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Einleitung

In den Praxisfeldern des Erziehungs- und Bildungswesens existieren verschiedene Grundformen pädagogischen Handelns (z. B. Zeigen, Unterrichten, Beraten, Informieren), von denen nachfolgend die Handlungsform Arrangieren bzw. das pädagogische Arrangement im Mittelpunkt steht. In der neueren erziehungswissenschaftlichen Diskussion ist eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Arrangieren als pädagogischer Handlungsform lediglich in den Arbeiten von Hermann Giesecke (1992) sowie Klaus Prange und Gabriele Strobel-Eisele (2006) zu finden. Gleichwohl sind in der pädagogischen Fachliteratur zahlreiche Beschreibungen und Annäherungen zu Varianten und Mischformen vorzufinden, die sich der Strukturlogik des Arrangierens annähern oder diese mehr oder minder einschließen. So verbindet sich mit dem Terminus »Arrangieren« ein ganzer Schwarm wiederkehrender und korrespondierender Assoziationen, die von unterschiedlichen Autoren in den verschiedenen Handlungsfeldern in je eigenen Sinn-Kontexten benutzt werden. Dabei ist häufig offen, ob diese Verwendungen auf einer hinreichenden pädagogischen Reflexion beruhen oder ob lediglich ein diffuser Formulierungsbedarf seine Etikettierung gefunden hat. Aber auch in der erziehungswissenschaftlichen Literatur zeigen sich zahlreiche Termini, deren Sinngehalte implizite bis explizite Entsprechungen und Verflechtungen mit dem Begriff des Arrangierens aufweisen. Hierzu zählen etwa die indirekte Erziehung, die negative Erziehung, die Gestaltung von Lernumgebungen bzw. Lernumwelten, das Lernarrangement, das Setting, die vorbereitete Lernumgebung, das eigenverantwortliche Lernen, das situierte Lernen, Blended Learning, selbstgesteuertes Lernen, interessengeleitetes Lernen, lebensweltorientiertes, lebensproblemzentriertes und mehrperspektivisches Lernen oder Lernen im strukturierten Klassenzimmer. Weitere Familienähnlichkeiten ergeben sich über Begriffe wie Inszenieren, Einrichten pädagogisch produktiver Felder, Ermöglichung, Animieren, über pädagogische Zurückhaltung und pädagogischen Takt. Leutner/Leopold (2003) machen allein für den in diesem Kontext gleichfalls zu berücksichtigenden Begriff des »selbstregulierten Lernens« im englischen wie im deutschen Sprachraum eine Vielfalt an weiteren Umschreibungen aus und führen auf: autodidaktisches Lernen, eigenständiges Lernen, selbstbestimmtes Lernen, selbstreguliertes Lernen, Self-regulated Learning, Self-directed Learning und Learner Control. Diese vielfältigen Bezeichnungen verlaufen ineinander und verweisen wiederum auf »ein komplexes Konstrukt, das auf vielfältige psychologische Konzepte – wie z. B. Motivation, Volition, Metakognition, Emotion, Attribution, Selbstkonzept, Lernstrategie – zurückgreift« (ebd., S. 44). Bei Giesecke selbst ist zudem auch der Terminus »Situation« erwähnt, welcher »die Konstellation derjenigen Bedingungen (bezeichnet), die im Augenblick des pädagogischen Handelns gegeben bzw. wirksam sind« (Giesecke 1996, S. 47); Prange/Strobel-Eisele (2006, S. 105) verwenden zusätzlich auch die Umschreibung der »Gelegenheitserziehung«.

Versuche der Zuordnung des Arrangierens zu einzelnen Handlungsfeldern bleiben dabei ohne eindeutiges Resultat. Weil die pädagogische Handlungsform Arrangieren bzw. das pädagogische Arrangement als Versuch, eine Lernsituation herzustellen, charakterisiert ist durch eine gewisse Offenheit von Lernprozessen, wird sie – in idealtypischer Abgrenzung zum »Unterrichten« – von Prange/Strobel-Eisele (2006, S. 31) vornehmlich der Sozialpädagogik zugeordnet, von Giesecke hingegen auch für die Schulpädagogik beansprucht. Zum einen aber sind die verschiedenen pädagogischen Handlungsformen kaum in voneinander vollständig isolierten Prototypen vorzufinden, sondern stets miteinander verbunden; und auch das Arrangieren ist stets mit anderen pädagogischen Praxen verknüpft, wie beispielsweise dem Zeigen. Zum anderen ist jegliches pädagogische Handeln, als absichtsvolles Herstellen bzw. Anbahnen von Situationen des Lernens, mit irgendeiner Form des Arrangierens verbunden. Da Lernen nicht in einem Vakuum stattfindet, sondern immer in bestimmten Kontexten oder Konstellationen, ist es per se »situiert«. Weil mithin kaum eine pädagogische Situation denkbar ist, die nicht mit irgendeiner Form des Arrangierens in Verbindung steht, lässt sich in Anlehnung an das bekannte Watzlawick- Wort nachgerade formulieren: Man kann in der Pädagogik nicht nicht arrangieren. So wird nachvollziehbar, dass die Handlungsform Arrangieren keineswegs auf die Sozialpädagogik allein zu reduzieren ist. Dies gilt allemal dort, wo sich etwa die Arbeitsfelder der Schul- und der Sozialpädagogik im Zuge der neueren Entwicklung zu Ganztagsschulen und Kommunalen Bildungslandschaften wechselseitig durchdringen. Auf der anderen Seite eröffnet bereits der Blick allein auf die Institution Schule ein weites Feld verschiedenster schulpädagogischer bzw. schuldidaktischer Praktiken, die jenseits von Frontal- und Gruppenunterricht allesamt mit je unterschiedlichen Arrangements verbunden sind. Hier existieren verschiedene Modelle der Schul- und Leistungsdifferenzierung (Bönsch 2011), unterschiedliche Modellierungen von Lernwelten bzw. Lernkulturen (Kösel 1993; 2007) und offenen Unterrichtsformen (Niggli 2000). Die Vielfalt allein innerhalb der schulpädagogischen Arrangements nimmt noch zu, sofern in die Betrachtung historisch wie theoretisch unterschiedlich gefasste (schul-)pädagogische Ansätze wie die Reformpädagogik, Freinet-Pädagogik, Arbeits- und Produktionsschule, Jenaplan- oder auch die Montessori-Schule einbezogen werden, die wiederum je ausdifferenzierten Gestaltungsmustern folgen.

Unterschiedliche Varianten des pädagogischen Arrangierens erstrecken sich mithin quer durch die verschiedenen Handlungsfelder und fordern dazu auf, sich in jedem Feld mit Grundfragen der Didaktik (als Vermittlung durch Pädagoge, Lerngegenstand/Thema und Adressat) auseinanderzusetzen, über die jeweiligen didaktischen Vorannahmen und Ziele Auskunft zu geben und darüber aufzuklären, warum sich das Arrangieren in seinen typischen Besonderheiten für bestimmte Lernziele besser eignet als andere pädagogische Handlungsformen.

Angesichts dieser Vielfalt an Relationen und Zuordnungen ergibt sich nicht zuletzt die Aufgabe einer begründeten Auswahl von pädagogischen Handlungsfeldern (vgl. Krüger/Rauschenbach 2000) für diesen Band. Daher orientiert sich die hier getroffene Auswahl der Arbeitsbereiche Kindertagesstätte, Ganztagsschule, Sozialpädagogische Familienhilfe und Erwachsenenbildung zum einen an der ungefähren Abfolge der Lebensalter und zum anderen an nicht nur aktuellen, sondern längerfristigen empirischen sowie gesellschaftsund bildungspolitischen Relevanzen.

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Grundsätze des Arrangierens

Das Wort »Arrangieren« wird alltagssprachlich in zahlreichen Kontexten gebraucht (z. B. ein Musikstück arrangieren, etwas organisieren, etwas in die Wege leiten, sich mit den gegebenen Umständen abfinden), aber auch in pädagogischen Werken zur Beschreibung vielfältiger Gestaltungsmerkmale und methodischer Vorgehensweisen verwendet. Insbesondere in der Darstellung sozialer, erzieherischer oder bildnerischer Situationen und Praktiken scheint es sich um einen »Container«-Begriff für das pädagogisch Ungefähre zu handeln, bei dem zu hinterfragen bleibt, ob er als signifikante und genuine pädagogische Handlungsform mit all ihren Implikationen stets bewusst ist. Eine ausführlichere Auseinandersetzung mit dem Begriff des Arrangierens im pädagogischen Feld findet sich bislang lediglich in den Arbeiten von Giesecke (1992) und Prange/Strobel-Eisele (2006), welche auch in der übrigen Fachliteratur wiederholt als einzige Bezugsquellen genannt werden (vgl. Koring 1992, S. 63 f.; Stimmer 2006, S. 119; Brade 2010, S. 162). In diesen beiden, zentralen Referenzwerken wird mit dem Begriff »Arrangieren« übereinstimmend eine intentional »hergestellte« Lernsituation beschrieben, die sich vorrangig durch die Abwesenheit dezidierter Lerninstruktionen auszeichnet. Dieses zentrale Charakteristikum einer kalkulierten Offenheit beinhaltet bestimmte Freiheitsspielräume der Adressaten, verbunden mit der Erwartung, sich produktiv gemäß den eher indirekt vermittelten erzieherischen Absichten zu verhalten. Es beinhaltet aber auch das Risiko, dass die Lernenden gemäß ihrer eigenen Auffassungen und Motive von diesen Erwartungen abweichen oder diese im Extremfall völlig unterlaufen – und gerade damit ein eigentlich nicht vorgesehenes, nachdrücklicheres Eingreifen forcieren. In dem solchermaßen austarierten (und bewusst auszugestaltenden) Verhältnis von Freiheit und ihren Rahmungen liegen alle Chancen und spezifischen Vorzüge des Arrangierens gegenüber anders ausgestalteten Lernoperationen, aber auch alle Gefährdungen. Weil die Möglichkeiten der direkten Steuerung des Lernens konstitutionell eher gering sind bzw. dem pädagogischen Anspruch nach sein sollen, erweist die Praxis des Arrangierens eine besondere Nähe zu offenem, lernerprobendem und experimentellem Handeln. Diese Besonderheit hat Giesecke dazu veranlasst, das Arrangieren als zweifellos »heikelste pädagogische Handlungsform« (Giesecke 1992, S. 98) zu bezeichnen. Denn die durch Lernen mobilisierte Anstrengung und Veränderungsenergie in der Auseinandersetzung mit einem erst noch zu erschließenden Lerngegenstand wird dem Lernenden in höherem Maße selbst abverlangt und seiner eigenen Entscheidung unterworfen. Die konstitutionell kritischen Aspekte des Arrangierens bestehen in der verminderten Steuerungsmacht des Lernprozesses wie der Lernergebnisse, »weil sie das pädagogische Handeln auf die Herstellung von Bedingungen und Möglichkeiten konzentrieren kann, so dass den Partnern überlassen wird, ob und was sie lernen wollen, oder ob sie sich lediglich unterhalten (lassen) wollen.« (ebd., S. 102).

Zweifellos muss jeder Pädagoge »mit Veränderungsabsichten handeln, ohne über Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge verfügen zu können und mit ungewollten Nebenwirkungen rechnen, die seine Arbeit durchkreuzen können« (Helsper 2004, 18 f.). Aber beim Arrangieren verdeutlicht sich dieses bei allen pädagogischen Vorgängen unhintergehbare »strukturelle Technologiedefizit« (Luhmann/Schorr 1982) in besonders ausgeprägter Form. Denn mit ihm wird die prinzipielle Nichtprogrammierbarkeit des Lernens nicht etwa als unliebsame Fehlerquelle zu vermeiden oder zu minimieren gesucht, sondern bewusst in Rechnung gestellt und ihr im Lernprozess eine ausschlaggebende produktive Funktion eingeräumt. Hier eröffnen sich zudem Verbindungen zu einer weiteren pädagogischen Handlungsform: dem »Animieren«, das den Versuch umschreibt, »andere dazu zu bewegen, in einer gegebenen Situation mögliche Lernchancen auch zu nutzen« (Giesecke 1992, S. 102). Wo die intentional, aber eher implizit angebahnten Lernaufforderungen und die mit ihnen verbundenen Freiheitsgrade, aus welchen Gründen immer, z. B. aufgrund mangelnder Erfahrung oder fehlender Motivation, nicht erkannt und ergriffen werden, werden die erwarteten Lerngewinne nicht realisiert. Die Ambivalenz des Arrangierens besteht in der doppelten Verfasstheit als Zumutung und Angebot zugleich. Dabei geht der Stimulus zum Lernen idealtypisch »von der Situation selbst« aus – wiewohl diese fraglos von Menschen vorgeplant und installiert wurde. Eine solche Erfahrungskonstellation ohne explizite Lernaufforderung ist wiederum assoziiert mit Begriffen wie implizitem, funktionalem, beiläufigem Lernen oder auch Gelegenheitslernen, welches bei bestimmten Anlässen stattfindet, ohne den Individuen selbst stets als Lernvorgang präsent zu sein. Damit ist jedoch keineswegs der Übergang in die Beliebigkeit einer, metaphorisch gesprochen, »pädagogischen Nacht, in der alle Katzen grau sind«, eröffnet, weil ja ohnehin überall und immer irgendwie und irgendwas gelernt würde. Der bewusste Bezug zum pädagogischen Arrangement kann mithin nicht völlig preisgegeben werden, weil andernfalls kein Unterschied zum Alltagsleben mehr ersichtlich wäre. Aus diesem Grund muss sich auch das Arrangieren als reflektiertes Handeln ausweisen, welches an das pädagogische Kriterium einer bewussten Nutzung oder Gestaltung einer Situation zum Zwecke des Lernens gebunden ist (Prange/Strobel-Eisele 2006, S. 108).

Arrangements umfassen unterschiedliche Dimensionen: Sie sind in sachlicher Hinsicht (Inhalte und ihre Repräsentation), in zeitlicher (Abfolge im Prozess), sozialer (Sozialform des Lernens) und räumlicher Hinsicht auf die lernende Auseinandersetzung mit einer Anforderung oder Aufgabe bezogen: Diese unterschiedlichen Dimensionen des Arrangierens sind stets miteinander verknüpft, wobei sich verschiedene Akzentuierungen in unterschiedlichen Aufgabenfeldern ergeben. Jedes Arrangement besteht neben einer sozial-räumlichen Struktur mithin aus unterschiedlichen, miteinander verbundenen Komponenten, die in »loser Kopplung« (Weick 1985, S. 163) und einer gewissen Lernerwartung bzw. Lernhoffnung bereitgestellt werden. Letztere aber werden als solche weniger ausgesprochen (als Direktive, Befehl oder Instruktion), sondern sind gleichsam im Arrangement aufgehoben bzw. darin eingelassen.

1.1        Didaktik

Die bisherigen Ausführungen haben dargelegt, wie die pädagogische Handlungsform Arrangieren im absichtsvollen Strukturieren von Lernsituationen verschiedene Aneignungsangebote und -materialien zur Verfügung stellt. Die planmäßige pädagogische Unterstützung dieser Aneignungsprozesse aber verweist auf den Begriff der Didaktik, sofern diese die »Organisation von Settings und Arrangements, somit Bereitstellung von Möglichkeiten (betreibt), in welche das Subjekt eintreten kann, um seinen Bildungsprozess voranzutreiben« (Winkler 2004, S. 83). Im Arrangieren ist beabsichtigt, Aneignungen (s. u.) zu initiieren bzw. in Gang zu halten, sodass Prozesse der Vermittlung – denn nichts anderes ist Didaktik – zwischen Individuum und Welt möglich bzw. wahrscheinlicher werden. Pädagogisches Handeln versteht Winkler in diesem Kontext explizit als Bereitstellung von Orten und Gelegenheiten, »an welchen die Dinge und Verhältnisse sichtbar werden«, und fährt – ganz im Modus des Arrangierens – fort: »Man könnte von der Möblierung einer Bühne sprechen, auf der dann die Akteure ihre Rollen und ihr Spiel selbst finden müssen; sie nutzen das gegebene Material, nehmen es in sich auf, entwickeln Neues und gestalten die Bühne um« (ebd.; vgl. Ludwig 2008). Auch im Arrangieren werden insofern Grundfragen der Didaktik aufgeworfen, als dass auch hier die klassischen Probleme, Herausforderungen und Verlegenheiten pädagogischen Handelns in den Blick geraten:

»Die instrumentelle Reaktion auf die Unsicherheit, wie Schüler, Lehrer [und andere Pädagogen; WL] und Sache sinnvoll aufeinander bezogen werden können, stellt den beunruhigenden Kern der Vermittlungstätigkeit dar. Die Unsicherheit erscheint als die vergeblich bekämpfte Blindstelle einer jeden Vermittlung. Vielfach klappt es nicht einfach nur nicht, weil es falsch angestellt wurde, sondern weil das Lehren des Lernens sich systematisch der technischen Verfügung entzieht. Didaktik entsteht als Theorie mit der Bearbeitung dieser Situation der Unsicherheit und des Risikos.« (Gruschka 2002, S. 51; Hervorh. WL)

Von jeher haben sich pädagogische Überlegungen (vornehmlich der Schule) an der Ordnung, der Kontrolle und der Optimierung des Lernens abgearbeitet, wobei der grundlegende Gedanke des Arrangierens – die Gewichtsverlagerung weg von den Aktivitäten der Pädagogen hin zu jenen der Adressaten nach dem Motto »More learning – less teaching« – in seinem Ursprung bereits in der Großen Didaktik von Johann Amos Comenius im Jahre 1657 ausgesprochen wird, dem es darum ging, eine »Anweisung zu suchen und zu finden, wie die Lehrenden weniger lehren, die Lernenden aber mehr lernen; die Schulen weniger Lärm, Widerwillen und vergebliche Arbeit, aber mehr Muße, Vergnügen und tüchtigen Fortschritt zeigen« (Comenius 1657/1993, S. 9; Hervorh. WL). Und schon bei Comenius findet sich die folgenreiche Annahme, dass ein solches Vorgehen anderen Formen des Lernens in Bezug auf Effektivität überlegen sei, wo an anderer Stelle programmatisch angezeigt wird: »Wir wollen alles schnell erlernen« (Comenius 1960, S. 209; Hervorh. WL). Als weiterer historischer Vorläufer für eine (allerdings primär auf den Schulunterricht ausgerichtete) Didaktik im impliziten Verständnis des Arrangierens kann Johann Friedrich Herbart angeführt werden mit seiner Aussage:

»(Da) die Ausbreitung der Kraft dadurch geschieht, daß man dem Zögling eine Menge von Gegenständen darbietet, die ihn reizen und in Bewegung setzen, so muß, um die Aufgabe zu erfüllen, etwas Drittes zwischen Erzieher und Zögling in die Mitte gestellt werden, als ein solches, womit dieser von jenem beschäftigt wird. So etwas heißt Unterrichten. Das Dritte ist der Gegenstand, worin unterrichtet wird. Der hierher gehörige Teil der Erziehungslehre ist die Didaktik.« (Herbart 1806, zit. n. Asmus 1965, S. 262; Hervorh. WL)

Die notorischen Kernprobleme des Lernens insbesondere im Hinblick auf eine enttäuschungsfeste Kontrolle der Ergebnisse bewirken offenbar ein überdauerndes »Unbehagen an der Vermittlung« (Gruschka 2002, S. 36). Zwar wurde auf der einen Seite das Modell des Nürnberger Trichters als untauglich erkannt, und auch die konditionierte und lediglich mechanische Übernahme von bestimmten Verhaltensweisen, die bloße Anpassung an Lernbefehle und deren Einübung durch die Schüler wurde von den Pädagogen Comenius oder Salzmann abschätzig als »Unterricht von Papageien« (zit. n. ebd., S. 51) bezeichnet. Auf der anderen Seite aber blieb insbesondere die (Schul-)Pädagogik lange Zeit einer Logik des Beibringens verhaftet, die den subjektiven Eigensinn der Aneignungsprozesse vornehmlich als einseitiges Passungsproblem auffasste in der Frage: »Wie holen wir die Schüler ab, um sie dorthin zu bringen, wo wir sie haben wollen?« In einem solchen Lernverständnis wurde der Unterschied zwischen Aneignungslogik und der Vermittlungslogik allenfalls so wahrgenommen, als dass das eine notwendig nur aus dem anderen resultieren könne und somit lediglich Übereinstimmung oder Abweichung mit den gestellten Aufgaben zu markieren seien. (Zudem können für die Lernergebnisse dann vorzugsweise die Lernenden verantwortlich gemacht werden.) Arrangieren hingegen verhält sich ersichtlich offensiver zu derartigen Unsicherheiten, allerdings um den Preis von Steuerungsverlusten. Hier steht ein bewussteres Eingehen auf den subjektorientierten Eigensinn im Mittelpunkt, welches erst eine dem Wortsinn nach ernst gemeinte »Auto-Didaktik« ermöglichen und zulassen kann. Wo erkannt wird, dass Vermittlungslogik und Aneignungslogik nicht identisch sind, wären folglich die Aktivitäten der Vermittlung abzubauen zugunsten der Aneignung. Nichts anderes geschieht im Modus des Arrangierens, wo die Eigenaktivität des lernenden Subjekts »einer Unterstützung (bedarf), die aber noch nicht festlegen darf, sondern nur auf einen neuen Raum verweist, in welchem Bildungsprozesse möglich werden« (Winkler 1988, S. 82; Hervorh. WL).

Gegenstände und Themen des Lernens werden erst durch Didaktik zu Anlässen möglicher Erfahrungen, die andernfalls überhaupt nicht zu Bewusstsein kämen oder aber in der Indifferenz des lebensweltlichen Alltags dahintreiben würden. Insofern müssen auch Arrangements vorbereitet und geplant werden, damit der Lerngegenstand bzw. die Lernaufgabe so präsentiert werden können, dass eine gelingende Aneignung durch den Lernenden möglich, im optimalen Fall wahrscheinlich oder zumindest wahrscheinlicher wird. Wie jede Didaktik arbeiten auch Arrangements mit bestimmten Formen der Zurichtung der Welt, ohne die keine Bildung und kein Lernen stattfinden könnten. Auch das Arrangieren erfolgt durch typische didaktische Reduktionen, durch eine bestimmte und geplante »Präparation von Welt«, durch Vorab-Selektion der Komplexität in bestimmte Bahnen und Modelle, durch die gedankliche Vorwegnahme eines (möglichen) Lernweges, von dem unterstellt wird, dass er ein (möglichst) optimaler sei. Auch im Arrangieren funktioniert Didaktik als typisches Abkürzungsverfahren – denn nur darin überhaupt hat Didaktik ihre Berechtigung – und kann ihre Funktion als Beschleuniger, Wegbereiter und Impulsgeber einlösen. Im Gegensatz zu der (schulorientierten) Steuerungs- und Kontrolldidaktik erfolgte jedoch auch bei Wilhelm von Humboldt eine konzeptionelle Abwendung insofern, als dass im Begriff der Selbst(!)-Bildung ein streng vorgegebenes Lernergebnis durch Momente der Selbstorganisation aufgelockert wird. Hier wird Bildung als Wechselwirkung von Ich und Welt verstanden und im nachfolgenden, gleichfalls vielzitierten Postulat dargestellt:

»Die letzte Aufgabe unsres Daseins, dem Begriff der Menschheit in unserer Person, sowohl während der Zeit unsres Lebens, als auch noch über dasselbe hinaus, durch die Spuren des lebendigen Wirkens, die wir zurücklassen, einen so großen Inhalt, als möglich, zu verschaffen, diese Aufgabe löst sich allein durch die Verknüpfung unsres Ichs mit der Welt zu der allgemeinsten, regesten und freiesten Wechselwirkung.« (Humboldt 1790/1986, S. 34; Hervorh. WL)

Die Voraussetzung gerade für diese Wechselwirkungen sind – so die These – in der pädagogischen Handlungsform Arrangieren aufgrund ihrer inhärenten typischen Freiheitsgrade strukturell besser gegeben als in anderen Handlungsformen. Dies gilt insbesondere dort, wo mehr und anderes intendiert wird als der bloße, gleichgültige Nachvollzug vorgegebener Lerninhalte, indem nämlich Bildung buchstäblich freigesetzt wird. Eine solche Bildung als genuine Leistung des Subjekts kann nicht durch bloße Belehrung ersetzt werden, die lediglich in der passiven Übernahme pädagogischer Vorgaben aufgeht, in welcher der Lernende allenfalls die Lehrermeinung lernt: »Wo Didaktik auf die Bestimmung des Bildungssinns verzichtet, ist sie eigentlich überflüssig; sie schrumpft zur Methodik« (Gruschka 2002, S. 93 f.). Auch wenn die Beschleunigung des Lernens in Zeiten allseitiger ökonomisch induzierter und effizienzgetriebener Geschwindigkeitserhöhungen (Rosa 2005) auf Kritik stoßen mag, so liegt der pädagogische Sinn von Didaktik letztlich darin, Lernen zu optimieren: schneller, einfacher, vielfältiger, interessierter und nachhaltiger jedenfalls als ohne Didaktik. Seit Comenius erfolgt das Ordnen der Welt in didaktisch-pädagogischer Absicht, erhält Didaktik immer auch den Charakter eines effizienten Abkürzungsverfahrens: »Modern gesprochen besteht die Perfektion der Didaktik darin, die Schüler zum beschleunigten Selber-Lernen anzuhalten« (Gruschka 2002, S. 165). Didaktik richtet sich aus auf die Optimierung von Lernprozessen mit dem Anspruch, dass in der zur Verfügung stehenden Zeit mehr und anderes zu erreichen ist, als wenn sich die Adressaten ohne Anleitung um die Aneignung von Wissens- und Kompetenzbeständen bemühen. In dieser Hinsicht bezeichnet Didaktik das pädagogische Vermögen, Lerngegenstände aufzubereiten, zu zergliedern, zu stilisieren und in entsprechende Arrangements zu fassen.

1.2        Subjektorientierung und Aneignung

Arrangieren kann als ein pädagogisch gestalteter »Versuchsaufbau« (analog einem Experiment im schulischen Chemie- oder Biologieunterricht) verstanden werden, mit dem bestimmte Lernergebnisse in gewisser Wahrscheinlichkeit erwartet werden können. In dem Maße, wie das Lernen des Einzelnen in den Fokus rückt, werden dabei verstärkt auf das Individuum abzielende Sichtweisen in Anschlag gebracht, die sich terminologisch als »Subjektorientierung« oder aber in vielfältigen Wortverbindungen mit der Vorsilbe »Selbst-« äußern. Eine solch hervorgehobene Orientierung auf den Einzelnen und seine spezifischen Möglichkeiten des Lernens befördert die Relevanz zweier weiterer, mit dem Arrangieren verflochtener Begriffe: Aneignung und Partizipation (im Sinne einer aktiven Teilhabe am Geschehen), die ihrerseits wechselseitig aufeinander Bezug nehmen. Da deren vielschichtig reziproke Verbundenheit hier nicht ausgeführt werden kann,1 wird im Folgenden lediglich der Aneignungsbegriff näher erläutert. Dieser ist in unterschiedlichen Denktraditionen je anders akzentuiert und bearbeitet worden; so sind etwa rechtsphilosophische (Kant, Hegel) und polit-ökonomische (Marx, Engels) Auffassungen neben pädagogisch-philosophischen Auffassungen (Schleiermacher, Herbart, Fröbel) zu identifizieren. Dabei ist jeweils ein konstanter Kerngedanke im Verhältnis eines Subjektes zu etwas außer ihm Existierenden vorzufinden.

So ist Aneignung eine aktive Verhaltensweise eines Einzelnen, die im Wechselspiel von Interiorisation (Hineinnehmen, Aufnehmen von etwas Äußerem) und Exteriorisation (Wieder-Entäußerung des Aufgenommenen) erfolgt. Der innere Antrieb, sich überhaupt mit einem äußeren Objekt auseinanderzusetzen, kann dabei verstanden werden als »Moment der Selbstermächtigung von Subjekten« (Winkler 2004, S. 71). Immanuel Kant (1977, S. 368) führt dazu aus:

»Ich erwerbe etwas, was ich mache […], daß es mein werde. – Ursprünglich mein ist dasjenige Äußere, was auch ohne einen rechtlichen Akt mein ist. […] Das Prinzip der äußeren Erwerbung ist nun: Was ich (nach dem Gesetz der äußeren Freiheit) in meine Gewalt bringe, und wovon, als Objekt meiner Willkür, Gebrauch zu machen ich (nach dem Postulat der praktischen Vernunft) das Vermögen habe, endlich, was ich (gemäß der Idee eines möglichen vereinigten Willens) will, es solle mein sein, das ist mein.«

Für Hegel (1986, S. 106) geht es bei der Aneignung darum, die äußere Natur nach eigenen Zwecksetzungen zu verändern, eine »Sache umzuschaffen und zu der seinigen zu machen«, und für Karl Marx war die Kategorie der »Arbeit« die besondere und maßgebliche Form der Aneignung als »die Entwicklung der den materiellen Produktivkräften entsprechenden Fähigkeiten«, wobei alle menschlichen Sinne in Anspruch genommen werden:

»Der Mensch eignet sich sein allseitiges Wesen auf eine allseitige Art an, also als ein totaler Mensch. Jedes seiner menschlichen Verhältnisse zur Welt, Sehen, Hören, Riechen, Schmecken, Fühlen, Denken, Anschauen, Empfinden, Wollen, Tätigsein, Lieben, kurz: alle Organe seiner Individualität, wie die Organe, welche unmittelbar in ihrer Form als gemeinschaftliche Organe sind, sind in ihrem gegenständlichen Verhalten oder ihrem Verhalten zum Gegenstand die Aneignung desselben.« (Marx 1844/1981, S. 539 f.)

Richtet man den Fokus indessen auf die im weitesten Sinne pädagogisch konturierte Dimension der Aneignung, so finden sich Belege für deren Bedeutung etwa bei Schleiermacher, Herbart, Fröbel oder Pestalozzi (vgl. Braun 2004). So formulierte Schleiermacher im Rahmen seiner Arbeiten zur Ethik vier Aneignungsgrundsätze: »1. Eigne überall so an, daß dein Aneignen zugleich ein In-Gemeinschaft-Treten sei. 2. Betreibe alles universelle Aneignen mit Vorbehalt deiner Individualität. 3. Eigne dir so an, daß du das Angeeignete schon an dir findest, und finde alles an dir so, daß du es dir aneignest. 4. Handle bei allem Aneignen so, daß innere Anregung und äußere Aufforderungen zusammentreffen« (Schleiermacher 1812/1813, zit. n. Braun 2004, S. 20; Hervorh. WL). Und bei Pestalozzi findet sich in den »Nachforschungen über den Gang der Natur des menschlichen Geschlechts« seine – nunmehr aneignungstheoretisch zu lesende – berühmte Aussage: »So viel sahe ich bald, die Umstände machen den Menschen, aber ich sahe eben sobalde, der Mensch macht die Umstände, er hat eine Kraft in sich selbst, selbige vielfältig nach seinem Willen zu lenken. So wie er diese thut, nimmt er selbst Antheil an der Bildung seiner selbst, und an dem Einfluss der Umstände, die auf ihn wirken« (Pestalozzi 1797/1938, S. 57; Hervorh. WL).

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