Inhalt

Vorwort

1 Qualität, Leistung und Standards

1.1 Was mit Bildungsstandards erreicht werden soll

1.2 Standards begründen Institutionen

1.3 Von Standards zu Bildungsstandards

1.4 Fazit

2 Kompetenzen und Kompetenzmodelle

2.1 Kontinuität einer Reformidee

2.2 Was sind Kompetenzen?

2.3 Probleme des Kompetenzbegriffs

2.4 Viel Rhetorik

3 Steuerung und Kontrolle

3.1 Was mit Output-Steuerung gemeint ist

3.2 Was die Output-Steuerung beabsichtigt

3.3 Die Kybernetik als Grundlage der Standardbewegung

3.4 Schule als Fabrik

3.5 Fazit

4 Messung und Tests

4.1 Messung von Schülerleistungen

4.2 Messung von Bildungsstandards

4.3 Wozu testen?

4.4 Testen in den USA

4.5 Wem nützen die Testergebnisse?

5 Schule jenseits des Regelkreises

5.1 Zweckrationalität

5.2 Steuerung vs. Regelung

5.3 Kritik der Standardbewegung

5.4 Amerikanisierung der deutschen Schule?

Literatur

Cover

Alle Rechte vorbehalten
© 2013 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart
Umschlagmotiv: © Anja Greiner-Adam – Fotolia.com
Gesamtherstellung:
W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart

Print:
978-3-17-022600-5

E-Book-Formate
pdf:
epub: 978-3-17-025370-4
mobi: 978-3-17-025371-1

"Bildungsstandards" sind seit dem politischen Erfolg der Pisa-Studien zu einem zentralen Steuerungsinstrument bildungs- und schulpolitischer Entwicklungen geworden. In Bildungsstandards wird festgelegt, über welche "Kompetenzen" Schüler am Ende einer bestimmten Jahrgangsstufe verfügen sollen. In der bildungspolitischen Praxis hat sich das Konzept der "Bildungsstandards" als Leitidee weitgehend durchgesetzt; in der erziehungswissenschaftlichen Diskussion ist es jedoch umstritten geblieben, und in der schulischen Wirklichkeit konkurriert es weiterhin mit den inhaltsorientierten Lehrplänen.

Der Band untersucht kritisch die Möglichkeiten und Grenzen dieses Konzepts der ''Bildungsstandards'' im internationalen Vergleich, er beleuchtet die politischen Rahmenbedingungen seiner Implementierung und betrachtet die praktischen Probleme, die sich bei seiner Umsetzung stellen.

 

Professor Dr. Walter Herzog ist Direktor der Abteilung Pädagogische Psychologie am Institut für Erziehungswissenschaft der Universität Bern.

 

Praxiswissen Bildung
Herausgegeben von
Peter J. Brenner

Walter Herzog


Bildungsstandards

Eine kritische Einführung

Verlag W. Kohlhammer

Vorwort

„Bildungsstandards“ sind das pädagogische Schlagwort der Stunde. Wie kein anderer Begriff bestimmen sie die Diskussion um die Erneuerung und Umgestaltung unserer Schulen. Im Schlepptau haben sie weitere Begriffe, wie „Kompetenzen“ und „Output-Steuerung“, die für einen bildungspolitischen Paradigmenwechsel stehen. Durch die Ausrichtung von Schule und Unterricht an Standards und Kompetenzen, deren Einhaltung mittels Tests überprüft wird, sollen die Qualität des Unterrichts verbessert und das Niveau der Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler erhöht werden. Bildungsstandards, Kompetenzen und standardisierte Leistungstests sind Teil einer politischen Reformstrategie, die das Bildungswesen stärker kontrollieren und die Lehrkräfte vermehrt zur Rechenschaft ziehen will.

Noch stehen wir mitten drin im Prozess der standardbasierten Schulreform. Über vieles besteht Unklarheit, und manches befindet sich in schneller Veränderung. Wohin der Weg führt, ist oft nicht leicht zu sehen, auch wenn das Fernziel klar scheint, nämlich (wieder) aufzuschließen zu den erfolgreichen Bildungsnationen der Welt, wie sie uns von internationalen Schulleistungsstudien vor Augen geführt werden. Das macht eine Einführung in Bildungsstandards nicht ganz einfach. Um der Schwierigkeit zu begegnen, gehe ich vergleichend vor und werde den Blick öfter über den Atlantik auf ein Land werfen, in dem die standardorientierte Umgestaltung des Schulsystems schon weit fortgeschritten ist. Gemeint sind die USA, die auch über eine lange Erfahrung mit Schulleistungstests, Schulevaluation und schulischen Rechenschaftssystemen verfügen. Der Blick auf die USA ist auch deshalb sinnvoll, weil die nationalen Bildungssysteme ihre Eigenheiten zunehmend verlieren und im Begriff sind, sich weltweit anzugleichen.

Der Standarddiskurs im deutschen Sprachraum soll aber nicht zu kurz kommen. Der Vergleich mit den USA steht im Interesse, die Anliegen einer Reformbewegung, die aufgrund einer fast schon inflationären Verwendung ihrer Grundbegriffe in jüngster Zeit an Profil verloren hat, in ihrer ursprünglichen Intention zurückzugewinnen. Dabei werden wir allerdings sehen, dass auch viel Rhetorik im Spiel ist. In nicht wenigen Fällen werden die Begriffe absichtlich vage und mehrdeutig gehalten, um Zustimmung für eine Reform zu erwirken, die nicht ohne Probleme ist.

Meine Einführung in die begrifflichen und konzeptuellen Grundlagen der standardbasierten Schulreform wird daher kritisch ausfallen, auch weil mich gewisse Tendenzen der laufenden Umgestaltung unserer Schulen mit Besorgnis erfüllen. Es macht sich ein Reduktionismus breit, eine technokratische Simplifizierung von Schule und Unterricht, die ich mit dem Begriff des (kybernetischen) Regelkreises einzufangen versuche. Die Reduktion von Schule und Unterricht auf Zweckrationalität beinhaltet nicht nur die Gefahr der Demontage des Lehrerberufs; sie wird auch kaum dazu führen, dass die erhofften Verbesserungen der Unterrichtsqualität und der Schülerleistungen eintreten werden. Bildungsstandards sind zwar ein potentes Mittel der Schulreform, aber sie sollten weder als Wundermittel noch als Allheilmittel missdeutet werden.

Liebefeld (Schweiz), im Juni 2013

1


Qualität, Leistung und Standards

Die Einführung von Bildungsstandards steht in Verbindung mit der vermeintlich oder tatsächlich ungenügenden Qualität nationaler Bildungssysteme. In den USA und in England wurde der Ruf nach einer standardbasierten Schulreform bereits in den 1980er Jahren laut. In Deutschland, Österreich und der Schweiz waren es die unerwartet schlechten Ergebnisse der ersten PISA-Welle, welche die Bildungspolitik auf den Plan riefen und Maßnahmen zur Qualitätsverbesserung von Schule und Unterricht auslösten. So zog die KMK1 an ihrer Plenarsitzung vom 5. und 6. Dezember 2001 „erste Konsequenzen aus den Ergebnissen der PISA-Studie“ und beschloss sieben „konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der schulischen Bildung in Deutschland“ (KMK 2001). Darunter sind Maßnahmen zum Ausbau von schulischen und außerschulischen Ganztagsangeboten sowie „zur konsequenten Weiterentwicklung und Sicherung der Qualität von Unterricht und Schule auf der Grundlage von verbindlichen Standards“ (ebd.).

Obwohl an vorderster Stelle der Ziele, die mit Bildungsstandards erreicht werden sollen, bessere Lernleistungen der Schülerinnen und Schüler stehen, lohnt es sich, etwas genauer hinzuschauen und die Begründungen zu prüfen, die zugunsten einer standardbasierten Schulreform vorgebracht werden. Das wollen wir im Folgenden tun, indem wir zunächst der Frage nachgehen, was mit Bildungsstandards erreicht werden soll (Kap. 1.1). Das wird uns zur Anschlussfrage führen, was unter einem Standard überhaupt zu verstehen ist (Kap. 1.2). Was Bildungsstandards im Unterschied zu gewöhnlichen Standards sind, wird unsere dritte Frage sein (Kap. 1.3). Abschließen werden wir das Kapitel mit einem kurzen Fazit (Kap. 1.4).

1.1 Was mit Bildungsstandards erreicht werden soll

Bildungsstandards haben die Erhaltung oder Sicherung sowie die Entwicklung oder Verbesserung von schulischer Qualität zum Ziel. In der Klieme-Expertise, auf die wir verschiedentlich zurückkommen werden, heißt es, Bildungsstandards würden „innerhalb der Gesamtheit der Anstrengungen zur Sicherung und Steigerung der Qualität schulischer Arbeit ein zentrales Gelenkstück dar[stellen]“ (Klieme et al. 2003, S. 9). Als Instrumente der Schulreform stehen Bildungsstandards daher nicht für sich, sondern für eine „Gesamtstrategie der Qualitätssicherung“ (Köller 2007, S. 13 – Hervorh. W. H.).

Allerdings steht der Unterricht im Kern dieser Gesamtstrategie. Ehmke, Leiß, Blum und Prenzel (2006, S. 222) nennen als wichtigste Zielsetzung der Einführung von Bildungsstandards die „Verbesserung der unterrichtlichen Qualität, um die fachliche Bildung von Kindern und Jugendlichen zu steigern“. Durch besseren Unterricht sollen die Schülerleistungen verbessert und – wie Böttcher und Dicke (2008, S. 104) hinzufügen – „Bildungsbenachteiligungen reduziert werden“. Insofern geht es nicht nur um besseren Unterricht und bessere Schülerleistungen, sondern auch um mehr Bildungsgerechtigkeit. So sieht es auch die Klieme-Expertise, die von den Bildungsstandards sagt, sie seien „ein Instrument zur Förderung der Bildungsgerechtigkeit“ (Klieme et al. 2003, S. 54).

Bessere Schülerleistungen und mehr Bildungsgerechtigkeit dank eines besseren Unterrichts sind aber nicht die einzigen Ziele, die mit Bildungsstandards erreicht werden sollen. In der Schweiz verspricht sich die EDK2 von der Einführung von Bildungsstandards eine harmonisierende Wirkung auf die heterogenen Schulsysteme der 26 Kantone. Indem Bildungsstandards eine normative Erwartung definieren, „auf die hin Schule unterrichten soll“ (EDK 2004, S. 6), und insofern diese Erwartung „auf nationaler Ebene verbindlich“ (ebd.) gemacht wird, entsteht ein Druck in Richtung Vereinheitlichung des nationalen Schulsystems.

Weniger weit als die Vereinheitlichung geht die Vergleichbarkeit. Diese stellt geradezu ein definierendes Merkmal von Standards dar, deren Aufgabe nicht zuletzt darin liegt, Vergleiche zu ermöglichen (Kap. 1.2). Standards „sollen Schulen vergleichbar halten“, wie es in der Expertise von Oelkers und Reusser (2008, S. 21) heißt. Gleicher Ansicht ist die KMK (2004, S. 5), wenn sie meint, durch Bildungsstandards würden die „Entwicklung und Vergleichbarkeit der Qualität schulischer Bildung im föderalen Wettbewerb der Länder“ sichergestellt sowie die „Vergleichbarkeit von Bildungserträgen […] auf allen Ebenen des Bildungssystems […] entscheidend erhöht“ (KMK 2006a, S. 12 – Hervorh. W. H.).3 Das sieht auch Klieme so, der Bildungsstandards „Instrumente zur Harmonisierung von Leistungsbewertungen“ (2006, S. 55) nennt.

1.2 Standards begründen Institutionen

Was aber sind Bildungsstandards überhaupt? Der Blick ins Wörterbuch genügt für einmal nicht, um die Frage befriedigend zu beantworten. Ein Standard, so heißt es im Rechtschreibeduden, ist ein Maßstab, eine Richtschnur, eine Norm oder ein Leistungsniveau. Das tönt unspektakulär. Denn Normen gibt es an unseren Schulen längst schon, und Richtschnüre und Leistungsniveaus ebenfalls. Was also sind Bildungsstandards? Wir wollen die Frage in zwei Schritten beantworten: Zuerst interessiert uns, was Standards im Allgemeinen sind, dann sollen die Besonderheiten von Bildungsstandards herausgearbeitet werden.

Wenden wir uns an eine Autorität in Sachen Standards, nämlich die ISO, die International Organization for Standardization, der über 160 Nationen angehören. Auf der Homepage der ISO konnte man bis vor kurzem lesen, Standards würden zu den meisten Aspekten unseres Lebens einen wesentlichen Beitrag leisten, auch wenn dieser Beitrag oft unsichtbar bleibe. Gäbe es keine Standards, würden wir dies rasch bemerken. Denn es sei die Abwesenheit von Standards, die uns ihre Bedeutung bewusst mache.

So gesehen wäre die aktuelle Diskussion um Bildungsstandards ein Zeichen dafür, dass es in Schule und Unterricht bisher keine Standards gegeben hat. Das dürfte aber nachweislich falsch sein. Denn die Gesetze, Verordnungen und Lehrpläne, die vorgeben, wie Schule zu gestalten ist, sind nichts anderes als Standards. Sie gewährleisten eine gewisse Einheitlichkeit der Bedingungen, unter denen Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden. Auch das Prinzip der Jahrgangsklasse, die Übertrittverfahren und die Abschlusszeugnisse sind Formen der Standardisierung von Schule und Unterricht. Selbst Lehrmittel und Schuluniformen sind Beispiele für Standards, die festschreiben, wie Schule stattzufinden hat. Eine Schule ist in gewisser Hinsicht nichts anderes als die Summe ihrer Standards. Die Diskussion um Bildungsstandards kann daher nichts damit zu tun haben, dass Standards an Schulen bisher abwesend gewesen wären, sie steht vielmehr für eine besondere Art von Standards.

Standards sind Instrumente der Normierung, wie der französische Name der ISO zeigt: Organisation Internationale de Normalisation. Deutlich wird das Moment der Normierung, wenn die ISO ihren Namen erläutert, der nämlich nicht eine Abkürzung in einer bestimmten Sprache und auch kein Akronym darstellt, sondern eine Referenz an das griechische Wort isos bildet, das „gleich“ bedeutet. Standardisierung ist demnach Normierung im Sinne von Gleichmachung bzw. – etwas präziser formuliert – Vergleichbarmachung. Wie wir gesehen haben, ist die Vergleichbarkeit von Schülerleistungen in der Tat eine wesentliche Zielsetzung von Bildungsstandards (Kap. 1.1).

Auch wenn viele Standards der ISO Normen für technische Produkte vereinheitlichen, liegt der Sinn dieser Normen nicht im Technischen, sondern im Sozialen. Standards sind überall dort notwendig, wo Menschen Tätigkeiten ausüben, bei denen sie auf die Kooperation mit anderen angewiesen sind. Eine wesentliche Voraussetzung für Kooperation ist zum Beispiel, dass man sich zur gleichen Zeit am gleichen Ort trifft. Dementsprechend wichtig sind eine standardisierte Zeitmessung und standardisierte Längenmaße. Noch wichtiger als die Standardisierung per se ist allerdings deren Reichweite. Noch im 19. Jahrhundert gab es lokale Zeitmaße, und noch heute gibt es Gewichtsmaße, deren Geltungsbereich begrenzt ist – wie etwa das Pfund oder die Unze. Die ISO entstand in dem Moment (1946), als solche lokalen Maßsysteme für den internationalen Austausch zunehmend zum Hindernis wurden. Damit zeigt sich, dass es auch der ISO nicht um die Schaffung von Standards geht; ihr Ziel ist vielmehr deren Vereinheitlichung. Angestrebt wird eine Standardisierung zweiter Ordnung, d. h. eine Standardisierung von Standards, die ihres lokalen Charakters entgrenzt werden sollen. Die ISO ist daher nicht zuletzt ein Ergebnis der Modernisierung, Internationalisierung und Globalisierung unserer Lebensverhältnisse.

Das gilt nun offensichtlich auch für Bildungsstandards. Brown (2001, S. 375) nennt die Standardbewegung, wie sie sich in den USA seit den 1980er Jahren herausgebildet hat, treffend ein „movement to standardize standards“. Angestrebt würden Standards, „that were consistent across the school, school district, and possibly, the state“ (ebd.). Mit state sind die 50 Bundesstaaten der USA gemeint, denen in Deutschland die 16 Bundesländer und in der Schweiz die 26 Kantone entsprechen. Insofern ist die Referenz der Standardbewegung die Nation, wie auch die Klieme-Expertise zeigt, die den Titel „Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards“ (Klieme et al. 2003) trägt. Während die Standards der ISO internationale Verbindlichkeit haben, sind wir im Bildungswesen noch auf nationale Vereinheitlichung ausgerichtet. Wie aber die PISA-Studien und andere international vergleichende Schulleistungsstudien zeigen, ist der internationale Kontext auch für die Schulen präsent. Er dürfte über kurz oder lang auch für die Festlegung von Bildungsstandards bestimmend werden.

Standards dienen der Vergleichbarkeit und Angleichung von Normen des menschlichen Zusammenwirkens in wichtigen Lebensbereichen. Durch Standardisierung werden für soziale Interaktionsbereiche maßgebliche Normen festgelegt. Insofern die Normen gesetzt werden, handelt es sich um Konventionen, die Institutionen – wie zum Beispiel die Schule – in ihrer Existenz begründen. Institutionen sind Erwartungsstrukturen, „die darüber bestimmen, was angemessenes Handeln und Entscheiden ist“ (Hasse & Krücken 2005, S. 15). Institutionen orientieren und stabilisieren soziale Interaktionen und begrenzen den stets offenen Horizont menschlicher Entscheidungen. Insofern lassen sich Standards auch als konventionalisierte soziale Erwartungen definieren.

1.3 Von Standards zu Bildungsstandards

Standards sind weder etwas Neues noch etwas Entbehrliches. Insofern hat die ISO Recht: Die Abwesenheit von Standards würde uns schnell bewusst machen, dass uns etwas fehlt, ohne das wir nicht in der Lage wären, unser tägliches Leben zu führen. Standards sind Instrumente zur Schaffung von Institutionen, die den Austausch zwischen Menschen regulieren. Für die Schule heißt dies, dass im Prinzip jedes Merkmal, das eine Schule als Institution kennzeichnet, als Standard begriffen werden kann.

Ein liebestoller Begriff

Zum Standard einer Schule gehört beispielsweise, dass sie in einem Gebäude untergebracht ist, dass das Gebäude in Zimmer unterteilt ist, dass die Zimmer regelmäßig gelüftet und gereinigt werden, dass die Schülerinnen und Schüler zu Klassen zusammengefügt werden, dass sie von Lehrpersonen unterrichtet werden, dass diese für die Fächer, die sie unterrichten, ausgebildet sind, dass Lehrer und Schüler rechtzeitig zum Unterricht erscheinen, dass der Unterricht in Fächer und Lektionen gegliedert ist, dass die Schülerinnen und Schüler lernen, was ihnen die Lehrkräfte vermitteln, dass dies auch überprüft wird, dass der Besuch der Schule obligatorisch, aber auch unentgeltlich ist, dass er allen Kindern offensteht, dass die Lehrer angemessen entlohnt werden etc.4

Da Schulen durch Standards allererst ins Leben gerufen werden, könnte im Prinzip jeder dieser Standards Bildungsstandard genannt werden. In den USA ist tatsächlich in einem umfassenden Sinn von Bildungsstandards (educational standards) die Rede. Diese können sein: content standards, academic standards, curriculum standards, learning standards, program standards, opportunity-to-learn standards, unit capacity standards, productivity standards, student standards, pupil achievement standards, instructional standards, teaching standards, teacher standards, state standards, proficiency standards, mastery standards, competence standards, promotion standards, admission standards, outcome standards, accountability standards – und das ist längst keine vollständige Liste. James Popham (2004, S. 17) nennt den Standardbegriff daher ein liebestrunkenes Wort, das Sehnsucht nach Ergänzung hat, da es für sich allein nichtssagend bleibt. Das erklärt die vielen Wortverbindungen, in denen der Standardbegriff im Amerikanischen daherkommt.

Aber auch im Deutschen ist der Standardbegriff schon etliche Affären eingegangen, was Begriffe wie Ausbildungsstandard, Prozessstandard, Inhaltstandard, Fachstandard, Input-Standard, Output-Standard, Ergebnisstandard, Produktstandard, Bedingungsstandard, Schulstandard, Unterrichtsstandard, Absolventenstandard oder Abschlussstandard zeigen. Die promiskuöse Verwendung des Begriffs trägt nicht gerade zur sprachlichen Klarheit bei, was gerade auch für den Begriff des Bildungsstandards gilt. Das zeigt nicht zuletzt die Klieme-Expertise, die im deutschen Sprachraum als Schlüsseltext der Standardbewegung gilt. Darin heißt es, im Grunde lasse sich die Funktion von Bildungsstandards mit einem Satz beschreiben: „Sie arbeiten in klarer und konzentrierter Form heraus, worauf es in unserem Schulsystem ankommt“ (Klieme et al. 2003, S. 47 – im Original hervorgehoben). Das aber tun alle anderen Standards auch, die wir eben genannt haben. Bliebe es in der Klieme-Expertise bei dieser Äußerung, so wären Bildungsstandards nichts anderes als irgendwelche Normen, die festlegen, was eine Schule ist und „worauf es in unserem Schulsystem ankommt“. Ihr Anspruch wäre lediglich, dies auf eine verständlichere Weise, d. h. „in klarer und konzentrierter Form“ (ebd.), zu tun. Hier kann das Spezifische von Bildungsstandards aber nicht liegen.

Bildungsstandards sind Leistungsstandards

Um genauer zu verstehen, was Bildungsstandards sind, nämlich nicht irgendwelche Standards, die eine Schule als Institution festlegen, wollen wir uns an einem Vorschlag von Diane Ravitch (1995) orientieren, die die Vielfalt an Liebschaften, die der Standardbegriff in den USA schon eingegangen ist, einer schematischen Unterteilung unterwirft. Danach gibt es drei Arten von educational standards, nämlich content standards, opportunity-to-learn standards und performance standards.

Content standards, die auch curriculum standards genannt werden, umschreiben, „what teachers are supposed to teach and students are expected to learn“ (S. 12). Es sind inhaltliche Standards, die auf klare und spezifische Weise beschreiben, was für Fertigkeiten (skills) und welches Wissen (knowledge) Lehrkräfte den Schülerinnen und Schülern zu vermitteln haben. Es geht um Lernziele und Lehrpläne, in denen festgelegt wird, was zu unterrichten ist.

Davon unterschieden werden die opportunity-to-learn standards, welche die Verfügbarkeit von Lehrkräften, Lehrmitteln und anderen Ressourcen bezeichnen, „that schools, districts, and states provide so that students are able to meet challenging content and performance standards“ (Ravitch 1995, S. 13). Hier geht es sowohl um die materiellen wie personellen Ressourcen, die einer Schule zur Verfügung stehen, wie auch um deren Kontext- und Prozessmerkmale. Alle diese Merkmale schaffen Opportunitäten, d. h. Bedingungen, die dem Lernen der Schülerinnen und Schüler förderlich oder hinderlich sind.

Schließlich definieren performance standards das Ausmaß, in dem Schülerinnen und Schüler die von ihnen erwarteten Leistungen unter den gegebenen Bedingungen erbringen. „Performance standards describe what kind of performance represents inadequate, acceptable, or outstanding accomplishment“ (Ravitch 1995, S. 12f.). Sie legen also fest, welches Niveau an Lernleistungen von den Schülerinnen und Schülern erwartet wird. Während curriculare Standards umschreiben, was an einer Schule zu lehren und zu lernen ist, geben Leistungsstandards vor, wie viel davon in einem Fach bis zu einem bestimmten Zeitpunkt gelernt werden muss.5 Im Deutschen hat sich dafür neben dem Begriff des Leistungsstandards auch derjenige des Ergebnisstandards eingebürgert. Tatsächlich ist dies die einzige als legitim erachtete Liaison des Standardbegriffs im deutschen Sprachraum: Mit Bildungsstandards sind Leistungs- bzw. Ergebnisstandards gemeint und nichts anderes.

Ein Blick über den Atlantik

Die Verengung des Standardbegriffs auf Leistungsstandards macht es schwierig, die hiesige Diskussion mit derjenigen in den USA abzugleichen. Es ist daher – auch für unsere weiteren Ausführungen – hilfreich, die Entwicklung der Standardbewegung in den USA kurz nachzuzeichnen, wobei wir vorerst nur bis in die 1980er Jahre zurückblicken wollen.

1983 erschien ein vom damaligen Präsidenten Reagan in Auftrag gegebener Bericht mit dem Titel A Nation at Risk, der gemeinhin als Initialschrift der Standardbewegung in den USA gilt (vgl. Gamoran 2007, S. 82; O’Day 2008, S. 108; Ravitch 2010, S. 22ff.). Neben ungenügenden Schülerleistungen kritisierte der Bericht insbesondere die Lehrpläne der High Schools, die seit Mitte des 20. Jahrhunderts zunehmend an Profil verloren hatten. Den Schülerinnen und Schülern wurde eine A Nation at Risktesting decadetesting movement