr hohe Qualität. Das sind die letzten Prozentpunkte, die den Unterschied zwischen guten und sehr guten Spielern ausmachen. Einem Amateurspieler, der gerade anfängt, würde ich natürlich nicht raten, ›spiel’ deinen Mitspieler immer auf dem Fuß an, der gerade gegnerentfernt ist‹. Aber im Spitzenfußball ist das eine mögliche Steigerung.«

Uli Stielike ließ als Co-Trainer der Nationalmannschaft die Spieler mit dem Ball am Fuß jonglieren. Das war Ende der 1990er-Jahre, in einer Phase, in der der deutsche Fußball nicht gerade als Nabel der Welt galt. Die Spieler reagierten naserümpfend bis lustlos. Darüber kann Wormuth sich noch heute echauffieren: »Aber Entschuldigung, das ist die Basis! Wenn ich mit dem Ball jonglieren kann, mit ihm umgehen kann, dann ist das eine der wesentlichsten Fähigkeiten in unserem Sport. Und wenn ich im hohen Tempo den Ball annehme, dann bekomme ich ein Gefühl für ihn, weil ich sein Verhalten kennenlerne. Ich bin aber überzeugt, dass der weit überwiegende Teil der Spieler lernen will. Sicher wird es immer einige geben, die lamentieren, ›warum machen wir das?‹. Aber die bilden die Ausnahme. Fußball ist eben auch eine Sache des permanenten Übens.«

Taktische Flexibilität

Noch vor etwa zehn Jahren orientierten sich Trainer bei der taktischen Ausrichtung ihrer Spieler fast nur an der eigenen Mannschaft. Überspitzt gesagt, interessierte der Gegner zunächst einmal nicht. Inzwischen ist eine Entwicklung zu beobachten, die dazu führt, dass Trainer ihre Vorgaben nicht nur vor einer Partie nach den Stärken und Schwächen des Gegners ausrichten, sondern sogar während des Spiels ihre Formation verändern, wenn sie auf Umstellungen ihres Gegenübers reagieren. Thomas Tuchel machte bei Mainz 05 aus einer Mittelfeldlinie plötzlich eine Raute, weil er merkte, dass die Mitte geschlossen werden muss, weil der Gegner dort eine Lücke gefunden hat. Dies wiederum provoziert eine Gegenantwort, denn auch sein Trainer-Pendant wird nun reagieren, wenn er seine Mannschaft taktisch flexibel trainiert hat. Denn durch die gegnerische Umstellung auf eine Raute werden nun die Außenbahnen freier. Der Angriffsschwerpunkt sollte daher von der Mitte nach Außen verschoben werden. Das müssen Trainer und das können auch erfahrene Spieler erkennen. Es darf also nicht zu Verwunderung führen, wenn das Spiel durch die Mitte nach einer Rautenumstellung des Gegners nicht mehr funktioniert. Eine mögliche Antwort liegt darin, die eigene Mannschaft breiter zu stellen und in 4-4-2-Linien spielen zu lassen.

Die Linien. Oder aus Sicht des Gegners gesprochen, um dort Lücken zu finden: Das Spiel zwischen den Linien. Ein Thema für sich. Bei einer Linie ordnet ein Trainer seine Verteidiger wie in einer Kette an. Der Kerngedanke dieser defensiven Anordnung ist, einen Raum bestmöglich abzudecken und die Laufarbeit der Spieler zu verringern. Wird in Abwehr und Mittelfeld jeweils mit Viererkette gespielt, in einer 4-4-2-Linie, liegt es in der Natur dieser Linien, dass zwischen ihnen Freiräume entstehen, in die der Gegner hineinzustoßen versucht. Schnittstellen lassen sich nie ganz vermeiden, gerade durch ruckartige Bewegungen des Stürmers, denen ein Verteidiger folgen muss. So öffnet sich kurzfristig eine Schnittstelle und dort ist das berühmte Fenster zu finden, in das sich der vielzitierte öffnende Pass hineinspielen lässt. Diese Schnittstelle ist grundsätzlich zwar auch dann zu finden, wenn sich die Verteidiger alle gleichzeitig bewegen und nicht ein einzelner ausschert. Borussia Mönchengladbach gelang dies in der Bundesliga-Hinrunde 2014/15 hervorragend. Aber es fällt dann deutlich schwerer, dort hineinzuspielen, als wenn sich das Fenster kurz öffnet und dieser Moment genutzt wird.

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Abb. 2: 4-4-2-Raute mit geschlossener Mitte

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Abb. 3: 4-4-2-Linie mit Stärkung der Außen